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Nummer dreiundvierzig geht es nicht besser, Herr Doktor, sagte der Oberwärter mit etwas vorwurfsvoller Stimme, indem er seinen Kopf zu meiner Türe hereinsteckte.
Der Henker soll ihn holen! antwortete ich hinter meinem Zeitungsblatt hervor.
Einundsechzig behauptet, er habe Schmerzen in der Nierengegend. Könnten Sie ihm nicht helfen?
Er ist die reinste wandernde Apotheke, erwiderte ich. Er hat bereits die gesamte britische Pharmakopöe geschluckt. Ich glaube, seine Nieren sind so gesund wie die Ihrigen.
Dann Nummer sieben und hundertundacht, die sind schon lange krank, fuhr der Wärter fort, indem er einen Blick auf einen kleinen Zettel warf, den er in der Hand hielt. Und achtundzwanzig wollte gestern nicht arbeiten: er behauptet, wenn er etwas hebe, so fühle er Seitenstiche. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Herr Doktor, so kommen Sie, bitte, und schauen Sie nach ihm. Ferner einunddreißig, – der, welcher John Adamson in der Handelsbrigg »Korinth« erschlug, – der hat eine gräßliche Nacht hinter sich; die ganze Zeit brüllte und stöhnte er; es hat alles nichts genützt, ist nicht zu beruhigen gewesen!
Gut, ich will nachher nach ihm sehen, sagte ich, indem ich meine Zeitung beiseite schob und mir eine Tasse Kaffee einschenkte. Sonst haben Sie nichts zu melden, Wärter?
Er schob seinen Kopf noch ein wenig weiter zur Tür herein. Verzeihen Sie, Herr Doktor, sagte er in vertraulichem Tone, aber, wie ich bemerkte, hat sich zweiundachtzig ein wenig erkältet, und es wäre eine gute Entschuldigung für Sie, ihn zu besuchen und vielleicht ein wenig mit ihm zu plaudern.
Ich starrte dem Mann erstaunt ins Gesicht.
Eine Entschuldigung, sagte ich, was, eine Entschuldigung? Was zum Teufel schwatzen Sie denn für Zeug, Pherson? Den ganzen Tag plage ich mich mit meinen anderen Kranken ab, wenn ich nicht nach den Gefangenen sehe, und komme jeden Abend nach Hause müd wie ein Hund, und Sie schwatzen jetzt von einer Entschuldigung, die ich brauche, um noch mehr zu arbeiten? Was glauben Sie denn eigentlich?
Es würde Ihnen Vergnügen bereiten, antwortete der Wärter, indem er eine seiner Schultern ins Zimmer schob. Die Geschichte dieses Menschen ist wert, angehört zu werden, wenn Sie ihn zum Erzählen bringen könnten; er ist allerdings nicht sehr gesprächig, der Mann. Vielleicht wissen Sie nicht, wer zweiundachtzig ist?
Nein, und ich will's gar nicht wissen, sagte ich, da ich überzeugt war, daß er mir von irgend einem einheimischen Spitzbuben vormachen wollte, er sei weiß Gott was für eine berühmte Persönlichkeit.
Es ist Maloney, bemerkte mit Pathos der Wärter, der, welcher nach den Mordtaten von Bluemansdyke gegen seine Gefährten zeugte und so dem Galgen entging.
Wie, wirklich? rief ich und stellte erstaunt meine Tasse hin. – Ich hatte von dieser geheimnisvollen Reihe von Mordtaten gehört und in einer Londoner Zeitschrift einen Aufsatz darüber gelesen, lange bevor ich mich in Australien niederließ. Ich erinnerte mich, daß diese Scheußlichkeiten die Verbrechen eines Burke und Hare völlig in den Schatten gestellt hatten, und daß einer der allerniederträchtigsten der Bande seinen Hals aus der Schlinge gezogen hatte, indem er seine Genossen verriet. – Sind Sie dessen sicher? fragte ich.
O gewiß, er ist es ganz bestimmt. Fragen Sie ihn nur ein wenig aus und Sie werden sich wundern! Der Maloney ist's wert, daß man ihn kennt; das heißt, mit Maß und Ziel! Der Kopf grinste bei diesen Worten, nickte und verschwand. Ich hatte Zeit, mein Frühstück zu beendigen und über das Gehörte nachzudenken.
Der Posten eines Arztes in einem australischen Gefängnis ist kein beneidenswerter. Vielleicht ist es in Melbourne oder Sydney noch auszuhalten, aber das Städtchen Perth bot wenig Annehmlichkeiten, und diese wenigen waren längst erschöpft. Das Klima war niederträchtig und die Gesellschaft nichts weniger als ebenbürtig. Schafe und Vieh bildeten das Haupterzeugnis der Gegend, ihre Preise, Zucht und Krankheiten den wichtigsten Gesprächsstoff. Da ich nun, als Fremder, nichts davon verstand und mich nicht sehr dafür interessierte, schon weil ich kein Vieh besaß, befand ich mich in einem Zustande geistiger Isolierung, und so war ich über jede Kleinigkeit, welche die Eintönigkeit meines Lebens unterbrechen konnte, erfreut. Der Mörder Maloney besaß zum wenigsten eine stark ausgebildete Individualität, die ein gutes Gegenmittel für ein Gemüt bilden würde, das krank war von den Gemeinplätzen des Alltaglebens. Ich beschloß, dem Rate des Wärters zu folgen und den genannten Grund vorzuschützen, um die Bekanntschaft Maloneys zu machen. Als ich daher meine übliche Morgenrunde machte, drehte ich den Schlüssel an der Türe um, die seine Nummer trug, und trat in die Zelle ein.
Der Mann lag bei meinem Eintritte auf seinem ärmlichen Bette; er stützte sich auf seine langen Arme, richtete sich auf und sah mich mit einem frechen, mißtrauischen Blicke an, der keine gute Einleitung für unsere Unterhaltung zu sein schien. Er hatte ein bleiches Gesicht, helle Haare, einen roten Bart und ein einziges stahlblaues Auge mit katzenartigem Ausdruck. Er war groß und muskulös gebaut; nur seine Schultern hatten eine etwas abnorme Form. Ein oberflächlicher Beobachter indes hätte ihn, was das Allgemeine anbelangt, für einen ganz hübschen, wohlproportionierten Kerl mit guten Umgangsformen gehalten: selbst in der häßlichen Uniform dieser verlotterten Strafanstalt wußte er sich ein gewisses feineres Aussehen zu geben, als die anderen Gauner in den Zellen nebenan.
