Daniel Defoe
Moll Flanders
Daniel Defoe

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An demselben Abend, als man mich nach Newgate brachte, ließ ich es meine alte Hofmeisterin wissen, die, wie man sich leicht denken kann, sehr bestürzt darüber war und die Nacht fast ebenso übel außerhalb Newgate verbrachte wie ich drinnen.

Sie besuchte mich am folgenden Morgen, tröstete mich, so gut sie konnte, sah aber, daß es nichts nützen würde. Sie sagte endlich: Wer unter der Last niedersinkt, macht sie nur um so schwerer dadurch. Sie ging hin und versuchte alle Mittel, um den befürchteten Ausgang zu hintertreiben. Zuerst machte sie sich an die beiden wütenden Mägde, die mich ergriffen hatten, suchte sie zu gewinnen und zu überreden, auch mit Geld zu bestechen, kurz auf allerhand Art und Weise von fernerer Anklage abzuhalten. Der einen bot sie sogar 100 Pfund, daß sie von ihrem Herrn weggehen und nicht gegen mich zeugen sollte, aber obgleich die Magd nur um drei Pfund jährlich diente, schlug sie dennoch diesen Antrag rundweg ab und hätte nicht 500 Pfund genommen. Die andere Magd war nicht so störrisch und ließ sich zur Barmherzigkeit bewegen, aber die erste gab ihr den Rückhalt und wollte nicht einmal zugeben, daß die Alte mit der andern rede, drohte vielmehr, sie selbst beim Kragen nehmen zu lassen, weil sie Zeugen bestechen wolle.

Hierauf wandte sich die Alte an den Herrn, dem die Waren gehörten, die ich hatte stehlen wollen, besonders hielt sie sich an die Frau, welche anfangs einiges Mitleid mit mir bezeigt hatte. Diese fand sie auch noch in derselben guten Meinung, der Mann aber wandte ein, er habe nun A gesagt, nun müsse er auch B sagen, sonst würde er sich selbst zu Schaden bringen.

Manchen Tag brachte ich in unbeschreiblichem Kummer zu. Ich sah den Tod vor Augen und dachte an nichts anderes als an Galgen und Strick, an böse Geister und Teufel. Es ist nicht zu beschreiben, wie ich schwach wurde durch die unerträgliche Todesfurcht und durch die Gewissensbisse, die ich hatte, wenn ich mir mein abscheuliches Leben vorhielt.

Der Gefängnisprediger in Newgate kam zu mir und redete etwas auf seine Art daher, aber seine ganze Predigt lief darauf hin, daß ich mein Verbrechen bekennen – obwohl er nicht einmal wußte, worin es bestand – und alle meine Gehilfen angeben sollte, sonst würde mir Gott nimmermehr vergeben. Er brachte so wenig geeignetes vor, daß ich nicht den geringsten Trost von ihm hatte. Ich bemerkte zugleich, daß der Mann, der mir des Morgens von Bekennen und Reue vorpredigte, am Mittage von Branntwein besoffen war. Ich bekam vor ihm einen Ekel, der sich nach und nach auf alle sein Reden und Tun erstreckte, so daß ich ihn endlich ersuchte, mir nicht weiter lästig zu fallen.

Ich weiß nicht wie es zuging, aber durch den unermüdlichen Fleiß meiner alten Hofmeisterin kam es, daß bei der nächsten Sitzung des Gerichts keine Anklage wider mich vorgebracht wurde, dadurch hatte ich vier bis fünf Wochen gewonnen.

Gleichwie das Wasser, das sich in den Felsenhöhlen sammelt, alles zu Stein macht, worauf es tröpfelt, so tat auch der stete Umgang mit den Höllenhunden in diesem Gefängnis eben diese Wirkung bei mir wie bei andern. Ich wurde härter als Stein, erst stumpf und unempfindlich, dann viehisch und sorglos, zuletzt so rasend toll wie nur einer unter ihnen. Kurz der Ort kam mir endlich so natürlich, so angenehm und bequem vor, wie wenn ich nicht nur dort geboren sondern auch dort aufgewachsen wäre. Man kann kaum glauben, daß die menschliche Natur so entarten kann, daß ihm dasjenige so gefällt und anmutet, was doch für ihn selbst das gräßlichste Elend bedeutet.

Ich war als eine alte Spitzbübin bekannt und hatte nichts als den Tod zu erwarten, ja ich dachte auch nicht einmal daran, daß ich daraus entkommen würde. Trotzdem wiegte sich meine Seele in Sicherheit, ich hatte keine Unruhe, keine Furcht, keine Sorge mehr, als der erste Schreck vorüber war. Es war mir, ich weiß nicht wie zumute. Meine Sinne, meine Vernunft, mein Gewissen waren abgestumpft und gefühllos. Meine letzten vierzig Jahre waren ein Gewebe von Hurerei, Ehebruch, Blutschande, Lüge, Dieberei, mit einem Worte aller Schandtaten außer Mord und Verräterei, das alles hatte ich getrieben von meinem achtzehnten bis fast zu meinem sechzigsten Jahre. Nun war ich ins Gefängnis gekommen, nur ein schmachvoller Tod konnte mich daraus erlösen, dennoch empfand ich meinen Jammer nicht, dachte weder an Himmel noch an Hölle, nur manchmal nebenbei, wie ein Stich oder Schmerz, der bald kommt und bald vergeht. Ich durfte die Gnade Gottes weder suchen noch daran denken, und hiermit habe ich meines Erachtens eine kurze Beschreibung des vollkommensten Elendes auf Erden gegeben.

An den greulichen Ort gewöhnte ich mich und heulte mit den Wölfen. Das Getümmel und Geplärre der Gefangenen machte mir ebensowenig Unruhe als ihnen selbst. Mit einem Wort, ich war schon eingebürgert und gab niemandem an Gottlosigkeit und Frechheit in ganz Newgate das geringste nach. Ich behielt auch kaum die wenigen guten Sitten und das anständige Wesen, das ich mit meiner Erziehung eingesogen hatte und das sich bisher noch immer in meinem Benehmen verraten hatte. So vollständig war ich entartet, als ob ich mein Leben lang nichts anderes als eine Gefangene in Newgate gewesen wäre.

