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Zu Schiff! Laßt Hörnerklang in die Buchten des Stromtals schallen, die alten Sagen zu wecken, die auf weichem Moos in den Klüften der Berge und unter den eingestürzten Hallen der Burgen schlummern. Seht: ein glückliches Zeichen – ein Regenbogen – wölbt sich über uns, da wir einfahren ins Zaubertal. Horch! Hört ihr nichts? War's uns doch, als hätten wir ein Johlen und Rufen drüben am Leinpfad vernommen. Kein menschliches Wesen ringsum zu sehen! Vielleicht war's der »Wilde Hochenauer«, der verdammt ist, so lange zu reiten, bis das Strombett der Donau so trocken ist als der Gipfel des Jauerlings. Seht ihr's nicht vor euch auf den Wellenspitzen schimmern wie weißes Gewand? Ist's wohl der Schleier des Donauweibchens, das den Scheitel über die Fluten emporheben will, um zu spähen, ob die Zeit sich noch nicht erfülle? Denn kommen wird es einst, wenn der Heide die Vormauer der Christenheit erstürmt hat, dann wird es alle, die es seit einem Jahrtausend ins kristallene Haus zu sich hinabgezogen hat, heraufbringen und als gerüstete Schar ins Feld stellen, um den Erbfeind zu schlagen; dann, wenn der Strom bis ins Schwarze Meer vom Heidenblut rot ist, wird die neue Zeit der Herrlichkeit beginnen.
Alles totenstill, Regenschleier umhüllen den Hintergrund, indessen der Turm von Schönbühel sich dicht vor uns in greller Sonnenbeleuchtung zeigt. Das Schloß gehörte im 13. Jahrhundert einem Rittergeschlecht, das sich davon schrieb, seit dem Ende des 14. den Starhembergern, von denen Rüdiger 1578 einen protestantischen Geistlichen zu sich berief; der evangelische Glaube blieb bis zum Jahre 1629 hier aufrecht. 1674 wurde das Servitenkloster, eine kurze Strecke unterhalb des Schlosses auf den Felsenklippen, gestiftet, das ein Gnadenbild Maria bewahrt.
Wir befinden uns in der Wachau – so heißt das einsame, großartige Stromtal von Schönbühel bis Dürnstein, das zu beiden Seiten von hohen Felsenbergen eng umschlossen ist, auf deren Gipfeln ernste Ruinen stehen und zu deren Füßen Menschenwohnungen in düsterer Abgeschiedenheit sich bergen, scheu, als empfänden sie noch die Gewalt der Zwingherren, die einst dort oben hausten. Wer je den Rhein befuhr, wird eingestehen, daß die Landschaften der Wachau durch die Eigentümlichkeit der vorherrschenden poetischen Stimmung mit den schönsten des Rheins wetteifern, an die sie in vielfacher Beziehung erinnern. Ist dort die Großartigkeit der Landschaft fast immer gleich durch den erfreulichen Anblick des unermüdlichen Fleißes und des lebhaftesten Verkehrs gemildert, so erscheint hier die wilde Schönheit der Natur – man möchte sagen: noch in voller Jungfräulichkeit, und alle Versuche des Menschenfleißes scheinen an dem ehernen Trotz dieser Brunhilde zu scheitern, die statt froher Menschengesichter nur todesbleiche ernste Sagen zu Genossen haben will.
Schon unter Karl dem Großen wird die Wachau genannt, das Tal im Awarenland; alles Stromgebiet von der Pielach, die bei Emmersdorf mündet, bis gegen Tulln, Zeiselmauer und Perschling schenkte jener Kaiser dem Passauer Bischof; nach dem Sieg auf dem Lechfeld wurde Burckhard mit der Obhut der oberen »Wachowe« betraut. Im 14. Jahrhundert gab es eigene Ritter von Wachau.
Schönbühel im Rücken, gewahren wir zuerst am linken Ufer Aggsbach, das Aspach, Acuspach aus der Zeit Karls des Großen; gegenüber Aggsbach Markt, wo die Ach in die Donau mündet; in der Talschlucht, die hier mündet, stiftete Haderich von Kuenring 1386 eine Karthause, »Unserer Lieben Frauen Pforte«, die 1782 zerstört wurde; tiefer im engen Tal stehen die letzten Reste des Schlosses Aggsbach. Am rechten Ufer zeigt sich trotzig die Ruine der gewaltigen Burg Aggstein Vgl. Hormayrs »Historisches Tagebuch für 1831«. auf einem hohen und steilen Felsen, zu der zwei Wege hinaufführen – der eine vom Dörflein Aggstein empor, das unten am Fuß des Berges liegt, der andere von Maria Langegg über den oberen Hof.
