Franz Dingelstedt
Die neuen Argonauten
Franz Dingelstedt

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Franz Dingelstedt

Die neuen Argonauten

Komischer Roman


Klio

Ich weiß nicht, was die gute Stadt Gersfeld – wo sie liegt, kann jedem gleichgiltig sein, der unwissend genug ist, es nicht zu wissen –, was sie, sage ich, in den Ruf gebracht hat, eine kleine Stadt zu sein, so daß die Bewohner der Residenz, wenn sie von ihr reden, geringschätzend die Achsel zucken und von Provinzial- oder gar von Landstädtchen murmeln. Der Postmeister wußte es auch nicht und stampfte allemal hinter seinem Gitterlein ingrimmig mit dem Filzpantoffel, wenn ein Brief mit der Adresse »Gersfeld bei Rautenburg« aus dem Beutel geschüttelt wurde. War denn Rautenburg wirklich um so viel größer, oder hieß es bloß deswegen so und nicht umgekehrt, weil in Rautenburg vor Jahren ein kleiner Fürst seinen ganz kleinen Hof aufgeschlagen hatte und man also noch Hofapotheker und Hofuhrmacher und Hofschneider in Rautenburg kannte? Nämlich der Hofschneider hieß so, nicht weil er für den Hof schnitt, der war schon längst aufgehoben, als er zünftig ward, sondern nur weil er dem Hofuhrmacher und seiner Familie die nötigen Feigenblätter aus einheimischem Tuche zubereitete, und der Hofuhrmacher wiederum so, weil er dem Hofapotheker die alte Kuckucksuhr in der Offizin alle Christtage reinigen mußte, und so pflanzte sich das Wörtlein »Hof« durch einen unauslöschlichen Charakter, wie es bei den katholischen Geistlichen heißt, immer von selbst fort, und wer mit einem Hofbetitelten zu tun hatte, ward selbst zum Hofe gezogen.

Alles dies geschah zu nicht geringer Verdrießlichkeit der Bürgerschaft von Gersfeld, die sich nun mit allem Ernst darauf steifte, ihr Bürgertum als einen massiven Gegensatz zu der Hofverguldung recht herauszukehren und es in allen Stücken der Residenzstadt Rautenburg zuvorzutun. Und zählten die Gersfelder bei der letzten Katastrierung nicht offenbar zweiundsechzig Seelen mehr als die Rautenburger? Und hatte man nicht in Gersfeld auf Aktien ein Kasinohaus erbaut, worin nach Versicherung des Tuchfabrikanten Weißzahn, der Vorsteher war, die ganze Rautenburger Hof- und Nichthofgesellschaft einander bekomplimentieren konnte, ohne mit dem Steiß aneinander zu stoßen, wie es bei ihnen selbst alltäglich vorfiel? Und blühte nicht in Gersfeld die lateinische Schule alljährlich üppiger empor, des Landgerichts und der Apotheke und des neuen Stockhauses kaum zu gedenken? Wir brauchen uns, sagte der Stadtpfarrer, nicht einmal auf unsere Vorzeit zu berufen; aber gesetzt, wir wollten es, was könnten uns die Rautenburger wohl als Aequivalent gegen unsere ruinierte Kirche bieten, über die schon ganze Bücher geschrieben worden sind, und zwar von besseren Federn als von mir?

Er erwartete, daß ihm der Tuchfabrikant Weißzahn, mit dem er auf dem Kasino die ganze Frage aufs neue erörterte, widersprechen sollte; allein Weißzahn begnügte sich, ihm beifällig zuzunicken, und setzte hinzu: Gott straf' mich, Herr Pfarrer! – mit Erlaubnis vor einem geistlichen Herren – ich ärgere mich allemal, daß ich durch das Nest komme, auf der Hinreise wie auf der Herreise zur Messe. Meinen Sie, es sei ein ordentliches Gasthaus zu finden in dem Hof-Dinge? Blaue Löwen, grüner Esel, haariger Ranzen – ich frage Sie, sind das Hofnamen? Da kommen Sie bei uns einmal in den Engel oder in den Mond oder in den Anker!

Weißzahn schnalzte mit der Zunge und trank einen mächtigen Schluck Weißbier. Sie glauben mir's vielleicht nicht, fuhr er hierauf fort, allein ich kann es Ihnen zuschwören, Herr Pfarrer, in dem Gastzimmer des blauen Löwen wird allerwegen geraucht, und das geht bunt durcheinander, Fuhrleute, Studenten, Honoratioren, Fabrikanten, alles pêle-mêle, wie der Franzose sagt. Da ist der Engelwirt ein ganz anderer, ein feiner Mann. In seinem Fremdenzimmer ist ein dicker Strich mit der Kreide auf dem Fußboden gezogen, und nur links darf geraucht, und nur rechts darf gespeist werden, was in dem großen Lokale eine herrliche Mannigfaltigkeit hervorbringt.

