Daniel Defoe
Oberst Hannes
Daniel Defoe

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Endlich kam er zu mir herüber, bückte sich, als ob er eine Nadel gerade neben mir aufheben wollte, praktizierte mir etwas in die Hand und sagte: Stecke dieses ein und folge mir geschwind die Treppe hinunter! – Er rannte nicht, sondern drängte sich langsam durchs Volk hindurch, ging auch nicht die große Treppe, welche wir hinaufgestiegen waren, sondern am andern Ende des Platzes eine Wendeltreppe hinunter. Er merkte, daß ich ihm folgte, und ging unten weiter, ohne stehen zu bleiben oder auch nur ein einziges Wort mit mir zu reden, bis wir durch unzählige Straßen und Gäßchen und dunkle Wege nach den Fleischhallen gelangten. Es fand an diesem Tage gerade kein Fleischmarkt statt, also hatten wir Platz, uns auf eine Fleischbank niederzusetzen. Da befahl er mir herauszuziehen, was er mir gegeben hätte. Es war ein kleines ledernes Brieffutteral, worin ein französischer Kalender steckte und eine große Menge Papiere aller Art.

Er sah alle durch und fand, daß verschiedene Wechselbriefe und Zahlungsanweisungen von hohem Werte darunter waren, alles Dinge, von denen ich nichts verstand, unter anderm war ein Wechsel an einen Goldschmied Stephan Evans über 300 Pfund Sterling an denjenigen zahlbar, der ihn bringen würde. Außerdem fand sich noch ein anderer Wechsel auf 12 Pfund 10 Schillinge, der auch auf einen Goldschmied lautete, dessen Namen ich aber vergessen habe. Es waren auch etliche französische Wechselbriefe darunter, die keiner von uns verstand, sie schienen aber großen Wert zu haben.

Mein Meister verstand gar wohl, was es mit dem Goldschmiedwechsel auf sich hatte, denn als er den Wechsel des Herrn Evans las, ließ er verlauten: dieser ist zu groß für mich, ich mag mich damit nicht abgeben! Als er aber zu dem Wechsel über 12 Pfund 10 Schilling kam, sprach er: dieser mag hingehen, komm mit, Hannes! Hiermit lief er fort nach der Lombardstraße zu, ich ihm nach, nachdem er die andern Papiere schnell wieder in die Brieftasche gesteckt hatte. Er forschte unterwegs bald den Namen aus und ging geradenwegs auf den Laden zu, setzte ein ernsthaftes Gesicht auf und bekam das Geld, ohne daß er angehalten oder auch nur im geringsten gefragt wurde. Ich stand auf der andern Seite des Weges und sah mich auf der Straße um, als ob ich gar nichts zu tun hätte. Merkte aber, daß er den Wechselbrief vorzeigte und das Brieffutteral herauszog, als ob er ein Kaufmannsjunge wäre, der sich gar wohl auf den Handel verstünde und noch mehrere Wechselbriefe bei sich hätte. Sie zahlten ihm darauf das Geld in Gold aus. Er zählte es geschwind noch einmal durch und ging dann seines Weges an mir vorbei nach dem dritten Königshof auf der andern Seite des Weges. Alsdann eilten wir, so schnell wir konnten, nach der Wasserseite zu und dingten ein kleines Schifferboot, um uns über das Wasser nach der St. Marytreppe bringen zu lassen, wo wir landeten und sicher genug waren.

Hier wendete er sich zu mir: Oberst Hannes, ich glaube, du bist ein Sonntagskind – dies ist ein guter Fund. Wir wollen nach dem St. Georgsfeld gehen und unsere Beute teilen! – Wir gingen durch die Felder und setzten uns weit genug vom Wege ins Gras, wo er das Geld herauszog und sagte: Sieh her, Hannes, hast du in deinem Leben schon einmal dergleichen gesehen?

Nein, niemals, sagte ich und fragte etwas einfältig: Dürfen wir das alles behalten?

Wir haben es, sprach er. wer soll es denn sonst haben? –

Darf der Mann, fragte ich, der es verloren hat, nichts davon wieder haben? –

Was wiederhaben, sprach er, was meinst du damit? –

Das weiß ich nicht, versetzte ich, aber du sagtest, du wolltest ihn die andern Wechselbriefe wieder holen lassen, die zu groß für dich wären.

Er lachte über mich und sagte: du bist zwar noch ein Junge, das ist wahr, aber für ein solches Kind hätte ich dich nicht mehr gehalten. – Er erklärte mir die Sache ganz ernsthaft, daß der Wechsel des Herrn Stephan Evans ein großer Wechsel über 300 Pfund Sterling wäre. Wenn ich nun, sprach er, als ein armer Kerl es wagen würde hinzugehen, um das Geld zu fordern, so würden sie mich alsbald fragen, wie ich zu einem solchen Wechsel käme, und daß ich solchen entweder gefunden oder gestohlen haben müßte, und da würden sie mich anhalten, ihn mir wegnehmen und mich deswegen in die äußerste Bedrängnis bringen. Deshalb kann ich mich nicht damit befassen und würde ihn dem Manne lieber zurückgeben, wenn ich nur wüßte, wie dies zu machen wäre. Jedoch was das Geld anlangt, Hannes, das wir bekommen haben, so soll er davon nichts bekommen. Im übrigen, fügte er hinzu, wird der, der die Brieftasche verloren hat, sobald er sie vermißt, zum Goldschmied gelaufen sein und ihn angewiesen haben: wenn jemand nach dem Gelde käme, solle er ihn anhalten. Allein dafür bin ich ihnen zu gescheit, fügte er hinzu.

Was willst du denn nun mit dem Wechselbrief machen, fragte ich, willst du ihn wegwerfen? Dann wird ihn jemand anderes finden und hingehen, um das Geld einzustreichen.

Nein, nein, versetzte er, da würde er sicher angehalten und ausgefragt werden.

