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Es bleibt nur nun noch zu untersuchen übrig, ob es Körper giebt.
Zum wenigsten weiß ich nun, daß sie, soweit sie Gegenstand der reinen Mathematik sind, existieren können, da ich diese klar und deutlich erfasse. Denn Gott ist ohne Zweifel imstande, alles das zu bewirken, was ich so klar aufzufassen imstande bin; nur wenn ein Ding eine deutliche Auffassung nicht zuläßt, ist es meiner Meinung nach für Gott unmöglich.
Außerdem scheint das Vorstellungsvermögen, dessen Gebrauch mir bewußt ist, wenn ich mich mit materiellen Gegenständen befasse, die Existenz solcher Gegenstände zu beweisen. Denn genau betrachtet scheint mir das Vorstellungsvermögen nur eine Anwendung des Erkenntnisvermögens auf einen Körper zu sein, der ihm innerlich gegenwärtig ist und mithin existiert.
Um dies klar zu machen, prüfe ich zunächst den Unterschied zwischen dem Vorstellen und dem reinen Erkennen. Stelle ich mir z.B. ein Dreieck vor, so sehe ich nicht nur, daß dies eine von drei Linien eingeschlossene Figur ist, vielmehr schaut auch mein geistiges Auge gleichsam jene drei Linien an als ständen sie vor mir, und dies nenne ich » vorstellen«. Will ich mir aber ein Tausendeck denken, so erkenne ich ebensowohl, daß dies eine aus tausend Seiten gebildete Figur ist, wie ich das Dreieck als dreiseitige Figur erkenne; vorstellen aber oder gegenwärtig anschauen kann ich mir diese tausend Seiten nicht ganz so leicht.
Gewohnt, mir stets irgend etwas vorzustellen, wenn ich an etwas Körperliches denke, vergegenwärtige ich mir zwar auch dann irgend eine unbestimmte Figur; ein Tausendeck aber ist dies offenbar nicht, denn ich könnte mir unter genau dieser nämlichen Vorstellung auch ein Zehntausendeck oder eine andere Figur von noch mehr Seiten denken! Die charakteristischen Unterschiede zwischen Tausendeck und anderen Vielecken vermag ich aus dieser Vorstellung nicht zu erkennen!
Handelt es sich aber um ein Fünfeck, so kann ich zwar seine Figur ohne Hilfe der Vorstellung erkennen, wie beim Tausendeck; ich kann sie mir aber auch vorstellen, indem ich mein Augenmerk auf die fünf Seiten richte und auf die von ihnen eingeschlossene Fläche. So bemerke ich hier, daß zum Vorstellen eine besondere Geistesanstrengung erforderlich ist, deren ich beim Erkennen nicht bedarf. Darin zeigt sich klar der Unterschied zwischen Vorstellen und reinem Erkennen.
Zudem ist auch, wie ich sehe, jenes Vorstellungsvermögen in mir, soweit es sich vom Erkenntnisvermögen unterscheidet, zu meinem, d.h. meines Geistes Wesen gar nicht erforderlich. Denn, hätte ich es auch nicht, so würde ich doch trotzdem derselbe bleiben, der ich nun bin. Es scheint sonach durch etwas von mir Verschiedenes bedingt zu sein!
Nun ist leicht ersichtlich: gäbe es einen Körper, mit dem mein Geist so innig verbunden ist, daß er sich nur nach ihm hinzuwenden braucht, um ihn gleichsam nach Belieben zu betrachten, so wäre es möglich, daß ich so zu Vorstellungen körperlicher Gegenstände gelangte. Diese Art des Denkens unterschiede sich dann nur dadurch vom reinen Erkennen, daß der Geist beim Erkennen sich gleichsam auf sich selbst richtet und einen der ihm innewohnenden Gedanken ins Auge faßt. Beim Vorstellen aber wendet er sich dem Körper zu und schaut in ihm etwas seinem Gedanken (– den er aus sich selbst oder aus den Sinnen haben kann –) Entsprechendes an.
Daß das Vorstellen so zustande kommen kann, wenn es wirklich Körper giebt, das ist, wie gesagt, leicht ersichtlich. Nun findet sich aber keine passendere Erklärungsart und ich vermute daher, daß ein Körper existiert. Doch vermute ich es nur. Einen Grund, aus dem mit Notwendigkeit das Dasein eines Körpers folgte, vermag ich selbst bei sorgfältigster Prüfung nicht aus der ganz deutlichen Vorstellung des Körperwesens zu entnehmen, die ich in meinem Vorstellen finde.
Ich pflege aber außer jenem körperlichen Wesen, das Gegenstand der reinen Mathematik ist, noch vieles andere vorzustellen, wie Farben, Töne, Geschmack, Schmerz und ähnliches, nichts aber mit solcher Deutlichkeit. Dies aber nehme ich besser durch die Sinne wahr, von denen es mit Hilfe des Gedächtnisses zur Vorstellung gelangt zu sein scheint. Um es nun bequemer untersuchen zu können, müssen wir mit derselben Sorgfalt auch das sinnliche Empfinden behandeln und zusehen, ob sich ein sicherer Beweis für das Dasein von Körpern aus jener Denkweise gewinnen läßt, die ich »Empfinden« nenne.