Ich stehe nicht auf der Krankenliste, bemerkte er etwas gereizt. Es lag etwas in dieser harten Stimme, das alle sanfteren Eingebungen zum Verstummen brachte und mich daran erinnerte, daß ich, Auge in Auge, dem Helden des Lenatales und von Bluemansdyke, dem blutigsten Buschklepper gegenüberstand, der je eine Farm angezündet oder deren Bewohnern den Hals abgeschnitten hatte.
Ich weiß das wohl, antwortete ich. Der Wärter Pherson sagte mir jedoch, daß Ihr Euch erkältet hättet, und so dachte ich, ich wollte nach Euch sehen.
Der Teufel hol' den Wärter Pherson, und Euch dazu! brüllte der Sträfling in einem Wutanfalle. Na, so ist's recht, fügte er mit ruhigerer Stimme hinzu, gehen Sie nur zum Gouverneur und denunzieren Sie mich! Machen Sie, daß ich weitere sechs Monate oder so kriege – zu dem sind Sie recht!
Ich werde Sie nicht denunzieren, erwiderte ich.
Acht Quadratfuß Erde, fuhr er fort, indem er meine Antwort ganz überhörte, acht Quadratfuß, und nicht einmal das kann ich haben, ohne daß man mich anschwatzt und anglotzt, und – o, wenn euch nur alle zusammen der Teufel holen wollte! Er hatte sich wieder ganz in Wut geredet und erhob seine geballten Fäuste über den Kopf, um sie leidenschaftlich drohend zu schütteln.
Ihr habt offenbar etwas sonderbare Begriffe von Gastfreundschaft, bemerkte ich, entschlossen, meine Ruhe zu bewahren; ich sagte diese Worte ohne Hintergedanken, nur um überhaupt etwas zu sagen.
Zu meinem Erstaunen machten sie einen außerordentlichen Eindruck auf ihn. Er schien vollständig starr darüber, daß ich seinen Vorschlag anzunehmen schien, für den er so leidenschaftlich gesprochen hatte, nämlich, daß die Zelle, in der er stand, sein eigen war.
Verzeihen Sie, sagte er, ich wollte nicht grob sein! Wollen Sie nicht Platz nehmen? Er wies auf einen rohen Sessel, der außer dem Bett das einzige Möbel seines Schlafraumes war.
Ich setzte mich, ziemlich erstaunt über den plötzlichen Wechsel in seinem Benehmen. Ich weiß nicht, ob mir Maloney jetzt weniger unangenehm war: der Mörder war für den Augenblick nicht mehr vorhanden, das ist richtig; aber in seiner sanften Stimme und seinen unterwürfigen Bewegungen lag etwas, das mächtig an den Mann erinnerte, der gegen seine Mordgenossen aufgestanden war und durch sein Zeugnis ihr Leben vernichtet hatte.
Wie geht's mit Eurer Brust? fragte ich in berufsmäßigem Tone.
Kommen Sie, Herr Doktor, klopfen Sie sie aus, kommen Sie! antwortete er und zeigte eine Reihe blitzender Zähne, als er sich wieder auf die Bettkante setzte. Es war übrigens nicht die Sorge um meine wertvolle Gesundheit, die Sie hiehergeführt hat; die Geschichte machen Sie mir nicht weis! Sie sind hiehergekommen, um sich Wolf Tone Maloney anzusehen, den Falschmünzer, Mörder, Sträfling, Buschklepper und Staatsankläger. So seh' ich etwa aus, hä? Das ist alles, klar und deutlich; 's ist nichts Mittelmäßiges an mir, wie?
Er machte eine Pause, als ob er eine Antwort von mir erwarte; als ich indes nichts erwiderte, wiederholte er ein oder zweimal: 's ist nichts Mittelmäßiges an mir!
Und warum hätt' ich's nicht tun sollen? schrie er plötzlich, indem seine Augen Blitze schossen und seine ganze teuflische Natur wieder zum Vorschein kam. Es war bestimmt, daß wir baumeln sollten, alle zusammen, und die anderen hätten doch gebaumelt, hätte ich mich auch nicht dadurch gerettet, daß ich gegen sie zeugte. Jeder ist sich selbst der Nächste, sage ich, und wen der Teufel holt, der hat noch am meisten Glück. Haben Sie nicht ein Stück Tabak, Doktor, he?
Er biß in das Stück Kautabak, das ich ihm einhändigte, wie ein wildes Tier in ein Stück Fleisch. Es schien indes seine Nerven zu beruhigen, denn er setzte sich wieder auf den Bettrand und nahm seine alte unterwürfige Miene wieder an.
Das möchten Sie selbst nicht haben, Herr Doktor, fuhr er fort, das genügt, um dem sanftesten Menschen ein wenig die Nerven anzugreifen. Diesmal sitze ich für sechs Monate wegen Raubs und bin unglücklich, daß ich bald wieder heraus muß, das kann ich Ihnen sagen. Hier habe ich meinen Frieden; aber wenn ich draußen bin, habe ich keine Aussicht auf ein ruhiges Leben, wegen der Regierung, wie wegen des »tätowierten Tom von Hakesbury«.
Wer ist denn das? fragte ich.
Ein Bruder von John Grimthorpe ist es, desselben, der auf mein Zeugnis hin gehängt wurde, und ein Höllenbuschklepper war er! Teufelsbrut, beide übrigens! Dieser Tätowierte ist ein gemeiner Mordbube: er hat nach dem Urteil geschworen, mich umzubringen! Es ist jetzt sieben Jahre her, und immer noch verfolgt er mich; ich weiß, daß er es tut, wenn er sich auch versteckt hält und nicht sehen läßt. Er traf mich im Jahre fünfundsiebzig in Ballarat: hier sehen Sie die Narbe an meiner Hand, wo mich seine Kugel streifte. Anno sechsundsiebzig versuchte er's wieder in Port Philip, aber ich kam ihm zuvor und verwundete ihn schwer; doch drei Jahre darauf erhielt ich einen Messerstich von ihm in einer Bar in Adelaide; so waren wir etwa quitt. Er schleicht wieder in meiner Nähe herum: er möchte gern ein Loch in meine Haut machen, daß das Tageslicht hineinscheinen kann, wenn nicht – wenn nicht – durch irgend einen außerordentlichen Zufall ein anderer dasselbe an ihm besorgt. Maloney grinste dabei auf eine widerliche Weise.
Uebrigens möchte ich mich gar nicht so sehr über ihn beklagen, fuhr er fort. Von seinem Standpunkte aus ist dies eine Familienangelegenheit, die er schwerlich vernachlässigen darf. Wer mich in Wut versetzt, ist die Regierung. Wenn ich daran denke, was ich für dieses Land getan habe, und hinwiederum, was dieses Land für mich getan hat, so werde ich einfach wütend, so verliere ich vollständig den Kopf! Es kennt keine Dankbarkeit, nicht einmal die allergewöhnlichsten Anstandsregeln, Herr Doktor!