Die Vorwerke und äußeren Baulichkeiten sind noch wohl zu unterscheiden; die Burg hatte drei Tore, zwischen denen die Knappenwohnungen, Stallungen und Wirtschaftsgebäude (noch jetzt in den Trümmern zu erkennen) sich befanden. Über dem dritten Tor ließ Georg Scheck, der die Burg erneuerte, sein Wappen und die Schrift einsetzen: »Das purkstal hat angvangen tze pauen her Jorig der Scheck von wald, des nächsten muntag nach vnser Fravntag nativitatis da von christ gepurd warn vergangen MCCCCXXiiiiij Jahr.« Der dritte Hof ist der größte; um ihn reihen sich Gemächer, zum Teil von neuerer Bauart. Durch einen breiten Gang gelangt man in das Hauptgebäude, das bei weitem älter ist; von diesem erreicht man die höchste Spitze des Felsens. Wohl ohne Zweifel waren es die Kuenringer, Den Ursprung des Namens Kuenring erzählt Hormayr so: Als die zahlreichen Enkel des Helden Azzo, der die Ostmark über die Böhmen ersiegt, einst auf offenem Feld bei Eggenburg sich alle versammelt hatten, ein gemeinsames Stammhaus zu bauen, demselben einen gemeinsamen Namen zu geben, und sie alle auf stolzen Rossen im Kreis die Grundfesten der beschlossenen Feste umritten hatten, rief plötzlich der Weiseste unter ihnen: »Was zweifeln und was fragen wir lang? Die Kühnen dieses Landes sind hier alle in einem Ring, davon möge denn dieses Haus Kuenring heißen.« die diese Felsenburg bauten.
Hadamar von Kuenring, von der Donau bis gen Böhmen und ins Marchfeld gewaltig, erscheint im 12. Jahrhundert als Herr von Aggstein und Dürnstein; auf der letztgenannten Burgfeste verwahrte er dem Herzog Leopold VI. den gefangenen Richard Löwenherz, von dem die Überlieferung meint, daß er auch zu Aggstein gewesen sei. Hadamars Söhne, Heinrich und Hadamar, sind jene gefürchteten Hunde von Kuenring, die kein Schiff auf der Donau, keinen Wanderer auf der Heerstraße ungefährdet ziehen ließen; zwischen Schönbühel und Aggsbach stand ihnen ein Wartturm, »das Blashaus«, von wo aus des Wächters Horn ihnen die Ankunft herabkommender Schiffe verkündete. Dem jungen Herzog Friedrich dem Streitbaren raubten sie das große Siegel und den Schatz (beides hatte ihnen dessen Vater Leopold anvertraut) auf ihre Burg Rappoltstein; nicht Friedrichs sieggekrönte Rache, nicht der Kirchenbann, den der Bischof von Passau über sie sprach, vermochten sie zu schrecken – sie trotzten auf Aggstein, das sie für unbezwinglich hielten, den besten Ringfinger von jenen zehn (so nannten sie ihre Burgen), »mit denen sie den Herzog zu erdrücken« sich vermaßen. Aber klug ersonnener und glücklich vollbrachter List erlag endlich ihr Übermut. Ein reicher Kaufherr gab dem Herzog den Plan an; ein Schiff wurde mit Gold und kostbaren Waren befrachtet, im untersten Raum aber bargen sich dreißig wohlgerüstete Kriegsleute. Es wurde angehalten und geplündert, der Raub schnell an Land geschafft; Hadamar von Kuenring verweilte noch im Schiff, um Nachlese zu halten, da stießen die Ruderer rasch vom Ufer ab, die dreißig in Wehr und Waffen sprangen aus dem Bauch des Schiffes hervor und überwältigten nach langem Kampf den wilden, unbändigen Recken. Im Triumph wurde er nach Wien gebracht, Aggstein geschleift. Friedrich ließ Gnade über die Hunde von Kuenring ergehen, Hadamar aber, dessen Mut mit seiner Burg gebrochen war, pilgerte nach Passau, um Lösung vom Bann zu erlangen, und starb unterwegs. Leuthold der Kuenringer nahm an dem Bund der edlen Geschlechter von Österreich und Steiermark gegen Kaiser Albrecht teil und verlor, als dieser nach dem Tag zu Triebensee den Bund mit Macht zertrümmerte, unter vielen anderen bedeutenden Burgen – wie Dürnstein, Rastenberg, Weitenegg – auch Aggstein; gleichwohl gab Albrecht ihm später seine Nichte Agnes zur Gattin.
Wie die Geschichte von jenen Hunden von Kuenring, berichtet die Sage von dem »Schreckenwald«, der zu Aggstein gehaust habe; allenthalben wurde von des Schreckenwalds »Rosengärtlein« erzählt, einem schmalen Felsenstück, das sich über den Abgrund hinausreckte, kaum groß genug, daß ein Mensch sich darauf ausstrecken konnte. Auf diesen Felsen führte der Schreckenwald seine Opfer durch ein Pförtlein, das er wieder verschloß, und ließ ihnen die Wahl, darauf Hungers zu sterben oder sich aus Verzweiflung in den Abgrund zu stürzen. Endlich aber sei ein Gefangener, so meldet die Sage, mit Gottes Gnade wunderbar in den Abgrund hinabgeklettert und habe allerorten das Volk zur Rache gegen den Unhold aufgerufen; da sei Aggstein überfallen und gebrochen und der Schreckenwald durch den Henker gerichtet worden.
Georg Scheck, Herr auf Ottenschlag, herzoglicher Kammermeister und Landrichter, ein buckliger und hinkender, aber tapferer Mann, der dem Kaiser Friedrich früher mannhaft beigestanden hatte, war im 15. Jahrhundert Herr zu Aggstein und erneuerte durch sein Walten die Schrecken der Kuenringerzeit und die Sagen vom Rosengärtlein. Ihn überraschte der Grafenegger, des Kaisers Hauptmann, der Aggstein im Sturm nahm; mit knapper Not entfloh der Scheck, gezwungen, bei denen zu betteln, die er früher so hart bedrängt hatte. Später ging der Besitz der Burg aus den Händen des Kaisers in die der Freiin von Pollheim, dann in die der Herren von Abensberg und Traun, endlich in die der Starhemberger über und von diesen durch Kauf an den Grafen Beroldingen.
