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5.

Es war ein sehr heiterer Herbstmorgen, an welchem die zierliche Syrene, Capitän Jansen, die Maas hinauffuhr. Der Wind wehete so günstig, daß die aufgesetzten Segel schon hinreichten, das leichte Fahrzeug, selbst den Wellen entgegen, rasch fortzubringen und deshalb der gewöhnliche Vorspann von Pferden entbehrt werden konnte. Die Barke selbst bot jedem, der solchen Dingen gern seine Aufmerksamkeit schenkt, besonders den Seemännern und Schiffbauleuten, einen sehr erfreulichen Anblick. Ihre Seitenwände von starkem Eichenholze waren lichtbraun lakirt und von den sorglichen Matrosen in einer Sauberkeit erhalten, die ihnen den Glanz eines Spiegels gab. An dem weißen, mit einer Malerei von grünem Laube gezierten Vordertheile, prangte in kunstvoller Bildhauerarbeit die Syrene, von der das Fahrzeug den Namen hatte, und sie glich so einem weiblichen Wesen, das eben im Begriff ist, mit dem Oberleib aus einem grünenden Gesträuche sich emporzurichten. Die niedlichen Fenster der Cajüten waren mit grünseidenen Vorhängen geziert. Der schlanke Mast warf in seiner glänzenden Politur die Strahlen der Morgensonne tausendfältig zurück, und auf den frisch gebleichten Segeln war kein Fleckchen zu sehen. Auch für die Sicherheit des Fahrzeuges, die in diesen kriegerischen Zeiten leicht gefährdet werden konnte, war gesorgt, denn auf dem Verdecke standen mehrere nicht unansehnliche Böller und in einigen offenstehenden Kisten waren Schießgewehre und Säbel aufgeschichtet.

Schon vor einigen Stunden hatte das Schiff die Anker gelichtet, und noch immer war dem jungen van Daalen, der die bald nach ihm und Clelien eintreffende Philippintje bei dem ohnmächtigen Mädchen zur Pflege zurückgelassen, keine Nachricht von dem Zustande der Letzteren geworden. Er selbst war mehreremale hinabgeschlichen, um sich Kunde zu verschaffen, aber er hatte die Thüre der Cajüte von Innen verschlossen gefunden. Er hatte gelauscht, aber nichts vernommen. Er hatte leise Philippintje bei Namen gerufen; Alles war still und stumm geblieben. Er stand jetzt auf dem Vordertheile des Schiffes, lehnte sich nachlässig an das Geländer und hatte den Arm um den schlanken Leib der Syrene geschlungen. Aber nicht lange blieb er in dieser Stellung. Die Unruhe seines Innern trieb ihn fort. Er war besorgt um die Geliebte, dann regte sich auch wohl von Zeit zu Zeit in ihm das böse Gewissen, mehr aber bei seinem Leichtsinne die Furcht, wie Clelia das Geschehene aufnehmen werde, wenn sie erst wieder zur völligen Besonnenheit gekommen sey. Hätte er nur Philippintje sprechen können! Sie besaß einen großen Einfluß auf das Mädchen, und mit ihrer Hülfe durft er hoffen, dem drohend heranziehenden Unwetter eher zu entgehen.

Er war, solchen beunruhigenden Gedanken hingegeben, bis zu der Schiffsöffnung fortgeschritten, durch die er jetzt in das Innere der Küche blicken konnte, in der seines Freundes Jansen junge Frau mit Zubereitung der Mittagsmahlzeit beschäftigt war. Der Glanz des Feuers röthete das runde Angesicht der artigen Frau auf eine anmuthige Weise, ihre ganze füllereiche Gestalt, so wie alle Gegenstände in der kleinen, höchst reinlichen Küche zeigten sich in einer so zauberischen Beleuchtung, daß Cornelius einige Augenblicke lang versucht war zu glauben, er sehe eins jener Gemälde von Schalkens vor sich, die sich durch eine unübertreffliche Anwendung des Helldunkels auszeichnen. Bald aber wurde er durch die Stimme der heraufblickenden jungen Frau, die ihn bemerkte, in diesem Wahne gestört.

»Ei, Junker,« sagte sie lachend, »wo habt Ihr denn die Topfguckerei gelernt? Waret Ihr etwa, da Ihr im Felde standet gegen die Franzosen, mehr bei den Kasserollen und den Bratspießen beschäftigt, als bei den Kanonen und dem Blutvergießen, mehr bei den Feldhühnern als bei den Feldstücken, mehr beim Trinken und Kauen, als beim Stoßen und Hauen – «

Frau Jansens Zünglein war im guten Zuge; Cornelius aber unterbrach den Strom ihrer Beredsamkeit, indem er mit kläglicher Stimme einfiel:

»Ach, Frau Beckje,« – so wurde die junge Frau gewöhnlich statt Rebekka genannt – »ich bin nicht zum Scherzen aufgelegt! Ein andermal stehe ich Eueren Angriffen gern zu Dienst mit billiger Erwiederung. Sagt mir lieber, wie es meinem Schwesterlein geht? Ich hör' und sehe nichts von ihr und habe sie doch in einem gar beunruhigenden Zustande verlassen.«

»Thut der Mensch doch um das Schwesterlein, als wenn es ein Bräutlein wäre!« versetzte etwas schnippisch die Capitänsfrau. »Unterbricht mich da in meiner besten Rede, aus der er ohnehin, wenn er nicht seinen ganzen Verstand in meine Kochtöpfe versenkt hat, schon abnehmen muß, daß Alles rein und gut steht auf der Syrene, daß kein Kranker an Bord ist und über dem Fahrzeuge das Fähnlein der Gesundheit lustig flattert und flaggt! Ihr seyd mir ein rechter Kriegsheld, bei dem die Courage theuere Waare wird, wenn er ein Frauenbild in Ohnmacht fallen sieht! Da müßt Ihr Euch an ganz andere Dinge gewöhnen, wenn Ihr einmal heirathet.«

»Die Schwäche ist also vorüber und sie befindet sich wohl?« fragte hastig Cornelius. »Sie ist wieder bei Besinnung und hat wohl schon nach mir gefragt?«

»Keins von Beiden!« antwortete Frau Jansen, indem sie sich bückte und das Feuer anblies. Der junge Mann wurde von heftiger Ungeduld ergriffen, aber er mußte warten, bis das dringende Geschäft gethan war und die sorgsame Schiffsherrin fortfuhr. »Aus der Ohnmacht ist ein gesunder Schlaf geworden und die Jungfrau liegt auf dem Ruhebette mit zwei rothen Bäcklein, so frisch und gesund, wie Granatäpfel. Sie athmet sanft und leicht und Alles zeigt an, daß sie bald neu belebt und gestärkt an Leib und Seele erwachen wird!«

»Nassau und Oranien!« sagte der junge Mann leise zu sich selbst. »Wie wird's mir dann ergehen, wenn sie wieder bei lichten Sinnen ist und mit ihrem verzweifelten Nachdenken mein ganzes schönes Luftgebäude von Autodafé und Klosterzwang über den Haufen stößt? Ade, fein's Liebchen, Ade, wird's heißen, wie im deutschen Liede, aber man wird mir kein goldenes Ringlein schenken auf den Weg, sondern manches Scheltwort auf den Rücken. Frau Beckje,« wandte er sich entschlossen zu der Capitänsfrau, »ich muß Philippintje sprechen, ehe meine Schwester erwacht. Sucht es einzurichten, wie Ihr wollt, aber verschafft mir einige Augenblicke ungestörter Unterredung mit der Alten! Mein Glück hängt davon ab, und Ihr als meine Freundin werdet mir nicht entgegen seyn in einer wichtigen Sache!«

»Hört, junger Herr!« sagte die Frau und erhob drohend den Zeigefinger der rechten Hand. »Ich bin sehr geneigt zu glauben, daß es mit der Schwesterschaft nicht ganz richtig ist und daß allerlei Kriegslisten dahinter stecken. Bei Nacht und Nebel braucht man keine Schwester an Bord zu bringen; das kann bei hellem Tage geschehen. Aber ich weiß recht wohl, daß Jugend nicht Tugend hat und Ihr am allerwenigsten. Ich drücke ein Auge zu, allein das andere bleibt desto weiter offen und siehet um so schärfer darauf, daß Alles in Ehren zugeht auf der Syrene. Das laßt Euch gesagt seyn ein für allemal. Ihr seyd ein guter Freund zu meinem Manne, aber Recht geht über Freundschaft. Sonst diene ich Euch gern, und da bei der verlangten Zusammenkunft mit der holdseligen Philippintje,« fügte sie lachend hinzu, »hoffentlich nur die tugendhaftesten Absichten zum Grunde liegen, so will ich Euch das Kind heraufschicken. Ihr müßt aber, während ich sie rufe, meinen Platz am Heerde einnehmen, das Backobst fleißig umschütteln, daß es nicht anbrennt, und das Feuer unter dem Pökelfleisch unterhalten. Kommt herab, daß ich sehe, wie Euch der Küchenschürz ansteht!«

Cornelius ging gern auf einen Scherz ein, der für seine mißliche und verwickelte Angelegenheit eine günstige Wendung herbeiführen konnte. Mit einem kühnen Sprunge war er unten bei Frau Beckje. Das muntere Weibchen band ihm lachend und schäkernd eine blendend weiße Schürze vor, gab ihm den Kochlöffel in die Hand und sagte:

»Da habt ihr Eueren Commandostab! Haltet Ihr gute Ordnung in meinem Feldlager, so werde ich's zu rühmen wissen, denn das zeigt von guter Anlage zum Ehemanne und Hausvater. Zerfällt mir aber das Fleisch, wird das Backobst schwarz und rauchig, so müßt Ihr eben ein Junggeselle bleiben Euer Lebelang, denn es fehlt Euch an der nothwendigsten Sache für den Hausstand, an der lieben Ordnung.«

Beckje legte rasch ihr Küchencostüm ab und sprang die kleine Treppe hinauf, um sich nach der Cajüte zu begeben, in der Clelia mit Philippintje eingeschlossen war. Indessen wachte der gewesene Kriegshauptmann Cornelius so aufmerksam und sorgfältig bei den Kochtöpfen, wie er früher als Soldat auf nächtlichen Posten dem Feinde gegenüber gewacht hatte. Er hielt den Kochlöffel mit militärischem Anstande in der Rechten, als wäre es der Degen, mit dem er eben das Zeichen zum Angriffe geben wolle. Sein Auge beobachtete mit ängstlicher Aufmerksamkeit die Flamme, als aber die Fleischbrühe plötzlich überkochte und zischend in die Gluth floß, so daß diese zu verlöschen drohete, da wußte er weder Rath noch Hülfe, sondern brach in den Schreckensruf: »Frau Beckje, Frau Beckje!« aus. Wer aber nicht hörte, war Frau Beckje.

»Potz Raa und Backbord!« ließ sich dagegen Capitän Jansens Stimme von oben herab vernehmen. »Was fällt dir ein, Cornelius, daß du meine Frau vorstellen willst am Heerde und die Suppe ins Feuer anrichtest, statt auf den Tisch? Du solltest dich nur sehen und das arme Sündergesicht, das du schneidest in diesem Augenblicke und du müßtest laut auflachen über dich selbst! Komm herauf! Der Schiffsjunge mag so lange die Töpfe hüten, bis Beckje wiederkommt. Der versteht das Ding besser, als du.«

Der muntere Knabe, der auf des Capitäns Wink herbei sprang, war auch gleich unten und hatte rasch und umsichtig das von Cornelius angestiftete Unglück bald wieder gut gemacht. Dieser warf ihm ein Paar Stüber zu und erschien nun mit einem verdrießlichen Gesichte auf dem Verdeck. Das Lachen, in welches Capitän Jansen, gleich nachdem er jene Worte gesprochen, ausgebrochen war, wurde jetzt lautschallend und unmäßig. Er deutete auf Cornelius Antlitz, er wies auf den Küchenschürz, den dieser noch nicht abgelegt hatte. Den Schürz schleuderte der junge Mann ärgerlich hinweg, als ihm aber sein Freund erklärte: Die Kochtöpfe hätten schwarze Spuren seiner Vertraulichkeit mit ihnen auf Nase und Wange zurückgelassen und diese gäben ihm ein so furchtbar komisches Ansehen, daß keiner, der ihn sähe, sich des Lachens erwehren könne, trat er kaltblütig an das Wasserbecken und sagte, indem er sich reinigte, mit großer Ruhe:

»Das kommt nicht von den Kochtöpfen, lieber Jansen! Das kommt von Deiner lieben Frau, die mich herzend und küssend empfangen, als ich ihr Besuch abstattete im unterirdischen Reich.«

»Da müßte sie einen schlechten Geschmack haben!« erwiederte selbstgefällig der Capitän, und dehnte die mächtigen Glieder seiner riesigen Gestalt. Er war um Kopfshöhe größer, als der Junker van Daalen, und sah in diesem Augenblicke auf ihn herab, wie auf ein Kind. Bei seiner Größe gab ihm die fleischige Fülle seines Körpers ein wahrhaft herkulisches Ansehen. Sein wohlgebildetes Antlitz trug den Ausdruck der Offenheit, der frohen Laune und einer kräftigen Derbheit. Seine Bewegungen waren langsam und nachlässig, wie man sie oft bei sehr starken Menschen findet, denen sich in Unternehmungen, welche Körperkraft erheischen, selten anreizende und zu rascher Thätigkeit auffordernde Hindernisse in den Weg stellen. »Was sollte sie mit einem Knäbchen anfangen, wie du bist? Sie ist einmal geboren eines Schiffcapitäns Frau zu seyn und du magst wohl zur Noth mit dem Messer, das du an der Seite trägst, handthieren können, wenn es aber darauf ankommt, ein Schiff lufwärts oder leewärts zu halten, das Raasegel aufzuhißen, den Anker zur rechten Zeit schießen zu lassen und die tollen Jungen, die beim Sturm in den Tauen herumtanzen, wieder nach der Commandopfeife tanzen zu lassen, da bist du ein verlorener Mann, da hat dein Compaß die Richtung verloren, da steuerst du frisch auf die Sandbank los, bis du strandest und dein leckes Boot untergeht mit Mann und Maus. Dort blick hin aufs Backbord! Da steht eine in einer Takellage, die für dich paßt. Das ist ein Schätzlein für meinen Cornelius, das ihm auch so leicht keiner abspenstig macht.«

Bei diesen Worten ergriff er seinen jungen Freund bei den Schultern und drehete ihn rasch um, so daß Cornelius nun die Aussicht nach dem vordern Theile des Schiffes hatte. Da fielen seine Blicke sogleich auf Jungfrau Philippintje, die vor der Syrene stand und ihn mit heftigen Bewegungen zu sich heranwinkte. Er gönnte seinem Freunde kein weiteres Wort, er ließ ihn stehen und war in drei Sprüngen bei der Alten. Jansen schickte ihm ein schallendes Gelächter nach, er aber überhörte es und sprach mit ungemeiner Freundlichkeit zu der Jungfrau:

»Wie geht es Euerer schönen Schutzbefohlenen? Gewißlich recht gut, denn unter einer solchen mütterlichen Pflege kann die zarte Pflanze nur gedeihen und in frischer Gesundheit emporblühen!«

»Ja, mein hochwerther Junker,« versetzte Philippintje, die sich sehr geschmeichelt fühlte, »das muß wahr seyn, ich bin dem Mädchen immer gut gewesen, wie eine leibliche Mutter und ohne mich, die sie stets auf dem Wege zum wahren Christenthume gehalten, wäre sie nach dem Beispiele des sündigen Vaters, eine Heidin geworden und so eine Schiwa-Verehrerin, die ein Stück Holz für den lieben Herrgott ansieht. Aber da habe ich sie seit ihrem siebenten Jahre täglich zum Domine geführt in die Glaubenslehre, wenn der Patron in der Schreibstube oder den Gewölben sein Wesen trieb, da habe ich sie Abends bei mir im still heimlichen Kämmerlein wiederholen lassen, was sie in Sprüchen und biblischen Erzählungen bei dem Domine gelernt, und deshalb ist sie fromm und schön geworden, denn wer dem Herrn mit wahrhaftiger Liebe zugethan, den schmückt er auch mit lieblicher Gestalt und freundlichem Wesen. Alles, was sie ist, hat sie mir zu danken, die Clötje: das gute Gemüth und die Schönheit, und das lasse ich mir nicht bestreiten.«

»Wer wollte auch das thun?« fiel Cornelius ein, der Mühe hatte seine Ungeduld zu bewältigen. Die Lust an dem Weihrauche, den Philippintje sich selbst streuete, hatte sie ganz von der Beantwortung seiner Frage abgeführt. Er wiederholte sie jetzt dringender und fügte hinzu, er fürchte sehr für Clelias Gesundheit, der doch leicht der Schreck, wie die feuchte Nachtluft, nachtheilig gewesen seyn könne.

»Nichts von allen Dem!« entgegnete kopfschüttelnd die Hausjungfer. »Sie liegt im besten Schlafe von der Welt und ihre Wänglein blühen, wie die schönsten Tulipanen in Heern van Vlietens Blumengarten, wie der Duc van Doll, oder der Admiral Enkhuysen. Wer ein gutes Gewissen hat, dem kann der Böse nicht so leicht etwas anhaben in Weh und Krankheit! Ich freue mich nur darauf, wenn sie ausgeschlafen hat und sich nun frei sieht in der weiten Gotteswelt, der schrecklichen Gefahr, ihrem Glauben entsagen und eine Nonne werden zu müssen, entgangen.«

Herr Cornelius van Daalen konnte diese Freude nicht theilen. Vor seinen Geist trat in diesem Augenblicke Alles, was er bei Clelias Erwachen zu erwarten, was er von ihrer wiederkehrenden Besinnung und Erkenntniß zu fürchten hatte. Vorwürfe, einige Kälte und etwas Jammer nach dem Vater – auf diese Dinge war er gefaßt. Wenn aber Clelia ihm vielleicht ihre Liebe entziehn, wenn sie seine Unbesonnenheit so entsetzlich bestrafen wollte, ihn aus ihrem Angesichte zu verbannen, dann war das Aergste geschehen, dann blieb er ewiger Reue über ein Unternehmen hingegeben, das statt ihm die Geliebte zu sichern, sie ihm geraubt hatte. Philippintje näher mit sich zu verbinden, schien ihm durchaus nothwendig. Er nahm einen gehenkelten Doppeldukaten aus seinem wohlgefüllten Ledergürtel, hielt ihn zwischen zwei Fingern, so daß er lockend im Sonnenlichte erglänzte, und sagte im schmeichelhaftesten Tone, den er aufzubringen vermochte:

»Wir Beide sind vom Schicksale erkoren, über die Lebenspfade der lieben Clelia zu wachen. Wir müssen gleich seyn in Gesinnungen und Handlungen, aber auch sonst im Aeußeren vor den Leuten. Deshalb verlange ich es als eine Gunst von Euch, daß Ihr dieses Goldstück annehmet und in Antwerpen, wo Ihr dergleichen leicht haben könnt, Euch mit einem stattlichen Reiseanzug bekleidet. Nicht wahr, gute Philippintje, Ihr schlagt es mir nicht ab?«

»Behüte Gott!« antwortete Philippintje, indem sie mit großer Gelassenheit den Doppeldukaten annahm und rasch in ihren ansehnlichen Tragsack gleiten ließ. »Soll ich Clötje's Mutter vorstellen und Clötje Euere Schwester, so seyd Ihr ja nichts anders, als mein leiblicher Sohn, und von dem kann ich dergleichen wohl annehmen. Es ist mir auch daran gelegen, daß ich vor der Muhme Jacobea nach Stand und Würden erscheine: das gibt Euch und der ganzen Sache ein Ansehn. Aber, junger Herr,« fuhr sie mit einem verschmitzten Blicke fort, »Ihr habt mir noch ein Räthsel zu lösen, das mir schon lange Nachdenken macht. Wie kamet Ihr denn in den Schiwa und überhaupt, durch welche Veranstaltung gelang es Euch, Eingang in das verschlossene Haus zu finden?«

»Ach!« entgegnete Cornelius und nahm mit einer schwermüthigen Miene auch einen sehr schwermüthigen Ton an: »kennt Ihr die Macht der Liebe nicht, Jungfrau Philippintje? Sie, welche auf dem Throne herrscht, wie in der Hütte des Armen, sie, die den Bettelstab zum Zauberstabe Fortunens macht, die den Hülflosen auf einmal auf den Gipfel des Reichthums und der Freuden erhebt, und den Mächtigen und Reichen niederwirft zu den Füßen der Niedrigkeit und Armuth? Beim Waffenruhme des Prinzen Eugenius! Ihr hättet mehr als zwanzig Jahre hinter Euch und die Liebe wäre Euch unbekannt geblieben?«

»Nein, nein!« sagte fast weinend Philippintje. »Ich kenne sie nur zu gut. Sie hat mich glücklich und unglücklich gemacht, sie hat mir Freuden gegeben, wie sonst nichts mehr, aber auch Leiden, wie sonst nichts mehr! O mein Balthasar, mein Balthasar! Es war gerade in der Zeit, wo die Gebrüder De Witt ermordet wurden, als ich ihn zum erstenmale sah, es mag nun schon ein Paar Jährchen her seyn –«

»Verzeiht, edle Jungfrau,« unterbrach sie mit schonungslosem Muthwillen Cornelius, »seit jener Zeit sind nun schon über dreißig Jahre vergangen. Aber das thut nichts zur Sache. Ich glaube Euch Alles gern, was Ihr gesagt habt und noch sagen wollt; aber hört nun auch mich an. Vernehmt ein Geständniß, das Euch nicht befremden kann, da Euch die Liebe nicht fremd, sondern im Gegentheile nur zu gut bekannt ist. Ich liebe Euch, holdselige Philippintje.«

»Wie, mich?« rief Philippintje im Tone der außerordentlichsten Verwunderung aus und trat einen Schritt zurück. »Ich hoffe, in allen Ehren!« fügte sie, als sie keinen Zug des Scherzes oder Spottes in Cornelius Zügen zu entdecken glaubte, hinzu.

»Freilich!« versicherte dieser. »So sehr in allen Ehren, daß ich auch nicht die mindesten Absichten auf Euch habe. Ueberhaupt werdet Ihr die Ehrlichkeit meiner Gesinnung schon daraus erkennen, wenn ich Euch offenbare, daß ich Euch nur als die Erzieherin und Freundin Clelia's liebe, die ich zu meinem eigentlichen Herzensgespons erkoren habe.«

»Ah, so meint Ihr es!« erwiederte gedehnt das ältliche Mädchen. »Ihr müßt nur nicht glauben, daß Ihr mir da etwas Neues sagt,« fuhr sie, indem die Spur eines Unwillens über getäuschte Erwartung im Tone der Rede und in ihrem Antlitze zurückblieb, fort: »ich habe Euere Fensterpromenaden am Canale auf und nieder, die verliebten Blicke, die Ihr nach Clötje's Fenster schicktet, wohl bemerkt. Aber was hat das mit Euerm Logement im Schiwa gemein, was mit Euerm Eindringen in des Patrons Haus?«

»Herzliebste Philippintje,« lenkte Cornelius mit möglichster Freundlichkeit wieder ein, »Ihr habt ja auch schon der Beispiele erlebt, daß Frauenzimmer sich in diejenigen wieder verliebt haben, die ihnen durch Fensterpromenaden und dergleichen Dinge ihre Neigung bezeigt. So ist es auch der liebenswürdigen Clelia mit meiner geringen Person ergangen.«

Er fuhr nun fort, ziemlich der Wahrheit gemäß, zu berichten, was beide Väter oft von einer Verbindung der Kinder gesprochen, wie diese dann erst beim Kirchgang und andern Gelegenheiten sich einander genähert, wie endlich am gestrigen Abende, auf sein vielfaches Zureden, Clelia ihm den heimlichen Eintritt in das Haus bewilligt und verschafft, wie er, durch des Herrn Tobias unerwartete Rückkehr, nothgedrungen in den Leib des Schiwa kriechen müssen und dort, ohne es zu wollen, Zeuge der Entzweiung beider Väter geworden und die schrecklichen Anschläge vernommen, welche der alte van Vlieten gegen ihn und die Tochter im Sinne trage, indem dieser zugleich seines geheimen Uebertrittes zu einem andern Religionsglauben gedacht. Bei dieser Abweichung von der Wahrheit zur Lüge mußte Cornelius zu seinem großen Erstaunen und zu seinem noch größern Verdrusse die Bemerkung machen, daß Philippintje mit einem ungläubigen Lächeln zu ihm aufsah, eine sehr listig seyn sollende Miene annahm und bedenklich den Kopf schüttelte. Das kam ihm durchaus unerwartet. Der Eifer, den die Hausjungfer bei der ersten Entdeckung an den Tag gelegt hatte, schien ihm ein hinlänglicher Bürge ihrer Leichtgläubigkeit zu seyn; aber, wie es jetzt das Ansehn gewann, hatte er sich getäuscht und wurde von ihr in seinem, freilich nicht allzu fein angelegten Betruge durchschaut. Er war nun bemüht, sie von weitern Gedanken und Ueberlegungen, die diesen Punkt betrafen, abzuziehn. Er sprach von seiner großen Liebe zu Clelia, von der gerechten Verzweiflung, die ihn ergriffen, da er Herrn Tobias plötzlich entstandenen Widerwillen gegen die schon so gut als abgeschlossene Verbindung erkannt, von dem beispiellosen Glücke, das er Clelien als zärtlicher Gatte zu bereiten gedenke, von seiner Dankbarkeit gegen Philippintje, die ein solches Kleinod gebildet, und von den reichen Geschenken, von der Hochachtung bis ins späteste Alter, mit denen er jene Dankbarkeit bethätigen wolle.