Er dachte einige Minuten über seine Verbrechen nach und machte sich daran, mir dieselben im einzelnen aufzuzählen.
Es waren neun Männer, sagte er, die so an die drei Jahre mordeten und töteten, vielleicht ein Leben auf die Woche wird im Durchschnitt die Arbeit sein, die sie vollbracht haben. Die Regierung fängt sie und die Regierung hält eine große Untersuchung ab, aber kann sie nicht überführen; und warum? Weil allen Zeugen der Hals abgeschnitten war, und das ganze Geschäft sehr hübsch und sauber sich abgewickelt hat. Was passiert da? Es steht ein Bürger auf, namens Wolf Tone Maloney, und der spricht: das Land bedarf meiner, und hier bin ich! Und er zeugt gegen die Angeklagten, überführt die Bande und ermöglicht, daß die Rotte gehängt werden kann. Das tat ich! Es ist nichts Mittelmäßiges an mir! Und was tut das Land zum Danke dafür? Es verfolgt mich wie ein Hund, spioniert mich aus, bewacht mich Tag und Nacht, vergilt so dem Manne, der ihr diesen schweren Dienst erwiesen hat! Das ist eine Hundsgemeinheit. Ich verlangte ja nicht, daß sie mich zum Ritter schlugen oder zum Kolonialsekretär ernannten! Aber, hol mich der Teufel, ich erwartete, daß sie mich in Ruhe ließen!
Na, erwiderte ich, wenn Ihr das Gesetz brecht, wo Ihr könnt und Leute anfallt, könnt Ihr doch nicht verlangen, daß man Euch dies für früher geleistete Dienste hingehen läßt.
Ich rede jetzt nicht von meiner gegenwärtigen Gefängnisstrafe, Sir, sagte Maloney mit Würde. Ich rede von dem Leben, das ich seit dem verfluchten Urteil geführt habe und das mir die Seele aus dem Leibe frißt. Bleiben Sie noch ein wenig auf dem Stuhl da sitzen, dann will ich Ihnen davon erzählen; dann sehen Sie mir ins Gesicht und sagen Sie mir, ob mich die Polizei anständig behandelt hat. –
Ich will mir Mühe geben, die Erlebnisse des Sträflings mit seinen eigenen Worten, so weit ich sie noch im Gedächtnis habe, wiederzugeben, indem ich seine sonderbare Auffassung von Gut und Böse beibehalte. Für die Wahrheit der Tatsachen kann ich einstehen. Einige Monate später zeigte mir der frühere Gefängnisgouverneur von Dunedin, Herr Inspektor H. Hann, die Einträge in seinem Hauptbuche, die jeden erzählten Fall bestätigten. Maloney erzählte die Geschichte mit dumpfer, eintöniger Stimme, mit gesenktem Kopfe, die Hände zwischen seinen Knieen. Nur die schnellen Bewegungen seines Auges, das mich an das einer Schlange erinnerte, verriet seine innere Aufregung, welche die Erinnerung an die Vorkommnisse in ihm hervorrief.
*
Sie haben sicher von Bluemansdyke gelesen, begann er, wobei seine Stimme einen etwas stolzen Klang annahm. Wir machten ihnen die Verfolgung schwer; aber zuletzt schlugen sie uns nieder, und ein Gendarm, namens Braxton, mit einem verdammten Yankee zusammen, nahmen uns fest. Das war in Neuseeland, selbstredend, und sie führten uns nach Dunedin, wo die anderen überführt und gehängt wurden. Einer wie der andere verfluchte mich, bis einem das Blut hätte stillstehen können; das war ein schäbiges Betragen in Anbetracht dessen, daß wir doch alle Kameraden gewesen waren; aber es war eine herzlose Bande und sie dachten nur an sich selber! Ich denke, es ist ganz gut, daß sie aufgeknüpft wurden.
Sie brachten mich wieder ins Loch nach Dunedin, in meine alte Zelle. Der einzige Unterschied gegen vorher war der, daß ich nichts arbeiten mußte und daß ich gut gefüttert wurde. Ich hielt dies so eine Woche oder zwei aus, bis eines Tages der Gouverneur seine Runde machte und ich ihm den Fall vorlegte.
Wie ist das zu verstehen? sagte ich zu ihm. Ich erhielt einen Freibefehl, und Sie halten mich gegen das Gesetz hier fest?
Er lächelte so vor sich hin. Würdet Ihr denn so gerne das Gefängnis verlassen? fragte er.
So gerne, sag' ich, daß ich Sie wegen ungesetzlicher Freiheitsberaubung verklage, wenn Sie mir das Tor nicht öffnen.
Er schien über meinen Entschluß ein wenig erstaunt zu sein. Ihr seid sehr bemüht, umgebracht zu werden, sagt er.
Was? Wie meinen Sie? sag' ich.
Kommt her, daß ich Euch zeige, was ich meine, antwortet er. Er führte mich den Gang hinunter zu einem Fenster, von dem aus man das Gefängnistor überblicken konnte.
Seht da hin! sagt er.
Ich blickte hinaus: draußen standen so ein Dutzend rohe Burschen in der Straße, einige rauchten, einige spielten auf dem Pflaster Karten. Als sie mich erblickten, stießen sie ein Geschrei aus und drängten sich ums Tor, indem sie mit den Fäusten drohten und schrien.
Sie warten auf Euch und haben Wachen aufgestellt, sagte der Gouverneur. Es ist die Exekutive vom Vigilanzkomitee. Indes, seitdem Ihr entschlossen seid, zu gehen, kann ich Euch nimmer zurückhalten.
Heißen Sie das etwa ein zivilisiertes Land, schrie ich, wenn ein Mensch kaltblütig am hellen Tag abgeschlachtet werden darf?
Als ich dies sagte, grinste der Gouverneur und der Wärter und alle die Schafsköpfe, als ob eines Mannes Leben nur ein guter Witz sei.
Das Gesetz ist auf Eurer Seite, meinte der Gouverneur, wir wollen Euch nicht länger zurückhalten. Laß ihn hinaus, Wärter!
Der kaltherzige Hund hätte es auch getan, hätt' ich nicht gebeten und gewinselt und ihm angeboten, Kost und Logis zu bezahlen, was vor mir noch nie ein Gefangener getan hat. Er ließ mich unter diesen Bedingungen bleiben: drei Monate war ich da im Käfig, während sämtliche Lumpen der ganzen Gegend auf der anderen Seite der Mauer nach mir heulten. Hübsche Behandlung, nicht wahr, für einen Mann, der seinem Lande gedient hatte!
