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Eine Wiener Ärztin hat kürzlich eine Schrift veröffentlicht: "Was sollen unsere erwachsenen Töchter von der Ehe wissen?" Zweck der Schrift: die Mutter der Pflicht zu entheben, ihre Töchter über die Geschlechtsverhältnisse zu unterrichten. "Lege das Büchelchen," schreibt die Ärztin, "zutrauensvoll in die Hände deiner erwachsenden oder erwachsenen Töchter, der Segen Gottes für sie und ihre Kinder wird nicht ausbleiben."
Auf wenigen Seiten des Büchelchens, (der größte Teil enthält moralische Vorschriften,) gibt die Ärztin eine naturwissenschaftliche Darstellung der Fortpflanzungsvorgänge, wie sie bei den organischen Wesen von der Pflanze und den niedersten Tiergattungen an bis zum Menschen hinauf stattfinden.
Dieser kurze, trockene Bericht, – er liest sich wie ein wissenschaftlicher Katechismus, – scheint mir für die angestrebte Aufklärung nicht ausreichend und nicht geeignet. Einmal, weil er der forschenden Neugierde des Kindes noch immer einen zu großen Spielraum lässt, da die Art der menschlichen Zeugung und Empfängnis nach wie vor verschleiert bleibt.
Ferner: die Aufzählung und Beschreibung der Organe, die zur Fortpflanzung dienen, dürfte gerade an dieser Stelle den ästhetischen Sinn des Kindes verletzen. An anderer Stelle, etwa beim Unterricht über die körperliche Beschaffenheit des Menschen wäre sie am Platz.
Drittens: ich glaube nicht, daß ein heranwachsendes, naturgeschichtlich nicht vorgebildetes junges Mädchen der trockenen Schrift Verständnis und Interesse entgegenbringen würde. Wahrscheinlich ist, daß es nach der Lektüre ebenso klug sein würde wie vorher.
Meines Dafürhaltens ist bei einer so schwierig und zart zu behandelnden Materie die gedruckte Belehrung auszuschließen. Nur die mündliche Belehrung kann der Eigenart des Kindes, die maßgebend für die Form der Belehrung sein muss, kann seinen Fragen Rechnung tragen.
Ich teile die Ansicht der Ärztin, daß das junge Mädchen, bevor sie in die Ehe tritt, die physischen Vorgänge des Liebeslebens kennen muss.
Die ängstliche und geflissentliche Verhüllung des Ursprungs unseres Daseins, wie sie in Schule und Haus üblich ist, bewirkt das Gegenteil von dem, was damit beabsichtigt wird. Anstatt den jungen weiblichen Geschöpfen Reinheit und Unbefangenheit zu erhalten, erweckt sie in ihnen eine verhängnisvolle Neugierde, eine Aufstachelung, einen Schleier zu lüften, hinter dem das heranwachsende Rind etwas verführerisch Aufregendes, eine zwar verbotene aber begehrenswerte Frucht ahnt. – Der Apfel, der vom Baum der Erkenntnis gestohlen wird, führt meistens einen Schritt aus dem Paradies heraus.
Durch eine frühzeitige Aufklärung fiele das heimlich lüsterne Spüren nach den Geschlechtsgeheimnissen – Konversationslexikon und Bibel sind die beliebtesten Quellen – das oft auf Jahre hinaus die Phantasie des weiblichen Kindes beschäftigt und vergiftet, fort. Jedes nicht ganz einfältige Kind verliert sehr früh den Glauben an den Storch, und nichts ist natürlicher, als daß es sucht, was an seine Stelle zu setzen ist.
Ferner beugt eine rechtzeitige Belehrung von Berufenen der Gefahr vor, daß sie dem Kinde von Unberufenen, vielleicht in brutaler Form zuteil wird.
Ich kenne einige junge Mädchen, die sich zur Ehe nicht entschließen konnten, weil sie sich von den widrigen Vorstellungen, die solche Mitteilungen in ihnen hinterlassen hatten, nicht zu befreien vermochten.
Die Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit der Belehrung zugegeben, so tauchen sofort andere Fragen auf.
Wer soll die Belehrende sein? Die Mutter?
Ja, wenn sie die geeignete Persönlichkeit ist, das heißt: intelligent, zartfühlend, von feinstem Takt und über das nötige Wissen verfügend. Diese Eigenschaften zugleich besitzt die Mutter in den seltensten Fällen. Sie fühlt es, und schweigt deshalb fast immer, die Aufklärung bequem und zutrauensvoll dem Zufall überlassend.
Man hat vorgeschlagen, die weiblichen Kinder durch Vorträge (die etwa von einer klugen Ärztin zu halten wären) über die Fortpflanzungsvorgänge zu unterrichten.
