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18. Kapitel

Miss Knag faßt, nachdem sie drei ganze Tage in Kate Nickleby förmlich vernarrt gewesen, den Entschluß, sie für immer zu hassen.

»Wirklich, Madame Mantalini«, lobte Miss Knag, als Kate am ersten Abend ihres Noviziats nach Hause gegangen war, »ich muß sagen, diese Miss Nickleby ist eine vorzügliche junge Person. In der Tat, eine ganz vorzügliche junge Person, hem, auf mein Wort, Madame Mantalini. Es macht Ihrem Scharfblick wieder einmal die größte Ehre, daß Sie ein so ausgezeichnetes, anständiges, hem, und bescheidenes junges Mädchen zur Mithilfe beim Anprobieren ausgewählt haben. Mir ist schon so manches junge Frauenzimmer untergekommen, das, wenn es Gelegenheit hatte, sich vor vornehmeren Leuten zu zeigen, sich auf eine Weise benahm – hem. Aber Sie treffen es doch immer, Madame Mantalini, ja, jedesmal, und ich sage den jungen Mädchen stets, ich kann es nicht begreifen, wie Sie es eigentlich anfangen, bei allem eine so glückliche Hand zu haben, wo doch andere Leute so oft daneben greifen.«

»Ich habe aber nicht bemerkt, daß Miss Nickleby heute etwas Besonderes geleistet hätte, außer höchstens, daß sie zwei meiner besten Kunden in üble Laune versetzt hat«, entgegnete Madame Mantalini.

»Du mein Gott«, seufzte Miss Knag, »Sie wissen ja, man muß der Unerfahrenheit viel nachsehen.«

»Und der Jugend.«

»Oh, das wollte ich nicht sagen, Madame Mantalini«, versetzte Miss Knag errötend. »Wenn Jugend ein Entschuldigungsgrund wäre, so würden Sie keine –«

»So gute Aufseherin haben, wie es der Fall ist, denken Sie«, ergänzte Madame Mantalini.

»Madame Mantalini«, erwiderte Miss Knag geschmeichelt, »wahrhaftig, Sie lesen einem die Gedanken ab, ehe man sie noch über die Lippen gebracht hat. – Köstlich – ha, ha, ha.«

»Was mich betrifft«, bemerkte Madame Mantalini, nur mit größter Mühe das Lachen verbeißend, »so habe ich noch nie ein ungeschickteres Mädchen gesehen als Miss Nickleby.«

»Das arme Ding«, entschuldigte Miss Knag gutmütig, »sie kann nichts dafür. So etwas ist angeboren, wie der Mann von dem blinden Pferde sagte. Wir müssen eben Nachsicht haben.«

»Und ihr Onkel sagte mir, sie sei hübsch. – Ich finde, sie ist eines der unbedeutendsten Mädchen, das mir je vorgekommen ist.«

»Unbedeutend!« rief Miss Knag mit vor Wonne strahlendem Gesicht. »Und ungeschickt! – Aber trotzdem, sehen Sie, Madame, bin ich ganz vernarrt in das arme Ding. Und sähe sie noch zweimal so unbedeutend aus, und wäre sie noch viel ungeschickter, als sie ist, so könnte ich mir doch nicht helfen. Hem. Ja, ja, gewiß und wahrhaftig.«

Miss Knag hatte bereits eine aufkeimende Zuneigung zu Kate Nickleby gefaßt, als sie Zeuge ihres mißlungenen Auftretens am Morgen gewesen, und die eben erwähnte kurze Unterhaltung mit ihrer Brotherrin erhöhte ihre gute Meinung von dem Mädchen außerordentlich, was um so merkwürdiger war, als ihr bei der ersten Musterung von Kates Gesicht und Figur manche böse Ahnungen aufgestiegen waren, als ob sie nicht am besten miteinander auskommen würden.

»Aber jetzt«, sagte sich Miss Knag und betrachtete sich im Spiegel, »jetzt liebe ich sie wie eine Freundin.«

Und dieses Gefühl war so überquellend und uneigennützig, daß die gutherzige Miss Knag schon am nächsten Tage Kate Nickleby unverhohlen erklärte, sie würde nie für das Geschäft passen, brauche sich aber darüber nicht im mindesten zu grämen, denn sie (Miss Knag) wolle durch vermehrte Anstrengungen so viel wie möglich die Aufmerksamkeit von ihr ablenken, so daß sie weiter nichts zu tun habe, als sich ruhig zu verhalten, wenn Kundinnen da wären, damit ihre Ungeschicklichkeit weniger ins Auge falle. Dieser Vorschlag, im Hintergrund zu bleiben, stand viel zu sehr im Einklang mit den Gefühlen und Wünschen des schüchternen jungen Mädchens, als daß es nicht ohne Bedenken versprochen hätte, dem Rat der selbstlosen alten Jungfer aufs strikteste nachzukommen, ohne auch nur einen Augenblick die Gründe, denen er entsprang, zu ahnen.

