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Drittes Kapitel

Und doch war es kein Traum, sondern nackte, unzweifelhafte Wirklichkeit. Würde ich denn sonst davon erzählen? Doch ich fahre fort.

In die Passage gelangte ich erst spät, gegen neun Uhr, und war genötigt, um in den Krokodilraum zu kommen, die Hintertür zu benutzen, weil der Deutsche das Geschäft vor der Zeit geschlossen hatte. Er spazierte behaglich in einem schäbigen Hausröckchen auf und ab und war noch viel zufriedener als am Vormittag. Man sah es ihm an, daß er jetzt nichts mehr befürchtete und viel Publikumdagewesen war. Die Frau erschien erst später, offenbar, um mich zu beobachten. Der Deutsche flüsterte häufig mit ihr. Trotzdem das Geschäft bereits geschlossen war, verlangte er von mir den Groschen Eintrittsgeld.

»Sie werden jedesmal zahlen«, sagte er. »Das Publikum wird einen Rubel zahlen und Sie einen Groschen, denn Sie sind ein guter Freund Ihres guten Freundes, und ich schätze Ihren Freund sehr hoch.«

»Lebt er noch? Lebt er noch, mein hochgeschätzter Freund?« rief ich laut, mich dem Krokodil nähernd, in der Hoffnung, daß meine Worte noch aus der Entfernung Iwan Matwejewitsch erreichen könnten und ihm wohltun würden.

»Er lebt und ist wohl!« antwortete er, scheinbar von ferne oder wie unter einem Bett liegend, obgleich ich nahe bei ihm stand. »Er lebt und ist wohl, doch davon später. Wie stehen die Dinge?«

Ich tat absichtlich, als wenn ich diese Frage nicht gehört hätte, und fing selbst an, ihn eilig und teilnahmsvoll auszufragen: wie es ihm gehe und was es im Krokodilsinnern gäbe und wie es dort aussähe. Das verlangte die Pflicht der Freundschaft und Höflichkeit. Doch er unterbrach mich heftig und aufgeregt.

»Wie stehen die Dinge?« rief er, wie gewöhnlich im Kommandoton mit einer schrillen, diesmal höchst unangenehmen Stimme.

Ich erzählte ihm ganz genau meine Unterhaltung mit Timofei Semjenowitsch, wobei ich versuchte, in möglichst gekränktem Ton zu sprechen.

»Der Alte hat recht«, entschied Iwan Matwejewitsch in dem scharfen Ton, den er mir gegenüber zu gebrauchen pflegte. »Ich liebe die praktischen Leute und kann die Süßholzraspler nicht leiden. Ich bin aber bereit einzuräumen, daß deine Idee wegen der Beorderung nicht ganz blödsinnig ist. Ich kann wirklich vieles berichten, sowohl in wissenschaftlicher als in moralischer Hinsicht. Doch nun nimmt alles eine ganz neue und unerwartete Wendung, und es lohnt sich nicht, sich wegen des Geliaitu zu bemühen. Höre aufmerksam zu! Sitzest du?«

»Nein, ich stehe.«

»Setz' dich irgendwohin, meinetwegen auf den Fußboden, und höre aufmerksam zu.«

Ich ergriff ärgerlich einen Stuhl und stieß ihn beim Hinstellen ingrimmig auf den Fußboden.

»Nun höre«, begann er im Befehlshaberton. »Es war heute eine Unmenge Publikum da. Gegen Abend gebrach es an Raum, so daß die Polizei eingreifen mußte. Schon um acht Uhr, das heißt früher als gewöhnlich, hielt der Besitzer es für geraten, das Geschäft zu schließen und die Vorstellung zu beenden, um das eingenommene Geld zu zählen und sich für morgen einzurichten. Ich weiß, daß morgen hier ein ganzer Jahrmarkt sein wird. Man muß also voraussetzen, daß die allergebildetsten Leute der Stadt hierherkommen werden, Damen aus den besten Häusern, Juristen und so weiter. Nicht genug damit, aus allen Ecken und Enden unseres unermeßlichen und neugierigen Vaterlandes werden Leute herbeiströmen. Das Ergebnis ist, daß ich, obwohl verborgen, doch allen ausgestellt die erste Rolle spielen werde. Ich werde die müßige Menge belehren, werde ihr das Beispiel der seelischen Größe und Ergebenheit in das Schicksal zeigen. Werde sozusagen die Kanzel sein, von welcher ich beginne, die Menschheit zu belehren. Schon die naturgeschichtlichen Mitteilungen, die ich über das von mir bewohnte Ungeheuer machen kann, sind wertvoll. Und darum murre ich nicht über das Schicksal und hoffe fest auf eine glänzende Laufbahn.«

