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Am Vormittag des vierten Renntages wurde in New York in diesen Stunden nicht viel gearbeitet. Wo immer in den Büros und Werkstätten, in den Ladengeschäften und Gastwirtschaften ein Lautsprecher stand, war er umlagert. Man fieberte auf neue Nachrichten und verdachte es den deutschen Flugzeugen schwer, daß sie selbst keine Funksprüche über ihren Standort gaben. An tausend Stellen maß man auf Globus und Atlanten die Entfernung zwischen Annam und Manila einerseits und zwischen Island und der Schreckensbucht andererseits aus, um über die Wegreste, die den konkurrierenden Maschinen noch blieben, Klarheit zu bekommen.
Immer sicherer wurde es, daß dies gigantische Wettrasen um den Erdball in zwei Stunden zu Ende gehen müßte. In zwei Stunden . . . das hieß um ein Uhr mittags. Das bedeutete eine Rennzeit von 96 oder 97 Stunden. –
Mit Schrecken erkannten Hunderttausende, daß ihre Wettzettel, die auf geringere Zahlen lauteten, wertlos waren. Allein bei Harrow & Bradley waren auf die Stundenzahl 86 anderthalb Millionen Dollar gesetzt worden, die nun verspielt waren. Aber die Office von Harrow & Bradley stand ja noch am alten Fleck.
In wenigen Minuten bildeten sich in der City von New York lange Züge, die zu diesem Ort hinströmten, um durch neue Einsätze die alten Verluste wieder wettzumachen. Im Augenblick waren die Straßen, die dorthin führten, überfüllt, war die Straße, in der das Büro lag, rettungslos verstopft. Selbst im günstigsten Falle hätte nur ein winziger Prozentsatz der unzähligen Wettlustigen sein Geld dort anbringen können. Aber auch diesen wenigen gelang es nicht mehr.
Die Türen von Harrow & Bradley waren geschlossen. Starke solide Bronzetüren, gegen welche die aufgeregte Menge vergeblich mit Fäusten und Stöcken hämmerte. Die Nächststehenden konnten die Anschläge lesen, die an diesen Türen klebten und bekanntgaben, daß die Schalter geschlossen seien. Während der letzten drei Stunden des Rennens könnten Einsätze nicht mehr angenommen werden.
Die es lasen, riefen es den hinter ihnen Stehenden zu. Die sagten es weiter. Wie ein Lauffeuer eilte die Nachricht von Mund zu Mund, bis zur Unkenntlichkeit wurde sie dabei verändert und entstellt.
An den nächsten Straßenecken hieß es bereits, daß die Firmeninhaber mit ungezählten Dollarmillionen das Weite gesucht hätten. In den Seitenstraßen wollte man sogar wissen, daß die Polizei im Hause sei und keinen roten Cent in den Kästen des Wettbüros vorgefunden hätte.
Die Menge, übernächtig, hysterisch erregt, um die Möglichkeit betrogen, neue Einsätze zu machen, geriet in Raserei. Wären ihnen die Herren Harrow & Bradley jetzt in die Hände geraten, sie wären ohne weiteres gelyncht worden.
Nur mit dem Einsatz der schärfsten Mittel gelang es der Polizei, die fanatisierten Massen in die Nebenstraßen abzudrängen und größeres Unheil zu verhüten. Für den Rest des Tages zog eine starke bewaffnete Polizeiwache vor dem Wettbüro auf. –
Die Uhr im Privatbüro John Sharps zeigte die erste Nachmittagsstunde an. Schon seit vielen Minuten war der Telephonhörer nicht mehr auf seine Gabel gekommen. Hart preßte ihn Sharp gegen sein Ohr. In seiner Erregung spürte er es nicht, daß der scharfe Rand der Hörmuschel sich tief in sein Fleisch eindrückte.
Am andern Ende der Leitung in Radio City stand Bourns, der ihm die Funkmeldungen zusprach, sowie sie dort ankamen. Glückverheißende Nachrichten vom ›Eagle‹ waren es. Ein Wunder schien sich ereignet zu haben. Mit der alten Geschwindigkeit von 500 Kilometer stürmte die Reading-Maschine nun schon seit Stunden auf ihr Ziel, den Flugplatz von Manila zu, und seit Stunden saß James Thomson selber am Steuer. Fast ununterbrochen machten Jones und Watson Ortsbestimmungen, und O'Brien funkte die Position des Flugzeuges jedesmal nach Radio City.
In hellem Mondglanz schimmerte die südchinesische See tief unter der Maschine. Während in New York die Mittagsonne auf die Wolkenkratzer brannte, war es hier ja eben erst Mitternacht. –
»Wir schaffen es, Boys!« keuchte Thomson am Steuer, als ihm Watson die letzte Ortsbestimmung unter die Augen hielt. Die Taste unter O'Briens Fingern begann zu klappern.