Zuerst will ich mir darum hier wieder ins Gedächtnis rufen, was das war, das ich früher als sinnliche Wahrnehmung für wahr hielt, und warum ich es für wahr hielt. Dann will ich auch die Gründe erwägen, warum ich später darüber Zweifel hegte. Dann will ich zusehen, was ich nun davon zu halten habe.
Erstlich also sagten mir die Sinne, ich habe einen Kopf, Hände, Füße und die übrigen Glieder, die jenen Leib bilden, den ich als zu mir gehörig, ja als mein ganzes Ich ausmachend ansah.
Dieser Körper befand sich, meiner Wahrnehmung gemäß, unter vielen anderen Körpern, die ihn angenehm oder unangenehm beeinflussen können. Das Angenehme bemaß ich nach dem Gefühle der Lust, das Unangenehme nach dem des Schmerzes. Außer Lust und Schmerz empfand ich aber auch Hunger, Durst und andere derartige Gelüste, ferner gewisse körperliche Anlagen zu Frohsinn, Traurigkeit, Zorn und anderen ähnlichen Gemütsbewegungen.
Außerhalb aber nahm ich außer der Ausdehnung, Gestalt und Bewegung auch Härte, Wärme, und andere fühlbare Eigenschaften an den Körpern wahr, ferner Licht und Farben, Gerüche, Geschmack und Töne, und je nach ihrer Verschiedenheit unterschied ich Himmel und Erde und die anderen Körper voneinander.
In Anbetracht der Vorstellungen aller Eigenschaften, die sich meinem Denken darboten und die allein ich eigentlich und unmittelbar empfand, glaubte ich nicht ohne Grund gewisse von meinem Denken ganz verschiedene Dinge wahrzunehmen, nämlich Körper, von denen jene Vorstellungen ausgingen. Ich merkte nämlich, daß sie ganz ohne mein Zuthun sich einstellen, sodaß ich auch wenn ich es wollte, kein Objekt wahrnehmen könnte, das nicht dem Sinnesorgan gegenwärtig wäre, daß ich es aber denken muß, wenn es diesem gegenwärtig ist. Da ferner die sinnlichen Wahrnehmungen weit lebhafter und bestimmter und in ihrer Art auch weit deutlicher sind als alle, die ich selbst mit bewußter Überlegung durch Nachdenken bildete oder meinem Gedächtnis eingeprägt vorfand, so schienen sie aus mir gar nicht hervorgehen zu können. So blieb nur übrig, daß sie von anderen Dingen herkämen. Da ich aber von diesen Dingen einzig und allein durch meine Vorstellungen Kenntnis hatte, dachte ich gar nicht anders, als die Dinge seien diesen ähnlich.
Ich erinnerte mich auch, daß ich mich der Sinne früher bediente als der Vernunft; ich sah, daß die von mir selbst gebildeten Vorstellungen nicht so ausgeprägt wie die sinnlich wahrgenommenen seien, und daß sie meist aus Teilen der letzteren zusammengesetzt sind. So redete ich mir leicht ein, ich habe überhaupt keine Vorstellung im Verstande, die ich nicht vorher durch die Sinne empfangen hätte.
Nicht ohne Grund war ich auch der Meinung, daß jener Körper, den ich mit ganz besonderem Rechte den meinigen nannte, viel enger zu mir gehörte als jeder andere. Von ihm konnte ich nicht, wie von den anderen, mich trennen; in ihm und für ihn fühlte ich alle Triebe und Affekte; den Schmerz und den Kitzel der Lust empfinde ich in Teilen des Körpers, nicht in etwas außer ihm Liegendem. Warum aber aus dieser nicht näher zu beschreibenden Schmerzempfindung eine Traurigkeit in meinem Gemüte und aus der Empfindung des Kitzels eine Freude folgt, warum jenes undefinierbare Brennen im Magen, das ich Hunger nenne, für mich eine Aufforderung ist, zu essen, die Trockenheit der Kehle eine Mahnung zu trinken u.s.w., dafür hatte ich nur die eine Erklärung: die Natur hat es mich so gelehrt. Es besteht nämlich gar kein innerer Zusammenhang (wenigstens kenne ich keinen) zwischen jenem Brennen und dem Willen zu essen, zwischen der Empfindung von etwas Schmerzbringendem und der Traurigkeit des Geistes, die aus dieser Empfindung hervorgeht.
Aber auch alles andere, was ich bezüglich der Sinnesobjekte annahm, schien die Natur mich gelehrt zu haben. Schon ehe ich irgend einen Beweisgrund erwogen, war ich ja überzeugt, daß der Gegenstand gerade so beschaffen sei!
Später haben aber allmählich vielerlei Erfahrungen das ganze Zutrauen, das ich den Sinnen schenkte, erschüttert. Türme, die von ferne rund aussahen, erschienen von nahem viereckig und mächtige Statuen, die oben standen, nahmen sich von unten gesehen gar nicht groß aus, und noch in unzähligen anderen Fällen der Art merkte ich, daß das Urteil der äußeren Sinne trügerisch war; ja nicht bloß der äußeren, auch das der inneren Sinne! Mit was kann ich wohl vertrauter sein als mit meinem Schmerze? Und doch, ich hörte manchmal von Leuten, denen man ein Bein oder einen Arm abgenommen hatte, es käme ihnen zuweilen vor als schmerzte der fehlende Körperteil. So schien es mir denn sogar ein wenig ungewiß, ob ein Glied mich schmerzt, selbst wenn ich den Schmerz in ihm fühle.
