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Der Herzog von Tarent, oder Macdonald, wie seine alten Kameraden ihn nannten, befand sich augenscheinlich in der abscheulichsten Laune. Sein grimmiges Schottengesicht erinnerte stark an einen jener grotesken Türklopfer, welche man in der Vorstadt St. Antoine zu sehen bekommt. Wie wir später erfuhren, hatte der Kaiser scherzweise zu ihm gesagt, er würde ihn gern gegen Wellington geschickt haben, könnte ihm aber nicht quer über den Weg trauen. Wir beide, der Major Charpentier und ich, bemerkten gar wohl, wie ihn die innerliche Wut beinahe verzehrte.
»Der Brigadier Gerard von den Husaren?« fragte er mit der Miene eines Feldwebels, der seine Rekruten vor sich hat.
Ich salutierte.
»Der Major Charpentier von den Grenadieren?«
Mein Gefährte bejahte.
»Der Kaiser hat einen Auftrag für Euch!«
Ohne weitere Umstände öffnete er die Tür, um uns anzumelden.
Ich habe Napoleon wohl zehnmal häufiger zu Pferde als zu Fuß gesehen und meine, er tat wohl daran, sich seinen Truppen in dieser Weise zu präsentieren, denn im Sattel gab er eine sehr gute Figur ab. Wie wir ihn jetzt sahen, war er um eine gute Handbreit kleiner, als einer von uns sechs im Zimmer, und doch bin ich selbst kein sehr großer Mann, wenn auch immer noch ziemlich groß für einen Husaren. Dazu kam noch, daß sein Oberkörper zu lang für seine Beine war. Wer ihn mit den gekrümmten Schultern, dem großen Kopfe und glattrasierten Gesichte zum ersten Male sah, mochte wohl versucht sein, ihn eher für einen Professor an der Universität, als für den ersten Soldaten Frankreichs zu halten. Jedermann nach seinem Geschmacke, aber ich sollte meinen, es wäre eine große Verbesserung gewesen, wenn man ihm einen schönen, lichten Schnurrbart hätte anzaubern können, so ungefähr, wie mein eigener. Aber er besaß einen energischen Mund, und seine Augen waren wunderbar. Und – ich muß das am besten wissen – ich habe sie ein einziges Mal im Zorne auf mich gerichtet gesehen und habe Zeit meines Lebens genug daran gehabt, obgleich es kein leichtes Ding war, mir Furcht einzuflößen.
Er stand eben an der Wand und blickte auf eine große Landkarte, die dort aufgehängt war. Neben ihm befand sich Berthier und schaute klug darein; aber in dem Momente, da wir eintraten, entriß ihm Napoleon seinen Degen und deutete damit auf der Karte umher. Dabei sprach er in einem fort mit leiser, eindringlicher Stimme auf jenen ein, aber ich verstand doch die Worte: »Flußgebiet der Maas« und zweimal: »Berlin«. Sein Flügeladjutant wollte auf uns zuschreiten, aber der Kaiser wehrte ihn ab und winkte uns heran.
»Hat der Brigadier Gerard schon das Ehrenkreuz?« fragte er.
Ich verneinte und war eben im Begriffe, hinzuzufügen, daß nicht etwa Mangel an Würdigkeit in mir daran schuld sei, als er mir in seiner entschiedenen Weise das Wort abschnitt.
»Und Sie, Major?«
»So soll Ihnen beiden jetzt Gelegenheit dazu werden.«
Er führte uns an die große Landkarte und tippte mit Berthiers Degen auf Rheims. » Messieurs, ich will offen mit Ihnen reden, wie mit ein paar Kameraden. Sie sind doch beide seit Marengo bei mir gewesen?« Jenes bestrickende Lächeln, dessen er fähig sein konnte, überflog seine blassen Züge wie kalter Sonnenschein. »Heute der 14. März; hier Rheims und unser Hauptquartier. Sehr wohl! Hier, gute 25 Wegstunden entfernt, Paris. Blücher liegt im Süden, Schwarzenberg im Norden.« Der Degen spazierte mit auf und ab. »Je weiter diese Leute in Frankreich eindringen, desto vollständiger werden wir sie zermalmen. Sie rücken auf Paris zu? Nun gut: recht so! Mein Bruder, der König von Spanien, erwartet sie daselbst mit 100 000 Mann. Zu ihm will ich Sie schicken; Sie überbringen ihm diesen Brief, und zwar erhält jeder ein Exemplar davon. Er wird darin in Kenntnis gesetzt, daß ich nach zwei Tagen mit meiner ganzen Armee zu ihm stoßen werde: 48 Stunden Rast muß ich ihr gönnen, dann auf, nach Paris! Verstanden, Messieurs?«
Ah, was war aus mir geworden! Der Vertraute dieses großen Mannes! Ich kannte mich nicht vor Stolz. Und als er mir jetzt den Brief einhändigte, klirrte ich mit den Sporen, warf das Haupt zurück, lächelte und nickte zum Zeichen, daß ich mir über seine Pläne vollkommen klar war. Auch er lächelte und legte dabei seine Hand eine Sekunde lang auf meine Schulter. Hätte ich doch auf der Stelle die Hälfte meines rückständigen Soldes hingegeben, wenn meine Mutter mich jetzt hätte sehen können!
Er wendete sich wieder der Karte zu. »Nun will ich Ihnen Ihren Weg zeigen. Bis Bazoches reiten Sie zusammen. Dann trennen Sie sich. Der eine reitet über Oulchy und Neuilly nach Paris, der andere über Braine, Soissons und Senlis. Haben Sie etwas zu bemerken, Brigadier Gerard?«
Wenn ich auch ein rauher Kriegsmann bin, so schlummert doch in mir eine Fülle von Worten und Gedanken: bald war ich im schönsten Zuge, meinen glühenden Gefühlen für Frankreich Ausdruck zu geben, da fiel er mir abermals ins Wort: »Und Sie, Monsieur Charpentier?«
»Sire, steht es uns frei, eine andere Route zu wählen, falls sich die vorgeschriebene als gefährlich erweist?«
»Der Soldat wählt nicht, er gehorcht!«
Damit verabschiedete er uns und wendete sich Berthier zu. Ich verstand zwar nicht, was er zu ihm sagte, aber ich hörte ganz gut, wie beide lachten.
Natürlich machten wir uns sofort auf den Weg; der Dom meldete die Mittagsstunde, als wir Rheims den Rücken kehrten. Ich ritt meinen kleinen Schimmel Violetta, um den mich so mancher schon beneidet, weil er der schnellste Renner in den sechs Brigaden der leichten Kavallerie war. Charpentiers Gaul dagegen gehörte zu dem Schlage, wie man ihn eben bei Grenadieren und Kürassieren gewohnt ist; denken Sie sich dazu des Burschen plumpe Gestalt selbst, und Sie können sich eine Vorstellung von der Figur machen, die Roß und Reiter abgaben. Trotzdem warf der eingebildete Narr verliebte Blicke nach den Fenstern, aus denen die Mädchen mit Tüchern herabwinkten, und drehte seinen häßlichen, roten Schnurrbart, als ob die Aufmerksamkeit ihm gälte!
Als wir die Stadt hinter uns hatten, ging's durch das französische Lager und dann über das Schlachtfeld von gestern, wo so manche unserer braven Soldaten und auch Russen den Todesschlaf hielten. Und dennoch gewährte das Lager ein noch trüberes Bild. Unser Heer schmolz sichtlich zusammen. Mit der Garde stand's noch am besten, wenn sie auch zum größten Teil aus Neueingetretenen bestand. Auch gegen die Artillerie und gegen die schwere Reiterei ließ sich nichts sagen, als daß ihre Reihen eben gar so sehr gelichtet waren. Aber die Infanterie! Wie Schuljungen mit ihren Lehrern kamen mir die Leute vor, und Reserven gab's gar nicht! Ja, der Gedanke an die 80 000 Preußen im Norden und die 150 000 Oesterreicher und Russen im Süden mochte wohl den tapfersten Mann ernst stimmen, und ich will's Ihnen nur gestehen, liebe Freunde, auch mir rannen die Tränen über die Wangen herab. Nur der Gedanke, daß ja unser Kaiser noch bei uns war, der diesen Morgen erst die Hand auf meine Schulter gelegt und mir die große Ehrenmedaille versprochen, vermochte sie zu trocknen. Nun begann ich zu singen und spornte Violetta an, daß Charpentier mich bitten mußte, doch mit seinem dicken, schnaufenden und keuchenden Kamel Mitleid zu haben. Und wenn ich mir den aufgeweichten Weg betrachtete, in welchem die Räder der Kanonen fußtiefe Gleise hinterlassen hatten, da mußte ich ihm ja auch recht geben, daß hier kein passender Platz für einen Galopp war.