»Auf mein Wort, ich hege die wärmste Teilnahme für Sie, meine Liebe«, versicherte Miss Knag. »Eine so schwesterliche Teilnahme, daß ich es mir rein nicht zu erklären vermag.«

Es war allerdings etwas unerklärlich, daß bei dem großen Altersunterschied noch schwesterliche Sympathien rege wurden, aber Miss Knag kleidete sich nicht nur sehr jugendlich, sondern fühlte offenbar auch so.

»Mein Gott«, lachte sie und gab am Feierabend des zweiten Tages Kate einen Kuß, »wie entsetzlich ungeschickt sind Sie wieder heute den ganzen Tag über gewesen.«

»Ich fürchte, Ihre offene und wohlwollende Mitteilung hinsichtlich meiner Mängel hat mich womöglich nur noch befangener gemacht«, seufzte Kate.

»Das scheint allerdings so«, versetzte Miss Knag, ungewöhnlich gut gelaunt, »aber es ist viel besser für Sie, daß ich es Ihnen gleich am Anfang gesagt habe. Sie können sich jetzt mit mehr Ruhe vervollkommnen. – Apropos, welchen Weg gehen Sie, meine Liebe?«

»Nach der City.«

»Nach der City?« rief Miss Knag und band sich mit großer Selbstgefälligkeit den Hut vor dem Spiegel. »Himmel, Sie wohnen wirklich in der City?«

»Ist es denn etwas so Ungewöhnliches, dort zu wohnen?« fragte Kate lächelnd.

»Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß ein junges Mädchen unter solchen Umständen auch nur drei Tage dort leben könnte.«

»Zurückgekommene – ich wollte sagen verarmte Leute«, verbesserte sich Kate rasch, um nicht hochmütig zu erscheinen, »müssen eben mit allem vorliebnehmen.«

»Ach, sehr wahr, das müssen sie«, entgegnete Miss Knag mit jener Art von halbem Seufzer, die in Verbindung mit einigen nickenden Bewegungen des Kopfes als das Kleingeld des Mitleids gilt. »Ich sagte das auch immer meinem Bruder, wenn unsere Dienstmädchen eines nach dem anderen krank entlassen werden mußten und er die Schuld auf die feuchte Kammer schob. Die Klasse Menschen, sagte ich ihm, sind froh, wenn sie überhaupt irgendwo schlafen können. Gott gibt die Bürde nach den Schultern; und ist's nicht recht gut, daß es so ist?«

»Freilich«, murmelte Kate und wandte ihr Gesicht ab.

»Ich will Sie eine Strecke weit begleiten, meine Liebe«, erbot sich Miss Knag. »Sie kommen ziemlich nahe an unserm Hause vorbei, und da es schon recht dunkel ist und unser letztes Mädchen vor einer Woche wegen Rotlaufs im Gesicht ins Spital mußte, kommt es mir recht gelegen, eine Begleitung zu haben.«

Kate hätte sich natürlich dieser Ehre gerne entschlagen, aber Miss Knag nahm, nachdem sie endlich ihren Hut zu ihrer völligen Zufriedenheit aufgesetzt, ihren Arm mit solcher Gönnermiene, daß sich nicht gut ein Wort dagegen sagen ließ.

»Ich fürchte«, stotterte Kate, »daß Mama – ich meine meine Mutter – auf mich wartet.«

»Sie brauchen sich ihretwegen nicht im geringsten zu entschuldigen, meine Liebe«, sagte Miss Knag mit süßem Lächeln, »ich bin überzeugt, daß sie eine achtbare alte Frau ist, und es wird mich sehr – hem – sehr freuen, sie kennenzulernen.«

Da wirklich Mrs. Nickleby, übrigens am ganzen Leibe fröstelnd, an der Straßenecke stand, blieb Kate keine andere Wahl, als sie Miss Knag vorzustellen, die sich dabei, die letzte in einer Equipage vorgefahrene Kundin nachahmend, mit herablassender Höflichkeit benahm. Alle drei gingen dann Arm in Arm weiter, Miss Knag, ungemein leutselig, in der Mitte.