Ich wußte nicht recht, was er damit sagen wollte, also redete ich nicht mehr davon sondern nahm das Geld. Meiner Lebtag hatte ich niemals soviel beisammen gesehen, auch wußte ich nicht, was ich damit anfangen sollte, und war mehr als einmal willens ihn zu ersuchen, es mir aufzuheben, was gewiß recht kindisch von mir gewesen wäre, denn ich würde wohl schwerlich je etwas davon wiedergesehen haben. Da ich aber darüber den Mund hielt, so teilte er das Geld recht ehrlich mit mir, ließ jedoch dabei verlauten, daß er mir zwar die Hälfte versprochen, da es nun aber das erstemal sei und ich dabei weiter nichts getan als zugesehen hätte, so hielte er es für billig, daß ich etwas weniger bekäme als er. Also teilte er das Geld, das 12 Pfund Sterling und 10 Schillinge betrug, in zwei gleiche Teile und zog mir dann 1 Pfund 5 Schillinge von meinem Teil ab: dieses Geld wolle er von mir als Lehrgeld annehmen. Gut, sprach ich, nimm es nur, denn dir gehört ja alles. Was soll ich nun mit diesem Gelde anfangen, sagte ich, denn ich weiß nicht, wo ich es hinstecken soll.

Hast du keine Taschen? fragte er.

Ja, sagte ich, ich habe wohl Taschen, aber sie sind voller Löcher.

Ich habe seit der Zeit oft daran gedacht und darüber lachen müssen, wie ich damals wirklich mehr Reichtum besaß, als ich unterbringen konnte. Denn ich hatte keine Wohnung, also auch weder Schrank noch Schubkasten, wo ich mein Geld verwahren konnte, und meine Taschen waren wie gesagt voller Löcher. Ich kannte auch keinen Menschen, dem ich das Geld zur Aufbewahrung hätte geben können. Denn da ich ein armer, nackichter, zerlumpter Junge war, fürchtete ich, die Leute würden alsbald denken, ich hätte das Geld gestohlen, und würden mich vielleicht anzeigen. Also war ich voller Sorge, wie ich mein Geld in Sicherheit bringen sollte. Und dies machte mich endlich so verdrießlich, daß ich mich am folgenden Tage hinsetzte und darüber weinen mußte. Dieses Geld war mir die ganze Nacht eine große Last. Ich trug es eine gute Weile in meiner Hand, denn bis auf 14 Schillinge bestand es in Gold, das heißt es waren vier Guineen. Diese 14 Schillinge waren beschwerlicher zu tragen als die vier Guineen zusammen. Endlich setzte ich mich nieder, zog einen meiner Schuhe aus und steckte das Gold hinein. Nachdem ich aber eine Weile damit gegangen war, drückte mich mein Schuh solchermaßen, daß ich nicht weiter gehen konnte. Also sah ich mich genötigt mich wieder zu setzen, das Geld herauszunehmen und es in der Hand zu tragen. Da fand ich einen schmutzigen Lumpen Leinewand auf der Gasse, den hob ich auf, wickelte meinen Schatz hinein und trug ihn darin ein gutes Stück weiter. Ich habe die Leute seit der Zeit öfters sagen hören: ich wollte, daß ich es in einem schmutzigen Lumpen hätte! Der meine aber war mehr als schmutzig, allein ich war froh, daß ich ihn nur hatte, denn er diente mir doch, bis ich an einen bequemen Ort kam, wo ich den Lappen in dem Flusse, der durch die Stadt läuft, wusch und dann mein Geld wieder hineinband.

Ich nahm es nun mit nur in mein Nachtquartier, die Glashütte. Als es aber zum Schlafengehen kam, wußte ich nicht, was ich damit anfangen sollte. Wenn ich einen von der schwarzen Rotte, unter welcher ich mich befand, etwas davon hätte merken lassen, so würde ich entweder in der Asche erstickt oder auf eine andere Art beraubt worden sein. Daß sie mir einen Possen gespielt haben würden, ist gewiß. Also lag ich da und hielt es in meiner Hand, die ich in den Busen gesteckt hatte, und der Schlaf floh meine Augen. Wenn ich dann und wann in einen leichten Schlummer fiel, träumte mir, mein Geld sei fort, so daß ich voller Schrecken aus dem Schlafe auffuhr. Wenn ich dann merkte, daß ich es noch fest in meiner Hand hielt, so versuchte ich aufs neue wieder einzuschlafen, konnte aber eine gute Weile kein Auge zutun, oder wenn ich gar ein wenig eingenickt war, fuhr ich alsbald wieder in die Höhe. Endlich machte ich mir darüber Sorgen, daß ich vielleicht, wenn ich einschliefe, von dem Gelde träumen und im Schlaf davon reden und mich so verraten könnte, daß ich Geld bei mir hätte. Und wenn mich nun einer von den Schelmen davon reden hörte, so würde er mir, ohne daß ich erwachte, das Geld aus meinem Busen und meiner Hand nehmen. Als mir dieses eingefallen war, konnte ich kein Auge mehr zutun, sondern verbrachte die ganze Nacht in Angst und Sorge. Und ich kann wohl sagen, daß dieses die erste Nacht war, da mich die Sorgen dieses Lebens um meine Ruhe gebracht haben.

Sobald es Tag wurde, kroch ich aus dem Loche, in dem wir lagen, heraus und lief auf das Feld. Da stand ich still und überlegte, was ich nun mit dem Gelde anfangen sollte. Ich wünschte wirklich, ich hätte es gar nicht besessen. Denn nach allem Beratschlagen und Kopfzerbrechen, wo ich es unterbringen sollte, fiel mir kein Mittel ein, das mir sicher genug erschienen wäre. Dies machte mich so verwirrt, daß ich mich endlich, wie bereits gesagt, hinsetzte und bitterlich weinte. Nachdem ich mich ausgeweint hatte, fühlte ich mich noch immer mit meinem Kummer beladen. Ich hatte das Geld noch immer und wußte nicht, was damit anfangen. Endlich fiel mir ein, mich nach einem hohlen Baume umzusehen, in dem ich es verbergen könnte, bis ich es brauchen würde. Ich war recht froh über diesen Einfall und sah mich alsbald nach einem Baume um. Allein auf den Feldern waren keine Bäume, die mir für mein Vorhaben geeignet schienen. Und wenn ich einen erblickte, den ich genauer in Augenschein zu nehmen gedachte, so war das Feld so voller Volk, daß man mich unbedingt gesehen haben würde, wenn ich etwas hätte verbergen wollen. Ja, ich bildete mir sogar schon ein, daß aller Augen auf mich gerichtet wären und daß mir zwei Männer auf dem Fuße folgten, um zu sehen, was ich vornehmen würde.

