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Neuntes Kapitel

Da keiner der drei Herren Arabisch verstand, würden die Worte des Emirs ihnen unverständlich geblieben sein, wenn nicht das Benehmen Mansoors ihre Bedeutung verraten hätte. Als er den kurzen Befehl des Führers der Derwische hörte, erkannte der unglückliche Dragoman, daß sich nach all seiner Verräterei und trotz seiner Unterwürfigkeit und seines Abfalls vom Glauben seine schlimmsten Befürchtungen verwirklichen sollten. Mit einem Angstschrei warf sich der Elende aufs Gesicht und krallte sich in den Kaftan des Arabers. Dieser suchte sich freizumachen, und als er merkte, daß die krampfhaft zusammengekrümmten Finger seinen Saum nicht loslassen wollten, wandte er sich um und trat mit der ärgerlichen Ungeduld nach Mansoor, womit man einen lästigen Köter zu vertreiben sucht. Der Tarbusch des Dragoman flog hoch in die Luft, und Mansoor blieb stöhnend da auf dem Gesicht liegen, wohin ihn der schwielige Fuß des Arabers geschleudert hatte.

Im Lager war alles Unruhe und Bewegung, denn der alte Emir hatte sein Kamel bestiegen, und einige seiner Leute fingen bereits an, ihren Gefährten zu folgen. Der dicke Leutnant, der Mulah und etwa ein Dutzend Derwische umringten die Gefangenen. Sie hatten ihre Kamele noch nicht bestiegen, denn sie waren dazu bestimmt, das vom Emir ausgesprochene Todesurteil zu vollstrecken, und als sich die drei Männer jetzt anblickten, da wußten sie, daß der Sand in den Uhren ihres Lebens fast abgelaufen war. Ihre Hände waren noch gebunden, aber ihre Wächter hatten aufgehört, sie an den Stricken zu halten. Deshalb konnten sie sich alle drei umwenden und den drei Frauen, die auf den Kamelen saßen, lebewohl sagen.

»Jetzt ist alles aus, Norah,« klagte Belmont. »Es ist hart, gerade wo wir Aussicht auf Befreiung hatten, aber wir haben unser Möglichstes gethan.«

Zum erstenmal brach seine Frau zusammen, und krampfhaft schluchzend bedeckte sie ihr Gesicht mit den Händen.

»Weine nicht, meine Kleine! Wir sind sehr glücklich zusammen gewesen. Grüße alle Freunde in Bray, besonders Amy Mac Carthy und die Blessingtons. Du wirst finden, daß du übrig genug hast, aber ziehe doch Roger zu Rate, wenn du Geld anlegen willst. Vergiß das nicht.«

»Ach, John, ich will nicht ohne dich leben!« Der Gram über ihren Schmerz überwältigte den starken Mann, und er vergrub sein Gesicht im Fell des Kameles, und nun schluchzten sie beide hilflos zusammen.

Inzwischen hatte sich Stephens an Sadies Seite gedrängt, und sie sah in dem unsicheren Lichte, wie er sein trauriges, ernstes Gesicht zu ihr erhob.

»Machen Sie sich Ihrer Tante und Ihrer selbst wegen keine Sorge,« sagte er. »Ich bin ganz sicher, daß Sie befreit werden. Oberst Cochrane wird für Sie sorgen, und die Aegppter können nicht mehr weit sein. Ich hoffe, Sie werden noch einmal ordentlich trinken können, ehe Sie die Quellen verlassen. Sehr gern möchte ich Ihrer Tante meine Jacke geben, denn es wird in der Nacht wieder kalt werden, aber ich kann sie nicht ausziehen. Sie sollte sich etwas von dem Brot aufheben und es morgen früh essen.«

Das sprach er vollkommen ruhig, wie jemand, der seine Anordnungen für einen Sommerausflug trifft, und eine glühende Bewunderung für diesen starken Mann erfüllte plötzlich Sadies empfängliches Herz.

»Wie selbstlos Sie sind!« rief sie. »Einen solchen Menschen habe ich noch nie gesehen! Da redet man nun von Heiligen! Sie stehen da und sehen dem Tode ins Auge, und dabei denken Sie doch nur an uns.«

»Wenn Sie nichts dagegen haben, möchte ich ein letztes Wort mit Ihnen reden, Sadie, dann würde ich viel leichter sterben. Schon oft habe ich den Wunsch gehabt, mich auszusprechen, aber ich fürchtete, Sie würden mich vielleicht auslachen, denn Sie haben mich nie recht ernst genommen, nicht wahr? Bei Ihrem lebhaften Geiste war das ja auch ganz natürlich, aber für mich war es doch sehr ernst. Jetzt jedoch, wo ich in Wirklichkeit so gut wie tot bin, kommt nicht mehr so viel darauf an, was ich sage.«

»O, bitte, nein, Mr. Stephens!« rief das junge Mädchen.