Charpentier war mir nie sympathisch gewesen, und auch sein jetziges Benehmen war nicht imstande, mich zu einer besseren Meinung von ihm zu bekehren. Der finstere Geselle saß schweigend auf seinem Gaul, runzelte die Stirne und ließ den Kopf gedankenschwer auf die Brust sinken. Ich fragte mehr als einmal, was ihn denn so sehr beschäftige, erhielt aber stets zur Antwort, es sei diese Mission, die ihm zu denken gäbe. Das überraschte mich. Zwar hatte ich nie viel von seinen geistigen Fähigkeiten gehalten, aber es kam mir doch ganz unglaublich vor, daß jemand versuchen könnte, an einem so klar gegebenen Auftrag zu deuteln.
Endlich gelangten wir nach Bazoches, wo wir uns trennen sollten. Beim Abschied blickte er mich mit einem seltsam fragenden Blicke an.
»Was ist Ihre Meinung, Kamerad Gerard?«
»Ueber unseren Auftrag.«
»Nun, ich dächte, der wäre doch einfach genug!«
»Meinen Sie? Warum sollte uns der Kaiser in seine Pläne einweihen?«
»Weil er unsere Fähigkeiten zu schätzen weiß.«
Das sonderbare Lachen des Burschen verdroß mich.
»Was denken Sie wohl zu tun, wenn Sie die Dörfer von Preußen besetzt finden?«
»Ordre parieren!«
»Aber 's wird Ihnen ans Leben gehen!«
»Leicht möglich!«
Jetzt beleidigte mich sein Lachen dergestalt, daß ich nach meinem Säbel fuhr. Bevor ich ihm jedoch meine Ansicht von seiner Dummheit und Ungezogenheit klar machen konnte, war er abgeschwenkt und trabte schwerfällig die Straße entlang. Ich blickte ihm nach, bis seine Pelzmütze hinter dem Hügel verschwunden war und setzte dann, immer noch betroffen über sein Gebaren, meinen Weg fort. Von Zeit zu Zeit glitt meine Hand in die Brusttasche meiner Uniform und strich mit stolzer Freude über das knisternde Papier. Ah, das kostbare Dokument sollte sich bald in jene hübsche, kleine Medaille verwandeln, nach welcher ich mich schon so lange gesehnt. Was wohl meine Mutter dazu sagen würde?
Knapp vor Soissons hielt ich an, um Violetta in einem Wirtshause am Wege ihr Futter zu geben. Das Gebäude verschwand förmlich zwischen alten Eichen, in denen so viele Krähen nisteten, daß man kaum sein eigenes Wort hören konnte. Der Wirt teilte mir mit, daß Marmont sich vor zwei Tagen hatte zurückziehen müssen, und daß die Preußen bereits den Fluß Aisne überschritten hatten. Und wirklich bemerkte ich bald darauf im Lichte der Dämmerung zwei ihrer Vorposten auf dem Hügel zu meiner Rechten, und als die Nacht einbrach, da flammten am Himmel, nach Norden zu, ihre Lagerfeuer auf.
Die Kunde, daß Blücher schon seit zwei Tagen in der Gegend lag, veranlaßte mich allerdings, mir die Frage vorzulegen, ob es denn dem Kaiser wirklich unbekannt gewesen sei, daß der Feind die Ortschaften, durch welche er uns schickte, besetzt hielt. Doch da hörte ich wieder deutlich die Stimme: »Der Soldat wählt nicht, er gehorcht!« – und nun ließ ich alle Bedenken fallen – die vorgeschriebene Route wurde eingehalten, so lange Violetta noch einen Huf, ich noch einen Finger an ihrem Zügel rühren konnte. Zwischen Sermoise und Soissons, wo sich der Weg zwischen Tannenwäldern hinschlängelt und immer hebt und senkt, war ich beständig auf meiner Hut, hatte Pistole und Säbel stets zur Hand, und ritt nur da rasch vorwärts, wo der Pfad offen vor mir lag, während ich die Windungen, wie wir es in Spanien gelernt hatten, nur äußerst vorsichtig und langsam nahm.
Am Meierhof angelangt, der unweit des Muttergottesbildes rechts am Wege liegt, wurde ich von einer Frau, die auf dem Felde arbeitete, angerufen. »Die Preußen sind in Soissons!« schrie sie. »Ein kleiner Trupp ist schon am Nachmittag eingerückt, und heute nacht werden noch viel mehr erwartet!« Ehe sie noch ihre Mitteilung beendet hatte, drückte ich Violetta die Sporen in die Weichen und hatte fünf Minuten später Soissons erreicht.
In der Hauptstraße standen drei Ulanen; sie hatten ihre Pferde angebunden und plauderten, während sie aus Pfeifen rauchten, die wohl ebenso lang waren, wie mein Säbel. Ich sah sie ganz deutlich in einer Türöffnung stehen, durch die vom Hausflur das Licht einer Laterne fiel; sie hingegen konnten höchstens Violettas Flanke und meinen wehenden Mantel bemerken. Einen Augenblick später jagte ich durch einen ganzen Haufen derselben, die aus einem Torweg herausstürzten. Mein Pferd warf einen davon zu Boden, während ich nach einem zweiten stach, ohne ihn jedoch zu treffen. Piff, paff, knallten zwei Pistolen hinter mir her, aber ich war schon um die Straßenecke geflogen, ehe auch nur das Pfeifen der Kugeln mein Ohr erreichte. Ja, Violetta und ich, wir waren großartig! Wie ein gehetztes Wild stürmte sie entlang, ihre Hufe berührten kaum den Boden. Ich stand in den Steigbügeln und schwang meinen Säbel. Jetzt streckte sich ein Arm vor, um mir in die Zügel zu fallen – ich trennte ihn mit einem Streiche vom Rumpfe, und laut heulte der Mann hinter mir auf.
Zwei Reiter versperrten mir den Weg; ich hieb den einen nieder und entkam dem anderen. Noch eine Minute, dann lag mir die Stadt im Rücken, und ich sprengte auf einer breiten, weißen, mit Pappeln bepflanzten Chaussee dahin. Eine Weile hörte ich noch Pferdehufe hinter mir, aber der Lärm wurde schwächer und schwächer, bis ich ihn endlich nicht mehr vom Pochen meines eigenen Herzens unterscheiden konnte. Nun hielt ich an, um zu lauschen, aber nichts regte sich: sie hatten meine Verfolgung aufgegeben.
Nun hatte ich nichts Eiligeres zu tun, als abzusteigen und mein braves Roß in ein kleines Gehölz zu führen, durch welches ein Wässerchen floß. Da tränkte ich es, rieb es ab und reichte ihm zwei Stückchen Zucker, die ich zuvor in etwas Kognak aus meiner Feldflasche getaucht hatte. Natürlich war das arme Tier von dem scharfen Ritt ganz erschöpft, aber nach einer halben Stunde Rast hatte es sich wunderbar erholt, und ich sagte mir, daß es jedenfalls nicht an meinem Pferd liegen würde, wenn ich Paris nicht glücklich erreichte.
Ich mußte jetzt rings von Feinden umgeben sein, denn aus einem Hause am Wege erscholl der laute Gesang eines deutschen Trinkliedes, und um unbemerkt zu bleiben, mußte ich quer über das Feld reiten. Kaum war ich diesen Leuten entronnen, so traten plötzlich zwei Männer aus dem Gebüsch heraus in das helle Mondlicht und riefen mir etwas auf Deutsch zu: aber ich galoppierte dahin, ohne auf sie zu achten, und da ihre Husaren dieselbe Uniform trugen, wie wir, wagten sie auch nicht, auf mich zu schießen.