»Sie können sich keinen Begriff davon machen, Mrs. Nickleby, wie lieb ich Ihre Tochter gewonnen habe«, fing sie nach einer Weile würdevollen Schweigens an.

»Es freut mich ungemein, das zu hören«, versetzte Mrs. Nickleby, »obschon es mir nichts Neues ist, daß selbst wildfremde Leute Kate liebgewinnen.«

»Hem«, räusperte sich Miss Knag.

»Sie werden sie übrigens noch mehr ins Herz schließen, wenn Sie erst sehen werden, wie seelengut sie ist. Es ist mir wirklich ein Trost in meinem Unglück, daß ich ein Kind habe, das weder Hochmut noch Eitelkeit kennt, obgleich es eine Erziehung genossen hat, die wohl ein bißchen von dem einen oder anderen rechtfertigen würde. – Ach, Sie wissen nicht, was es heißt, einen Mann zu verlieren, Miss!«

Da Miss Knag nicht wußte, was es heißt, einen Mann bekommen, konnte sie das natürlich schon gar nicht wissen. Sie verneinte daher mit einiger Hast und schnitt dazu ein Gesicht, als verabscheue sie das eheliche Leben aus Herzensgrund.

»Ich zweifle nicht, daß Kate schon in dieser kurzen Zeit ordentliche Fortschritte gemacht hat«, fuhr Mrs. Nickleby mit einem stolzen Blick auf ihre Tochter fort.

»Oh, natürlich«, sagte Miss Knag.

»Und sie wird sich von Tag zu Tag noch weiter vervollkommnen.«

»Selbstverständlich«, entgegnete Miss Knag und drückte Kates Arm, damit der Witz nicht verlorengehe.

»Sie war schon als kleines Kind auffallend anstellig«, fuhr die ahnungslose Mrs. Nickleby mit leuchtenden Augen fort, »ich erinnere mich, daß, als sie erst zweieinhalb Jahr alt war, ein Herr, der viel in unser Haus kam – Mr. Watkins, du erinnerst dich doch, Kate? Derselbe, für den dein armer Vater Bürgschaft leistete und der dann heimlich nach den Vereinigten Staaten fliehen mußte und uns von dort ein Paar Schneeschuhe schickte und einen so rührenden Brief schrieb, daß dein armer seliger Vater eine ganze Woche darüber weinen mußte. Du weißt doch noch? Er schrieb darin, daß es ihm sehr leid tue, die fünfzig Pfund vorderhand nicht zurückzahlen zu können, da seine Kapitalien auf feste Zinsen angelegt seien. Er arbeite Hals über Kopf, um sein Glück zu machen, hätte aber trotzdem nicht vergessen, daß du sein Patchen wärest, und er würde es sehr übelnehmen, wenn wir dir nicht ein silbergefaßtes Korallenhalsband kauften und es mit auf seine alte Rechnung schrieben. Wie, du erinnerst dich wirklich nicht mehr? Ach, wie vergeßlich du doch bist. Und er lobte noch den alten Portwein so überschwenglich, von dem er jedesmal, sooft er kam, anderthalb Flaschen bei uns zu trinken pflegte. Ach, du mußt dich noch erinnern, Kätchen!«

»Ja, ja, Mama, und was ist's mit ihm?«

»Nun, dieser Mr. Watkins, meine Liebe«, fuhr Mrs. Nickleby nachdenklich fort, »dieser Mr. Watkins – Sie dürfen nicht glauben, Miss Knag, daß er etwa ein Verwandter des Watkins war, dem das Wirtshaus zum ›Alten Wildschwein‹ im Dorfe gehörte –, doch ich weiß jetzt nicht mehr genau, ob es das ›Alte Wildschwein‹ oder ›Georg der Vierte‹ war, jedenfalls war es eins von den beiden; dieser Mr. Watkins also sagte, als du dritthalb Jahre alt warst, du seist ein solches Wunderkind, wie ihm noch nie eins im Leben vorgekommen wäre. – Ja, das sagte er, Miss Knag, obschon er sonst nichts weniger als ein Kinderfreund war und auch nicht den mindesten Grund haben konnte, zu schmeicheln. Ich weiß jetzt ganz bestimmt, daß es Mr. Watkins war, der dies sagte, denn ich erinnere mich noch so gut, als ob es erst gestern gewesen wäre, daß er unmittelbar darauf zwanzig Pfund von meinem armen Manne borgte.«

Nachdem Mrs. Nickleby dieses außerordentliche und höchst uneigennützige Zeugnis für die Vorzüge ihrer Tochter angeführt hatte, hielt sie inne, um Atem zu schöpfen, und Miss Knag benützte die Pause, ihrerseits mit einer kleinen Familienreminiszenz einzufallen.