Aber die beste Glorie um das Haupt des Engelwirtes vergaß der Fabrikant auszumalen, weil er sie als Einheimischer täglich, das heißt gar nicht mehr sah. Fremden fiel es dagegen desto häufiger auf, wie der Engel sein Schild nicht nur nach Art und Weise gewöhnlicher irdischer Herbergen selber trug, sondern an das Haus gegenüber sogar einen blauen Wegweiser angebracht hatte, der groß und gewaltig in die Straße hineinragte und worauf in goldenen Unzialbuchstaben geschrieben stand: das Gasthaus zum Engel ist gegenüber, wie auf der anderen Seite: L'hôtel d'Ange est vis-à-vis. Die letzte Verdeutschung – denn Gasthöfe meinen deutscher zu reden, wenn französisch, – hatte der Stadtpfarrer selbst entworfen und verfocht den Genitivus standhaft gegen den Sextus an der lateinischen Schule, der » à l'ange« für allein richtig erklärte und deshalb vom Pfarrer in allen Gesellschaften für einen Neuerer, einen unruhigen und arroganten Kopf, für einen Sektierer und Reformierer ausgegeben wurde.

Nun d'ange oder à l'ange Kasino, Apotheke, Stockhaus, Schule, – alles dies zusammengenommen erhob die eifrige Stadt Gersfeld in den Augen eines unparteiischen Beobachters nicht zu jenem Range, den ihr ein Mann innerhalb ihrer Mauern, einer ihrer Söhne, ihrer Bürger, mitteilte. »An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen«, so hätten die Wahlmänner diesem einen an die Stirn schreiben sollen und ihn absenden zum Landtage, damit die Welt inne würde, daß es hinter den Bergen auch noch Leute gäbe. Dieser eine lebte aber, zwar anerkannt, doch nur von wenigen, zwar geehrt, doch nur bei Gebildeten, in genügsamer Stille in der Stadt Gersfeld. Meine Feder zittert vor Ehrfurcht, wie ich mich dem Namen dieses einen nahe, mein Geist versinkt ganz und gar in der Betrachtung seiner Gaben, und bei dem Gedanken, daß ich mich eine geraume Zeit hauptsächlich mit ihm beschäftigen soll, sein Bild ausmalen, seine Taten erzählen, seinen Wert einer verdienten Unsterblichkeit anheimgeben, bei diesem Gedanken überfällt mich die ganze Lust, aber auch das ganze Gewicht meines erhabenen Berufs, und ich atme tief auf.

In der Pomeranzenstraße war das Haus dieses merkwürdigen Mannes gelegen, eine Stätte, wozu ohne allen Zweifel noch einmal ebenso viele Fremde wallfahrten werden, als zu Goethes Wohnung in Weimar oder zu Virgils Grab, wenn er nur erst so lange tot sein wird als dieser. Jedes kleine Kind kannte es, selbst Reisende – nämlich solche, die in Zucker oder in Kaffee, in Tabak, in Oel und anderen gangbaren Artikeln machten – besuchten es viel fleißiger als die vom Stadtpfarrer berühmte Ruine der Domkirche. In diesem Hause, das mit Shakespeare's Geburtsstätte außer vielen anderen Eigenschaften auch die der Unansehnlichkeit gemein hatte, wohnte nämlich Herr Eusebius Trenttelfuß, Kaufherr wie auch Marktmeister und Mitglied der Orts-Polizeikommission zu Gersfeld. Eusebius Trenttelfuß – da steht er ja leibhaftig vor mir, dieser Name, und mit ihm das ehrwürdige Konterfei dessen, der allein würdig war, ihn zu führen!

Das Geschlecht derer Trenttelfuße zählt nach den glaubwürdigsten Zeugnissen und Urkunden zu den ältesten der Stadt Gersfeld. Hätte es nicht der Stammbaum in dem der Familie zugehörigen evangelischen Gesangbuche nachgewiesen, ein Baum, dem jeglicher Trenttelfuß ein neues Reis einzupfropfen nach Kräften beflissen war: so würde die mündliche Aussage der Erbhaushälterin der Familie, Frau Margaretha Schleichlein, einen unumstößlichen Beweis geliefert haben. Ihr Gedächtnis verlor sich in die tiefsten Nebel der Trenttelfußischen Vorzeit, und in glücklichen Stunden vermochte Frau Schleichlein alle einzelnen Familienglieder samt deren zeitigem und ewigem Schicksale mit nicht geringer Fertigkeit an den Gelenken ihrer Hand nachzuzählen. Der gegenwärtige Stammhalter, Herr Eusebius Trenttelfuß, verfolgte jedoch die Reihe seiner Vorfahren, die in altägyptischem Sinne sämtlich der Krämergilde angehört hatten, noch um wenigstens einen Grad über seinen Gersfelder Stammvater hinaus in das holländische Gebiet, und dieses zwar aus einem Grunde, den wir gleich anführen werden.