»Wenn es dir nur nicht langweilig wird«, bemerkte ich giftig. Mich ärgerte am meisten seine Wichtigtuerei. Trotzdem machte mich alles etwas irre. Warum, warum renommiert der Leichtfuß so? knirschte ich vor mich hin. Er müßte weinen und nicht renommieren.

»Nein!« antwortete er scharf auf meine Bemerkung. »Denn ich bin ganz von großen Ideen durchdrungen, kann erst jetzt in Muße über die Verbesserung des Menschendaseins nachdenken. Wahrheit und Licht werden nun von dem Krokodil ausstrahlen. Ich werde zweifellos eine ganz neue und eigene Theorie der ökonomischen Beziehungen erfinden und stolz auf sie sein, was mir bis jetzt nicht möglich war, da der Dienst und meine gesellschaftlichen Verpflichtungen mich daran hinderten. Übrigens, hast du Timofei Semjenowitsch die sieben Rubel gegeben?«

»Von meinem eigenen Gelde«, erwiderte ich, indem ich mich bemühte, mit der Stimme auszudrücken, daß ich mit meinem Gelde bezahlt hatte.

»Wir werden abrechnen«, entgegnete er hochfahrend. »Ich erwarte bestimmt eine Gehaltszulage, denn wer soll sonst Zulagen erhalten? Der Nutzen durch mich ist jetzt unermeßlich. Doch nun zur Sache. Nun, und sie?« »Du fragst wohl nach Jelena Iwanowna?«

»Nun, sie?« kreischte er diesmal schrill.

Da war nichts zu machen. Scheinbar geduldig, jedoch innerlich mit den Zähnen knirschend, erzählte ich ihm, wie ich Jelena Iwanowna verlassen hatte. Er hörte mich nicht einmal bis zu Ende an.

»Ich habe besondere Pläne für sie«, begann er ungeduldig. »Wenn ich hier berühmt werde, so soll sie dort berühmt sein. Gelehrte, Dichter, Philosophen, durchreisende Mineralogen, Staatsmänner werden sie, nach einem Morgenstündchen bei mir, abends in ihrem Salon besuchen. Von der nächsten Woche an muß sie jeden Abend einen Empfang haben. Das verdoppelte Gehalt wird die Mittel zum Empfang der Gäste bestreiten, der sich auf Tee und Lohndiener beschränken muß. Hier wie dort wird man von mir sprechen. Ich habe schon lange auf die Gelegenheit gewartet, berühmt zu werden, konnte es aber nicht erreichen wegen meiner zu geringen Mittel und wenig bedeutenden Stellung. Jetzt aber ist es durch eine ganz gewöhnliche Schlingbewegung eines Krokodils gelungen. Jedes Wort von mir wird angehört werden, jeden Ausspruch wild man bedenken, weiter erzählen, drucken. Ich werde ihnen schon zeigen, wer ich bin. Sie werden endlich begreifen, welche Fähigkeiten sie in dem Innern eines Ungeheuers verschwinden ließen! ›Dieser Mensch hätte im Ausland ein Minister sein können und ein Königreich regieren‹, werden die einen sagen. ›Und hat dieser Mann nicht einen Staat regiert?‹ werden sich die andern fragen. Bin ich etwa weniger als irgendein Gamier-Pagessy, oder wie er da heißt? Meine Frau muß ein Gegenstück zu mir sein. Ich habe den Verstand, sie die Schönheit und Liebenswürdigkeit. ›Sie ist schön, und darum ist sie seine Gattin‹, werden die einen sagen, und die andern werden verbessern: ,Sie ist schön, weil sie seine Gattin ist.' Jedenfalls muß Jelena Iwanowna sich morgen schon das enzyklopädische Wörterbuch kaufen, das von Andrei Krajewski herausgegeben wurde, um über alle Dinge reden zu können. Am häufigsten müßte sie die Leitartikel in den ›Petersburger Nachrichten‹ lesen und sie täglich mit dem ›Wolos‹ vergleichen. Ich vermute, daß der Krokodilbesitzer einverstanden sein wird, mich zuweilen mitsamt dem Krokodil in den glänzenden Salon meiner Frau zu bringen. Ich werde im Behälter im prunkvollen Saal stehen und werde von geistreichen Wortspielen sprühen, die ich mir schon am Morgen fertig überlegt habe. Dem Staatsmann werde ich meine neuen Projekte mitteilen, mit dem Dichter werde ich in Versen sprechen, mit den Damen werde ich unterhaltend und anziehend sein, weil ich für ihre Ehemänner vollständig ungefährlich bin. Allen anderen werde ich ein Beispiel der Ergebenheit in den Willen der Vorsehung bedeuten. Meine Frau will ich zur glänzenden literarischen Dame machen. Ich werde sie hervorheben und dem Publikum erklären. Sie muß als meine Gattin alle Tugenden besitzen, und wenn man gerechterweise Andrei Alexandrowitsch den ›russischen Alfred de Musset‹ nennt, wird man sie als unsere russische Eugenie Tour feiern.«