Schließlich kam eines Morgens der Gouverneur dahergelaufen.
Nun, Maloney, meinte er, wie lange wollt Ihr uns noch mit Eurer Gesellschaft beehren?
Ich hätte ihm ein Messer zwischen seine verfluchten Rippen pflanzen können und hätt's auch getan, wären wir allein im Busch gewesen; aber ich mußte dazu lächeln und ihm schmeicheln und ihn sanft behandeln, da ich fürchtete, er würde mich hinausjagen.
Ihr seid ein höllischer Spitzbube, sagte er; dies sind seine eigenen Worte zu einem Mann, der ihm so treue Dienste geleistet! Ich will jedoch keine rohe Justiz unterstützen; ich glaube, ich weiß, wie ich Euch aus Dunedin los werden kann.
Ich werde Sie nie vergessen, Herr Gouverneur, sag' ich; und bei Gott, ich werde es nie tun!
Ich verzichte auf Euern Dank und Eure Dankbarkeit, erwiderte er; ich tue es nicht Euch zulieb, sondern nur um die Ordnung in der Stadt aufrecht zu erhalten. Vom Westquai fährt morgen ein Dampfer nach Melbourne; ihr werdet Euch an Bord dieses Schiffs begeben! Es fährt um fünf Uhr ab; haltet Euch also bereit!
Ich packte meine wenigen Habseligkeiten zusammen und wurde kurz vor Tagesanbruch durch eine kleine Seitentüre hinausgeschmuggelt. Ich rannte an den Hafen, löste mein Billett unter dem Namen Isaak Smith und gelangte heil an Bord des Melbourner Schiffes. Ich erinnere mich, wie ich, als die Maschinen sich in Bewegung setzten, und ich auf die Lichter Dunedins zurückschaute, den angenehmen Gedanken hatte, daß ich nie mehr hieher zurückkehren würde. Es schien mir, als läge eine neue Welt vor mir, und als hätten alle meine Sorgen ein Ende. Ich ging hinunter und trank eine Tasse Kaffee; als ich wieder auf Deck stieg, fühlte ich mich besser als je, seit dem Morgen, an dem, als ich erwachte, dieser verdammte Irländer mit seinem Sechsläufigen über mir stand.
Mittlerweile war der Tag angebrochen, und wir dampften der Küste entlang; Dunedin war längst verschwunden. Ich bummelte ein paar Stunden an Deck auf und ab; später kamen noch andere herauf. Einer von den Passagieren, ein geschniegelter kleiner Kerl, warf einen langen Blick auf mich, kam dann auf mich zu und knüpfte ein Gespräch an.
Kommt vom Goldgraben, nehm' ich an? sagt er.
Ja, sag' ich.
Schwein gehabt? sagt er.
Ganz hübsch, sag' ich.
Ich auch, sagt er. Hab' auf den Nelsonfeldern drei Monate gegraben; hab' dann alles für einen gesalzenenSchlechte Claims wurden zum Zweck des Verkaufs mit goldführendem Schutt »gesalzen«. Claim hergegeben, und der war am zweiten Tag leer. Später indes weitergegraben und hübsch Geld verdient; aber als der Goldwagen in die Stadt 'nunter fuhr, haben ihn die verfluchten Buschklepper abgefangen; hab keinen roten Heller davon wiedergesehen!
Das war ein schlechtes Geschäft, sag' ich.
Hat mich gänzlich ruiniert! Macht nichts, hab' die Lumpen wenigstens alle baumeln gesehen; das hilft's leichter tragen, 's blieb nur einer am Leben, der Schuft, der gegen die anderen zeugte. Ich würd' mich glücklich preisen, käm' mir der Tropf einmal in den Weg. Wenn ich ihn treffe, hab' ich zweierlei mit ihm zu erledigen.
Was wäre das? sag' ich nachlässig.
Ich muß ihn einmal fragen, wo das Geld liegt – die Spitzbuben haben keine Zeit gehabt, es auf die Seite zu bringen, und so liegt's irgendwo in den Bergen – und dann muß ich ihn kalt machen und seine Seele hinunterbefördern zu seinen Kameraden, die er verriet.
Es schien mir, als wüßte ich etwas von dem versteckten Geld, und ich mußte beinahe lachen; doch ich nahm mich zusammen, da er mich scharf beobachtete und es mir auffiel, wie rachsüchtig und blutgierig er gesinnt war.
Ich gehe jetzt auf die Brücke, sag' ich, weil er nicht der Mann war, mit dem ich gerne nähere Bekanntschaft geschlossen hätte.
Er wollte indes nichts davon wissen. Blödsinn, sagte er, wir sind beide Goldgräber und Reisekollegen. Kommt mit 'runter zur Bar. Ich bin doch nicht zu arm, um lustig zu sein!
Dies konnte ich ihm nicht abschlagen, und so stiegen wir zusammen hinab; hier begannen meine Leiden. Was hab' ich denn irgend einem auf dem Schiffe getan? Ich verlangte nur nach einem ruhigen Leben und wollte andere für sich lassen, wie ich selbst für mich bleiben wollte. Kann ein Mensch etwas Anständigeres verlangen? Und jetzt passen Sie auf, was folgte.
Wir gingen eben an den Frauenkabinen vorbei, auf dem Wege zum Salon, da kommt so eine sommersprossige, verteufelte Dienstmagd mit einem Kind auf dem Arme heraus. Wir gingen hinter ihr drein und an ihr vorbei, nichts ahnend: plötzlich stößt das Weib einen Schrei aus, wie ein Lokomotivenpfiff, und läßt um ein Haar den kleinen Affen fallen. Der Schrei ging mir durch Mark und Bein, aber trotzdem bat ich sie um Verzeihung, da ich dachte, ich sei ihr vielleicht auf ein Hühnerauge getreten. Als ich jedoch ihr weißes Gesicht sah, und wie sie an der Türe lehnte und auf mich deutete, merkte ich, daß mein Spiel verloren war.
Er ist es, schreit das Scheusal, er ist es! Ich hab' ihn vor Gericht gesehen! O, beschützt das unschuldige Würmchen!
Wer ist es? fragt der Steward und ein halb Dutzend andere atemlos.
Er ist es – Maloney – Maloney, der Mörder – oh, packt ihn, führt ihn weg von hier!