Dies trieb mich noch weiter fort, bis ich in der Stadt ein Gäßchen hinabging, das auf die Blind Beggars zugeht. Als ich durch das Gäßchen ging, fand ich einen Fußsteig, der über die Felder führte, und auf diesen Feldern verschiedene Bäume, die mir für mein Vorhaben passend schienen. Ich fand einen, in welchen von oben ein Loch hineinging. Es war aber so hoch, daß ich es nicht erreichen konnte, und ich kletterte daher den Baum hinauf. Als ich an das Loch kam, steckte ich meine Hand hinein und hielt es für einen sehr geeigneten Ort, meinen Schatz zu verbergen, worüber ich sehr froh war. Als ich meine Hand wieder hineinsteckte, um das Päckchen noch bequemer hinzulegen, entwischte es mir plötzlich und fiel so tief in den hohlen Baum hinunter, daß ich es nicht erreichen konnte, wußte auch nicht, wie weit das Loch hinunterging. Mit einem Wort, all das Geld war fort und unwiederbringlich verloren, und ich hatte nicht die geringste Hoffnung, es jemals wieder zu sehen, zumal es ein sehr großer und starker Baum war.

So jung ich war, so merkte ich doch, was ich für ein Narr gewesen war, so weit herzulaufen und das Geld in ein Loch zu werfen, aus dem ich es nicht wieder herausbekommen konnte. Ich steckte meine Hand bis zum Ellenbogen hinein, allein da war kein Boden noch Ende zu verspüren. Ich brach einen Stecken vom Baum und stieß diesen ein gutes Stück hinein, aber es war vergebliche Arbeit. Da fing ich an zu weinen, ja zu heulen und zu schreien, und war so aufgeregt, daß ich den Baum bald hinab bald hinauf stieg und meine Hand ein über das andere Mal hineinsteckte, bis ich mir den Arm ganz zerritzt hatte, daß er blutete, und ich mittlerweile ganz jämmerlich weinte. Und wenn ich daran dachte, daß ich nunmehr nicht einen einzigen Groschen übrig hätte, so daß ich nicht einmal meinen hungrigen Magen stopfen konnte, fing ich von neuem an zu heulen. Bald lief ich voller Verzweiflung fort, heulte und schrie wie ein kleiner Bube, der ausgepeitscht worden; bald lief ich wieder zum Baume und kletterte an ihm hinauf und hinab. Dies tat ich zu verschiedenen Malen.

Das letztemal stieg ich den Baum auf der andern Seite hinauf, als ich bisher hinauf- und hinuntergestiegen war, und kam also auch auf der andern Seite des Hügels hinunter. Da hatte denn der Baum ganz dicht über der Erde eine große Öffnung, wie alte Bäume öfters zu haben pflegen. Und als ich in diese offene Stelle hineinblickte, lag zu meiner unaussprechlichen Freude mein Geld noch eingewickelt in den Lumpen darin, wie ich es in das Loch hineingesteckt hatte. Denn weil der Baum von oben bis unten ganz hohl gewesen war, mochte wohl einiges Moos oder anderes Zeug inwendig nachgegeben haben, als ich das Geld aus meiner Hand fallen ließ, und war auf einmal ganz hinuntergerutscht.

Ich war noch ein Kind und freute mich auch wie ein Kind, ich schrie vor Freude so laut ich konnte, als ich es wieder hatte. Ich hob es geschwinde auf, herzte und küßte den dreckigen Lumpen wohl an hundertmal, tanzte und sprang umher und hüpfte von einem Ende des Feldes bis ans andere. Kurzum ich wußte nicht, was ich tat, und will es auch niemandem verraten. Doch werde ich wohl mein Lebenlang nicht vergessen, welchen Kummer meinem Herzen der Verlust verursachte, und welcher Strom von Lust mich gleichsam überschwemmte, als ich es wiedergefunden hatte.

Als ich mich etwas beruhigt hatte, setzte ich mich nieder, machte den schmutzigen Lumpen auf, worin das Geld war, zählte es nach und fand, daß noch alles beisammen lag. Dann fing ich wieder so arg an zu weinen wie vorher, als ich glaubte, alles verloren zu haben.

Ich würde den Leser ermüden, wenn ich alle die kindischen Possen erzählen wollte, die ich vor ausgelassenster Freude und Zufriedenheit trieb, als ich mein Geld wieder hatte. Die Freude ist eine ebenso ausschweifende Leidenschaft wie die Traurigkeit. Nachdem ich älter geworden, habe ich öfters daran gedacht, wenn dergleichen einen erwachsenen Menschen trifft, daß er all sein Hab und Gut verliert und nicht einen Bissen Brot mehr zu essen hat, daß er dann Hand an sich legen oder vor Freude sterben würde, wenn er auf so seltsame Weise wiederfände, was er schon vollkommen aufgegeben hatte.

Ich begab mich nun mit meinem Gelde fort. Nachdem ich sechs Groschen herausgenommen hatte, ging ich in einen Kramladen und kaufte mir für einen halben Groschen Semmeln und für einen halben Groschen Käse dazu, setzte mich vor die Tür, wo ich es gekauft hatte, nieder und aß es mit gutem Appetit auf, bat dann um ein wenig Bier, welches mir die gute Frau auch willig reichte. Hierauf begab ich mich in die Stadt, um zu sehen, ob ich einige von meinen Kameraden finden könnte, und nahm mir vor, keine hohlen Bäume mehr zur Verbergung meines Schatzes auf die Probe zu stellen. Als ich von Whitechapel herkam, gelangte ich zu einem Trödlerladen, der Kirche gegenüber, wo alte Kleider zu verkaufen waren, denn ich hatte nichts als zerrissene Lumpen an. Ich blieb bei der Bude stehen und sah mich unter den Kleidern, die vor der Tür hingen, ein Weilchen um, worauf ein Mann, der in der Tür stand, zu mir sagte: Guter Freund, was beliebt euch? Sucht ihr etwas, was euch paßt? Wollt ihr einen hübschen Rock kaufen? Denn ihr seht fast so aus, als ob ihr zu einem gar lumpigen Regiment gehöret! Da mich diese Rede verdroß, sagte ich zu dem Kerl: Was geht es euch an, ob ich lumpig aussehe. Wenn ich etwas gefunden hätte, was mir gefiele, so würde ich schon das Geld gehabt haben, es auch zu bezahlen. Allein ich kann ja dorthin gehen, wo ich mir etwas ansehen kann, ohne zuvor verspottet zu werden.