Ich muß gestehen, daß dieser Unsinn, obgleich er dem alltäglichen Iwan Matwejewitsch ähnlich sah, mich doch sehr in Erstaunen setzte, so daß ich glaubte, er habe Fieber und rede irre. Es war derselbe gewöhnliche Iwan Matwejewitsch, aber wie durch ein zwanzigfaches Vergrößerungsglas gesehen.

»Mein Freund«, fragte ich ihn, »hoffst du denn auf Unsterblichkeit? Und sage mir überhaupt, ob du gesund bist, was du issest, wie du schläfst und wieso du atmest. Ich bin dein Freund, und du wirst einsehen, daß der Vorfall zu ungewöhnlich und meine Neugier daher höchst erklärlich ist.«

»Müßige Neugier, weiter nichts!« erwiderte er hochfahrend. »Doch sie soll befriedigt werden. Du fragst, wie ich mich im Innern des Krokodils eingerichtet hätte? Erstens hat sich das Krokodil zu meinem Erstaunen als vollkommen hohl erwiesen. Sein Inneres besteht aus etwas, was einem großen, leeren Gummisack ähnlich sieht, wie sie bei uns in der Erbsenstraße oder der Seestraße und, wenn ich nicht irre, auf dem Himmelfahrtsprospekt verkauft werden. Bedenke, ob ich sonst wohl dort Platz finden könnte?«

»Ist es möglich?« rief ich voll Staunen. »Ist das Krokodil wirklich ganz hohl?«

»Vollkommen!« bestätigte Iwan Matwejewitsch streng und lehrhaft. »Und vermutlich ist es nach den Gesetzen der Natur also eingerichtet. Das Krokodil hat nur einen mit spitzen Zähnen bewaffneten Rachen und als Fortsetzung des Rachens einen ziemlich langen Schwanz, und das ist eigentlich alles. In der Mitte aber zwischen diesen beiden Endpunkten befindet sich ein Raum, der mit etwas Gummiartigem bezogen ist. Höchstwahrscheinlich ist es wohl auch Gummi.«

»Aber die Rippen, der Magen, die Gedärme, die Leber, das Herz, wo bleiben die alle?« unterbrach ich, innerlich wütend.