»Neue Nachricht vom ›Eagle‹, hörte es John Sharp wenige Sekunden später aus seiner Muschel, ›1 Uhr 30 New Yorker Ostzeit. Noch 250 Kilometer bis Manila. Werden in einer halben Stunde landen . . . Haben Sie Nachricht von der ›Seeschwalbe‹?«
Mechanisch hatte Bourns auch noch den Rest des Funkgesprächs, der nur eine Anfrage an den Reading-Sender bedeutete, mitgelesen.
»Haben Sie Nachricht von der ›Seeschwalbe‹, Bourns?« schrie Sharp in seinen Apparat.
»Keine neue Meldung, Sir! Letzte Nachricht über die ›Seeschwalbe‹ kam von Reykjavik.«
»Noch eine halbe Stunde, Bourns.« Sharp trocknete sich die Stirn mit seinem Taschentuch, warf dabei einen Blick auf die Uhr.
». . . noch 25 Minuten, Bourns . . . noch 24 Minuten . . . Bourns, wenn wir das Rennen für die Reading-Werke gewinnen . . . bleiben Sie am Apparat, Bourns. Geben Sie mir jede Meldung sofort durch.« –
In Manila war es ein Uhr nachts, in New York ging es auf die zweite, in der Schreckensbucht auf die vierte Nachmittagsstunde.
Tiefer war die Sonne dort während der vier Tage gesunken, die das große Rennen nun schon währte. Wie ein roter Feuerball kroch sie während der Mittagsstunden dicht am Horizont dahin. In kupfernen Reflexen schimmerten die vereisten Felsen unter ihren Strahlen.
In seiner durchwärmten behaglichen Behausung saß Mr. Jenkins und drückte den Telephonhörer ebenso ans Ohr, wie John Sharp in New York. Ebenso erregt, wie sein Chef dort, hörte er die Funksprüche des Reading-Senders, die den Sieg der amerikanischen Maschine von Minute zu Minute sicherer erscheinen ließen. Unwillig fuhr er zusammen, als es klopfte und der Funker vom Eggerth-Haus in sein Zimmer trat.
»Funkspruch von ›St 1‹, Mr. Jenkins. Die ›Seeschwalbe‹ wird 1 Uhr 45 New Yorker Ostzeit am Ziel wassern.«
Jenkins starrte den Boten mit aufgerissenen Kiefern an. Nur langsam faßte er den Sinn der Meldung, nur allmählich besann er sich auf seine Pflicht als Zeitnehmer des Reading-Kuratoriums.
»Noch drei Minuten, Sir«, mahnte der deutsche Funker.
Jenkins warf den Mantel über, griff nach dem plombierten Chronometer und folgte ihm auf die Klippe hinaus.
Da weit voraus im Osten drei schimmernde Flugzeuge in der Luft. 1 Uhr 44 zeigte das Chronometer in seiner Hand . . . 1 Uhr 45 . . . da setzte die ›Seeschwalbe‹ klatschend auf das Wasser der Bucht auf.
»Seeschwalbe 1 Uhr 45 am Ziel gewassert«, rief der Funker mit einem Blick auf die eigene Uhr.
»1 Uhr 45«, murmelte Jenkins und wollte zu seinem Haus zurückkehren. Der Deutsche hielt ihn zurück.
»Noch einen Augenblick, Sir! 1 Uhr 47 wassert ›St 1‹ im Ziel.«
Noch während er es sagte, legte sich das Stratosphärenschiff neben die ›Seeschwalbe‹ auf das Wasser.
Jenkins nickte und ging schweigend zu seiner Funkstation. Er sah nicht mehr, daß 1 Uhr 50 noch ein zweites Stratosphärenschiff niederging. –
»Noch 10 Minuten, Bourns!« John Sharp schrie es fast in sein Mikrophon. »Noch 10 Minuten!«
Die Stimme von Bourns klang aus der Telephonmuschel. Worte drangen an John Sharps Ohr.
»Schreckensbucht. 1 Uhr 45 Minuten amerikanische Ostzeit. ›Seeschwalbe‹ am Ziel gewassert. Flugstrecke 40 000 Kilometer. Durchschnittsgeschwindigkeit 410 Stundenkilometer.«
»Der ›Eagle‹, Bourns! Wo bleibt der ›Eagle‹?« keuchte Sharp.
Langsam, schwerfällig kam die Antwort aus dem Apparat.
»Flugplatz von Manila, 2 Uhr amerikanische Ostzeit. ›Eagle‹ im Ziel gelandet. Flugstrecke 40 000 Kilometer. Durchschnittsgeschwindigkeit 408 Stundenkilometer.«
»Der ›Eagle‹ geschlagen, Bourns?!«
»Geschlagen, Sharp! Um 15 Minuten bei einem Flug über 40 000 Kilometer geschlagen.«
John Sharp ließ den Hörer fallen und schlug die Hände vors Gesicht. –
Die Station von Radio City schrie die Nachricht in den Äther hinaus. Alle großen Sender der fünf Kontinente gaben sie weiter. Wenige Minuten später wußten Hunderte von Millionen auf der ganzen Erde um den Ausgang des gigantischen Rennens. Die Deutschen hatten es gewonnen, den Eggerth-Werken würde der große Reading-Preis zufallen.