Herr Eusebius war nämlich, so sonderbar dies auch anfangs erscheinen mag, mit Leib und Seele dem Seewesen zugetan, und es ist dieses eine so hervorstechende und überall durchschlagende Eigentümlichkeit seines vortrefflichen Charakters, daß wir unsere Leser nicht frühzeitig genug darauf hinweisen können. Woher aber diese auffallende Liebhaberei plötzlich in das echte Kontinentalgeschlecht der Trenttelfuße eingedrungen war, darüber steht aus den Notizen, die ihr Hans und Familienarchiv an die Hand gibt, leider nichts zu entlehnen, es sei denn, daß man sich mit dem unverbürgten Stadtgerüchte begnügen wolle, es habe sich die selige Mutter unseres Eusebius vor dessen Geburt bei einer Reise nach Münden an einem Weserschiffe oder dessen Kapitän versehen. Ohne Beispiel wäre dergleichen nicht, was auch aufgeklärte Ärzte und die in diesem Punkte eifrigst widersprechende Frau Schleichlein dawider auführen mögen; man erinnere sich nur an die Mutter des berüchtigten René Cardillac, die sich an einem Gehangenen versah und einen leidenschaftlichen Liebhaber fremder Juwelen dafür in die Welt setzte!

Wie dem nun auch sein möge, gewiß ist es, daß eine seltsame Passion für das Meer und das Leben des Meeres in dem auch sonst sehr dichterischen Gemüte des Herrn Trenttelfuß Wurzel gefaßt hatte. Hiervon zeugte zunächst seine Belesenheit im Fache der Marineliteratur, die nicht bloß alle Reisenden von Ferdinand Magelhaen bis auf Kapitän Roß, sondern auch alle Seeromane, die des trockensten Festlandes nicht ausgenommen, begierig verschlungen hatte; eine Belesenheit, die den Leihbibliothekar Schmiermeyer in nicht geringe Verzweiflung brachte, so oft Herr Trenttelfuß in seinen Laden trat, alle Fächer durchstöberte, alle Leitern umwarf, alle Kataloge zerriß, um unter den fettglänzenden Banditen noch einen honetten Seeräuber herauszupressen. Allein mit dem Lesen nicht zufrieden, suchte Herr Trenttelfuß sogar in seinem Hauswesen, das sonst von dem Normalzustande der Gersfelder Ehrenbürger nicht im Geringsten abwich, so weit es geschehen konnte, jene Liebhaberei zu befriedigen.

Schon vor dem Eintritt in das Trenttelfußische Haus zeigte sich dem in der Pomeranzenstraße etwan Lustwandelnden über dessen Türe ein Seeschiff, das mit vollen Segeln dahinsteuerte, das Kunstprodukt eines einheimischen Maschinenbauers, vulgo Ortszimmermeisters, dessen Vater mit den Hessen die amerikanische Kampagne gefeiert hatte. Nach diesem Wahrzeichen ward das Haus auf des Besitzers ausdrücklichen Betrieb »Zum Schnellsegler« getauft, ingleichen alle in Stein gedruckten Rechnungen der Firma »Eusebius Trenttelfuß« und alle Geschäftsbriefe mit demselben Sinnbilde versehen. Trat man alsdann in den Laden ein, so waren auch hier viele Zierraten von Schiffsschnäbeln, Masten, Ankern, Tau und Takelwerk und dergleichen mehr angebracht, ja, unter der Decke sogar ein ausgestopfter Stör und über dem Ladentische eine junge Walfischrippe, welche beiden Reliquien Herr Trenttelfuß auf einem Viehmarkte von einer durchreisenden Gauklergesellschaft für einige Naturalien an sich gebracht hatte. Ganz unverkennbar aber ward der überseeische Charakter, wenn man die Disziplin und den Gang der Geschäfte im Laden gewahrte, wenn man es z. B. hörte, wie Herr Eusebius aus dem Mastkorbe – so liebte er es zu benennen, wenn er oben auf der Leiter stand – den Ladenjungen oder »Midshipman« bis in den untersten Schiffsraum, den Keller, wo die Öl- und Sauerkrautfässer lagerten, sein Kommandowort erschallen ließ. Ja, es hatte selbst die dem unchristlichen Wesen anfangs gänzlich abholde Frau Margaretha Schleichlein sich allmählich so in die Terminologie ihres Herren gefunden, daß sie mittags präzis um zwölf Uhr nicht nur echt seemännisch eine Glocke zog, zum Zeichen, daß das Essen bereit sei, sondern auch, wenn irgend eine wohlgelungene Schüssel sie vorzugsweise heiteren Sinnes machte, den Kopf aus dem kleinen Schiebfensterlein in der Küche herausstreckte und in den Laden hinunterrief: »Alle Hände auf's Deck!«

Das Innere der Trenttelfußischen Gemächer dekorierten fernerhin die kolorierten Kupferstiche der merkwürdigsten Seeschlachten, sowie die Bildnisse ihrer Helden von Themistokles bis auf Codrington und de Rigny, und seine Handbibliothek enthielt außer dem sauber eingebundenen Allgemeinen Anzeiger der Deutschen vom Jahre 1803 und Friedrich's Siona oder »die Jungfrau, wie sie sein soll« nur solche Schriften, die auf das Seewesen Bezug haben. Und zum Beweise, daß sich die Vorliebe für dieses selbst in die entlegensten Winkel seines Hauses und seines Herzens eingeschlichen hatte, diente eine künstliche Hängematte, angebracht auf dem obersten Boden zwischen den Trockenseilen der Frau Schleichlein; dort pflegte sich Eusebius in freien Stunden zu schaukeln, eine selbsterzeugte Zigarre im Munde, und gern bezahlte er den ungewohnten Genuß dieses narkotischen Krautes und die wellenförmige Bewegung in der alten Steppdecke mit einem heroischen Übelsein, das ihn tröstlich an die Seekrankheit erinnerte.