Hierzu kommen nun noch jene beiden ganz allgemeinen Zweifelsgründe, die ich neulich anführte. Erstens nämlich kann ich alles, was ich wachend zu empfinden glaube, auch im Schlafe einmal zu empfinden meinen. Nun glaube ich aber nicht, daß das, was ich dem Anscheine nach im Schlaf empfinde, wirklich von außer mir liegenden Dingen herrührt, und so sah ich nicht ein, warum ich dies eher von den Empfindungen glauben soll, die ich im Wachen zu haben scheine. – Zweitens aber kannte ich den Urheber meines Daseins noch nicht oder setzte ihn wenigstens als unbekannt voraus, und so sah ich nicht, warum ich nicht von Natur so hätte beschaffen sein können, daß ich selbst dann irrte, wenn mir etwas ganz wahr erschien.
Auf die Gründe aber, die mich früher von der Wahrheit der sinnlichen Gegenstände überzeugten, fand ich leicht die Erwiderung. Ich sah, daß die Vernunft vielem widerrät, wozu meine Natur mich antreibt, und so glaubte ich den Lehren der Natur nicht viel Vertrauen schenken zu dürfen. Zwar sind die sinnlichen Wahrnehmungen unabhängig von meiner Willkür; ich glaubte aber doch nicht schließen zu dürfen, sie gingen von Dingen aus, die von mir verschieden sind, da ich vielleicht ein Vermögen besitze, das ich nur noch nicht kenne, und durch das ich sie hervorbringe.
Nun aber beginne ich mich und meinen Schöpfer besser zu erkennen. Ich glaube zwar nicht, jetzt alles, was mir die Sinne zu bieten scheinen, ohne weiteres hinnehmen zu sollen; ebensowenig aber darf ich einfach alles in Zweifel ziehen!
Erstlich weiß ich, daß alles, was ich klar und deutlich einsehe, von Gott so geschaffen sein könnte, wie ich es erkenne, und wenn ich ein Ding klar und deutlich von einem anderen getrennt zu erkennen vermag, so genügt dies, um mich zu vergewissern, daß die beiden wirklich verschieden sind, da sie einzeln für sich von Gott ins Dasein gesetzt werden können. Worauf das beruht, daß ich sie für verschieden halte, ist dabei gleichgültig. Somit schließe ich daraus, daß ich von meiner Existenz weiß und dabei nur das Eine als zu meiner Natur oder Wesenheit gehörig erkenne, nämlich daß ich ein denkendes Wesen bin, – mit Recht schließe ich daraus, daß meine Wesenheit nur darin allein besteht, daß ich ein denkendes Wesen bin, d.h. eine Substanz, deren ganze Natur und Wesenheit lediglich im Denken besteht.
Zwar habe ich vielleicht (bald werde ich sagen können: »gewiß!«) einen Körper, der aufs innigste mit mir verbunden ist. Einerseits aber habe ich eine klare und deutliche Vorstellung meiner selbst, sofern ich lediglich denkendes, nicht ausgedehntes Wesen bin. Andrerseits habe ich eine deutliche Vorstellung vom Körper, sofern er lediglich ausgedehntes, nicht denkendes Wesen ist. Somit ist sicher, daß ich wirklich etwas Anderes als der Körper bin und ohne ihn existieren kann. Es beruht auf einem Irrtum, daß Denken und Ausdehnung wirklich ganz voneinander getrennt werden können. Descartes behandelt beide als vollkommne Gegensätze. Wäre dies richtig, so bliebe die Vereinigung von Körper und Geist nicht nur unbegreiflich, sondern wäre geradezu widersprechend. Descartes bereitet denn auch die Thatsache der Vereinigung von Leib und Seele nicht geringe Verlegenheiten, über die er sich durch die verschiedensten Vergleiche und Annahmen vergeblich hinwegzuhelfen sucht (besonders in Respons. und Princ. Phil.). Auch der Begriff eines lediglich denkenden und lediglich ausgedehnten Wesens hat an sich seine unüberwindlichen Schwierigkeiten, mit denen Descartes besonders in späterer Zeit viel zu kämpfen hatte (vgl. Descartes Briefwechsel). Kants unsterbliches Verdienst war es, das Verhältnis von Ausdehnung (Raum) und Denken im wesentlichen richtig erkannt und das Fundament für alle weitere Forschung festgelegt zu haben. Descartes Verdienst wird dadurch nicht geschmälert: er hat allererst den Weg gezeigt und angebahnt, der zur Wahrheit führt! Zweitens finde ich in mir gewisse Vermögen, denen besondere Denkweisen zukommen: das (sinnliche) Vorstellungsvermögen und das Empfindungsvermögen. Ich kann mich vollständig auch ohne diese klar und deutlich erkennen, nicht aber umgekehrt jene ohne mich, d.h. ohne die denkende Substanz, der sie innewohnen. Ihrem Wesen nach aufgefaßt schließen sie nämlich ein Denken in sich. Daraus ersehe ich, daß sie sich zu mir verhalten wie die Eigenschaften zum Dinge.