»Wenn es Ihnen peinlich ist, will ich schweigen. Wie gesagt, ich würde glücklicher sterben, aber ich will nicht selbstsüchtig sein. Falls ich denken müßte, es würde einen Schatten auf Ihr späteres Leben werfen oder eine traurige Erinnerung sein, würde ich nicht ein Wort weiter sprechen.«

»Was wünschen Sie mir zu sagen?«

»Ich wollte Ihnen nur sagen, wie innig ich Sie liebe. Ich habe Sie von allem Anfang an geliebt und war ein andrer Mensch, wenn ich in Ihrer Nähe war, allein ich weiß sehr wohl, daß es sehr thöricht gewesen wäre, wenn ich Hoffnungen daran hätte knüpfen wollen. Deshalb sagte ich auch niemals etwas und war immer bemüht, mich nicht lächerlich zu machen, aber ich möchte doch gern, daß Sie es wissen, denn jetzt kommt ja nichts mehr darauf an. Sie aber werden begreifen, daß ich Sie wirklich liebe, wenn ich Ihnen sage, daß diese letzten zwei Tage, wo wir beständig zusammen waren, die allerglücklichsten meines Lebens gewesen sein würden, wenn ich nicht gewußt hätte, daß Sie sich ängstigten und unglücklich waren.«

Bleich und schweigend saß das junge Mädchen auf dem Kamel und schaute mit bewundernden Augen in sein nach oben gerichtetes Gesicht. Was sie einer so geheiligten Liebe gegenüber, die im Schatten des Todes so hell brannte, thun oder sagen solle, wußte sie nicht. Ihr kindliches Herz begriff die Lage nicht – und doch fühlte sie, daß sie süß und schön war.

»Weiter will ich nichts sagen,« fuhr Stephens fort, »denn ich sehe, daß es Ihnen peinlich ist, aber nun wissen Sie es ja auch, und das genügt. Ich danke Ihnen, daß Sie mich so geduldig und freundlich angehört haben. Leben Sie wohl, kleine Sadie! Ich kann meine Hand nicht heben, wollen Sie mir die Ihre herabreichen?«

Sadie erfüllte seinen Wunsch, und Stephens küßte ihre Hand. Dann wandte er sich ab und kehrte auf seinen Platz zwischen Belmont und Fardet zurück. In seinem ganzen Leben erfolggekrönten Strebens hatte er noch nie eine solche Glut ruhiger Zufriedenheit empfunden, wie sie ihn in diesem Augenblick durchströmte, wo der Tod seine Knochenhand schon nach ihm ausstreckte. Ueber Liebe läßt sich nicht streiten. Sie ist der Kern des Lebens, das, was alles andre in Schatten stellt und verändert, das Einzige, was rückhaltlos befriedigt und vollkommen ist. Schmerz wird zur Freude, Mangel zum Ueberfluß, und der Tod ist Süßigkeit, wenn nur der goldene Nebel der Liebe uns umschwebt. So kam es, daß Stephens vor Freude hätte singen mögen, als er seinen Mördern gegenübertrat. An diese zu denken, dazu hatte er wirklich keine Zeit. Das Wichtigste und alles andre in den Hintergrund drängende Herrliche war, daß er in ihrer Erinnerung nicht mehr wie ein zufälliger Bekannter leben werde; jetzt mußte sie bis zum Tode an ihn denken – und sie wußte nun, wie es mit ihm stand.

Oberst Cochrane hielt mit seinem Kamel an der Seite, und der alte Soldat, dessen Hände von ihren Fesseln befreit worden waren, betrachtete das vor ihm liegende Bild und fragte sich in seiner zähen Weise, ob wirklich alle Hoffnung aufgegeben werden müsse. Augenscheinlich hatten die Araber, die die Opfer umstanden, den Befehl, zurückzubleiben, während die andern, die die Kamele bestiegen hatten, ihn und die drei Frauen bewachen sollten. Warum seine Begleiter, nicht schon getötet worden waren, konnte er nicht begreifen, es sei denn, daß dieser Nachhut mit echt orientalischer Grausamkeit der Auftrag erteilt worden war, fast bis zur Ankunft der Aegypter zu warten, so daß die noch warmen Leichen eine Verhöhnung für die Verfolger wären. Von solchen Kniffen hatte der Oberst schon gehört, so daß er nicht daran zweifelte, daß das die richtige Erklärung sei.

Allein in diesem Falle blieben nicht mehr als zwölf Araber bei den Gefangenen. Ob wohl einige von ihnen zu den freundlich gesinnten gehörten? Wenn Tippy Tilly und sechs von seinen Leuten dabei waren und wenn Belmont seine Arme frei machen und seinen Revolver ziehen konnte, dann war immer noch Rettung möglich. Der Oberst drehte sich um und stieß einen tiefen Seufzer der Enttäuschung aus, denn er konnte die Gesichter der Wächter im Lichte des Feuers sehen und erkannte nur Baggara in ihnen, Leute, die weder dem Mitleid, noch der Bestechung zugänglich waren. Tippy Tilly und die andern mußten mit der Vorhut gegangen sein, und als ihm das klar wurde, gab der alte Soldat zum erstenmal die Hoffnung auf.

»Lebt wohl, Freunde! Gott sei mit euch!« rief er, als ein Neger am Nasenring seines Kamels zupfte und ihn veranlaßte, den andern zu folgen. In einem Jammer, der für Worte zu groß war, schlossen sich die Frauen an, und ihre Entfernung war für die drei Männer, die zurückblieben, eine große Erleichterung.

»Ich bin froh, daß sie fort sind,« sagte Stephens aus der Tiefe seines Herzens.

»Ja, ja, es ist besser,« rief Fardet. »Wie lange werden wir denn jetzt noch warten müssen?«

»Gewiß nicht mehr lange,« antwortete Belmont düster, als die Araber auf sie zukamen.