Oben ist schon bemerkt worden, wie Frau Margarethe Schleichlein sich freilich insoweit in die Ideen ihres Gebieters gefunden hatte, als sie seine Sprache verstand und zu guten Stunden selbst darin redete; so wußte sie, daß sie, wenn er den Hauptmast verlangte, ihm den weißen Filzhut reichen sollte, daß er unter dem Schönfahrsegel den Nanking-Sommerrock, unter dem Kompaß seine Schnupftabaksdose aus Kartoffelmasse meinte usw. Desungeachtet konnte sie, als getreue Dienerin des Trenttelfußischen Hauses und als zeitiger Vorstand der in ihr vereinigten Departements des Innern und der Finanzen, nicht immer zu Eusebius Neigung ein geduldiges Amen sagen, weil sie diese mit echt ministeriellem Scharfblicke als kostspielig und als gefährlich erkannte. Daher datiert sich auch der Vorwurf der Verschwendung und der Waghalsigkeit, den sie dem sonst makellos und unantastbar dastehenden Charakter unseres Helden, anscheinend mit vielem Grunde, oftmals machte. Allerdings kann es selbst von mir, dem begeisterten Verehrer und unwürdigen Biographen des Kaufherrn, wie auch Marktmeisters und außerordentlichen Ortspolizeikommissions-Mitgliedes, nicht in Abrede gestellt werden, daß er freiwillig und mit wahrer Wollust in die Lektüre der mörderischsten Seegefechte sich vertiefte, bei denen, wie er sich ausdrückte, die Gefallenen eines doppelten, aber deswegen auch um so glorreicheren Todes verstorben wären. Angleichen mochte es wohl einen schauerlich erhabenen Eindruck machen, wenn er Frau Schleichlein an finsteren Wintertagen mit gedämpfter Stimme seine Lieblingsszene aus der Schlacht bei Trafalgar vorlas, wie dazumalen Nelson mit seinen 27 Linienschiffen in zwei Kolonnen die spanisch-französische Flotte auseinander sprengte, endlich aber selbst an einem Schuß aus dem Mastkorbe der Santa Trinidad sein emeritiertes Heldenleben endigen mußte. Und wenn er dann geschlossen hatte und mit Heldenbegeisterung ausrief: »Sieh, liebe Schleichlein, so laß mich dereinst verscheiden, im Angesicht des überwundenen Feindes und neunzehn seiner untergegangenen Schiffe, mit drei Admiralen zu Gefangenen und einer Familiengruft in der Pauls-Kirche zu London«, so wird es kein Billigdenkender der guten Haushälterin verargen, wenn sie, gewöhnlich mit gefalteten Händen und erschrockenem Gemüte solchen Ausbrüchen echten Heldensinnes zuhörend, ihren lieben Herrn der Wagehalsigkeit und Todesverachtung beschuldigte.

Was aber den zweiten Anklagepunkt, den der Verschwendung, anging, so muß auch hier in einem Stücke der strengen Beschließerin Recht gegeben werden, wiefern nämlich Herr Eusebius, der ein leidenschaftlicher Ichthyophage war, viel Geld in diesem Titel seines häuslichen Budgets allwöchentlich verausgabte. Er hatte sich in Hinsicht dieser Wasserbewohner ein eigenes System geschaffen, wonach er alle Fische in Weißfische und Nicht-Weißfische einteilte, welche letztere Klasse er lediglich als Produkte der Kreuzung von Seefischen mit Weißfischen ansah. Weißfische und Nicht-Weißfische spielten nun freilich bei den sonntäglichen Mahlen im Trenttelfußischen Hause eine nicht unbedeutende Rolle, obschon nur dessen Herr und Frau Margaretha sich besonders mit ihnen abgaben, den Lehrlingen aber höchstens ein Kopf- oder Schwanzstücklein verabfolgt wurde. Allein, wenn man bedachte, daß Herr Trenttelfuß seine genossenen Fische in purem Gersfelder Wasser schwimmen ließ, während seine Nachbarn ihre Kälber und Ochsen unter Spiritus setzten, wenn man fernerhin wußte, daß er – gleichsam ein umgekehrter Katholik – nur an Fest- und Fasttagen Fleisch aß und in desto innigerem Verkehr mit den Franz Drake'schen Illaten stand, so mußte man zuletzt wohl bekennen, daß auch hierin das Maß einer geregelten Depense niemals von Herrn Eusebius überschritten ward, ebenso wenig als ihn sein Wohlgefallen an Haupt- und Staatsaktionen zu Wasser jemals verhinderte, jeden Abend ruhig zu Bette zu steigen, um am anderen Morgen ebenso ruhig wieder zu erwachen.