Ich erkenne auch gewisse andere Fähigkeiten: den Ort zu verändern, verschiedene Gestalten anzunehmen u.s.w. Diese können ebensowenig, wie die schon erwähnten ohne eine Substanz gedacht werden, der sie innewohnen, und können also auch nicht ohne eine solche bestehen. Offenbar aber können sie, wenn sie bestehen, nur der körperlichen oder ausgedehnten Substanz angehören, nicht aber der erkennenden, da ihre klare und deutliche Auffassung zwar Ausdehnung, aber gar kein Denken einschließt.
Nun besitze ich aber ein passives Vermögen, zu empfinden oder Vorstellungen sinnlicher Dinge zu empfangen und zu erkennen. Ich könnte aber gar keinen Gebrauch davon machen, wenn es nicht auch ein aktives Vermögen in mir oder außer mir gäbe, welches jene Vorstellungen verursacht oder hervorruft. In mir kann dies nun aber nicht liegen. Es setzt ja gar kein Denken voraus und die sinnlichen Vorstellungen entstehen auch ganz ohne mein Zuthun, oft sogar gegen meinen Willen. Es bleibt also nur übrig, daß jenes Vermögen in einer von mir verschiedenen Substanz sich finde. In dieser muß nun, wie wir oben sahen, alle Realität wirklich oder noch in höherem Grade enthalten sein, die wir in den Vorstellungen vergegenständlicht finden, welche jenes Vermögen hervorruft. Sonach ist jene Substanz entweder Körper, körperliches Wesen und enthält also wirklich alles ebenso, wie es in den Vorstellungen sich darstellt, oder sie ist Gott oder ein höheres Geschöpf als der Körper, das vermöge seiner höheren Macht jene vorgestellte Realität hervorzurufen imstande ist.
Da nun aber Gott wahrhaftig ist, so kann er offenbar weder selbst mir jene Vorstellungen unmittelbar eingeben, noch auch mittelbar durch ein anderes Wesen, das nicht wirklich das in sich schlösse, was ich mir als real vorstelle, sondern nur vermöge seiner höheren Macht Vorstellungen von solcher Realität in mir zu erregen vermöchte. Die Worte: »Das nicht wirklich ... erregen vermöchte« geben das lateinische: »in qua earum realitas objectiva non formaliter, sed eminenter tantum contineatur« wieder, formaliter und eminenter lassen sich hier nicht wohl mit »in gleichem Maße« und »in höherem Maße« (v. Kirchmann) oder durch einen anderen einfachen Ausdruck wiedergeben. Das »tantum« macht eine genauere Wiedergabe des Sinnes erforderlich, was nur durch Umschreibung möglich ist. Die unveränderte Herübernahme der scholastischen Ausdrücke (Kuno Fischer) scheint, da dieselben heute zu wenig geläufig sind, in dieser Übersetzung nicht ratsam. Gott hat mir ja gar nicht die Fähigkeit verliehen, dies herauszufinden; er pflanzte mir im Gegenteil eine große Neigung ein, zu glauben, jene Vorstellungen kämen von Körpern her. Wie könnte ich ihn noch für wahrhaftig halten, wenn sie nun doch wo anders herkämen als von Körpern? Vgl. Anm. [45] S. 79.
So giebt es also wirklich Körper!
Vielleicht aber existieren nicht alle genau so, wie ich sie sinnlich wahrnehme, denn die sinnliche Wahrnehmung ist vielfach sehr dunkel und verworren. Wenigstens findet sich aber alles das an den Körpern, was ich klar und deutlich erkenne, d.h. alle jene allgemeinen Eigenschaften, die den Gegenstand der reinen Mathematik bilden.
Andere Bestimmtheiten betreffen entweder nur Einzelheiten, wie Gestalt und Größe der Sonne u.s.w., oder wir haben nur einen unklaren Begriff von ihnen, so von Licht, Schall, Schmerz und ähnlichen. Diese stellen uns nun zwar nichts Zweifelloses, Gewisses dar. Allein Gott täuscht uns nicht und etwas Falsches kann sich also in meinen Ansichten nicht finden, es sei denn, daß Gott mir auch das Vermögen gab, den Irrtum zu berichtigen. Dies gewährt mir die sichere Hoffnung, auch hierin zur Wahrheit zu gelangen.
In der That hat alles, was die Natur mich lehrt, einen gewissen Grad von Wahrheit. Unter Natur im allgemeinen verstehe ich nämlich jetzt nichts anderes als entweder Gott selbst oder die von Gott eingesetzte Weltordnung; unter meiner eigenen Natur im besonderen aber verstehe ich lediglich den Inbegriff alles dessen, was Gott mir verliehen hat.
Nun sagt mir diese Natur aber aufs allerausdrücklichste, ich habe einen Körper, dessen Wohlbefinden gestört ist, wenn ich Schmerz empfinde; der Speise oder Trank bedarf, wenn ich Hunger oder Durst empfinde u.dgl. Ich muß also annehmen, es sei etwas Wahres daran.