»Hochedler Junker,« sagte Philippintje, nachdem er geendigt und zwischen beiden Personen eine erwartungsvolle Stille geherrscht hatte, bedächtig, »es gibt Dinge, die ich am Tage anders ansehe, als in der Nacht. So geht es mir mit Euerer Geschichte von des Patrons Glaubensveränderung, von Clötjes Nonnenschaft, von Euerer Verbrennung; sie kommt mir vor wie ein Traum, und: Träume sind Schäume, sagt ein altes Sprüchwort. Ich habe schwer und böse geträumt, aber ich bin nun erwacht. Der alte Tobias mag wohl ein schlechter Christ seyn und mehr am heidnischen Schiwa, als an der christlichen Liebe hängen, aber so arg treibt er's doch nicht, daß er ein Catholik geworden wäre und den Herzog von Alba wieder aus dem Grabe erwecken möchte, sammt der Inquisition und ihren Blutgräueln. Davon hat mir mein Balthasar selig erzählt, der die Geschichte auf ein Haar wußte. Nein! der gestrenge Patron verabscheut vielmehr die Spagnolen, schon des Zuckers und Caffees, der Muskaten und des Caneels halber, mit denen sie gern allein handeln wollen. Ihr habt uns diese Nacht in der ersten Bestürzung einen mächtigen Bären aufgebunden, mir und meiner Clötje: so groß, daß sie ihn gleich erkennen wird, wenn sie nur ihre Aeuglein aufthut!«

»Holland und England!« fuhr Cornelius unbedacht heraus. »Das ist ja mein einziger Kummer. Glaubt Ihr, ich kenne Clelia nicht genug, um das vorauszusehn?«

»Sündenlohn ist der Sünden Schuld!« versetzte das Mädchen, indem sie mit großer Selbstzufriedenheit über den bewiesenen Scharfsinn den Kopf mit der langgeöhrten Spitzenhaube hin und herwiegte. »Ihr hättet Euch auch selbst verrathen, wenn ich Euch nicht errathen hätte. Ihr könnt dergleichen Streiche im ersten Augenblick wohl unternehmen, aber Ihr seyd nicht schlimm genug, sie durchzuführen. Ich war eine rechte Thörin, Euren Spiegelfechtereien Glauben beizumessen; allein es reuet mich nicht, denn es ist schon seit lange einer meiner innigsten Wünsche, einmal in der Welt herumzufahren, und allerlei Schicksale und Begebenheiten zu erleben. Aber Clötje? Die denkt nicht so, die wird ein andres Stücklein anstimmen, das Euch widrig in die Ohren gellen und Euer Müthchen gewaltig herabstimmen dürfte!«

»Unvergleichliches Philippintje, da müßt Ihr helfen!« bat dringend Cornelius. »Euch verdankt sie das edle Gemüth, die Schönheit und den Verstand. Ihr vermögt Alles über sie. Sucht sie bei dem Glauben an Herrn Tobias tyrannische Absicht zu erhalten, malt ihr das Nonnenleben noch weit entsetzlicher, als Ihr schon gethan habt, stellt ihr die Qual der Verdammniß vor –«

»Das thue ich nicht!« entgegnete mit einem bösen Gesichte und entschlossener Stimme Philippintje. »Ueberhaupt, wenn Ihr auf dem Lügenpfade fortschreiten wollt, so dürft Ihr nicht darauf rechnen, mich zur Reisegefährtin zu besitzen.«

»Nicht böse, Engels-Philippintje, nicht böse!« versetzte höchst kläglich der muthlos werdende Kriegsmann. »Wenn Ihr mich verlaßt, so bin ich ja von Allem verlassen, selbst von dem letzten Troste des armen Sünders, von der Hoffnung. Helft mir und rathet mir in dieser Sache und ich schwöre Euch, wenn Ihr es dahin bringt, daß Clelia die meinige wird, so soll es Euch nie fehlen an irgend Etwas Euer Lebelang, wir wollen Euch hegen und pflegen, wie eine Mutter und Ihr sollt jährlich hundert Dukaten blos für Euere Nebenausgaben haben.«

Das war eine starke Versuchung für Philippintje. Sie hatte im Hause des Herrn Tobias Gelegenheit gehabt zu bemerken, daß der geizige Herr, seitdem sie in die Jahre getreten, wo ihr die häuslichen Geschäfte nicht mehr so flink von der Hand gingen, wie früher, sie mit scheelem Auge ansah, oft um Geringfügigkeiten Willen Ursache zum Streit mit ihr suchte und sie in einer Weise ausschalt, aus der sie ersah, daß sie ihm lästig falle, sie hatte sogar aus seinem Munde hören müssen, daß, wer nicht arbeite, auch nicht des Brodes werth sey, das er esse. Diese Hartherzigkeit, diese Undankbarkeit des alten van Vlieten erbitterte sie auf's Aeußerste; sie sah von diesem Augenblicke Alles, was er that, in einem schwarzen Lichte an. Seine Abgeneigtheit, den Domine zu bewirthen, galt ihr für Mangel an Christenthum, seine Liebhaberei am Schiwa war ihr ein Beweis, daß er im Heidenlande, wie sie Ostindien nannte, auch heidnische Gesinnungen angenommen habe. Sie war in ihrer durch Tobias selbst fortgenährten Erbitterung geneigt geworden, das Entsetzlichste von ihm zu glauben. Deshalb ging sie so leicht in die von Cornelius gestellte Falle, deshalb wirkte sie übereilt zu einem Unternehmen mit, dessen Bewegungsgründe ihr, sobald ihr Gemüth Zeit zu Ruhe und Nachdenken fand, als Täuschungen, als Ausgeburten der Unbesonnenheit und des Leichtsinnes erscheinen mußten. Sie durfte nicht hoffen, bei einer etwaigen Rückkehr in Cleliens Vaterhaus, von dem Prinzipal entschuldigt und wieder in Gnaden angenommen zu werden. Im Gegentheile stand zu erwarten, daß Herr Tobias in ihr die Verbündete des Junkers Cornelius sehen, seinem langgenährten Grolle Luft machen und ihr den oft in unzweideutigen Ausdrücken gedroheten Abschied ertheilen würde. Nun kam des jungen van Daalen, gegen jede Noth des Alters schützender Antrag und mit ihm eine Gelegenheit, deren Frauenzimmer in Philippintje's Jahren sich so gern bemächtigen, nämlich die, eine Heirath stiften zu können, und dabei noch die Aussicht, an dem filzigen Tobias Rache zu nehmen – Philippintje widerstand nicht länger, aber sicher wollte sie sich setzen und nicht einem bloßen Versprechen das Glück ihrer Zukunft, das vielleicht nie wieder so lockend sich bieten würde anheimstellen.

»Was Ihr mir da sagt, ist wohl recht schön und gut, hochedler Junker!« hob sie mit angenommener Gleichgültigkeit an, »aber nehmt mir's nicht übel, wer kann Euch trauen? Habt Ihr Euch kein Gewissen daraus gemacht, mich und auch gar Euere Herzliebste bei Nacht hinter der Wahrheit herumzuführen, so werdet Ihr es bei Tage ebensowenig thun. Ich weiß recht gut, Ihr seyd ein reicher Erbe, Euer Vater ist ein dicker Herr in der guten Stadt Rotterdam und es wird dermaleinst nicht viel für Euch seyn, jährlich einhundert Dukaten einem armen Mädchen hinzuwerfen, das sie wohl durch vielfache Sorgen und Nachtwachen bei dem lieben Clötje verdient hat. Aber wer verbürgt mir Euer Wort? Wißt Ihr was, Herr Cornelius, gebt mir's schriftlich und dann will ich sehn, was ich bei Clötje thun kann. Mit einem solchen Papier in der Tasche hat man gleich mehr Muth, der Verstand schärft sich und man weiß für jeden Nothfall eine gute Aushülfe!«

»Nassau und Oranien, Ihr traut meinem Worte nicht?« entgegnete mit einiger Heftigkeit Cornelius. Dann aber fuhr er lachend und indem er sich eines Gefühles von Beschämung nicht ganz erwehren konnte, fort. »Aber ich kann es Euch nicht verdenken. Ich habe es danach getrieben, daß Ihr mich mehr für einen Wortmacher, als einen Worthalter ansehn müßt. Ich will Euere gute Meinung wieder gewinnen. Gleich stelle ich Euch die Schrift aus, die Ihr verlangt, aber, sowahr ich Clelia mehr als Alles liebe, für diesen Fall hättet Ihr keiner anderen Versicherung bedurft, als meines Wortes.«

»Besser ist besser!« sagte Philippintje mit zweifelhaftem Kopfschütteln für sich, während Cornelius hastig nach dem Tische des Steuermannes schritt, auf dem sich Papier und Schreibzeug befand. Von diesem Augenblicke sah die Hausjungfer des jungen Mannes Angelegenheit für ihre eigene an. Sie überlegte hin und her, auf welchem Wege sie am besten ihr Clötje zu milden Gesinnungen für den unbesonnenen Kriegsmann aus dem Unwillen überleiten könne, der das liebe Kind sicherlich beim Erwachen ergreifen würde, wie sie die Besänftigte dann weiter zur Fortsetzung der Reise, zu dem Besuche bei der Muhme Jacobea bewegen möge, damit der alte Tobias nicht, noch etwa vor dem geschlossenen Bunde, seine scheidende Vaterhand zwischen den Junker und Clötje hinstrecken könne. Eben als Cornelius herbeitrat und ihr das gewünschte Papier überreichte, glaubte sie die rechte Art und Weise gefunden zu haben.

»Laßt mich nur machen!« sprach sie in dem Tone des nun herrschenden traulichen Einverständnisses. »Der alte Heide Tobias soll Euern Herzenswünschen nicht entgegentreten und Clötje selbst wird gern ja sagen, wenn ich mit ihr geredet habe. Hütet Euch nur vor ihr Angesicht zu treten, bis ich Euch einen Wink gebe. Beruhigt Euch: Es wird Alles gut gehn.«

Philippintje verbarg die erhaltene Verschreibung im tiefsten Grunde der großen Ledertasche, die sie unter der Schürze, an ihrem Leibe trug. Dann trippelte sie fort, die kleine Treppe hinab, welche zu Cleliens Aufenthalte führte.

Die Ufer des Flußes, den die Syrene, von schwellenden Segeln rasch fortbewegt, hinauffuhr, erweiterten sich. Die zierlichen, roth und weiß gemalten Landhäuser mit den freundlichen, hellgrünen Laden und Thüren, wurden seltener und sahen nur noch aus der Ferne herüber. Man näherte sich der Gegend, wo die Maas, mit einem Arme der Schelde und mehrern andern Gewässern vereinigt, eine Art von See bildet, in dessen Mittelpunkt man, wie auf offenem Meere, keine Küste mehr erblickt. Die Barke kam jetzt, obgleich die Zugpferde ausgespannt wurden, noch schneller vorwärts, als bisher, da der Richtung ihres Laufes die eintretenden Strömungen anderer Gewässer Hülfe leisteten. Die Schiffenden sahen bald den weiten Spiegel vor sich liegen. Viele Segel waren in der Nähe und Ferne zu erblicken.

Da trat mit einer ernstern Miene, als gewöhnlich, der Capitän zu seinem Freunde:

»Höre einmal, Landläufer,« sagte er, »du hast oft genug zu thun gehabt mit den Franzosen auf festem Grunde und Boden, jetzt kann dir desgleichen mit ihnen oder den Spagnolen auf dem beweglichen Wasser begegnen. Die welschen Seehunde sind frech und übermüthig geworden. Sie wagen sich in Schaluppen und selbst in Schoonern in die Flußmündungen hinein, um im Innern des Landes den Handel zu stören und Beute zu machen. Ich stehe dir nicht dafür, daß so ein naseweiser Franzose oder ein hochmüthiger Don uns nicht in den Weg kommt und wir einen Strauß mit ihm auszufechten haben, den man hören wird von Dortrecht bis Antwerpen. Dafür ist meine sonst friedfertige Syrene mit Böllern gerüstet, mit Schießgewehr und Pulver wohl versehen. Sie sollen nur kommen! Capitän Jansen hat nicht umsonst unter Ruyter und de Witte seine Lehrjahre gemacht.«

»Mein Degen soll an den Galgen gehängt werden, wenn er ihnen nicht die Wege weißt auf gut oranisch!« rief sehr lebhaft Cornelius, indem die Aussicht auf ein kriegerisches Unternehmen ihn einige Augenblicke die Sorge für Clelien vergessen ließ. Gleich darauf setzte er jedoch bedächtig hinzu, »aber meine Schwester – wie wird es ihr ergehen, welche Lage für das Mädchen – «

»Pah!« fiel Jansen mit einem rauhen Gelächter ein. »Wenn du besorgt bist um ihretwillen, so wirst du nur desto besser fechten, und was sie betrifft, so mag sie's mit meiner Frau halten, die bei solchen Tänzen nicht auf dem Verdeck fehlt und ihren Böller so schußgerecht abfeuert, wie ein gelernter Canonier. Potz Bramsegel und Fockmast! Es ist nicht das erstemal, daß sie dabei ist. Du solltest sie nur sehen, mit welcher Geschwindigkeit sie ladet, zielt, die Lunte einschlägt und immer dem Schiff in die Weichen trifft, daß es eine Freude ist. Ja, sie ist geboren zu eines Seemanns Frau, die Beckje! Und wie es auch drunter und drüber geht, wie die Kugeln über das Schiff schwirren und die Enterhaken der Feinde durch den Dampf herüberglänzen, so schweigt keinen Augenblick ihr Spottlied:

Die Geusen wollen jagen
Auf den hispan'schen Don,
Doch wo sie nach ihm fragen,
Lief er schon längst davon!«

»Das ist ganz vortrefflich von der Beckje,« erwiederte gedehnt der Junker van Daalen, »und es würde mir allerdings eine große Freude seyn, sie in ihrer kriegerischen Thätigkeit zu bewundern, aber meiner Schwester wegen, die keine solche Heldin ist, wäre es mir doch lieber, du setztest uns in Dortrecht oder, wo es sich sonst gut thun läßt, an's Land!«

»Ich glaube gar, du fürchtest dich?« versetzte mit einem Anfluge von Spott der Schiffscapitän. »Du mußt aber nun schon aushalten, bis wir in den Haven von Antwerpen einlaufen, denn gerade an den Küsten wimmelt es von feindlichen Kreuzern in einer Menge, der ich nicht gewachsen bin. Halte dich nur ruhig im untern Raum, wenn's drauf und dran geht, Beckje wird dich schützen.«

»Hölle und Marlborough!« fuhr Cornelius wild auf und eine dunkele Gluth überzog sein Antlitz. »Hätte mir ein anderer, als du das gesagt, Jansen, so müßte er den Schandflecken mit seinem Blute mir abwaschen. So aber weiß ich, daß du nur scherzest, denn du kennst recht wohl die Bedeutung dieser goldenen Ehrenkette, die mir der ruhmwürdige König Wilhelm eigenhändig angelegt. Ich habe die Sache nun auch schon besser überlegt und denke nicht mehr daran, mich mit den Weibern auszuschiffen. Laß sie nur kommen und du sollst sehen, daß ein Landläufer, wie du mich zu nennen beliebst, mit Geschoß und Degen so gut umzugehen versteht, wie eine Wassermaus!«

Jansen schüttelte lächelnd seinem Freunde die Hand.

»Nimm's nicht übel, Bruderherz!« sagte er gutmüthig. »Aber, du mußt uns Seeleuten schon die Eigenheit hingehen lassen, daß wir gern Euch Landhelden ein Wenig aufziehn. Die Geusen haben Holland frei gemacht und deshalb steht ihnen auch wohl eher ein Wort frei, als andern. Unsere Tromp, Ruyter und de Witte beherrschten das weite Weltmeer, während ihr Mühe hattet, die Grenze zu behaupten.«

»Freilich,« entgegnete Cornelius in einem angenommenen Tone eben solcher Gutmüthigkeit, »haben die Wilhelme und Moritz von Oranien nichts gethan, dem alten Ouwerkerk ist der Degen in der Scheide festgefroren und ihr habt den Franzosen Jean de Baert allenthalben geschlagen, wo er euch aufgestoßen.«

Der letzte Scherz war zu beißend, als daß Jansen ihn ruhig ertragen konnte. Er schleuderte die Hand des Freundes, die er ergriffen hatte, fort und ging, ein Wort des Unwillens in sich hineinmurmelnd, nach dem hintern Verdeck.

Die Barke schwebte jetzt zwischen zwei der Inseln hin, die da, wo Maas und Waal unter dem Namen der Merwe vereinigt fließen, sich bilden. Die Ufer der Inseln bestanden aus hohen Bollwerken von Pfählen und Zweiggeflechten, die den sandigen Boden gegen den Andrang der Wellen schützten. Fernher sah aus Wiesen und Gebüschen ein freundliches Bauernhaus oder eine strohbedeckte Fischerhütte. Noch einmal stieg in Cornelius Seele der Gedanke auf, ob nicht Pflicht und Gewissen von ihm forderten, die Tochter des Herrn van Vlieten zu einem Orte zu führen, wo sie den Beunruhigungen des Krieges nicht ausgesetzt war, aber auch nur zu leicht wieder sich aus seiner Nähe entfernen und ins Vaterhaus zurückkehren konnte. »Nein, nein!« rief da mit Allgewalt die Stimme der Leidenschaft in der Brust des jungen Abentheurers. »So verliere ich sie gewiß, und auf dem Wege, der durch Kampf und Gefahren führt, kann ich sie mir gewinnen. Wenn sie mich als Sieger, als den Retter ihres Lebens vor sich sieht, wenn sie erkennt, daß niemand sie treuer und muthiger zu schützen vermag ihr Lebelang, als Cornelius van Daalen; dann muß sie mir die thörigte Uebereilung verzeihen, dann muß sie die Meinige werden, dann wird sie auch der fürsprechenden Philippintje nicht widerstehn!«

Seine ganze Phantasie erfüllte sich jetzt mit Bildern des Kriegs und blutiger Kämpfe. Er schritt das Verdeck auf und nieder, musterte die vorhandenen Waffen und den Munitionsvorrath. Die Barke war ungewöhnlich stark bemannt, wahrscheinlich um den drohenden Kriegsgefahren im Nothfalle begegnen zu können! Cornelius zählte an zwanzig Männer, alle von kräftigem Körperbau, mit verwegenen Gesichtern, die da sagten, daß sie nicht allein mit Segel- und Tauwerk, sondern auch, wenn es gelte, mit Feuergewehr und Säbel, mit Enterbeil und Enterhaken umzugehen verständen. Viele von ihnen trugen in tiefen, vernarbten Einschnitten die Bilder von Galgen und Rad auf dem gebräunten Antlitze, Spuren von Zwistigkeiten, die sie mit ihren Cameraden gehabt hatten und die, nach der unter dem holländischen gemeinen Volke beliebten Weise mit der Spitze des Messers ausgemacht worden waren. Dennoch herrschte unter dem rohen Haufen die größte Ruhe und Ordnung, der strengste Gehorsam. Jansens riesenkräftige Gestalt, die Bestimmtheit und der Ernst, mit denen er seine Befehle ertheilte, schienen den besten Eindruck zu machen und jeden Ausbruch roher Heftigkeit in den nöthigen Schranken zu halten.

Indessen war Philippintje voll zweifelhafter Erwartung auf den Ausgang des Unternehmens, dessen Mitgenossin sie geworden, in das Innere der Cajüte getreten. Hier saß Clelia schon erwacht und aufrecht auf dem Ruhebette, sie sah still und ernst vor sich hin, sie schien in einer wichtigen Ueberlegung begriffen.