Jetzt erst – und wir müssen unsere geduldigen Leser um Verzeihung bitten, daß es nicht schon lange geschehen – jetzt, nach diesen Vorstudien in den Charakter unseres Helden, vermögen wir uns vollständig seine oben erwähnte Liebhaberei, das Geschlecht der Trenttelfuße in das Holländische rückwärts zu generieren, zu erklären. Er wollte nämlich, weil er für die Einimpfung eines neuen Reises auf den ehrwürdigen Stammbaum bislang noch nichts getan hatte, diesem wenigstens einige Pfahlwurzeln beipfropfen. Und in der Tat, wenn wir erfahren, daß in der ausführlichen Beschreibung der Taten und Erlebnisse des großen Seehelden Tromp ausdrücklich der Bravour eines Schiffsleutnants Treuttelfueß gedacht wird, der sich im Jahre 1639 in dem Treffen bei Grevelingen gegen die Spanischen ausgezeichnet hatte, werden wir gewiß der Meinung des Herrn Eusebius beitreten müssen, der dieses »Treuttelfueß« als einen bloßen Druckfehler für Trenttelfuß erklärte. Es steht gegen diese Konjektur nichts Erhebliches zu erinnern; vielmehr ist diese, was Wortform und Wortsinn angeht, um vieles wahrscheinlicher als so viele andere etymologische und philologische und findet in dem durch ein seltsames, aber keineswegs unerhörtes Naturspiel bewirkten Auftauchen jener- See und Schiffsliebhaberei des Herrn Eusebius eine mächtige Stütze.

Viele Jahre waren in ruhigem und auf obgedachte Weise fortgesetztem Leben über dem »Schnellsegler« in der Pomeranzenstraße hingestrichen. Herr Eusebius Trenttelfuß, zu verdienten Ehren und Würden in seiner Vaterstadt befördert, schwärmte für die Marine und verkaufte dabei Öl, Schwefelhölzer, Essig, Gurken, Habermannsche Glanzwichse und dergleichen mehr, wie es seine in Gott ruhenden Altvorderen auch getan hatten. Nur die Mißgunst konnte es der soliden Firma nachsagen, daß das Haus, zum Teil wegen der kostspieligen und zeitraubenden Liebhaberei seines Chefs, in Verfall geriete. Haben wir doch in neuester Zeit Schöngeister und Poeten unter den Dattel- und Mandelkisten genug, steht doch sogar deren Muse in dem innigsten und fruchtbarsten Verkehr mit dem andern Gotte, dem sie dienen, mit Merkurius. Warum sollte Eusebius unschuldige Passion just nachteilig auf sein Geschäft einwirken? Allein es verargten es die ersten Mütter und die pères nobles in Gersfeld dem Manne gar sehr, daß er, statt sich ein rechtschaffenes Weib – jedes dachte natürlich zunächst an das eigene Fleisch und Bein – zuzulegen, das Regiment seines Haushaltes nach wie vor den kundigen und erprobten Händen Frau Margarethens überließ. Desto zufriedener war die letztere bei ihres Herren Ruhe und Beständigkeit, und nur wer eine treue Schaffnerin ganz und in ihren zartesten Empfindungen durchschaut, kann den Schmerz des würdigen Frauenzimmers in vollem Umfange beurteilen, den eine plötzliche Veränderung in dem Gemüte und dem Betragen ihres Gebieters bei ihr hervorbrachte. Herr Eusebius hatte seit dem Märzmonate zerstreute Stunden, worin er selbst aus Nelsons Biographie träumerisch emporstarrte, mit den Fingern ein vergnügtes Schnippchen schlug, ja zuweilen einzelne, unverständliche Worte in den zweimal wöchentlich rasierten Bart murmelte. Die Kunden beschwerten sich sogar, daß diese Zerstreuung in seinen Handel noch störender als sonst eingreife; er wog unrichtig und, statt den verlangten Hering sorgfältig, wie sonst, in blaues Zuckerpapier zu betten und dem Kauflustigen in die Hand zu drücken, wickelte er ihn mit Gewalt am Schwanze auf wie Garn und preßte ihn in eine Spanioldüte.

Frau Margaretha schüttelte den Kopf und schwieg. Nicht lange darauf bestellte sich Herr Eusebius einen funkelnagelneuen schwarzen Anzug von inländischem Tuche, ohne ihr ein Wort davon zu sagen, zählte selbst seine Wäsche durch, musterte die Garderobe und schwärzte den an einzelnen Stellen schadhaft gewordenen Seidenhut mit Habermannscher Glanzwichse.

Frau Margaretha schüttelte den Kopf und schwieg; allein schweigend schluckte sie ihre bitteren Tränen hinunter, und als eines Morgens gar die Maurer ankamen und den »Schnellsegler« neu aufzutakeln anfingen, als sie selbst geheißen wurde, die beste Stube im Hause zu scheuern, alles Zinn in der Küche aufzuputzen und neue Hemden für den verschwiegenen Tyrannen zuzuschneiden, da brach ihr die treue Seele entzwei und sie erschien weder am Mittagstische, noch brachte sie dem im ganzen Hause ordnend und befehlend umherstolzierenden Herrn den Kaffee, wie sie sonst gepflegt.