Als der Oberst und die drei Frauen den Rand der Oase erreicht hatten, warfen sie einen Blick rückwärts. Zwischen den schlanken, geraden Stämmen der Palmen sahen sie den Schein des Feuers, und über einer Gruppe von Arabern erblickten sie den letzten Schimmer der drei weißen Hüte. Im nächsten Augenblick begannen die Kamele zu traben, und als sie sich noch einmal umsahen, war der Palmenhain nur noch ein schwarzer Klumpen mit einem unbestimmten Lichtschimmer in seinem Innern. Während sie mit sehnsüchtigen Augen nach diesem zuckenden roten Punkte schauten, überschritten sie den Rand der Vertiefung; gleich darauf umgab sie die ungeheuere schweigende Wüste, und von der Oase, die sie verlassen hatten, war nicht eine Spur mehr zu sehen. Ueberall senkte sich der samtweiche blauschwarze Himmel auf die unendliche braune Ebene, und da, wo sich beide verbanden, war die Grenzlinie zwischen ihnen verwischt.

Im Schweigen der Verzweiflung saßen die Frauen auf ihren Kamelen, und auch der Oberst verhielt sich still – denn was konnte er sagen? – Aber plötzlich fuhren alle vier zusammen, und Sadie stieß einen Schrei aus. In der Stille der Nacht schlug aus der Ferne hinter ihnen der scharfe Knall eines Schusses an ihr Ohr, dann noch einer, nun mehrere in rascher Folge, und endlich nach einer längeren Pause noch ein einzelner.

»Es können die Befreier sein! Vielleicht waren es die Aegypter!« rief Mrs. Belmont mit einem plötzlichen Aufflammen der Hoffnung. »Herr Oberst, meinen Sie nicht, es könnten die Aegypter gewesen sein?«

Der Oberst hatte erwartungsvoll gelauscht, aber es war wieder alles stille, und nun nahm er mit einer feierlichen Miene den Hut ab.

»Was kann es nützen, wenn wir uns selbst belügen, Mrs. Belmont?« sagte er. »Wir wollen lieber der Wahrheit ins Gesicht sehen. Unsre Freunde sind dahin, aber sie sind als brave Männer in den Tod gegangen.«

»Aber warum haben denn die Araber geschossen? Sie hatten ja ... sie hatten ja ihre Lanzen,« entgegnete Mrs. Belmont, und sie schauderte zusammen, als sie die Worte sprach.

»Das ist richtig,« antwortete der Oberst, »und ich möchte um alles in der Welt wirkliche Gründe zum Hoffen, die Sie etwa haben, nicht zerstören, aber anderseits kann es doch auch nichts nützen, wenn wir eine neue bittere Enttäuschung für uns vorbereiten. Wäre das, was wir gehört haben, ein Angriff gewesen, so hätten wir auch die Verteidigung unterscheiden können. Außerdem würden die Aegypter in beträchtlicher Stärke angegriffen haben. Allerdings ist es, wie Sie richtig bemerkt haben, seltsam, daß sie ihre Patronen verschwendet haben sollten ... sehen Sie einmal da!« unterbrach er sich plötzlich, indem er über die Wüste nach Osten wies.

Rasch und vorsichtig bewegten sich zwei Gestalten über die Ebene, dunkle Schatten, die sich schwarz vom hellen Grunde abhoben. In der unsicheren Beleuchtung konnte man sie nur undeutlich sehen, wie sie sich über die wellenförmige Wüste bewegten und bald verschwanden, bald wieder erschienen. Plötzlich blieben sie auf dem Kamme einer Sanderhöhung stehen, und die Gefangenen konnten deutlich sehen, wie sie sich am Himmel abzeichneten. Es waren Kamelreiter, aber sie saßen rittlings auf ihren Kamelen, wie man auf einem Pferde sitzt.

»Die sind vom ägyptischen Kamelcorps!« rief der Oberst.

»Aber nur zwei!« entgegnete Miß Adams verzweiflungsvoll.

»O, das sind nur vorgeschobene Plänkler. Sie müssen ihre Fühlfäden in die Wüste hinausstrecken, und das ist einer davon. Haupttrupp wahrscheinlich noch zehn Meilen dahinter. Sehen Sie, jetzt reiten sie eiligst davon, um ihre Meldung zu machen. Braves altes Kamelcorps!«

Der sonst ruhige, gemessene Soldat war plötzlich so aufgeregt, daß er kaum noch deutlich sprechen konnte. Nun flammte auf dem Kamme der Sandwelle ein roter Blitz auf, dem sogleich ein zweiter folgte, und gleich darauf schlug auch ein zweimaliges Knallen ans Ohr der Lauschenden. Dann waren die beiden Gestalten so rasch und geräuschlos verschwunden, wie zwei Forellen in einem Bache.

Als wären sie unsicher, ob sie sich damit aufhalten sollten, sie zu verfolgen, oder nicht, hatten die Araber einen Augenblick gezögert. Jetzt war jedoch nichts mehr zum Verfolgen da, denn zwischen den Erhebungen und Vertiefungen der Wüste konnten die beiden Späher jede Richtung eingeschlagen haben. Der Emir sprengte mit Ermahnungen und Befehlen am Zuge entlang, dann begann die Karawane zu traben, und die Hoffnungen der Gefangenen gingen in den Schmerzen der furchtbaren Erschütterungen unter. Meilen und aber Meilen eilten sie über die ungeheure Fläche. Die Frauen klammerten sich, so gut sie konnten, an ihre Sättel, und der Oberst war fast ebenso erschöpft als sie, was ihn aber nicht hinderte, sich scharf nach dem geringsten Zeichen der Verfolgung umzusehen.