Ich erinnere mich nicht recht, was gerade in diesem Augenblick geschah. Die Besatzung und ich schienen etwas untereinander zu kommen, es war ein Fluchen und Krachen, und jemand schrie nach seinem Gold. Als sich der Aufruhr etwas gelegt hatte, fand ich die Hand von jemand in meinem Maul. Aus dem, was ich nachher gesehen, schließe ich, daß sie jenem kleinen Kerl gehörte, der so niederträchtige Reden führte. Er konnte einen Teil davon wieder herausziehen, weil nämlich die anderen auf mich einschlugen. Ein armer Teufel kann auf dieser Welt nichts recht machen, wenn er 'mal drunten ist – doch, ich denke, er wird sich meiner bis an seinen Tod erinnern, – noch länger, hoff' ich.
Sie schleiften mich ins Achterschiff und hielten Gericht über mich – über mich, merken Sie wohl, Doktor, mich, der seine Genossen angezeigt hatte, um ihnen einen Dienst zu erweisen! Was hatten sie mit mir vor? Einige rieten dies, andere das, schließlich entschied der Kapitän, mich an Land zu setzen. Das Schiff stoppte, ein Boot wurde hinabgelassen, und mich setzten sie hinein, während mich die ganze Bande über die Reling weg anbrüllte. Ich sah, wie der Kerl, von dem ich sprach, seine Hand verband, und dachte, es hätte noch schlimmer ausfallen können.
Bevor wir aber an Land waren, änderte ich schon meine Ansicht. Ich hatte darauf gezählt, daß die Küste verlassen sein würde, und ich landeinwärts wandern könnte; aber das Schiff hatte zu nahe bei Heads gestoppt und ein Dutzend Strandfischer und ähnliches Gesindel liefen ans Ufer und glotzten uns an, da sie sich nicht erklären konnten, was mit dem Schiff los war. Als das Boot die Brandung erreicht hatte, schmissen mich die Halunken ganz einfach ins Wasser, natürlich, nachdem sie dem Pack am Ufer noch zugerufen, wer ich war. Jawohl, Sie dürfen wohl erstaunt sein – der ganze Mann in zehn Fuß tiefem Wasser, mit Haifischen, so dick wie die grünen Papageie im Busch! Als ich mich ans Ufer arbeitete, hörte ich noch ihr gemeines Gelächter.
Bald sah ich, daß der Handel schlimmer stand als je. Als ich mich aus den Wellen 'rausarbeitete, kriegte mich ein großer Lümmel zu fassen, und ein halb Dutzend andere umringten mich und hielten mich fest. Die meisten der Burschen sahen anständig genug aus; von denen hatte ich nichts zu befürchten; aber einer mit einem großen Strohhut machte ein ziemlich unangenehmes Gesicht, und der große Lümmel schien sehr gut mit ihm zu stehen.
Sie zogen mich ans Ufer, ließen mich los und umringten mich.
Na, Freund, sagt der Mann mit dem Hut, wir haben schon seit einiger Zeit hier nach dir Ausguck gehalten.
Sehr hübsch von euch, sag' ich.
Halt's Maul, sagt er. So, Jungens, wie wollen wir's machen? Hängen, erschießen oder ersäufen! Schnell!
Dies schien mir denn doch etwas zu geschäftsmäßig. Das dürft ihr nicht, sag' ich. Ich bin von der Regierung freigesprochen, und es wäre Mord.
So heißt man's, bemerkte der Lange so liebenswürdig wie eine heisere Krähe.
Ihr wollt mich töten, weil ich ein Buschklepper war? sag' ich.
Halt's Maul mit dem Buschklepper! sagt der Mann. Wir hängen dich, weil du deine Genossen verraten hast; und jetzt hat das Geschwätz ein Ende!
Sie schlangen mir einen Strick um den Hals und schleiften mich in einen Winkel am Busch. Dort standen einige hohe Korkeichen und Gummibäume; einen davon wählten sie für ihre Schandtat aus. Sie zogen den Strick über einen starken Zweig, banden mir die Hände zusammen und sagten mir, ich solle mein Gebet sprechen. Alles schien verloren; aber die Vorsehung hat mich gerettet. Hier, Sir, klingt es recht hübsch und gemütlich, von diesen niedlichen Dingen zu schwatzen; aber es war eine fatale Geschichte, dazustehen, nichts als die Küste vor mir, die lange, weiße Linie der Brandung, weit draußen der Dampfer und rings herum eine Bande von mordlustigen Halunken, die nach meinem Blute dürsteten.
Ich habe niemals gedacht, daß ich der Polizei 'was Gutes verdanken würde; aber damals hat sie mich gerettet. Eine Abteilung ritt eben von Hakes Point Station nach Dunedin, und als sie hörten, daß 'was los war, kamen sie durch den Busch heruntergeritten und unterbrachen die Operation. Ich habe in meinen früheren Tagen einige Musikbanden gehört, Herr Doktor, aber niemals habe ich solch eine Musik gehört, wie die Hufschläge der Pferde dieser Polizisten, als sie in die Lichtung galoppierten. Sie wollten mich rasch noch hängen, aber die Polizei war schneller als sie; der Mann mit dem großen Hut bekam mit dem flachen Säbel eins über den Schädel gehauen. Ich wurde auf ein Pferd gesetzt, und bevor es noch Abend wurde, war ich wieder in meinem alten Loch in Dunedin.
Der Gouverneur war nicht 'rumzukriegen. Er wollte mich absolut los sein, und auch ich war entschlossen, möglichst bald fortzukommen. Er wartete eine Woche oder so, bis sich die Aufregung ein wenig gelegt hatte, und dann brachte er mich heimlich an Bord eines Dreimasters, der mit Talg und Häuten nach Sydney gehen sollte.
Wir stachen ohne Hindernis in See, und die Verhältnisse schienen sich etwas rosiger gestalten zu wollen. Ich war überzeugt, jedenfalls das Gefängnis zum letztenmal gesehen zu haben. Die Besatzung schien eine Art von Ahnung zu haben, wer ich war, und wenn es schlechtes Wetter gegeben hätte, so hätten sie mich, 's ist gut möglich, über Bord geworfen; es war eine rohe, unwissende Bande, und sie hatten die Idee, ich bringe dem Schiff Unheil. Wir hatten indes eine gute Ueberfahrt, und so landete ich gesund und wohlbehalten in Sydney.