Am linken Ufer gewahren wir das unterhalb Aggsbach an den Fuß des Jauerlings sich schmiegende Örtlein Willendorf, weiterhin Groisbach, dann Schwallenbach (dem gegenüber St. Johann am rechten Ufer). Gleich unterhalb Schwallenbach senkt sich die Teufelsmauer den Abhang der Berge herab – Felsenkämme, die zerklüftetem Mauerwerk ähneln; Echo birgt sich dahinter, als riefen im Dunkeln waltende Mächte deinen Fragen Antwort zu. Eine Sage wurde davon erzählt, die mit dem alten Wahrzeichen von Aggsbach, einem kupfernen Hahn, dem der Kopf mit einem Pfeil durchschossen ist, in Zusammenhang stand. Im Aggsbacher Schloß soll einst ein Ritter gehaust haben, dem eine wunderholde Tochter blühte. Die Ritter von Spitz und von Aggstein freiten um sie, Vater und Tochter neigten sich dem Aggsteiner zu, doch bestimmte der Vater, um den von Spitz nicht zu kränken, die Bedingung sei, wer von beiden Werbern als Sieger vom Turnier heimkehre, solle die Jungfrau als Braut heimführen. Dem Ritter von Aggstein lächelte das Glück, und der Hochzeitstag wurde bestimmt; der Ritter von Spitz aber eilte am Abend zuvor voller Verzweiflung an die Donau, um sich und sein Herzeleid darin zu begraben. Da erschien ihm der Böse und trug ihm an, er wolle eine Mauer über den Strom bauen, daß die Wellen bis zur Burg hinanwüchsen, dann könnte er ohne Gefahr die Braut nach Spitz entführen. Der Ritter willigte ein, der Böse begann sein Werk und führte es schon bis an den Strom hinab aus, als auf dem Kirchturm zu Aggsbach ein Hahn krähte. Ingrimmig, im Werk gestört zu sein, schoß der Böse dem Hahn einen Pfeil durch den Kopf; der Ritter aber ging in sich und büßte auf einer Pilgerfahrt und im Kloster den Frevel, den Rat des Bösen nicht abgewiesen zu haben. Zum Wahrzeichen wurde der kupferne Hahn mit dem Pfeil auf der Spitze des Aggsbacher Kirchturms gesetzt, die jäh gegen den Strom ablaufenden Mauern aber, das Werk des Bösen, sind für ewige Zeiten zu schauen.
Ein ähnlicher Felsenkamm zeigt sich auch auf dem Berg am rechten Ufer unterhalb Aggstein; an diesem gewahren wir Ober-, Mitter- und Unterarnsdorf.
Am linken Ufer zeigt sich uns nun der malerisch gelegene alte Markt Spitz, dessen Häuser sich in der Runde um einen mit Reben bepflanzten Hügel reihen, welcher der Mittelpunkt der Wachau heißt; »zu Spitz wächst der Wein auf dem Markt«, sagt der Volksspruch. Spitz gehörte seit unvordenklichen Zeiten noch Bayern, kam später an die Kuenringer und an die Kapeller, endlich wieder an Herzog Georg den Reichen von Landshut und beim Streit um dessen Erbe an Kaiser Max I.; in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde Spitz evangelisch, später fühlte es die Gegenreformation aufs empfindlichste, nicht minder 1805 die Kämpfe zwischen den Franzosen und den Russen. Der Hausberg trägt einen aus Quadern erbauten Turm, fast den einzigen Rest der alten Burg Hinterhaus. – Weiterhin am linken Ufer sehen wir nun den Flecken St. Michael mit seiner interessanten altdeutschen Kirche, auf deren Dach das Wahrzeichen – »sechs Hasen« – an die Zeit erinnern soll, da der Schnee die ganze Kirche bis zum Dach hinauf bedeckte.
Wir schiffen nun zwischen Wösendorf und Jöchling (am linken) und Ober- und Unterkienstock und St. Lorenz (am rechten Ufer) vorbei und sehen am linken Ufer den alten Markt Weißenkirchen liegen, der einst den Kuenringern, später den Starhembergern gehörte und im Dreißigjährigen Krieg gewiß nicht größere Drangsal erlitt als 1805, als die Russen und die Österreicher sich mit den Franzosen hier schlugen. Bei Rührsdorf stemmt eine gigantische Felswand sich dem Strom entgegen, kein Ausweg scheint da möglich, um die Kraft der Fluten zu erlahmen; nordöstlich windet sich eine Schlucht, wild und grausig, als führe sie in den Orkus.