Es war eine liebliche Nacht; der Mond stand voll am Himmel und erleuchtete die Landschaft fast tageshell. Tiefer Friede lag über der Gegend, aber nach Norden zu wütete irgendwo ein großes Feuer und erfüllte mich unwillkürlich mit ernsten Gedanken. Drohten mir doch Gefahren von allen Seiten, war ich doch keine Minute meines Lebens sicher! Aber ich bin von Natur kein Kopfhänger und hatte schon so mancherlei gesehen, so daß ich bald wieder Mut faßte. Ja, ich summte ein Liedchen vor mich hin und dachte an die kleine, niedliche Lisette, die ich in Paris aufsuchen wollte. Meine Gedanken eilten voraus nach Paris, als ich plötzlich bei einer Biegung mich einem halben Dutzend deutscher Dragoner gegenüber fand, welche sich um ein Feuer geschart hatten.
Ich bin ein vortrefflicher Soldat. Nicht etwa, daß ich von mir selbst eingenommen wäre, aber es ist nun einmal Tatsache. Klug und umsichtig, wie ich bin, fasse ich mit Blitzesschnelle alle Möglichkeiten ins Auge und treffe meine Entschließungen stets so glücklich, als ob ich wochenlang darüber gebrütet hätte. Jetzt wußte ich ganz gewiß, daß ich verfolgt werden würde, ich, mit Violetta unter mir, die immerhin schon einen derben Ritt gemacht! Dann mochten sie mich aber wenigstens vorwärts treiben und nicht zurück, so daß ich meinem Ziele näher rückte.
Also mutig drauf los! Kaum hatte ich die bärtigen Gesichter unter ihren Helmen erschaut, so gab ich meinem Pferde die Sporen, und nun ging's wie der Sturmwind dahin. Da hätten Sie aber den Spektakel hinter mir hören sollen! Drei der Kerle schossen ihre Karabiner auf mich ab, und drei schwangen sich auf ihre Pferde. Eine der Kugeln schlug auf meinem Sattel auf, als ob man mit einem Stock an eine Türe gedonnert hätte; Violetta jagte wie besessen dahin, so daß ich fürchtete, sie sei verwundet worden, aber glücklicherweise war es nur ein leichter Riß am linken Vorderfuß. Und meine liebe, kleine Mähre erholte sich auch bald von ihrem Schrecken und verfiel wieder in ihren leichten gestreckten Galopp, wobei ihre Hufe wie die Kastagnetten einer spanischen Tänzerin klapperten. Da konnte ich mich vor Freude nicht mehr lassen, ich drehte mich im Sattel um und schrie: » Vive l'Empereur!« und die Flut von Verwünschungen, die als Antwort zurückschallte, entlockte mir nur neuen Jubel.
Aber ich war noch nicht außer aller Gefahr. Denn einer der Soldaten, ein blutjunger Offizier, war besser beritten, als seine Kameraden und kam mir mit jeder Sekunde näher. Die anderen zwei Reiter waren wohl vierhundert Schritte gegen ihn zurück, und der Abstand schien sich noch immer zu vergrößern.
Der Offizier ritt eine prächtige Falbe, mit Violetta zwar nicht zu vergleichen, aber ein kräftiges Tier und offenbar noch ganz frisch. Nachdem er den übrigen ein tüchtiges Stück voraus war, verlangsamte ich meinen Schritt ein ganz klein wenig, so daß er denken konnte, er habe gewonnenes Spiel. Jetzt war er innerhalb Schußweite von mir gekommen, ich legte auf ihn an und beobachtete nun, was er wohl tun würde. Er machte keine Miene zu schießen, und bald bemerkte ich auch die Ursache: der junge Mann hatte die Pistolen aus der Halfter genommen, als er sein Nachtquartier bezogen, und mußte sich nun begnügen, seinen Säbel unter kräftigen Verwünschungen drohend gegen mich zu schwingen. Dabei kam es ihm noch gar nicht einmal in den Sinn, daß er nun gänzlich in meiner Hand war, sondern er ritt ganz nahe an mich heran und rief: Rendez-vous!
»Alle Achtung vor Ihrem Französisch!« sagte ich und zielte nach seinem Gesichte. Nun merkte er doch, wie die Dinge lagen, denn ich sah im Scheine des Mondlichtes, wie seine Züge kreideweiß wurden. Schon berührte mein Finger den Drücker, da fiel mir seine Mutter ein, und ich jagte meine Kugel durch die Schulter seines Pferdes. Ein furchtbarer Fall, der mich befürchten ließ, das Kerlchen möchte sich schwer verletzt haben – aber ich mußte an meinen Brief denken und sprengte davon.
Bald sollte ich gewahr werden, daß jene Bande sich nicht so leicht abschütteln ließ. Die beiden Soldaten bekümmerten sich um ihren Offizier nicht mehr, als um einen Rekruten, der in der Reitschule vom Pferde gefallen ist, sondern überließen ihn ruhig seinem Schicksal, um mir nachzujagen. Eben gedachte ich, am Fuße eines Hügels ein wenig zu verschnaufen, da waren sie mir auch schon auf den Fersen. Nun galt es, nicht zu zaudern: in voller Karriere ging's weiter; meine Mähre warf den Kopf empor, und ich den Tschako, um zu zeigen, wie gering wir über ein paar Dragoner dachten, die hinter uns her waren. Aber das Lachen wollte mir vergehen, und das Herz drohte mir stillzustehen, denn vor mir, auf der weißen Landstraße, hielt eine ganze Abteilung Reiterei und wartete auf mich. Ein junger Soldat hätte sie vielleicht für eine Gruppe Bäume halten können, mich aber täuschte so etwas nicht.
Dragoner im Rücken, Husaren vor mir! Ja, fürwahr, der Tod schien auf allen Seiten meiner zu warten. Seit den Tagen von Moskau war ich in solcher Lage nicht gewesen. Nun, wenn ich die Wahl hatte, wollte ich doch lieber von einem Husaren als von einem Dragoner niedergehauen werden! Ich besann mich also keinen Moment und ließ Violetta unbehindert vorwärts schießen. Ich erinnere mich noch recht gut, daß ich ein Stoßgebet zum Himmel schicken wollte, aber da ich in dergleichen Dingen ein wenig aus der Uebung war, fielen mir nur die Worte ein, mit welchen wir am Vorabend unserer Ferien um gut Wetter zu bitten pflegten. »Besser das, als gar nichts,« dachte ich und war eben dabei, diese Fürbitte herzuplappern, als plötzlich knapp vor mir französische Laute an mein Ohr drangen. Ach, guter Gott, wie schlug mir da das Herz vor Freude! Erkannte ich doch meine lieben Kameraden von Marmonts Korps! Im Nu machten meine beiden Dragoner kehrt und galoppierten davon, als ob's das Leben gälte, während ich ganz gemächlich zu meinen Freunden trabte. Mochten sie sehen, daß der Husar zwar in die Lage kommen kann, fliehen zu müssen, daß er den Rückzug jedoch nur langsam betreibt. Hoffentlich hat Violettas Zustand meine gleichgültige Miene nicht Lügen gestraft!
Wen aber sollte ich an der Spitze der Schar erblicken? Ei, den alten Bouvet, dem ich bei Leipzig das Leben gerettet hatte! Seine kleinen, roten Augen füllten sich bei meinem Anblick mit Tränen, und seine Freude rührte mich wiederum gewaltig. Natürlich setzte ich ihn sogleich von dem Zwecke meiner Reise in Kenntnis, aber er lachte über meine Absicht, durch Senlis zu reiten.
»Geht nicht,« meinte er, »ist vom Feind besetzt.«
»Desto besser!« antwortete ich.
»Aber warum nicht direkt nach Paris reiten; wozu einen Ort berühren, wo Sie sicher sind, getötet oder wenigstens gefangen genommen zu werden?«
»Der Soldat wählt nicht, er gehorcht!« sagte ich genau so, wie ich es von Napoleon gehört hatte.