Jetzt passen Sie auf, was geschah. Sie denken wohl, sie hätten es satt bekommen, mich noch zu verfolgen, nicht wahr? Na, hören Sie nur. Offenbar war an demselben Tage, an dem wir abfuhren, auch so ein verfluchter Dampfer von Dunedin nach Sydney abgegangen und vor uns mit der Nachricht angekommen, daß ich unterwegs sei. Hol mich der Henker, aber die Schurken hatten ein Meeting, ein richtiges Massenmeeting an den Docks einberufen, um die Geschichte zu erörtern, und was mache ich? Ich laufe geradenwegs draufzu, als ich lande! Es dauerte nicht lange und ich war verhaftet und mußte allen Reden und Tagesordnungen zuhören. Wäre ich ein Prinz gewesen, sie hätten nicht aufgeregter sein können. Das Ende davon war, daß eine Resolution angenommen wurde, daß es nicht recht sei, wenn Neuseeland alle seine Verbrecher seinen Nachbarn aufhalsen dürfe, und daß ich mit dem nächsten Schiff zurückgesandt werden sollte. So schoben sie mich wieder ab, als wäre ich ein ganz gewöhnliches Paket, und nach weiteren achthundert Seemeilen Fahrt saß ich zum dritten Male in dem verdammten Loche in Dunedin.
Damals dachte ich schon, ich müßte den Rest meines Daseins dazu verwenden, von einem Hafen zum anderen hin und her zu pendeln. Alle Leute schienen sich gegen mich verschworen zu haben, und nirgends winkte mir Ruhe und Frieden. Ich hatte damals, als ich zurückkam, die Geschichte satt; ich wäre wieder in den Busch zurück, hätte ich gekonnt, und hätte es wieder mit meinen alten Kollegen versucht. Aber sie waren zu rasch für meine Kräfte und behielten mich hinter Schloß und Riegel; es gelang mir indes trotz allem, jenes Gold, das ich, wie ich Ihnen erzählt, versteckt hatte, an mich zu bringen und in meinem Gürtel zu verstecken. Ich blieb noch einen Monat im Gefängnis, und dann brachten sie mich an Bord eines Schiffes nach England.
Diesesmal hatte die Besatzung keine Ahnung, wer ich war, dafür hatte der Kapitän eine ganz hübsche Vorstellung davon, wenn er mich auch nichts davon merken ließ. Uebrigens wußte ich im ersten Moment, daß der Mann ein niederträchtiger Schurke war. Wir hatten eine gute Ueberfahrt, abgesehen von einem Sturm beim Kap; ich fing schon an, mich als freier Mann zu fühlen, als ich die blaue Küste des Mutterlandes und das niedliche kleine Lotsenboot erblickte, das von Falmouth durch die Wellen zu uns herübertanzte. Wir fuhren in den Kanal ein, und ehe wir Gravesend erreichten, hatte ich mit dem Lotsen ausgemacht, daß er mich an die Küste bringen würde, wenn er zurückfahre. Damals bewies der Kapitän, daß er, wie ich richtig vermutet hatte, ein niederträchtiger, gemeiner Geselle war. Ich packte mein Zeug rasch zusammen und ging hinunter zum Frühstück, während er mit dem Lotsen in ernster Unterhaltung begriffen war. Als ich wieder heraufkam, waren wir schon hübsch im Flusse drin, und das Boot, das mich an die Küste setzen sollte, war verschwunden. Der Kapitän behauptete, der Lotse habe mich vergessen; aber diese Ausrede war doch zu plump und ich fürchtete mit Recht, daß meine Leiden von neuem beginnen würden.
Das sollte sich bald bestätigen. Ein Boot stieß vom Ufer ab, kam auf uns zu, und ein großer Bursche mit einem langen, schwarzen Bart stieg an Bord. Ich hörte, wie er den Steuermann fragte, ob er nicht einen Flußlotsen brauche, um hinaufzufahren, aber ich hatte den Eindruck, als verstehe sich der Mann besser auf Handschellen, als auf das Steuern, und so drückte ich mich auf die Seite. Er kam jedoch herüber zu mir und redete mich an, wobei er mich scharf ansah. Ich habe Leute mit solchen forschenden Blicken im allgemeinen nicht gern, aber das Allerschlimmste ist solch einer, der noch einen falschen Bart trägt, besonders unter den Umständen, in welchen ich mich befand. Ich merkte, daß es Zeit für mich war, mich aus dem Staube zu machen.
Die Gelegenheit hiezu bot sich mir bald, und ich benützte sie geschickt. Ein Kohlenschiff fuhr vor uns durch und wir mußten langsamer fahren; es hatte eine Barke im Schlepptau: mit Hilfe eines Taus ließ ich mich in diese hinabgleiten, ehe mich jemand bemerkte. Natürlich mußte ich mein Gepäck zurücklassen, aber ich hatte den Gürtel mit dem Goldstaube umgebunden, und die Gelegenheit, der Polizei ein Schnippchen zu schlagen, war mehr wert, als ein paar Schachteln. Jetzt war mir's klar, daß der Lotse, so gut wie der Kapitän, den Verräter gespielt und die Detektivs auf mich gehetzt hatte. Ich möchte nur die zwei Schurken wieder einmal antreffen!
Ich lag den ganzen Tag in der Barke, die den Strom hinuntertrieb. Es befand sich zwar ein Mann darin, aber es war ein großes, mächtiges Fahrzeug, und er hatte soviel zu tun, daß er sich nicht nach mir umsehen konnte. Gegen Abend, als es etwas dunkel wurde, sprang ich, als wir in der Nähe des Ufers waren, ins Wasser, eine gute Anzahl Meilen östlich von London. Völlig durchnäßt und halb verhungert, schlich ich in die Stadt, staffierte mich in einem Trödlerladen mit einem anderen Anzug aus, aß ein wenig in einer Kneipe und suchte mir in einer Gegend, wo ich hoffte, sicher zu sein, eine Schlafstelle.
Ich erwachte sehr frühe – eine Gewohnheit vom Buschleben her – und es war für mich ein Glück, daß ich nicht länger schlief. Das erste, was ich erblickte, als ich hinaussah, war einer dieser verteufelten Polizisten, der gerade gegenüber auf der Straße stand und an die Fenster hinaufglotzte. Er hatte weder Achselklappen, noch einen Säbel, wie die unseren, aber er hatte eine Art von Familienähnlichkeit mit ihnen und denselben eingebildeten Gesichtsausdruck. Ob mir der Bursche die ganze Zeit über nachgestiefelt ist, oder ob der Frau, bei der ich die Schlafstelle mietete, mein Gesicht verdächtig erschienen war, habe ich nie herausgebracht. Als ich ihn verstohlen beobachtete, zog er sein Notizbuch aus der Tasche und, mit einem Blick auf das Haus, notierte er etwas, vermutlich die Hausnummer. Ich fürchtete, er wolle an der Glocke läuten, als er herüberkam, aber er sollte offenbar nur ein Auge auf mich haben, denn nach einem weiteren Blick auf die Fenster ging er die Straße hinunter.
