Alexander Dumas d. Ä.
Zwanzig Jahre nachher. Erster Band
Alexander Dumas d. Ä.

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Der gute Broussel

Aber zum Unglück für den Kardinal war der gute Broussel nicht zu Tode getreten worden. Er ging ruhig durch die Rue-Saint-Honoré, als d'Artagnans Pferd ihn scharf an der Schulter streifte und in den Kot warf.

Die Leute, die den Unfall mit angesehen hatten, liefen herbei, fragten den stöhnenden Mann nach seinem Namen, und sobald er gesagt hatte, er heiße Broussel, sei Rat im Parlament und wohne in der Rue Saint-Landry, erhob sich ein Schrei aus der Menge, ein furchtbar drohender Schrei.

Broussel! rief man, Broussel, unser Vater! Der Mann, der unsere Rechte gegen Mazarin verteidigt! Broussel, der Freund des Volkes, getötet, mit den Füßen zerstampft von diesen Schurken von Kardinalisten! Zu Hilfe! Zu den Waffen! Tod diesen Schurken!

Im Nu war der Haufen lawinenartig geschwollen; man hielt einen Wagen an, um den kleinen Rat hineinzulegen; aber ein Mann aus dem Volke machte eine Bemerkung, bei dem Zustand des Verwundeten müsse die Bewegung der Karosse das Übel nur noch verschlimmern; Fanatiker erboten sich, ihn auf den Armen zu tragen, und dieser Vorschlag wurde mit Begeisterung begrüßt und einstimmig angenommen. Gesagt, getan! Das Volk hob ihn drohend und sanft zugleich auf und trug ihn fort.

Der Rat war stolz auf diese Anhänglichkeit des Volkes, die er in solchem Maße nicht vermutet hatte. Zugleich fürchtete er aber an jeder Ecke, es möchte ein neuer Reitertrupp kommen und ihn völlig zermalmen.

Mehrmals wiederholte er daher mit erloschener Stimme: Eilen wir, Kinder, denn in der Tat, ich leide sehr.

Nicht ohne Mühe gelangte man an Broussels Haus. Die Menge hatte bereits das ganze Viertel in Aufregung gebracht. Am Fenster eines Hauses mit sehr schmalem Eingang bemerkte man eine alte Dienerin, die sich aufs heftigste gebärdete und aus Leibeskräften schrie, und eine betagte Frau, die in Tränen ausgebrochen war. Diese beiden Personen befragten mit sichtbarer Unruhe das Volk, das nur mit verworrenem, unverständlichem Geschrei antwortete.

Als aber der Rat, von acht Männern getragen, ganz bleich zum Vorschein kam und mit scheinbar brechendem Auge seine Wohnung, seine Frau und seine Dienerin betrachtete, da fiel die gute Dame Broussel in Ohnmacht, und die Magd stürzte, die Arme zum Himmel erhebend, auf die Treppe, um ihrem Herrn entgegenzugehen, und schrie: O mein Gott! mein Gott! Wenn nur Friquet da wäre, um einen Wundarzt zu holen!

Friquet war da, denn wo ist ein Pariser Straßenjunge nicht?

Friquet hatte natürlich den Pfingsttag benutzt, um sich vom Herrn der Taverne einen Urlaub zu erbitten; er war an der Spitze des Zuges. Wohl kam ihm gleich anfangs der Gedanke, einen Wundarzt zu holen, aber er fand es belustigender, aus vollem Halse zu schreien: Sie haben Herrn Broussel getötet! Herrn Broussel, den Vater des Volkes! Es lebe Herr Broussel!

Zum Unglück für Friquet, der eine wichtige Rolle bei dem Zug spielte, beging er die Unklugheit, sich an die Fenstergitter im Erdgeschoß anzuklammern, um die Menge zu leiten. Dieser Ehrgeiz richtete ihn zu Grunde. Seine Mutter bemerkte ihn und schickte ihn nach dem Arzt.

Dann nahm sie den guten Mann in ihre Arme und wollte ihn ins oberste Stockwerk tragen; aber unten an der Treppe stellte sich der Rat wieder auf seine Beine und erklärte, er fühle sich stark genug, um allein hinaufzusteigen. Er bat daher Gervaise (so hieß die Magd), sie möge das Volk zum Rückzug zu bewegen suchen, aber Gervaise hörte nicht auf ihn.