»Philippintje,« redete sie die Eintretende mit größerer Fassung an, als diese vermuthete, »wir sind beide grausam getäuscht worden. Man hat meine Unerfahrenheit, man hat eine Schwachheit von mir benutzt, mich zu einem großen Vergehen gegen meinen Vater zu verleiten. Als ich erwachte, wußte ich nicht, wo ich mich befand und es war mir Alles wie im Traume. Jetzt aber ist meine Besinnung zurückgekehrt, ich kenne die Schlingen, in welche man dich und mich verlockt hat, und die kindliche Pflicht erfordert von mir, mich ihnen zu entreißen.«

»Gewißlich sind wir übel daran,« erwiederte die Hausjungfer, welche für diese Anrede schon ihre Antwort in Bereitschaft hatte, »aber was können wir Anderes, was können wir Besseres thun, als uns vor der Hand in unser Schicksal ergeben und die Muhme Jacobea besuchen, wo wir Rath, Hülfe und Fürsprache bei dem Vater hoffen dürfen?«

»Nimmermehr!« versetzte eifrig Clelia. »Wir müssen umkehren mit der ersten Gelegenheit, wir müssen in's Vaterhaus zurück, dort Alles gestehen und die Verzeihung des schwer beleidigten Mannes erflehen. Oder, Philippintje, ahnest du vielleicht noch nicht einmal, welches ruchlose Spiel man mit uns getrieben hat, muß ich dir erst Alles erzählen und erklären, meine eigene Thorheit und unglückliche Geistesschwachheit – «

»Nein, nein!« unterbrach sie im kläglichen Tone Philippintje. »Ich weiß Alles, der unglückliche junge Mann hat mir Alles entdeckt. Ach, es steht übel mit ihm! Er ist sehr zu beklagen. Ich fürchte für sein Leben, für sein irdisches und sein himmlisches Heil.«

Diese räthselhaften, auf irgend ein dem Junker van Daalen bevorstehendes Unglück, deutenden Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Clelia erblaßte. Die Liebe, die sie für den unbesonnenen Jüngling empfand, überwog in diesem Augenblicke ihren Unwillen. Sie war in Verlegenheit, sie wußte nicht, wie sie, ohne ihre gütigeren Gesinnungen zu verrathen, eine weitere Erkundigung einleiten sollte. Endlich, nach einer ziemlich langen Pause, die Philippintje ruhig abwartete, sagte sie mit erkünstelter Kälte:

»Von wem sprichst du, Philippintje? Wer ist der Unglückliche, für dessen Leben du fürchtest?«

»Wer anders, als Junker Cornelius van Daalen;« antwortete tief aufseufzend des jungen Mannes Verbündete. »Du kannst dir nicht denken, Kind,« fuhr sie fort, »in welchem entsetzlichen Zustande er heute Morgens zu mir kam! ›Philippintje,‹ sagte er zu mir, und die Thränen standen ihm dabei in den schönen blauen Augen, ›um mein Glück ist's geschehen! Die himmlische Clötje habe ich zu schwer beleidigt und sie kann mir nicht verzeihen. Ich war verblendet, ich war außer mir, als ich ihr Dinge vorschwatzte, die sie, sobald sie erwacht, für thörigte und strafbare Vorspiegelungen erkennen muß. Sie wird mich einen Betrüger schelten, sie wird den heftigsten Unwillen auf mich werfen, mir ihre Liebe entziehen und das überlebe ich nicht.‹ Bei diesen Worten sah er mit einem so sonderbaren Ausdruck in seinen Gesichtszügen hinab in die Wellen, die an die Seitenwand des Schiffes schlugen, daß mir angst und bange wurde, er wolle sich im Augenblicke ins Wasser stürzen. Ich hielt ihn mit beiden Händen fest, ich ermahnte ihn sein Seelenheil zu bedenken, als ein guter wallonischer Christ. ›Was hilft mir Alles,‹ rief er da mit einer wahrhaft verzweiflungsvollen Stimme aus, ›wenn Clötje nicht die Meinige wird, in deren Besitz ich allein mein Heil suche? Die Liebe zu ihr macht mich unglücklich, denn ich habe sie nicht aus Bosheit, sondern aus übergroßer Liebe beleidigt. Als ich in dem Schiwa steckte und des alten Herrn Tobias Schreckensworte hörte, mit denen er meinem Vater erklärte, daß ich nun und nimmermehr mir Rechnung auf die Hand seiner Tochter machen dürfte, da war es, als ergriff mich ein höllischer Geist und umnebelte meine Sinne. Der Gedanke sie zu verlieren, erfüllte mich mit Verzweiflung. Ich wußte nicht, was ich sagte. Nur Eins stand fest vor meiner Seele, daß ich ohne Clötje nicht leben könne, daß ich sie mir erringen müsse auf jeglichem Wege und um jeglichen Preis. Ach, wie täuschte ich mich, indem ich auch sie täuschte! Ich dachte nur an den nächsten Augenblick, nicht an die fernere Zukunft. Erst als der Morgen kam, als die Vaterstadt schon weit hinter uns lag, als ich ruhiger ward, sah ich mein Vergehen ein, überzeugte ich mich, daß sie die Täuschung erkennen und mich dann – ‹ er wurde ganz blaß bei den Worten – ›aus ihrer Nähe verbannen würde. Das ertrage ich nicht, Philippintje! Wo das Wasser am Tiefsten ist, da ist es nicht zu tief für die verzweifelte Liebe.‹ Er machte wieder eine heftige Bewegung nach den unten strömenden Wellen hin. Als ich ihm nun aber recht freundlich zusprach und ihm die Versicherung gab, daß du, mein Clötje, nicht unversöhnlich seyn, daß du gewiß verzeihen würdest in einer Sache, von der du selbst die Hauptschuld trügest, da verminderte sich sein entsetzliches Jammern und er überließ sich nur noch einem stillen ruhigen Schmerze. Er sitzt da, wie ein blaßes Bild der Reue und des Kummers. Er spricht nichts und bewegt sich nicht. Sein Freund, der Capitän, weiß nicht, was er aus ihm machen soll, und selbst die rohen Matrosen betrachten ihn mit Bedauern. Du solltest ihn nur sehen, Clötje! Sein betrüblicher Anblick würde dir gewiß zu Herzen gehen, besonders da du die einzige Ursache seines Unglücks bist.«

»Wie kannst du nur so sprechen?« versetzte mit einem Tone, in den sich Theilnahme und Unwille mischten, Clelia. »Habe ich ihn durch irgend Etwas zu der Meinung berechtigt, ich würde mich aus freien Stücken einer Betrügerei hingeben, die mich aus dem Vaterhause entfernt? Sage selbst, Philippintje, hat er nicht ganz abscheulich an mir gehandelt, indem er mich durch eine Unwahrheit dazu brachte, gleich einer verlaufenen Dirne mit ihm in die Welt zu gehen?«

»Ewiger Herr!« entgegnete die Hausjungfer und verdrehete die kleinen grauen Augen: »wie kann man nur so scharfsichtig und dabei so ganz entsetzlich blöd seyn, daß man das Staubsplitterchen im Auge des Nächsten und den baumlangen Balken im eigenen nicht bemerkt? O, Clötje, meinst du denn, man könne Unkraut säen und Waizen erndten? Hast du der Lehre des Domine vergessen, die da sagt: thuet Gutes Denen, die Euch Uebles gethan haben, denn die Rache ist mein, spricht der Herr! Und Clötje, wie kannst du dich nur rein waschen in dieser Sache? Wer ließ den Junker bei Nacht und Nebel ein durch die Hinterthüre des Hauses zur heimlichen Zusammenkunft? Hierin liegt der Grund alles Uebels. Ein Mädchen, das ein Mannsbild und noch dazu einen gewesenen Kriegsmann auf solche Weise bei sich sieht, ist an Allem schuld, was ihr nachher begegnen kann, und darf sich über nichts beklagen. Das muß ich besser wissen, wie du, denn ich bin ein Paar Jahre älter und habe auch meine Erfahrungen. Durch dich ist der Junker in's Haus gekommen, durch dich in den Schiwa, durch dich ist er Zeuge geworden von dem Streite der beiden Väter. So warst du die Ursache, daß er in Verzweiflung über deinen bevorstehenden Verlust gerieth, daß er in seiner entsetzlichen Lage nach dem einzigen Mittel griff, das ihm sein Clötje zu erhalten schien, daß er in seiner Verblendung blieb bis an den heutigen Morgen, wo ihn nun die Reue und die Furcht ergriffen haben und er nahe daran steht, sich ein Leids zu thun. Der arme Mensch! Er wird sicherlich das Opfer seiner Liebe, wenn du ihm nicht durch einen freundlichen Blick neue Hoffnung und neue Lust am Leben einflößest.«

Wir sehen, daß Cornelius an Philippintje eine ebenso treue, als eifrige Bundesgenossin gewonnen hatte. Je länger das alternde Mädchen die Aussicht auf die jährliche Pension von einhundert Dukaten betrachtete, desto gerechter schien ihr des Junkers Sache. Sie fing erst an, mit allem ihr zu Gebote stehenden Scharfsinne Entschuldigungsgründe für sein Verfahren aufzusuchen. Kaum hatte sie einige derselben, mochten sie auch noch so unhaltbar seyn, gefunden, so glaubte sie auch schon daran und war bereit, ihre Aechtheit und Wahrheit gegen jedermänniglich in Schutz zu nehmen. In der Weise, von der wir ein Pröbchen gehört haben, sprach sie noch lange auf Clötje ein und es gelang ihr wirklich, dieser einen Theil ihrer Ansichten aufzudringen. Wie gern nimmt die Liebe selbst das Unwahrscheinlichste an, was den geliebten Gegenstand von Vorwürfen zu reinigen vermag, deren Begründetheit sich trennend zwischen die zwei Herzen stellen müßte!

Als Philippintje bemerkte, daß ihr Clötje sich immer mehr der Neigung zum Verzeihen überlasse und nur noch durch die Gedanken an den Zorn des Vaters und an das Gerede unter den Verwandten und Bekannten daheim zu Rotterdam, hauptsächlich beunruhigt werde, ging sie in einen andern Ton über und sagte scherzhaft:

»Was ist es denn auch Schlimmes um eine Spazierfahrt mit einer ältern Freundin und dem Bräutigam, der schon vor aller Welt als solcher genannt und bekannt ist? Wer weiß, daß die Väter sich entzweit haben am Abend vor der Abreise? Jetzt nach der Abreise werden die beiden Alten wohl so gescheut seyn, und Niemanden etwas davon sagen! Und ein Mittelchen gibt es, das macht Alles wieder gut, Herzenskind. Laß den Brautstand aufhören und den Hausstand anfangen! Bei der Muhme Jacobea ist gut seyn und des Vaters Schwester kann wohl Vaters Stelle vertreten und an seiner Statt das Jawort geben, wenn der Domine es verlangt, um Euere Hände segnend in einander zu fügen!«

»Nimmermehr!« fiel Clelia heftig und erröthend ein. »Ohne des Vaters Einwilligung, ohne seine Verzeihung thue ich nie diesen Schritt, und ich kann nicht begreifen, wie du, die immer von ihrer mütterlichen Liebe zu mir spricht, mir dazu rathen kannst?«

»Recht, Kind, ganz Recht!« versetzte einlenkend Philippintje, die noch zur rechten Zeit einsah, daß sie zu weit gegangen war. »Ich wollte dich nur auf die Probe stellen. Ohne des Vaters Jawort dürfen wir freilich den Domine nicht kommen lassen. Aber das wird sich Alles zusammenfinden ohne Anstand und Hinderniß, wenn wir einmal bei der Muhme sind. Jungfrau Jacobea muß dem wohledeln Herrn einen rührenden Brief schreiben, Junker Cornelius einen noch rührendern und du machst auch deinen kindlichen Schnörkel dran. Dem kann der Alte nicht widerstehn und wenn ihm der Schiwa auch noch so heidnische und gottlose Gedanken eingäbe! Und was kann er denn Besseres verlangen für seine Clötje, als den Sohn des Mannes, der nächst ihm der dickste ist im guten Rotterdam? Mein Himmel, auf zwei Finger breit dicker oder dünner kommt es nicht an vor dem Auge unseres Herrgottes und wenn er recht drein sieht, so sind wir Erdenwürmer alle so dick oder so dünn, einer wie der andere. Das sage ich dir, Clötje, unter die Haube mußt du mir, ehe wir wieder nach Rotterdam hineinkommen, als Frau van Daalen mußt du in den Haven einlaufen, oder sonst thue ich mir ein Leids an, denn das Gerede, was außerdem entstünde, brächte mich doch ums Leben in den ersten vierundzwanzig Stunden. Das Entsetzlichste aber ist dir noch gar nicht eingefallen: die Kirchenbuße an der Kirchthüre, die der Domine zu deiner ewigen Schande über dich verhängen wird.«

Dieser Schlag traf. Clelia erwiederte nichts. Sie seufzte und stand auf. Die Besorgnisse, welche ihr Philippintje's Bericht von dem verzweiflungsvollen Zustande ihres Geliebten, beigebracht hatte, ließen ihr keine Ruhe. Sie stieg die Treppe hinauf, die nach dem Verdecke führte. Hier wollte sie, wenn Cornelius nun als ein rechtes Bild des Jammers und der Reue vor ihr stünde, durch einen tröstlichen Blick, durch ein friedliches, wenn auch nicht freundliches Wort ihn erheben. Philippintje folgte ihr. Auf dem kurzen Wege, den sie zu machen hatte, stellten sich ihrer einmal aufgeregten Einbildungskraft alle schrecklichen Entschlüsse in ihrer Ausführung dar, zu denen die Verzweiflung den beklagenswerthen Jüngling bewegen könne. Sie betrat in großer Beängstigung das Verdeck. Ihre Blicke flogen nach allen Seiten hin, um sich zu überzeugen, daß er noch da, daß er noch am Leben sey und nicht bereits nach dem letzten Hülfsmittel der Verzweiflung gegriffen habe. Siehe! da stand er frisch und fröhlich an der rauchenden Oeffnung, die der Küche zum Schornsteine diente und rief eben mit heller, heitrer Stimme hinab:

»Macht, daß bald angerichtet wird, Frau Beckje, denn ich habe ganz entsetzlichen Hunger!«

Ein bitteres Lächeln zeigte sich in Clelia's Antlitz. Sie wandte sich mit einer Gebehrde des Unwillens ab und schritt nach dem Vordertheile hin.

»Er redet irre, der arme Mensch!« sagte Philippintje in tödlicher Verlegenheit. Clelia fühlte sich tief gekränkt. Sie ließ die herben Empfindungen, welche ihre Seele ergriffen hatten, nicht laut werden; aber um Thränen zu verbergen, die in ihr Auge aufstiegen, trat sie dicht an das Bordgeländer und sah hinab in die treibenden Wellen. Wie ganz anders hatte sie erwartet den Geliebten zu finden! Er konnte scherzen, er konnte, was noch weit schlimmer war, einen gewöhnlichen, gemeinen Hunger empfinden, während sie aus Liebe zu ihm, aus quälender Angst um sein Wohlergehn, um sein Leben, die Mahnungen der Kindespflicht, den gerechten Unwillen über seine Täuschung, bekämpft und zurückgewiesen hatte. Das war zu arg! Einem solchen Leichtsinne konnte keine wahre Reue zugetraut werden. Clelia stand auf dem Punkte, wieder zu allen Ansichten und Vorsätzen zurückzukehren, die sie vor Philippintje's wirkungsreichen Ermahnungen gehegt hatte.

Da fühlte sie sich leise am Kleide gezupft. Sie sah sich um und erblickte Philippintje, neben dieser mit einem wahren armen Sündergesichte den Junker Cornelius. So wie er jetzt vor ihr dastand, schien er nichts weniger, als von einem unwiderstehlichen, nagenden Appetit gequält zu werden, und wirklich hatte er auch, sobald die Hausjungfer ihn auf die Gegenwart der Geliebten aufmerksam gemacht, sobald er diese in nachdenklicher Stellung, mit allen ersichtlichen Zeichen des Unwillens, am Vorsteven erblickt, in einem Augenblicke alle Sehnsucht nach Backobst und Pökelfleisch verloren, seine ganze Sündenschuld war ihm schwer auf das Gewissen gefallen und er trat nun vor Clelia mit den Gefühlen eines Delinquenten hin, der vor dem peinlichen Halsrichter erscheint, um den Ausspruch über Leben oder Tod zu vernehmen. Er stand in erwartungsvollem Schweigen. Er wagte nicht, die Blicke zu der schwer Beleidigten zu erheben. Alle Zeichen, die Philippintje gab, er möge die drückende Stille unterbrechen, gingen an ihm verloren. Clelia aber wurde durch den Zustand, in dem sie ihn jetzt sah, um Vieles besänftigt. Die Nachtwache, die peinigenden Zweifel über die Art und Weise, wie die Geliebte ihm nach ihrem Erwachen begegnen würde, hatten seinem Angesichte ihre Spuren eingeprägt, so daß es eine ungewöhnliche Blässe und Eingefallenheit zeigte. Clelia konnte sich, als sie dieses bemerkte, einer mitleidigen Regung nicht erwehren. Philippintje's Hindeutungen, daß sie doch eigentlich die Schuld des ganzen seltsamen Verhältnisses trage, indem sie die Hand zu der heimlichen Zusammenkunft geboten, kamen ihr wieder in den Sinn und stellten sich ihr als wohlbegründete Vorwürfe dar. Sie wurde jetzt beinahe ebenso verlegen, wie Cornelius. Sie hätte gern das Gespräch eröffnet, aber sie vermochte, wie sehr sie auch darauf sann, keinen schicklichen Eingang zu finden. Die ältere Freundin ahnete jetzt, welche Veränderung in den letzten Augenblicken in ihr vorgegangen sey und beschloß die günstige Gelegenheit nicht ungenutzt vorbeigehn zu lassen. Sie ergriff des Mädchens Hand und sagte in einem Tone, dem sie die möglichste Feierlichkeit zu geben suchte:

»Clötje, Clötje! Blick um dich! Nichts wie Himmel und Wasser und das letzte Stückchen Landes verschwindet eben dort hinten, wie ein grauer Flor. Das Wasser unter uns ist der Tod, der uns in jedem Augenblicke verschlingen kann; im Himmel über uns aber ist Einer, der da gebietet, daß wir den Zorn nicht in uns aufkommen lassen, den Haß nicht in uns nähren sollen. Wenn nun jetzt die Wellen, die gierig nach uns heraufschnappen, plötzlich das Schiff hinunterschlucken mit Mann und Maus und du im Unfrieden stürbest, mit einem unversöhnlichen Gemüthe gegen den Junker, der es doch wahrlich nicht böse gemeint? Oder willst du warten bis zum letzten Augenblicke und meinst du, daß dann noch Zeit genug übrig wäre, ein Wörtchen der Verzeihung auszusprechen, mit welchem auf der Lippe man ruhig von hinnen fahren könne aus diesem irdischen Jammerthale? Glaube Das nicht, Clötje! Noth und Todt liegen so nahe zusammen, daß sie mit einander wechseln können, ehe die Hand sich wendet und wenn du dann denjenigen, dem du hartnäckig die Versöhnung versagt, vor dir erblicken müßtest bleich und leblos, mit gebrochenen Augen, die dich nie mehr liebevoll anschauen, mit blassen Lippen, die nimmer mehr ein freundliches Wort zu dir sprechen könnten, dann wäre es zu spät, dann würde sich die Reue vergebens in deinem Herzen erheben, dann würdest du umsonst den armen Junker Cornelius zurückrufen, ihn trösten, ihm verzeihen wollen – «

Jetzt hatte Jungfrau Philippintje den Höhepunkt ihrer Beredsamkeit erreicht. Weiter konnte sie nicht. Sie fing an sich zu verwirren, zu stottern; aber sie durfte sich auch bereits des glänzendsten Erfolgs erfreuen. Clelia reichte in Thränen schwimmend dem entzückten Cornelius die Versöhnungshand. Ihre Einbildungskraft hatte ihr Alles in täuschenden Vorspieglungen gezeigt, was Philippintje mit Worten dargestellt. Sie sah Cornelius als eine Leiche im Sarge liegen, mit dem weißen Todtentalare bekleidet, wie sie bei der Leichenausstellung des letztverstorbenen hochmögenden Herrn Bürgermeisters von Rotterdam diesen gesehen; auf dem Sarge fand sich eine Inschrift in großen silbernen Buchstaben, die den Namen, Stand und Alter des Todten besagte. Ihre Phantasie ging noch weiter, als Philippintje's Darstellung. Sie sah, wie der Todte sich im Sarge aufrichtete, wie die Augenlieder sich öffneten, die gebrochenen Blicke sie vorwurfsvoll anstarrten, plötzlich die rechte Hand sich drohend erhob – da war es um ihren Trotz geschehen, sie mußte in Thränen zerfließen, sie mußte verzeihend dem nächsten Augenblicke zuvorkommen, der ja das Entsetzlichste bringen konnte.

Nach diesem ersten versöhnenden Schritte, hatte die weitere Verständigung zwischen den Liebenden ihren ungestörten Fortgang. Cornelius war außer sich vor Freude. Er bauete tausend Luftschlößer in die Zukunft hinein, von denen immer eins unhaltbarer war, als das andere. Clelia aber gefiel sich sehr darin, sein Feuer durch altkluge Ermahnungen zu dämpfen, indem sie ihm auseinandersetzte, auf welche Weise sie, nachdem sie bei der Muhme glücklich angekommen wären, sich um die Einwilligung des Vaters bemühen müßten, ohne welche sie durchaus nicht die seinige werden könne. So machte sie den von Philippintje ausgedachten Plan zu dem ihrigen, während die Hausjungfer seelenvergnügt über die günstigen Aussichten, die sich ihrer Zukunft eröffneten, nach dem Steuerbord trippelte, damit die beiden jungen Leute sich selbst überlassen blieben und auch noch den letzten Groll vom Herzen kosen möchten. Sie war so froh bewegt, daß sie ein Glas Genever, welches ihr der Bootsmann zutrank, dankbar annahm und indem sie auf gutes Gedeihen des begonnenen Werkes nur nippen wollte, zum Erstaunen des Darbringenden auf einen Zug leerte. Dann setzte sie sich still auf die Schiffsbank und fiel bald in einen sanften Schlummer.

Die Barke wurde auf dem weiten Wasserspiegel von günstigen Winden so rasch vorwärts getragen, als schwebe sie auf offener See. Der Himmel blieb heiter, kein Wölkchen zeigte sich und die Strahlen der Mittagssonne fielen so erwärmend nieder, daß man darüber die vorgerückte Jahreszeit vergaß, in der man sich befand. Das Ufer im Hintergrunde war verschwunden. Dagegen zeigte sich in weiter Ferne vor den Schiffenden ein schwarzer Punkt, der sich, je näher man kam, vergrößerte. Er wurde bald für eine Insel von bedeutendem Umfange erkannt. Rechts von einem aus der Wasserfläche auftauchenden Ufer zeigten sich weiß herüberglänzend die Gebäude von Dortrecht. Links in der Ferne wurden neben jener großen Insel noch einige kleinere sichtbar.

Jansen war selbst zum Steuerruder getreten. Er lenkte weit ab von dem Dortrechter Ufer. Er wußte, daß dieser Haven mit seinen Umgebungen besonders von den feindlichen Kreuzern zum Schauplatze ihrer oft sehr verwegenen Unternehmungen auserkoren war. Der Lauf, den das Fahrzeug jetzt beschrieb, schien zu seinem Richtpunkte die Durchfahrt zwischen zwei der kleinern Inseln bestimmt zu haben. Mit großer Aufmerksamkeit und einiger Unruhe in seinem ganzen Wesen untersuchte der Capitän durch das Fernrohr den Gesichtskreis, den er überblicken konnte. Er bemerkte nichts, was ihm hätte Besorgniß erwecken können. Nach dem Gestade von Dortrecht hin war Alles ruhig, zwischen der Stelle, wo sich jetzt die Barke befand, und den vornliegenden Inseln, waren nur einige Fischernachen sichtbar und ein in weiter Entfernung hinter der Syrene erscheinendes größeres Fahrzeug, kam, wie seine Laufbahn erkennen ließ, ebenfalls die Maas herauf und mußte demnach von friedlicher Bedeutung seyn. Des Capitäns Antlitz erheiterte sich bei diesen Wahrnehmungen. Er hatte eine reiche Ladung von Utrechter Sammet und Seide an Bord. Die Kaufleute, denen die Sendung angehörte, hatten in den gegenwärtigen kriegerischen Zeitläufen damit gezögert und waren erst dann, als der kecke Jansen sie auf seine eigene Gefahr übernommen, zur Ausführung geschritten. Jansen setzte in dieser Sache sein ganzes bedeutendes Vermögen auf das Spiel; aber er fand eine eigene Lust, sich an Wagestücken zu versuchen, von denen andere Schiffsführer sich gern zurückzogen. Als er noch Bootsmann auf einem Kriegsschiffe der holländischen Flotte gewesen, hatte er in vielen Gefechten einen Muth bewiesen, der an Tollkühnheit grenzte und seinen Namen unter den Seeleuten seiner Nation bekannt und in einem gewissen Grade berühmt machte. Die Matrosen und Bootsmänner nannten ihn nur den tollen Jansen und nebenbei stand er auch seiner ungeheuern Körperstärke wegen unter ihnen in großem Ansehn. Später hatte er die muntere Beckje kennen gelernt, die einiges Vermögen besaß. Beide Leutchen gefielen einander, sie heiratheten sich und von Beckje's Geld und Jansen's Ersparnissen wurde nun die Barke angeschafft, der sich der Junker van Daalen mit seiner Herzliebsten anvertraut hatte.