Ich sah, daß ich mich nur retten konnte, wenn ich sofort handelte. Ich fuhr in meine Kleider, öffnete geräuschlos das Fenster und, nachdem ich mich versichert hatte, daß niemand um den Weg war, sprang ich zu Boden und machte mich aus dem Staube, so schnell ich laufen konnte. Ich legte so zwei oder drei Meilen zurück, bis mir der Atem ausging. Als ich ein großes Gebäude sah, in das Leute ein- und ausgingen, trat ich ein und fand, daß es ein Bahnhof war. Ein Zug war eben zur Abfahrt nach Dover bereit: ich nahm ein Billett und fuhr in der dritten Klasse mit dem Zuge fort.
Ein paar Burschen saßen im Wagen, unschuldig aussehende junge Leute. Sie unterhielten sich über dies und jenes, während ich ruhig in der Ecke saß und zuhörte. Dann sprachen sie vom Verhältnis Englands zu fremden Ländern und dergleichen. Passen Sie nun auf, Herr Doktor, ich spreche die reine Wahrheit! Einer verbreitete sich über die Gerechtigkeit der englischen Gesetze. Es ist alles anständig, sagt er, wir haben keine Geheimpolizei, noch Detektivs, wie sie solche in anderen Ländern haben. Das war nicht übel, nicht wahr, wie der verfluchte junge Schafskopf redete, während mir die Polizei überallhin wie mein Schatten folgte?
Ich erreichte Paris; hier wechselte ich etwas von meinem Golde, und ein paar Tage lang dachte ich, ich hätte sie abgeschüttelt und wollte mich für einige Zeit hier niederlassen, denn damals glich ich mehr einem Geiste als einem Menschen. Sie haben wohl nie die Polizei auf Ihren Fersen gehabt, Sir, wie ich annehme? Sie brauchen gar nicht beleidigt zu sein, ich wollte Sie ja nicht verletzen. Wenn es der Fall gewesen wäre, so hätten Sie erfahren, daß dies einen Mann herunterbringt, wie die Fäule ein Schaf.
Eines Abends ging ich in die Oper und nahm eine Loge; ich war nämlich in guten Geldverhältnissen. Während der Pause traf ich im Foyer einen Menschen, der im Gange herumlungerte und mir bekannt vorkam: das Licht fiel auf sein Gesicht und ich erkannte, daß es der Flußlotse war, der in der Themse an Bord gekommen. Sein Bart war verschwunden, aber auf den ersten Blick erkannte ich den Kerl. Ich habe nämlich ein gutes Gedächtnis für Gesichter.
Das kann ich Ihnen sagen, Herr Doktor, daß ich für einen Augenblick den Kopf verlor. Wären wir allein gewesen, ich hätte ihn erdolcht, aber er kannte mich zu gut, um mir die Gelegenheit hiezu zu geben. Das war mir denn doch zu stark! Ich ging geradenwegs auf ihn zu und zog ihn beiseite, wo wir sicher vor allen neugierigen Beobachtern waren.
Wie lange wollen Sie noch so weiter machen? sag' ich.
Er schien für einen Augenblick etwas aus der Fassung zu geraten, aber als er sah, daß es nichts nützte, um den Busch herumzulaufen, antwortete er offen:
Bis Ihr nach Australien zurückkehrt, sagt er.
Wissen Sie nicht, sag ich, daß ich der Regierung Dienste erwiesen und einen Freibefehl erwirkt habe?
Er grinste mit seinem ganzen gemeinen Gesicht, als ich dies sagte.
Wir wissen alles Nötige von Euch, Maloney, sagt er. Wenn Ihr ruhig für Euch leben wollt, so geht dahin zurück, von wo Ihr kommet. Wenn Ihr hier bleibt, seid Ihr gezeichnet; und wenn Ihr gerne Reisen macht, so ist die Ueberfahrt nur ein Zeitvertreib für Euch. Freihandel ist eine schöne Sache, aber das Angebot von Leuten Eures Schlags ist bei uns zu groß, als daß wir noch Import davon nötig hätten!
Es schien mir, es sei etwas Wahres an dem, was er gesagt hatte, wenn er sich auch ziemlich unhöflich ausdrückte. Seit einigen Tagen hatte ich ein sonderbares Gefühl, wie von Heimweh. Die Wege der Leute waren nicht meine Wege. In den Straßen sahen sie sich nach mir um, und wenn ich in eine Bar trat, verstummte ihr Gespräch und sie äugten mich an, als sei ich ein wildes Tier. Ich hätte lieber ein anständiges Glas beim alten Stringybark getrunken, als einen Fingerhut von ihren rötlichen Likören. Dann ging es mir zu ordentlich her! Was nützte mir mein Geld, wenn ich es nicht ausgeben konnte, wie ich wollte, wenn ich mich nicht nach meinem Geschmack kleiden konnte? Die Leute hatten kein Verständnis dafür, daß einer, der etwas über den Durst getrunken, gerne ein wenig um sich feuert. In Nelson habe ich oft gesehen, wie sie einen mit weniger Geschrei umbrachten, als sie es hier verführten, wenn nur eine Fensterscheibe zerbrochen war. Die Geschichte war flau, und ich hatte sie satt.
Ihr wollt also, daß ich heimkehre? sag' ich.
Ich habe Befehl, Euch im Auge zu behalten, bis Ihr es tut, sagt er.
Gut, sag' ich, mir macht es nichts aus, zu gehen. Alles, was ich dafür von Euch verlange, ist, daß Ihr reinen Mund haltet und nicht ausplaudert, wer ich bin, daß ich wenigstens eine ruhige Ueberfahrt habe.
Er willigte ein, und so fuhren wir am Tage darauf nach Southampton. Ich nahm ein Billett nach Adelaide, wo mich jedenfalls niemand kennen würde; und so dampfte ich ab, von der Polizei bis an Bord geleitet. Dort habe ich seither gelebt und ein ruhiges Leben geführt, abgesehen von ein paar kleinen Schwierigkeiten, wie z. B. die, für die ich jetzt sitze, und abgesehen von diesem Teufel, dem tätowierten Tom von Hakesbury.