In der Stadt Gersfeld fand man bald den Schlüssel zu der neuen Tonart, worein das Trenttelfußische Leben überging. »Er wandert auf Freiersfüßen«, sagten die Männlein und Weiblein von ihm, und jene, waren sie jung und heiratslustig, sahen ihn ingrimmig, waren sie Vater, sahen ihn hoffnungsvoll an, während diese mit allgemeinem Interesse das neu aufsteigende Gestirn begrüßten. Ein Mann, der unter den Töchtern des Landes zur Brautschau umherzieht, ist für eine große Stadt wie für eine kleine ein Meteor. Allein der Stern blieb über keinem der Häuser in der Pomeranzenstraße, ja nicht einmal am Markte stehen, wo der Bürgermeister wohnte und der mit sieben Töchtern gesegnete Kommandant der Nationalgarde. Binnen kurzem war es kein Geheimnis mehr, daß Herr Eusebius reisen wolle, und somit hörte auch seine Bedeutsamkeit für das Tanzkasino in Gersfeld auf. Man sagte sich's nun, um für die vorzeitige Freundlichkeit Rache zu üben, ziemlich laut in's Ohr, der »Schnellsegler« sei nahe dran, auf den Strand zu laufen und wolle sich mit einer guten Partie draußen wieder flott machen. »Hier hätte ihn ja doch kein honettes Mädchen genommen«, sagte tröstlich der Bürgermeister, und die Gattin des Kommandanten erwiderte mit einem stolzen Blick auf ihre Plejade: »Ja, wohl nicht einmal ein unhonettes!«

Eusebius ahnte von dem allen nichts. Der Frühling war in's Land gekommen, und man wußte es in Gersfeld so gut, wie Heinrich Heine es in Hamburg gewußt hat, daß im wunderholden Monat Mai nicht nur die Knospen springen, sondern auch das Sehnen und Verlangen im menschlichen Herzen. Vier Tage vor dem heiligen Pfingstfeste war es, daß Herr Eusebius dessen Geständnis tat in traulicher Abendstunde, da er mit Frau Schleichlein zusammen im Ladenstübchen saß.

Es trat nämlich der Lehrbursche des ersten und einzigen Gersfelder Sattlers ein und brachte mit einem Gruße vom Meister den Reisekoffer des Herrn Marktmeisters wieder. »Er ist mit frischem Seehund überzogen und inwendig auf den Deckel ein blauer Stern geklebt«, sagte er, setzte ab und ging, ohne von Frau Schleichlein mit etwas Weiterem als einem Stückchen Kandiszucker gegen den Husten vergnügt zu werden.

Der Seehund stand im Zimmer, Herr Eusebius wortlos daneben, Martha schluchzte im Schmollwinkelchen. Endlich ermannte sich jener und sprach, sehr hart, damit er seine Verlegenheit überwinde: »Gute Schleichlein, morgen reise ich! Auf Pfingsten muß ich in der Hauptstadt sein. Sorge du nun dafür, daß ich gute, wollene Strümpfe habe, namentlich ungestopfte, weil sich's auf dem Stadtpflaster schlecht geht; auch die neuen Hemden suche hervor und heiße den Lehrjungen meine kalbledernen Stiefel reinigen!«

Er ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab, während Martha mit desto kleineren hinausweinte. Nach kurzem kam sie wieder, im Arme die Hemden und Strümpfe, legte sie auf den Tisch und setzte still den Leuchter dazu. »Ich werde«, hub ihr Gebieter nach einem langen Räuspern von neuem an, »wohl erst in vierzehn Tagen wiederkommen, und – nicht allein.« Dabei packte er die Hemden ein, damit er Frau Schleichlein nicht in das blasse Gesicht voll Erwartung und Vorwurf zu schauen brauchte.

»Wen werden Sie mitbringen, Herr Trenttelfuß?«

Nach einer langen Pause rief er sehr barsch aus: »Meine Frau!«

Da brach der Damm bei Frau Margarethen, und ein Strom von Warnungen, Bitten, Glückwünschen, Vorhalten, alles in Tränen fortgeschwemmt, überflutete den mit den wollenen Strümpfen stark Beschäftigten. »Meinten Sie etwa«, so schloß die mit Recht Gekränkte, »so ein gewöhnliches Stück von Haushälterinnen vor sich zu haben, die zu einer jungen Frau scheel sähe? Mein Haus ist bestellt, morgen kann sie einziehen. Alles in Ordnung, Kisten und Kasten, Keller und Boden, sogar die zwei Betten in der grünen Kammer habe ich herrichten lassen. Denn Sie müssen unsereinen nicht für blind halten, wenn Sie gleich stumm sind wie Ihre Weißfische. Ja!«

Eusebio war ein Stein vom Herzen gefallen mit dem Geheimnis. »Gute Schleichlein«, sprach er begütigend, »glaube doch nicht etwan –«. Allein die Flut strömte nach und unterbrach sein Bächlein, als es im besten Fließen war. »Und sagen Sie nur, wann ich mein Bündel schnüren soll,« fuhr sie fort, »wann ich aus dem Hause gehen muß, wo ich dreiundvierzig Jahre in Ehren und Züchten gewirtschaftet habe unter Ihrem Herrn Vater, Gott habe ihn selig. Denn Sie werden auf Johannis einundvierzig, und ich war zwei Jahre eher hier, als man an Sie dachte. Ja!«

Der einundvierzigjährige Bräutigam ergrimmte. »Frauenzimmer!« schnob er, »nun gib Ruhe! Wer spricht denn von Deinem Scheiden? So lange der Schnellsegler noch eine ganze Raa am Rumpfe hat, wird er dich alten Ballast auch nicht über Bord werfen, Potz Nelson und Codrington!«

Da klärten sich Margarethens Züge holdselig auf, und indem sie sich hastig zu dem Scheltenden niederbeugte, um die Strümpfe recht in die Ecken des Koffers zu pressen, fragte sie nun, über ihr eigenes Schicksal beruhigt, den Herrn weiter ab und malte ihm mit alter Weiber Fertigkeit das Stilleben im Schnellsegler behende aus, wie sie nun für ihn sorgen wolle und für die junge Madame obendrein und, so Gott seinen Segen gebe, auch für die liebe kleine Nachkommenschaft.