In dem süßen Liebesgespräch, das sich zwischen Cornelius und der verführten Clelia entsponnen hatte, wurden sie durch das Läuten der Mittagsglocke und durch die Anrede Jansens, der freundlich lachend zu ihnen trat, gestört:

»Deine Sehnsucht wird nun gestillt werden, Cornelius;« sagte er. »Frau Beckje hat aufgetragen und du, der ihr treulich beigestanden bei den Kochtöpfen, wirst gewiß die besten Bissen erhalten. Ob aber die Jungfrau Schwester mit der groben Schiffmannskost zufrieden seyn wird, bezweifle ich sehr!«

Clelia versicherte, sie werde der Tafel alle Ehre anthun, zu der sie ein langes Fasten und die zehrende Herbstluft fähig mache, und folgte, von schönen Hoffnungen belebt und erhoben, am Arme des Geliebten dem voranschreitenden Capitän nach der Cajüte. Vergebens suchten sie im Vorübergehen Philippintje zu erwecken, die noch immer auf der Schiffsbank im tiefen, todtähnlichen Schlaf lag. Der Nektar, von dem sie allzureichlich genippt, hielt sie in seinen Zauberbanden gefangen. Sie blieb taub gegen alle Aufforderungen und das junge Liebespaar mußte sich entschließen, sie auf dem harten Lager, das sie sich selbst erwählt hatte, ihren beseligenden Träumen zu überlassen. Daß sie von solchen heimgesucht werde, verrieth ein lächelnder Zug in ihrem Antlitze und der Name: Balthasar, der im schmachtendsten Tone über ihre Lippen glitt.

Im Innern der sehr reinlich und zierlich gehaltenen Cajüte empfing Frau Beckje ihre Gäste. Sie hatte, um nicht zu sehr in ihrem Aeußeren gegen die Begleiterin des Junker Cornelius abzustechen, ihren besten Staat angelegt. Das knapp anliegende Kleid von schönem schwarzen Utrechter Sammet stand ihr recht wohl und das rothbäckige, volle Schelmengesicht sah unter dem Spitzenhäubchen, so freundlich und anmuthig hervor, daß Clelia, durch den lieblichen Anblick überrascht, für einige Momente ihre gewöhnliche Gravität ablegte, erst die dargebotene Hand des lächelnden Weibchens annahm und dann auf die frischen Lippen, die ihr entgegenkamen, einen herzlichen Kuß drückte.

»Nun ist die Freundschaft gemacht,« sagte Beckje, »und« setzte sie schalkhaft hinzu, »der Junker da kann Euch kein besserer Bruder seyn, als ich Euch eine Freundin bin!«

Clelia erröthete. Nur daß sie eine Unwahrheit behaupten helfen sollte, trieb das Blut auf ihre Wangen; sie ahnete nicht, daß die Capitänsfrau auf eine Vermuthung der Wahrheit, ja, daß diese schon zu der Ueberzeugung ihrer Nicht-Blutverwandtschaft mit Cornelius gekommen sey!

»Wir machen gerade einen hübschen Tisch voll!« fuhr indessen Beckje fort, indem sie Clelien gegenüber, ihren Platz zwischen den beiden Männern einnahm. »Es ist nur Schade, daß Ihr zwei Schwester und Bruder und nicht auch Mann und Frau, oder doch wenigstens Bräutigam und Braut seyd! Es ginge dann noch weit lustiger her, denn es mag mir einer sagen, was er will, die Liebe ist doch eigentlich Das, was dem Leben erst seine wahre Freude, seine rechte Lust gibt!«

Cornelius vermochte kaum seinen Unwillen zu bekämpfen, daß Beckje Clelien gegenüber in ihrem Scherze so weit ging. Er warf ihr einige sehr ernste und finstere Blicke zu, die den guten Erfolg hatten, daß sie ihr stets fertiges Zünglein ein wenig im Zaume hielt. Das Gespräch wandte sich auf andere Gegenstände und Jansen trug nun in den Zwischenräumen, die ihm die Befriedigung seines sehr guten Appetits ließ, die Kosten der Unterhaltung, indem er mit vieler Laune und Lebendigkeit manches Abentheuer erzählte, das ihm in seinem vieljährigen Seeleben begegnet war. Gegen das Ende der Tafel, bei der er mehr dem Genever, als dem spanischen Weine, dem Cornelius den Vorzug gab, zusprach, wurde er sehr lustig und rief:

»Nun muß ich Euch doch noch die wunderliche Geschichte erzählen, wie ich zu dem Ballaste da« – hier wieß er auf Beckje – »in meinem Lebensschifflein gekommen bin! So wie Ihr mich hier sehet, bin ich ein Bursche, der schon seine vierzig hinter sich hat, aber die frische Seeluft hat mich frisch erhalten und ich wette drauf, mein Beckje vertauscht mich gegen keinen Hasenfuß von zwanzig Jahren! Ich hatte schon meine sechs Fahrten nach Batavia gemacht, hatte unter Ruyter gedient, ihm zur Seite gestanden, als er siegreich an der Küste von Sicilien seinen Tod fand, war mit Oraniens Glück nach England hinübergegangen und kam eben von einem Kreuzzuge unter Wassenaar zurück, als ich mich entschloß, meine armen Verwandten in Amsterdam einmal zu besuchen, ihrer Noth nach Kräften abzuhelfen und nebenbei die große Stadt zu sehen, von der ich so Vieles gehört hatte und die ich noch nicht kannte. Die Flotte lag gerade zu der Zeit im Texel und wurde ausgebessert. Es fiel mir deshalb nicht schwer, einen Urlaub von einigen Wochen zu erhalten. Ich hatte mir etwas zusammen gespart. Ich kann Euch sagen, ich trat ans Land, aufgetakelt wie ein Kirmesbaum, und mit dem besten Willen, meine Jahreslöhnung, die ich eben erhalten, an allerlei Narrenspossen zu verthun. Mehr aber keinen Stüber, denn das Uebrige war für die Verwandten und für den Sparpfennig bestimmt, an dem ich seit meiner frühen Jugend gesammelt. Wenn ich Euch erzählen wollte, wie es zuging, daß ich schon am ersten Tage in Harlem fünfzig Gulden für eine garstige braune Zwiebel wegwarf, blos aus Respect, weil man sie den Admiral Enkhuysen nannte, wie ich dann die Zwiebel wieder gegen eine Flasche ächten Genever aus Schidam vertauschte, wie ich für andere fünfzig Gulden fünfzig hübsche Mädchen bei einer Kirmes auf einem Dorfe in der Nähe von Harlem mit bunten Halstüchern beschenkte und mich hernach mit ihren Liebhabern herumschlagen mußte, – ja! wenn ich Euch das Alles genau berichten wollte, so hätte ich viel zu thun und Beckje würde es vielleicht nicht einmal gern hören – «

»Meinethalben magst du reden, was du willst!« fiel schnippisch Beckje ein. »Mir sind auch bunte Halstücher geschenkt worden, ehe ich dich gekannt habe, und ich bin keinem ein Geschenk schuldig geblieben.«

»Deshalb passen wir auch so gut zusammen,« lachte Jansen und leerte ein großes Glas Genever mit einem Zuge, »denn wir haben einander nichts vorzuwerfen. Uebrigens,« fuhr er in seiner Erzählung fort, »sind das nicht die einzigen tollen Streiche, die ich damals gemacht habe. Genug! Als ich nur noch eine Stunde von Amsterdam entfernt war, hatte ich auch nur noch einen Gulden in der Tasche, mein Hauptcapital aber in guten Wechseln auf der Brust eingenäht. Es war gerade Abend. Ich sah durch die Dämmerung schon die Thurmspitzen der Stadt, auf dem Canale, neben dem ich doch ein Bischen bedenklich über die Magerkeit meines Geldbeutels hinschlenderte, waren zahllose Barken und Nachen in lebendiger und fröhlicher Beweglichkeit. Ich blieb stehen und ergötzte mich an dem bunten Treiben. So vergaß ich einigermaßen meine üble Lage und gewann nach und nach, von dem Frohsinne, der unter den Menschen auf dem Canale herrschte, angesteckt, einen Theil meiner guten Laune wieder. Es war indessen ziemlich dunkel geworden. Ich sah ein, daß ich dran denken müsse, das Ziel meiner Reise zu erreichen. Wußte ich doch nicht, wohin ich in der großen Stadt meine Fahrt richten sollte, da ich nur die Namen, aber nicht die Wohnung meiner Verwandten kannte, und also, ohne Lootsen und Compaß, auf gut Glück in den fremden Haven einlaufen mußte! Ich setzte alle Segel bei und kam rasch vorwärts. Auf dem Canale hatte das Treiben und Lärmen fast gänzlich aufgehört; nur einzelne Fahrzeuge schwammen noch manchmal geräuschlos vorüber. Ich überließ mich wieder ganz meinen Betrachtungen und fing an, mich über mich selbst und meine begangenen Dummheiten zu erboßen. Ich konnte aus meinen eigenen Gedanken, so lästig sie mir waren, nicht herauskommen, wie ein Ostindienfahrer, den in der Straße von Sumatra die entsetzliche Windstille fest legt. Da wurde ich plötzlich durch einen lauten Lärm, der sich heranwälzte, durch ein wildes tobendes Gelächter und ein dazwischen tönendes Jammergeschrei aus diesem widerwärtigen Gemüthszustande gerissen. Ich horchte auf. Ich hörte schelten und lärmen, dann wieder lachen und einen kläglichen Ruf nach Hülfe. Nun flog ich über's Land hin, wie eine wilde Gans über's Wasser, der Stelle zu, wo das Getöse statt fand. Der Mond war aufgegangen und ich konnte Alles sehen, was nicht in einer allzugroßen Entfernung vor mir lag. Da gewahrte ich denn bald einen Haufen von etwa einem Dutzend böser Buben von fünfzehn bis achtzehn Jahren, die einen einzelnen Mann vor sich hatten und diesem gewaltig zusetzten, indem sie ihn immer nach dem Canale hindrängten. ›Was treibt ihr hier?‹ rief ich und trat unter sie: ›Wollt ihr Krabben wohl in euere Hangematten und euch nicht zu zwölf über Einen hermachen! Gelt, da habt ihr Courage, wenn sich einer auf den andern verlassen kann und wo vierundzwanzig Arme sich gegen zwei erheben? Aber noch einmal! Macht, daß ihr heimkommt oder es sollen euch ein Paar Arme heimführen, die wohl so viel werth sind, als euere zwei Dutzend!‹ – Die Buben sahen mich groß an. Einer von ihnen aber trat bald vor und sagte in einem frechen Tone: ›Kümmert euch um euch und nicht um Händel, die euch nichts angehen! Wir thun ein gutes Werk. Wir haben einen Juden gefangen, der soll getauft werden und dann Schweinefleisch fressen, damit er ein Christ wird. Jeremias hat seiner Mutter expreß ein Stück Schinken gestohlen für ihn und das darf nicht umkommen!‹ Die Cameraden des frechen Menschen stimmten ein höhnisches Gelächter an. Dabei drängten sich die Rangen hart um mich her, als gedächten sie auch mir irgend einen schlimmen Streich zu spielen. Aber der Mann, den noch einige von ihnen hielten, streckte die Arme nach mir hin und rief, so laut er konnte: ›Ach, hochmögender Heer, errettet mich aus der Gewalt der Rotte Korah, und der Gott Abrahams wird Euch vergelten! Ich bin ruhig meiner Straße gewandelt, da haben mich die Kinder der Goi's festgepackt und wollen mir's anthun mit verfluchtem Wasser und Fleisch von dem unreinen Thiere, in das der Teufel gefahren ist. Ich bin ein armer Jüd, aber ein rechtschaffener Jüd, und habe noch nie einen Goi betorkelt im Schacher. Ach, hochmögender Heer, nehmet Euch meiner an, befreiet mich, damit ich in Frieden heimkehre in die gute Stadt Amsterdam und in meine Behausung auf der Jüdenkracht daselbst!‹ Ich mußte lachen über die Hochmögenschaft, zu der mich die Angst des Juden mit einemmale erhoben hatte. Während er sprach, hatte ich Zeit ihn genau zu betrachten. Es war ein alter Mann, der vielleicht schon seine sechszig Jahre zählte. Er trug einen langen Bart, sein Angesicht schien durch die Furcht verzerrt und entstellt. Seine Gestalt war klein und schmächtig. Die wenigen Kräfte, welche ihm vielleicht die Verzweiflung gab, konnten gegen die vereinigten Bemühungen dieser Heerde wilder Rangen wenig ausrichten. Er schien der ärmern Classe seiner Nation anzugehören, denn seine ganze Takellage war erbärmlich und sein Rücken gekrümmt, als verbeuge er sich zum Betteln um ein Almosen. Mein unwillkührliches Lachen schien den Krabben ein Signal, daß ich ihre Corsarenjagd auf den armen Juden billige, und sie machten auf's Neue Anstalt, den alten Mann zu entern und zu kielholen. ›Hinunter mit ihm zur Taufe!‹ schrieen sie. ›Frisch, Jude! Erst Wasser und dann Schweinefleisch, hernach mußt du das Glaubensbekenntniß auswendig lernen.‹ Mit wildem Toben warfen sie sich alle auf den jammernden Israeliten, der sich schon fast heiser geschrieen hatte. Da verlor ich die Geduld. ›Bramsegel und Backbord!‹ rief ich, ›nun ist es genug. Ich will euch einen Lappen aufhißen, der euch in einem Augenblick aus der offenen See in den Winterhaven führt!‹ Bei diesen Worten hatte ich die nächststehenden ergriffen und sie um halbe Kabeltau-Länge fortgeschleudert. Die Rippen im Leibe mochten ihnen krachen, denn sie erhoben ein erbärmliches Geheul und hatten nichts Eiligeres zu thun, als so schnell, wie es gehen mochte, fortzuhinken. Einem Paar Anderen, welche die größten und kräftigsten waren, und mir trotzig entgegentraten, ging es nicht besser. Die übrigen flogen auseinander, wie ein Heer wilder Gänse, das der Sturm zerstreut. Der Jude stand nur noch allein vor mir und zitterte am ganzen Leibe. Es währte eine gute Zeit, ehe er sich fassen konnte. Dann warf er sich mir zu Füßen und sagte, noch zähneklappernd vor Furcht: ›Der Simson ist wiedergekommen und hat die Philister geschlagen. Der weise Salomo ist aufgelebt und hat die Ungerechten bestraft. Der gnädige Ahasverus hat den armen Mardochai befreiet und der gottlose Haman ist geklopft worden, wie's ihm gehört.‹ Ich hob den Alten auf. Ich hatte Mühe das Lachen zu verbeißen, zu dem mich seine Rede antrieb: aber ich bedachte sein Alter und die Schändlichkeit der Buben, die ihn in die Enge getrieben, und da wurde mir es ganz ernsthaft zu Muthe. ›O, verlaßt mich nicht und gebt mir das Geleit bis an die Thore der guten Stadt Amsterdam, hochedler Herr!‹ sprach er weiter: ›Ihr seyd die Palme aus dem Lande Gosen, unter deren Schutz ich sicher wandeln kann, geht Ihr aber von mir, so kehren die Philister zurück und ich bin ein verlorener Mensch.‹ Ich sagte ihm, er könne mit mir gehen, er möge aber frisch mit dem Winde segeln, da ich keine Zeit zu verlieren hätte. Auf dem kurzen Wege, den wir nun zusammen zurücklegten, erzählte mir der Jude, daß er in Amsterdam wohne, in der Regel aber in der umliegenden Gegend einen kleinen Handel mit alten Kleidungsstücken und sonstiger Trödelwaare treibe. Er sprach dabei soviel und in so übertriebenen Ausdrücken von seiner großen Armuth und Dürftigkeit, daß er zuletzt den Verdacht in mir erweckte, er sey im Gegentheile ein ganz wohlhabender Mann und stelle sich nur arm, um mir nicht etwa eine Belohnung anbieten zu müssen, zu der er sich vielleicht verpflichtet glaubte. Als wir in die Stadt eingewandert waren und eben im Begriffe standen uns zu trennen, ergriff er noch einmal meine Hand und sagte: ›Der Gott meiner Väter möge Euch belohnen, für das, was Ihr an mir gethan, hochmögender Heer! Solltet Ihr aber jemals den armen Jüden Abraham Eleazar in seiner geringen Behausung aufsuchen wollen, so erinnert Euch, daß diese auf der Jüdenkracht liegt, zunächst der Schule, wo unsere Leute hin beten gehen.‹ Er entfernte sich und ich vergaß bald, während ich in den Straßen der großen Stadt ohne Steuer und Compaß umherirrte, das Abentheuer, das mich mit ihm zusammengeführt hatte. Ich sah jetzt ein, daß ich unbesonnen gehandelt hatte, mich in ein unbekanntes Gewässer zu begeben, ohne vorher über steile Klippen und Sandbänke, durch die ich meine Fahrt lenken mußte, eine genaue Kenntniß eingezogen zu haben. Meine Verwandten jetzt noch bei eintretender Nacht aufzufinden, schien eine Unmöglichkeit. Ich beschloß also, meinen letzten Gulden an baarem Geld für ein Nachtquartier und ein Abendessen, so gut sich Beides dafür finden wolle, aufzuopfern. Ich kam an verschiedenen Häusern vorüber, wo der einladende Strohkranz heraushing, in denen es noch lustig herging und viel Licht brannte. Sie schienen mir aber alle zu vornehm für meinen demüthigen Geldbeutel. Um ein geringeres Wirthshaus aufzusuchen, wo ich kleines Wasser für mein leckes Schiff finden durfte, verließ ich die großen, breiten Straßen und steuerte auf gutes Glück in enge winklige Gäßchen, in denen es so dunkel war, daß ich mich oft mit den Händen weiter fühlen mußte. Da sah ich am Ende eines Winkelgäßchens, das hier wie ein Sack verschlossen war, hinter einem kleinen Fenster ein düsteres Licht brennen. Ich hörte rauhe Stimmen, ich vernahm Gläserklirren, ich erkannte, als ich nahe trat, den bedeutungsvollen Strohwisch über der niedrigen Hausthüre und glaubte nun den Haven gefunden zu haben, wo ich sicher vor Anker gehen könnte. Einige kräftige Seemannsworte, die aus dem niedrigen Hause klangen, ließen mich hoffen, hier Cameraden zu finden. Ich nahm mir aber vor, mich nicht als einen Mann zu erkennen zu geben, der schon in den Meeren Ost- und Westindiens seine Flagge aufgezogen hatte. Ich schämte mich meiner geringen Baarschaft, die mir nicht erlaubte, bei der Heimkehr auf das feste Land ein Paar Flaschen Genever zur Bewirthung einiger fröhlichen Wassergesellen springen zu lassen. Lieber wollte ich für eine Landratte angesehen werden, als für einen Seehund, der keine Haare auf dem Felle mit heimbrächte. Als ich die Thüre des Häuschens öffnen wollte, fand ich sie verschlossen. Auf mein Klopfen aber ward sogleich aufgethan. Wer glaubt Ihr wohl, Jungfer Clelia, sey mir da entgegen getreten, um mich einzulassen und mir in dem engen, dunkeln Hausgange zu leuchten? Niemand anders als Beckje, die Ihr da seht und die jetzt mit mir auf dem Fahrwasser des Lebens gemeinschaftlich hinsegelt. Sie schien ordentlich vor mir zu erschrecken, als sie mich erblickte, sie stieß ein lautes: Ach! aus und ließ die Lampe fallen, die sie in der Hand trug.«

»Wahrscheinlich warst du damals nicht hübscher, als du jetzt bist?« fiel in dem neckenden Tone, der zwischen den beiden Freunden gebräuchlich war, Cornelius ein.

»Nun,« entgegnete mit einigem Eifer Frau Beckje, »er sah wenigstens ebenso gut aus, als irgend ein Offizier von den Landgeusen, der hundertmal unter König Wilhelm vor dem Marschall von Luxemburg davon gelaufen ist.«

»Ihr seyd gut bewandert in den Kriegshändeln,« erwiederte lächelnd der junge van Daalen: »Euer Zünglein ist in jedem Falle schärfer, als der Degen Eueres Marschalls und Ihr wißt es gut zu führen, wenn Ihr Euern Mann zu vertheidigen habt. Aber sagt mir, wie lange ist es schon her, daß Ihr an seiner Statt kommandirt auf der Syrene?«

Beckje hob drohend die kleine Hand und wollte etwas Beißendes erwiedern, aber Jansen schnitt ihr die Rede ab, indem er sagte:

»Laßt die Possen und stört mich nicht in meiner Geschichte! Ich weiß sonst nicht, wie weit ich bin, und stelle Euch ein Schiff hin mit Vordersteven und Steuerbord, an dem aber das Backbord und Hauptverdeck fehlt. Meint Ihr, ich wäre Domine auf einem Kauffahrer gewesen und könne die Reden nur aus den Aermeln schütteln? Nein, nein, Ihr müßt mir Ruhe lassen, wenn ich erzählen soll! Das hübsche Mädchen also, das vor mir stand,« fuhr er fort, »ließ in einer Anwandlung von Schreck oder Ueberraschung die Lampe fallen, die sogleich verlosch, so daß wir uns in eine völlige Dunkelheit versetzt sahen. ›Um Gotteswillen, geht‹ – bebte es kaum vernehmlich über ihre Lippen. Da öffnete sich eine Seitenthüre und bei dem herausdämmernden Lichte erschien in ihr ein ältlicher Mann in Hemdärmeln, dessen finsteres Gesicht durch einen Wust von rothen Haaren, der es umgab, noch abschreckender gemacht wurde. ›Nicht eine Lampe könnt Ihr festhalten in den Pfoten!‹ fuhr er das Mädchen an. ›Ihr seyd das Brod nicht werth, das Ihr eßt. Tretet herein, Herr!‹ wandte er sich jetzt zu mir, indem er sein widriges Gesicht zu einem freundlichen Lächeln zu zwingen suchte, das wie ein höhnisches Grinsen anzusehen war. ›Ihr findet hier den besten Wachholder im ganzen Quartier und eine Gesellschaft, die nicht schlechter ist.‹ Unter diesen Worten hatte er sich zwischen mich und die Hausthüre gedrängt und diese wieder verschlossen und verriegelt. Ich sah hierin nichts Verdächtiges, ich ahnete nicht, daß der alte Corsar eine falsche Flagge aufgezogen habe. Die Worte des Mädchens waren mir kaum verständlich geworden, so leise und bebend war ihre Stimme gewesen. Sie schlich eingeschüchtert in das Zimmer zurück, während ich und der Alte ihr folgten. Bei meinem Eintritte fielen die Blicke von einem Dutzend wilder Bursche auf mich, die auf langen Wandbänken an einem schmalen Tische saßen, große Gläser mit Brandwein vor sich stehn hatten und sich am Würfelspiele ergötzten. Ich setzte mich weitabwärts von ihnen, in einem Winkel nieder. Nicht weil mir das Spielen durchaus zuwider gewesen wäre, sondern weil meine Ladung am Baaren so leicht war, daß ich nicht wagen konnte, die Flagge Fortunens vor den Spielenden, die zu meiner Verwunderung mit Gulden um sich warfen, als wären es Stüber gewesen, sehen zu lassen. Sie bekümmerten sich weiter nicht um mich und fuhren im Würfeln fort. Ihre Flüche und Schwüre, so wie manche grobe Späße bestätigten meine frühere Vermuthung, daß es Matrosen seyen. Das Glas Genever, den Edammer und das Brod, welche ich gleich beim Eintritte bestellt hatte, wollte mir das Mädchen, von dem auch die übrigen Gäste bedient wurden, bringen. Der Rothkopf aber riß es ihr aus der Hand und ich glaubte zu bemerken, daß sie mit einem Seufzer und einem theilnehmenden Blick auf mich, sich abwandte und wieder in ihre Ecke schlich, wo sie am Spinnrade beschäftigt war.«

»Es ist ganz wahr, wie er's erzählt!« unterbrach, trotz der vorhergegangenen Mahnung ihres Mannes, Beckje diesen, indem sie im Tone eiferiger Betheuerung zu Clelia sprach: »Der Spitzbube hatte mir's angethan im ersten Augenblicke mit seinem ehrlichen und treuherzigen Gesichte.«