»Ich glaube ... ich glaube,« rief Mrs. Belmont, »es bewegt sich etwas vor uns.«

Der Oberst richtete sich in seinem Sattel auf und schirmte seine Augen gegen den Mondschein.

»Bei Gott, Sie haben recht, Mrs. Belmont; da drüben sind entschieden Leute.«

Jetzt konnten sie sie alle sehen, eine lang ausgedehnte Reihe von Reitern, weit vor ihnen in der Wüste.

»Sie bewegen sich in derselben Richtung wie wir,« fuhr Mrs. Belmont fort, deren Augen viel besser waren, als die des Obersten.

Cochrane murmelte einen Fluch zwischen den Zähnen.

»Sehen Sie hier die Spuren,« sagte er. »Es ist natürlich unsre eigne Vorhut, die den Palmenhain früher als wir verlassen hat. Der Emir nötigt uns zu dieser verfluchten Eile, um sie einzuholen.«

Als sie näher kamen, erkannten die Unglücklichen wirklich, daß es die andre Abteilung der Araber war, und sehr bald kam der Emir Wad Ibrahim angetrabt, um mit Abderrahman zu beraten. Dabei zeigten die beiden nach der Richtung, wo vorhin die Späher erschienen waren, und schüttelten die Köpfe wie Männer, die ernste Bedenken haben. Dann schlossen sich die Leute zu einer langen, dünnen Linie zusammen, und die ganze Abteilung zog stetig dem südlichen Kreuze entgegen, das gerade über der Himmelslinie vor ihnen funkelte. Stunde auf Stunde ging es in diesem fürchterlichen Trabe weiter, während sich die halb ohnmächtigen Damen krampfhaft an ihre Sättel klammerten und der ebenfalls erschöpfte, aber zähe Oberst ihnen Mut einsprach und rückwärts über die Ebene nach dem ersten Anzeichen der Verfolger spähte. In seinen Schläfen hämmerte das Blut und er rief, er höre Trommelwirbel in der Dunkelheit. In seiner fieberhaften Aufregung sah er Schwärme von Verfolgern, die ihnen dicht auf den Fersen waren, und während der ganzen schier endlos erscheinenden Nacht rief er den Frauen immer frohe Botschaften zu, die stets in Enttäuschung und Herzweh endeten. Der Sonnenaufgang zeigte die Wüste, die sich rings um sie erstreckte, und nichts regte sich auf ihrer ungeheueren Fläche, als die Gefangenen selbst mit ihren Hütern. Mit matten Augen und schweren Herzen starrten sie über die weite verlassene Ebene, und ihre Hoffnungen zerrannen wie der leichte Morgennebel, der am Gesichtskreise schwebte.

Die Damen waren entsetzt, als sie ihren Begleiter ansahen und dann an den geschniegelten, rüstigen alten Soldaten dachten, der von Kairo an ihr Reisegefährte gewesen war. Gerade wie Miß Adams schien er auf einen Schlag alt geworden zu sein. Sein Haar, das während der Gefangenschaft von Stunde zu Stunde grauer geworden war, hatte jetzt eine silberne Farbe angenommen, und weiße Stoppeln verschleierten die kräftigen, reinen Umrisse seines Kinnes und seines Halses. Die Adern in seinem Gesicht waren aufgetrieben und seine Züge von tiefen Falten durchfurcht. Mit gekrümmtem Rücken und auf die Brust gesunkenem Kinn saß er im Sattel, denn der alte, vom Zahn der Zeit benagte Leib war abgenutzt, aber in seinen hellen, wachsamen Augen lag immer noch eine Spur des tapferen Bewohners des baufälligen Hauses. Fiebernd, erschöpft und fast sterbend, bewahrte er doch seine ritterliche, beschützende Miene, wenn er sich nach den Damen umwandte und ihnen kurze Ratschläge oder Worte der Ermutigung zurief, während er beständig rückwärts nach der Hilfe ausschaute, die nie kam.

Eine Stunde nach Sonnenaufgang wurde Halt gemacht, und alle erhielten Brot und Wasser. Hierauf wurde der Marsch nach Süden in etwas mäßigerer Eile fortgesetzt, wobei sich die Karawane wohl über eine Viertelmeile auf der Wüste ausdehnte. Aus dieser sorgloseren Haltung und der Art, wie sich die Araber während des Reitens miteinander unterhielten, ging hervor, daß sie ihre Verfolger abgeschüttelt zu haben glaubten. Die Richtung, die sie jetzt innehielten, führte etwas nach Südosten, und es war augenscheinlich ihre Absicht, nach dem großen Umwege den Nil weit oberhalb der ägyptischen Posten wieder zu erreichen. Schon begann sich der Charakter der Umgebung zu ändern; die Karawane verließ die ebenen Strecken der steinigen Wüste und kam wieder in die Gegend der phantastischen, sonnenverbrannten schwarzen Felsen, die sie schon einmal durchwandert hatte. Auf allen Seiten erhoben sich kegelförmige Berge, die mit losem, schlackenartigem Geschiebe bedeckt waren. Zwischen diesen Bergen lagen Schluchten mit zerklüfteten Rändern, auf deren Boden sich Ströme von Sand, wie Bäche, einherwanden. Die Kamele schlängelten sich hintereinander zwischen den Felsblöcken hindurch und kletterten mit ihren schwammigen, an den Steinen haftenden Füßen über Stellen, die für Pferde ungangbar gewesen wären. Zwischen den zerrissenen Felsen konnten die, die am Ende der Karawane ritten, manchmal nur die langen schwingenden Hälse der vor ihnen dahinziehenden Tiere sehen, die den Eindruck eines unheimlichen Zuges von Schlangen machten. Ueberhaupt hatte das Ganze etwas Traumhaftes für die Gefangenen, denn es war kein Geräusch hörbar, außer dem weichen, gedämpften Auftreten der Kamele. Dieser seltsame wilde Fries bewegte sich in einer Fassung von schwarzem Gestein und gelbem Sande unter dem hellblauen Bogen weiter, der die Schlucht von einem ihrer zerrissenen Ränder zum andern überwölbte.