Sie weinte wiederum. Eusebius aber warf den Deckel jubelnd zu und tanzte im Zimmer umher. »Schleichlein!« sprach er unter vielem Lächeln und Lachen, »ich hole mir eine aus Kesselstadt, keine Landpomeranze, ein Mädel aus der Stadt, eine Hofdame!«

Margarethe faltete demütig die Hände. Der Entzückte aber erzählte: »Du weißt doch von meines Vaters Bruders Schwägerin Hause in Kesselstadt? Madame Pappel, die die große Pension hält. Der ihr einzig Mädel ist's, ein junges Blut, hübsch, fein – hui! und Fische, Goldfische! Potz Nelson und Codrington!« Er sprang auf einem Bein in dem Ladenstübchen umher, der sonst so gesetzte Mann, und die Haushälterin mußte ihn erst am Ärmel zupfen, weil sie sah, wie der Lehrjunge, die Freierssohlen im Laden abkratzend, durch das kleine Gucklöchelchen glotzte und über den tanzenden Marktmeister Gesichter schnitt.

Als sich sein Jubel ein wenig verschossen hatte, brachte er einen zusammengefalteten Brief hervor und hielt ihn Frau Schleichlein unter die Nase. »Da rieche«, sprach er, »das ist Bildung. Echter Moschus, feiner Moschusgeruch. Und das rötliche Papier mit Goldschnitt und die feine Oblate mit einem gedruckten P.. Schleichlein, es geht nichts über die Residenz!«

Hierauf öffnete er den Brief und las, mit einzelnen Unterbrechungen:

– » Cher cousin!« – das heißt »mein lieber Vetter!« – Das »mein« läßt der Franzose aus, weil sich's von selber versteht, daß alles sein ist. – Cher cousin! Auf Ihr geehrtes Letztes vom 15. April kann ich Ihnen nunmehr mit Bestimmtheit erwidern, daß ich über die bewußte Angelegenheit sowohl selbst nachgedacht, als bei meiner Adele Nachforschungen angestellt habe. Das Herz des reinen Mädchens ist noch frei. Wie könnte es auch anders sein, da ich, die Vorsteherin einer wohlberufenen Fräuleinspension, über meine eigene Tochter doch wohl doppelt wachen wollte!« – Hier ist ein Absatz im Briefe; Frau Pappel mag wohl geweint haben, es ist ein ganz feiner Klex sichtbar. – »Meine Seele hängt nicht an den Flittern meines Standes, nicht an dem Glanz und Lärm der großen Stadt. Wenn mein Kind Ihnen in Ihre Beschränkung folgen will, sage ich von ganzem Herzen Amen. Auch steht der Vollziehung Ihrer Verbindung nichts im Wege, da ich an der Folgsamkeit meiner Adele nicht zweifeln kann. Wie könnte es auch anders sein, da ich, die Vorsteherin eines Ihnen genugsam bekannten Fräuleinsstiftes, sie selbst zum Gehorsam erzogen habe. Kommen Sie also Pfingsten, wo wir doch viele Gäste haben werden, zu uns herüber, um alles persönlich in Ordnung zu bringen. Versehen Sie sich zugleich mit den nötigen Papieren, wie Sie hier alles, sogar die vollständige Aussteuer, die ich für mein einziges Kind seit Jahren schon geordnet, bereit finden sollen. Teurer, bald mit einem noch teureren Namen zu begrüßender, mein Teuerstes mir raubender Cousin, ich erwarte Sie sehnlichst, Adele ahnt und bebt. Toute à vous Friedericke Pappel, geb. Ruthenbusch, Vorsteherin des Kesselstädter Fräuleinstiftes.«

Eusebius schloß mit Salbung. »Und sieh«, sagte er, auf ein Postskript deutend und nicht ohne merkliche Rührung hinzu, »wie das tüchtige Weib an alles denkt! Sie bittet mich, in angemessenem Äußeren zu erscheinen, der vielen Fremden wegen. Die Sorgsame! Du hast doch nach den Strümpfen gesehen?«

Frau Schleichlein bejahte. Da sie aber nun den wichtigen Zweck der Reise kannte, nahm sie jedes Stück noch einmal aus dem Seehund heraus, legte die Kleider, die Stiefeln, die Papiere, die Schachteln, alles behutsam und in tiefen Gedanken wieder hinein und gab ihrem Herrn zu jedem Teile einen guten Rat mit. Auch Zucker und Kaffee packte sie in großen Quantitäten mit ein, weil sie meinte, die Leute in der Stadt könnten alles brauchen und schämten sich auch nichts anzunehmen. Geschäftig hin und her eilend fragte sie hierauf den Herrn, wann denn morgen die Post abgehe? Eusebius aber lächelte zur Antwort verschmitzt und geheimnisvoll.