Ich weiß nicht, wie ich dazu kam, Ihnen all dies zu erzählen, Herr Doktor; ich denke, dieses einsame Leben bringt einen zum Schwatzen, wenn man Gelegenheit dazu hat. Indes, denken Sie an meine Warnung: erweisen Sie nie Ihrem Vaterlande einen Dienst, denn das wird Ihnen verflucht wenig Dank dafür wissen! Lassen Sie die Leute ihre Geschäfte selbst besorgen; und wenn sich Schwierigkeiten ergeben, um eine Rotte von Räubern hängen zu können, mischen Sie sich nie drein; überlassen Sie die Leute ruhig sich selbst, sie sollen selber sehen, wie sie es fertig bringen! Vielleicht denken sie einmal, wenn ich gestorben bin, daran, wie undankbar sie gegen mich gewesen sind; vielleicht reut es sie dann, daß sie mich so schlecht behandelt haben. Ich war grob, als Sie hereinkamen und fluchte ein wenig; kümmern Sie sich nicht darum, es ist eben meine Art. Sie werden indes zugeben, daß ich Grund habe, hin und wieder ein wenig gereizt zu sein, wenn ich an alles denke, was mir passiert ist. Sie wollen gehen, wirklich? Gut, wenn Sie müssen, dann müssen Sie eben! Aber ich hoffe. Sie werden hie und da nach mir sehen, wenn Sie Ihre Runde machen. O, ich glaube, – fällt mir gerade ein – Sie haben den Rest Ihres Kautabaks hier liegen lassen, nicht wahr? Nein, Sie haben ihn eingesteckt, dann ist ja alles in Ordnung! – Danke Ihnen, Herr Doktor, Sie haben einen guten Charakter und verstehen Andeutungen schneller, als irgend jemand, den ich bisher getroffen habe.
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Ein paar Monate nach dieser Unterredung hatte Wolf Tone Maloney seine Zeit abgesessen und wurde freigelassen. Lange Zeit sah und hörte ich nichts mehr von ihm; ich hatte ihn beinahe schon vergessen, als ich auf eine etwas traurige Weise wieder an ihn erinnert wurde. Ich hatte einen Patienten ein Stück landeinwärts besucht und ritt eben zurück, indem ich vorsichtig mein müdes Pferd durch den holprigen Pfad lenkte; ich konnte kaum noch in der Dunkelheit meinen Weg unterscheiden, als ich plötzlich in einer Lichtung ein kleines Wirtshaus erblickte. Ich stieg ab und führte mein Pferd am Zügel auf die Türe zu in der Absicht, mich zu versichern, daß ich auf dem rechten Wege war: da hörte ich in dem kleinen Hause eine heftige Auseinandersetzung; durch den allgemeinen Lärm tönten zwei mächtige Stimmen. Als ich horchte, war es einen Augenblick still, dann aber hörte ich fast zur gleichen Zeit zwei Revolverschüsse, die Türe flog krachend auf und im Mondlichte konnte ich zwei Gestalten unterscheiden, die herausstürzten: einen Augenblick rangen sie auf Leben und Tod und fielen dann zusammen auf den steinigen Weg. Mit Hilfe eines halben Dutzends von rohen Gesellen, die aus dem Wirtshause herauskamen, brachte ich die zwei Kämpfenden auseinander.
Ein Blick genügte, um mich zu überzeugen, daß einer von ihnen schon im Sterben lag. Es war ein starker Bursche mit entschlossenem Gesicht. In dickem Strom floß ihm das Blut aus einer tiefen Wunde am Halse heraus; zweifellos war eine wichtige Ader zerrissen worden. Da ich ihm nicht mehr helfen konnte, wandte ich mich zu seinem Gegner, der ebenfalls am Boden lag: er hatte einen Schuß durch die Lunge erhalten, aber es gelang ihm, sich auf die Hände zu stützen, als ich mich ihm näherte, und er starrte mir ängstlich ins Gesicht. Zu meinem Erstaunen erkannte ich die hageren Züge und den roten Bart meines alten Bekannten aus dem Gefängnis: Maloneys.
Ach, Herr Doktor! rief er, als er mich erkannte. Wie geht's ihm? Muß er sterben?
Er fragte in so ernstem Tone, daß ich annahm, er sei vor seinem Ende sanftmütiger geworden und fürchtete, er müsse mit einem weiteren Mord auf dem Gewissen sterben. Der Wahrheit zuliebe indes nickte ich traurig mit dem Haupt, um ihm nicht sagen zu müssen, daß seine Wunde tödlich war.
Da stieß Maloney ein wildes Triumphgeschrei aus, wobei ihm das Blut zwischen den Lippen hervorquoll. Hier, Jungens! flüsterte er dann mühsam, zu der kleinen Gruppe gewandt, die um ihn versammelt war: Hier in meiner Brusttasche ist Geld. Hol mich der Henker! Macht euch lustig 'mit! 's ist nichts Mittelmäßiges an mir! Ich würd' mit euch trinken, aber ich gehe drauf. Gebt dem Doktor mein Geld, denn er ist ein guter – Er kam nicht weiter: sein Kopf sank zurück, seine Augen wurden starr und die Seele Wolf Tone Maloneys, des Falschmünzers, Sträflings, Buschkleppers, Mörders und Staatsanklägers flog fort ins große Unbekannte.
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Ich möchte zum Schlusse doch noch den Bericht über den verhängnisvollen Streit wiedergeben, der im »West Australian Sentinel« in der Nummer vom 4. Oktober 1881 erschien:
Verhängnisvolle Schlägerei.
W. T. Maloney, ein wohlbekannter Bürger von New Montrose, Besitzer des »Yellow Boy-Spielsalon«, hat unter peinlichen Umständen den Tod gefunden. Herr Maloney hat ein bewegtes Leben hinter sich, dessen Geschichte ein großes Interesse bietet. Unsere Leser werden sich vielleicht noch an die Mordtaten im Lenatale erinnern, mit denen sein Name enge verknüpft ist. Man nimmt an, daß in den sieben Monaten, während welcher er dort eine Bar besaß, zwischen zwanzig und dreißig Reisende umgebracht und beiseite geschafft wurden. Es gelang ihm, der Polizei zu entgehen, und er vereinigte sich mit den Buschkleppern von Bluemansdyke, deren heroische Gefangennahme noch heute in aller Munde ist. Maloney zeugte gegen seine Mitgefangenen und wurde infolgedessen freigelassen. Später besuchte er Europa, kehrte jedoch bald nach Westaustralien zurück, wo er in lokalen Angelegenheiten eine hervorragende Rolle gespielt hat. Freitag abend traf er mit einem alten Feinde zusammen, namens Thomas Grimthorpe, besser bekannt als der »tätowierte Tom von Hakesbury«. Schüsse wurden gewechselt und beide Männer schwer verwundet; sie starben nach wenigen Minuten. Herr Maloney war ebensosehr dadurch berühmt, daß er der hervorragendste Mörder war, der je gelebt hat, als auch durch die Vollendetheit und Gewandtheit in seinen Zeugenaussagen, die fein ausgearbeitete Kunstwerke in ihrer Art waren, welche noch von keinem europäischen Verbrecher auch nur annähernd erreicht worden sind. Sic transit gloria mundi!
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