Jetzt nähern wir uns dem Markt Rossatz am rechten Ufer, und allmählich sehen wir das Adlernest Dürnstein hoch oben zwischen den Rissen der jäh wie Kristallbildungen aufragenden Klippen festgekittet; was Mauer und was Fels ist, vermag das Auge kaum zu unterscheiden; unten am Fuße des kahlen Berges und am Saum der Wellen, die das Vorgebirge bespülen, liegt das gleichnamige alte, schon im 11. Jahrhundert erwähnte Städtchen, dessen Bewohner 1741 den Franzosen und Bayern, die den Ort überraschen wollten, durch eine artige List (sie bemalten Brunnenröhren schwarz, so daß diese Kanonenläufen glichen) solchen Respekt einflößten, daß sie beizeiten wieder umkehrten; 1805, am 11. November, wich Mortier unterhalb der Stadt den Russen Kutusows und Schmidts braven Österreichern im blutigen Gemetzel. Zu Dürnstein bestand bis 1769 ein Klarissinnenkloster, in dessen herrlichen Ruinen sich jetzt ein – Gasthaus befindet, und bis 1782 ein Chorherrenstift, das Otto von Meißau 1410 gegründet hat; 1718 hatte der Abt Hieronymus durch Jakob Prandtauer den Neubau der Kirche und Prälatur aufführen lassen.
Die Ruine des Schlosses Dürnstein liegt auf dem Gipfel des Berges, rings im Hintergrund durch höhere Felsenwände gedeckt, deren jähe Einzelklippen wie Mauern, Säulen und Pfeiler eines zertrümmerten Riesenbauwerks emporstreben. Nur noch wenige Reste von Mauern und Türmen lassen die ursprüngliche Gestalt der Burg erkennen; vom Rittersaal blieben nur eine Wand und eine Säule; in den Wänden der Kapelle zeigen sich Spuren von Malereien, die Keller und Gewölbe sind zum Teil verschüttet. Ist's nicht, als hätte des Sängers Fluch um der Freiheit Verlust die stolzen Mauern gebrochen? Das Schloß zählt mit zu den ältesten in Österreich, bis zum zwölften Jahrhundert herrschten die Tyrnstainer darin, dann gehörte es den Kuenringern; 1192 besaß es jener Hadamar von Kuenring, dessen wir schon auf Aggstein gedachten; ihm übergab Herzog Leopold VI. den gefangenen König Richard Löwenherz zu ritterlicher Haft. Mehrere Monate weilte Richard in Dürnstein, bis er Kaiser Heinrich VI. übergeben und nach Trifels gebracht wurde; dort habe ihn Blondel der Treue gefunden, wird im Rheinland erzählt; Vergleiche Karl Simrock im »Rhein«, Band 9 des »Malerischen und romantischen Deutschland«. doch auch die Donau vindiziert sich gern diese romantische Sage, das Angedenken Blondels hängt zu innig mit dem an Richards Gefangenschaft zusammen, als daß die Lokalsage sie trennen möchte; auffallend aber wäre es, daß sie dabei das Andenken des heimischen Fürsten (Leopold VI.) in den Staub tritt, wüßten wir nicht längst von ihr, daß sie stets für das Unglück so gern parteiisch ist und mit aller Lebhaftigkeit eines Kindes ihre Lieblinge in einen Nimbus hüllt, vor dem alle Umgebung in Nacht versinkt. So wird noch zu Dürnstein ein Loch im Felsen gezeigt, von dem die Überlieferung – durchaus ohne Grund – behauptet, daß Richard darin bewahrt worden sei, und im Schloß Greifenstein sogar ein hölzerner Käfig! – Als Friedrich der Streitbare die Hunde von Kuenring gebändigt hatte, brach er auch Dürnsteins stärksten Turm. Nach dem Erlöschen des Geschlechts der Kuenringer erwarben die Meißauer, dann (unter Ladislav) der Eitzinger, hierauf die Brüder von Strein zu Schwarzenau, hierauf die Eberstorfer, später die Enenkel, die Zinzendorf und die Starhemberg Dürnstein. Als die Schweden 1645 das Städtchen am Ufer einnahmen, zerstörten sie auch das Schloß.
Bei Dürnstein öffnet sich das Stromtal, und wir blicken, unsere Donaufahrt zwischen den felsigen und bewaldeten Ausläufen der Bergkette zur einen und sanft hinansteigenden Rebenhügeln zur anderen Seite fortsetzend, in die Ebene gen Osten hinaus, welcher der Strom nunmehr zueilt; am rechten Ufer gewahren wir jetzt Mautern, das »Mutaren« des Nibelungenliedes. Die Entdeckung von Katakomben sowie mehrere ausgegrabene Altertümer weisen auf eine römische Niederlassung hin, man glaubt hier die Stelle des alten Mutinum ermitteln zu können. Unter Karl dem Großen wird Mutarum erwähnt, 898 erscheint es bereits als Stadt, in der 986 eine Synode stattfand. 1484 erkämpfte Matthias Corvinus bei Mautern einen bedeutenden Sieg.
Tiefer landeinwärts von Mautern zeigt sich uns auf einem hohen Berg, der sich frei aus der Ebene erhebt, das stattliche Benediktinerstift Göttweig. Bischof Altmann von Passau, der in der Jugend, da er noch ein fahrender Scholar war, mit zwei anderen, Adalbert (dem späteren Bischof von Würzburg) und Gebhard (dem späteren Bischof von Salzburg), an einer Quelle am Fuße des Berges zusammengetroffen sei und dort mit ihnen wechselseitig festes Bündnis geschworen sowie (gleich jedem der beiden anderen) das Gelübde getan hatte, ein Kloster zu bauen, wenn er Bischof werden würde, stiftete 1075 zur Erintrudiskapelle ein Kloster für Augustiner-Chorherren und wurde in Göttweig begraben. Später nahmen die Chorherren die Regel St. Benedikts an. Das jetzige Stiftsgebäude stammt aus den Jahren 1720-32, in denen der Abt Bessel das durch Brand von 1718 verwüstete Kloster prächtiger wiederherstellen ließ.