O mein armer Herr! mein lieber Herr! rief sie. – Ja, meine Gute, ja, Gervaise, murmelte Broussel, um sie zu beschwichtigen; sei unbesorgt, es wird nichts sein. – Ich soll mich beruhigen, während Ihr gerädert, zertreten und zermalmt seid! – Nein, nein, entgegnete Broussel, es ist nichts, beinahe nichts. – Nichts? und Ihr seid mit Kot bedeckt! Nichts, und Ihr, habt Blut an Euren Haaren! Ah, mein Gott, mein Gott! mein armer Herr! – Still doch! sagte Broussel, still! – Blut, mein Gott, Blut! rief Gervaise. – Einen Arzt! einen Wundarzt! einen Doktor! brüllte die Menge. Der Rat Broussel stirbt! Die Mazariner haben ihn getötet! – Mein Gott! sprach Broussel voll Verzweiflung, die Unglücklichen werden machen, daß mein Haus abgebrannt wird. – Stellt Euch ans Fenster und zeigt Euch! – Zum Henker! ich werde mich wohl hüten; das paßt für den König gut, sich zu zeigen. Sage ihnen, Gervaise, es gehe besser mit mir. Sage ihnen, ich wolle nicht ans Fenster kommen, sondern mich ins Bett legen, und sie möchten sich entfernen. – Aber, warum sollen sie sich entfernen? Es macht Euch Ehre, wenn sie da sind. – O! siehst du nicht, sprach Broussel, dessen Verzweiflung immer mehr zunahm, sie machen, daß man mich verhaftet, daß man mich hängt! Ach, sieh da, meine Frau ist unwohl. – Broussel! Broussel! rief die Menge. Es lebe Broussel! Einen Wundarzt für Broussel!

Sie machten einen solchen Lärm, daß das, was Broussel vorhergesehen hatte, wirklich geschah. Eine Abteilung von Wachen trieb den übrigens harmlosen Haufen mit Musketenkolben auseinander. Aber beim ersten Geschrei: Die Wache, die Soldaten! schlüpfte Broussel, der fürchtete, man könnte ihn für den Anstifter dieses Auflaufes halten, ganz angekleidet in sein Bett.

Kaum war durch die Wachen einigermaßen in der Straße die Ruhe wiederhergestellt, so klopfte es stark an der Türe.

Seht, wer klopft, sagte Broussel; öffnet aber nur vertrauten Freunden, Gervaise.

Gervaise sah nach. Es ist der Herr Präsident Blancmesnil, sprach sie.

Dann ist es gut, erwiderte Broussel, öffnet nur!

Laßt hören! sprach der Präsident, als er eintrat. Was haben sie Euch getan, mein lieber Broussel? Man sagt, Ihr wäret beinahe ermordet worden.

Es ist nicht zu leugnen, man führte ohne Zweifel etwas gegen mein Leben im Schilde, antwortete Broussel mit der Festigkeit eines Stoikers.

Mein armer Freund, sie wollten mit Euch anfangen; aber die Reihe wird an jeden von uns kommen, und da sie uns nicht in Masse besiegen können, so werden sie einen nach dem andern zu vernichten suchen.

Wenn ich davonkomme, sagte Broussel, so will ich sie alle unter dem Gewicht meines Wortes zermalmen.

Ihr werdet davonkommen, erwiderte Blancmesnil, um sie ihren Angriff teuer büßen zu lassen.

Frau Broussel weinte heiße Tränen. Gervaise war in Verzweiflung.

Was gibt es denn? rief ein hübscher junger Mann mit kräftigen Formen, in das Zimmer stürzend. Mein Vater verwundet!

Ihr seht ein Opfer der Tyrannei, junger Mensch, sprach Blancmesnil, als wahrer Spartaner.

Wehe denen, die Euch berührt haben, mein Vater, versetzte der junge Mann und wandte sich nach der Türe.

Jacques, sprach der Rat, hole lieber einen Arzt.

Ich höre das Geschrei des Volkes, rief die Alte, ohne Zweifel ist es Friquet, der einen bringt. Aber nein, es ist eine Karrosse!

Blancmesnil schaute durchs Fenster. Der Koadjutor, sagte er.

Der Herr Koadjutor! wiederholte Broussel. Ei, mein Gott, wartet doch, daß ich ihm entgegengehe!

Und seine Wunde vergessend, wäre der Rat Herrn von Retz entgegengelaufen, wenn ihn Blancmesnil nicht aufgehalten hätte.

Nun, mein lieber Broussel, sagte der Koadjutor eintretend, was gibt es denn? Man spricht von Hinterhalt, von Ermordung. Guten Morgen, Herr Blancmesnil. Ich habe im Vorüberfahren einen Arzt mitgenommen und bringe ihn.

Ah, gnädiger Herr, sagte Broussel, wieviel Gnade bin ich Euch schuldig! Es ist wahr, ich bin schrecklich niedergeworfen und von den Musketieren des Königs mit Füßen getreten worden.

Sagt des Kardinals, sprach der Koadjutor, sagt Mazarins. Aber wir wollen ihn alles teuer bezahlen lassen, seid unbesorgt. Nicht wahr, Herr von Blancmesnil?

Blancmesnil verbeugte sich, als die Türe von einem Läufer aufgestoßen wurde. Ein Lakai in großer Livree folgte ihm und meldete: Der Herr Herzog von Longueville.

Wie! rief Broussel, der Herr Herzog hier! Welche Ehre für mich! Ah, Monseigneur!

Mein Herr, sagte der Herzog, ich komme seufzend über das Schicksal unseres bravsten Verteidigers. Seid Ihr denn verwundet, mein lieber Rat? – Wenn ich es wäre, Monseigneur, so würde mich Euer Besuch heilen. – Ihr leidet jedoch? – Sehr, sagte Broussel. – Ich habe einen Arzt mitgebracht, versetzte der Herzog; erlaubt Ihr ihm einzutreten? – Ganz gewiß.