Mitten in diesem verhärteten Leben ereignete sich ein Vorfall, der mich wieder Sorge empfinden ließ, wovon ich schon lange nichts mehr gewußt hatte. Man sagte mir eines Abends, daß am Tage vorher drei Straßenräuber hereingebracht worden seien, welche Reisende ausgeplündert hätten, worauf sie von dem Landvolk verfolgt und nach scharfem Widerstande endlich gefangengenommen worden wären.

Es ist nicht verwunderlich, daß wir Gefangenen alle miteinander Lust bekamen, diese tapferen Burschen zu sehen, von denen man sagte, daß sie nicht ihresgleichen hätten, besonders weil gemeldet war, daß sie am folgenden Tage nach einem anderen besseren Gefängnis, Pressyard genannt, geführt werden sollten, ein Vorzug, den sie mit ihrem Gelde erkauft hatten. Wir Weiber stellten uns am Gange auf, damit wir sie im Vorbeigehen betrachten könnten. Aber wie erstaunt war ich, als ich in dem ersten meinen Mann aus Lancashire erkannte, denselben, mit dem ich so gut gelebt, und den ich hernach gesehen hatte, als ich mit meinem letzten Manne Hochzeit machte.

Ich erstarrte und verstummte bei seinem Anblick, ich wußte nicht, was ich sagen oder tun sollte. Er erkannte mich nicht, und das war der geringe Trost, den ich noch dabei hatte. Ich verließ die Mitgefangenen und zog mich so weit zurück, als es in dem abscheulichen Orte anging, weinte und heulte heftig eine lange Zeit. Das Entsetzen, das ich darüber empfand – denn ich schrieb mir allein sein Unglück zu – ging mir mehr zu Herzen und verursachte mir mehr Nachdenken als alles andere, was mir vorher begegnet war. Ich grämte mich Tag und Nacht, um so mehr, als man mir sagte, er sei der Hauptmann der Bande und habe so viele Räubereien begangen, daß der berühmte Straßenräuber Hind oder der Goldene Pächter im Vergleich zu ihm nur Stümper gewesen seien. Er würde auch ganz gewiß gehenkt werden, denn es würden eine Menge Kläger gegen ihn auftreten.

Der Kummer, den ich seinetwegen hatte, überwältigte mich ganz und gar, mein eigenes Herzeleid griff mich lange nicht so an als die Vorwürfe, die ich mir über seinen Zustand machte, und die schwer auf mir lasteten. Ich beweinte mein Unglück und sein Verderben so heftig, daß ich mich nicht mehr wie zuvor trösten lassen wollte. Dazu stellte sich das Grauen vor dem Ort und der Ekel vor der dortigen Lebensart aufs neue bei mir ein. Nun war ich wieder völlig verändert, wieder ein ganz anderer Mensch geworden.

Während ich nun in solcher Qual rang, lief die Nachricht ein, daß ich bei der nächsten Gerichtsverhandlung ins Verhör genommen werden sollte.

Sobald ich nur daran dachte, brach ich in Verzweiflung aus: was wird aus mir werden? Was soll ich tun? Es ist um mich geschehen, mir ist der Strick sicher! Da ich auch niemanden hatte, dem ich meine Schwermut mitteilen konnte, so drückte sie mich so arg, daß ich eine Ohnmacht über die andere bekam. Ich ließ meine alte Hofmeisterin holen, welche in Wahrheit wie eine ehrliche Freundin an mir handelte. Sie wandte alle Mittel an, damit die Geschworenen keine Anklage gegen mich finden möchten, sie ging zu verschiedenen von ihnen, sprach mit ihnen und versuchte, ob sie nicht den einen oder den andern gewinnen könnte, da ich doch nichts weggenommen, auch nicht in das Haus eingebrochen und so weiter. Allein es wollte alles nichts helfen, die beiden Mägde beschworen die Tat, und die Anklage lautete auf Diebstahl und Einbruch.

Meine Hofmeisterin war mir eine wahre Mutter, sie beklagte mich und weinte um mich, aber sie vermochte mir nicht zu helfen. Und damit mir ja rechtschaffen bange werden sollte, redete jedermann im Gefängnis von nichts anderem, als daß ich würde verurteilt werden. Ich mußte es so oft anhören, wenn sie untereinander den Kopf schüttelten und sagten, es täte ihnen leid, und dergleichen. Niemand aber gab mir seine Gedanken zu verstehen, bis zuletzt einer von den Wächtern zu mir kam und seufzend zu mir sagte: Meine gute Frau Flanders, am Freitag werdet ihr vor Gericht erscheinen müssen – es war Mittwoch – was werdet ihr tun?

Ich wurde blaß wie eine Leiche und sprach: Gott weiß, was ich tun soll, ich weiß es nicht.

Er sagte: Ich will euch nicht hinters Licht führen, mein Rat wäre, ihr bereitetet euch hübsch auf den Tod vor, ich fürchte, man wird euch das Leben glatt absprechen, und da ihr schon eine alte Missetäterin seid, dürfte euch wenig Mitleid widerfahren. Er fügte hinzu, man sage, daß die Sache sonnenklar sei und daß die Zeugen ihre Aussage beschwören wollten, also würde gar nichts dawider zu tun sein.

Ich konnte lange Zeit kein Wort sprechen, weder ein gutes noch ein böses. Zuletzt brach ich in Tränen aus und fragte den Wächter, was ich denn tun müßte.

Er sagte, ich sollte einen Geistlichen holen lassen und mit ihm sprechen, denn wenn ich nicht einflußreiche Freunde hätte, sei es um mich geschehen.