Miß Adams, die die Kälte der langen Nacht zum Schweigen gebracht hatte, taute jetzt in der wohlthuenden Sonnenwärme auf. Ihre mageren Hände reibend, schaute sie sich um.

»Was ist denn das, Sadie?« fragte sie. »Ich glaubte, dich in der Nacht weinen zu hören, und nun sehe ich, daß ich mich nicht geirrt habe.«

»Ich mußte so viel denken, Tantchen.«

»Nun, wir müssen versuchen, an andre zu denken, und nicht an uns selbst.«

»Ich habe auch nicht an mich gedacht, Tante.«

»Um mich brauchst du dir keine Sorgen zu machen, Sadie.«

»Nein, Tantchen, ich habe auch nicht an dich gedacht.«

»An wen hast du denn gedacht?«

»An Mr. Stephens, Tante. Wie weich er war und wie gefaßt! Wenn ich denke, wie er immer für uns sorgte und wie er versuchte, seine Joppe über seine armen gebundenen Hände zu ziehen, während diese Mörder ihn umstanden und auf ihn warteten! Von jetzt an bis in alle Ewigkeit soll er mein Held und Heiliger sein.«

»Nun, jetzt hat er alles überstanden,« antwortete Miß Adams mit der Stumpfheit, die die Jahre mit sich bringen.

»Ich wollte, ich wäre auch schon so weit.«

»Ich sehe nicht ein, was das ihm helfen könnte.«

»Ich glaube, er würde sich weniger einsam fühlen,« antwortete Sadie, und ließ ihr übermütiges, hübsches Kinn auf die Brust sinken.

Nach diesem Gespräche waren die vier kurze Zeit schweigend dahingeritten, als der Oberst mit einer Gebärde der Bestürzung die Hand an die Stirn legte.

»Allmächtiger Gott!« rief er. »Ich werde wahnsinnig!«

Während der Nacht hatten die Damen mehrmals etwas Aehnliches wahrgenommen, aber seit Tagesanbruch war er ihnen ganz vernünftig erschienen. Deshalb waren sie über diesen plötzlichen Ausbruch sehr erschrocken und versuchten, ihn durch Zuspruch zu beruhigen.

»Verrückt wie ein Märzhase!« schrie er. »Was glauben Sie wohl, was zu sehen ich mir eben eingebildet habe?«

»Kümmern Sie sich doch nicht darum, was es auch gewesen sein mag,« antwortete Mrs. Belmont, indem sie ihre Hand beruhigend auf die seine legte, als sich ihre beiden Kamele aneinander drängten. »Es ist kein Wunder, daß Ihre Nerven überreizt sind, denn Sie haben so lange für uns gedacht und gearbeitet. Hoffentlich werden wir bald Halt machen, und dann sollen Sie einmal sehen, wie wohl Ihnen ein paar Stunden Schlaf thun werden.«

Allein der Oberst schaute wieder in die Höhe, und wieder schrie er in seiner Aufregung und Ueberraschung auf.

»In meinem ganzen Leben habe ich nichts deutlicher gesehen,« stöhnte er. »Dort auf der Felsenspitze rechts von uns steht's – der arme Stuart mit meiner roten Leibbinde um den Kopf, genau so, wie wir ihn verlassen haben.«

Die Damen waren der Richtung der entsetzten Blicke des Obersten gefolgt und waren im Augenblick ebenso verblüfft, als er.

Dort auf der rechten Seite der furchtbaren Schlucht, durch die sich die Kamele wanden, sprang ein schwarzer Fels wie eine Bastei vor, der sich an einem Punkte zu einer scharfen Spitze erhob. Auf dieser Spitze stand eine einsame, regungslose Gestalt, vollständig in Schwarz gekleidet, mit Ausnahme des leuchtenden roten Tuches, das er um den Kopf trug. Zwei solche kräftige kleine Gestalten oder so große, fahle Gesichter konnte es doch in der Libyschen Wüste nicht geben. Seine Schultern waren nach vorn geneigt, und er schien gespannt in die tiefe Schlucht zu spähen. In dieser Stellung sah er aus wie ein Zerrbild des ersten Napoleon.

»Kann es denn möglich sein, daß er es ist?«

»Er muß es sein! Ja, er ist's!« riefen die Damen. »Sehen Sie, jetzt hat er uns erkannt und winkt uns zu.«

»Gerechter Himmel, sie werden ihn niederschießen! Machen Sie, daß Sie da fortkommen, Sie Narr, oder Sie werden erschossen!« wollte der Oberst schreien, allein aus seiner ausgetrockneten Kehle kam nur ein mißtönendes Krächzen.