Als ich dem Kerl dieses ziemlich dreist gesagt hatte, kam eine Frau heraus und sprach: Was beliebt euch? Und zu dem Manne sagte sie: Mußt du denn unsere Kundschaft so grob abschrecken? Das Geld eines armen Kerls ist mir genau soviel wert wie das des Bürgermeisters! Wenn arme Leute keine Kleider kauften, würde es schlecht mit unserm Handel aussehen! Worauf sie sich wieder zu mir wandte und sagte: Komm her, mein Kind, wenn dir etwas gefällt, was ich habe, so brauchst du dich nicht erst von jenem anschnauzen zu lassen. Dieses Bürschchen ist ein artiges Bürschchen, sprach sie zu einer andern Frau. die mittlerweile herzugekommen war. Es ist wahr, sprach die andere: der Bursche sieht sehr nett aus und wenn er reinlich und gut gekleidet wäre, so könnte er ganz gut für eines Edelmannes Sohn gelten! Komm her, mein Kind, sprach die Händlerin, sage mir, was du haben willst!

Es gefiel mir ungemein wohl, daß man mich für eines Edelmannes Sohn hielt, als ich aber bedachte, daß sie zugleich mein schmutziges, lumpiges Aussehen erwähnt hatte, stiegen mir die Tränen auf.

Sie drang in mich, ich sollte ihr nur sagen, ob mir etwas gefiele. Ich antwortete, ich sähe nichts für mich darunter, da alle Kleider, die aushingen, für mich wohl zu groß wären.

Komm her, Kind, sprach sie, ich habe hier zwei Sachen, die dir gut passen werden, und ich versichere dir, dies sind ein paar gute, feste Hosen. Und wenn du soviel Geld bekommen solltest, daß du nicht weißt, wohin damit, so sind hier ein paar vortreffliche Taschen mit kleinen Nebenfächern, um Gold oder die Uhr hineinzustecken, wenn du eine bekommst.

Ich empfand eine rechte Freude, daß ich einen Platz für mein Geld bekommen sollte, damit ich nicht mehr nötig hätte, es in einem hohlen Baume zu verbergen. Ich riß der Frau die Hosen vor Freude gleichsam aus der Hand und wunderte mich, daß ich ein solcher Narr gewesen war und nicht früher daran gedacht hatte, mir ein Paar Hosen zu kaufen, die auch eine Tasche hätten, mein Geld hineinzustecken und nicht gezwungen sein müssen, es zwei ganze Tage in meinem Schuh oder in der Hand herumzuschleppen. Mit einem Wort, ich gab ihr zwei Schillinge für die Hosen, ging hinüber auf den Kirchhof, wo ich sie anzog, steckte mein Geld in meine neuen Taschen und war so vergnügt in meinem Herzen wie ein Prinz in seiner Kutsche mit sechs Pferden. Ich bedankte mich bei der guten Frau auch wegen des Hutes und sagte ihr, ich wollte wiederkommen, wenn ich mehr Geld hätte, um noch einige andere notwendige Sachen zu kaufen.

Nun hielt ich mich für einen Mann, nachdem ich eine Tasche bekommen hatte, in welche ich mein Geld hineinstecken konnte. Ich machte mich nun auf, meinen Kameraden zu suchen, von dem ich das Geld bekommen hatte. Allein ich wußte vor Schreck nicht, wie mir geschah, als ich hörte, daß er in Untersuchungshaft abgeführt worden sei. Ich zweifelte keineswegs, daß es wegen der Brieftasche sei und daß ich ebenfalls dahin geführt werden würde. Als mir dann meines armen Bruders, des Hauptmanns Hannes, Stockschilling einfiel, und daß ich ebenso grausam gepeitscht werden würde, geriet ich in solchen Schrecken, daß ich nicht wußte, was ich tun sollte. Des Nachmittags aber traf ich ihn, er war zwar dieses Handels wegen abgeführt worden, aber auch gleich wieder losgekommen. Die Sache verhielt sich folgendermaßen: Nachdem er am Tage vorher bei dem Zollhause so glücklich gewesen war, machte er wieder einen Spaziergang dorthin. Als er auf dem langen Platze herumstand und herumgaffte, ergriff ihn jemand beim Arme und rief einem von den Schreibern, die hinter ihm saßen, zu:

Das ist der junge Spitzbube, den ich gestern hier herumschleichen sah, als der Herr seine Brieftasche verlor, ich wette, daß er der Dieb gewesen ist. Hierauf sammelte sich das Volk haufenweise um den Jungen und sagte ihm die Tat gerade ins Gesicht. Allein er war auf dergleichen Dinge vorbereitet und bekannte nichts vor Schreck; sie hätten ihm auch schwerlich etwas beweisen können. Er hatte auch nicht das geringste Geld davon bei sich außer sechs Groschen und einigen lumpigen Pfennigen.

Sie drohten ihm, zerrten und zausten ihn so derb, daß sie ihm fast alle Kleider vom Leibe gerissen hätten, als ihn schließlich die Polizei ausfragte. Allein er gestand nichts und blieb dabei, daß er sowohl diesesmal wie auch das vorige nur durch die Stube gegangen sei, um sich ein wenig dort umzusehen. Da nun kein Beweis für die Tat aufzubringen war, sah die Polizei sich endlich genötigt, ihn wieder laufen zu lassen, trotzdem tat sie so, als wenn sie ihn in Untersuchung abführen wollte. Sie führten ihn auch wirklich bis vor die Tür des Gefängnisses, um ihn dadurch vielleicht zu einem Bekenntnis zu bringen. Allein er gestand nichts. Und weil sie keinen Befehl zum Verhaften hatten, so durften sie ihn nicht in das Haus führen, wo die Leute ihn ohne Befehl auch nicht angenommen hätten. Als sie nun nichts aus Will – denn dies war sein Name – herausbringen konnten, führten sie ihn in ein Bierhaus und sagten ihm, daß verschiedene Wechsel von großem Werte in der Brieftasche gewesen wären, daß diese dem Spitzbuben, der sie hätte, nichts nützen könnten, für den Herrn aber, der sie verloren, einen großen Schaden bedeuteten, und daß er versprochen, demjenigen 30 Pfund Sterling zu geben, der ihm die Wechsel wiederbrächte, auch ihm keine Ungelegenheiten zu machen.