Das war aufrichtig geredet, es machte mich sehr betrübt und kam mir hart vor. Ich befand mich nun in der größten Verwirrung und lag die ganze Nacht schlaflos. Ich sagte Gebete her: es war wirklich nur ein Hersagen, da mein Herz in solcher Angst war. Obgleich ich weinte und verschiedene Male die gewöhnlichen Worte: Herr, sei mir gnädig! wiederholte, hatte ich trotzdem kein Empfinden dabei, daß ich eine elende große Sünderin sei, die ich doch war. Ich war zu tief in die Betrachtung meines leiblichen Unglücks versunken, weil ich den Tod und meine Hinrichtung vor Augen sah. Hierüber rief ich Tag und Nacht aus: Herr, was wird aus mir werden? Herr, was soll ich tun? Herr, sei mir gnädig! und dergleichen.

Am Donnerstage wurde ich vorgeführt und angeklagt, am Freitag aber sollte die Sache ausgetragen werden. Bei der Anklage berief ich mich auf meine Unschuld und zwar mit Recht, denn man konnte mich keines Einbruchs überführen.

Die Klage lautete: Ich hätte diebischerweise zwei Stücke Brokat, 46 Pfund wert, Anton Johnson gehörig, entwendet und die Türen erbrochen. Und ich wußte doch, daß ich keine Klinke, geschweige denn eine Tür angerührt noch weniger erbrochen hatte.

Am Freitag sollte ich wieder vorgeführt werden, hatte mich aber zwei bis drei Tage dermaßen durch Weinen geschwächt, daß ich die Nacht vom Donnerstag zum Freitag besser schlief, als ich vermutete, und also mehr Mut bekam, als ich dachte.

Als nun die Sache untersucht wurde, und die Anklage verlesen war, wollte ich reden, man sagte mir aber, die Zeugen müßten erst vernommen werden, und alsdann stünde es mir frei zu sprechen. Die Zeugen waren nun die beiden halsstarrigen Mägde, welche die Sache, obschon sie im Grunde ihre Richtigkeit hatte, doch auf das äußerste vergrößerten und schwuren, daß ich die Waren gänzlich in meiner Macht gehabt und sie in meinen Kleidern versteckt gehabt, auch mich damit schon auf den Weg gemacht hätte. Den einen Fuß hätte ich schon aus der Tür gesetzt gehabt, wie sie dazu gekommen wären, auch den andern Fuß schon nachgezogen, wäre also sogar schon aus dem Hause auf der Straße gewesen, als sie mich gegriffen, um mir die Waren wegzunehmen. Die Tat an sich war nicht wegzuleugnen, ich berief mich aber darauf, daß ich den Fuß noch nicht über die Schwelle gesetzt hätte. Allein das wollte nicht viel helfen, denn ich hatte die Waren genommen und wäre damit entlaufen, wenn sie mich nicht angehalten hätten.

Ich wandte ein, es sei nichts gestohlen noch verloren worden, die Tür sei offen gewesen, ich sei mit dem Vorhaben hineingekommen etwas zu kaufen. Da ich nun niemand im Hause gesehen, hätte ich ein paar Stücke in die Hand genommen, woraus noch lange nicht zu schließen sei, daß ich hätte stehlen wollen, zumal ich sie nicht weiter bis an die Tür getragen hätte, damit ich sie bei Licht besehen könnte.

Das Gericht wollte diese Einwendungen nicht gelten lassen und lachte darüber, daß ich hätte Waren kaufen wollen, wo doch kein Laden war, die Mägde aber spotteten meiner, daß ich vorgäbe, ich hätte die Waren bei Licht besehen wollen, und stellten ihre naseweisen Betrachtungen darüber an, indem sie sagten, ich hätte sie zu gut besehen, und sie hätten mir zweifellos gefallen, weil ich sie schon aufgepackt und damit hätte forteilen wollen.

Kurz ich wurde des Diebstahls schuldig erklärt, vom Einbruch aber freigesprochen. Das war ein schlechter Trost, denn eines war zum Todesurteil schon genug, mit beidem zusammen wäre es auch nicht schlimmer ausgefallen.

Am folgenden Tage wurde ich zum dritten Male vor Gericht gebracht, um das schreckliche Urteil anzuhören. Als ich nun, wie es üblich war, gefragt wurde, ob ich noch etwas einzuwenden hätte, das den Urteilsspruch verhindern könnte, stand ich eine Zeitlang stumm, bis mich jemand ermunterte und mit lauter Stimme sagte, ich solle nur mit den Richtern sprechen, man könne die Sache noch günstig für mich auslegen.

Dies machte mir Mut und ich sagte: es sei zwar nichts einzuwenden, was den Spruch aufheben könnte, aber ich hätte viel zu sagen, um das Gericht zum Mitleid zu bewegen, ich hoffte, man würde mir in diesem Falle einige Gnade widerfahren lassen, da doch die Umstände so wären, daß ich keine Türen erbrochen, noch etwas weggeschafft hätte, und kein Mensch im geringsten dabei zu kurz gekommen sei, daß der Mann, dem die Sachen gehörten, selbst verlange, man möge Gnade für Recht ergehen lassen – was er auch treuherzig tat – kurz, ich redete mir größerer Kühnheit, als ich gedacht hatte, und dazu noch mit so bewegter Stimme, daß ich merkte, obgleich meine Augen voll Tränen standen, es rühre die Zuhörer so, daß viele sich des Weinens nicht enthalten konnten.

Die Richter saßen ernsthaft und still da und hörten mir aufmerksam zu, ließen mir auch Zeit alles vorzubringen, was ich nur wußte, sagten dazu aber weder Ja noch Nein, sondern sprachen das Todesurteil gegen mich aus.

Es läßt sich leichter denken als beschreiben, wie mir zumute war. Der Tod stand mir vor Augen, und da ich keine Freunde hatte, die sich meiner annehmen konnten, so erwartete ich nichts anderes, als meinen Namen auf dem Befehl zu lesen, den der Henker am nächsten Freitag erhalten würde, mich samt fünf andern abzutun.