Auch einige der Derwische hatten die seltsame Erscheinung auf dem Felsen gesehen und ihre an Riemen über die Schulter hängenden Remingtongewehre zur Hand genommen, allein plötzlich schoß hinter der Gestalt des Birminghamer Geistlichen ein langer Arm empor, eine braune Hand ergriff ihn am Rock, und er verschwand. Weiter oben im Passe, etwas oberhalb des Punktes, wo Mr. Stuart gestanden hatte, erschien die große Gestalt des Emir Abderrahman. Er war auf einen Felsblock gesprungen und schrie und schwenkte die Arme, aber seine Worte gingen in einer knatternden Gewehrsalve unter, die von beiden Seiten der Schlucht kam. Der basteiartige Felsen war mit Gewehrläufen und roten Tarbuschen, die sich auf die Visiere beugten, wie gesäumt. Auch vom gegenüberliegenden Rande blitzten lange Flammenreihen und ertönte das belfernde Knattern der Gewehre. Die Araber waren in einen Hinterhalt geraten! Der Emir stürzte zusammen, war jedoch sogleich wieder auf den Füßen, aber in seinem langen weißen Barte erschien ein Blutfleck. Wieder zeigte er nach dem Felsen und winkte, allein seine zerstreuten Leute verstanden nicht, was er wollte. Einige kamen den Paß heruntergejagt, andre drängten von hinten nach der Spitze. Ein paar saßen ab und versuchten, mit dem Säbel in der Faust zu der tödlichen Reihe von Gewehrmündungen in die Höhe zu klettern, aber einer nach dem andern wurde getroffen und rollte von Fels zu Fels auf den Grund der Schlucht. Sehr gut wurde gerade nicht geschossen, denn einem der Neger gelang es, fast den ganzen Abhang zu erklettern, aber er erreichte weiter nichts, als daß ihm auf dessen Kamm der Schädel mit dem Kolben eines Martinigewehres eingeschlagen wurde. Der Emir war von seinem Felsen heruntergefallen und lag, eine formlose Masse, wie eine aus weißen und braunen Stücken hergestellte Steppdecke auf dem Boden der Schlucht. Als die Hälfte gefallen war, wurde es diesen begeisterten, fanatischen Seelen klar, daß es keine Hoffnung mehr für sie gab, und daß sie versuchen mußten, aus diesen verhängnisvollen Felsen hinaus und wieder in die Wüste zu gelangen. So sprengten sie denn den Paß hinab. Ein über rauhes Gelände galoppierendes Kamel zu sehen, ist etwas Furchtbares. Die eigene Angst des Tieres, seine plumpen Sprünge, die Zuckungen seiner vier Beine, die oft alle gleichzeitig in der Luft sind, die abscheulichen Töne, die es ausstößt, das Schreien der Reiter, die bei jedem Sprunge hoch aus dem Sattel fliegen: das alles gibt ein Bild, das man nicht leicht wieder vergißt, wenn man es einmal gesehen hat. Als dieser wilde Strom von wahnsinnigen Geschöpfen an ihnen vorbeiraste, schrieen die Frauen, aber der Oberst trieb sein Kamel und die ihren weiter und weiter zwischen die Felsen, so daß sie den fliehenden Arabern aus dem Wege kamen. Die Luft war voll von pfeifenden Kugeln, und die Gefangenen konnten hören, wie sie rings um sie her an die Steine klatschten.

»Verhalten Sie sich möglichst stille, und sie werden an uns vorüberjagen, ohne auf uns zu achten,« flüsterte der Oberst, der jetzt, wo die Stunde des Handelns geschlagen hatte, wieder ganz der alte war. »Ich wollte, ich sähe Tippy Tilly oder einen seiner Freunde. Dies ist der Augenblick, wo sie uns helfen könnten.«

So scharf er auch den tollen Strom der Flüchtlinge musterte, der an ihm vorübertoste, so konnte er doch das schwarze Gesicht des ägyptischen Artilleristen nicht unter ihnen entdecken.

Und jetzt machte es wirklich den Eindruck, als ob die ganze Masse in ihrer Hast, aus der Schlucht zu gelangen, keinen Gedanken für die Gefangenen übrig habe. Der Hauptstrom war vorbei, und nur noch Nachzügler liefen zwischen dem wütenden Feuer Spießruten, das sich von beiden Seiten in die Schlucht ergoß. Der letzte von allen, ein junger Baggara mit schwarzem Schnurr- und spitzem Knebelbart, blickte in die Höhe und drohte den ägyptischen Schützen in ohnmächtiger Wut mit seinem Säbel. In demselben Augenblick traf eine Kugel sein Kamel, und das Tier stürzte zu Boden und streckte alle viere von sich. Der junge Araber sprang aus dem Sattel, ergriff den Nasenstrick und schlug mit der flachen Klinge wütend auf das Kamel los, um es zum Aufstehen zu veranlassen, allein das verglaste Auge erzählte seine eigene Geschichte. Im Wüstenkriege bedeutet der Tod des Tieres auch den Tod des Reiters. Wie ein in die Enge getriebener Löwe sah sich der Baggara um, und seine Augen funkelten mörderisch unter seinem roten Turban. Ein purpurner Fleck und dann noch einer erschien auf seiner dunklen Haut, aber er zuckte nicht einmal, als er die Kugelwunden empfing. Sein wilder Blick war auf die Gefangenen gefallen, und mit einem Jubelschrei und hoch über seinem Haupte geschwungenen breiten Säbel stürzte er auf sie los. Miß Adams war ihm am nächsten, aber beim Anblick dieser heranstürzenden Gestalt mit dem wahnsinnigen Gesicht glitt sie auf der äußeren Seite vom Kamel. Der Araber sprang auf einen Felsblock und stieß nach Mrs. Belmont, aber noch ehe die Spitze seiner Waffe diese erreichen konnte, lehnte sich der Oberst vor und schoß den Araber durch den Kopf. In seiner kochenden Wut, die stärker war, als selbst der Tod, trat und schlug der Gefallene um sich und rollte zwischen den losen Steinen umher, wie ein Fisch auf dem Strande.