»Ach, sprechen Sie mir nicht vom Geldausborgen, Mrs. Nickleby«, fiel sie zungengeläufig ein, »oder Sie treiben mich zur Verzweiflung. Ja – hem – vollkommen zur Verzweiflung. Meine Mama, hem, war das liebenswürdigste und schönste Geschöpf der Welt, mit der auffallendsten und vollkommensten, hem, der allervollkommensten Nase, die man, glaube ich, je in einem menschlichen Gesicht gesehen hat, Mrs. Nickleby. Die angenehmste und vollendetste Frau, die je gelebt hat, aber sie hatte den einzigen Fehler, Geld zu verborgen. Hem – Tausende von Pfunden, unser ganzes kleines Vermögen und noch mehr. Ich glaube, wir werden keinen Penny zurückerhalten, und wenn wir – hem – so alt würden – hem – wie Methusalem.«

So gingen die beiden Damen plaudernd und in vollkommenster Eintracht nebeneinander her, und der einzige Unterschied zwischen ihrer Unterhaltung bestand darin, daß Miss Knag sich gewöhnlich an Kate wendete und ungewöhnlich laut sprach, während Mrs. Nickleby monoton daherschwätzte, froh, überhaupt sprechen zu können, ohne sich sonderlich darum zu kümmern, ob ihr jemand zuhörte oder nicht.

Sie erreichten endlich Miss Knags und ihres Bruders Wohnung, der mit buntem Papier handelte und in einem Nebengäßchen der St.-Giles-Street eine kleine Leihbibliothek hielt. Miss Knag war gerade mitten in einer Erzählung ihres zweiundzwanzigsten Heiratsantrags und bestand daher darauf, daß Kate und ihre Mutter mir ihr zu Nacht essen sollten.

»Du brauchst nicht fortzulaufen, Mortimer«, sagte sie, als sie mit ihren Gästen eintrat, »es ist nur eines von unseren jungen Mädchen und ihre Mutter, Miss und Mrs. Nickleby.«

»Ach so«, entgegnete Mr. Mortimer Knag gedankenvoll und tiefsinnig.

Dann schneuzte er bedächtig die zwei Küchenkerzen auf dem Ladentisch, stellte zwei weitere an das Fenster und nahm eine Prise.

Es lag etwas so Eindruckstiefes in der gespenstigen Weise, in der alles dies getan wurde; und da Mr. Knag, ein hoher hagerer Herr mit ernsten Zügen, überdies eine Brille trug und weit weniger Haar hatte, als ein Mann um die vierzig zu haben pflegt, so flüsterte Mrs. Nickleby ihrer Tochter zu, er müsse wahrscheinlich ein großer Gelehrter sein.

»Zehn vorbei«, brummte Mr. Mortimer Knag, seine Uhr zu Rate ziehend, »Thomas, schließe das Magazin!«

Thomas war ein Knabe, beinahe halb so groß wie ein Fensterladen, und das Magazin ein Gelaß, ungefähr dreimal so groß wie eine Mietskutsche.

»Ah«, seufzte Mr. Knag wieder und stellte das Buch, in dem er gelesen, an seinem Platz zurück. – »Nun, ja, ich glaube, das Nachtessen ist fertig, liebe Schwester.«

Dann nahm er, abermals mit einem tiefen Seufzer, die Küchenkerzen vom Ladentisch und führte die Damen im Trauerschritt nach einem Hinterzimmer, wo eine Zugeherin als Ersatz für das kranke Dienstmädchen den Dienst versah und das Nachtessen auf den Tisch stellte.

»Mrs. Blockson!« sagte Miss Knag vorwurfsvoll. »Wie oft habe ich Ihnen schon gesagt, Sie sollen nicht mit der Haube auf dem Kopf ins Zimmer kommen.«

»I kann mir net helfen, Fräul'n«, murrte die Zugeherin. »Man kann so in dem Haus nix recht machen. Wann's Ihna net paßt, segn S' Ihna nach jemand anders um. – Für dös bißl Kleingeld! Aufhänga kunnt mer sich.«

»Ich brauche Ihre Bemerkungen nicht!« verwies Miss Knag mit starkem Nachdruck. »Ist Feuer unter, daß man schnell heißes Wasser haben kann?«

»Na, 's is keins drunten«, brummte die Zugeherin, »damit S' es nur glei wissen.«

»Warum nicht?«

»Weil man kane Kohlen raustan hat. Wann i Kohlen machen könnt, möcht i's machen, aber aso laß i's bleiben.«

»Werden Sie nicht endlich das Maul halten, Weibsbild?« unterbrach Mr. Mortimer Knag diesen Dialog etwas ungestüm.