Inzwischen schickte mir meine bekümmerte Hofmeisterin einen Geistlichen, der mich auf ihr Geheiß besuchen mußte. Dieser ermahnte mich ernstlich zum Bereuen aller meiner Sünden, stellte mir vor, ferner nicht mit meiner Seele zu scherzen, noch mir mit der Hoffnung auf ein zeitliches Leben zu schmeicheln, da er wisse, daß es damit ganz aus sei. Ich sollte mich mit ganzer Seele Gott zuwenden und ihn um Vergebung anrufen. Er unterstützte seine Rede mit passenden Stellen aus der Heiligen Schrift, wo auch der größte Sünder zur Buße berufen und ermahnt wird, von seinem bösen Wandel abzulassen. Nach vollendeter Predigt knieten wir nieder, und er betete mit mir.

Dies war das erstemal, daß ich wirkliche Anzeichen der Buße bei mir wahrnahm. Ich sah mit Grauen auf mein früheres Leben zurück, und da mein Blick schon auf das zukünftige gerichtet war, schien mir die gegenwärtige Welt – wie es, glaube ich, in solchem Zustande immer ist – ganz anders und insbesondere verächtlich zu sein. Die Aussicht auf weltliche Glückseligkeit und Freude sowohl als der Kummer um dieses Leben stellten sich mir ganz verändert vor, und meine Gedanken waren so sehr auf das Höhere gerichtet, daß ich auch das Köstlichste in der Welt dagegen für nichts und für etwas Einfältiges ansah. Unter anderm schien mir alle Lustbarkeit abgeschmackt, ich meine solche Dinge, die ich vorher als Lustbarkeiten angesehen hatte, da ich nunmehr erwog, daß es schändliche Nichtigkeiten sind, um derentwillen wir die ewige Seligkeit hintenansetzen und verscherzen.

Ich bin nicht dafür geeignet, jemandem heilsamen Unterricht in diesen Dingen zu geben, ich erzähle nur so, wie es mir widerfahren ist, so deutlich und genau, als ich es nur kann. Dennoch reicht meine Beschreibung nicht aus sondern kommt unendlich zu kurz gegen den lebhaften Eindruck, den zu jener Zeit solche Betrachtungen auf meine Seele machten.

Ich komme nun auf das, was sich weiter mit mir ereignete. Der Geistliche sagte nur, seine Verrichtung sei nicht die eines gewöhnlichen Gefangenenpredigers, Bekenntnisse herauszupressen, wodurch andere Mitschuldige entdeckt würden, sondern mich zu bewegen, mir mein Herz zu erleichtern und ihm Gelegenheit zu geben, mir Trost zuzusprechen, soweit es in seinen Kräften stünde, indem er mir die Versicherung gab, daß das, was ich ihm sagte, bei ihm begraben sein und ein solches Geheimnis bleiben sollte, das nur Gott und mir selbst bekannt bleiben würde.

Die aufrichtige und freundliche Art, mit der er mir begegnete, öffnete ihm die geheimsten Kammern meines Herzens, ich ließ ihn in meine Seele blicken und erzählte ihm alle Bosheiten und Sünden, die ich in meinem Leben begangen hatte, so daß ihm nichts verborgen blieb. Ich bin nicht imstande, die Gespräche mit diesem erfahrenen Manne wiederzugeben, alles, was ich sagen kann, ist dies, daß er mein Herz aufs neue belebte und mir Gedanken eingab, die ich vorher nicht empfunden hatte.

Meine trüben Gedanken verflogen schnell, und die neuen, welche ich nun empfing, hatten etwas Hohes und Erhabenes, daß ich in diesem Augenblicke ohne die geringste Unruhe, sogar mit Freuden hätte zur Hinrichtung gehen können.

Der gute Mann war so gerührt, als er sah, was in mir vorging, er dankte Gott, daß er ihn zu mir gesandt hatte, und wollte mich nicht verlassen, solange ich noch zu leben hätte.

Zwölf Tage verstrichen noch nach der Verkündigung des Urteils, dann aber kam der Anschlag, und ich fand darauf meinen Namen. Mein gefaßter Mut bekam hierdurch einen grausamen Stoß, ich wurde ohnmächtig und hatte nicht die Kraft ein Wort hervorzubringen. Der gute Geistliche bekümmerte sich herzlich darüber und tat sein bestes, mich mit den stärksten Gründen und seiner trefflichen Beredsamkeit aufzurichten, er blieb auch abends so lange bei mir, als die Gefangenwärter es nur erlauben wollten.

Ich wunderte mich, daß ich ihn den ganzen folgenden Tag nicht zu sehen bekam, obschon es der letzte vor der Hinrichtung war. Ich wurde sehr kleinmütig und niedergeschlagen, ja ich kam fast um aus Mangel an Trost, den er mir so oft und mit so viel Erfolg durch seinen Zuspruch gespendet hatte. Ich wartete mit der größten Niedergeschlagenheit des Gemüts bis zum Nachmittage, da er zu mir in die Zelle kam. Ich hatte nämlich mit Hilfe von Geld den Vorzug erlangt, daß ich nicht in der Höhle der Verurteilten mitten unter den andern, die hingerichtet werden sollten, zu liegen brauchte, sondern eine eigene kleine schmutzige Zelle erhielt.

Das Herz hüpfte mir vor Freude im Leibe, als ich seine Stimme an der Tür hörte, noch ehe ich ihn sah. Aber wer könnte je ermessen, was ich in meinem Herzen empfand, als er mir nach einer kurzen Entschuldigung wegen seines langen Ausbleibens erklärte, daß er seine Zeit zu meinem Nutzen angewendet hätte, daß er vom Gericht in meiner Sache einen günstigen Bescheid erhalten, kurz, daß er einen Aufschub der Hinrichtung zuwege gebracht hätte.

Er bediente sich aller möglichen Vorsicht es mir kundzutun, was zu verhehlen eine doppelte Grausamkeit gewesen wäre. Denn wie mich zuerst der Kummer übermannt hatte, so tat nun die Freude dasselbe, und ich fiel in eine weit gefährlichere Ohnmacht als vorher, aus der ich nur sehr schwer wieder zu erwecken war.