Schwer zu überwindende Schwierigkeiten dürften sich dieser Belehrungsform entgegenstellen. Solange das Kind die Schule besucht, wären die Vorträge aus verschiedenen Gründen unstatthaft. Das erwachsene junge Mädchen aber hat in der Regel schon auf spürenden Schleichwegen ein halbes Wissen erworben, dessen Wirkung nicht mehr rückgängig zu machen ist, ganz abgesehen davon, daß in einem größeren Auditorium sich leicht perverse Elemente finden, die in frivoler Weise das Gehörte den andern jungen Mädchen gegenüber missbrauchen könnten. Auch würde bei Vorträgen vor einer größeren Anzahl von Kindern die durchaus gebotene Beachtung der Eigenart des einzelnen Kindes fortfallen.
Mir will als das Zweckmäßigste erscheinen, daß man die Mütter oder Erzieherinnen durch Vorträge darüber belehre, wie die schwierige Aufgabe der Aufklärung des Kindes am besten und würdigsten zu lösen sei, Vorträge, die zugleich der Mutter die naturwissenschaftlichen Kenntnisse, falls sie ihr fehlen sollten, beizubringen hätten. Für intelligente und kenntnisreiche Frauen dürfte eine durch Schriften vermittelte Unterweisung ausreichend sein. Der Mutter bliebe immerhin noch anheim gegeben, den geeignetsten Zeitpunkt für die Wissensmitteilung zu wählen, der je nach der leiblichen und geistigen Beschaffenheit des Kindes ein verschiedener sein würde, der aber unweigerlich vor dem Erwachen des Geschlechtstriebes, vor der Pubertät eintreten müsste. Diesen Zeitpunkt richtig zu treffen, halte ich nicht für besonders schwer.
Schon heut wird fast jede verständige Mutter, wenn ihr kleines Mädchen sie fragt, wie die Kinder zur Welt kommen, – da das mit dem Storch doch Unsinn wäre, – dem Kinde die ungefähren Geburtsvorgänge mitteilen. Eine solche Frage stellt das Kind gewöhnlich zwischen dem 6. und 8. Jahr. Die Kinder pflegen – was jede Mutter bestätigen wird – die Mitteilung ohne besondere Verwunderung oder Erregung hinzunehmen als eine einfache Tatsache, die fernerhin weder ihre Gedanken noch ihre Phantasie beschäftigt.
Und so meine ich, müsste auch die so sehr viel subtilere Aufklärung über die sexuellen Beziehungen stattfinden, sobald das Kind die darauf bezügliche Frage an die Mutter richtet.
Das weibliche Kind merkt sehr bald, daß man verheiratet sein muss, um Kinder zu haben. "Was hat der Mann dabei zu tun?" ist die Frage, die das Kind in irgend einer Form unfehlbar eines Tages an die Mutter richtet, wenigstens in all den Fällen, wo nicht ein allzustrenges Respektsverhältnis die herzlich intime Vertrautheit zwischen Mutter und Tochter hemmt.
Meiner Erfahrung nach wird diese Frage in der Regel zwischen dem 10. und 12. Lebensjahr, zuweilen noch früher gestellt.
Die Aufklärung muss einfach und klar sein, ohne moralisierendes Beiwerk und allzu poetische Ausschmückung, das Hauptgewicht darauf legend, daß Zeugung und Empfängnis auf einem Naturgesetz beruhe, dem alle organischen Wesen unterworfen sind und das die Fortexistenz der Menschheit bedingt.
Bei Halbheit und Verschleierung der Vorgänge würde abermals der ausschweifenden Phantasie, dem lüsternen Forschen des Kindes Tor und Tür geöffnet sein.
In dem Carpenterschen Buch: "Wenn die Menschen reif zur Liebe werden," das kühn und klar, vom ethischen Geist getragen, das Problem der Liebe behandelt, findet sich im Anhang eine wenige Seiten umfassende Übersetzung aus dem französischen Werk: "La révendication des droits feminins" über das vorliegende Thema. Die darin gegebene Belehrung ist so klar, und zartsinnig, daß kaum Besseres an ihre Stelle zu setzen wäre. Ich gebe die Hauptstelle der Übersetzung hier wieder.