Da fing der alte Bouvet zu lachen an und lachte, bis ich endlich meinen Schnurrbart zu bearbeiten begann und ihm einen Blick zuwarf, der ihn sogleich zur Räson brachte.
»Nun, dann kommen Sie wenigstens mit uns, Senlis ist ebenfalls unser Ziel – wir wollen den Ort rekognoszieren; eine Schwadron von Poniatowskys polnischen Ulanen ist uns schon voraus.«
So machten wir uns denn zusammen auf den Weg durch die stille Nacht und stießen auch bald auf die Polen – lauter schöne, alte Soldaten, wenn auch ein wenig zu schwer für ihre Pferde. Ich konnte mich an den stattlichen Gestalten kaum satt sehen, und wie stramm sie sich hielten! Am frühen Morgen sahen wir die Lichter von Senlis und erfuhren von einem Bauern, der mit einem Lastwagen des Wegs kam, wie es drin aussah.
Wir durften seinen Mitteilungen Glauben schenken, denn sein Bruder, mit dem er am Abend zuvor noch gesprochen hatte, war Kutscher bei dem Maire des Ortes. Eine ganze Division preußischer Infanterie lag in dem Wäldchen gegen Norden zu, und nur eine einzige Schwadron Kosaken – ein Pulk, wie es in ihrer gräßlichen Sprache genannt wird – war in dem Hause des Maire einquartiert. Dieses stand an der Ecke des Marktes und war das größte Gebäude des Ortes. Ah, da hatten wir ja die schönste Gelegenheit, uns an diesen Barbaren zu rächen, die unseren armen Landsleuten so übel mitgespielt hatten!
Wie ein Wirbelsturm fegten wir in das Städtchen hinein, stießen die Vorposten nieder, ritten über die Wachen hinweg und zertrümmerten die Türen des bürgermeisterlichen Hauses, ehe die Wüteriche nur die geringste Ahnung von uns hatten. Was für scheußliche Köpfe erschienen da am Fenster! Köpfe mit Bärten bis in die Schläfen hinauf, verwirrtem Haar, Mützen aus Schafpelz und dummen, offenen Mäulern. »Hurrah!« schrien sie und schossen auf uns herunter; aber unsere Burschen flogen die Treppen hinan und packten sie an den Kehlen, ehe sie Zeit gehabt, sich den Schlaf aus den Augen zu wischen. Es war ganz schrecklich anzusehen, wie die Polen sich, gleich hungrigen Wölfen über eine Herde feister Hammel, über sie herstürzten. Die meisten wurden in den oberen Räumen getötet, wo sie Schutz gesucht hatten, und das Blut tropfte wie Regen durch die Decke herunter. Ja, diese Polen geben furchtbare Soldaten ab, wenn sie auch, meiner Meinung nach, ein wenig zu schwer für ihre Pferde sind. Ich glaube nicht, daß sie an Größe Kellermanns Kürassieren nachstehen: aber natürlich ist ihre Ausrüstung bedeutend leichter, da sie weder Küraß noch Helm haben.
Jetzt komme ich freilich zu einem Punkte, wo ich einen Fehler, ja, einen sehr großen Fehler gemacht habe. Bisher hatte ich meine Mission in einer Weise ausgeführt, die ich als wunderbar bezeichnen möchte, wenn meine Bescheidenheit nicht wäre, während ich mich jetzt zu einem Schritte verleiten ließ, den ein Vorgesetzter streng rügen, ein Soldat aber gewiß entschuldigen würde.
Allerdings, das Pferd unter mir war erschöpft; was hinderte mich aber, Senlis den Rücken zu kehren und das freie Feld aufzusuchen, wo ich außer aller Gefahr war? Aber es ist doch für einen Husaren gar zu schwer, an einem hübschen Gefecht vorbeizureiten, ohne daran teilzunehmen, und überdies hoffte ich, ein paar Stunden der Rast würden Violetta so erfrischen, daß sie ihr Ziel dann um so schneller erreichte. Den Ausschlag aber gaben jene Köpfe oben an den Fenstern, mit ihren ungeheuren Pelzmützen und dem wüsten Geschrei. Da ging's nicht mehr; ich sprang aus dem Sattel, schlang den Zügel um einen Pfahl und stürmte mit den übrigen ins Haus. Leider kam ich zu spät, um etwas nützen zu können und war überdies in großer Gefahr, durch die Lanze eines dieser Barbaren verwundet zu werden – aber es ist doch immerhin schade, eine Gelegenheit zum Avancement vorübergehen zu lassen. Und ich versichere Ihnen, derartige kleine Scharmützel sind dem strebsamen Soldaten häufig weit günstiger als die größten Schlachten.
Nachdem sich der Lärm gelegt hatte, trug ich meinem Pferde einen Eimer Wasser hinaus, und der freundliche Kutscher verriet mir auch, wo sein Herr das Futter aufbewahrte. Ah, wie das meinem Liebling schmeckte! Nun rieb ich das Tier noch ab und ging dann wieder in das Haus hinein, um mich selbst ein wenig zu stärken, damit ich vor Paris nicht wieder anzuhalten brauchte.
Und nun komme ich zu einem Abschnitt in meiner Geschichte, der Ihnen vielleicht ein wenig seltsam vorkommt, aber glauben Sie mir, Messieurs, ich könnte Ihnen wohl ein Dutzend Dinge aus meinem Leben erzählen, die mindestens ebenso seltsam sind. Ist es denn nicht nur zu natürlich, daß ein Mann, der Zeit seines Lebens auf dem blutgetränkten Felde zwischen zwei großen Armeen auf Posten gestanden und umherpatrouillierend Umschau gehalten, reichlich Gelegenheit zu seltsamen Abenteuern gefunden hat? So hören Sie denn zu, liebe Freunde, und seien Sie versichert, daß ich mich in dem Folgenden streng an die Tatsachen halte.
Der alte Bouvet wartete schon auf mich und fragte, ob wir nicht zusammen einer Flasche den Hals brechen wollten. »Aber, mon dieu,« fügte er hinzu, »lange darf's nicht dauern, im Walde drüben liegen 10 000 Preußen.«
»Wo ist der Wein?« forschte ich.
»Nun, den werden ein paar Husaren bald genug gefunden haben,« meinte er, ergriff ein Licht und stieg, von mir gefolgt, die Steintreppe zur Küche hinab. Hier erblickten wir eine Türe, hinter welcher eine Wendeltreppe sichtbar wurde, durch die man in den Weinkeller gelangte. Wie wir aus den umherliegenden, zerbrochenen Flaschen bemerkten, waren die Kosaken uns hier bereits zuvorgekommen, aber der Maire war einer, der da wußte, was gut schmeckte, und man konnte sich nichts Besseres wünschen, als was wir hier fanden. Was lag da nicht alles beisammen! Alicante, Chambertin, weißer Wein und roter, moussierender und stiller – ganze Pyramiden von Flaschen dieses edlen Getränkes schauten uns aus ihrem Lager von Sägespänen neckisch an. Der alte Bouvet spionierte mit seinem Licht in allen Ecken umher und schnurrte dazu, wie die Katze vor dem Milcheimer. Eben hatte er sich zu Gunsten einer Flasche Burgunder entschieden und streckte schon schmunzelnd die Hand darnach aus, als plötzlich die Decke über unseren Häuptern von Flintenschüssen erdröhnte, in die sich so entsetzliches Geheul und Gekreisch mischte, wie ich es in meinem ganzen Leben nicht vernommen. Die Preußen waren hinter uns her!
Bouvet war ein tapferer Mann, das muß ihm die Gerechtigkeit lassen. Seinen Säbel schwingen und rasselnd die Treppe hinaufstürmen war das Werk eines Augenblickes. Ich folgte ihm nach; aber als wir in die Küche gelangten, lehrte uns lauter Jubelruf der Preußen, daß das Haus sich abermals in Feindeshand befand.