Der fromme Geistliche hielt mir eine christliche Ermahnung, daß ich mir durch die Freude über den erhaltenen Aufschub die Erinnerung an mein vergangenes Herzeleid nicht aus dem Sinn schlagen sollte. Der Leser wolle mir vergönnen, meine Geschichte vollständig zu machen, sonst könnte er sagen, die Reue sei nicht so angenehm zu lesen wie die Missetat, und er hätte es lieber gesehen, daß es mit dieser Erzählung ein trauriges Ende genommen hätte, wozu es sich ja auch bereits stark anließ.

Ich will aber fortfahren und erzählen, daß im Gefängnis am folgenden Tage ein trauriger Auftritt stattfand. Das erste, was ich morgens hörte, war das klagende, langsame Geläute der großen Glocke, wodurch der traurige Tag eingeleitet wurde. Sobald sie summte, vernahm man ein greuliches Winseln und Wehklagen aus der Höhle, wo die sechs Verurteilten lagen, die am selben Tag hingerichtet werden sollten, der eine wegen dieser, der andere wegen jener Missetat, zwei wegen Mordes.

Hierauf folgte ein wüstes Geschrei im ganzen Hause unter den übrigen Gefangenen, wodurch sie auf ungehobelte Weise ihr Mitleid über die armen Geschöpfe, die sterben sollten, zu verstehen gaben, das sich auf verschiedene Art äußerte: einige beweinten die armen Sünder, andere schrien Hurra und wünschten ihnen glückliche Reise, andere wiederum verdammten und verfluchten diejenigen, die Schuld daran hätten, etliche und zwar die meisten hatten rechtes Mitleid mit ihnen, die allerwenigsten aber beteten für sie.

Die ganze Zeit über, da die armen Sünder sich auf den Tod vorbereiteten, und der Gefängnispriester mit ihnen beschäftigt war, daß sie sich dem Recht unterwerfen sollten, hatte ich kein Glied am Leibe, das nicht zitterte, wie wenn ich darunter gewesen wäre. Dieser Vorfall griff mich an wie kaltes Fieber, ich redete und sah aus wie jemand, der nicht bei Sinnen ist. Sobald aber die armen Sünder auf dem Karren wegfuhren – dies mir anzusehen hatte ich nicht das Herz – überfiel mich wider meinen Willen ein heftiges Weinen, so stark und so anhaltend, daß ich mich trotz aller Macht nicht dagegen wehren konnte.

Dieser Anfall währte zwei ganze Stunden, solange die sechs Übeltäter auf dieser Welt waren, darauf folgte eine sehr demütige, ernste Art von Freude, ich strömte über von Dankbarkeit und verblieb in solchem Zustande die meiste Zeit desselben Tages.

Am Abend kam der gute Geistliche wieder zu mir und wünschte mir Glück, daß ich noch eine Frist bekommen, meine Reue fortzusetzen und Früchte der Buße zu zeigen, wogegen jene sechs armseligen Geschöpfe ihren Lohn empfangen hätten. Zuletzt sagte er mir, ich dürfte ja nicht denken, daß die Gefahr vorüber sei, denn ein Aufschub sei noch kein Freispruch, und er könne für nichts einstehen, was noch folgen könne.

Diese Reden machten mich wieder schwermütig und furchtsam, daß die Sache zuletzt doch schlimm für mich ablaufen würde, dennoch fragte ich ihn diesmal weiter um nichts, weil er versprochen hatte, sein äußerstes zu tun, damit alles zu einem guten Ende kommen möchte; jedoch könnte er mir nichts versprechen, und er wollte auch nicht, daß ich mich allzu sicher fühlen sollte.

Ich reichte eine demütige Bittschrift ein, daß man mich verschicken möchte, um dadurch dem sonst unvermeidlichen Strick zu entgehen. Der üble Ruf, in dem ich als alte abgefeimte Spitzbübin stand, taten mir größeren Schaden als mein letztes Verbrechen, aber ich hatte nach gesetzlichen Begriffen wenig Schuld auf mir und hatte in des Richters Augen ein anderes Ansehen, denn ich war nur dieses einzige Mal vor Gericht gebracht worden, daher konnte man mich nicht wie eine alte Missetäterin richten; auch stellte der Staatsanwalt meine Sache so vor, wie es ihm gut dünkte.

Endlich ward ich zwar meines Lebens versichert, doch unter der harten Bedingung, daß ich des Landes nach Virginien verwiesen wurde, zwar an sich eine harte Strafe, indes nichts im Vergleich zum Galgen. Ich will deshalb nichts gegen mein Urteil sagen, weil doch kaum etwas so schlimm in der Welt ist, das man nicht lieber wählen würde als den Tod.

Der gute Geistliche, den ich sonst nichts anging, war meinetwegen von Herzen traurig. Seine Hoffnung, sagte er, sei gewesen, daß ich meine übrige Lebenszeit mit heilsamem Unterricht in gottseliger Übung zubringen würde, ohne meine ausgestandene Qual zu vergessen, nicht aber, um mit solchem losen Gesindel, wie die Verschickten es sind, aufs neue in Sünde und Schande zu fallen. Denn ich müßte, sagte er weiter, eine ungewöhnliche verborgene Hilfe von Gottes Gnade haben, falls ich nicht bei solcher Gelegenheit wieder ebenso ruchlos würde wie früher.

Es dauerte nun noch fünfzehn Wochen, daß ich dort gefangen gehalten wurde, ich wußte nicht, aus welcher Ursache. Endlich brachte man mich mit dreizehn andern Galgenvögeln aus Newgate auf ein Schiff, das auf der Themse lag. Vielleicht würde es kindlich aussehen, wenn ich hier alle Kleinigkeiten, die bei dieser Gelegenheit vorfielen, aufzeichnen wollte, das aber, was mich und meinen Mann aus Lancashire betrifft, darf ich indes nicht übergehen.

