Annette von Droste-Hülshoff
Gedichte
Annette von Droste-Hülshoff

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Liebe

        Das ist mein Trost in allen Leiden,
Daß nichts mich kann von Jesu scheiden,
Von seiner Liebe keine Macht,
Der größte aller Erdenschmerzen
Hat nicht Gewalt ob einem Herzen,
Worin die Liebe Jesu wacht.

Wenn er mir bleibt, was kann mir fehlen?
Wenn er mich labt, was kann mich quälen?
Wie hat er Alles wohl bestellt!
Wenn ich nur seinen Namen nenne,
Dann ist's, als ob das Herz mir brenne;
Im Lichte steht die ganze Welt.

Sein Kreuz ist wie der Himmelsbogen
Um meinen Horizont gezogen;
Wohin ich schau, da steht es schon.
O süßes Kreuz, laß dich umfangen,
Woran mein liebstes Lieb gehangen
Für unsrer Sünden bittern Lohn!

Wenn meine Pflichten oft mich drücken,
So muß ich Liebesrosen pflücken
Aus seinem bittern Kreuzestod.
Wie kommt mir wunderbare Stärke!
Wie sind so leicht die schweren Werke,
Dieweil mein Jesu sie gebot!

Mein Leid muß mir zu Freuden werden,
Denk' ich an Jesu Leid auf Erden
Und seinen blut'gen Kreuzespfad.
Mein Jesu ist vorangegangen;
Wie kann mir noch vor Dornen bangen
Auf Wegen, die mein Gott betrat?

Er hat den bittern Weg erkoren:
Was flieht ihr denn, ihr schwachen Toren
So sehr die Bitterkeit und Pein?
Muß ich durch Dornenweg' mich schlagen,
So soll mein Mund frohlockend sagen:
»Mein Jesu kann nicht ferne sein.«

Er ist nicht fern, auf allen Wegen
Kömmt mir ein Strahl von ihm entgegen,
In himmlisch tröstender Gestalt;
Er ist nicht fern, im Sturmesgrimme
Da hör ich seine liebe Stimme,
Er ist nicht fern, ich find ihn bald.

Sein Bild steht überall geschrieben,
Ich kann nur Ihn, nur Ihn noch lieben,
Ich kann nur Ihn allein noch sehn;
Ich weiß, Er muß mir ewig bleiben,
Ach wollte Er mich von sich treiben,
Ich müßte gleich in Schmerz vergeh'n

Ach, könnt' ich diese Hülle meiden!
Doch still, mein Herz, verschließ bescheiden
Den heißen Wunsch in deine Brust;
Es ist ja meines Jesu Wille,
Und daß ich den getreu erfülle,
Das ist doch meine ganze Lust.

Geduld! sie wird doch endlich kommen,
Die Stunde, mir zum Heil und Frommen,
Gott hat sie Keinem noch versagt.
Bis dahin denk' in allen Leiden,
Daß nichts dich kann von Jesu scheiden,
Von seiner Liebe keine Macht.

 


 


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