»Nichts, gar nichts Derartiges, und wahrscheinlich hat es nie so etwas gegeben. Alles das waren müßige Einbildungen leichtsinniger Reisender. So wie man ein Gummikissen mit Luft füllt, so fülle ich jetzt das Krokodil mit mir selber. Es ist unglaublich dehnbar. Sogar du, in deiner Eigenschaft als Hausfreund, könntest darin neben mir Platz finden, wenn du so großmütig wärest. Ich habe sogar daran gedacht, im äußersten Falle Jelena Iwanowna hierher zu beordern. Übrigens ist diese hohle Einrichtung des Krokodils vollkommen im Einklang mit den Naturgesetzen. Denn, gesetzt den Fall, daß es dir befohlen würde, ein neues Krokodil herzustellen, würdest du dich naturgemäß zuerst fragen: welches ist die Grundeigenschaft eines Krokodils? Die Antwort ist klar: das Menschenverschlingen. Wodurch erreicht man aber, daß es Menschen verschlingt? Die Antwort ist noch einfacher: man stellt es eben hohl her. Die Physik hat es schon längst erwiesen, daß die Natur keine leeren Räume verträgt. Darum gerade muß auch das Innere des Krokodils hohl sein, damit es den leeren Raum fürchtet und infolgedessen alles verschlingt, was es erreichen kann, um sich zu füllen. Dieses ist der einzige vernünftige Grund, warum alle Krokodile unseresgleichen verschlingen. Bei den Menschen ist es nicht so. Je hohler zum Beispiel ein Menschenschädel ist, umso weniger verspürt er das Bedürfnis, sich zu füllen, und das ist die einzige Ausnahme von der Regel. Alles das ist mir jetzt sonnenklar. Ich habe das alles begriffen, während ich mich, sozusagen, im Schoße der Natur, in ihrer Retorte befand und ihrem Pulsschlag lauschte. Sogar die Etymologie ist mit mir einverstanden, denn schon die Bezeichnung ›Krokodil‹ bedeutet Gefräßigkeit. Das Wort Krokodil – crocodillo – ist vermutlich italienischen Ursprungs, vielleicht aus der Zeit der ältesten ägyptischen Pharaonen, und stammt offenbar von der französischen Wurzel ›croquer‹, was soviel bedeutet wie aufessen, auffressen oder überhaupt knacken. Dieses soll etwa der Inhalt des ersten Vortrags sein, den ich dem Publikum in Jelena Iwanownas Salon zu halten gedenke, wenn man mich im Behälter dorthin bringt.«

»Mein Freund! Willst du nicht wenigstens ein Abführmittel einnehmen?« rief ich besorgt. »Er hat hohes Fieber, er redet irre«, wiederholte ich verzweiflungsvoll.

»Unsinn!« erwiderte er verächtlich. »Außerdem wäre das in meiner gegenwärtigen Lage höchst unbequem. Ich wußte übrigens schon, daß du von Abführmitteln sprechen würdest.«

»Aber, mein Freund, wie ernährst du dich jetzt? Hast du heute zu Mittag gegessen oder nicht?«

»Nein, doch bin ich satt und werde vermutlich nie mehr Speise zu mir nehmen. Dieses ist auch vollkommen verständlich. Indem ich das ganze Innere des Krokodils ausfülle, mache ich es für immer satt. Man braucht es jetzt mehrere Jahre nicht zu füttern. Andererseits, da es von mir gesättigt ist, wird es mir natürlich alle Lebenssäfte seines Körpers mitteilen, ähnlich wie einige raffinierte Kokotten ihren Körper nachts mit rohen Koteletten belegen und nach dem Morgenbade frisch, strotzend und verführerisch werden. Indem ich ihm Nahrung gebe, werde ich vom Krokodil ernährt, wir ernähren uns sozusagen gegenseitig. Doch da es sogar einem Krokodil schwerfällt, einen Menschen, wie ich es bin, zu verdauen, muß es selbstverständlich eine gewisse Schwere im Magen, den es übrigens nicht hat, empfinden, und deshalb drehe ich mich nur selten von Seite zu Seite, um dem Ungeheuer keine unnützen Schmerzen zu bereiten. Ich tue dieses aus Menschenliebe. Es ist der einzige Übelstand meiner jetzigen Lage, und im allegorischen Sinn hat Timofei Semjenowitsch recht, wenn er mich einen Nichtstuer nennt. Allein ich werde ihm beweisen, daß man auch nichtstuend, ja vielmehr nur durch Nichtstun das Schicksal der Menschheit verändern kann. Alle großen Ideen und geistigen Strömungen unserer Zeitungen und Journale sind augenscheinlich von Nichtstuern erfunden, darum nennt man sie auch Studierzimmerideen.

Doch es ist einerlei, wie man sie nennt. Ich werde jetzt ein neues soziales System erfinden, und du glaubst gar nicht, wie leicht das ist. Man braucht sich nur in die Einsamkeit zurückzuziehen oder auch in das Innere eines Krokodils zu geraten, die Augen zu schließen, und sofort erfindet man ein Paradies auf Erden. Als ihr neulich wegginget, begann ich sogleich zu erfinden und habe schon drei Systeme erdacht, jetzt arbeite ich am vierten. Allerdings muß man vorerst alles Umstürzen, doch das ist aus dem Krokodil heraus leicht zu tun, ja es scheint alles noch viel übersichtlicher. Übrigens gibt es noch einige Übelstände in meiner Lage, obwohl es nur Kleinigkeiten sind. Das Innere des Krokodils ist nämlich ein wenig feucht und schleimig, auch riecht es ein wenig nach Gummi, wie meine vorjährigen Gummischuhe. Das ist alles, andere Unannehmlichkeiten gibt es nicht.«