Mautern gegenüber und durch die 637 Schritte lange Brücke, zwischen deren Jochen wir eben fahren, mit Mautern verbunden, auf der Fläche zwischen dem Strom und sanft emporsteigenden Hügeln, liegt die Stadt Stein, nicht weit von der Brücke die Ruine der alten Feste, welche Matthias Corvinus bei der Eroberung der Stadt zerstörte; Reste einer anderen zerfallenen Burg trägt der Frauenberg. In der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts war Stein ein nicht unbedeutender Stapelplatz für den österreichischen Handel.
Nahe bei Stein liegt an der Mündung des Kremsflüßchens die Stadt Krems; zwischen beiden Orten das jetzt für ein Militärhospital verwendete Gebäude des ehemaligen Kapuzinerklosters Und (daher der Spruch im Volksmund: »Krems Und Stein sind drei Orte«) und das Monument des Helden von Dürnstein, Heinrich von Schmidt. Krems ist eine der ältesten Städte des Erzherzogtums; schon zu Ende des 10. Jahrhunderts wird Chremisse genannt; in der Mitte des 15. tobte auch hier, wie zu Stein und Mautern, zehn Jahre nach den Greueln zu Deggendorf die Wut des Volkes gegen die Juden, deren manche sich verzweifelt in ihren Wohnungen einschlossen, diese anzündeten und freiwillig in den Flammen starben; Albrecht II. büßte die Städte für die Frevel an den Juden, und der Erbschenk von Meißau vollzog das Gericht. 1477 belagerte, 1486 eroberte Matthias Corvinus, 1645 Torstenson die Stadt. Berühmter als seine Geschichte, als der Gewerbefleiß seiner Einwohner und selbst als der herbe Wein, der ringsum angebaut wird, hat Krems der Volkswitz wenigstens in ganz Niederösterreich – gemacht; unbegreiflich, warum die Volksbühne die drolligen Elemente jener Berühmtheit nicht zu eigen nahm und verarbeitete. Die Pantoffelhelden nennt das Volk in Österreich »Siemandl«, und von Krems behauptet es, daß dort eine eigene Brüderschaft derselben bestehe.
Unterhalb Krems windet sich der vielarmige Strom durch ein Labyrinth von Auen, die uns fast jede Aussicht rauben. Wir verlieren wenig, denn nur am rechten Ufer ziehen noch die letzten Ausläufer der Berge bis Hollenburg hin, wo auf einem Hügel über dem Markt das Schloß steht, in dem (um 1463) der Frohnauer und der Vettauer die Donau unsicher machten. Weiter hinab am rechten Ufer liegt St. Georgen, wo Ulrich von Hefft 1112 ein Kloster baute, das in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts die Donau zerstörte. Die geistliche Stiftung wurde infolge dieses Ereignisses nach Herzogenburg versetzt. Weiter unterhalb liegt hinter den Auen Traismauer. Von der Traisen heißt es im Nibelungenlied: Simrocks Übersetzung, 21. Abenteuer.
Bei der Traisen hatte der Fürst von Heunenland
Eine reiche Feste, im Lande wohlbekannt,
Mit Namen Zeißenmauer; einst wohnte Helke da.
Kriemhilde weilte dort »bis an den vierten Tag«.
Weiter unterhalb am linken Ufer mündet der Kamp, an dem die Awaren einen Ring hatten. Weiter hinab liegen am rechten Ufer Ponsee und das alte Dorf Zwentendorf, wo einst der Frohnauer übel hauste, Erpersdorf, Langenschönbichl und Kronau.
Der historisch interessanteste Ort auf der ganzen Stromstrecke von Krems bis Klosterneuburg ist das Städtchen Tulln, das wir jetzt erreichen. Es liegt am rechten Ufer, der Klausenbach mündet hier, fünf Meilen von hier in der Länge breitet sich das gesegnete Tullnerfeld aus, auf dem 1683 der Polenkönig Sobieski, der von Neuaigen her über die Donau gesetzt war, seine Heerscharen mit den deutschen unter Herzog Karl von Lothringen vereinigte, um in die Schlacht zu ziehen, durch die die Kaiserstadt befreit wurde. Tulln soll auf dem Boden stehen, der den Römerort Comagene trug, wo ein Teil der Donauflottille stationiert war. Im Nibelungenlied wird Tulln als Stadt erwähnt:
Eine Stadt liegt an der Donau im Östreicherland,
Die ist geheißen Tulna,
Simrocks Übersetzung, 22. Abenteuer.
und die Helden ritten nach dem Kampfspiel »von Tulne nach Wien in die Stadt«, wo die Hochzeit auf einen Pfingsttag fiel und das Fest 17 Tage währte.