»Fürchten Sie sich nicht, meine Damen,« sagte der Oberst. »Er ist tot, das versichere ich Ihnen. Ich bedauere nur, daß ich genötigt war, das in Ihrer Gegenwart zu thun, aber der Kerl war gefährlich. Außerdem hatte ich auch selbst noch eine kleine Rechnung mit ihm zu begleichen, denn das war der Mensch, der versuchte, mir mit dem Kolben seines Remington die Rippen zu zerschmettern. Ich hoffe, Sie haben sich nicht verletzt, Miß Adams. Nur einen Augenblick, und ich werde zu Ihnen hinunterkommen.«

Allein die alte Bostonerin war keineswegs verletzt, denn sie war nicht tief gefallen, da neben ihrem Kamel ein hoher Felsblock lag. Auch Sadie, Mrs. Belmont und der Oberst stiegen jetzt ab, indem sie auf hohe Steine glitten und dann von diesen hinabkletterten. Aber sie fanden Miß Adams bereits auf den Füßen und damit beschäftigt, die Reste ihres grünen Schleiers frohlockend in der Luft zu schwenken.

»Hurra, Sadie, Hurra, meine einzige, liebe Sadie!« schrie sie. »Wir sind gerettet, mein Kind, wir sind doch noch gerettet worden!«

»Wahrhaftig, das sind wir!« rief der Oberst, worauf sie alle in ein lautes Jubelgeschrei ausbrachen.

Allein während dieser schrecklichen Tage der Schulung hatte Sadie gelernt, mehr an andre zu denken. Ihre Arme umschlangen Mrs. Belmont, und ihre Wange schmiegte sich an deren bleiches Gesicht.

»Sie lieber, süßer Engel,« sagte sie, »wie können wir es übers Herz bringen, uns zu freuen, wenn sie ... wenn sie ...«

»Aber ich glaube gar nicht, daß es wahr ist,« rief die tapfere Irländerin. »Nein, ich glaube es nicht eher, als bis ich Johns Leichnam vor mir liegen sehe, und wenn dieser Augenblick da ist, will ich nicht mehr leben, um noch etwas andres zu erblicken.«

Der letzte Derwisch war die Schlucht hinabgejagt, und jetzt konnte man auf beiden Thalrändern die Aegypter sehen, große, magere Gestalten mit kräftigen Schultern, die, wie sie sich da am blauen Himmel abzeichneten, eine wunderbare Aehnlichkeit mit den Kriegern in den alten Basreliefs hatten. Sehr bald verschwanden sie jedoch, denn sie eilten zu ihren in einiger Entfernung haltenden Kamelen. Zu gleicher Zeit begannen andre vom entfernteren Ende der Schlucht herzukommen, deren dunkle Gesichter gerötet waren und in deren Augen das Feuer des Sieges und der Verfolgung leuchtete. Ein auffallend kleiner Engländer mit einem strohgelben Schnurrbart ritt an ihrer Spitze. Als er die Flüchtlinge erreicht hatte, hielt er und grüßte die Damen. Er trug braune Stiefel und einen braunen Gürtel mit Stahlschnallen, der sich sauber von seiner staubfarbigen Uniform abhob.

»Na, diesmal haben wir es ihnen ordentlich gegeben,« sagte er. »Es freut mich, daß ich Ihnen ein wenig von Nutzen war, und will nur hoffen, daß Ihr Abenteuer Ihnen nicht viel geschadet hat. Allerdings ist es für Damen etwas schwere Arbeit.«

»Sie kommen wohl von Halfa?« fragte der Oberst.

»Nein, wir sind von dem andern Nest, von Sarras, wissen Sie. Wir trafen mit denen von Halfa in der Wüste zusammen, und dann machten wir uns daran, den Derwischen den Weg zu verlegen, während die andern sie verfolgten. Jetzt haben wir sie in der Falle. Steigen Sie dort auf den Felsen, und Sie werden etwas zu sehen bekommen. Diesmal wollen wir gründlich mit ihnen aufräumen.«

»Einige von unsrer Gesellschaft sind bei den Quellen zurückgeblieben, und wir machen uns große Sorge um sie,« fuhr der Oberst fort. »Sie haben wohl nichts von ihnen gehört?«

»Hm, hm, eine schlimme Geschichte,« meinte der junge Offizier, ernst den Kopf schüttelnd, »eine sehr schlimme Geschichte. Das ist eine giftige Bande, wenn sie in der Klemme sitzen, und wir sind froh, daß wir noch einige von euch lebendig herausgehauen haben, denn euch zu rächen, war das Höchste, was wir hofften.«

»Ist noch ein Engländer bei Ihnen?«

»Archer ist bei der Umgehungsabteilung. Er muß hier vorbeikommen, denn ich glaube nicht, daß es noch einen andern Weg hinunter gibt. Einen von euren Gefährten haben wir da oben – gelungenes altes Haus mit einem roten Dache. Na, ich hoffe, ich sehe Sie nachher noch. Empfehle mich Ihnen, meine Damen.«

Nach diesen Worten legte er grüßend die Finger an den Helm, setzte sein Kamel in Bewegung und folgte seinen Leuten.