Weiter lehrt mich die Natur durch die Empfindungen des Schmerzes, des Hungers, Durstes u.s.w., ich sei meinem Leibe nicht nur zugesellt wie etwa ein Schiffer dem Schiffe, sondern sei aufs innigste mit ihm vereint, ich durchdringe ihn gleichsam und bilde mit ihm ein einheitliches Ganzes. Wie könnte sonst ich, ein lediglich denkendes Wesen, bei einer Verletzung des Körpers Schmerz empfinden? Ich würde jene Verletzung rein geistig wahrnehmen, wie das Auge des Schiffers es wahrnimmt, wenn am Schiffe etwas zerbricht, und wenn mein Körper Speise oder Trank bedarf, so würde ich dies ausdrücklich wissen und hätte nicht das unklare Hunger- oder Durstgefühl. Denn jene Gefühle von Hunger, Durst, Schmerz u.s.w. sind sicherlich nur verworrene Gedanken von besonderer Art, die in der Vereinigung und gleichsam Verquickung von Leib und Seele ihren Ursprung haben.
Fernerhin lehrt mich die Natur auch, daß mein Körper von verschiedenen anderen Körpern umgeben ist, die ich teils suchen, teils fliehen muß. Da ich nun sehr verschiedenartige Empfindungen von Farbe, Schall, Geruch, Geschmack, Wärme, Härte u.s.w. habe, so schließe ich gewiß mit Recht, es gebe in den Körpern, von denen jene Sinneswahrnehmungen herrühren, entsprechend verschiedene Eigenschaften, wenn sie auch mit unseren Empfindungen vielleicht keine Ähnlichkeit haben. Auch geht daraus, daß von jenen Wahrnehmungen die einen mir angenehm, die anderen unangenehm sind, mit Sicherheit hervor, daß mein Körper oder vielmehr mein ganzes Ich, insofern ich aus Leib und Seele bestehe, von den umliegenden Körpern in verschiedener Weise angenehm und unangenehm beeinflußt werden kann.
Nun giebt es aber auch vieles andere, das mich zwar scheinbar die Natur lehrte, aber doch rührt es nicht von ihr her, sondern von der Angewohnheit, unüberlegt zu urteilen, und so kommt es leicht vor, daß ich darin irre; so z.B. wenn ich meine, aller Raum, der nichts sinnlich Wahrnehmbares enthält, sei leer, ein warmer Körper enthalte etwas der Wärmeempfindung ähnliches, das empfundene Weiß oder Grün sei ebenso in dem weißen oder grünen Körper, in dem bitteren oder süßen sei der betreffende Geschmack u.s.w., Hiermit ist die Subjektivität der empfindbaren Qualitäten ausgesprochen. Die erregenden Ursachen der Empfindungen bestimmt Descartes an anderen Orten als Bewegungen (man vgl. auch S.104). Schon vor ihm hatte Galilei diese Lehre mit aller Klarheit ausgesprochen (vgl. Natorp, Descartes' Erkenntnistheorie, S. 135). Durch die moderne Physik und Physiologie hat sie ihre allseitige Bestätigung und tiefere Begründung erfahren. oder Sterne, Türme und andere entfernte Körper hätten nur gerade jene Größe und Gestalt, in der sie meinen Sinnen erscheinen und ähnliches mehr.
Doch um alle Unklarheit zu beseitigen, muß ich genauer feststellen, was ich eigentlich damit meine, wenn ich sage, die Natur lehre mich etwas. Ich nehme nämlich »Natur« hier in einem engeren Sinne, nicht als Inbegriff alles dessen, was Gott mir verliehen. Darin wäre nämlich vieles rein Geistige enthalten (so die Erkenntnis, daß Geschehenes nicht ungeschehen sein kann und vieles andere, das ich durch mein natürliches Erkenntnisvermögen weiß); von diesem ist nicht die Rede. Auch vieles nur auf den Körper Bezügliche wäre einbegriffen (sodaß er nach unten strebt und ähnliches) um das es sich ebenfalls nicht handelt. Nur um das handelt es sich, was Gott mir verlieh, inwiefern ich aus Körper und Geist bestehe.
Insofern nun lehrt mich die Natur, zu fliehen, was Schmerzempfindung bereitet, zu erstreben, was Lust bereitet und ähnliches. Sie scheint uns aber nicht außerdem noch zu lehren, daß wir aus jenen sinnlichen Erregungen ohne vorherige Prüfung durch den Verstand einen Schluß auf die Dinge außer uns ziehen dürfen, denn die Erkenntnis der Wahrheit scheint nur dem Geiste allein, nicht aber der Vereinigung von Körper und Geist anzugehören.
Wenn also auch ein Stern mein Auge nicht mehr erregt, als die Flamme einer kleinen Fackel, so liegt doch darin keine wirkliche, positive Nötigung zu der Annahme, er sei in der That nicht größer. Ich habe dies von Jugend auf ganz ohne Grund geglaubt. – Wenn ich mich einem Feuer nähere, so fühle ich zwar Wärme, und wenn ich ihm allzu nahe komme, empfinde ich Schmerz. Aber dies ist wahrlich kein Grund zu glauben, im Feuer sei etwas dem Wärmegefühl oder gar dem Schmerze ähnliches; es beweist vielmehr lediglich, daß im Feuer ein gewisses irgendwie beschaffenes Etwas ist, das in uns die Wärme- oder Schmerzempfindung erregt. – Ebenso, wenn ich auch irgendwo im Raume nichts sinnlich wahrzunehmen vermag, so folgt doch noch nicht, daß dort kein Körper sei, vielmehr werde ich gewahr, wie sehr ich daran gewöhnt bin, hier und in vielen anderen Fällen die natürliche Ordnung umzukehren!