»Bevor Wien gebaut wurde, war Tulln die Hauptstadt in Österreich, und wo jetzt diese Stadt [Wien] liegt, war sonst ein Gejaidhof«, versichert der Chronist Hagen. Karl der Große, dessen Spuren wir allenthalben an der Donau hinab gewahren, fand unfern am Berg Comagenus eine verlassene Grenzfeste der Awaren und schlug bei Tulln (das er 803 an Passau schenkte) eine Schiffbrücke über den Strom. Im 9. Jahrhundert saßen Grenzgrafen hier. Um 985 war hier ein Landtag, auf dem das Hochstift Passau die Zollgerechtsamkeit von Ebersberg, Traismauer, St. Pölten und Zeiselmauer und die Berechtigung zum Hausenfang bei Tulln erhielt und bayerische Kolonisten in die durch die Ungarn verwüstete Gegend berufen wurden. 998 wurden Tulln und die Umgegend für kaiserliches Eigentum erklärt. 1011 erbaute Kaiser Heinrich II. die noch jetzt stehende, aber als Magazin benutzte Dreifaltigkeitskirche, ein merkwürdiges Denkmal alter Kunst, das kein Altertumsfreund zu beschauen verabsäumen sollte. Jasomirgott bestätigte 1156 Tulln Stadtrechte und übergab seine dortige Burg dem Wiener Schottenkloster. Im Landrecht, das Leopold der Glorreiche Österreich gab, wurde Tulln für die »Landtaidinge« bestimmt; es sollten »die taidinge sein nur zu Neuburg, zu Tulln und zu Mautern«. Friedrich der Streitbare siegte hier über Otto Graf von Eberstein, den Friedrich II. als Statthalter von Österreich eingesetzt hatte. 1253 überfiel der Ungarnkönig Bela die Stadt. Ottokar bestätigte ihr 1270 die alten Gerechtsame, 1276 nahm sie Rudolf von Habsburg auf, der zum ewigen Gedächtnis der Überwindung Ottokars hier das Nonnenkloster Zum heiligen Kreuz stiftete, das bis 1782 bestand.
1462 stand Tulln für den Erzherzog Albrecht gegen den Kaiser Friedrich. Schwer empfand die Stadt 1477 und 1485 den Arm des Heldenkönigs Matthias Corvinus. 1544 wurde die Reformation hier eingeführt, die bis 1575 aufrecht blieb. 1813 sollte Tulln einen Waffenplatz bilden; damals wurden bei der Anlegung von Schanzen zum Schirm der Donau bedeutende Funde von römischen Kaisermünzen gemacht.
Tulln gegenüber liegt der alte Markt Trübensee, den Karl der Große an Passau schenkte, wo in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts der gefürchtete Frohnauer die Schiffe beraubte.
Zwischen Zaina und Schmida am linken, und Ober- und Unteraigen (Langenlebarn) am rechten Ufer weiterfahrend, nähern wir uns nun dem alten Zeiselmauer, dem Cetium, wo der heilige Florian das Licht der Welt erblickt haben soll, und weiterhin am rechten Ufer den Abhängen des Wienerbergs. Am linken Ufer liegt der wohlhabende Markt Stockerau, wo der heilige Koloman getötet worden ist. Nicht allzuweit liegt die Burg Kreuzenstein, im 12. Jahrhundert schon Sitz eines adligen Geschlechts, 1645 durch die Schweden befestigt und bei ihrem Abzug geschleift.
Jetzt zeigt sich uns auf einem gegen den Strom sich niedersenkenden Abhang des Gebirgszugs die in neuerer Zeit restaurierte Ruine Greifenstein, eine der ältesten Burgen im Land, deren Besitzer, die Ritter von Grifansteine, großes Ansehen genossen; für ihr hohes Alter zeugt, daß schon 1247 eine Herstellung des Gemäuers durch den Passauer Bischof Rüdiger benötigt wurde. 1645 fiel das Schloß in der Schweden Gewalt. Seit dem Jahre 1805 gehört sie dem Fürsten Lichtenstein. Ob die Sage echt sei, die von der Entstehung des Namens Greifenstein erzählt wird, wollen wir nicht verbürgen; wir teilen sie jedoch hier mit.
Der Burgherr kam nach langer Abwesenheit von der Kreuzfahrt heim; im schönsten Festschmuck, das üppige Haar in lange Flechten gebunden, eilte ihm seine Gattin freudig entgegen. Wie er sie so im Glanz ihrer Schönheit und ihres Putzes sah, erwachte ihm Eifersucht im Herzen, und er hielt es für sicher, daß nicht er, der Unerwartete, es gewesen sei, für den sie sich so festlich geschmückt habe. Ohne Verzug rief er den Burgpfaffen herbei, befragte ihn, und da er keine genügende Auskunft erhielt, ließ er ihn in die Tiefe des Turms werfen; der Gattin aber schnitt er die schönen langen Flechten ab, und als sie um Gnade für den unschuldig Gefangenen flehte, schwor er, nicht eher wolle er diesen losgeben, als bis der Stein an der Treppe von den Berührungen der Hinauf- und Hinuntersteigenden so tief gehöhlt sei, daß er die Flechten in die Höhlung stecken könne. Da soll nun das Gesinde jedem, der die Burg betrat, mitleidig zugerufen haben: »Greif an den Stein!« Der Burgherr soll aber später die Treppe herabgestürzt sein und den Hals gebrochen haben, und sein ruheloser Geist soll heute noch im Schloß wandeln. – Ohne Zweifel hätte dieser närrische Othello besser getan, mit der Schicksalsschere in der Hand vor allen Dingen auf die Zinne des Turms zu eilen; wir sind überzeugt, daß die arme Burgfrau in diesem Fall ihre schönen Flechten nicht eingebüßt haben würde, denn alle Eifersuchtsgrillen hätte der Ritter im Genuß der entzückenden Fernsicht vergessen müssen, die sich dort oben über die gottgesegneten Fluren des Vaterlands auftut; nur ein Tor kann bei der Wiederkehr in die Heimat an etwas anderes denken als einzig an sie.