Will war eben erst aus ihren Händen entronnen, als ich ihn antraf. Er erzählte mir die ganze Begebenheit und sagte: Ich habe nichts bekannt, und so bin ich ungestraft davongekommen und ihnen diesesmal entwischt.

Das ist mir lieb, sagte ich, aber was willst du nun mit der Brieftasche und den Wechseln machen? Willst du sie dem armen Manne nicht wieder zukommen lassen?

Das werde ich wohl bleiben lassen, war seine Antwort, was frage ich nach den Wechseln?

Es schien mir, so jung ich auch war, etwas Grausames zu sein, einem Manne Wechsel von großem Werte fortzunehmen und selbst nicht den geringsten Vorteil davon zu haben. Denn ich meinte, daß derjenige, dem die Wechsel gehörten, alles wiederbekommen und wir beide ein gutes Stück Geld dabei verdienen könnten. Es schien mir unverantwortlich, daß Will die Wechsel behielt und den armen Mann für nichts und wieder nichts um soviel Geld brachte. Und obgleich ich es nicht recht verstand, so lastete es doch schwer auf mir, so daß ich bei jeder Gelegenheit zu ihm sagte: Gib doch dem armen Manne seine Wechsel wieder, tu es doch bitte! Tu es doch! Ich plagte ihn so lange damit, bis er unwirsch wurde und sagte: Du willst wohl, daß man mich ausfindig macht und ins Gefängnis abführt und mich so auspeitscht wie deinen Bruder, den Hauptmann Hannes?

Nein, antwortete ich, das will ich nicht, aber ich möchte, daß der Mann seine Wechsel wieder bekommt, die dir doch nichts nützen können.

Und als ich von neuem anfing ihn zu drängen, schnauzte er mich an und sagte: Wie soll ich sie ihm denn wieder zustellen, wer soll sie denn hintragen, ich für meinen Teil bedanke mich dafür. Denn sie werden mich anhalten, den Goldschmied herbeirufen, um zu sehen, ob er mich kennt. und dann wird es herauskommen, daß ich das Geld empfangen und den Diebstahl begangen habe, und ich werde an den Galgen wandern müssen. Willst du denn, daß ich gehängt werden soll, Hannes?

Hierdurch wurde ich für eine gute Weile zum Schweigen gebracht, da ich hierauf nichts zu erwidern wußte. Allein eines Tages rief er mich zu sich und sprach: Oberst Hannes, ich habe ein Mittel ersonnen, wie der Mann seine Wechsel bekommen könnte, wenn du nur ehrlich an mir handeln wolltest, wie ich ehrlich an dir gehandelt habe.

Wahrhaftig, Will, sagte ich zu ihm, ich will ehrlich gegen dich sein, sage mir, wie es zu machen ist! denn ich wollte gern, daß er seine Wechsel wieder hätte.

Höre, sagte Will, die Leute haben mir erzählt, daß er demjenigen 30 Pfund Sterling geben wolle, der ihm die Wechsel wiederbrächte, auch ihn nicht im geringsten weiter belangen würde. Nun denke ich, du könntest als armer unschuldiger Knabe in den langen Saal gehen und dem Schreiber sagen. wenn der Herr, der die Brieftasche verloren, seinem Versprechen nachkommen würde, so glaubtest du sie beschaffen zu können. Wenn sie nun höflich gegen dich sind und das Versprechen einhalten, so sollst du die Brieftasche haben, um sie ihnen zu bringen. Allein, Oberst Hannes, setzte er hinzu, wenn sie dich nun beim Kopfe kriegen und dir mit einem Stockschilling drohen, wirst du mich ihnen dann verraten?

Nein, sprach ich, und wenn sie mich zu Tode peitschen sollten, ich würde es ihnen nicht entdecken!

Nun denn, sprach er, da hast du die Brieftasche, und geh! Dann gab er mir Anweisungen, wie ich mich zu verhalten und was ich zu sagen hätte. Doch wollte ich die Brieftasche nicht mit mir nehmen, damit sie, wenn sie mich festnehmen sollten, nichts bei mir finden und mich des Diebstahls nicht beschuldigen könnten. Also ließ ich die Tasche bei ihm. Am folgenden Morgen ging ich nach unserer Verabredung aufs Zollhaus. Aus dem, was sich dort ereignete, wird hervorgehen, welche Anweisungen er mir gegeben hatte, die ich hier, um eine Wiederholung zu vermeiden, mit Stillschweigen übergehen will. Dies war gewiß kein Geschäft für einen so jungen Knaben, der in der Spitzbüberei noch wenig geübt war. Zwei Dinge hatte ich mir aber fest vorgenommen. Vorerst, daß der Mann seine Wechsel wiederhaben sollte, denn es schien mir grausam, wenn er um sein Geld käme, nur weil wir die Brieftasche nicht wiederbringen wollten, dann, daß ich, möge kommen was da wolle, meinen Kameraden Will nie und nimmer verraten wollte. Mit diesen edlen Gedanken und mit einem männlichen Herzen, wenn auch mit kindlichem Verstand, ging ich am folgenden Tage in den langen Saal im Zollhause. Sobald ich an den Ort kam, wo die Tat geschehen war, sah ich den Schreiber an demselben Ort sitzen, wo er auch damals gesessen hatte. Ich trat hinzu und ging an die Seite des Schreibtisches, der so hoch war, daß ich meinen Arm hinauflegen konnte. Wie ich so dastand, stieß mich einer hierhin, der andere dorthin, und der Mann, der hinten saß, wurde mich gewahr. Endlich rief er: Was hat der Junge da zu suchen? Fort, geh deiner Wege. Bist wohl auch einer von den Galgenvögeln, die dem ehrlichen Herrn vergangenen Montag die Brieftasche gestohlen haben? Hierauf wandte er sich an einen andern, mit dem er gerade sprach, und fuhr fort: Hier verlor Herr N. letzten Montag durch einen unglücklichen Zufall seine Brieftasche. Hier stand er, gerade auf der Stelle, und zog, indem er seine Waren aufmachte, seine Brieftasche heraus und legte sie hin. Kaum hatte er sie aus der Hand gelegt, als sie in demselben Augenblicke auch schon ein Junge, während er mit der Feder ins Tintenfaß tauchte, gestohlen hatte.