Die sinnlichen Wahrnehmungen sind mir nämlich eigentlich nur dazu von der Natur verliehen, um dem Geiste anzuzeigen, was dem Ganzen, dessen Teil er ist, zuträglich oder nicht ist, und dafür sind sie klar und deutlich genug. Ich lasse sie mir aber als sichere Richtschnur dienen, um ohne weiteres über das Wesen der körperlichen Außenwelt zu entscheiden, während sie doch hierfür nur ganz dunkle und unbestimmte Anhaltspunkte geben!
Wie trotz der Güte Gottes meine Urteile falsch sein können, das habe ich schon oben genugsam erkannt. Nun bietet sich aber hier eine neue Schwierigkeit dar bezüglich dessen, was mir die Natur als begehrens- oder vermeidenswert hinstellt, sowie ferner bezüglich der inneren Sinne, bei denen ich Irrtümer entdeckt zu haben meine. So läßt sich z. B. einer durch den Wohlgeschmack einer Speise verleiten, das Gift, das sie in sich birgt, zu sich zu nehmen. Allein diesen treibt dann die Natur nur an, ein Wohlschmeckendes, nicht aber ein Gift, von dem er ja gar nichts weiß, zu sich zu nehmen, und daraus läßt sich nur folgern, daß die menschliche Natur nicht allwissend ist. Dies aber ist gar nicht wunderbar, denn der Mensch ist ein endliches Wesen und so kommt auch seiner Natur nur eine beschränkte Vollkommenheit zu.
Allein nicht selten irren wir auch in dem, wozu uns geradezu die Natur antreibt. So verlangt z. B. ein Kranker nach einem Getränk oder einer Speise, das ihm bald darauf Schaden bringt. Nun könnte man ja wohl sagen, ein solcher Kranker irre, weil seine Natur gestört sei. Allein dies hebt die Schwierigkeit nicht. Ist doch ein kranker Mensch ebenso gewiß ein Geschöpf Gottes, wie ein gesunder! Es wäre ganz ebenso widersprechend, daß Gott diesem eine unwahre Natur gegeben hätte!
Eine Uhr, die aus Rädern und Gewichten besteht, folgt ganz ebenso genau allen Naturgesetzen, ob sie nun verkehrt eingerichtet ist und die Stunden unrichtig anzeigt, oder ob sie in allen Stücken dem Wunsche des Künstlers entspricht. So kann ich auch den menschlichen Leib als eine Art Maschine ansehen, die aus Knochen, Nerven, Muskeln, Adern, Blut und Haut besteht und so eingerichtet ist, daß er auch ohne den Geist alle jene Bewegungen vollzöge, die jetzt ohne unseren Willen, also ohne den Geist zustande kommen. Dann ist leicht ersichtlich, daß er, wenn er beispielsweise an Wassersucht leidet, seiner Natur nach ganz ebenso jene Trockenheit der Kehle erleidet, die sich dem Geist als Durstempfindung darstellt, und daß dadurch auch die Nerven und die anderen Körperteile ganz ebenso dazu hindrängen, daß er den Trank nimmt, der die Krankheit steigert, wie er ohne eine solche Krankheit durch eine ähnliche Trockenheit der Kehle dazu gebracht würde, einen nützlichen Trank zu sich zu nehmen.
Zwar kann ich mit Rücksicht auf den Zweck der Uhr sagen, sie entspreche nicht ihrer natürlichen Bestimmung, wenn sie die Stunden falsch angiebt; ganz ebenso könnte ich auch die Maschine des menschlichen Körpers als von Natur bestimmt für die gewöhnlichen Bewegungen ansehen und könnte meinen, es sei ihrer natürlichen Bestimmung zuwider, wenn die Kehle trocken ist, solange das Trinken für die Erhaltung des Körpers ohne Nutzen ist. Allein ich merke recht wohl, daß diese letztere Auffassung von »Natur« von der anderen sehr verschieden ist. Sie ist nämlich eine bloß rein äußerliche Benennung, die ich aus meinem Denken herleite, indem ich den kranken Menschen und die schlechte Uhr mit der Vorstellung des gesunden Menschen und der guten Uhr vergleiche. In jenem anderen Sinne dagegen verstehe ich unter »Natur« etwas, das sich wirklich bei den Dingen findet. Daran ist also etwas Wahres.
So ist es also zwar eine rein äußerliche Bezeichnung, wenn ich im Hinblick auf den wassersüchtigen Körper dessen Natur verdorben nenne, weil seine Kehle trocken ist, ohne daß er des Trankes bedarf. Hinsichtlich des ganzen Menschen oder des Geistes, der mit einem solchen Körper vereint ist, ist es aber gleichwohl sicherlich keine leere Benennung, vielmehr ist es ein tatsächlicher Irrtum, daß er dürstet, während das Trinken ihm schaden würde. So bleibt hier also noch die Frage offen, wie es sich mit der Güte Gottes verträgt, daß die Natur in diesem Sinne uns täuscht?