Dieses Labyrinth von Inseln, deren Auen uns während der Stromfahrt ermüdet – wie durch einen Zauber lichtvoll geordnet zeigt es sich uns jetzt tief unten; zwischen den grünen Auen ziehen die vielverschlungenen, von Schiffen wimmelnden Silberstraßen, und im magischen Duft verliert sich die weite Ebene.
Das Vorgebirge umschiffend, auf dem Greifenstein thront, fahren wir an Höflein vorbei, das mit Greifenstein für das römische Asturis angenommen wird (in vicinis partibus Pannoniae et Norici ripensis), wo St. Severin geweilt hat, und gewahren nun den Kahlenberg am rechten, den rebenreichen Bisamberg und Korneuburg am linken Ufer. Am Bisamberg floß in alten Zeiten (noch unter den Babenbergern) die Donau vorbei, daher sei der Name »Bis am Berg«. Korneuburg aber soll einst mit Klosterneuburg zusammengehangen haben und durch einen Arm der Donau von diesem getrennt worden sein, bis sich der ganze Strom allgemach dazwischenwälzte und Korneuburg (einer Urkunde aus den Zeiten Friedrichs II. zufolge) seine jetzige Situation erhielt. Die Stadt Korneuburg war einst wohl befestigt und hielt manche Belagerung aus, 1477 durch die Heeresmacht des Matthias Corvinus, der sie erst 1484 nach hartnäckiger Gegenwehr eroberte. 1306 raste auch hier der Fanatismus des Volkes gegen die Juden, denen Frevel an einer Hostie vorgeworfen wurde.
Der Bisamberg wird von allen Freunden vaterländischen Rebensafts hoch geehrt; in der unterirdischen Bibliothek des Stiftes Klosterneuburg, an der die Franzosen bei der Invasion mit zu Vandalen wurden, könnt ihr den Bisamberger in Reih' und Glied mit dem Grinzinger und anderen sogenannten Gebirgsweinen finden, die mit der Freundschaft und dem Adel das gemeinsam haben, daß sie durch das Alter an Wert gewinnen, während der Bisamberger sich mehr den Frauen gleichstellt, bei denen das umgekehrte Verhältnis eintritt.
Jetzt zeigt sich uns am rechten Ufer Klosterneuburg, die Stadt mit dem herrlichen Stift, dessen einer Flügel sich gegen die Donau zu wendet. Mit Recht decken Kronen die Häupter seiner Pavillons, denn das Stift bewahrt die irdischen Reste des Landespatrons von Österreich, des heiliggesprochenen Markgrafen Leopold, der das Kloster gegründet hat, und seit 1516 den Erzherzogshut. Aber außer diesem Fürstenhut und jenem toten Schatz hat es auch einen lebendigen: aufgeklärte, würdige Geistliche, deren Prälat, dem die Literatur in Österreich – aus einem früheren Wirkungskreis her – viel verdankt, im Rat der niederösterreichischen Stände sitzt – Männer, wie wir sie in Melk gefunden und charakterisiert haben. Schon vor der Stiftung des Klosters (bereits unter Karl dem Großen) soll »Niwinburc« ein wohl befestigter Ort gewesen sein, wo später, wie zu Tulln und Mautern, die Landtaidning gehalten wurden.
Des Klosters Stiftung aber erzählt die Legende so: Markgraf Leopold IV., der Babenberger, hatte sich, die Fürstenburg seiner Väter zu Melk verlassend, das Schloß auf der äußersten Spitze des Gebirges (Leopoldsberg nennt das Volk den Berg noch heute) erbaut; von dessen Gipfel hernieder liebt er es, dem edlen Waidwerk nachzugehen. Eines Abends saß er, vielleicht in Reue des alten Kaisers gedenkend, den er verlassen hatte, mit der geliebten Gattin Agnes auf dem Söller der neuen Burg; da faßte plötzlich der Wind den Schleier der Markgräfin und trug ihn fort; alle Nachforschungen danach waren vergeblich. Geraume Zeit verfloß nach diesem Ereignis, als Markgraf Leopold eines Tages auf die Jagd ging. Da begab es sich, daß die Hunde vor einem Dickicht anschlugen; als die Jäger herbeieilten und durch dasselbe drangen, sah Leopold, der ihnen folgte, auf einem freien Platz den lang vermißten Schleier seiner Hausfrau an einem Hollunderstrauch hängen. Schon längst entschlossen, ein Kloster zu bauen, glaubte er einen Fingerzeig des Himmels zu erkennen, daß hier der geeignete Ort für die Stiftung sei, und alsbald erhoben sich an jener Stelle Kirche und Kloster, die fromme Agnes aber gründete später neben ihres Gatten Stiftung ein Frauenkloster. Leopolds Stiftung wurde anfangs mit weltlichen, seit 1133 mit regulierten Chorherren besetzt. Schleier und Hollunderstrauch bewahrte das Kloster sorglich bis auf den heutigen Tag; in der Leopoldskapelle, die nun auch den Erzherzogshut und ein unschätzbares Denkmal alter Kunst, den »Altar von Verdun«, bewahrt, ruhen des Markgrafen Gebeine, den Gläubigen ein Gegenstand hoher Verehrung.