Er war, wie ich schon erwähnt habe, aus dem gemeinen Gefängnis nach dem Pressyard gebracht worden und hatte seitdem zu seinen beiden Kameraden noch einen dritten Mann bekommen. Hier wurden sie, ich weiß nicht warum, alle vier fast drei Monate gefangen gehalten, ehe man sie vor Gericht brachte. Es schien aber, daß sie Mittel gefunden hatten, diejenigen zu bestechen, welche gegen sie zeugen sollten, so daß es dem Gericht an Beweismaterial fehlte. Nachdem es eine Zeitlang gedauert, fand sich endlich mit genauer Not soviel Zeugnis, daß zwei von den vieren daran glauben mußten, die Sache der beiden andern, von denen der eine mein Mann war, blieb unentschieden. Man hatte zwar, wie mir gesagt wurde, einen gewichtigen Zeugen gegen sie, da aber das Gesetz zwei verlangte, so war nichts damit gewonnen, dennoch wollte man sie nicht loslassen, in der Hoffnung es würden sich noch mehr Zeugen finden. Zuletzt wurde bei öffentlichem Trommelschlag ausgerufen, daß ein jeder kommen und die gefangenen Straßenräuber ansehen könnte, vielleicht wüßte der eine oder andere etwas von ihnen.

Ich benutzte die Gelegenheit, meinen Mann zu sehen, indem ich vorgab, ich sei einst in einer Landkutsche beraubt worden und wollte deshalb diese Leute sehen. Ich hatte mich verkappt und vermummt, so daß er nur wenig von mir erblickte und nicht wußte, wer ich war; als ich aber wieder zurückkam, sagte ich öffentlich, daß ich sie beide gut kenne.

Sofort wurde es im ganzen Hause ruchbar, daß die Moll Flanders wider einen von den Straßenräubern Zeugnis ablegen und sich dadurch von der Landesverweisung befreien wolle.

Auch die Räuber in Pressyard bekamen Wind davon und mein Mann besonders verlangte die Moll Flanders zu sehen, die gegen ihn zeugen wolle. Aus diesem Grunde wurde mir vergönnt zu ihm zu gehen. Ich legte die besten Kleider an, die ich im Gefängnis bekommen konnte, und ging nach Pressyard, verhüllte aber mein Gesicht mit einer Kapuze.

Er fragte mich, ob ich ihn kenne. Da ich auch noch meine Stimme verstellte, konnte er nicht erraten, wer ich war, als ich sagte, ich kenne ihn sehr gut.

Er fragte mich darauf, wo ich ihn gesehen hätte.

Ich antwortete: Zwischen Dunstable und Brickhill. Darauf wandte ich mich zu dem danebenstehenden Wächter und fragte, ob es mir nicht erlaubt wäre, mit dem Gefangenen allein zu sprechen. Der Wächter vergönnte es mir und war so höflich hinauszugehen.

Sobald er fort war und ich die Tür zugemacht hatte, schlug ich die Kapuze zurück, brach in Tränen aus und sagte: Mein Liebster, kennst du mich nicht mehr?

Er erblaßte und verstummte, als wenn ihn der Donner gerührt hätte, konnte auch seinen Schrecken nicht bemeistern und setzte sich an den Tisch, stützte den Kopf auf die Hand, blickte starr zur Erde wie ein Wahnsinniger. Ich weinte so bitterlich, daß lange Zeit auf beiden Seiten kein Wort fiel.

Endlich schlug er die Augen auf und fragte, wie ich so grausam sein könnte.

Ich verstand nicht, was er damit sagen wollte, und fragte deshalb, warum er mich grausam nenne.

Daß du zu mir kommst, sagte er, an einen solchen Ort, meiner zu spotten und mich zu beschimpfen, da ich dir doch nichts geraubt habe, wenigstens nicht auf der Landstraße.

Hierbei merkte ich, daß er von meinem jämmerlichen Zustande nichts wußte, sondern glaubte, ich hätte von ihm gehört und wäre nur deswegen gekommen, um ihm vorzuwerfen, daß er mich schändlich verlassen.

Ich hatte ihm viel zuviel zu sagen, als daß ich ihm dies hätte übel nehmen sollen, gab ihm aber zu verstehen, ich sei ganz und gar nicht deswegen gekommen, um seiner zu spotten und ihn zu beschimpfen, sondern um mit ihm zu klagen, er würde dies bald einsehen, wenn ich ihm sagte, daß meine Lage in vielen Stücken noch ärger sei die seine.

Diese Worte befremdeten ihn, er lächelte ein wenig und fragte, wie das wohl möglich wäre, da ich ihn in Ketten und Banden in Newgate anträfe und mir nicht unbekannt sein könnte, daß bereits zwei seiner Kameraden mit dem Tode hätten abgehen müssen.

Ich sagte ihm, es würde lange Zeit erfordern, wenn ich ihm meine Geschichte erzählen und er sie anhören sollte, wenn aber solches geschehen wäre, so würde er bald meiner Meinung sein, daß nämlich mein Zustand viel ärger sei als der seine.

Wie wäre das möglich, fragte er wieder, da mir bei nächster Gerichtsverhandlung das Leben wird abgesprochen werden.

Und es ist doch wahr, sprach ich, denn du mußt wissen, daß ich schon in drei Gerichtsverhandlungen das Todesurteil erhalten habe, und daß es noch über mir schwebt. Nun, ist meine Lage nicht schlimmer als deine?

Hierauf wurde er ganz still, wie wenn seine Zunge gelähmt wäre. Danach sprang er auf und rief: Unglückseliges Paar!