»Iwan Matwejewitsch«, unterbrach ich, »das sind alles Wunderdinge, die ich kaum zu glauben vermag. Und gedenkst du denn wirklich, dein Leben lang nichts mehr zu essen?«

»An welchen Unsinn dein müßiges, leichtsinniges Gehirn denkt! Ich teile dir meine großen Ideen mit, und du – wisse denn, daß ich allein durch meine großen Ideen gesättigt bin, welche die mich umgebende Finsternis erleuchten. Übrigens hat der gutmütige Eigentümer des Ungeheuers nach einer Beratung mit seiner biederen Frau beschlossen, daß sie jeden Morgen ein gebogenes Metallröhrchen, einer Flöte ähnlich, in den Schlund des Ungeheuers stecken werden, durch welches ich Fleischbrühe oder Kaffee mit darin aufgeweichtem Weißbrot zu mir nehmen kann. Das Röhrchen ist bereits bei einem Nachbarn bestellt. Doch glaube ich, daß es ein unnützer Luxus ist. Ich hoffe mindestens tausend Jahre zu leben, wenn es wahr ist, daß die Krokodile dieses Alter erreichen. Übrigens, da ich es gerade erwähnt habe, schlage in einer Naturgeschichte darüber nach und teile es mir morgen mit, denn ich könnte mich ja geirrt und das Krokodil mit einem andern vorsintflutlichen Tier verwechselt haben. Nur ein Gedanke beunruhigt mich. Da ich in Tuch gekleidet bin und Stiefel an den Füßen habe, kann das Krokodil mich offenbar nicht verdauen. Außerdem bin ich am Leben und widersetze mich daher mit aller Willenskraft der Verdauung; ich will nicht in dasselbe verwandelt werden wie die gewöhnliche Nahrung, das wäre zu demütigend. Doch ich befürchte eines: im Laufe von tausend Jahren kann das Tuch, aus dem mein Rock genäht ist, und das leider russische Ware ist, morsch werden, und unbekleidet werde ich dann vielleicht, ungeachtet meines Unwillens, allmählich in Verdauung übergehen. Tags werde ich es jedenfalls nicht zulassen, aber nachts, wenn im Schlaf der Wille den Menschen verläßt, kann mir das erniedrigende Los einer Kartoffel oder eines Stückes Kalbfleisch beschieden sein. Dieser Gedanke allein macht mich rasend. Schon aus diesem Grunde müßte der Zolltarif verändert und die Einfuhr englischer Stoffe gestattet werden, die haltbarer sind und daher eher der Natur standhalten werden, falls man in ein Krokodil geraten sollte. Diesen Gedanken will ich bei erster Gelegenheit einem Staatsmann und einem der politischen Berichterstatter unserer Tageszeitungen mitteilen. Mögen sie darüber reden! Ich hoffe, daß nicht sie allein jetzt von mir lernen werden. Ich sehe voraus, daß jeden Morgen eine ganze Schar von ihnen mit Reportermappen bewaffnet mich umdrängen wird, um meine Ansichten über die gestrigen Neuigkeiten zu erhaschen. Kurz – ich sehe meine Zukunft in rosigem Lichte vor mir liegen.« »Er hat das Delirium«, murmelte ich vor mich hin. »Mein Freund – und die Freiheit?« fragte ich laut, in der Absicht, genau seine Meinung zu erfahren. »Du bist doch sozusagen im Gefängnis, während der Mensch doch Freiheit genießen muß.«

»Du bist töricht«, erwiderte er, »die Wilden lieben die Unabhängigkeit, die Weisen lieben die Ordnung, und wo keine Ordnung ist.