Des Stiftes Prachtbau, 1730 begonnen und erst durch den Prälaten Ruttenstock vollendet, präsentiert sich noch großartiger als jener Melks und enthält die herrlichen Kaiserzimmer, eine kostbare Bibliothek usw.; interessanter sind dem Altertumsfreund das Äußere der Stiftskirche, die noch das Gepräge des alten deutschen Baustils trägt, der Kreuzgang und die altdeutsche Säule von 1381 vor der Kirche, so auch die alte Stadtpfarrkirche zu St. Martin mit ihrem aus Quadern erbauten Turm. Für die Kunstgeschichte sind die herrlichen Glasmalereien aus dem 13. und dem 15. Jahrhundert wichtig, die früher die Fenster des Kreuzgangs, jetzt jene der Stiftsbibliothek schmücken, für die Geschichte die sogenannten »Klosterneuburger Tafeln«. Klosterneuburgs Wahrzeichen im Volksmund aber ist das berühmte Faß, das mit dem Heidelberger im Rangstreit buhlt.
Von den Denkwürdigkeiten der Stadt verdient erwähnt zu werden, daß sie Rudolf von Habsburg, als er gegen Ottokar zog, die Tore zu öffnen sich weigerte, und daß sie 1461 durch den Erzherzog Albrecht VI., 1477 und 1488 durch Matthias Corvinus und 1490 durch Maximilian erobert wurde; das leuchtendste Ereignis aber in Klosterneuburgs Annalen ist die heldenmütige Verteidigung der Stadt und des Stiftes gegen die Türken (1683) durch den Sakristan Marcelin Ortner, der an der Spitze der Bürgerschaft den Sturm von 13 000 Ungläubigen abschlug.
Klosterneuburg gegenüber liegt Langenzersdorf, das zur Zeit der zweiten Türkenbelagerung Wiens durch die Feinde in Brand gesteckt worden ist, am rechten Ufer senkt sich das Vorgebirge des Kahlenberger Rückens, der Leopoldsberg, ziemlich steil an die Donau hinab; auf seinem Gipfel erbaute Leopold der Heilige die neue Hofburg, in der Albrecht I., der Sohn des Kaisers Rudolf von Habsburg, den empörten Wienern Trotz bot. Nach Albrechts III. Zeit verfiel die Burg auf dem Berg, Albrecht V. stellte sie her, Matthias Corvinus eroberte sie 1477 und 1483. Kaiser Leopold I. gelobte während der Pestnot dem heiligen Leopold dort eine Kapelle, doch 1683 zerstörten die Tataren das alte Schloß und den begonnenen Kapellenbau; im verwüsteten Gotteshaus hörte der Polenkönig Johann Sobieski die Messe, gab seinem Sohn den Ritterschlag und führte von da aus seine Scharen zur Schlacht des Entsatzes hinab. Kaiser Karl VI. erfüllte seines Vaters Gelübde und vollendete den von diesem begonnenen Bau und schmückte die Kirche mit zwei stattlichen Türmen.
Ein anderer Zweig des Kahlenbergs ist der Josephsberg (den das Volk den »Kaltenberg« nennt), auf dem Kaiser Ferdinand II. ein Kamaldulenserkloster gründete, das Joseph II. aufhob. Jetzt gehören der Berg und das Josephsdorf dem Fürsten Lichtenstein.
Wie herrlich ist's auf den Höhen des alten Mons cetius! Das Häusermeer Wiens tief unten, aus dem, ein rechter Pharus, der ehrwürdige Stephansturm emporragt, das Silbernetz der Donau über die Kornwogen des Marchfelds hingebreitet, gen Osten am Horizont die Ausläufer der Karpathen, das Leithagebirge und die Alpenzüge Steiermarks gen Süden! Und auf dieser ungeheuren Ebene die Geister der Erschlagenen, die in gewaltigen Völkerschlachten rangen! Türken und Christen, Franzosen und Deutsche steigen vor den Blicken der Seele empor und beginnen aufs neue die großen Kämpfe, durch welche die Geschicke der europäischen Menschheit entschieden wurden! Wer vermöchte bei so doppelter Anregung durch Natur und Geschichte auf diesem Berggipfel gleichgültig zu bleiben; und wer sehnte sich, sieht er nur dieses herrliche Wien, nicht in dessen Schloß hinab?
An den Fuß des Leopoldsbergs schmiegt sich das Kahlenberger Dörfchen, wo einst Wigand von Theben, Ottos des Fröhlichen lustiger Rat, Pfarrherr war. Eine anmutige Schlucht führt von hier ins Weidlinger Tal. Nicht weit ist's nun mehr nach Nußdorf, wo der Strom sich in mehrere Arme zerteilt, der schmälste Kanal, den die nach Wien bestimmten Schiffe befahren, lenkt hier ab und säumt die Brigittenau, scheidet weiter unten die Leopoldstadt und die Jägerzeile von der Stadt und umschließt den Prater; der Hauptarm, die sogenannte »Große Donau«, wendet sich nordöstlich und strömt an Floridsdorf am Spitz vorbei, wo die Taborstraße eintrifft, und umspült viele Auen, von denen die Lobau unterhalb Aspern die größte ist. Nußdorf ist der Geburtsort des edlen »Nußbergers«, zu dem die Wiener so gerne wallfahrten; und so dürfen wir uns nicht wundern, wenn wir, in Nußdorf landend, an unserem Kalender irre werden, weil jeder Wochentag hier ein Stück vom Feiertag scheint; ist doch Nußdorf schon ein Stück von Wien.