Da packte ich Bouvets Aermel und rief: »Wir sind verloren!«
»Was schert mich das?« schrie er und sprang wie von Sinnen die Treppe hinan. Und in der Tat, ich wäre ebenso bereit gewesen, in den Tod zu gehen, wie er, wenn ich an seiner Stelle gewesen wäre; warum hatte er keinen Posten ausgestellt, um sich warnen zu lassen, wenn die Deutschen nahten? Einen Moment schwankte ich, ob ich mit ihm gehen sollte, aber glücklicherweise bedachte ich mich noch – fiel ich in Feindeshand, so war des Kaisers Brief verloren! Nein, Bouvet mußte allein in den Tod gehen: ich stieg wieder in den Keller hinab und schloß die Türe hinter mir zu.
Nun, hier bot sich mir auch keine sehr verlockende Aussicht dar. Bouvet hatte im ersten Schrecken das Licht fallen lassen, und ich tappte nun im Finsteren umher und stieß auf nichts als zerbrochene Flaschen. Endlich fand ich das Licht, aber unmöglich, es anzuzünden: der Docht war naß geworden, und erst nachdem ich mit meinem Säbel ein Stückchen davon entfernt hatte, waren meine Bemühungen von Erfolg begleitet. Doch, was nun? Die Kerle oben, dem Lärm nach wohl hundert an der Zahl, brüllten sich ganz heiser; wie lange würde es dauern, so kamen sie herunter, um die Kehle anzufeuchten! Dann aber – adieu, braver Soldat, Mission und Medaille! Die Bilder meiner Mutter und des Kaisers stiegen vor mir auf, und ich weinte bei dem Gedanken, daß die eine einen so wackeren Sohn, der andere den besten Husarenoffizier, den er seit Lasalle gehabt, verlieren sollte! Doch fort mit den Tränen! »Mut!« rief ich, mir an die Brust schlagend, »Mut, mein tapferer Junge! Hältst du es denn wirklich für möglich, daß einer, der aus Moskau zurückgekehrt ist, ohne auch nur eine Frostbeule davongetragen zu haben, in einem Weinkeller umkommen kann?« Und da stand ich auch schon auf den Füßen und umfaßte meinen Brief in der Tasche, denn sein Knistern flößte mir neuen Mut ein.
Mein erster Gedanke war, das Haus anzubrennen und in der Verwirrung zu entwischen, mein zweiter – in ein leeres Faß zu kriechen. Eben sah ich mich nach einem solchen um, als ich plötzlich in der Ecke eine kleine, niedrige Türe entdeckte, die genau dieselbe Farbe wie die Mauer hatte, so daß nur ein sehr scharfes Auge sie bemerken konnte. Ich wollte sie aufstoßen, fand aber Widerstand, so daß ich sie verschlossen glaubte: endlich aber gab sie doch ein wenig nach, und nun wurde mir klar, daß ein Gegenstand von der anderen Seite her auf sie drückte. Da stemmte ich meinen Fuß an ein großes Weinfaß und drückte so kräftig gegen die Tür, daß sie aufflog, ich aber gleichzeitig auf den Rücken fiel. Das Licht entglitt meiner Hand, es erlosch, und ich war abermals im Finsteren.
Ich erhob mich und spähte in den Raum. Das Licht des anbrechenden Morgens drang durch irgend eine Oeffnung und zeigte mir die Rundung von einigen Fässern. Aha, der Reservekeller des Herrn Maire, wo er diejenigen Weine aufbewahrte, die ihrer Reife entgegengingen! Nun, hier bot sich mir jedenfalls ein besseres Versteck als im ersten Keller, und ich war eben im Begriffe, die Türe zu schließen, als ich etwas sah, was mich mit Staunen, ja, ich möchte fast sagen, mit einem ganz kleinen Anflug von Bangigkeit erfüllte.
Während ich mein Auge so durch das Gewölbe schweifen ließ, bemerkte ich nämlich einen großen, starken Mann, welcher sich einen Augenblick im hereinfallenden Lichtschimmer zeigte, um dann in der Dämmerung wieder zu verschwinden. Auf mein Wort, ich fuhr derartig zusammen, daß der Kinnriemen an meinem Tschako beinahe geplatzt wäre. Hatte mir der kurze Moment doch genügt, um zu sehen, daß ich es mit einem langbeinigen, breitschulterigen Kerl in einer Kosakenmütze und mit einem Säbel bewaffnet, zu tun hatte! Bei meiner Ehre, selbst Etienne Gerard fühlte einen leichten Anfall von Schwindel bei dem Gedanken, mit so einem Burschen allein zu sein.
Aber ich versichere Ihnen, mes amis, das dauerte nur einen Moment; dann sprach ich zu mir selbst: »Mut! Bist doch ein Husar, ein Brigadier, ja, der erwählte Bote des Kaisers!« Im rechten Lichte besehen, hatte doch der Schleicher dort viel mehr Grund, sich zu fürchten, als ich; ja, ja, jetzt hatte ich's: der Kerl fürchtete sich in der Tat, fürchtete sich entsetzlich! Warum denn sonst jene eiligen Schritte und die gekrümmten Schultern, als er wie eine Ratte, die ihr Loch sucht, zwischen den Fässern umherfuhr? Der war's auch gewesen, der sich vorhin gegen die Türe gestemmt, und nicht irgend ein Faß oder eine Kiste. So, so, da war ich also der Verfolger, und er der Verfolgte! Oh, dieser Räuber des Nordens sollte sehen, wen er vor sich hatte; fühlte ich doch schon, wie sich mir der Schnurrbart sträubte, als ich ihm in der Dunkelheit nachging. Ja, mes amis, bei derartigen Gelegenheiten stelle ich meinen Mann!
Anfangs hatte ich kein Licht gemacht, weil ich mich nicht verraten wollte; nachdem ich mich aber tüchtig an das Schienbein gestoßen und mit den Sporen in ein Stück Leinwand verwickelt hatte, mußte ich mich endlich dazu entschließen und schritt nun, Säbel und Kerze in den Händen, tapfer vorwärts. »Heran, Schurke! Du kannst mir nicht entgehen; die Strafe für deine Missetaten erwartet dich!«
Mit diesen drohenden Worten hielt ich das Licht hoch empor und gewahrte nun den Mann, der mich über ein Faß hinweg anblickte. Es wurde mir sofort klar, daß ich einen Offizier, und zwar einen gebildeten Offizier vor mir hatte, und das goldene Abzeichen an seiner Mütze bestätigte meine Vermutung.
»Monsieur,« rief er in tadellosem Französisch, »ich ergebe mich Ihnen unter der Bedingung, daß Sie Pardon geben; wo nicht, so werde ich mein Leben so teuer wie möglich verkaufen!«
»Monsieur, ein Franzose weiß, was er einem unglücklichen Feinde schuldig ist, fürchtet nichts!«
Nun reichte er mir seinen Degen über das Faß hinweg, und ich verbeugte mich, das Licht an die Brust drückend.
»Wen habe ich die Ehre zu meinem Gefangenen zu machen?«
»Graf Budkin, Offizier der Don-Kosaken des Kaisers. Bin mit meinen Leuten ausgerückt, um Senlis zu rekognoszieren, und da wir keine Spur von Franzosen hier bemerkten, beschlossen wir, die Nacht über hier zu bleiben.«
»Wenn es nicht indiskret ist, möchte ich mir die Frage gestatten, wozu Sie in diesen Keller gekommen sind?«
»Auf die einfachste Weise,« antwortete er. »Wir gedachten, mit dem Frühesten wieder aufzubrechen, und da mich nach dem Ankleiden etwas fröstelte, stieg ich hier herunter, um nach einem guten Trunk auszuschauen. Während ich noch so umherstöberte, wurde das Haus plötzlich so schnell erstürmt, daß alles schon vorüber war, als ich oben an der Treppe anlangte. Was blieb mir nun noch übrig, als mein eigenes Leben zu retten? Und so kehrte ich denn wieder zurück und verbarg mich hier, wo Sie mich entdeckt haben.«
Da fiel mir der alte Bouvet ein: wie hatte der doch so ganz anders unter den gleichen Umständen gehandelt! Ja, Tränen der Freude über die Treue der Verteidiger Frankreichs traten mir in die Augen.