»Iwan Matwejewitsch, erbarme dich!«

»Schweig und höre zu«, schrie er auf, wütend, daß ich ihn unterbrochen hatte. »Niemals noch hat mein Geist sich zu solcher Höhe erhoben wie jetzt. Vor einem nur fürchte ich mich in meiner engen Zelle, und das ist die Kritik unserer dicken Journale und das Johlen unserer satirischen Zeitschriften. Ich fürchte eben, daß die leichtfertigen Besucher, Dummköpfe und Neider, überhaupt die Nihilisten, mich lächerlich machen. Aber ich werde dagegen Maßregeln ergreifen. Mit Spannung erwarte ich die Zeitungsnachrichten und die Meinung des Publikums. Vor allem die Zeitungen. Teile mir morgen alles darüber mit.«

»Schön, morgen schon bringe ich einen ganzen Stoß von Zeitungen her.«

»Morgen ist es noch zu früh, Zeitungsnachrichten zu erwarten, denn die Neuigkeiten erscheinen erst am übernächsten Tage. Doch komme von heute an jeden Abend durch die Hofpforte her. Ich gedenke dich als meinen Sekretär zu benutzen. Du wirst mir die Zeitungen und Wochenschriften vorlesen, und ich werde dir meine Gedanken diktieren und Aufträge geben. Vor allem vergiß nicht die Telegramme mitzubringen. Ich wünsche, täglich die letzten europäischen Telegramme zu hören. Doch nun genug. Du bist wohl schon schläfrig. Geh' nach Hause und beachte nicht, was ich dir eben über die Kritik gesagt habe. Ich fürchte sie nicht, denn sie befindet sich selber in einer kritischen Lage. Man braucht nur weise und tugendhaft zu sein, um über die Allgemeinheit emporgehoben zu werden. Meine zukünftige Rolle in der Geschichte der Menschheit ist die eines Sokrates oder eines Diogenes, vielleicht beider zusammen.«

In dieser leichtsinnigen und flüchtigen Weise beeilte sich Iwan Matwejewitsch (allerdings im Delirium), mir seine Ansichten mitzuteilen, ähnlich den charakterlosen Weibern, von denen das Sprichwort sagt, daß sie kein Geheimnis für sich behalten können. Auch schien mir alles das, was er über das Krokodil berichtete, höchst verdächtig. Freilich war er krank, und mit Kranken muß man Geduld haben, doch ich gestehe, daß ich Iwan Matwejewitsch nie recht leiden mochte. Von Kindheit an wollte ich von seiner Vormundschaft loskommen und konnte es nicht. Tausendmal wollte ich ganz mit ihm brechen, und tausendmal zog es mich wieder zu ihm zurück, als ob ich immer noch hoffte, ihm etwas zu beweisen oder mich an ihm zu rächen. Es ist eine sonderbare Freundschaft! Ich kann wirklich behaupten, daß ich zu neun Zehnteln aus Ärger mit ihm befreundet war. Diesmal jedoch war unser Abschied gefühlvoll.

»Ihr Freund ist ein sehr kluger Mensch«, sagte der Deutsche halblaut, als er mich hinausgeleitete. Er hatte fleißig unserem Gespräch gelauscht.

»A propos«, sagte ich, »um es nicht zu vergessen – wieviel würden Sie für das Krokodil verlangen, wenn es uns einfiele, es Ihnen abzukaufen?«

Iwan Matwejewitsch, welcher die Frage gehört hatte, erwartete mit Spannung die Antwort. Offenbar wollte er nicht, daß der Deutsche einen geringen Preis nenne, jedenfalls räusperte er sich bei meiner Frage ganz bedeutungsvoll.

Der Deutsche wollte anfangs nichts davon hören, er schien sogar ärgerlich.

»Niemand darf mein Krokodil kaufen!« schrie er wütend und wurde krebsrot. »Ich will mein Krokodil nicht verkaufen. Ich will nicht einmal eine Million Taler für das Krokodil haben. Heute habe ich hundertdreißig Taler eingenommen, morgen werde ich zehntausend Taler einnehmen und dann jeden Tag hunderttausend. Nein, ich will es nicht verkaufen.«

Iwan Matwejewitsch kicherte sogar vor Vergnügen. –

Kaltblütig und vernünftig, weil ich eine heilige Freundespflicht erfüllte, erklärte ich dem verdrehten Deutschen, daß seine Berechnungen falsch seien, daß, wenn er jeden Tag hunderttausend Taler einnähme, ganz Petersburg im Lauf von vier Tagen schon bei ihm gewesen sein werde und niemand weiter zahlen würde; daß Gott über Tod und Leben verfüge, und daß das Krokodil doch noch bersten oder Iwan Matwejewitsch erkranken und sterben könne usw.

Der Deutsche dachte ein Weilchen nach.