»Wir können nichts Besseres thun, als hier bleiben, bis sie alle vorüber sind,« sagte der Oberst, denn aus den Worten des Offiziers ging hervor, daß noch weitere Truppen von oben her zu erwarten waren. Bald erschien denn auch die Umgehungsabteilung und zog an ihnen vorbei, Mann für Mann, Neger und Sudanesen, aber auserlesene Leute, denn das Kamelcorps ist die Elite der ägyptischen Armee. Jeder hatte ein braunes Bandelier über der Brust und stützte das Gewehr auf die Lende. An ihrer Seite ritt mit einem Doppelfernrohr in der Hand ein großer Offizier mit einem schwarzen Schnurrbart.

»Holla, Archer!« krächzte der Oberst.

Mit dem verständnislosen Blick, womit man einen vollkommen fremden Menschen ansieht, schaute sich der Offizier nach ihm um.

»Ich bin Cochrane, kennen Sie mich nicht mehr? Wir sind doch zusammen bis hierher gereist.«

»Entschuldigen Sie mich, Sie sind mir gegenüber im Vorteil,« entgegnete der Offizier. »Ich habe einen Oberst Cochrane Cochrane gekannt, aber der können Sie nicht sein. Er war drei Zoll größer, als Sie, hatte schwarze Haare und ...«

»Das stimmt alles,« antwortete der Oberst mürrisch. »Versuchen Sie es nur einmal ein paar Tage bei den Derwischen, und dann warten Sie ab, ob Ihre Freunde Sie wiedererkennen.«

»Großer Gott, Cochrane, sind Sie es denn wirklich? Das hätte ich im Leben nicht geglaubt! Himmel, was müssen Sie durchgemacht haben! Ich habe wohl schon gehört, daß Leute in einer Nacht grau geworden sind, aber ...«

»Schon gut,« erwiderte der Oberst errötend, »aber wenn ich Ihnen einen kleinen Wink geben darf, Archer, so wäre es ganz angenehm, wenn Sie diesen Damen etwas zu essen und zu trinken verschaffen wollten, statt Bemerkungen über mein Aussehen zu machen.«

»Dafür ist schon gesorgt,« antwortete Archer. »Ihr Freund Stuart weiß, daß Sie hier sind, und er wird euch gleich etwas bringen. Keine großen Genüsse, meine Damen, aber das Beste, was wir haben. Sie sind ja ein alter Soldat, Cochrane. Gehen Sie dort oben auf die Felsen, und Sie werden bald etwas sehen, worüber Ihnen das Herz im Leibe lachen wird. Aber ich habe jetzt keine Zeit mehr, mich länger hier aufzuhalten, denn in fünf Minuten wird's wieder losgehen. Kann ich sonst noch etwas für Sie thun?«

»Sie haben wohl nicht so etwas, wie eine Cigarette?« fragte der Oberst.

Archer zog eine dicke Regalia hervor und reichte sie mit einem halben Dutzend Streichhölzern dem Oberst hinunter. Dann galoppierte er hinter seinen Leuten her, und der alte Soldat lehnte sich gegen den Felsen und sog den duftenden Rauch ein. Das war der Augenblick, wo seine überreizten Nerven den vollen Wert des Tabaks kennen lernten, das milde Mittel, das die schwindenden Kräfte festhält und das wild arbeitende Hirn beruhigt. Befriedigt schaute er den dünnen blauen Rauchwölkchen nach, die von seinen Lippen aufstiegen, er fühlte den angenehmen aromatischen Reiz am Gaumen, und eine behagliche Erschlaffung bemächtigte sich seines müden und gequälten Leibes, während die drei Damen auf einer Felsplatte neben ihm saßen.

»Du meine Güte, wie siehst du aus, Sadie!« rief Miß Adams plötzlich, und das war das erste Anzeichen, daß sie ihr altes Selbst wiedergefunden hatte. »Was würde deine Mutter sagen, wenn sie dich so sähe? Dein Haar ist ja ganz voll Stroh und dein Kleid zerrissen.«

»Wir werden es wohl alle nötig haben, uns ein bißchen zurechtzustutzen,« entgegnete Sadie mit einer Stimme, die viel bescheidener klang, als die der Sadie früherer Tage. »Mrs. Belmont, Sie sehen wirklich reizend aus, aber wenn Sie erlauben, will ich Ihr Kleid ein wenig zurechtziehen.«

Mrs. Belmonts Augen wanderten jedoch in weiter, weiter Ferne, und sie schüttelte traurig den Kopf, während sie die Hand des jungen Mädchens sanft abwehrte.

»Mir liegt nichts daran, wie ich aussehe; ich habe gar keine Gedanken dafür,« antwortete sie. »Würden Sie an so etwas denken, wenn Sie den Mann, den Sie lieben, so verlassen hätten, wie ich meinen Gatten verlassen habe?«

»Ich fange – ich fange an, zu glauben, daß es mir gerade so ergeht,« schluchzte die arme Sadie und verbarg ihre heißen Augen an Mrs. Belmonts mütterlichem Busen.


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