»Ich reise nicht zur Post«, sagte er vergnügt und selbstzufrieden.

»Doch nicht gar etwa zu Fuß? Das wäre Sparsamkeit am falschen Orte; die Post ist ebenso billig.«

»Schleichlein«, unterbrach sie Eusebius mit Majestät, »ich fahre zu Wasser hinunter, wie der Doge von Venedig zu seiner Braut, dem Meere, fährt.«

Erschrocken ließ Frau Schleichlein eine eingepackte Knackwurst auf die Erde fallen und rief aus, die Hände über dem Kopfe zusammenschlagend: »Zu Wasser? Zu Schiffe?!« Herr Trenttelfuß aber ward ihres Wunderns ärgerlich und sprach mit Festigkeit: »Ja, so ist's, und keine Widerrede weiter! Noch vier Tage habe ich Zeit bis zum Pfingstfeste. Morgen geht Schiffer Martin mit seinem trefflichen Bocke ab und bringt eine Ladung Weizen nach Kesselstadt. Mit dem bin ich einig worden, ich zahle ihm vierundzwanzig Albus bis Kesselstadt, natürlich meine Beköstigung nicht mitbegriffen.«

»Und er liefert Sie Johannis hin«, jammerte Frau Schleichlein, ihren Herrn keck unterbrechend. »Haben Sie denn den niedrigen Wasserstand vergessen, und wie lange die Böcke meistens unterwegs sind, und wie unbequem Sie reisen?«

»Fuhr mein großer Ahnherr am Tage bei Grevelingen sanfter?« fragte voll echter Seelengröße Eusebius Trenttelfuß, mit einem Blicke der Erhabenheit die Krittelnde durchblitzend. »Oder hältst du eine Fahrt auf dem Eilwagen für vier Taler und einundzwanzig Groschen für zweckmäßiger, des Staubes unterwegs und der groben Kondukteure und der höchst wahrscheinlichen Beichaisen und Juden nicht zu gedenken?« Eusebius haßte nämlich die Juden, weil er sagte: »es ist ein Krämervolk«, und dabei spie er jedesmal verächtlich aus.

Margaretha wimmerte still und murrte einen Panegyrikus des Thurn und Taxis'schen Institutes halb in den Seehund hinein, während sie den Deckel schloß und mit den Füßen ihn feststampfte. »Sie säßen so sicher wie in Abrahams Schoß und wären morgen Abend auf jeden Fall in Kesselstadt; das Wasser aber ist ein falsch' Element, das keine Balken hat«, sagte sie in sich. Eusebius aber schwelgte bereits in den Vorgenüssen seiner ersten See- und Brautfahrt. »Morgen Glocke sechs die Anker gelichtet, mittags in Rautenburg, nachts in Alten, übermorgen bei guter Zeit im Hafen!« So jubelte er und stimmte das Lied an: »Auf Matrosen!«

Frau Margaretha sah ein, daß er nicht zu retten sei. Es jammerte sie nur, was die Leute in Gersfeld wiederum zu diesem neuen Einfalle sagen würden. »Jeder Christenmensch«, so räsonierte sie, »reist mit der ordinären Post, Roßkämme zu Pferde, Studenten zu Fuß. Mein Unglücksmann muß zu Wasser reisen, auf der Dulfe, die so seicht ist in dieser Jahresfrist, daß schamhafte Menschen nicht einmal drin baden mögen. Mit den Böcken fährt nur armseliges Gesindel, um das Postgeld zu sparen; Korn wird drin transportiert und Holzscheite und grobes Tuch. Darunter will der Wassermann zu seiner Feinsliebsten gefahren kommen. Daß ihm doch das Wasser allenthalben im Blute steckt!«

Allein es half ihr nichts, also zu denken. Wagte sie es doch kaum, ihre Ausstellungen laut werden zu lassen, weil sie die Freude des Herrn an dem Lieblingsgedanken nicht stören mochte, auch seinen Zorn fürchtete. Besorglich suchte sie einen warmen Reiseanzug für ihn zusammen, weil es auf dem falschen Wasser immerhin zöge, selbst mitten im Sommer, sagte sie grollend, und füllte eine Korbflasche mit echtem Jamaika. Auch die rotlederne Brieftasche des Herrn suchte sie herbei und nähte vorsorglich an den Überrock lauter neue Knöpfe, damit nicht unterwegs einer, zur großen Ungelegenheit des Reisenden, abspringe. Unter solchen Geschäften war der Abend schnell vergangen, und erst spät suchten beide ihr einsames Lager auf, beide, um keinen Schlaf zu finden. So dem Herren wie der Haushälterin ging die Reise zu Wasser und die Kesselstädter Braut dergestalt in dem erhitzten Kopfe umher, daß sie – vielleicht zum ersten Male im Leben, die Neujahrsnächte herkömmlicher Weise ausgenommen – den Gersfelder Nachtwächter an der Ecke der Pomeranzenstraße Mitternacht abrufen hörten.


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