»Ich werde ihm Tropfen aus der Apotheke geben«, meinte er endlich, »und Ihr Freund wird nicht sterben.«

»Lassen wir die Tropfen«, sagte ich, »und nehmen wir an, daß es zu einem Prozeß kommen kann. Die Gattin Iwan Matwejewitschs kann ihren legitimen Gatten zurückfordern. Sie wollen sich doch bereichern, aber haben Sie die Absicht, Jelena Iwanowna eine Pension auszusetzen?«

»Nein! Die Absicht habe ich nicht«, antwortete der Deutsche kurz und bündig.

»Nein!« ergriff seine Ehehälfte mit einer gewissen Wut das Wort.

»Wäre es dann für Sie nicht besser, sofort eine zwar mäßige, doch feste und solide Summe zu erhalten, als sich in ungewissen Hoffnungen zu wiegen? Ich halte es für meine Pflicht, hinzuzufügen, daß ich nicht allein aus müßiger Neugier danach frage.«

Der Deutsche nahm seine Frau beiseite und entfernte sich mit ihr zu einem Kriegsrat in den entlegensten Winkel des Raumes, wo der Käfig mit dem größten und häßlichsten Affen der Sammlung stand.

»Du wirst schon sehen«, sagte mir Iwan Matwejewitsch.

Was mich anbelangt, kämpfte ich in diesem Augenblick mit dem Verlangen: erstens den Deutschen, zweitens die Frau noch kräftiger und drittens, am meisten und nachdrücklichsten, Iwan Matwejewitsch zu verprügeln, als Strafe für seine schrankenlose Selbstsucht. Doch das alles bedeutete nichts im Verhältnis zur Antwort des geldgierigen Deutschen.

Nachdem dieser sich mit seiner Frau beraten hatte, forderte er für sein Krokodil 50.000 Rubel in Papieren der letzten inneren Lotterieanleihe, ein steinernes Haus mit einer eigenen Apotheke in der Erbsenstraße und außerdem noch den Titel eines russischen Obersten.

»Siehst du«, rief Iwan Matwejewitsch, »habe ich es dir nicht gesagt? Außer dem letzten wahnwitzigen Wunsch hat er mit seinen Ansprüchen recht, denn er versteht vollkommen den gegenwärtigen Wert des von ihm gezeigten Ungeheuers.«

»Mensch«, fuhr ich den Deutschen wütend an, »wozu wollen Sie denn den Obersttitel? Welche Heldentat haben Sie denn begangen? Welche besonderen Dienste geleistet? Welche militärischen Ehrenzeichen erworben? Sind Sie denn wahnsinnig?«

»Wahnsinnig?« rief der Deutsche empört aus. »Nein, ich bin bei vollem Verstände, Sie aber sind recht töricht, es nicht zu verstehen. Ich habe den Obersttitel verdient, weil ich ein Krokodil zeige, in dem ein lebendiger Hofrat sitzt, und kein Russe kann ein solches Krokodil zeigen. Ich bin ein sehr gescheiter Mann und will auch gerne Oberst sein.«

»So leb' denn wohl, Iwan Matwejewitsch«, schrie ich zitternd vor Wut und stürzte aus dem Krokodilraum hinaus. Ich fühlte, daß ich einen Augenblick später alle Gewalt über mich verloren hätte. Die aberwitzigen Hoffnungen dieser beiden Idioten waren unerträglich. Die kühle Luft erfrischte mich und mäßigte ein wenig meinen Unwillen. Endlich, nachdem ich wohl fünfzigmal nach beiden Seiten ausgespien hatte, nahm ich mir eine Droschke, fuhr nach Hause, zog mich aus und warf mich auf mein Lager. Am ärgerlichsten war mir, daß ich sein Sekretär geworden war. Jetzt konnte ich mich dort jeden Abend langweilen, während ich die Pflichten eines wahren Freundes erfüllte. Ich war bereit, mich dafür zu bestrafen, und ich tat es auch wirklich: nachdem ich das Licht ausgelöscht hatte und unter die Decke geschlüpft war, hieb ich mir vor Wut mehrmals mit der Faust auf den Kopf und auf andere Körperteile. Das erleichterte mich einigermaßen; ich schlief endlich sogar recht fest ein, weil ich sehr müde war. Die ganze Nacht durch träumte ich nur von Affen, aber gegen Morgen sah ich Jelena Iwanowna im Traum.

 


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