Jansen ließ die Unterbrechung ungerügt hingehn und fuhr fort: »Mit dem Wunsche, mir es wohl bekommen zu lassen und der Aufforderung, tüchtig zuzulangen, da noch hinlänglicher Vorrath in Küche und Keller sey, stellte mir der Wirth das Verlangte vor. Er trat dann hinter die Spielenden, ging von einem zum andern und flüsterte ihnen Worte zu, die mir unverständlich blieben. Ich achtete auch in der ersten Zeit wenig auf ihn und die übrigen Gäste. Das hübsche Mädchen hatte meine Aufmerksamkeit erregt und es war mir gar nicht recht, daß sie so entfernt von mir, in einem düstern Winkel ihren Platz genommen hatte, wo ich sie nur undeutlich sehen konnte. Lange Zeit gab ich mir vergebliche Mühe, ihre Gesichtszüge aus der Dunkelheit hervorzusuchen. Ich ließ endlich davon ab und fing an, meinen Appetit zu stillen, der nicht gering war. Der Genever, den man mir vorgesetzt hatte, schien mir ungewöhnlich stark. Das war aber eben kein Umstand, der einem Seemanne, welcher so oft, wie ich, die Linie passirt hatte, vom Trinken zurückhalten konnte. Das Gelärm am andern Tische ward indessen immer toller. Flüche, Verwünschungen von der einen Seite, höhnisches, lautes Gelächter von der andern, vermischten sich zu einem wilden Getöse. Die Bursche, die es so arg trieben, zogen endlich meine Aufmerksamkeit auf sich. Es waren lauter Gesichter, auf denen Zügellosigkeit, Verwegenheit und eine Tücke, die sonst einem ordentlichen Seehunde fremd ist, eingegraben standen. Sie sind gewiß von irgend einem Kauffahrer, dessen Capitän ein Lump ohne Verstand und Respect ist: dachte ich bei mir. Sie hatten alle ihre krummen Messer vor sich auf dem Tische liegen, als wollten sie gegen einen Angriff, der unerwartet und plötzlich von einem auf den andern erfolgen könne, bereit seyn. Besonders fiel mir einer unter ihnen auf, der sehr listig aussah, ruhiger wie die andern sich verhielt und, er mochte mit günstigem oder ungünstigem Winde fahren, lustig und guter Dinge blieb. Erfolgte bei einem seiner Cameraden ein Ausbruch des Unwillens über eine getäuschte Hoffnung, einen erlittenen Verlust, so brachte er gleich einen Scherz vor, einen lustigen Schwank, der das drohende Unwetter zerstreuete und statt des Messerkampfs, zu dem es leicht hätte kommen können, ein allgemeines wildes Lachen, in das selbst der eben noch Erboste einstimmte, hervorbrachte. Er schien älter als die übrigen. In seinen gebräunten Zügen lag ein Ausdruck von Erfahrung und Klugheit, der ihm selbst bei seinen rohen Genossen eine Art von Ansehn zu Wege brachte. Ich bemerkte, daß sein listiger Blick oft nach mir hinflog, auf mir forschend ruhete, wenn er aber wahrnahm, daß ich auf ihn achtete, sogleich sich nach einer andern Seite wandte. Die Art, wie er sich gegen die andern benahm, gefiel mir. ›Der Bursche hat mehr gesehn, als jene!‹ sagte ich zu mir selbst. ›Er weiß mit dem Winde zu segeln, zu laviren und die Lappen einzuziehn, wenn es Zeit ist.‹ Seine Späße und Schwänke machten mich selbst einigemale laut auflachen. Er hörte es und es schien mir, als wenn sich bei dieser Bemerkung ein gewisses Wohlbehagen auf seinem Angesichte zeigte. Der Wirth trat jetzt zu meinem Tische und sagte: ›Gelt, das sind lustige Bursche? Ihr müßt Euch an ihren heftigen Manieren nicht stoßen. Die Seeleute sind einmal nicht anders, wenn sie auf's Land kommen. Da muß Jubel, Trinken und Spielen sie entschädigen für die Entbehrung und strenge Observanz auf dem Schiffe. Euch mag das Ding freilich sonderbar vorkommen. Ihr scheint mir auf dem Lande geboren und erzogen, und habt wohl niemals andern Theer gerochen, als im Laden des Krämers?‹ Sein Gesicht verzog sich hämisch bei diesen Worten. Ich hielt es nicht der Mühe werth und hatte auch, wie schon gesagt, keine besondere Lust, meine wahre Farbe zu zeigen. Ich durfte ja nur in die Brusttasche greifen und meine Bestallung als Hochbootsmann auf dem Linienschiffe Medusa hervorholen, um den Wirth und die Bursche alle, wie sie da waren, in Respect zu setzen. Ich ließ es aber bleiben und lachte still in mich hinein über die Tölpelhaftigkeit und Dummheit des Kerls, der einen Delphin für ein Murmelthier ansah. Er wandte sich wieder von mir ab und trat jenem Matrosen mit dem listigen Gesichte gerade gegenüber, so daß er mir den Rücken zukehrte. Der Matrose warf einen fragenden Blick auf ihn – erst später sah ich ein, daß dieses ganze Benehmen seine besondere Bedeutung hatte – dann stand er plötzlich auf und sagte, indem er sein Messer einsteckte, zu seiner Gesellschaft: ›ich habe genug gespielt. Seht meine leeren Taschen an. Wer noch einen Gulden an das wagen will, was drin ist, dem stehe ich zu Dienst, sonst niemand!‹ Mit einem wilden Gelächter und einigen groben Späßen wurde das Anerbieten beantwortet. Der Mann zündete seine Pfeife an dem einzigen Lichte, das sich in der Stube befand, an und näherte sich dann langsam meinem Tische. Er forderte noch ein großes Glas Brandwein und setzte sich dann mir gegenüber. Es war mir ganz angenehm, Gesellschaft zu bekommen, die mir eine muntere Unterhaltung versprach. Ich beschloß aber nichts destoweniger auf meinem Vorsatze zu beharren, und mich nicht als Seemann zu erkennen zu geben. Freilich war das eine schwierige Sache, denn schon damals hatte ich die Gewohnheit, die gebräuchlichen Schiffsredensarten in das gewöhnliche Gespräch zu mischen; aber ich dachte, eine rechte Aufmerksamkeit auf mich selbst könne mich wohl davon abhalten und mich unerkannt unter fremder Flagge segeln lassen. Meine Mahlzeit war verzehrt und mein Glas geleert. Ich hätte wohl noch gern getrunken, aber ich durfte auf meinen Gulden los nicht zu durstig seyn. Der Seemann saß einige Minuten lang mir gegenüber, ohne Anstalt zu machen, mich zu entern. Er brummte ein Liedchen vor sich hin, trank dazwischen und ließ dem bald geleerten Glase ein anderes folgen. ›Ihr scheint kein Freund vom Würfeln, Landsmann!‹ redete er mich endlich an. ›Ich kann's Euch nicht verdenken. Das verdammte Knöcheln kostet mich schon manchen schönen Gulden und wenn ich den guten Humor nicht hätte, so hätte ich mir aus Zorn über mein ewiges Unglück schon einmal ein Leid angethan. Aber der gute Humor muß immer obenaufschwimmen, wie der Kork an der Loglinie, und wenn auch einmal der Böse sein Spiel hat und bei dem letzten Deut im Beutel nach der armen Seele angelt, so muß ihn doch der gute Humor gleich vertreiben. Der Humor soll leben!‹ rief er, indem er sein Glas erhob und nach mir hinhielt. ›Aber, Blixen und Mordblei! Ihr habt ja keinen nassen Tropfen mehr im Glase? Wirth,‹ schrie er diesem zu: ›noch ein Glas Genever für den Landsmann! Es geht auf meine Rechnung. Wir müssen zusammen trinken.‹ Ich wollte seine Einladung ablehnen, aber er ließ mir keine Ruhe, bis ich mit ihm anstieß und trank. An dem andern Tische wurde es jetzt sehr laut. ›Das sind rechte Tölpel und einfältige Gierhälse,‹ sagte mein Mann, ›die sich in die Launen des Spiels gar nicht finden können! Sie meinen, sie müßten Alle gewinnen und denken nicht daran, wer dann verlieren sollte. Blixen und Mordblei! Ihr werdet gleich sehen, daß einer von ihnen nach dem Krummmesser greift, um dem andern Galgen und Rad ins Gesicht zu zeichnen. Meiner Seel! der tolle Hann ist schon dran. Hat dich denn der Schwarze einmal wieder am Kabeltau –‹ Mit diesen Worten sprang er auf und in das Getümmel hinein. Es ging auch wirklich jetzt an dem Tische drunter und drüber, wie auf einem geenterten Schiffe. Fluchen und Schreien, Schimpfreden und Drohungen mischten sich durcheinander. Alle waren aufgesprungen, ihre Messer blitzten bei dem matten Lampenscheine in den hoch erhobenen Händen und es schien, als ob es auf Schlimmeres, als auf bloßen Schnittkampf abgesehen sey. Ich überlegte eben noch, ob ich mich in das tolle Treiben hineinmengen solle, um ein Unglück zu verhüten und Ruhe und Frieden herzustellen, als mein Trinkgenosse, ein untersetzter starker Bursche, schon mitten unter ihnen war, den Unheilsstifter zu Boden geworfen hatte und mit einer wahren Commandostimme rief: ›Hinaus mit dem Stänker! Er mag seine Hitze in der Gosse abkühlen, oder, wenn ihn seine Besoffenheit in den Canal führt, so ist's ihm auch gesund und das ungewaschene Maul wird ihm dann einmal gewaschen!‹ – ›Richtig!‹ schrieen die andern. ›Er muß hinaus: In den Canal! Er hat so nichts, als Meuterei und Schlechtigkeit im Kopfe!‹ In der Luft schwebend wurde mit Sturmeseile der brüllende Hann durch das Zimmer, nach dem Ausgange getragen. Alle drängten sich nach der Hausflur, auch der Wirth, der am Aergsten auf den Friedensstörer schimpfte. Während sie den Rasenden aus dem Hause schafften, blieb ich einige Augenblicke allein bei dem Mädchen, das bis jetzt seinen düstern Winkel nicht verlassen hatte. Kaum war der lärmende Haufen draußen, so kam das Mädchen in rascher und ängstlicher Bewegung aus der Ecke an meinen Tisch hervor und flüsterte schnell und mit zitternder Stimme: ›Ihr habt meiner Warnung nicht geachtet oder sie überhört! Das Schlimmste steht Euch bevor, wenn Euch nicht ein besonderer Glücksfall rettet. Verrathet nichts, zeigt keinen Verdacht! Ihr befindet Euch unter –‹ ›Was hat die freche Dirne mit den Gästen heimlich zu verkehren?‹ unterbrach sie plötzlich die Donnerstimme des rothhaarigen Wirthes, der unter der Thüre erschien und rasch vortrat. ›Deine Unverschämtheit wird dich noch ins Spinnhaus bringen, alle Ermahnungen sind umsonst und bei deiner Mutter Bruder hat sich das Unglück ins Haus geladen, als er dich aufnahm.‹ Das Mädchen schlich still nach seinem Winkel zurück. ›Ihr verfahrt zu hart mit dem Kinde!‹ sagte ich, so ruhig ich vermochte. ›Sie war blos für die Wirthschaft bedacht und fragte mich, ob ich nichts bedürfe?‹ – ›Ei, was!‹ entgegnete mürrisch der Rothkopf. ›Ich bin des Mädchens Vormund und muß wissen, was an ihr ist und wie ich mit ihr umzugehen habe. Hinauf mit dir, auf deine Kammer!‹ rief er ihr jetzt heftig und befehlend zu: ›Ich kann jetzt meine Gäste schon selbst versehen und bedarf deiner nicht mehr.‹ Das Mädchen schritt zögernd nach einer Hinterthür des Zimmers. ›Soll ich der Dirne Beine machen?‹ schrie der erboßte Corsar jetzt voll Wuth und warf ein Glas nach ihr, das dicht neben ihrem Kopfe vorbei an die Wand fuhr und in tausend Stücke zersplitterte. Sie entfloh so schnell sie konnte, durch die Hinterthüre. Ich war aufgesprungen und wollte eben dem alten Bösewicht an den Kragen, als lärmend und lachend die wilde Rotte ins Zimmer zurückstürmte. Ich bedachte, daß er unter ihnen gewiß Beistand und Hülfe finden würde, daß ein einzelnes Schiff, wenn es auch noch so gut getakelt und bewaffnet sey, nichts gegen eine ganze Flotte vermöge, und verbiß meinen Grimm. Die Worte des Mädchens und ihr wunderlicher Sinn gingen mir im Kopfe herum. Dennoch dachte ich mehr an das hübsche Ding selbst, als an ihre Rede. Ich hatte mir aus vielen schlimmen Lagen meines Lebens immer so glücklich herausgeholfen, und war mir denn doch auch meiner Kraft hinlänglich bewußt, daß mich die Ahnung einer Gefahr, die ich nicht einmal einsah und erkannte, nicht so leicht in Schreck versetzen konnte. Ich nahm mir nur fester vor, meinen Stand und meinen Namen nicht zu verrathen. Mochte auch irgend ein Bedrängniß für mich entstehen, so, glaubte ich, müsse am Ende meine Bestallung als Hochbootsmann auf der Flotte der hochmögenden Heern Generalstaaten mich aus jeder Verlegenheit reißen können. So vergaß ich bald der Warnung des Mädchens; aber ihr Bild blieb in meiner Seele und ich konnte nicht müde werden, da das hübsche Affengesicht zu beschauen.«

»Grober Mann!« rief Beckje mit zorniger Miene, indem sie das Glas, das vor ihm stand, wegnahm. »Zur Strafe dafür sollst du auch keinen Tropfen Genever mehr bekommen. Ihr werdet schon sehen,« fuhr sie dann, zu Clelia und Cornelius gewendet, voll Eifer fort, »wozu das Affengesicht nütze war. Er säße nicht hier vor Euch, als Capitän der Syrene und als ein gemachter Mann, wenn das Affengesicht ihm nicht aus der Patsche, in die er sich thörigt hineinbegeben, geholfen hätte!«

»Ruhig, Beckje!« erwiederte lachend der Capitän und reichte der Grollenden treuherzig die Hand. »Es war nicht böse gemeint und was ich unter dem hübschen Affengesicht verstanden habe, das machte wahrlich der heidnischen Schönheitsgöttin Venus keine Schande. Doch weiter im Text, sagt der Domine; ich sage: weiter in der Fahrt! Es wurde wieder ruhiger im Zimmer. Wenige setzten sich auf's Neue nieder. Die meisten legten sich auf den Bänken und auf den Fußboden vor Anker, um hier nach wenigen Augenblicken in einen tiefen Schlaf zu fallen. Der Seemann, der vor dem Tumulte mir gegenüber gesessen, nahm seinen Platz wieder ein. ›Sie haben den wilden Hann gekielholt im Canale!‹ sagte er lachend. ›Es war dem Burschen gesund. Das Wasser machte ihn in einem Augenblicke wieder nüchtern; er schwamm durch, wie ein Delphin, und schickte uns von der andern Seite eine volle Lage von Verwünschungen zu. Aber, Blixen!‹ fuhr er auf: ›wir sitzen wieder fest auf der Sandbank im leeren Glase. Schenk ein, Wirth! Mir und dem Landsmanne! Ich hoffe, du hast noch ein tüchtiges Stück Kreide für den Claas!‹ Mit großer Geschäftigkeit war der Rothkopf bei der Hand und füllte unsere Gläser. Ich ließ es geschehen, denn der Trunk fing an mir zu munden und ich dachte: morgen, wenn du dein Papier zu Geld gemacht hast, kannst du es dem lockern Seehunde zehnfach wiedergeben. Er trank mir zu auf das Wohlergehn aller Seeleute, und ich that ihm mit so vieler Lust und Fröhlichkeit Bescheid, daß er mich mit den listigen Augen groß ansah und ich wohl merkte, er wittere Seeluft. Bald aber schien dieser Gedanke wieder ganz von ihm gewichen, er behandelte mich als eine Landratte, spottete über das ewige, langweilige Werkeltagsleben in Städten und Dörfern und fing nun an, auf eine vertrauliche Weise mir von dem Treiben auf der See zu sprechen, mir die Lust und das Wohlergehn auf den Schiffen gar herrlich auszumalen, die Merkwürdigkeiten von Ost- und Westindien zu preisen, mit solcher Uebertreibung und Unwahrheit, daß ich, der das Alles vielleicht besser kannte, als er, unwillkührlich vor mich hinlachen mußte. Ich merkte nun, daß er mich anwerben, daß er einen Rekruten für irgend einen Ost- oder Westindienfahrer aus mir machen wollte. Jetzt glaubte ich auch die Warnung des Mädchens zu verstehen. ›Damit hat es gute Wege!‹ dachte ich: ›der Jansen weiß auch, wie das Salzwasser in der Bay von Batavia schmeckt und sieht keine Piratenflagge für die Farbe der Ehrlichkeit an.‹ Mein lächelndes Gesicht mochte den Burschen glauben machen, daß mir seine Reden gefielen und ich blindlings in das Netz segle, das er so lockend vor mir ausgebreitet hatte. Er rückte zutraulich näher. Seine Zunge wurde noch geschwätziger. Er plapperte, wie es die Werber zu machen pflegen, gleich einem Papagey in einem fort. Hundert lustige Seemannsstückchen kamen an den Tag, dazwischen manche Geschichte von einem und dem andern, der als bloßer Matrose nach den Indien gegangen und als ein reicher Bewindhebber zurückgekehrt sey. Alle diese Künste waren mir bekannt und belustigten mich sehr. Er ließ noch mehreremale einschenken und ich trank mit ihm, denn vor seinem Genever brauchte ich mich nicht zu fürchten, das wußte ich aus vielfältigen Erfahrungen, in denen ich auf ganz andere Proben gesetzt worden war und See gehalten hatte. ›Gelt!‹ sagte endlich, nachdem er eine gar lustige Geschichte erzählt, über die ich sehr lachen mußte, der Bursche mit einer verschmitzten Miene zu mir: ›Das Leben gefällt Euch und Ihr möchtet es auch gern so haben? Nun das kann geschehen und an einem hübschen Handgeld soll es auch nicht fehlen! So ein zwanzig Gulden etwa, dächte ich, wären Euere Sache?‹ Jetzt stieg mir der Aerger in den Hals. Einem Kerl, wie mir, lumpige zwanzig Gulden zu bieten! Ich vergaß meinen Vorsatz, ich nahm die falsche Flagge ab, ließ lustig das Seemannswimpel wehen und rief: ›Halsen und Schoten, was bildet Ihr Euch ein? Der Sturm aus dem Brandweinglase hat Euch das Takelwerk verwirrt, daß Ihr einem Manne, der schon als zwölfjähriger Junge die blauen Berge von Sumatra gesehen und in den Riffen von Ceilan Schiffbruch gelitten hat, einen so niederträchtigen Vorschlag macht. Geht in Euere Hangematte und schlaft den Rausch aus! Morgen könnt Ihr mit mir trinken zur Revange, aber bringt gescheidtere Gedanken mit.‹ Ich stand auf und sah auf meinen Mann, der auch aufgesprungen war, herab wie der Goliath auf den David. Er sagte nichts. Seine Blicke flogen aber unruhig über seine Cameraden hin, als wolle er untersuchen, ob im Falle der Noth ihr Beistand ihn unterstützen werde. Sie lagen jetzt sämmtlich in einem so tiefen Brandweinschlafe, daß ich bei der geringsten verdächtigen Bewegung des Meisters Claas, ihn zehnmal hätte kalt machen können, ehe sie einmal zur Besinnung gekommen wären. Er mochte das selbst einsehen und setzte sich ruhig wieder an seinen Platz. Ich rief jetzt dem Wirthe, daß er mir mein Schlafzimmer zeigen solle. ›Ey, Ihr wollt allein schlafen?‹ sagte er gedehnt. ›Nun dann müßt Ihr auch vorlieb nehmen mit dem, was Ihr bekommt, denn auf Schlafgäste bin ich gerade nicht eingerichtet.‹ Der Rothkopf zündete eine Lampe an, ich wünschte dem Meister Claas lachend eine gute Nacht, die er nicht erwiederte, und folgte dann meinem Führer über einen langen Hof, zu einem düstern Hintergebäude. Auf diesem Wege bemerkte ich zu meinem Erstaunen, daß ich nicht ganz fest auf den Beinen sey. Eine wunderliche Müdigkeit, wie ich sie noch nie empfunden, lag lähmend in allen meinen Gliedern. Wie betäubt stieg ich hinter dem Wirthe, der sich öfter nach mir umsah, eine schmale Treppe hinauf, die kein Ende nehmen wollte. ›Sind wir bald an Bord?‹ fragte ich endlich, als wir unter dem Dache angekommen waren, das, schräg und niedrig ablaufend, mich am Geradestehn verhinderte. ›Hier ist es;‹ antwortete der Rothkopf. Er stieß zugleich eine Thüre auf, durch die ich mich gebückt in eine kleine Kammer hineinbugsierte. Ich konnte nichts mehr sehen, ich konnte das Gemach nicht untersuchen; meine Augen fielen zu und ich sank angekleidet, wie ich war, indem das letzte Restchen von Bewußtseyn schwand und ich noch, wie aus weiter Ferne, das höhnische Gelächter des Rothkopfs zu vernehmen glaubte, auf die Lagerstatt nieder. Wie lange ich so, gleichsam in der Windstille des Todes als ein unbrauchbares Wrak, gelegen, weiß ich nicht. Als ich anfing, wieder zu mir zu kommen, fühlte ich einen heftigen Schmerz am Munde, an den Händen und den Füßen. Es war mir noch so wüst im Mastkorbe, daß ich mich mit Gewalt zusammen nehmen mußte, um einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Sturm und Wetter! Denkt Euch, was die Hunde gethan hatten? Ein scharfer Knebel saß mir im Munde, meine Hände waren mit einschneidenden Stricken auf den Rücken gebunden, meine Füße ebenso an die Pfeiler der Bettstelle befestigt, meine Brust mit einem ledernen Riemen an diese festgeschnürt. Ich war keiner Bewegung mächtig. Nur den Kopf konnte ich mit Mühe etwas heben und ihn vorwärts beugen. Das konnte mir nicht während eines gewöhnlichen Schlafes, nicht einmal in einem tüchtigen Rausche geschehen seyn, ohne daß ich erwacht wäre. Man mußte mir etwas Giftiges, Betäubendes in den Brandwein gethan haben. Durch eine Dachluke hoch über mir fiel ein Lichtstrahl herein. Indem ich den Kopf mühesam vordrückte, sah ich bei dem matten Dämmerlichte, das in der Spelunke herrschte, daß man mir meine guten Kleider ausgezogen und mich mit Lumpen bedeckt hatte. Mein Kopf that mir wehe. Vergebens strengte ich mich an, noch mehr über meinen Zustand nachzudenken, über die Veranlassungen dazu, über den gestrigen Abend, über die Menschen, die mich in diese Lage versetzt, und über die Absicht, die sie mit mir haben möchten. Es legte sich wieder, wie Blei, auf meine Glieder, im Kopfe wurde es mir ganz dumm und ohne einzuschlafen, die offenen Augen immer nach der Luke im Dache gerichtet, war es mir doch immer, als läge ich in einem schweren Traume. Da hörte ich plötzlich ein Geräusch, das mit einemmale, wie ein Blitz, in mein Gehirn fiel und dieses erhellte. Es war ein heiseres, höhnisches Gelächter aus einem Winkel der Kammer. Es schien mir nicht unbekannt, ich mußte ein ähnliches schon gehört haben. Ich versuchte zu sprechen, aber ich brachte nur einen kaum hörbaren, dumpfen Laut hervor. Da wurde das Lachen lauter und derjenige, von dem es kam, trat so dicht an mich heran, daß ich ihn sehen konnte. Klippen und Sandbank! Es war kein anderer, als Meister Claas, der mit untergeschlagenen Armen neben mir stand, mit den scharf blickenden Augen mich von oben bis unten maß und spöttisch grinsend sagte: ›Warum habt Ihr doch die zwanzig Gulden Handgeld nicht genommen? Es wäre immer eine gute Ladung gewesen für Euere Tasche, die nun leer ist und wenig Hoffnung hat, bald wieder befrachtet zu werden. Jetzt liegt Ihr hier so lange fest, bis ich Euch flott mache zur lustigen Fahrt. Oder habt Ihr Euch vielleicht besonnen, sind Euch bessere Gedanken im Schlafe gekommen, als im Wachen? Ich will's einmal darauf wagen und Euch das Zungenband lösen. Aber das sage ich Euch, kommt ein lauter Ruf, ein Schrei, ein Wort über Euere Lippen, das man auch außerhalb dieser Coje vernehmen könnte, so ist's um Euer Leben geschehen, und Ihr athmet nie wieder weder See- noch Landluft!‹ Bei diesen Worten schwang er drohend in der einen Hand sein Krummmesser, während die andere den Knebel lös'te. Ich mußte mit mir geschehen lassen, was er thun wollte, ich lag da, wie ein Stück Holz. ›Nun sprecht, bester Freund und Landsmann! Wollt Ihr jetzt freiwillig die Flagge streichen und mein lieber Camerad seyn auf dem Schiffe, zu dem ich Euch führe, so soll's immer noch auf die zwanzig Gulden nicht ankommen; besteht Ihr aber auf Euerem halsstarrigen Sinn, so bekommt Ihr keinen rothen Deut und bleibt angeschnürt und geknebelt, bis wir die Anker lichten und Ihr eingepökelt werdet in den untern Raum, den Ihr dann erst auf offener See verlaßt.‹ Meine Zunge klebte vor innerer Hitze am Gaumen fest und war durch den Zwang, den man ihr angethan, wie gelähmt. Der Bösewicht bemerkte das. Er langte einen Krug Wasser herbei, hielt ihn mir an die Lippen und sagte: ›Trinkt einmal! das soll nicht gesagt seyn, daß Claas seinen künftigen Cameraden verdursten lasse. Ich weiß es aus hundert Erfahrungen mit hundert ähnlichen Thoren, wie Ihr! Das Opiumgebräu macht verdammt trocken im Halse.‹ Ich trank in langen, durstigen Zügen. Es war, als brenne ein höllisches, unauslöschliches Feuer in mir. Endlich gewann ich die Rede wieder. Die Wuth lag glühend in meiner Brust, wie die Lunte an einem Vierundzwanzigpfünder, und ich konnte sie kaum zurückhalten vom heftigsten Ausbruche. Aber ich mäßigte mich, denn ich sah ein, daß ich in der Gewalt des Schurken und ihm auf Gnade und Ungnade preißgegeben war. ›Ihr mögt Euch freilich einbilden,‹ sagte ich, ›daß Ihr ein rechtes Kunststück begangen habt mit Euerer gewaltthätigen Werbung; aber es nutzt Euch nichts, denn Ihr müßt wissen, daß ich schon seit mehreren Jahren Hochbootsmann bin auf dem Linienschiffe der hochmögenden Herrn Generalstaaten, auf der Medusa. Darum gebt mich nur wieder los und ich verspreche Euch, von der ganzen Geschichte nichts verlautbaren zu lassen!‹ – ›Wir wissen Alles, Freundchen!‹ erwiederte der Bube und lächelte noch hämischer, als bisher. ›Wir haben ja deine Bestallung und deine Wechselbriefe gefunden in dem Landratzenfelle, das uns zur guten Prise geworden. Die Bestallung habe ich ins Feuer geworfen und die Wechsel werde ich einlösen, wenn du sie unterschrieben haben wirst, wozu du seiner Zeit schon genöthigt werden sollst. Sieh, Brüderchen, solche Leute, wie dich, können die Herrn Bewindhebber auf den Kapern gerade brauchen. Was kümmert es uns, ob du auf der Medusa für einen Deserteur und Schuft gehalten wirst? ob dein Bild am Galgen neben den Landstraßen mit einer verständlichen Unterschrift den Vorübergehenden sagt: das ist der entlaufene Hochbootsmann Jansen; wer ihn wieder einbringt, erhält eine gute Belohnung? Die Hauptsache ist: du kennst den Dienst, es fehlt dir nicht an Kraft und Gewandtheit und, wenn du deine Schuldigkeit thust gegen die spanischen Don's und französischen Mosje's, so kannst du es über Jahr und Tag wieder zum Hochbootsmann auf einem ehrbaren Kaperschiffe bringen. Gelt, Brüderchen, die Aussicht ist so übel nicht und wenn wir brav spanische Gallionen aufbringen, so bekommt auch die Mannschaft ihr gutes Theil davon. Sprich dein freiwilliges Ja, bester Camerad; mache dich los von dem lecken Schiffe, das doch die See nicht mehr halten kann! Lichte die Anker mit deinem Herzensfreunde Claas, der es am Besten mit dir meint auf der ganzen Welt und dich liebt, wie einen spanischen Brasilienfahrer, dem er gut Gold abzuzwicken gedenkt, oder einen vollen Geldbeutel, der immer sein bester Helfer in der Noth war.‹ – Der Hohn und die Niederträchtigkeit des Buben brachten mich auf's Aeußerste. Ich konnte mich nicht mehr halten. Indem ich vergebens mit einer heftigen Bewegung mich von meinen Banden loszureißen suchte, rief ich: ›Verdammter Schurke und –‹ ›Seelenkoper!‹ fiel der Kerl mit der größten Kaltblütigkeit ein, während er mir den scharfen Knebel so heftig in den Mund zurückstieß, daß mir das Blut aus Lippen und Zunge drang. ›Ich sehe wohl,‹ fuhr er eben so gelassen fort, ›daß noch kein vernünftiges Wort mit Euch zu sprechen ist. Ich hoffe aber, daß Euch die Einsamkeit, Euere angenehme Lage, und Hunger und Durst bis heute Abend geschmeidiger machen werden. Wir haben sonst auch noch andere Mittelchen im Rückhalte, denen die Halsstarrigsten nicht widerstehen konnten. Was haltet Ihr von der Peitsche? Ich kann Euch auf Seemannsparole versichern, daß einer, der sie gut zu führen versteht, in Zeit von einer Viertelstunde einem Andern die Schreibkunst beibrachte, so daß dieser schön und deutlich seinen Namen unterzeichnete, wohin man wollte und was er bisher allen freundlichen Bitten und Ermahnungen verweigert. Merkt Euch das, Meister Jansen! Ich könnte der eine und Ihr könntet der andere seyn, wenn Ihr nicht heute Abends Euern Trotz in den untern Raum einsperrt. Bis dahin gehabt Euch wohl!‹ – Der Kerl ging und ich hörte, wie er von Außen einen schweren Riegel vor die Thüre schob. Ich schäumte vor Wuth. Jetzt erst waren die Reden und Signale des Mädchens mir verständlich geworden, die ich früher viel zu leichthin gedeutet hatte. Die Seelenverkäufer und unter diesen die schändlichsten und grausamsten, die Mäkler der Kaperschiffe, hielten mich in ihren Klauen. Ich wußte, daß die Obrigkeiten bei diesem abscheulichen Menschenhandel ein Auge zudrückten, wenn er auf Rechnung der ostindischen Compagnie geführt wurde. Dieser hätte es sonst an Rekruten für ihre Flotten, für die Besatzungen in Batavia und den übrigen Colonieen gefehlt. Der große Vortheil, den die Compagnie dem Staate brachte, verpflichtete diesen, sie auf alle Weise zu unterstützen, wenn es auch oft wider Recht und Billigkeit war. Desto strenger wurde die Seelenkoperei der Privatleute, derjenigen, die sich einen Kaperbrief auf eigenen Gewinn und Verlust gelös't hatten, bestraft. Am Galgen fanden sie gewöhnlich den Lohn ihrer Verwegenheit, mit den Werbern der Compagnieherrn nach derselben Richtung des Compasses steuern zu wollen. Deshalb trieben sie ihr Geschäft immer in der tiefsten Verborgenheit, in Schenken, die außer ihren Handlangern niemand besuchte und in denen oft, wie man sich erzählte, diejenigen, die sich allzustarrköpfig gezeigt, einen gewaltsamen Tod gefunden hatten, damit sie nie zu Verräthern an ihren bübischen Bedrängern werden möchten. Das Alles wußte ich. Mit hundert Geschichten aus solchen Häusern, eine immer schrecklicher, als die andere, hatten wir uns oft während der Abende auf den Schiffen unterhalten. Wen einmal sein Unglück in eine solche Mordhöle geführt hatte, der kam nur als ein Sklav des Kapercapitäns oder als eine Leiche wieder heraus. Eins dieser zwei Loose erwartete nun auch mich und dabei die quälende Aussicht, von meinen Vorgesetzten, von meinen Cameraden auf der Medusa für einen Ausreißer gehalten, für ehrlos erklärt zu werden. – Mein Kopf brannte mir wie im hitzigen Fieber. Ich wußte mir nicht zu rathen und zu helfen. So lag ich mehrere Stunden lang in einem dumpfen Hinbrüten, in dem Zustande eines Schiffes, das zwischen Klippen und Sandbänke gerathen ist und weder vor noch hinter sich kann. Dennoch brannte, wie eine Kohle unter der Asche, der Entschluß im tiefsten Grunde meiner Seele, lieber den Tod zu leiden, als meine Schande zu überleben und den Schurken zu Willen zu seyn. Hunger und Durst fingen an, sich zu melden. Bald mußten sie zu peinigenden Gefühlen werden und ich nahm mir fest vor, diesen zu trotzen, wie allen Drohungen, allen Grausamkeiten der nichtswürdigen Seelenkoper. Mein einziger Trost war die Helligkeit, die durch die Dachluke in meinen Raum fiel. Ich konnte ein Stückchen blauen Himmel sehen, ich konnte den Zug der Wölkchen erkennen, die in weißen Nebelflocken drüber hin flogen. Gedankenlos starrte ich immer nach diesem einen Punkte. Da verdunkelte sich zu meinem Schrecken plötzlich auch dieser; aber eine Stimme, in der ich den Laut eines Engels zu vernehmen glaubte, rief mich nun bei Namen und mein Schreck verwandelte sich mit einemmale in die lebhafteste Freude, denn wer, meint Ihr, sah aus der Lucke mitleidig und freundlich auf mich herab, wie ein Sternlein vom Himmel? Wiederum niemand anders, als eben das Affengesichtchen da!«