»Mit Erlaubnis«, fuhr die Zugeherin auf, »i bin eh froh, wann i nix z'reden brauch. Und mit Respekt zu vermelden, wann i a Weibsbild bin, was san denn nacher Sie?«

»Ein elender beklagenswerter Mensch«, rief Mr. Knag und schlug sich vor die Stirne. »Ein elender beklagenswerter Mensch!«

»Freut mich, daß S' Ihna beim rechten Namen nennen«, fuhr Mrs. Blockson fort, »und da i erst vorgestern vor sieben Wochen Zwilling g'habt hab' und mei klaner Bua g'fallen is und sich den Ellenbogen verstaucht hat, so tun S' mir den Gefallen und schicken S' mir meine neun Schillinge Wochenlohn ins Haus, eh's morgen zehne schlagt.«

So sich huldvoll verabschiedend, verließ die gute Frau mit sehr unbefangener Miene das Zimmer und ließ dabei die Türe weit offen stehen, während Mr. Knag in sein Magazin stürzte und laut aufstöhnte.

»Ich bitte, was fehlt dem Herrn?« fragte Mrs. Nickleby, nicht wenig durch diese Töne beunruhigt.

»Ist er krank?« fragte Kate erschrocken.

»Pst«, flüsterte Miss Knag, »es ist eine traurige Geschichte. Er war einmal ein glühender Anbeter von – hem – von Madame Mantalini.«

»O Gott!« rief Mrs. Nickleby.

»Ja. Sie begünstigte auch anfangs seine Werbung, und er hoffte zuversichtlich, sie zu bekommen. Er hat ein so gefühlvolles Herz, Mrs. Nickleby, wie überhaupt – hem – wie überhaupt alle in unserer Familie, und die Vernichtung seiner Hoffnungen war ein schwerer Schlag für ihn. Er ist ein Mann von höchst vortrefflichen – wunderbar vortrefflichen Eigenschaften, liest – hem – liest jeden neuen Roman, der erscheint – hem – ich meine, jeden Roman, der – hem – der modern ist, natürlich. Die Sache ist so: er fand in den Büchern, die er las, immer so viel, was sich auf sein eigenes Unglück anwenden läßt und überhaupt in jeder Hinsicht eine so große Ähnlichkeit zwischen sich und den Helden der Geschichte – begreiflich, wo er sich seiner eigenen Überlegenheit so bewußt sein muß bei der Abstammung! –, daß er die Welt zu verachten anfing und ein Genie wurde. – Ja, ich bin sogar überzeugt, daß er im gegenwärtigen Augenblick selbst ein Buch schreibt!«

»Ein Buch?« wiederholte Kate, als Miss Knag einen Augenblick innehielt, um Atem zu holen.

»Ja!« sagte Miss Knag mit triumphierendem Kopfnicken. »Ein Buch in drei dicken Oktavbänden! Natürlich ist es da ein großer Vorteil für ihn, daß ihm bei allen kleinen Schilderungen aus dem modernen Leben meine – hem – meine eigenen Erfahrungen zustatten kommen, weil natürlich nur wenige Schriftsteller, die über derartige Dinge schreiben, so gute Gelegenheit haben, es kennenzulernen, wie ich. Er hat sich da nun so sehr in das vornehme Treiben vertieft, daß er bei dem geringsten Hinweis an Geschäfte und Dinge des Alltags, wie es soeben der Fall war, ganz außer sich gerät. Ich glaube aber und habe ihm dies schon oft gesagt, daß die Enttäuschung, die er erlitten, ein Ereignis von höchster Wichtigkeit für ihn bedeutet, denn wäre sie nicht eingetreten, so hätte er nicht von geknickten Hoffnungen und dergleichen schreiben können; auch bin ich überzeugt, daß sein Genie nicht zum Ausbruch gekommen wäre, wenn sich nicht alles so abgespielt hätte.«

Was die mitteilsame Miss Knag unter günstigeren Bedingungen noch alles eröffnet haben würde, läßt sich nicht erraten; da sich aber der Melancholiker in Hörweite befand und Feuer angezündet werden mußte, so hatten ihre Enthüllungen vorläufig ein Ende.