Der Autor analysiert in der Botanikstunde seinem Töchterchen eine Pflanze wie folgt: "Ich zeigte ihr die Schönheit der Farbe, die zarte Nuance, die Verschiedenheit der Teile, aus denen die Blume bestand. Nach und nach sagte ich ihr, wie diese Teile genannt würden. Ich zeigte ihr den Pollen, der wie ein schöner Goldstaub an ihren rosigen kleinen Fingern klebte. Ich zeigte ihr unter dem Mikroskop, daß dieser Staub aus einer unendlichen Zahl winziger Samenkörner bestand. Ich ließ sie den Stempel näher untersuchen und zeigte ihr am Ende des Kanals den Fruchtknoten, den ich "ein kleines Haus voll winzig kleiner Kindlein" nannte. Ich zeigte ihr, wie der Pollen am Stengel klebte, und sagte ihr, daß, wenn der Blütenstaub einer Blume vom Wind oder von den Insekten fortgetragen würde und auf den Stempel einer anderen Blüte fiele, die kleinen Samenkörner stürben und ein winziger flüssiger Tropfen durch den Kanal in das kleine Haus dringe, wo die winzigen Kindlein wären, und daß die winzigen Kindlein lauter kleine Eierchen wären, daß in jedem dieser kleinen Eier eine fast unsichtbare Öffnung sei, durch die ein wenig von dem kleinen Tropfen dringe, und daß, wenn dieser Tropfen des Samenstaubes sich mit einem anderen wundersamen Staube, der im Ovarium läge, vermische, beide vereint Leben geben und die Eier sich entwickeln und zu Samen oder Früchten werden. Ich habe ihr Blüten gezeigt, die nur einen Stempel und andere, die nur Stämme hatten. Und ich sagte ihr lächelnd, daß die Stempel gleichsam kleine Mütter und die Staubfäden gleichsam kleine Väter der Früchte seien. . . . Nun mag mein kleines Mädchen mir, sobald sie will, die so gefürchtete Frage stellen, ich werde sie nur an die Botanikstunden erinnern müssen und einfach hinzufügen: Ganz dasselbe geschieht den Menschen, nur mit dem Unterschied, daß, was von den Pflanzen unbewusst getan wird, von uns bewusst geschieht; und daß unter Menschen, die so sind, wie sie sein sollen, man sich nur mit dem Menschen vereinigt, den man liebt."
Meine Überzeugung ist, daß eine solche Aufklärung – immer vorausgesetzt, daß die Form eine würdige und weise sei, und daß sie vor der Pubertät stattfinde – ebenso wenig als es früher die Belehrung über die Geburtsvorgänge tat, eine schreckhafte oder außergewöhnliche Erregung bei dem Kinde hervorrufen wird.
Ich weiß von wahrhaft tragischen Geschehnissen, die bei der Ehevollziehung infolge der völligen Unwissenheit des jungen Mädchens sich abspielten. So manche Jungfrau, wäre sie wissend gewesen, sie würde gerade dem Gatten, zu dem man sie vielleicht überredete, niemals die Hand gereicht haben. Es kommt vor, daß Mütter – es mögen Ausnahmen sein – dem Töchterchen absichtlich verhehlen, was die Ehe ist, damit die Tochter den Mann, gewöhnlich den reichen Mann, der den Eltern erwünscht ist, nicht zurückweise.
Ich verkenne das Gewicht der Bedenken nicht, die sich gegen das frühzeitige Wissen des weiblichen Kindes erheben, die Besorgnis nämlich, daß bei den jungen wissenden weiblichen Wesen sich eine scheue, den harmlosen Verkehr hemmende Befangenheit dem Mann gegenüber einstellen werde.
Hierauf wäre zu entgegnen, daß die völlige Unkenntnis der sexuellen Dinge bei erwachsenen Mädchen auch ohne sachgemäße Belehrung Berufener selten ist, bei klugen und geweckten Mädchen bildet sie wohl die Ausnahme. Und ein ungenaues halbes Wissen dürfte die Phantasie des jungen Geschöpfes mehr beschäftigen, seine Sinne mehr reizen, als ein klares, objektives Wissen.
Eine zopfige Prüderie, die auch heut noch in maßgebenden Kreisen der Metropole der Intelligenz herrscht, veranlasste kürzlich einen Vorfall, der eine Anzahl von Kinderherzen bis zu schmerzlicher Betrübnis erregte und der nur darauf beruhen konnte, daß man die Geheimhaltung der Geschlechtsvorgänge den jungen Mädchen gegenüber für geboten hält und ihre Unkenntnis derselben voraussetzt.
Ein inspizierender Schulmann bemerkte, daß die Leiterin einer Privatklasse, eine verheiratete und studierte Frau, guter Hoffnung war. Am andern Tag ging ihr die strenge Weisung zu, sofort von ihrer Stellung zurückzutreten.
Sämtliche 15 Kinder, sie waren zwischen 12 und 15 Jahr alt, wussten, daß ihre vielgeliebte Lehrerin Mutterfreuden erwartete, und die Folge: sie überboten sich in Aufmerksamkeiten gegen die junge Frau und zeigten in rührender Weise, wie ganz sie die Situation begriffen.
Die Annahme, daß ein ästhetisches Bedenken obwaltete, war wohl ausgeschlossen, einmal, weil die Reformtracht der jungen Frau die Auffälligkeit der äußeren Erscheinung nahezu beseitigte, und dann – ob nicht auch männliche Lehrer zuweilen mit ihrem Leibesmaß über die Stränge der Ästhetik schlagen?
Ich bin der Ansicht, daß in Zukunft durch eine einfachere, weniger in unlauterer Geheimnistuerei herumschleichende Auffassung des physischen Liebeslebens der allzubreite Raum, den es bisher im Leben oder in der Phantasie des Weibes eingenommen hat, eine Einschränkung erfahren wird, zu Gunsten der Entfaltung höherer Kräfte. ,