»Das ist zu arg!« rief jetzt Beckje ernstlich böse werdend, sprang auf und lief nach der Thüre hin. Aber mit drei mächtigen Schritten hatte sie Jansen wieder eingeholt, drückte ihr einen derben Kuß auf die vollen Purpurlippen und führte sie zu ihrem Sitze zurück, indem er schmeichelnd sprach: »Habe ich dich denn nicht einen Engel genannt und ist denn ein Engel, ernst und wohl gemeint, nicht weit mehr, als ein Affengesichtchen, das ich dir im Scherz auf deinen lieben Hals lüge? Ich will dich aber gern auch die Wahrheit hören lassen und da bist du, so gewiß ein Orlogschiff keine Calebasse ist! mein Schutzengel, meine Retterin aus Schimpf und Schande und Todesgefahr gewesen.«

Befriedigt nahm die Capitänsfrau ihren Platz am Tische wieder ein und Jansen fuhr, während der Cojenbub Orangen und andere Früchte aufstellte, folgender Gestalt in seiner Erzählung fort:

»Das liebe Gesichtchen da – ich will sie durch keinen Beisatz weder ärgern, noch stolz machen – trug nicht die Wimpel der Ruhe und Freude so in seinen Zügen, wie jetzt. Es schien ein ganz anderes Beckje, von Furcht, Angst und Kummer bewegt und entstellt. ›Ach, Ihr armer Mann,‹ flüsterte sie herab, doch deutlich genug, daß ich es vernehmen konnte, ›warum habt Ihr nicht meiner Warnung geachtet und seyd nicht bei dem ersten Schritte in dieses Haus des Verbrechens wieder umgewendet und geflohen, so schnell Euch Euere Füße tragen mochten? Aber das ist nun zu spät, der Jammer ist unnütz und wir müssen darauf sinnen, ob Hülfe möglich und wie sie zu bewerkstelligen ist? Ich bin aus meinem Kämmerlein über das Dach herübergeklettert, denn ich ahnete wohl, daß sie Euch in diese Mordkammer geschleppt hätten, wo schon manches Herzblut geflossen seyn mag, denn ich sah den abscheulichen Claas herabsteigen. O, wie haben sie Euch gebunden und geknebelt, die Schändlichen! Jetzt sehe ich's erst, da mein Auge sich an die Dämmerung gewöhnt hat. Doch wartet einen Augenblick. Ich komme gleich wieder und, ist meine Hand nicht ganz ungeschickt, so sollen Euere Bande bald gelös't seyn.‹ Sie verschwand und es war mir, als erlösche das Sanct Elmo's-Feuer auf der Mastspitze meiner Lebensfregatte. Ich sah wieder in den blauen Himmel. Ich grübelte vergebens darüber nach, wie sie es anfangen wolle, aus dieser Höhe und Entfernung meinen Mund von dem Knebel, die Brust von dem pressenden Riemen, Hände und Füße, von den Stricken zu befreien. Nach einigen Minuten, die mich eine Ewigkeit dünkten, zeigte sich wieder das liebe Gesicht in der Lucke. Ich athmete neu, ein Vorgefühl der Freiheit durchströmte mich schon erquickend. Das herrliche Mädchen streckte einen Arm durch die Oeffnung. Sie hielt in der Hand ein weißes Papier, das mir in jenem Augenblicke wie eine Freuden- und Friedensflagge vorkam. ›Gebt Acht!‹ sagte sie. ›In dieses Papier habe ich ein Messer gewickelt. Wenn es mir nur gelingt, es so auf Euer Lager zu werfen, daß Ihr es mit den Fingern greifen könnt, so ist Euch vor der Hand geholfen und wir wollen dann das Weitere bereden.‹ Sie hob den Arm zum Wurfe. Ich betete so inbrünstig, als wäre ich auf einem Schiffe, das eben der Sturm in den Abgrund schleudern wolle. Das Messer entfuhr ihrer Hand und Derjenige, der im Sturm und Wetter die Schiffe über der Tiefe erhält und die Wogen wieder ebnet, lenkte den Wurf: es fiel in die Bettstelle, dicht neben meinem Leibe nieder.«

Jansen schwieg einige Augenblicke. Man sah, daß diese Erinnerung ihn mit einem feierlichen Ernste erfüllte. Die Thränen standen ihm in den Augen. Niemand störte die Stille. Clelia war blaß geworden und ihr ganzes Wesen zeigte, wie sehr sie im Innern bewegt sey. Nach einer Pause reichte der Capitän seiner Frau treuherzig die Rechte über den Tisch hinüber, die sie, ihn offen und freudig anblickend, nahm. Dann sprach er weiter:

»Lag auch das Messer, das mich von der Klippe, auf der ich fest saß, los machen konnte, an meiner Seite, so kostete es doch unsägliche Mühe, unsägliche Anstrengungen des hart zusammengeschnürten und gebundenen Körpers, ehe es mir gelang, erst mit der Spitze eines Fingers es näher zu bringen, dann es mit mehreren zu fassen und endlich mit der ganzen Hand zu ergreifen. Jetzt fühlte ich erst, daß die Hände von dem starken Zusammenschnüren, dicht über den Gelenken, wie taub und empfindungslos geworden waren. Nach und nach wurden sie durch die fortgesetzten Bewegungen der Finger, die erst matt, dann immer kräftiger an der Trennung des nächsten Strickes arbeiteten, wieder belebt. Ich kann Euch sagen, es war die härteste Arbeit meines Lebens. Ich habe in den wildesten Stürmen der indischen Meere das oberste Segel gehißt und wieder gelös't, in der größten Noth Raan und Maste gekappt, und wer die Sache kennt, weiß, daß sie kein Kinderspiel ist, daß in solchen Augenblicken das Leben nicht einen Deut gilt und der Tod schon den Anker nach der armen Seele auswirft! Aber ich habe in diesen Stürmen nicht die quälende Angst empfunden, wie unter dem Sägen an dem Stricke. Wenn die Worte, welche das Mädchen von oben herab zu mir sprach, mich nicht ermuntert und gestärkt hätten, ich hätte vielleicht der Abspannung, die sich meiner zu bemächtigen drohete, erlegen und – die Bluthunde hätten zu ihrer eigenen Sicherheit ihr mörderisches Werk zu Ende bringen müssen. Aber endlich, endlich – es war, als bräche die Sonne im Sturme hervor – endlich sprang das hartgespannte Band mit einem Geräusch, das selbst das Mädchen vernahm, und ein: ›Gottlob!‹ in das ich von Herzen einstimmte, bebte über ihre Lippen. Nun ich einmal die eine Hand los hatte, war das Befreiungswerk bald vollendet. Stricke, Riemen und der schändliche Knebel lagen neben mir am Boden. Ich sprang auf, ich dehnte die entfesselten Glieder, ein lautes langes: ›Ach!‹ in dem sich die gepreßte Brust Luft machte, war der erste Ton, der aus meinem Munde drang. Ich empfand Schmerzen und Abspannung in allen Theilen meines Körpers. Die gepeinigte Lage, in der ich mehrere Stunden lang verweilen müssen, hatte vielleicht ebenso viel Theil daran, als das betäubende Getränk, das mich meiner Besinnung beraubt und fühllos hingestreckt hatte, wie einen Klotz. Ich schritt, so rasch ich konnte, einigemale in dem kleinen Gemache auf und nieder, um mich in dem Gebrauche meiner Glieder zu üben. Dann blieb ich stehen, sah zu dem Mädchen hinauf und sagte: ›Ich weiß Euch nicht groß mit Worten zu danken, aber man soll mich wie einen schäbigen Hund an der Raa-Noke aufhängen, wenn's mir nicht jetzt in der Seele ist, wie an dem Tage, wo ich meinem Vater selig die Augen zudrückte und sie ihn dann hinabließen in das weite Grab des Meeres, aber diesesmal nicht vor innerem Jammer, sondern vor Dankbarkeit! Jungfer, ich will nicht viel sprechen, aber bin ich glücklich heraus aus diesem Teufelsloche, so müßt Ihr meine Frau werden oder ich thue mir ein Leid an.‹ – So unbehaglich der Sitz des Mädchens auf dem schrägablaufenden Dache seyn, so sehr ihr meine noch immer nicht überstandene Gefahr am Herzen liegen mochte, so mußte sie doch laut auflachen bei dieser seltsamen Werbung. ›Ach, denkt an andere Dinge!‹ sagte sie dann wiederum in einem ängstlichen Tone! ›Es liegt noch Viel zwischen diesem Augenblicke und dem, wo Ihr wieder frei in Gottes freier Luft wandelt und Euere Schritte hinlenken könnt, wohin Ihr wollt. Auf Nahrungsmittel und eine Stärkung, die Ihr ohne Besorgniß genießen könnt, habe ich mich vorgesehen. Es ist freilich nichts Besonderes, aber ich bringe, was ich heimlich bei Seite schaffen konnte.‹ Ein Paket fiel von oben herab; ich fing es mit meinen Händen auf. Meinen Dank glaubte ich der Geberin nicht besser beweisen zu können, als durch die schleunigste Untersuchung und Verwendung seines Inhalts. Die guten Nahrungsmittel und vor Allem ein reiner unverfälschter Genever, gaben mir meine Kräfte zurück. Während ich noch mit Essen und Trinken beschäftigt war, rief ich wiederum frohen Muthes zu dem Mädchen hinauf: ›Jetzt laß sie kommen! Sie sollen fühlen, daß der Hochbootsmann der Medusa wieder von Stapel gelassen ist und mit gutem Winde fährt. Ihrer sechs fürchte ich nicht.‹ – ›Vertraut nicht zu Viel auf Euere Kraft!‹ wandte das Mädchen im Tone der Besorgniß ein. ›Gelänge es Euch auch die Treppe hinab, über den Hof und in den Vorplatz des Hauses zu kommen, so würdet Ihr doch da immer eine Menge entschlossener und bewaffneter Bösewichter finden, deren vereinten Anstrengungen Ihr unterliegen müßtet. Nennt mir lieber irgend einen Bekannten, den Ihr in der Stadt habt und der leicht und gleich zu finden ist, denn jeder Augenblick Verzugs kann Euch Gefahr bringen. Ich will Alles thun, Euch zu retten. Ich will – doch Ihr werdet schon sehen, was zu Euerer Befreiung geschieht, wenn mir nur irgend Jemand beisteht, der hier bekannt ist in der Stadt, denn ich selbst bin gänzlich fremd. Aber zögert nicht: nennt mir Euern Freund!‹ – Ich mußte mir gestehen, daß das Mädchen Recht hatte. Ich besann mich hin und her. Meine Verwandten konnten mir zu nichts dienen, denn ich wußte ja kaum mehr von ihnen, als ihre Namen: nicht einmal ihre Wohnung. Da fiel mir der Jude Abraham Eleazar, auf der Jüdenkracht zunächst der Synagoge, ein. Ihn nannte ich dem Mädchen, sagte ihr zugleich, welchen Dienst ich ihm am gestrigen Abende geleistet hätte und daß er die einzige Person in der großen Stadt Amsterdam sey, von der ich, wenn auch nur mit weniger Wahrscheinlichkeit, einen Beistand in diesem Nothfalle erwarten könne. ›Er ist ein Jude,‹ versetzte das Mädchen, ›aber er ist auch ein Mensch. Kann ich nur glücklich aus dem Sünderhause entwischen, so bin ich in einer viertel Stunde bei ihm und ich lasse ihm keine Ruhe, bis er mitkommt zur Hülfe. Lebt wohl bis dahin, aber unternehmt nichts, als im dringendsten Falle zu Euerer Vertheidigung!‹ Ich hörte sie am Dache hinabklettern. Ich lauschte auf das Geräusch, so lange es zu vernehmen war und als es nun gänzlich verhallte, kam ich mir vor, wie ein Ausgesetzter auf einer wüsten Insel. Ich fühlte mich in einer großen Aufregung, aber ich erkannte auch, daß ich aller meiner Kräfte wieder mächtig sey und nahm mir vor, sie, wenn es Noth thue, mit Aufsetzung aller Segel zu gebrauchen. Meine Blicke fielen auf das Messer, das noch auf dem Bette lag. Ich nahm es in die Hand: es hatte eine gute scharfe Klinge. ›Messer gegen Messer,‹ dachte ich, ›wenn es so kommt!‹ und steckte es in den Gürtel, zu dem ich einen der Stricke machte, indem ich mir ihn um den Leib knüpfte. Die Schändlichkeit des rothköpfigen Wirthes und des heuchlerischen Claas ging mir in einemfort im Kopfe herum und erfüllte mich mit Ingrimm. Ich war auf ihren Eintritt gefaßt, ich wollte über sie herfallen, wie der Sturm nach der Windstille, sie unschädlich machen und mein Heil weiter suchen, wenn nicht schon früher meine Befreiung durch das Mädchen erfolgen würde. Wie das Alles geschehen sollte, mußte ich dem Augenblicke überlassen. Ich schritt in unruhiger Erwartung das kleine Gemach auf und nieder. Ich untersuchte auch die Thüre und die Seitenwände; jene bestand aus starkem, unerschütterlichem Eichenholze, diese waren gemauert und hielten das Dach in einer Höhe, die ich nicht erreichen konnte. Die Bettstelle brach unter meinem Versuche, sie von der Stelle zu rücken, zusammen. Sie war in dem Boden befestigt gewesen und mit ihr wurde meine Hoffnung, sie als Werkzeug zu einer möglichen Flucht durch eine Oeffnung in dem Dache, die ich freilich erst hätte brechen müssen, zu gebrauchen, vernichtet. Ich blieb also der Erwartung auf meine Freunde oder meine Feinde überlassen. Die Spannung, in der ich wiederum einige Stunden hinbrachte, kann ich Euch nicht beschreiben. Der Abend kam; von dem Mädchen hörte und sah ich nichts. Kein Signal, kein Geräusch, das Hülfe verkündigte! Jeden Augenblick konnte ich jetzt die verdammten Seelenkoper eintreten sehen. Ich befand mich in einer Aufregung meiner Kräfte, wie ich sie noch nie empfunden hatte, und nur meine innere Wuth konnte ihr gleichen. Ich wünschte fast, daß jetzt die Bösewichter erschienen, um mit eigener Hand Rache an ihnen nehmen zu können. Da hörte ich ein Getrappel auf der Treppe, das immer näher kam, da vernahm ich Stimmen – ich erkannte die Sprechenden: es waren die beiden Menschenhändler, der Rothkopf und sein Geselle Claas. Sie lachten und schienen guter Dinge. Ich habe einmal in Bengalen ein Tigerthier gesehen, das auf seine Beute lauerte. So muß ich damals in dem Winkel neben der Thüre meines Kerkers gestanden haben, um über den ersten Eintretenden herzustürzen. Dennoch beschloß ich in dieser ungeheuren Empörung meines ganzen Wesens, kein Blut zu vergießen, wenn es möglich wäre. Da rasselten die Schlüssel an der Thüre, da klirrte der Riegel, da nannte Claas mit höhnischer Stimme meinen Namen – aber zugleich hatten ihn auch meine Fäuste an der Kehle ergriffen, ich drang, ihn schwebend haltend, hinaus, er würgte vergebens nach einem Hülferuf, mit einer Kraft, die ich mir selbst nicht zugetraut hätte, schleuderte ich ihn in einen Winkel, daß er besinnungslos da lag, keines Wortes, keiner Bewegung mächtig. Heulend flog der Wirth die Treppe hinab, ich mit Riesenschritten hinter ihm her. So ging es über den Hof, nach dem Vorplatze. ›Der Teufel hat ihm geholfen! Herbei, ihr Freunde! Er bringt mich um! Er schlägt mich todt!‹ rief der Schurke im Fliehen. Auf dem Vorplatze, vor der Thüre des Gastzimmers, in das er eben stürzen wollte, erwischte ich ihn am Genicke. Aber schon hatte sein Geheul seine Helfershelfer herbeigerufen. Wohl an zwanzig Kerle, denen Mord und Todschlag aus den Augen blitzten, drangen aus der Thüre. ›Er hat den Claas ermordet! Haltet ihn fest, macht ihn kalt!‹ stöhnte der Rothkopf. Ich warf ihn zu Boden. Wohin ich blickte, glänzten mir Messer entgegen, Mordgebrüll stürmte auf mich ein. Ich drängte mich an die Wand, entschlossen mein Leben theuer zu verkaufen. Noch trennte mich der am Boden liegende, ohnmächtige Wirth von dem Gesindel. Da nahmen ihn einige auf, um ihn bei Seite zu bringen. Ich sah den Augenblick vor mir, in dem nun Alle über mich herstürzen würden. ›Blut um Blut!‹ dachte ich und griff nach dem Messer in meinem Gürtel. Ehe ich es noch zog, ehe ich meinen Gegnern noch zeigen konnte, daß auch ich nicht waffenlos sey, erklang plötzlich ein heftiger Lärm vor der Thüre des Hauses, der den im Innern noch übertönte. ›Im Namen der Obrigkeit!‹ riefen viele Stimmen von Außen. Ein schneidender Pfiff schallte aus der Mitte des mich umgebenden Haufens. Die Kerle stiebten auseinander, wie Staub vom Wirbelwinde getroffen. Viele eilten in das Zimmer zurück; andere flohen über den Hof nach dem Hinterhause. Aber schon war die Thüre des Hauses unter den Schlägen der Häscher zusammengebrochen. Sie drangen ein, sie stürmten in das Zimmer, sie fanden hier die Seelenverkäufer im Streite mit einer Anzahl ihrer Cameraden, die durch die Fenster eingestiegen waren. Ich hatte mich ruhig von einigen der Häscher, die sich gleich Anfangs meiner bemächtigten, ergreifen lassen und wartete den Augenblick ab, wo ich meine Flagge aufziehen und mich zu erkennen geben konnte. Indessen ging es wild im Zimmer und im Hinterhause her, wo sich die verwegenen Schurken gegen die Uebermacht der anstürmenden Häscher zu vertheidigen suchten. Ein großer Haufen Volks hatte sich vor dem Hause versammelt und vermehrte, durch seine gegen die Seelenkoper ausgestoßenen Flüche und Verwünschungen, das Getöse. Den Eingang hielt ein Polizeibeamter besetzt und verwieß mit seinem Stabe diejenigen, die sich zu nahe herbeidrängten, zur Ruhe. Ich war bei meiner früheren Bemühung die Thüre zu erreichen, an eine Stelle gelangt, wo ich, immer von den Häschern bewacht und gehalten, dem Beamten ganz nahe stand. Ein Laut, so lieblich, wie das Wort: ›Land!‹ nach einer langen und unglücklichen Seefahrt traf plötzlich durch den gewaltigen Lärm mein Ohr. ›Das ist er! das ist er!‹ rief eine zarte Stimme in meiner Nähe. ›Wir sind noch zur rechten Zeit gekommen. Sie haben ihn nicht umgebracht! Er ist gerettet!‹ Ich blickte auf. Neben dem Polizeibeamten stand in der Thür das Mädchen, dem ich meine Freiheit und mein Leben verdankte. Ihr Angesicht strahlte wie die glänzende See bei heiterem Himmel. Ueber ihre Schulter sah der Jude Abraham Eleazar herein. ›Der Gott Abrahams und Jacobs sey gepriesen,‹ sagte er, ›der unser Werk gelingen ließ! Eine Hand wäscht die andere im Leben und so mir der Christ nicht hätte geholfen von dem Schmaddern und von der Speise vom unreinen Thier, so hätte ich ihm nicht können wiederhelfen aus der egyptischen Gefangenschaft, von dem Verrathe der bösen Rotte Korah.‹ Ich nickte Beiden zu. Der Polizeibeamte mochte nun einsehen, daß ich nicht zu den Seelenkopern gehörte, er gab seinen Untergebenen Befehl, mich frei zu lassen, und rief mich in seine Nähe. Er wußte meinen Stand und meinen Namen. Er sagte, daß ich es für ein großes Glück halten könne, lebendig dieser Mordhöle entkommen zu seyn, daß sie schon lange Nachricht von ihrem Daseyn gehabt, aber immer vergebens ihr nachgespürt, bis jetzt endlich die Entdeckungen des Mädchens und des Juden sie zur rechten Zeit an den rechten Ort geführt hätten. Ich berichtete ihm in wenigen Worten, woher der Wind in den letzten Stunden geblasen habe und wie es mir gelungen sey, aus meinem Gefängnisse zu brechen. Der Jude und das Mädchen hörten aufmerksam zu. Es war jetzt stiller geworden im Zimmer. Die Seelenkoper hatten der Uebermacht unterlegen, man brachte sie gebunden und geknebelt heraus. Mehrere von ihnen bluteten stark, auch einige der Häscher waren verwundet. Jene wurden sogleich weiter, mitten durch die tobende Volksmenge, die nur mit großer Mühe von Mißhandlungen zurückgehalten werden konnte, ins Gefängniß geschafft. Auch die Schurken, die in den obern Raum des Hinterhauses geflüchtet waren, erschienen jetzt, von den Häschern herbeigeschleppt: unter ihnen, ächzend und stöhnend, der elende Claas. Er warf mir einen grimmigen Blick zu, aber auch er wurde mit seinen Genossen ohne Aufenthalt den übrigen nachgetrieben. Ganz zuletzt fand man, unter einem leeren Fasse versteckt, den rothköpfigen Wirth. Er mußte sich während des Getümmels erholt haben und dorthin gekrochen seyn. Er konnte oder wollte nicht gehen. Man warf ihn auf einen Karren, der zufällig in der Nähe hielt. Der Pöbel begleitete ihn spottend und verwünschend nach dem Stadthause. Ich will es nun so kurz wie möglich machen und mit vollen Segeln ans Ziel steuern! Beckje rückt schon ungeduldig den Stuhl und möchte gern den Caffee kochen, der ihr fast ebensosehr am Herzen liegt, wie mir der Genever. Genug! Das Sündenhaus wurde von dem Polizeibeamten in allen Räumen und Verdecken durchsucht. – Er witterte glücklich meine Kleider und Papiere aus. Ich erhielt sie zurück und zugleich die Weisung, daß ich nun hingehen könne, wohin ich wolle. Aber ich blieb dennoch. Das Mädchen, dem ich so Viel schuldig war, sah ängstlich dem Treiben des Beamten zu, der Alles verschloß und versiegelte. Sie befand sich, allem Anscheine nach, in großer Verlegenheit. Als endlich der Beamte auch die Hausthüre sperrte und mit dem obrigkeitlichen Siegel versah, gestand sie, daß sie nun nicht wisse, wohin sie sich wenden solle, daß ihr ganzes elterliches Erbe, dessen sich der Rothkopf, als Stiefbruder ihrer verstorbenen Mutter und ihr Vormund, bemächtigt habe, in dem Hause befindlich sey und sie niemanden kenne, der in der großen Stadt sich ihrer annehmen würde. Der Polizeibeamte hörte das gleichgültig an, meinte, er könne da nicht helfen, aber sie solle am nächsten Tage vor der Obrigkeit erscheinen und dort ihre Ansprüche geltend machen. ›Kommt mit mir!‹ sagte der Jude. ›Ich will Euch führen in mein Haus, aber ich kann Euch nicht behalten über Nacht, als das Kind eines Goi. Wir müssen Rath schaffen, wir müssen eine Schlafstelle für Euch suchen bei Euern Leuten.› Da fiel mir zum Glücke ein, den Polizeimann, der eben fortgehen wollte, nach meinen Verwandten zu fragen. Er kannte sie, er wußte ihre Wohnung. Nun war uns geholfen. Ich dankte dem Juden für Alles, was er zu meiner Rettung gethan, ich versprach nochmals ihn zu besuchen, ich sagte ihm unbedachtsam, daß er als ein guter Christ an mir gehandelt habe. ›Als ein guter Jüd!‹ versetzte er eifrig und mit einem saueren Gesichte: ›denn auch unser Gesetz sagt: du sollst den Nächsten lieben, als dich selbst.‹ Er entfernte sich in großer Eile. Während ich nun in der Dämmerung mit dem Mädchen nach der Gegend hinschritt, wo meine Verwandten hausen mußten, nannte sie mir ihren Namen und erzählte mir, daß sie von Alkmaar gebürtig sey, vor einigen Wochen ihre Eltern kurz nach einander verloren habe, dann von dem Wirthe des Werbhauses, ihrem einzigen noch lebenden Verwandten, von dessen Geschäft und Handthierung sie nichts geahnt, samt ihrem elterlichen Erbe nach Amsterdam abgeholt worden und hier nun bald mit Entsetzen wahrgenommen habe, daß der Mann, der sich Vaterrechte über sie angemaßt, ein verabscheuungswürdiger Bösewicht, daß Seelenverkäuferei sein Handwerk, daß es seine Absicht sey, sich ihres Vermögens zu bemächtigen. Sie war auf das Strengste gehalten, wie eine Magd zu den geringsten Arbeiten genöthigt, selbst thätlich mißhandelt worden. Was sie sehen und hören mußte in der kurzen Zeit ihres Aufenthaltes in dem Werbhause, hatte sie mit Abscheu erfüllt. Sie wäre so gern entflohen, aber sie wußte nicht wohin. Sie war der Verzweiflung nahe, als ich die Schwelle des Hauses betrat. Ich habe Euch gesagt, was der Antheil, den sie an mir nahm, bewirkte. Sie war als ich ihr den Juden Eleazar genannt, sogleich aus dem Hause entwischt und zu jenem geeilt. Es dauerte lange, ehe sie dem Juden die ganze Geschichte begreiflich machen konnte. Endlich wurde sie ihm klar und er nahm nun sogleich Mantel und Schabbesdeckel, um mit Beckje zum Polizeimeister zu gehen. ›Soll mir Gott, dem Goi muß geholfen werden!‹ Hatte er gesagt: ›Der Eleazar leidet keine Schulden und will bezahlen auf den letzten Deut, das Capital samt den Procentje.‹ Zum Glück war der Polizeimeister der nahe Verwandte eines ostindischen Compagnieherrn. Er gerieth, als er die Sache vernahm, in den größten Zorn und schickte sogleich die Wache ab, die gerade ankam, als ich nicht weit davon war, wider meinen Willen hinauf in die himmlische Ewigkeit gehißt zu werden. Bramsegel und Backbord! ich bin wieder so weitläufig geworden, wie ein altes Weib beim Caffeegeschwätz. Aber nun soll's auch im Sturmwinde ans Ende gehen! Meine Verwandten nahmen uns freundlich auf, nach vier Wochen voll Laufereien und Hin- und Her-Geschreib erhielt Beckje ihr Vermögen heraus, ich selbst am Morgen des nämlichen Tages den verlangten, ehrenvollen Abschied und am Nachmittage gab uns der Domine für die Lebensfahrt zusammen. Als wir nach einigen Tagen Amsterdam verließen, um nach Rotterdam zu ziehen, traten uns von der Schanze am Thore, ein Paar Elende an und bettelten um ein Almosen. Sie waren mit Lumpen bedeckt, sie schleppten an Ketten schwere eiserne Kugeln nach und wurden von einem Schergen bewacht. Das wulstige rothe Haar des einen schob sich zur Seite: wir erkannten den Wirth. Der andere sah auf, es war Claas. Ich warf ihnen, was ich von Silbergeld in der Tasche trug, hin. Sie rafften es gierig auf, sie wollten danken – da erkannten sie uns, ein wüstes Geheul, Flüche und Verwünschungen strömten über ihre Lippen. Beckje drängte mich nach der Barke hin, die im Canale unserer wartete, während jene sich selbst und ihre Ketten auf die Bastion zurückschleppten.«

Jansen schwieg. Niemand hatte seiner Erzählung mit größerer Aufmerksamkeit zugehört, als Clelia. Das vielbewegte Leben, das sich hier vor ihrer Erkenntniß entrollte, contrastirte zu sehr mit dem, welches sie bisher geführt hatte, um nicht durch seine Neuheit und Frische sie zu reizen und über ihren gewöhnlichen Gesichtskreis zu erheben. Es schien ihr selbst angenehm, dergleichen erfahren zu haben und in einer späteren, ruhigen Zeit, in einem beglückenden Gefühle der Gegenwart, die Erinnerungen daran zu verjüngen. Wie wenig Bemerkenswerthes und Wichtiges hatte doch ihre Vergangenheit aufzuweisen? Die unerwartete Entfernung aus dem Vaterhause, die plötzliche Reise, welche sie schon in ein vertrauliches Verhältniß mit zwei ihr vorher gänzlich unbekannten Personen, Jansen und Beckje, gesetzt hatte, der Wechsel der Umgebungen, selbst das Geheimniß der vorgeblichen Geschwisterschaft mit Cornelius, waren die ersten Dinge, die, wie es ihr jetzt dünkte, ihrem Leben einen Reiz verliehen, dessen es bisher entbehrt hatte. Ihre, unter dem Drucke der Alltäglichkeit schlummernde und unthätig gewordene Phantasie war mit einemmale, durch die Begegnisse eines Tages, durch die Mittheilung der wunderlichen Verheirathungsgeschichte eines Paares, das sie vor Augen hatte, zu der regsamsten Thätigkeit belebt worden. Sie sah ein, daß sie in der Lage, in die sie gerathen, auf ihre eigene Selbstständigkeit rechnen müsse, sie fühlte, daß sie diese aufrecht erhalten könne, wenn sie gegen die Rückkehr ihrer alten Gemüthsträgheit, die man ihr fälschlich für Gedankentiefe angepriesen hatte, auf der Hut sey, wenn sie sich im Voraus auf alle noch so abentheuerliche und gefahrvolle Begebenheiten gefaßt halte. Clelia war einer von denjenigen Characteren, die erst sehr großer, ganz aus dem gewöhnlichen Geleise sie führender Erschütterungen bedürfen, um ihre innere Kraft und Wahrheit in das äußere Leben treten zu lassen.

Während der Wechsel der Ansichten und Empfindungen, den wir so eben zu schildern versucht haben, mit Blitzesschnelle in ihr vorging, hatte Jansen das volle Glas ergriffen, das ihm die wieder freundlich gewordene Beckje hingeschoben, und sagte mit einer Rührung, die man dem rauhen und jovialen Seemanne nicht zugetraut hätte:

»Ja, ihr Freunde! So ist es gekommen, daß Beckje und ich jetzt an einem Steuerruder sitzen. Was ich dachte und sprach, als ich fest geschnürt und geknebelt auf dem Marterlager des Rothkopfs ausgestreckt lag, als mein Schutzgeist, durch die Dachluke zu mir herabsah und mir Hoffnung und Erquickung spendete, als ich ihn wieder erblickte, Freiheit und Erlösung aus der Gewalt der verdammten Piraten bringend, das ist nun Alles wahr geworden und ich habe es in den fünf Jahren, daß wir nun zusammen segeln, keinen Augenblick bereut. Stoßt an! Sie soll leben. Vivat mein Affengesicht!« setzte er, rasch in einen fröhlichen Ton übergehend, hinzu.

Die Gläser waren gehoben, die Männer wollten in Genever, die Frauen in feinem Muscatwein Bescheid thun, da erhob sich unerwartet ein wilder Lärm auf dem Verdecke, die Mannschaft lief unruhig hin und her und eine Alles übertönende Stimme rief hastig und rauh:

»Ein Segel auf der Lufseite! Nur zwanzig Schiffslängen weit! Es tritt hinter der Insel hervor, es steuert auf uns zu – Hölle und Teufel! Es ist ein Spagnol! Eine Schebecke von zehn Canonen!«

Jansen stürzte den Inhalt seines Glases hinab und warf dieses zu Boden, daß es in unzähliche Splitter zertrümmerte.

»Der verdammte Biesbosch!« [ * ]So heißt eine Art von See zwischen den Grenzen von Holland und Brabant, der sich erst im Jahre 1421 durch Ueberschwemmung gebildet hat. sagte er. »Zwischen seinen tausend Inseln und Inselchen verkriegen sich die feigen Don's und warten es ab, bis sie ein Fahrzeug erlauern, das sie unbewaffnet oder dem sie sich überlegen glauben. Aber Bramsegel und Backbord! Capitän Jansen wird ihnen das Fahrwasser weisen. Meine Böller sollen ihnen auf keine Frage die Antwort schuldig bleiben!«

Er stürmte hinaus und hinauf; Beckje, im ganzen Gesichte erglühend, ihm nach. Cornelius war bei dem ersten Rufe aufgesprungen und hatte, von kriegerischem Ungestüm belebt, nach seinem Degen und seinen Pistolen gegriffen. Jetzt dachte er an Clelia, jetzt fiel ihm bei, wie er durch seine Unbesonnenheit die Geliebte in eine Gefahr gebracht habe, in der ihre Freiheit, ihr Leben, ihre ganze Zukunft bedroht erschienen. Ein Kleinmuth, wie er ihn noch nie empfunden, bemächtigte sich seiner. Er wagte nicht, das Mädchen anzusehen. Mit niedergeschlagenen Blicken näherte er sich ihr, die auch ihren Sitz verlassen hatte, und sprach in ängstlich gepreßtem Tone:

»Bei allen Waffenthaten Wilhelms von Oranien schwöre ich Euch, hochwerthe Clelia, daß mich der Gedanke, Euch in diese Lage versetzt zu haben, trostlos macht. Ich bin außer mir, ich kenne mich selbst nicht mehr. Sonst jubelte und jauchzte es in mir, wenn ich hörte, der Feind sey nahe, und noch vor einer Stunde dachte ich es mir als das Herrlichste und Größte, für Euch zu kämpfen, vielleicht Euer Leben zu erhalten durch irgend eine kriegerische That. Aber das ist nun mit einemmale vorbei, da die Wirklichkeit eintritt. Das Gefühl meiner Schuld liegt mir lastend in der Brust und mein ganzer Muth ist niedergedrückt unter seiner Schwere.«

»Schämt Euch, Junker Cornelius, und ruft nur immer den ersten Gedanken zurück, der Euch und der Liebe, die Ihr mir so oft gelobtet, Ehre bringt!« versetzte das Mädchen in einem so festen und aufmunternden Tone, daß der gewesene Kriegshauptmann ein anderes, fremdes Wesen zu hören glaubte und überrascht aufblickte. Clelia stand in ruhiger Haltung vor ihm. Sie war sehr blaß, aber ein Feuer der Begeisterung und der Seelenstärke glänzte aus ihren Augen, das den jungen Mann irre in seiner eigenen Wahrnehmung machte. »Warum sollte mich entsetzen,« fuhr sie fast heiter fort, »was Viele meines Geschlechtes schon vor mir erfahren haben? Kommt, Junker! Zeigt Euch des Ruhmes würdig, den Ihr schon in Kriegswerken erworben habt. Ein muthiger Mann mehr im Streite vermag Viel. Kommt! Auch ich will sehen, wie es oben steht. Ich muß den Feind erkennen, mit dem wir um Freiheit und Leben streiten werden. Habe ich auch nicht den verwegenen Sinn und die männliche Keckheit von Jansens Frau, die sie treibt, an dem Kampfe Theil zu nehmen, so will ich doch auch nicht feiern. Schickt mir die Verwundeten herab, an denen es nicht fehlen wird. Ich will sie verbinden und ihrer pflegen, wie ich es vermag.«

»Clelia!« erwiederte, von Bewunderung erhoben, Cornelius. »Ihr habt Euch in kurzer Zeit wunderbar verändert. Ich stehe beschämt vor Euch, wie eine Memme vor einem Helden. Jetzt erst fühle ich die ganze Unwürdigkeit meines Betragens, aber – beim Schwerdte des großen Marlborough! – ich will Euerer würdig werden, oder untergehen in diesem Kampfe, dessen Schrecknissen Ihr mit dem Muthe eines alten Kriegers entgegen seht.«

Das Mädchen drängte ihn fort. Sie waren im Begriff die Cajüte zu verlassen, als heulend und schreiend Philippintje hereinstürzte und mit den Gebehrden einer Wahnsinnigen ihre Gebieterin umklammerte.

»Wir sind verloren, wir werden erschossen und erstochen, wir werden, wie die Schiffsleute sagen, geentert werden!« jammerte sie. »Du, Clötje, und ich, und wenn sie uns geentert haben, die Satanskinder aus Hispania, so machen sie uns katholisch und wir kommen in das Unglück, vor dem wir, wie vor einem Höllenspuk davon gelaufen sind. Was helfen mir alle Dukaten, wenn mich der Spanier hat, mich und meine unsterbliche Seele? O wäre ich wieder daheim bei Herrn Tobias und bei dem Schiwa, bei den gefüllten Caffeeschachteln, bei den chinesischen Theebüchsen und den kanarischen Zuckerhüten! Ich wollte ja nimmer wieder, wie ich bisher gethan, manches Pfund der edeln Waare heimlich mitgehen heißen und es dem Domine zutragen. Vergieb mir meine Sünden, Herr, und führe mich glücklich wieder heim zu den Theebüchsen und dem Schiwa!«

Sie wußte nicht mehr was sie sprach. Sie sank mit gefalteten Händen auf das Polster der Cajütenbank zurück und betete in unverständlichen Tönen fort.