Wer mag der Spitzbube wohl gewesen sein? fragte der andere.

Das weiß kein Mensch, aber einer von unsern Aufsehern will ein paar junge Galgenvögel gesehen haben, wie dieser da – indem er mit dem Finger auf mich wies – die, ehe man sichs versehen habe, verschwunden gewesen wären. Jedenfalls ist der Verlust ein ungeheurer Schaden für den Mann.

Meines Erachtens sollte er eine Belohnung aussetzen und solches öffentlich bekannt geben, damit diejenigen, welche die Tasche haben, bewogen würden sie wiederzubringen. Ich glaube ganz bestimmt, er würde dann alsbald zu seiner Tasche kommen.

Er hat es schon an der Tür anschlagen lassen, sagte der andere, daß er eine Belohnung dafür geben will.

Das ist ganz gut, er sollte aber auch versprechen, denjenigen, der sie wiederbringt, weder anzuhalten noch ihm irgendwelche Ungelegenheiten zu machen.

Auch das hat er getan, allein ich fürchte, die Diebe werden der Sache nicht trauen.

Das ist wohl wahr, er könnte in einem solchen Falle sein Wort brechen. Das sollte aber niemand tun, denn sonst wird es kein Spitzbube mehr wagen, Gestohlenes wiederzubringen, und hierdurch würden andere, die nach ihm Schaden leiden, großen Nachteil erleiden.

Soweit sprachen sie hiervon, dann redeten sie von etwas anderem. Ich hörte alles mit an, wußte aber lange nicht, wozu ich mich entschließen sollte. Ich gab acht, bis der Herr fortging, und lief ihm nach, um mit ihm zu reden, allein er ging sehr schnell an das andere Ende des Saales in ein oder zwei Stuben hinein, die voller Menschen waren, und als ich ihm folgen wollte, stießen mich die Türwärter zurück und sagten, ich dürfte dort nicht hinein. Also ging ich zurück und schlenderte herum, zögerte und blieb dort so lange, bis ich die Uhr zwölf schlagen hörte, und das Volk in der Stube etwas lichter zu werden begann. Da sah ich ihn endlich sitzen und schreiben, ohne daß jemand bei seinem Tische stand wie den ganzen Morgen. Als ich ein wenig näher an den Tisch trat, sah er von seinem Schreiben auf und sagte zu mir: Ich habe dich den ganzen Morgen auf und ab schlendern sehen, was hast du hier im Sinne? Gewiß nichts Gutes!

Nein, Herr, ich habe nichts Böses vor, sagte ich.

Nun, es ist gut, versetzte er, wenn du nichts Böses im Sinne hast, was hast du denn aber hier in der langen Stube zu tun, da du kein Kaufmann bist?

Ich möchte gern ein paar Worte mit euch reden, sprach ich.

Mit mir, versetzte er, was hast du mit mir zu reden?

Ich habe euch etwas zu sagen, sprach ich, wenn ihr mir versprecht, daß ihr mir deswegen nichts tun wollt.

Kind, was sollte ich dir wohl tun, versetzte er ganz freundlich.

So kann ich mich darauf verlassen, daß ihr mir nichts tun werdet, sprach ich.

Ja, Kind, du kannst dich darauf verlassen, daß ich dir nichts tun will. Was hast du mir zu sagen? Weißt du vielleicht etwas von des Herrn Brieftasche?

Ich antwortete, redete aber so leise, daß er mich nicht verstehen konnte. Deshalb trat er hinüber in den Stuhl, der neben ihm stand, und ließ mich zu sich hinein kommen. Dann fragte er mich wieder, ob ich etwas von der Brieftasche wüßte. Ich redete wieder leise und sagte, die Leute würden ihn hören.

Da zischelte er leise und fragte mich wiederum. Ich sagte ihm nun, ich glaubte ihm etwas von der Brieftasche mitteilen zu können, ich hätte sie nicht und wäre auch nicht bei der Entwendung beteiligt gewesen, allein sie wäre einem Knaben in die Hände geraten, der sie hätte verbrennen wollen, wenn ich ihn nicht daran gehindert hätten und daß ich ihn hätte sagen hören, der Herr würde froh sein sie wiederzubekommen und würde auch eine Summe Geldes dafür geben.

Das habe ich gesagt, Kind, und wenn du die Brieftasche wiederbringen kannst, so soll er dir eine gute Belohnung, nämlich 30 Pfund Sterling, aussetzen.

Mein Herr, sprach ich, ihr sagtet auch, daß deswegen niemand ins Unglück kommen würde.

Nein, dir soll kein Unglück geschehen, darauf gebe ich dir mein Wort.

Sie dürfen mich aber auch nicht zwingen, andere Leute deswegen ins Unglück zu bringen.

Nein, du sollst nach keinem Namen gefragt werden, brauchst auch nicht zu sagen, wer derjenige gewesen ist, der die Brieftasche gestohlen hat.

Ich bin nur ein armer Junge und würde es gern sehen, daß der Herr seine Wechsel wieder bekäme, aber ich habe sie wahrhaftig nicht gestohlen und sie auch nicht bekommen.

Aber wie soll sie der Herr denn wiedererhalten?

Wenn ich sie bekommen kann, so bringe ich sie morgen früh zu euch.

Kannst du es nicht heute abend tun?

Ich glaube, ich könnte es tun, wenn ich nur wüßte, wohin.

Komm in mein Haus, wo ich wohne, mein Kind.

Ich weiß nicht, wo der Herr wohnt, sagte ich.