Was aber nun mit meinem Gefangenen beginnen? Offenbar war ihm unbekannt geblieben, daß das Haus sich abermals in den Händen seiner Verbündeten befand: ein Glück für mich, denn sonst wäre ich der Gefangene, er der Sieger gewesen. Was war nun das Beste? Anfangs wollte mir gar nichts einfallen, bis ich endlich eine brillante Idee hatte, die mich heute noch mit Bewunderung erfüllt.
»Graf Budkin,« sagte ich zu ihm, »Sie sehen mich in einer sehr schwierigen Lage!«
»Und die wäre?«
»Ich habe versprochen, Ihnen das Leben zu lassen.«
»Sie wollen doch Ihr Versprechen nicht zurücknehmen?« rief er, und sein Gesicht zog sich merklich in die Länge.
»Lieber über Ihrer Verteidigung selbst zu Grunde gehen! Aber das macht meine Schwierigkeit nicht weniger gering.«
»So sprechen Sie!«
»Nun denn, ich will ganz offen mit Ihnen sein. Unsere Soldaten, besonders aber die Polen, sind so eingenommen gegen die Kosaken, daß der bloße Anblick ihrer Uniform genügt, um sie auf das äußerste zu erbittern. Niemand, auch nicht ihre eigenen Offiziere, können sie hindern, sich über einen jener Unglücklichen herzustürzen und ihm Glied für Glied vom Leibe zu reißen.«
Der Russe erbleichte. »Das ist entsetzlich!« rief er aus.
»Furchtbar!« stimmte ich bei. »Wenn ich mich jetzt mit Ihnen sehen ließe, könnte ich nicht für Ihre Sicherheit stehen.«
»Oh, raten Sie mir, was ich tun soll! Meinen Sie nicht, es sei am besten, ich bleibe hier unten?«
»Das wäre das Schlimmste!«
»Warum?«
»Weil unsere Leute nicht zögern werden, das Haus von oben bis unten zu durchsuchen und Sie bestimmt in Stücke zu reißen. Nein, nein, es ist wohl am besten, ich gehe hinauf und bereite sie vor, wenn ich auch nicht sagen kann, was sie anheben werden, sobald sie diese verhaßte Uniform erblicken.«
»Wenn ich sie nun ablegte?«
»Vortrefflich!« rief ich, »da hätten wir's ja! Sie ziehen Ihre Uniform aus und legen die meinige an, so wird kein Franzose Hand an Sie legen.«
»Die Franzosen fürchte ich weniger als die Polen.«
»Nun, meine Uniform wird Ihnen ein Schutz gegen beide sein.«
»Wie kann ich Ihnen genug danken?« rief er erfreut aus. »Aber Sie, was werden denn Sie tragen?«
»Sie wollten der Gefahr Trotz bieten, Ihrem Edelmut zum Opfer zu fallen?«
»Es ist meine Pflicht, und Furcht kenne ich nicht,« antwortete ich fest. »Mit Ihrer Uniform angetan, steige ich hinauf. Hundert Säbelspitzen richten sich gegen mich. ›Halt!‹ rufe ich, ›ich bin der Brigadier Gerard!‹ Sie betrachten mich, sie erkennen mich, und nun werde ich ihnen Mitteilung über Sie machen. Und dieses mein Gewand wird der Schild sein, hinter welchem Sie geborgen sind.«
Mit vor Ungeduld zitternden Fingern riß er seinen Waffenrock ab. Stiefel und Hosen waren bei beiden gleich und brauchten deshalb nicht gewechselt zu werden, hingegen überließ ich ihm Husarenjacke, Säbeltasche, Tschako und Wehrgehenk und nahm dafür seine hohe Schafpelzmütze mit dem goldenen Abzeichen, seinen pelzbesetzten Rock und sein krummes Schwert. Selbstverständlich versäumte ich auch nicht, meinen heißgeliebten Brief aus dem alten in den neuen Rock zu stecken.
Jetzt waren wir fertig; ich verbeugte mich höflich gegen ihn und bemerkte dabei: »Nun werde ich Sie – mit Ihrer Erlaubnis – an ein Faß binden!«
Dagegen machte er jedoch allerhand Einwendungen; aber ich hatte in meinem Leben gelernt, niemals eine Chance zur Beförderung vorübergehen zu lassen, und wer stand mir dafür, daß der Bursche da, wenn ich den Rücken gewendet, nicht doch noch Einsicht in die wirkliche Sachlage erhielt und meinen Plänen entgegenarbeitete? Der Mann lehnte eben an einem Fasse, ich ergriff also einen Strick, lief damit sechsmal um ihn herum und band schließlich hinten einen festen Knoten. Wenn er nun doch die Absicht hatte, heraufzukommen, so mußte er sich wenigstens bequemen, zirka tausend Liter guten französischen Wein mit nach oben zu schleppen. Nun schnell die Türe des Kellers hinter mir verschlossen, damit er nicht hören konnte, was oben vor sich ging, das Licht weggeschleudert und die Küchentreppe hinan!
Nur zwanzig Stufen aufwärts, und doch, wie lang schien mir der Weg! Alles, was ich nur je gewünscht und erhofft, trat in dieser kurzen Spanne Zeit wieder vor mein Auge. Es war genau, wie damals bei Eylau, wo ich mit gebrochenem Bein auf dem Schlachtfeld lag und die Artillerie auf mich losstürmen sah. Denn ich wußte ganz gewiß, was mir bevorstand: wurde ich in meiner falschen Uniform erkannt, so erschoß man mich auf der Stelle als Spion. Und dennoch! Welch ruhmvoller Tod, ein Tod direkt im Dienste meines Kaisers! Das warf sicherlich fünf Zeilen im »Moniteur« für mich ab, wenn nicht gar sieben! Hatte Palaret doch acht bekommen, und seine Karriere war nicht so glänzend wie die meinige.
Der erste Anblick, der mir wurde, als ich mit erheucheltem Gleichmut die Halle betrat, war Bouvets Leichnam. Es mußte einen heißen Kampf gesetzt haben, denn seine Hand hielt noch den Säbel umklammert, und sein Haupt lag in einer tiefen Blutlache. Ich hätte dem wackeren Manne gerne salutiert, als ich an ihm vorüberging, aber ich fürchtete, gesehen zu werden, und schritt weiter.
Im vorderen Teil der Halle standen eine Menge Soldaten und schlugen Schießscharten in die Mauer, um für einen erneuten Ueberfall vorbereitet zu sein, während ihr Offizier, ein kleiner Mann, eifrig hin- und herlief und Anweisungen erteilte. Die Leute waren alle zu sehr in ihre Beschäftigung vertieft, um auf mich zu achten, aber ein zweiter Offizier, der mit einer riesigen Pfeife an einer Türe lehnte, gewahrte mich und kam auf mich zu. Er klopfte mir auf die Schulter, deutete auf die Körper unserer gefallenen Husaren und sagte dazu etwas, was wohl ein Scherz sein sollte, denn sein langer Bart teilte sich so weit auseinander, daß alle seine weißen Zähne sichtbar wurden. Ich lachte herzlich mit und sagte dabei die einzigen russischen Worte, die ich kannte. Die kleine Sophie hatte sie mich gelehrt, als ich damals in Wilna lag, und sie lauteten: »Wenn's heute abend schön ist, finden Sie mich an der alten Eiche; wenn es aber regnet, treffen wir uns unter dem Torweg.« Das störte aber unseren Deutschen durchaus nicht, denn er pochte mir wieder auf die Schulter, als ob ich einen ganz vorzüglichen Witz gemacht hätte, und brach von neuem in ein schallendes Gelächter aus. Ich nickte ihm zu und stieg mit einer Kaltblütigkeit zur Halle hinaus, als ob ich mindestens Kommandant einer Festung wäre.