Ich nahm ihn bei der Hand und bat ihn, sich neben mich zu setzen. Ich berichtete ihm so viel von meinen Erlebnissen, als ich für gut hielt, berief mich auf die Armut und die böse Gesellschaft, die mich verleitet hätten mit ihnen zu gehen, und daß ich denn an eines Kaufmanns Tür gefangengenommen worden sei. Ich wäre schließlich für schuldig erklärt und zum Tode verurteilt worden, vorauf die Richter, die von meiner Unschuld überzeugt gewesen wären, mir die Gnade erwiesen hätten, daß ich nach Virginien verschickt würde. Ich sagte ihm ferner, daß ich ihn zu Brickhill gesehen, und auf welche Art ich ihn dort von seinen Verfolgern befreit hätte. Er hörte mir mit aller Aufmerksamkeit zu und lächelte zu meinen Übeltaten, die seinen Begebenheiten nicht das Wasser reichen konnten. Als ich aber den Zufall in Brickhill erwähnte, wunderte er sich und fragte, ob ich diejenige gewesen sei, die den Pöbel dort so hübsch hinters Licht geführt hätte.

Ich erzählte ihm nun gewisse Umstände, woraus er mit Sicherheit entnehmen konnte, daß ich es gewesen.

So hast du, sprach er, damals mein Leben gerettet, und ich bin froh es dir zu verdanken, deswegen will ich jetzt diese Schuld abtragen und dich aus dem Zustande, in dem du bist, befreien oder auch mein Leben dabei verlieren.

Ich hielt ihn davon ab, stellte ihm vor, es sei gar zu viel dabei gewagt, und meine Person verdiene die Gefahr gar nicht, in die er sich begeben wolle.

Es schadet nichts, sagte er, dein Leben schätze ich höher als die ganze Welt, es ist ein Leben, welches das meinige erneuert hat, denn, fuhr er fort, ich bin niemals so sehr in Gefahr gewesen als damals zu Brickhill, und das letztemal, als ich gefangen wurde.

Bei dieser Gelegenheit kam die Reihe an ihn, mir seinen Lebenslauf zu erzählen, der sehr abwechslungsreich ist und allein ein ergötzliches Buch abgeben würde. Er gestand mir, daß er schon zwölf Jahre vorher, ehe er mich geheiratet, die Wege unsicher gemacht hätte. Die Frau, die ihn Bruder genannt hätte, sei gar nicht mit ihm verwandt gewesen, hätte ebenfalls zur Zunft gehört, hätte die Korrespondenzen geführt und allzeit in London gewohnt, hätte einen großen Bekanntenkreis gehabt und ihnen von allen reisenden Leuten genaue Kunde gegeben, durch welche sie manche schöne Beute gemacht. Die Person hätte wirklich gemeint sein Glück zu machen, als sie mich zu ihm gebracht hätte, doch sei sie betrogen worden, und er könne sie deswegen nicht beschuldigen. Wenn ich, wie sie gemeint hatte, Geld gehabt hätte, so hätte er das Räubern aufgegeben und ein neues Leben angefangen, aber dennoch sich nicht öffentlich zeigen wollen, bis ein Generalpardon erfolgt ober bis er durch Geld seine eigene Begnadigung erhalten hätte. Da es aber anders ausgefallen sei, so habe er sein altes Handwerk wieder aufnehmen müssen.

Er erzählte mir nun ein langes und breites von seinen Abenteuern, besonders, als er die Kutsche nahe bei Lichfield geplündert und eine sehr große Beute gemacht hatte, darauf wie er im Westen fünf Viehhändler beraubt hatte, die Schafe kaufen wollten. Er sagte mir, diese beiden Taten hätten ihm so viel Geld eingebracht, daß, wenn er mich gefunden hätte, er ganz gewiß meinen Vorschlag nach Virginien zu gehen angenommen, oder in irgendeiner andern amerikanisch-englischen Kolonie sich als Pflanzer niedergelassen haben würde.

Da es ihm nun, fuhr er fort, hierin auch fehlgeschlagen, habe er hernach das Handwerk immer fortsetzen müssen, obgleich er, nachdem er soviel Geld gewonnen, nicht mehr so waghalsig gewesen wäre. Hierauf erzählte er mir einige verzweifelte harte Kämpfe, die er unterwegs gehabt hätte, wenn man das Geld nicht habe geben wollen. Er wies mir verschiedene Wunden auf, die er empfangen, darunter ein paar entsetzliche, insbesondere ein Pistolenschuß, der ihm den Arm zersplittert hatte, und ein Degenstoß, der durch und durch gegangen sei, wovon er aber doch, weil die edlen Teile unverletzt geblieben waren, wieder geheilt wurde. Einer seiner Kameraden habe ihm dabei so treulich und freundlich beigestanden und sei 80 Meilen mit ihm geritten, bis sein zerbrochener Arm behandelt werden konnte.

Er gab mir eine so anschauliche Kunde von seinen Abenteuern, daß ich mich recht zwingen muß, sie hier nicht zu erzählen, da dies doch meine und nicht seine Geschichte ist.

Ich fragte ihn darauf, wie seine Sache jetzt stünde und was er erwartete, wenn man ihn vor Gericht bringen würde.

Er meinte, es würden sich keine Zeugen gegen ihn finden, zumal er zu seinem Glück nur an einer der drei Räubereien, deren man sie beschuldigte, teilgenommen, für die aber nur ein Zeuge vorhanden sei, der allein nichts gelte. Man erwarte aber, daß sich mehr melden würden, und er habe gedacht, als er mich zuerst gesehen, ich sei deswegen gekommen, sollte sich aber kein weiterer Beweis finden, so hoffe er die Freiheit zu erhalten. Man habe ihm schon zu verstehen gegeben, falls er sich zur Verschickung verstehen wollte, so würde er ohne Verhör eingeschifft werden, allein er könnte sich nicht dazu entschließen und wollte lieber hängen.

Ich redete ihm dies aus, weil ja beim Transport hundert Mittel und Wege gefunden werden könnten, wodurch er seine Freiheit erlangen, ja wohl noch, ehe er abführe, entkommen könnte.