Da bemerke ich nun in erster Linie einen großen Unterschied zwischen Körper und Geist, insofern nämlich der Körper seiner Natur nach stets teilbar, der Geist aber durchaus unteilbar ist. In der That, achte ich hierauf, betrachte ich mich selbst lediglich als denkendes Wesen, so kann ich keine Teile in mir unterscheiden, vielmehr erkenne ich in mir ein durchaus einheitliches Ganzes.
Zwar scheint der ganze Geist mit dem ganzen Körper vereint zu sein; verliere ich aber einen Fuß, einen Arm oder einen anderen Körperteil, so merke ich doch nicht, daß etwas am Geiste fehlt!
Auch die verschiedenen Vermögen des Geistes, das Wollen, Empfinden, Erkennen u. s. w. können nicht etwa als Teile desselben aufgefaßt werden, denn es ist derselbe Eine Geist, der will, der empfindet, der erkennt!
Hingegen kann ich mir keinen Körper, nichts Ausgedehntes denken, das ich mir nicht mit Leichtigkeit in Teile zerlegt denken könnte, und so erkenne ich dessen Teilbarkeit.
Dies allein würde genügen, mir den gänzlichen Unterschied von Geist und Körper zu beweisen, wenn ich es jetzt nicht schon aus anderen Gründen klar erkannt hätte!
Weiterhin bemerke ich, daß der Geist nicht von allen Teilen des Körpers unmittelbar Eindrücke empfängt, sondern nur vom Gehirn, vielleicht sogar nur von einem kleinen Teile desselben, nämlich von dem, welcher Sitz des Gemeinsinns sein soll. Sowie in diesem ganz dieselben Zustände gegeben sind, stellt er auch dem Geiste dasselbe dar, wie verschieden auch unterdessen die Verhältnisse in den übrigen Körperteilen sein mögen. Zahlreiche Erfahrungen, auf die wir hier nicht näher einzugehen brauchen, bestätigen dies.
Ich bemerke außerdem, daß mein Körper so beschaffen ist, daß keiner seiner Teile durch einen etwas entfernteren Teil erregt werden kann, ohne daß er auch ganz ebenso von jedem der zwischenliegenden Teile aus erregt werden könnte, wenn auch der entferntere Teil nicht mitwirkt.
Denken wir uns z.B. ein Seil A B C D; es finde an seinem äußersten Ende D ein Zug statt. Der erste Teil A wird sich ganz ebenso bewegen, wie es auch der Fall sein würde, wenn der Zug von einem zwischenliegenden Punkte B oder C stattfände und D in Ruhe bliebe. In ganz ähnlicher Weise zeigt die Physik, wenn ich Schmerzen im Fuß empfinde, daß dies durch Vermittlung der im Fuß verbreiteten Nerven geschehe, die sich von da wie Fäden bis in das Gehirn erstrecken. Werden sie nun im Fuße angezogen, so pflanzt sich der Zug fort bis ins Innere des Gehirns, mit dem sie in Verbindung stehen. Dort erregen sie eine gewisse Bewegung, die von der Natur dazu bestimmt ist, in meinem Geiste die Empfindungen zu erregen, als schmerze der Fuß.
Um aber vom Fuße zum Gehirn zu gelangen, müssen jene Nerven durch Unterschenkel, Oberschenkel, Lenden, Rücken und Hals gehen. Da kann es nun vorkommen, daß das im Fuß gelegene Ende gar nicht berührt wird, sondern nur eine der zwischenliegenden Partieen. Die Bewegung im Gehirn aber ist ganz dieselbe, als ob der Fuß schmerzhaft berührt würde. Der Geist wird sonach notwendig ganz den nämlichen Schmerz fühlen müssen. Ganz dasselbe gilt von jeder beliebigen anderen Empfindung.
Jede einzelne Bewegung, die in dem Teile des Gehirns stattfindet, der unmittelbar auf den Geist einwirkt, vermittelt nun aber dem Geiste stets nur eine und dieselbe Empfindung.
So bemerke ich denn schließlich auch, daß man es sich gar nicht besser wünschen und denken könnte, als wenn die Gehirnbewegung immer gerade die Empfindung erregte, die von allen möglichen am meisten und häufigsten zur Erhaltung des gesunden Menschen beiträgt. Derartig sind nun wirklich, wie die Erfahrung zeigt, alle unsere natürlichen sinnlichen Erregungen beschaffen, und so findet sich nichts in ihnen, das nicht von Gottes Macht und Güte zeugte.
Werden z. B. die Nerven des Fußes heftig und in ungewohnter Weise erregt, so pflanzt sich diese Erregung durch das Rückenmark bis ins Innere des Gehirns fort und giebt dort dem Geist das Zeichen zu einer Empfindung, nämlich zur Empfindung als sei im Fuße ein Schmerz. Dadurch wird nun der Geist angetrieben, die Ursache des Schmerzes als etwas dem Fuße Schädliches nach Kräften zu beseitigen.