Draußen standen gegen hundert Pferde, die zum größten Teil den Polen und den preußischen Husaren gehörten. Auch Violetta war unter ihnen und wieherte, als sie mich kommen sah. Aber die durfte es heute nicht sein, nein, dazu war ich zu pfiffig. Ich suchte mir im Gegenteil das zottigste, kleinste Kosakenpferd aus, das ich finden konnte und schwang mich mit einer Sicherheit darauf, als ob es schon meinem Vater vor mir gehört hätte. Darauf ergriff ich den Sack mit Lebensmitteln, welcher ihm um den Hals geschlungen war, legte ihn auf Violettas Rücken und ließ dieselbe neben mir hertraben. Was für ein treffliches Bild von einem Kosaken, der eben vom Fouragieren zurückkehrt, muß ich doch damals abgegeben haben!
Jetzt wimmelte das Städtchen bereits von Preußen; sie standen in den Seitenstraßen beisammen, und als ich vorbeiritt, wiesen sie mit Fingern auf mich und sprachen zueinander: »Da ist schon wieder so ein verdammter Kosak, der 's Mausen nicht lassen kann!« – wenigstens deutete ich mir ihre Mienen so.
Zweimal wurde ich sogar von Offizieren mit sehr wichtigen Gesichtern angeredet; aber ich schüttelte nur lächelnd den Kopf und plapperte meinen russischen Satz her, worauf sie die Schultern zuckten und die Sache aufgaben.
Auf diese Weise arbeitete ich mich glücklich bis vor die Stadt hinaus und bemerkte schon von ferne auf der Landstraße die zwei Ulanenvorposten mit ihren schwarzweißen Fähnchen. Jetzt nur noch dort vorüber und jenseits winkte mir die goldene Freiheit. Ich ließ daher mein kleines Kosakenpferdchen einen munteren Trab anschlagen, während Violetta fortwährend ihre Nase an meinem Knie rieb und zu mir aufschaute, als wenn sie sich Auskunft darüber erbitten wollte, womit sie es denn verdient habe, daß dieses zottige, kleine Geschöpf sie heute verdrängte. Schon war ich den Ulanen bis auf höchstens zweihundert Schritte nahe gekommen, da sah ich – oh, denken Sie sich meinen Schrecken – einen wirklichen Kosaken auf mich zukommen!
Ah, mes chers amis, wer ein fühlend Herz sein eigen nennt, der kann sich jetzt gewiß recht lebhaft in meine Lage versetzen. Wie viele Gefahren und Bedrängnisse lagen nun glücklich hinter mir, und nun sollte ich, so nahe am Hafen, noch Schiffbruch leiden? Warum soll ich es verschweigen, daß mir einen Moment lang der Mut sank, ja, daß ich in Versuchung geriet, alles über mich ergehen zu lassen? Aber nein, nein, das durfte nicht sein! Schnell zwei Knöpfe meines Rockes aufgerissen, damit ich leicht zu dem Brief gelangen konnte – denn ich war fest entschlossen, wenn es zum Schlimmsten kam, den Brief zu verschlucken und mit dem Säbel in der Hand zu sterben. Nachdem ich mich endlich noch versichert, daß mein kleiner, krummer Säbel lose in der Scheide steckte, trabte ich auf die Posten zu. Sie schienen mich anhalten zu wollen, da aber deutete ich auf jenen Kosaken, der immer noch ziemlich weit entfernt war, als ob ich beabsichtigte, ihm entgegenzureiten, und nun ließen sie mich unbehelligt vorbei.
Nun gab ich meinem Pferde die Sporen, denn es lag mir daran, so weit wie möglich aus dem Bereich dieser Soldaten zu kommen, und den Kosaken für mich ganz allein zu haben.
Es war ein Offizier, ein großer, bärtiger Mann, mit derselben Mütze wie ich selbst. Als er mich kommen sah, machte er Halt und unterstützte mich unwillkürlich in meinen Bemühungen, so daß ich einen schönen Vorsprung vor jenen Posten gewann. Ich aber ritt stracks auf ihn zu und konnte recht gut bemerken, wie sich der Ausdruck der Verwunderung in seinen braunen Augen bei dem Anblick meiner Person, des Ponys, sowie der ganzen Ausrüstung in Argwohn verwandelte. Jetzt rief er mir eine Frage entgegen, und, als keine Antwort erfolgte, zog er blank. Das aber erfüllte mich mit großer Befriedigung; denn ich habe immer lieber gekämpft, als einen Feind hinterlistig niedergehauen. Ich parierte seinen Hieb, stieß zu und bohrte ihm gerade unter dem vierten Knopfe seines Rockes die Säbelspitze in die Brust. Er sank vom Pferde, und sein Gewicht würde mich ebenfalls mit niedergerissen haben, wenn ich mich nicht schnell freigemacht hätte. Ob ich ihn getötet oder nur verwundet habe, weiß ich nicht, denn ich sprang in größter Eile von meinem Pony und bestieg Violetta, konnte mir jedoch nicht das Vergnügen versagen, den beiden Ulanen hinter mir zuzuwinken und Kußhändchen zuzuwerfen. Die hatten natürlich nichts Eiligeres zu tun, als mir nachzusprengen; aber Violetta hatte frische Kräfte gesammelt und jagte wie toll dahin, so daß mich jeder ihrer Sätze weiter von meinen Feinden entfernte. An der Biegung der langen Landstraße schaute ich mich um, aber da war von meinen Verfolgern nicht das geringste mehr zu sehen, und ich wußte, daß ich gerettet war.
Ein unbeschreibliches Wonnegefühl durchströmte mich bei dem Gedanken, daß ich des Kaisers Befehl bis auf den letzten Buchstaben nachgekommen war. Was der wohl sagen würde, wenn ich vor ihn trat! Ja, was konnte er eigentlich sagen, um mir Gerechtigkeit widerfahren zu lassen? Er hatte mich durch Sermoise, Soissons und Senlis reiten heißen, ohne die geringste Ahnung zu haben, daß jeder dieser drei Orte vom Feinde besetzt war. Ich aber hatte es getan; ich hatte seinen Brief unverletzt hindurchbefördert. Husaren, Dragoner, Ulanen, Kosaken, Infanteristen – sie alle hatten mir nachgestellt, und ich war heil davongekommen.
In Dammartin angelangt, erblickte ich auf freiem Felde die ersten unserer eigenen Vorposten und galoppierte auf sie zu, um mich zu vergewissern, daß zwischen hier und Paris alles in Ordnung war. Dabei konnte ich mich vor Stolz über meinen Erfolg nicht lassen, ich jubelte laut auf und schwang den Säbel hoch in die Luft.
Da sprengte, seinen Säbel ebenfalls hoch schwingend, ein Offizier aus jener Gruppe auf mich zu, und es tat meinem Herzen wohl, zu sehen, daß ich mit so viel Eifer und Begeisterung begrüßt wurde. Aber wer beschreibt mein Entsetzen, als er, knapp vor mir angelangt, plötzlich einen Hieb nach mir führte, der mir sicher das Haupt vom Rumpfe getrennt haben würde, hätte ich nicht schnell meine Nase in Violettas Mähne geborgen. Ja, meiner Treu, wie 'n Ostwind pfiff's damals über meine Mütze hinweg! Natürlich war nur diese verwünschte Kosakenuniform daran schuld, die ich in meinem Eifer ganz vergessen hatte, und der junge Dragoner hatte gemeint, ich sei irgend ein Russe, der die französische Kavallerie zum Zweikampf herausfordern wolle. Ah, aber sein Schrecken, als er gewahr wurde, daß er beinahe den berühmten Brigadier Gerard getötet hätte!
Nun stand mir weiter nichts mehr im Wege, und gegen drei Uhr nachmittags war ich in Saint Denis; aber von dort bis nach Paris hatte ich immer noch zwei gute Stunden, denn der Weg war von Fouragewagen und Kanonen, die für Marmont und Mortier im Norden bestimmt waren, ganz und gar verstopft. Sie können sich schwerlich einen Begriff von der Aufregung machen, welche meine Erscheinung in Paris hervorrief. Ja, als ich auf der Rue de Rivoli anlangte, ritten und liefen mir wohl eine Viertelmeile Leute nach. Zwei jener Dragoner hatten sich mir angeschlossen und hatten die Kunde von meinen Taten schon in der Stadt verbreitet, so daß ich nun wie im Triumph einzog. Die Männer schrien mir ihre Glückwünsche zu, während die Frauen mit Tüchern winkten und mir Kußhändchen zuwarfen.