Er lächelte und meinte, das letztere würde ihm am besten gefallen, denn er habe einen besonderen Abscheu, nach den Plantagen verschickt zu werden, wie die Römer ihre Sklaven zur Arbeit in die Bergwerke sandten, er halte den Galgen für einen anständigen Abschluß seines Lebens, und solche Gedanken hegten alle rechtschaffenen Ritter, die durch Not und Mangel dazu getrieben wären, ihr Glück auf der Landstraße zu suchen. Wenigstens sei auf dem Richtplatz ein Ende alles gegenwärtigen Elends, und was das zukünftige beträfe, so könnte ein Mann seiner Meinung nach in den letzten vierzehn Tagen seines Lebens sich in der Angst des Gefängnisses und in der Hölle der Verurteilten ebenso ernstlich bekehren als in den weiten amerikanischen Waldungen und Wildnissen. Knechtschaft und Arbeit aber wären Dinge, zu denen sich kein Edelmann erniedrigen dürfte, und er könne ohne den größten Abscheu nicht daran denken.

Ich wandte alle Mittel an, um ihn eines andern zu überzeugen, und verstärkte meine Gründe durch die gewöhnliche Redekunst der Weiber, durch Tränen. Ich stellte ihm die Schmach einer öffentlichen Hinrichtung vor Augen, zum wenigsten behielte er bei der Verschickung sein Leben, das er sonst dem Henker hingeben müßte. Es sei auch das einfachste von der Welt, den Schiffskapitän auf die Seite zu bringen, weil diese Leute fast alle mit sich reden ließen, so daß er, besonders wenn er Geld dabei springen ließe, sich bald loskaufen könnte, wenn er in Virginien ankäme.

Er sah mich an, als wollte er sagen: Ja, wer nur Geld hätte! Allein ich irrte mich, er hatte andere Gedanken. Ich habe dich so verstanden, sagte er, daß ich, noch ehe ich eingeschifft wäre, entkommen könnte, und in solchem Falle wollte ich lieber 200 Pfund geben und im Lande bleiben, als mich mit 100 Pfund erst in Virginien befreien.

Ich antwortete, diese Gedanken kämen daher, weil er das Land nicht kenne. Wenn er auch zu dieser Fahrt gezwungen werden sollte, so wollte ich ihm doch helfen, daß er kein Knecht zu werden brauchte, besonders da es ihm, wie ich sähe, an Geld nicht fehle, das in solchen Fällen der beste Freund sei. Er dürfe aus meinen Reden nicht schließen, daß ich etwas von ihm verlangte, vielmehr hätte ich selbst noch so und so viel, daß ich ihm eher davon etwas abgeben als ihm seinen Beutel erleichtern wollte, dessen er wohl auf der Reise benötigte, auch wenn er doppelt so gespickt wäre.

Er erklärte sich hierauf mit aller Gutmütigkeit und sagte, sein Kapital sei zwar auch nicht groß, doch wollte er mir, wenn ich dessen benötigte, keinen Pfennig davon vorenthalten, versicherte mir auch, daß er mich nicht in solcher Absicht gefragt hätte, sondern seine Gedanken wären nur auf meinen Vorschlag gerichtet gewesen: hierzulande wisse er etwas anzufangen, in Virginien würde er aber ganz hilflos sein.

Ich sagte, er habe einen Schrecken vor Dingen, die nichts Schreckliches enthielten. Hätte er Geld, was mir angenehm sein würde, so könnte er sich nicht nur die Freiheit erkaufen, sondern ein solches neues Leben beginnen, das sicherlich glücklich werden müßte, falls man den gehörigen Fleiß darauf verwende; er solle sich doch erinnern, wie nachdrücklich ich ihm solches schon vor vielen Jahren empfohlen und als ein zulängliches Mittel vorgeschlagen hätte, unser Glück in der Welt wieder aufzurichten. Nun müßte ich ihm aber noch mehr sagen, um ihn sowohl von der Gewißheit als von meiner Erfahrung in der Sache zu überzeugen, nämlich, ich wollte mich erst selber von der Verschickung befreien und hernach ohne den geringsten Zwang, aus freiem Willen mit ihm hinübergehen, ich erböte mich hierzu aber nicht aus Not, als ob ich mich nicht getraute ohne seinen Beistand zu leben, sondern gedächte vielmehr, daß unser gemeinsames Unglück eine solche Verbindung erfordere, mittels welcher wir diesen Weltteil verlassen und an einem Orte wohnen könnten, wo niemand etwas über uns, noch wir über andere das geringste zu sagen hätten.

Ich bekräftigte dies mit so vielen Gründen und widerlegte alle seine Einwürfe so kräftig, daß er mich umarmte und sagte, ich handelte an ihm so getreu, daß er mir vertrauen müsse, er wolle meinem Rat folgen und sich dem Schicksal unterwerfen in der Hoffnung, den Trost einer so getreuen Ratgeberin und einer solchen Reisegefährtin, wie ich sei, zu genießen. Trotzdem erinnerte er mich wieder an das, was ich vorher gesagt hatte, nämlich einen Weg zu finden, wodurch er loskäme, ehe die Verschiffung vor sich gehen würde, und daß man also die Reise ganz und gar unterlassen könnte. Ich sagte, er sollte nur völlig davon überzeugt sein, daß ich auch hierin mein äußerstes tun würde, sollte es aber nicht angehen können, so wollte ich doch das übrige gut zuwege bringen.

Nach dieser langen Unterredung schieden wir voneinander und zwar mit vielen Liebes- und Freundschaftsbezeugungen.

Das Anerbieten einer Verschickung war ihm durch Vermittelung einer vornehmen Persönlichkeit gemacht worden, durch welche er sehr gedrängt wurde es anzunehmen.

Zuletzt ergab er sich darein, wenn auch erst nach harter Mühe. Ein Freund hatte sich für ihn so verbürgt, daß er selbst zu Schiffe gehen und in einer bestimmten Zeit nicht nach England zurückkommen würde. Ich meinerseits war nun nicht so sehr darüber bekümmert, daß ich nach Amerika sollte. Es war im Februar, als man mich mitsamt dreizehn andern Verurteilten an Bord eines nach Virginien fahrenden Handelsschiffes brachte. Der Kerkermeister überantwortete uns dem Kapitän, der ihm darüber eine Quittung ausstellte.


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