Da es ziemlich schwer hielt, Wasser zu machen, konnte man fast auf die Vermutung kommen, das erkrankte Dienstmädchen müsse nicht viel anderes Entzündliches zur Verfügung gehabt haben als ihre Wange. Endlich brachte man aber doch etwas Brandy mit Wasser zustande, und die Gäste nahmen, nachdem sie sich an kaltem Hammelbraten, Brot und Käse erlabt, zeitig Abschied. Kate mußte auf dem ganzen Wege immer an den trübseligen Blick denken, mit dem Mr. Mortimer Knag, in tiefes Grübeln versunken, in seinem Laden gesessen hatte, und Mrs. Nickleby überlegte stumm, ob die Putzmacherfirma zuletzt wohl Mantalini, Knag & Nickleby oder Mantalini, Nickleby & Knag heißen werde.

 

Miss Knags Freundschaft erhielt sich drei Tage lang auf ihrer Höhe, zur großen Bewunderung von Madame Mantalinis Näherinnen, die an ihrer Direktrice vorher noch nie eine solche Beständigkeit gesehen hatten, aber am vierten Tag erhielt sie einen gewaltigen Stoß.

Ein alter Lord von vornehmster Familie, der im Begriffe stand, eine junge Dame, die eigentlich aus gar keiner Familie stammte, zu ehelichen, kam mit dieser und deren Schwester in den Modesalon, um der Zeremonie des Anprobierens zweier Hochzeitshüte, die tags zuvor bestellt worden, beizuwohnen. Madame Mantalini ließ die Kunde von diesem Besuch mittels eines schrillen Diskants durch das mit dem Arbeitszimmer in Verbindung stehende Sprachrohr an Miss Knag gelangen, die sogleich, einen Hut in der Hand, die Stiege hinaufstürzte und das Ankleidezimmer in einem Zustand von Atemlosigkeit betrat, der ihren Enthusiasmus für die Sache in das gehörige Licht stellen sollte. Die Hüte waren kaum aufgesetzt, als sie sowohl wie Madame Mantalini in eine wahre Ekstase von Bewunderung ausbrachen.

»Fabelhaft elegant!« rief Madame Mantalini.

»Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so ausgesucht Geschmackvolles gesehen«, fügte Miss Knag hinzu.

Der alte Lord sagte nichts weiter, sondern kicherte nur vergnügt, offenbar höchst selig, eine so schöne Braut sein eigen zu nennen, vor sich hin, und die junge Dame, die sehr lebhaft war, trieb ihn, als sie sein Entzücken bemerkte, hinter einen Toilettenspiegel und gab ihm dort von Zeit zu Zeit einen Kuß, wobei Madame Mantalini natürlich diskret wegsah.

Während dieser Zärtlichkeitsergüsse trat nun Miss Knag, nicht imstande, ihre Neugierde zu bezähmen, jedesmal ganz zufällig hinter den Spiegel und begegnete dabei unglücklicherweise immer dem Auge der jungen Dame gerade in demselben Moment, wo sie den alten Lord küßte. Es dauerte auch nicht lange, da fielen übellaunige Worte »von einer gewissen alten Jungfer und bodenloser Unverschämtheit«.

»Madame Mantalini!« rief die junge Dame schließlich erregt.

»Sie befehlen?«

»Ich bitte, lassen Sie doch das nette junge Mädchen heraufkommen, das wir gestern hier sahen.«

»O ja, rufen Sie sie«, stimmte die Schwester der Braut ein.

»Von allen Dingen auf der Welt, Madame Mantalini«, erklärte die zukünftige Lady und warf sich nachlässig auf ein Sofa, »ist mir nichts so verhaßt, als von Vogelscheuchen oder alten Schachteln bedient zu werden; ich bitte, rufen Sie mir, sooft ich komme, immer das nette junge Mädchen.«

»Allerdings«, fügte der jugendliche Lord hinzu, »wir wollen immer von dem hübschen Mädchen bedient sein.«

»Sie ist Tagesgespräch«, fuhr die junge Dame in ihrer unbekümmerten Weise fort, »und mein Bräutigam, der ein großer Bewunderer von Frauenschönheit ist, muß sie durchaus sehen.«

»Ja, sie wird allgemein bewundert«, gab Madame Mantalini zu. »Miss Knag, senden Sie Miss Nickleby herauf – Sie selbst brauchen nicht wiederzukommen.«

»Entschuldigen, Madame, wie meinten?« fragte Miss Knag mit bebender Stimme.

»Sie brauchen nicht wiederzukommen«, wiederholte die Prinzipalin scharf.

Miss Knag verschwand lautlos und wurde gleich darauf durch Kate ersetzt, die jetzt den Damen die neuen Hüte abzunehmen und die alten wieder aufzusetzen hatte. Sie wurde dabei rot und ganz verwirrt, als sie bemerkte, daß der alte Herr und die beiden jungen Damen sie unablässig fixierten.