Komm mit mir, so wirst du es sehen. Alsdann führte er mich in die Towerstraße, zeigte mir sein Haus und befahl mir abends um 5 Uhr dahin zu kommen.

Als ich kam, fragte mich der Herr, ob ich das Buch bei mir hätte.

Es ist kein Buch, sprach ich.

Nun, die Brieftasche, sagte er, es ist dasselbe.

Ihr verspracht mir doch, mein Herr, daß mir nichts geschehen sollte, sagte ich und fing an zu weinen.

Fürchte dich nicht, mein Sohn, ich will dir nichts tun, kein Mensch soll dir etwas tun, du armer Junge!

Hier ist sie, sprach ich und zog die Tasche heraus. Hierauf führte er denjenigen herein, dem die Brieftasche gehörte, und fragte ihn, ob es die rechte sei, was jener bejahte.

Dann fragte er mich, ob alle Wechselbriefe darin wären.

Ich antwortete ihm, ich hätte sagen hören, daß einer davon fehle, ich glaubte aber, daß alle übrigen darin wären.

Warum glaubst du das, fragte er.

Weil ich den Jungen, der sie, wie ich glaube, gestohlen hat, sagen hörte, sie seien zu groß für ihn, er könnte nichts damit anfangen.

Hierauf fragte der Herr, dem die Tasche gehörte, wo ist der Junge?

Da fiel ihm der andere ins Wort und sagte: Nein, danach dürft ihr ihn nicht fragen, ich habe ihm mein Wort gegeben, daß dies nicht geschehen und daß er nicht gezwungen werden solle es jemandem zu sagen.

Dann, mein Kind, sprach er, wollen wir die Brieftasche aufmachen und sehen, ob die Wechselbriefe alle darin sind.

Ja, sprach ich, tut das!

Also wieviel Wechselbriefe waren denn darinnen, fragte der erste Herr.

Nur drei, sprach er, außer dem Wechsel über 12 Pfund 10 Schillingen waren Herrn Stephan Evans Handschrift über 300 Pfund und noch zwei andere Wechsel darinnen.

Und wenn sie noch in der Brieftasche sind, so soll der Knabe 30 Pfund Sterling haben, nicht wahr?

Ja, sprach jener Herr, er soll sie haben.

So komm denn, Kind, sprach er, und laß die Tasche sehen.

Hiermit gab ich sie ihm und er öffnete sie. Es fanden sich alle drei Wechsel nebst verschiedenen andern Papieren noch schön sauber darinnen, es war nichts davon verwischt oder beschädigt. Der Kaufmann erklärte darauf, daß alles richtig sei.

Da sagte der erste Herr: ich habe dem armen Jungen für das Geld gebürgt.

Gut, sagte der andere, aber die Schelme haben 12 Pfund Sterling und 10 Schillinge bekommen, das soll als ein Teil von 30 Pfund abgerechnet werden.

Sie wechselten darüber einige Worte, so daß ich dachte, sie würden darüber in Streit geraten, allein sie gaben beide endlich ein wenig nach, und der Kaufmann gab mir 25 Pfund Sterling in Guineen, die er mir in meine Hand zählte. Als dieses geschehen war, fragte er mich, ob es mir so recht wäre.

Ich sagte, ich wüßte es nicht, ich glaubte es aber.

Warum glaubst du es, kannst du es nicht zählen?

Ich antwortete, ich hätte meiner Lebtage nicht soviel Geld beisammen gesehen, hätte auch nicht zählen gelernt.

Weißt du denn auch, daß es Guineen sind? fragte er.

Nein, sagte ich ihm, ich wüßte nicht, wieviel ein Guinee wäre.

Warum sagtest du denn, sprach er, du glaubtest, daß es recht wäre?

Ich gab ihm zu erkennen, daß ich ihm vertraute, er würde mir nicht unrecht tun.

Du armes Kind, sprach er, du weißt so wenig von der Welt, wer bist du?

Ich bin ein armer Junge, sprach ich und fing an zu weinen.

Wie heißt du, doch halt, ich habe vergessen, daß ich dir versprochen, dich nicht nach deinem Namen zu fragen. also hast du nicht nötig, mir ihn zu nennen.

Ich heiße Hannes?

Hast du denn keinen andern Namen außer Hannes?

Ja, sie nennen mich Oberst Hannes.

Aber hast du keinen andern Namen?

Nein, sagte ich.

Wie kommt es denn, daß du Oberst Hannes genannt wirst?

Sie sagten mir, sprach ich, mein Vater hätte Oberst geheißen.

Sind deine Eltern noch am Leben?

Nein, mein Vater ist tot.

Wo ist denn deine Mutter, fragte er.

Ich habe niemals eine Mutter gehabt.

Dieses brachte ihn zum Lachen. Was, sagte er, du hast keine Mutter gehabt? Was hast du denn gehabt, wenn du keine Mutter gehabt hast?

Ich hatte eine Pflegerin, sprach ich, aber sie war nicht meine Mutter.

Ich versichere euch, sprach er zu dem Kaufmann, dieser Knabe ist nicht der Dieb gewesen.

Wahrhaftig, mein Herr, ich habe sie nicht gestohlen, rief ich und fing wieder an zu weinen.

Nein, nein, mein Kind, sagte er, wir glauben es dir ja, daß du es nicht getan hast.

Dies ist ein artiger und ehrlicher Junge, sagte er zu dem andern Herrn, aber sehr unwissend.

Es ist schade, daß sich keiner um ihn bekümmert und nichts für ihn getan wird. Wir wollen uns ein wenig länger mit ihm unterhalten. Sie setzten sich nieder, tranken Wein und schenkten mir auch etwas ein. Dann redete mich der erste Herr wieder an: Was willst du nun mit dem Gelde anfangen?

Das weiß ich nicht, sprach ich.

Wo willst du es denn hinlegen? fragte er.

In meine Tasche, versetzte ich.

In deine Tasche? Ist deine Tasche auch heil? Wirst du es auch nicht verlieren?

Nein, sagte ich, meine Tasche ist heil.

Und wohin willst du es tun, wenn du heim kommst?

Ich habe kein Heim, sprach ich und fing wieder an zu weinen.

Du armes Kind, sagte er, womit bringst du denn dein Leben hin?