Obgleich ich nun eigentlich ein Mann bin, dem nichts ferner liegt als Stolz, so konnte ich doch bei dieser Gelegenheit nicht umhin, meiner Befriedigung über einen solchen Empfang Ausdruck zu geben, und während die russische Uniform mir bisher ganz lose gesessen hatte, warf ich mich nunmehr in die Brust, so daß sie sich prall anlegte.
Und Violetta, mein kleiner Liebling, scharrte mit den Vorderhufen und warf den Kopf in die Höhe, als wolle sie sagen: »Ja, ja, schaut nur her auf uns beide; unsereinem kann man schon Aufträge anvertrauen!« Und als ich ihr nun gar einen Kuß zwischen die Nüstern drückte, als ich vor den Tuilerien abgestiegen war, da entstand ein Aufruhr, als ob ein Bulletin von der grande armée verlesen worden wäre.
Allerdings war ich zu einem Besuch bei einem König durchaus nicht angetan; wenn man aber eine gute, stramme Figur hat, so braucht man sich daran nicht sonderlich zu stoßen, und ich erhielt sogleich bei Joseph, dem König von Spanien, Zutritt. Ich kannte ihn schon von Spanien her und fand ihn ganz unverändert – behäbig, ruhig und freundlich wie immer. Talleyrand war bei ihm – eigentlich sollte ich ihn wohl Herzog von Benevento nennen, aber ich halte mich immer gern an die alten Namen. Er las den Brief, den Joseph Bonaparte ihm reichte und schaute mich dann sehr eigentümlich mit seinen kleinen, blinzelnden Augen an.
»Waren Sie der einzige Bote?« fragte er.
»Der Major Charpentier von den Grenadieren war der andere.«
»Der ist noch nicht angekommen,« bemerkte der König von Spanien.
»Wer die Beine seines Pferdes gesehen hat, Sire, wird sich darüber nicht wundern.«
»Kann auch andere Gründe haben,« warf Talleyrand mit seinem komischen Lächeln ein.
Hierauf spendeten mir beide ein wenig Lob; aber ich meine, sie hätten beide mehr, und doch noch nicht genug sagen können. Endlich durfte ich mich verabschieden und war herzlich froh darüber, denn das Hofleben war mir von jeher im Grund meiner Seele verhaßt. Nun ging's in größter Eile zu meinem alten Freunde Chaubert in der Rue Miromesnil, der mir seine Husarenuniform lieh. Ich mußte mit ihm zu Abend speisen, und wir plauderten so vergnügt von alten Zeiten, daß ich bald alle meine Gefahren vergessen hatte. Aber auch Violetta wurde nicht vergessen, und das brave Tier hatte sich am nächsten Morgen so weit erholt, daß ich an den Rückweg denken konnte. Denn ich war natürlich begierig, so schnell wie möglich wieder in das Hauptquartier des Kaisers zu gelangen, um aus seinem Munde mein Lob, aus seiner Hand meine Belohnung zu empfangen.
Es ist wohl überflüssig, zu erwähnen, daß ich einen sichereren Weg zu meiner Rückreise wählte – hatte ich doch von Husaren und Kosaken hinreichend genug gesehen. Ich ritt über Meaux und Chateau-Thierry und erreichte gegen Abend Rheims, wo Napoleon noch lag. Als ich am Schlachtfelde vorüberritt, sah ich, daß die gefallenen Franzosen und Russen bestattet worden waren; aber auch in dem Lager war eine große Veränderung vor sich gegangen. Da war alles in bester Ordnung: die Soldaten sahen besser verpflegt aus, die Kavallerie hatte eine große Anzahl frischer Pferde bekommen. Ja, ja, ein tüchtiger General kann in wenig Tagen Wunder tun!
Man führte mich sogleich zu dem Kaiser. Vor sich eine große Karte, saß er an einem Schreibtische und trank Kaffee, während Berthier und Macdonald über seine Schultern blickten und sich bemühten, etwas von den hastig hervorgestoßenen Worten aufzufangen. Aber kaum war er meiner ansichtig geworden, so warf er die Feder auf die Karte hin, sprang auf und maß mich mit einem Blicke, den ich Zeit meines Lebens nicht vergessen werde.
»Zum Kuckuck, was haben Sie hier zu suchen?« schrie er mich an, und seine erregte Stimme erinnerte stark an das Schreien eines Pfauhahns.
»Sire, habe die Ehre zu rapportieren, daß ich Ihren Brief dem König von Spanien überbracht habe!«
»Was?« zischte er, indem er seine Augen stechend auf mich richtete. Oh, diese furchtbaren Augen, sie schrecken mich heute noch zuweilen im Traume.
»Wo ist Charpentier?« frug er.
»Er ist gefangen genommen worden,« bemerkte Macdonald.
»Von wem?«
»Russen.«
»Kosaken?«
»Nein, einem einzigen Kosaken.«
»Er hat sich ergeben?«
»Ohne jeden Widerstand.«
»Ein kluger Offizier: er soll die Medaille haben!«
Jetzt mußte ich mir die Augen reiben, um mich zu vergewissern, daß ich auch wirklich wachte.
»Sie aber,« schrie mich der Kaiser an, indem er auf mich zutrat, daß ich meinte, er wollte mich schlagen, »Sie Dummkopf, Sie werden das Nachsehen haben! Konnten Sie sich denn nicht zusammenreimen, wozu ich Ihnen jenen Brief übergab? Haben Sie sich wirklich eingebildet, ich würde eine wichtige Mission so einem anvertrauen, wie Sie sind, und Sie damit durch Ortschaften schicken, welche vom Feinde besetzt sind? Mir ein Rätsel, wie Sie überhaupt durchgekommen sind; ein großes Glück, daß der Zweite mehr Verstand gehabt, als Sie, sonst wäre mein ganzer Feldzugsplan gescheitert. Ueberstieg wohl Ihren Horizont, einzusehen, daß der Brief falsche Angaben enthielt, die den Feind irreführen sollten, während ich meine Vorbereitungen zu einem ganz andern Plane traf?«
Ich dachte, ich würde den Verstand verlieren, als ich diese grausamen Worte vernahm und in das zornige, weiße Gesicht vor mir schauen mußte. Das Zimmer schien sich um mich zu drehen, ich mußte mich an der Lehne eines Stuhles festhalten, um nicht umzusinken. Aber da fiel mir auch schon ein, daß ich doch ein Ehrenmann war, der sein ganzes Leben und alle seine Kräfte dem Dienste dieses Mannes und seinem geliebten Lande geweiht hatte, und obgleich mir die Tränen immer noch aus den Augen strömten, faßte ich Mut und sprach:
»Sire, bei einem Manne von meinem Charakter täten Sie weiser, offen vorzugehen. Hätte ich gewußt, daß die Briefschaften für den Feind bestimmt waren, so hätte ich schon Sorge dafür getragen, daß sie auch dahin gelangten. Nach Ihren Worten aber nahm ich an, daß ich sie sicher zu bestellen hätte und ich habe das mit Einsetzung meines Lebens getan. Mehr Beschwerden und Gefahren hat wohl kein Mann gesehen, als ich in der Ausführung Ihres Befehls erduldet habe.«
Indes war ich auch meiner Tränen Herr geworden und erstattete nun einen lebhaften Bericht von meinen Abenteuern. Alle drei, der Kaiser, Berthier und Macdonald, lauschten mit staunenden Mienen. Als ich geendet, schritt Napoleon auf mich zu und zog mich am Ohr.
»Sieh, sieh! Nun, vergessen Sie, was ich gesagt haben mag! Sie haben recht, ich hätte mich Ihnen anvertrauen sollen. Sie können gehen!«
Ich machte Kehrt und hatte schon die Hand an der Türe, als er mich bleiben hieß.
»Sorgen Sie,« sagte er zu dem Herzog von Tarent, »daß der Brigadier Gerard die große Ehrenmedaille bekommt; denn, wenn er auch den dicksten Schädel in der ganzen Armee hat, so schlägt ihm doch das tapferste Herz in der Brust!«