»Ei, wie rot Sie werden, Kind!« scherzte die junge Braut.

»Sie ist noch nicht ganz so im Geschäft eingearbeitet, wie sie es wohl in einigen Wochen sein wird«, entschuldigte sich Madame Mantalini mit einem huldvollen Lächeln.

»Ich fürchte, Sie haben ihr einige Ihrer gottlosen Blicke zugeworfen, Mylord?« sagte die Braut.

»Nein, nein, nein«, beteuerte der alte Lord. »Nein, nein, nein, ich bin doch im Begriff, ein neues Leben anzufangen mich zu verehelichen – hi, hi, hi, ein neues Leben, ein neues Leben, hi, hi, hi.«

Es war tröstlich zu hören, daß der alte Herr im Begriffe war, ein neues Leben anzufangen, da das alte sichtlich nicht mehr lange dauern konnte, wenigstens bewirkte schon ein längeres Kichern jedesmal einen schrecklichen rasselnden Hustenanfall, und Mylord brauchte einige Minuten, bis er Atem zu der Bemerkung fand, das Mädchen sei zu hübsch zu einer Putzmacherin.

»Ich hoffe nicht, daß Mylord der Ansicht sind, ein gutes Aussehen beeinträchtige die Befähigung zu einem Geschäft«, sagte Madame Mantalini geziert.

»Gewiß nicht«, versetzte der alte Lord galant, »sonst würden Sie selbst es schon lange aufgegeben haben.«

»Sie Bösewicht!« rief die lebhafte junge Dame und versetzte dem Mitglied des Oberhauses mit ihrem Sonnenschirm einen Stich. »Wie können Sie es wagen, in meiner Gegenwart so zu sprechen?«

Sie begleitete diese scherzhafte Frage mit wiederholten neckenden Stichen, bis endlich der alte Lord den Sonnenschirm erwischte und nicht wieder hergeben wollte. Dies veranlaßte die andere junge Dame, ihrer Schwester zu Hilfe zu kommen, und so entspann sich denn eine ganz entzückende kleine Schlacht.

»Sorgen Sie dafür, daß diese wenigen Änderungen noch angebracht werden, Madame«, befahl zum Schlusse die Braut.

»Nein, Mylord, Sie müssen durchaus vorangehen, ich lasse Sie nicht eine halbe Sekunde mit diesem hübschen jungen Mädchen allein. Ich kenne Sie zu gut. Jane, laß ihn vorangehen, damit wir seiner sicher sind!«

Der alte Herr, augenscheinlich durch diese Eifersucht sehr geschmeichelt, beschenkte Kate im Vorbeigehen noch mit einem schalkhaften Seitenblick, eine Bosheit, die ihm abermals einen Klaps eintrug, und humpelte die Stiegen hinunter zum Eingangstor, wo sein elastischer Leichnam von zwei stämmigen Lakaien in den Wagen gehoben wurde.

»Pfui«, schalt Madame Mantalini. »Mir unbegreiflich, wie so etwas in einen Wagen steigen kann, ohne nicht an eine Totenbahre zu denken. Da, nehmen Sie den Plunder weg, Miss, tragen Sie ihn wieder hinunter.«

Kate, die die ganze Zeit über mit verlegen zu Boden geschlagenen Augen dagestanden hatte, fühlte sich durch die Erlaubnis, sich zurückziehen zu dürfen, höchst beglückt und eilte freudig die Stiegen hinunter in das Herrschergebiet Miss Knags.

In diesem kleinen Königreiche waren jedoch während Kates kurzer Abwesenheit einschneidende Veränderungen vorgegangen. Statt daß Miss Knag mit aller Würde und Erhabenheit einer Repräsentantin Madame Mantalinis auf ihrem gewohnten Platz saß, ruhte sie in Tränen gebadet auf einer großen Kiste, während drei oder vier der jungen Nähterinnen mit Hirschhorngeist, Weinessig und anderen Belebungsmitteln um sie herumstanden – ein hinreichender Beweis, daß sie in Ohnmacht lag, wenn schon nicht die übliche Verwirrung des Kopfputzes und der Locken darauf hingedeutet hätte.

»O Gott«, rief Kate hastig und besorgt, »was ist geschehen?« Diese Frage löste bei Miss Knag abermals heftige Symptome eines Rückfalles aus, worauf mehrere der Nähterinnen, Zornesblicke auf Kate schießend, neuerdings Weinessig und Hirschhorngeist anwendeten und sagten, daß es eine – »Schande« sei.