Ich besorge Wege für die Leute im Rosmariengäßchen, wenn sie niemanden sonst zu schicken haben.

Wo hast du denn dein Nachtquartier?

Ich schlafe in der Glashütte, sprach ich.

Wie, du schläfst in der Glashütte, gibt es denn dort Betten?

Ich habe meiner Lebtag nicht in einem Bette gelegen, soviel ich mich erinnern kann.

Worauf liegst du denn in der Glashütte?

Auf der Erde, sprach ich, bisweilen auf Stroh oder in der warmen Asche.

Da sagte der Herr, dem die Wechsel gestohlen worden waren: Dieses arme Kind stimmt mich traurig bis zum Weinen und läßt mich Gott danken, daß er mich nicht in solch ein Elend hat geraten lassen. Die Tränen steigen mir dabei in die Augen.

Mir auch, versetzte der andere.

Aber höre doch, Hannes, sprach der erstere Herr, gaben sie dir denn kein Geld dafür, wenn sie dich fortschicken?

Sie gaben mir zu essen, sagte ich, und das ist mir lieber.

Aber woher bekommst du Kleidung, oder was mußt du dafür tun?

Sie geben mir bisweilen alte Sachen, die sie ablegen und nicht mehr brauchen, antwortete ich.

Ich glaube, du hast wohl nicht einmal ein Hemd auf dem Leibe, du armer Schelm, fuhr er fort, oder hast du eines an?

Nein, sprach ich, ich habe seit meiner Pflegemutter Tode kein Hemd mehr auf dem Leibe gehabt.

Wielange ist das wohl her, fragte er.

Sechs Winter, wenn dieser vorüber ist. antwortete ich.

Wie alt bist du denn? fragte er.

Das kann ich nicht sagen, sprach ich.

Willst du dir nun nicht von diesem Gelde einige Kleider und vor allem ein Hemd kaufen, fragte er.

Ja, sprach ich, ich werde mir einige Kleider kaufen.

Was willst du denn mit dem übrigen machen, fragte er.

Das weiß ich nicht, versetzte ich und fing an zu weinen.

Warum weinst du, Hannes, sprach er.

Ich fürchte mich, sagte ich und weinte wieder.

Wovor fürchtest du dich denn? fragte er.

Sie werden merken, daß ich Geld habe, sagte ich.

Wer wird es merken? fragte er.

Die Jungen in der Glashütte, sagte ich.

Was schadet denn das, sprach er, laß sie es doch ruhig merken.

Ich kann dann nicht mehr in der warmen Glashütte schlafen und werde wohl erfrieren müssen, sprach ich.

Aber warum kannst du denn nicht mehr dort schlafen?

Weil sie mir mein Geld fortnehmen werden, gab ich zur Antwort.

Ich wette, sagte der Schreiber, als dieser arme Junge noch kein Geld gehabt hat, hat er die ganze Nacht hindurch auf dem Stroh oder in der warmen Asche in der Glashütte sanft und sorgenlos geschlafen wie es nur ein Mensch mit vollkommener Gemütsruhe kann, nun aber, sobald er Geld bekommen, erfüllt die Sorge, es zu behalten, ihn mit Furcht.

Sie fragten mich noch nach allerhand anderen Dingen, worauf ich ihnen in meiner kindischen Einfalt antwortete, so gut ich konnte, aber doch so, daß sie wohl ganz zufrieden damit zu sein schienen. Ich begab mich endlich mit einer schweren Tasche und keinem leichten Herzen fort. Ich war voller Furcht wegen des vielen Geldes, das ich bekommen hatte, weil ich doch nicht wußte, was ich damit anfangen sollte. Ich ging immer weiter, hätte aber nicht sagen können wohin, oder was ich vorhätte. Nachdem ich zwei gute Stunden umhergewandert war, ging ich wieder zurück bis an des Herrn Tür, ich setzte mich dort nieder, wagte aber nicht noch einmal anzuklopfen. Ich hatte nicht lange dort gesessen, als mich jemand von den Leuten im Hause bemerkte. Eine Magd kam und redete mich an. Ich gab ihr aber wenig zur Antwort, sondern weinte nur. Endlich kam es dem Herrn zu Ohren. Der Kaufmann war schon fortgegangen. Als der Herr von mir hörte, rief er mich herein und fing aufs neue an mit mir zu reden und fragte mich, worauf ich noch wartete. Ich sagte ihm, daß ich nicht die ganze Zeit dort gewartet hätte, sondern daß ich eine gute Weile fortgewesen wäre, aber jetzt zurückgekehrt sei.

Aber weshalb bist du wiedergekommen? fragte er.

Ich weiß es selbst nicht, sagte ich.

Warum weinst du denn aber so sehr, fuhr er fort. Ich will nicht hoffen, daß du dein Geld verloren hast. Hast du es noch?

Nein, sprach ich, ich habe es nicht verloren, ich fürchte aber, daß ich es verlieren könnte.

Und deshalb weinst du? fragte er.

Ich sagte ihm, ich wüßte gewiß, ich würde nicht imstande sein das Geld zu behalten, sondern sie würden mich darum betrügen oder vielleicht gar totschlagen, um es mir wegzunehmen.

Nun, Hannes, sprach er, wie soll ich dir denn helfen? Willst du das Geld bei mir lassen, daß ich es dir aufhebe?

Ja, sagte ich, wenn der Herr so gut sein will.

So komm, sprach er, und gib es mir, und damit du eine Sicherheit hast, will ich dir einen Wechsel dafür geben, und den kannst du sicher genug aufheben. Und wenn du ihn verlieren solltest, oder man ihn dir auch vielleicht stehlen würde, so soll doch niemand das Geld empfangen als du selbst, kein anderer Mensch soll davon auch nur einen Schilling in die Hände bekommen.

Da zog ich das Geld heraus und gab es ihm. Ich behielt nicht mehr als 15  Schillinge für mich, um einige Kleider zu taufen. Hiermit war unser Gespräch für dieses Mal zu Ende. Nachdem ich also mein Geld zu meiner vollkommenen Befriedigung in Sicherheit gebracht hatte, beruhigte sich mein Gemüt wieder, und die traurigen Gedanken, die mich vorher geplagt hatten, verschwanden.


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