Gott hätte aber die menschliche Natur auch so einrichten können, daß jene nämliche Gehirnbewegung dem Geiste etwas Anderes darstellen würde, etwa den Geist selbst als im Gehirne oder im Fuße oder an einer dazwischenliegenden Stelle befindlich, oder irgend etwas Anderes. Nichts Anderes aber wäre in gleichem Maße der Erhaltung des Körpers förderlich gewesen.
In gleicher Weise entsteht auch durch das Bedürfnis nach Trank eine gewisse Trockenheit in der Kehle, welche die Nerven und durch deren Vermittlung das Innere des Gehirnes erregt. Diese Erregung ruft im Geiste gerade die Durstempfindung hervor, weil bei diesem ganzen Vorgang nichts für uns von größerem Nutzen ist, als zu wissen, daß wir zur Erhaltung unserer Gesundheit des Trankes bedürfen. Entsprechendes gilt in den anderen Fällen.
Hieraus ergiebt sich nun ganz klar, daß trotz der unermeßlichen Güte Gottes die Natur des Menschen als eines aus Leib und Seele bestehenden Doppelwesens doch zuweilen irren kann. Würde nämlich eine Ursache nicht im Fuße, sondern an einer anderen Stelle der Nerven auf seinem Wege vom Fuße zum Gehirn, oder auch im Gehirn selbst, genau die nämliche Erregung hervorrufen, die bei einer Verletzung des Fußes einzutreten Pflegt, so würden wir doch den Schmerz im Fuße empfinden und unsere Empfindung irrt dann, und zwar ihrer Natur gemäß, denn ein und dieselbe Gehirnerregung kann dem Geist stets nur die gleiche Empfindung mitteilen.
Diese Erregung pflegt aber viel öfter durch eine Verletzung des Fußes zu entstehen als durch eine Einwirkung an andrer Stelle, und darum ist es vernunftgemäß, daß jene Erregung uns immer einen Schmerz im Fuße vergegenwärtigt, statt ihn uns ein für allemal an einer anderen Stelle zu zeigen! Wenn auch einmal die Trockenheit in der Kehle nicht, wie gewöhnlich, daraus entsteht, daß das Trinken der Gesundheit des Körpers förderlich ist, sondern aus einer gerade entgegengesetzten Ursache (wie beim Wassersüchtigen), so ist es doch jedenfalls weit besser, die Trockenheit führt uns in dem einen Falle irre, als wenn sie es im Gegenteil immer thäte, wenn unser Körper in gutem Zustande ist! Entsprechendes gilt für die übrigen Fälle.
Diese Erwägung trägt sehr viel dazu bei, die Irrtümer zu bemerken, denen meine Natur ausgesetzt ist. Sie ermöglicht es mir aber auch, dieselben leicht zu berichtigen oder zu vermeiden. Weiß ich doch nun, daß alle Sinne bezüglich dessen, was dem Körper frommt weit öfter wahre als falsche Angaben machen; fast immer kann ich mich auch mehrerer Sinne bedienen, um mich einer Sache zu vergewissern; und dann habe ich ja noch das Gedächtnis, das die Gegenwart mit der Vergangenheit verknüpft, und den Verstand, der die Ursachen des Irrtums bereits alle durchschaute! Da brauche ich nicht mehr zu fürchten: was die Sinne mir täglich entgegenhalten, das sei falsch! Die übertriebenen Zweifel der letzten Tage sind als lächerlich zu verwerfen; besonders jener bedeutendste, wegen des Traumes, den ich vom Wachen nicht unterscheiden konnte! Jetzt sehe ich, wie groß der Unterschied zwischen beiden ist: niemals verknüpft das Gedächtnis die Träume mit allem anderen, was wir im Leben thun; bei dem jedoch, was wir im Wachen erleben, ist dies der Fall.
Würde mir jemand im Wachen plötzlich erscheinen und gleich wieder verschwinden, ganz wie im Traume, und zwar ohne daß ich merkte, woher oder wohin er gekommen, so würde ich mit Recht eher meinen, das sei ein Gespenst oder ein Wahngebilde meines Gehirns, als ein wirklicher Mensch. Begegnen mir aber Dinge, bei denen ich deutlich bemerke, woher sie kommen, und wann sie sich ereignen, und steht ihre Wahrnehmung durchaus in stetigem Zusammenhang mit meinem ganzen übrigen Leben, so weiß ich ganz gewiß, daß dies nicht im Traume, sondern im Wachen geschieht. Habe ich dann noch alle Sinne, das Gedächtnis und den Verstand angerufen, um jene Wahrnehmungen zu prüfen, und alle diese stehen in vollster Übereinstimmung, so darf ich auch nicht den geringsten Zweifel mehr an ihrer Wahrheit hegen, denn aus der Wahrhaftigkeit Gottes folgt, daß ich in solchen Fällen überhaupt nicht in Irrtum geraten kann.
Allerdings bleibt uns im Drange der Geschäfte nicht immer die Zeit zu einer so genauen Prüfung, und so muß ich gestehen, daß das menschliche Leben im einzelnen doch gar oft Irrtümern unterliegt, und ich muß die Schwäche unserer Natur anerkennen.
Ende