»Was ist eine Schande?« fragte Kate. »Um was handelt es sich? – Was ist vorgefallen? – Reden Sie doch!«

»Vorgefallen?« schrie Miss Knag und richtete sich auf einmal zur großen Bestürzung der versammelten Mädchen bolzgerade auf. »Vorgefallen? Pfui über Sie, Sie garstiges Geschöpf.«

»Barmherziger Himmel!« rief Kate ganz erstarrt ob der Heftigkeit, mit der Miss Knag dieses Prädikat zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervorstieß. »Habe ich Sie denn beleidigt?«

»Sie mich beleidigt!« rief Miss Knag. »Sie! Ein Kind! Ein dummer Fratz. Ein hereingeschneites Nichts! Wahrhaftig! Hahaha.«

Da Miss Knag jetzt zu lachen geruhte, war es natürlich, daß auch die ganze Schar der Nähterinnen unverzüglich in ein Gelächter ausbrach und sarkastisch blinzelte.

»Da steht sie!« fuhr Miss Knag fort, erhob sich von der Kiste und stellte Kate mit großer Förmlichkeit und unter vielen höhnischen Knicksen dem kichernden Nähterinnenkreise vor. »Hier steht sie. Sie ist Tagesgespräch – die Schönheit! Meine Damen, die Schönheit. – Oh, Sie unverschämtes Ding!«

In ihrer Entrüstungskrisis war Miss Knag nicht imstande, einen tugendhaften Schauer zu unterdrücken, der sich augenblicklich allen übrigen jungen Damen mitteilte, dann lachte sie wieder grell auf und fing endlich zu weinen an.

»Fünfzehn Jahre lang«, schluchzte sie, »fünfzehn Jahre lang bin ich die Ehre und die Zierde des Arbeits- und Ankleidezimmers gewesen, Gott sei Dank! Und nie bin ich diese ganze Zeit über den Kunstgriffen – nichtswürdigen Kunstgriffen – eines Geschöpfes ausgesetzt gewesen, das uns alle durch sein Benehmen entehrt und anständige Leute erröten macht. – Und jetzt muß mir eine Kränkung widerfahren, die ich trotz des Abscheues, den ich gegen diese Person hege, schmerzlich und tief empfinde!«

Wieder wurde Miss Knag von einem Rückfall bedroht, aber die jungen Damen erneuerten ihre Aufmerksamkeit und redeten ihr zu, sie solle sich doch über solche Dinge hinwegsetzen. Es sei eine »Schande«, und sie alle wären so empört darüber, daß sie kaum Worte finden könnten.

»Habe ich so lange dienen müssen, um mich eine Vogelscheuche nennen zu lassen!« schrie Miss Knag und zerraufte sich ihre Haartolle.

»Nein, nein!« beteuerte der Chor. »Bitte sprechen Sie nicht so! Sprechen Sie nicht so!«

»Habe ich's verdient, eine alte Schachtel geschimpft zu werden?« schrie Miss Knag, in Krämpfen gegen ihre dienstbeflissenen Untergebenen ankämpfend.

»Denken Sie nicht mehr an solche Dinge, Miss Knag!« tröstete der Chor.

»Ich hasse sie!« rief Miss Knag wieder. »Ich hasse und verabscheue sie. Sie soll es nicht wagen, mich je wieder anzureden, und niemand, der es gut mit mir meint, soll je wieder ein Wort mit ihr sprechen. Die Schlumpe, das Weibsstück, die schamlose Dirne!«

Nachdem Miss Knag den Gegenstand ihrer Wut mit diesen Worten näher charakterisiert hatte, schrie sie noch einmal laut auf, schluchzte dreimal und gurgelte in der Kehle, dann schloß sie die Augen, schauerte, erwachte, kam wieder zu sich, ordnete ihren Kopfputz und erklärte endlich, daß ihr wieder ganz wohl sei.

Die arme Kate hatte die ganze Zeit über wie betäubt dagestanden, dann wurde sie abwechselnd rot und bleich und versuchte einige Male zu sprechen. Als ihr jedoch die Beweggründe Miss Knags allmählich klar wurden, ging sie stolz und ohne sich zu einer Erwiderung herabzulassen, an ihren Platz und wandte dem Haufen kleiner Satelliten, der sich in der andern Ecke des Zimmers um seine Sonne drehte, den Rücken. Insgeheim flössen ihr jedoch so bittere Tränen über die Wangen, daß Miss Knag im Innersten ihrer Seele frohlockt haben würde, wenn sie es gesehen hätte.


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