»Alle zu Hauf!« erklang in diesem Augenblicke Jansens Stentorstimme auf dem Verdecke. »Zeigt ihnen die Geusenflagge, damit die spanischen Hunde sehen, mit wem sie es zu thun haben!«

Dieser Ruf bewog Clelia, sogleich die Cajüte zu verlassen und auf das Verdeck zu eilen. Cornelius wollte sie unterstützen; sie lehnte es ab und stieg rasch und ohne alle Hülfe, die Treppe hinauf. Während Cornelius zu seinem Freunde flog, um diesen zu befragen, wie er ihm auf die beste Weise nützen könne, blieb Clelia in der Cajütenthüre stehen und sah mit ruhigem, unerschrockenem Blicke auf die Umgebungen. Sie fühlte sich über sich selbst erhoben, es dünkte ihr, sie sey jetzt edler und besser, als früher. Die Blässe, die auf dem schönen, ruhigen Antlitz lag, gab ihr etwas Ueberirdisches. Alles um sie herum war in der lebendigsten Bewegung. Schießbedarf wurde herbeigetragen, Gewehre wurden ausgetheilt, Beckje ging zu jedem Einzelnen der Schiffsbemannung, schenkte ihm ein Glas Genever ein und ermunterte die Leute. Die Gestalt des Mädchens, die sich in der Cajütenthüre so ruhig und furchtlos zeigte, machte einen besondern Eindruck auf die rohen Männer. Sie betrachteten sie mit Bewunderung, sie machten einander auf die liebliche Erscheinung aufmerksam und wenn die kühne Todesverachtung noch durch irgend Etwas hätte erhöht werden können, so wäre es durch den Gedanken gewesen, daß sie, indem sie für Freiheit und Vaterland kämpften, auch zugleich eine so wunderbare weibliche Schönheit zu beschützen hatten.

Indessen suchten Clelia's Blicke das feindliche Schiff und fanden es. Still und drohend lag es in einer geringen Entfernung. Es schien sehr leicht gebaut, die Segel waren eingerefft, die Stückpforten noch verschlossen. Man mochte auch dort durch die plötzliche Begegnung der bewaffneten Barke überrascht worden seyn und noch in Zweifeln schweben, mit wem man es eigentlich zu thun habe. Ein verwirrtes Gedränge war auf dem Verdecke zu bemerken. Es unterlag keinem Zweifel, daß die Schebecke an Bemannung und Streitkräften der Syrene überlegen sey. Auch war sie gewiß ein schnellerer Segler, als diese. Die spanische Flagge wehete lustig am Vordertheile und diese Verwegenheit in einem Binnenwasser der vereinigten Generalstaaten, erfüllte Jansens Leute mit Wuth.

»Das Geusenzeichen auf! Laßt den Besen sehen, der die Meere fegt von den spanischen Don's!« riefen mehrere ungeduldige Stimmen dem Bootsmanne zu, der fluchend umherrannte und im Eifer keinen Besen finden konnte.

»Da habt Ihr die Flagge!« schrie Beckje's feine Stimme dazwischen, indem sie aus der Küche einen alten Borstenbesen heraufreichen ließ. »Laßt sie rasch auffliegen! Wir wollen, denk' ich, diesen Schebecken-Caper damit hinwegfegen, daß ihm die Lust vergehen soll, jemals wieder den Biesbosch zu befahren.«

Die gefürchtete Geusenflagge, wie spottweise von den Holländern selbst der Besen genannt wurde, flog klappernd am Maste empor und schwebte nach wenigen Augenblicken fest an dessen Spitze. In gespannter Erwartung, welchen Eindruck diese Erscheinung auf dem feindlichen Fahrzeuge hervorbringen würde, vergingen mehrere Minuten. Mit gedämpfter Stimme sagte während dieser Zeit Jansen zu seinem Freunde:

»Es steht uns ein harter Kampf bevor! Die Schebecke ist stärker, wie wir, sie hält mehr aus und ihre Mannschaft zählt wohl das Doppelte der meinigen. Ich mag nicht Reißaus vor ihr nehmen und könnte es nicht, wenn ich auch wollte. Ihre Segel überholen die unserigen, ihr ganzer Bau ist auf Geschwindigkeit eingerichtet. Wenn das Schiff, das wir vor dem Essen, als einen schwarzen Punkt weit hinter uns sahen, noch zeitig herankommt, so haben wir gewonnen Spiel und der Don muß streichen und sich ergeben auf Gnade und Ungnade. Aber der Teufel weiß, wo es steckt! Im Biesbosch kann man keine Viertelstunde weit sehen vor lauter Inseln und Inselchen.«

»Besinne dich, Jansen!« versetzte in großer Aufregung Cornelius. »Giebt es nicht irgend eine Kriegslist, ein kühnes Wagstück, wodurch wir die Uebermacht des Feindes zu Schanden machen könnten? Uebertrag es mir! Bei der Asche Oraniens! Es soll dich nicht gereuen.«

»Wenn es Abend wäre,« erwiederte nachdenklich der Capitän der Syrene, »dann wäre etwas zu thun, dann wollten wir den Don anbrennen und braten in seinem eigenen Fette. Ich habe griechisches Feuer, Petarden und Brandkränze, die kein Wasser löscht – aber es ist nichts! Am hellen Tage können sie uns nichts helfen.«

Jetzt blitzte es auf aus einer der Stückpforten der Schebecke. Eine Kanonenkugel tanzte über die Wellen hin und flog dicht am Vordertheile der Barke vorbei. Der dumpfe Schall des Geschoßes donnerte durch die Lüfte.

»Der Don ist aus seiner Trägheit erwacht;« rief Jansen: »gebt Acht, er wird uns gleich noch mehr zu hören geben.«

Und so geschah es auch. Mitten aus dem Getümmel, das auf dem feindlichen Schiffe herrschte, während nun die übrigen Stückpforten sich aufthaten und blitzende Gewehre sich am Bord zeigten, schallten in gebrochenem Holländisch, durch das Sprachrohr, die Worte herüber:

»Ergebt Euch, Ihr Lumpen! Streicht Eueren Besen, daß wir ihn zu Ruthen für Euch gebrauchen oder wir bohren Euch in den Grund, wo Ihr die Fische aus ihren Schlupfwinkeln fegen könnt!«

»Soll ich antworten?« fragte der Bootsmann, ein kleiner untersetzter Bursche, mit einer ungeheuren Schmarre im Gesichte, die von der Stirn dicht neben dem schielenden linken Auge hinweg bis zum Kinne lief, seinen Capitän. Jansen machte nur eine bejahende Bewegung mit der Hand und sogleich lag der Bootsmann mit halbem Leibe auf dem größten der Böller, richtete ihn und stand dann rasch auf, um die brennende Lunte zur Hand zu nehmen.

»Das soll ihm wohl bekommen!« sagte er grimmig in sich hineinlachend. »Wie die Frage, so die Antwort.«

Er hieb auf, der Böller entladet sich mit einem Getöse, das dem einer Canone gleich kam. Noch verbarg der aufsteigende Dampf die Wirkung des Schußes, als er sich aber zerstreut hatte, sah man, daß der wackere Schütz die Seitenwand des feindlichen Schiffes, gerade auf der Spitze ihrer Wölbung getroffen hatte. Loßgerißene Planken trieben in den Wellen, ein verwirrter Menschentumult an einem Punkte, auf dem Verdeck der Schebecke, ließ vermuthen, daß die Kugel weiter gedrungen sey und auch unter der Mannschaft Tod und Verwüstung verbreitet habe.

»Backbord und Fockmast!« jubelte Jansen. »Noch vier solcher Pillen dem Don in das Unterdeck geworfen und er muß daran glauben. Aber er kommt näher, er will sich die heißen Brocken mit den Fingern aus der Suppe holen, die wir ihm kochen.«

Wirklich hatte der Spanier seine Stellung verlassen und rückte über Schußweite vor. Dann erfolgte eine volle Lage seines Geschützes, dicker Rauch umgab beide Fahrzeuge und als dieser von einem Lüftchen, das sich eben erhob, langsam zur Seite getrieben war, sah man die Schebecke im Begriffe sich zu wenden, um auch aus den Stücken des anderen Bordes Verderben auf ihren Gegner zu schleudern.

»Er meint es gut mit uns!« rief der Capitän der Syrene. »Aber wendet auch! Zeigt ihm die Spitze, daß seine Kugeln in die leere Luft fahren!«

Während dieses Mannoeuver rasch und pünktlich vollzogen wurde, warf Jansen einen forschenden Blick auf sein Schiff. Zu seiner Beruhigung fand er, daß die erste Begrüßung des Feindes diesem durchaus keinen Schaden zugefügt hatte. Es schien ihm gleich Anfangs, als gingen die Schüße der Schebecke zu hoch und er wußte aus Erfahrung, daß die Spanier in der Regel schlecht trafen, weil sie zu bequem waren, genau zu zielen.

Indessen hatte sich ein dunkles Gewölk über den zwei streitenden Schiffen zusammengezogen. Dem Lüftchen, das eben noch leicht geweht, folgten einige heftige Windstöße, in gleicher Richtung wurden die Fahrzeuge von den höher schwellenden Wogen aus der Nähe der Inseln auf die freie Wasserfläche getrieben.

Cornelius flog auf dem Verdecke hin und her, vertheilte Geld unter die Leute und befeuerte ihre Kampflust. Da fiel sein Auge auf die Thüre, die zu der Cajüte führte. Noch immer stand hier in ruhiger Haltung Clelia und hatte die Blicke auf die Bewegung des feindlichen Schiffes gerichtet.

»Ich beschwöre Euch, geht hinab!« sagte er drängend zu der Geliebten. »Euere Gegenwart lähmt meinen Muth, Euer Anblick macht mich erbeben; dagegen wird der bloße Gedanke, Euch in der Nähe zu wissen, für Euch zu kämpfen, mich begeistern und unüberwindlich machen. Noch einmal, geht hinab! Ihr seyd ein lockendes Ziel für das Geschoß des Feindes, Ihr könnt ja doch hier nicht nützen, Ihr könnt nur hindern.«

»Gut!« erwiederte Clelia, dieses einsehend. »Ich gehe hinab, aber nur in der Erwartung, daß mir die Verwundeten zur Pflege nachgesendet werden.«

»Die ganze Affaire hat wahrscheinlich nicht viel zu bedeuten;« sprach Cornelius, mehr um jede etwa erwachende Besorgniß der Geliebten zu zerstreuen, als weil er selbst daran geglaubt hätte. »Das befreundete Fahrzeug, das wir in der Ferne uns folgen sahen, kann mit jedem Augenblicke eintreffen und dann wird der Spanier alle Segel aufsetzen und so rasch, als möglich das Weite suchen.«

»Das ist zweifelhaft;« antwortete sehr ruhig Clelia. »Wir haben nur auf den Augenblick zu denken und müssen der Gegenwart dienen, jeder nach seinen Kräften.«

Mit diesen Worten wandte sie sich von dem Junker und stieg langsam die enge Treppe hinab.

»Herrliches Mädchen!« sagte dieser für sich, indem er ihr entzückt nachsah. »Wie sehr habe ich dich verkannt! Wie sehr habe ich gegen dich gesündigt! Mußte denn erst mein Vergehen die tief liegende Stärke deines Characters, deine Geisteskraft, vor der ich mich gern beuge, hervorrufen?«

Diese Betrachtungen wurden durch die Kanonenschüße der Schebecke, die jetzt schnell aufeinanderfolgten, unterbrochen. Sie war durch ihre wohlausgeführte Wendung der Syrene näher gekommen. Als aber die Spanier bemerkten, daß diese ihnen jetzt nur den Vorsteven zur Zielscheibe ihrer Geschoße darbot, gaben sie ihr nicht die beabsichtigte ganze Lage, sondern bestrichen sie mit einzelnen Schüßen, die aber, wenn sie trafen, unschädlich an den starken eichenholzenen Seitenwänden hinschwirrten.

»Auf die Leeseite!« erklang jetzt des holländischen Capitäns Commandoruf. »Wir wollen ihnen eine Anzahl eiserner Erbsen zuschicken, die ihnen den Appetit verderben soll. Herrmanneke,« schrie er nach dem Bootsmann hin, »richte schnell die Stücke. Dein Auge ist fest und wohin es sieht, ist's schon so gut, als wenn getroffen wäre!«

Während das finstere Gewölk, das sich vor einigen Minuten erst über den Häuptern der Streitenden gezeigt hatte, nach und nach den ganzen Horizont einnahm und die Tageshelle in beginnende Dämmerung verwandelte, wurde den Befehlen Jansens eilige Folge geleistet. Beckje, die zwar diesesmal keinen thätlichen Antheil am Kampfe nahm, trug doch durch ihre Scherze, durch ihre immerwährend heitere Miene und durch Erquickungen, welche sie vertheilte, Viel zur Erhaltung und Belebung der allgemeinen Kampflust bei. Sie begann jetzt mit heller, klingender Stimme, die auf dem ganzen Verdeck vernommen wurde, das Lied zu singen:

»Die Geusen wollen jagen
auf den hispanschen Don,
doch wo sie nach ihm fragen,
lief er schon längst davon!«

Jansen und die Schiffsleute wiederholten die zwei letzten Zeilen im Chor. Eben als sie die zweite Strophe begonnen hatten:

»Der Spanier kann fischen,
doch fangen kann er nichts,«

lag die Syrene mit der Länge ihres Bordes der Schebecke gegenüber, flammende Blitze fuhren aus den donnernden Böllern und über den Dampf hinweg, den die Dicke der Atmosphäre auf die Wellen niederdrückte, sah man Spieren und Segelwerk der Schebecke zerrißen in den Lüften flattern. Ein allgemeines Jubelgeschrei erklang auf dem holländischen Fahrzeuge.

»Zurück!« donnerte Jansens Stimme dazwischen. »Wir sind ihnen zu nahe gekommen. Geben sie uns jetzt eine Lage, so sind wir verloren.«

Als wolle die Natur der Syrene zu Hülfe kommen, wälzte sich jetzt eine große Welle zwischen sie und den Spanier, und warf sie weit von dem Gegner ab.

»Es gibt Sturm!« sagte Cornelius, der neben Jansen stand, zu diesem. »Der Himmel will nicht haben, daß wir den Don nehmen oder er uns.«

»Nein, nein!« antwortete der Capitän. »Das ist nur vorübergehend. Hier halten sich die Wetter nicht. Sie eilen der offenen See zu.«

Während Jansen sprach, wendeten sich seine Blicke nicht von dem Gegner ab. Es war ziemlich düster geworden, aber das scharfe Auge eines Seemanns konnte doch erkennen, daß die feindliche Schebecke bedeutend gelitten hatte. Zu seinem Erstaunen vergingen einige Minuten, ohne daß sie aufs Neue anfing zu feuern. Als aber jetzt plötzlich eins, zwei Segel zwischen ihrem Tauwerk sich entrollten, vom Winde gefaßt wurden und das leichte Fahrzeug blitzschnell in gerader Richtung auf die Syrene zustürmte, erkannte er mit einemmale ihre drohende Absicht.

»Alle zu Hauf'!« gebot seine gewaltige Stimme. »Die Schurken wollen entern. Sie sehen, daß sie an unsern Nüssen sich die Zähne ausbeißen, während wir die ihrigen mit leichter Mühe knacken. Büchsen und Piken herbei! Alles zum Vorsteven! Das Steuer scharf gehalten, daß sie nur an der Spitze fassen können! Backbord und Bramsegel!« sagte er mit gedämpfter Stimme zu Cornelius. »Die Geschichte kann arg werden! Ihrer sind mehr, als wir, und Mann gegen Mann sind die Spagnols bissige Hunde.«

»Höre Jansen!« versetzte, von einem kühnen Gedanken ergriffen, Cornelius. »Jetzt lass' mich ein Stückchen nach meiner Art versuchen. Gib mir die Jölle, die am Steuerbord anhängt, vier kühne Bursche und dein Brandwerk. Es ist dunkel genug zu einem Handstreiche. Während der Don anlegt und alle seine Leute auf einem Punkte zum Entern herbeidrängen, fahre ich unbemerkt auf seine andere Seite und heize ihm ein, daß er seine Schebecke bald für einen Backofen ansehen soll.«

»Respect!« erwiederte Jansen, indem er mit großen Augen auf ihn herabblickte. »Du verdientest ein Seemann zu seyn! Wenn dir der Streich gelingt, Cornelius, so ziehe ich meine Mütze vor dir und will nie mehr spotten über die Landkrebse.«

Er rief, während die angeordnete Haltung der Syrene mit der größten Pünktlichkeit bewerkstelligt wurde und sie der herannahenden Schebecke immer das Vordertheil zukehrte, Herrmanneke, den verwegenen Bootsmann, herbei und noch drei andere Matrosen, die er als die tollkühnsten der Mannschaft kannte. Piken und scharfgeladene Hakenbüchsen wurden von den übrigen in wilder Eil herbeigeschleppt. Nur wenige Worte flüsterte Jansen dem Bootsmanne und seinen Cameraden zu. Dann eilten diese, die gebräunten Gesichter zu einem grimmigen Lächeln verziehend, mit Cornelius an der Spitze nach dem Steuerborde. Niemand, als der Mann am Ruder bemerkte, wie sie leise an den Borden des Schiffes in die Jölle hinabglitten, wie der letzte von ihnen einen großen Kasten, mit einem Deckel von Eisenblech verwahrt, hinabschaffte und dann mit einer raschen Bewegung nachfolgte. Die Jölle stieß ab und näherte sich, indem die flachgehaltenen Ruder kaum hörbar über die Wellen hinschlugen, und ihr eigenes Schiff sie den Augen der Feinde verbarg, der Schebecke, die nun in wenigen Augenblicken die Enterhaken nach der Syrene auswerfen konnte. Das schwarze Gewölk am Himmel senkte sich drohender herab, es ward in diesem Augenblicke düsterer, als bisher, die gespannteste Erwartung verkündete sich in der allgemeinen Stille auf beiden Schiffen.

Jansens scharfes Auge bewachte jede Bewegung der Gegner. Er sah, wie ihre Absicht einzig und allein darauf gerichtet war, an Bord seines Fahrzeuges zu gelangen, um hier durch ihre Uebergewalt den Sieg zu erringen. Er erkannte, daß der entscheidende Augenblick gekommen sey.

»Feuer!« gebot seine Donnerstimme und die wohlbedienten Hakenbüchsen trafen in dieser Nähe so sicher, daß in der vordern Reihe der Spanier mehrere todt oder verwundet niederstürzten. Aber dieses Mißgeschick vermehrte nur die Wuth der andern. Mit fürchterlichem Gebrüll warfen sie die Enterhaken in den Vordertheil der Syrene; die Schiffe hingen aneinander, ein Haufe grimmiger Gestalten drang mit gehobenen Aexten und Säbeln von der Schebecke an Bord des holländischen Fahrzeugs. Der kräftige Jansen und seine kühnen Leute setzten ihnen den entschlossensten Widerstand entgegen.

»Hinab mit den Schurken! In die Wellen mit den Don's!« schrie er und sein Arm schleuderte jeden, der sich ihm näherte, unwiderstehlich in die Flut. Aber immer stürmten neue Haufen heran und er sah nun ein, daß er die Anzahl der Gegner zu gering geschätzt hatte. Schon mußten die Holländer vor der drängenden Menge weichen, schon waren einige von ihnen gefallen und Jansen erkannte, daß er mit seinen Leuten unmöglich das Schiff halten könne – da stieg plötzlich ein weißlicher Dampf von dem Mittelborde der Schebecke auf und wurde im Fluge weniger Secunden zum dicken schwarzen Rauche, dem sogleich die ausbrechende Flamme folgte. Die Anzahl der angreifenden Feinde verminderte sich. Viele von ihnen eilten hin, um das Feuer zu dämpfen. Jansen und die seinigen drangen wieder vor.

»Sieg! Sieg! Oranien hoch! Die Geusen hoch!« jubelte Beckje, von der Höhe des Cajüten-Verdecks, die sie, um das Ganze überblicken zu können, eingenommen hatte. Die Mannschaft der Syrene stimmte ein. Vor ihrem neubelebten Muthe flohen die Gegner auf ihr brennendes Schiff zurück. Jansen packte mit Riesenkraft den letzten Spanier, der fliehend die Syrene verlassen wollte, und schleuderte ihn hinter sich auf das Verdeck.

»Den behalten wir zum Andenken an diesen Tag!« rief er. »Jetzt die Enterhaken weg, die Schiffe von einander! Der Spagnol mag allein zur Hölle fahren!«

Im Fluge des Augenblicks wurden seine Befehle ausgeführt. Alles griff zu den Rudern. Mit einer Schnelligkeit, als hätte sie Flügel, entfernte sich die Syrene aus der gefahrdrohenden Nähe der aufflammenden Schebecke. Aller Blicke hingen an dem Schiffe, dessen entsetzliche Lage das Angstgeschrei der Mannschaft verkündigte. In diesem Momente brachen sich die Wolken, die Sonne strahlte vom Himmel herab. Jansen sah, wie die Schaluppe der Schebecke ausgesetzt wurde, um wahrscheinlich die Bemannung aufzunehmen. Das Feuer griff weiter um sich, es wüthete schon in dem Tauwerk und den Masten. »Möchten sie sich retten!« wünschte Jansen, dessen Mitleidsgefühl größer war, als der Haß, den er auf die Spanier geworfen hatte. Aber er mußte sehen, wie die Schaluppe, als sie die Oberfläche des Wassers berührte, umschlug und von den Wellen fortgerissen wurde. Ein herzzerreißender Schrei der Verzweiflung klang von dem spanischen Schiffe herüber. Zu gleicher Zeit wurde aber Jansens Aufmerksamkeit von einem andern Gegenstande gefesselt. Hinter der nächsten Insel bewegte sich mit schwellenden Segeln und die Flagge der vereinigten General-Staaten entfaltend, ein stattlicher Kutter hervor.

»Zu spät!« sagte Jansen unwillig für sich. »Eine Viertelstunde früher und Alles wäre anders gekommen!«

Eine zarte Hand faßte die seinige. Er wandte sich um. Zwischen zwei schwer verwundeten, am Boden liegenden Matrosen, stand Clelia. Ihre Gesichtszüge waren verstört, ihre Blicke irrten unruhig umher, ihre Hand bebte. Sie holte schwer Odem, sie schien mit Gewalt die Kraft der Rede aufbieten zu müssen.

»Wo ist Cornelius?« stöhnte sie aus tiefer Brust. »Ich suche ihn allenthalben; ich finde ihn nirgends!«

»Sturm und Windstille!« rief außer sich Jansen, der in dem Drange der Ereignisse seines Freundes vergessen hatte. »Ihm verdanken wir unsere Rettung. Er hat die Schebecke angezündet. Er war darauf oder – er ist noch dort!«

Seine Blicke flogen wild über die Wasserfläche. Nirgends war die Jölle zu sehen. Einen Augenblick lang trieb der Wind die Rauchwolke zur Seite, welche die Schebecke umgab. Die Aussicht hinter ihr wurde frei, auch dort keine Spur des Nachens, der das Verderben zu dem feindlichen Fahrzeuge getragen hatte! Todtenbleich stand Clelia, mit schlaff herabhängenden Armen, die großen trockenen Augen starr auf das brennende Schiff geheftet. Ihre Hände und Arme zitterten, sonst schien die ganze Gestalt starr, regungslos erhalten durch die allgewaltige Spannung, die sich ihres Innern bemächtigt hatte.

»Wir müssen es wagen, wir müssen ihn retten!« schrie Jansen mit einer Stimme, die Alle ergriff. »Die Ruder bewegt! Noch einmal an die Schebecke!«

Da flammte von der Oberfläche des Wassers ein ungeheurer Blitz empor zum heiter gewordenen Himmel. Eine schwarze, breite Rauchwolke stieg rasch auf von der Stelle, wo man so eben die Schebecke gesehen hatte. Dann folgte ein entsetzliches Krachen, der Himmel verdunkelte sich, die Wellen geriethen in Gährung, Todtenstille herrschte auf der Syrene. Als die finstere Rauchwolke sich vertheilt hatte, waren nur noch einzelne Trümmer des spanischen Schiffes zu erblicken, mit denen die Wellen spielten. Das Jammergeschrei derer, die noch vor einer Stunde lebensfroh und kräftig auf ihr gewaltet, war im Todeskampfe verstummt, des Schiffes stolzer Bau vernichtet.

In tiefer Ohnmacht lag Clelia neben dem erstarrten Jansen. Ruhig und majestätisch zog der Kutter über den bewegten Wellenspiegel heran.

 


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