Der Herzog machte seinem Lakaien ein Zeichen, und dieser führte einen schwarzen Mann ein.

Ich hatte denselben Gedanken, wie Ihr, mein Prinz, sprach der Koadjutor.

Die beiden Ärzte schauten sich an.

Ah, Ihr seid's, mein Herr Koadjutor, sagte der Herzog. Die Freunde des Volkes treffen sich auf dem rechten Gebiet. – Das Geschrei hatte mich erschreckt, und ich eilte herbei. Aber ich glaube, es wäre das dringendste, daß die Ärzte unsern braven Rat untersuchten. – Vor Euch, meine Herren? sprach Broussel ganz schüchtern. – Warum nicht, mein Lieber? – Wir wollen eiligst erfahren, wie es mit Euch steht. – Ei, mein Gott, sagte Frau Broussel, was soll dieser neue Lärm bedeuten?

Man sollte glauben, es wäre Beifallsgeschrei, sprach Blancmesnil und lief ans Fenster.

Wie! rief Broussel erbleichend, was gibt es denn noch?

Die Livree des Herrn Prinzen von Conti, sprach Blancmesnil. Der Herr Prinz von Conti selbst.

Ah, meine Herren, sagte der Prinz eintretend, als er den Koadjutor erblickte, Ihr seid mir zuvorgekommen. Doch Ihr müßt mir deshalb nicht grollen, mein lieber Herr Broussel. Als ich Euren Unfall erfuhr, glaubte ich, es würde Euch vielleicht an einem Arzt fehlen, und machte einen Umweg, um den meinigen mitzunehmen. Doch wie ist es mit dem Mordversuch?

Broussel wollte sprechen, aber es fehlte ihm an Worten. Er erstickte beinahe unter dem Gewicht der Ehrenbezeigungen, mit denen man ihn überhäufte.

Ei, mein guter Doktor, seht nach, sagte der Prinz zu einem schwarzen Manne, der ihn begleitete.

Meine Herren, sprach einer der Ärzte, es handelt sich also um eine Konsultation.

Wie Ihr wollt, doch beruhigt mich geschwind über den Zustand des lieben Rates.

Die drei Ärzte näherten sich dem Bette, Broussel zog die Decke mit aller Gewalt an sich, wurde aber trotz seines Widerstandes entblößt und untersucht. Er hatte nur eine Quetschung am Arm und eine andere am Schenkel.

Die drei Ärzte schauten sich an, denn sie begriffen nicht, wie man die drei gelehrtesten Männer der Pariser Fakultät wegen einer solchen Lappalie hatte zusammenrufen können.

Nun, sagte der Koadjutor. – Nun? sagte der Herzog. – Nun? sagte der Prinz. – Wir hoffen, der Unfall wird keine Folgen haben, sprach einer der drei Ärzte, und wollen uns zum Behuf einer Verordnung ins nächste Zimmer zurückziehen.

Broussel! Kunde von Broussel! rief das Volk. Wie geht es Broussel?

Der Koadjutor lief ans Fenster; bei seinem Anblick schwieg das Volk.

Meine Freunde, sagte er, beruhigt Euch. Herr Broussel ist außer Gefahr. Seine Wunde ist jedoch bedeutend, und die Ruhe sehr notwendig für ihn.

Der Ruf: Es lebe Broussel! Es lebe der Koadjutor! erscholl sogleich aus der Straße.

Herr von Longueville war eifersüchtig und ging auch ans Fenster.

Es lebe Herr von Longueville! rief man ebenfalls.

Meine Freunde, sagte der Herzog, mit der Hand grüßend, entfernt Euch im Frieden und gönnt unsern Feinden nicht das Vergnügen, von einer Zusammenrottung zu reden.

Schön, Herr Herzog, sprach Broussel von seinem Bette aus. Das heiße ich als guter Franzose sprechen.

Ja, meine Herren Pariser, rief der Prinz von Conti, ebenfalls ans Fenster tretend, um seinen Anteil an dem Beifall zu bekommen. Ja, Herr Broussel bittet Euch. Überdies bedarf er der Ruhe, und der Lärm könnte ihm schaden.

Es lebe der Prinz von Conti! schrie die Menge, und der Prinz verneigte sich.

Alle drei verabschiedeten sich nun von dem Rat, und die Menge, die sie in Broussels Namen weggeschickt hatten, geleitete sie. Sie waren bereits auf dem Quai, als Broussel immer noch von seinem Bette aus Komplimente machte.

Die alte Magd schaute ihren Herrn mit Bewunderung an. Er war in ihren Augen um einen Fuß größer geworden.

So geht es, wenn man seinem Vaterland nach seinem Gewissen dient, sagte Broussel mit Befriedigung.

Die Ärzte entfernten sich, nachdem sie sich eine Stunde lang beraten und für die Quetschungen Umschläge mit Wasser und Salz verordnet hatten.

Es war den ganzen Tag eine Wallfahrt von Karossen. Die ganze Fronde ließ sich bei Broussel einschreiben.

Friquet kehrte um Mitternacht zurück; er hatte keinen Arzt finden können.



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