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Eine Stunde später erhob sich Langham mit einem ärgerlichen Seufzer und schüttelte heftig am Verdeck.
»Hört einmal!« rief er. »Schlaft ihr denn da vorn? Bei dieser Gangart kommen wir nie nach Hause. Hope, willst du nicht deinen alten Platz hier wieder einnehmen und schlafen?«
Der Wagen hielt an, die jungen Herren stolperten heraus und gingen um ihn herum nach vorn. Hope saß lächelnd auf dem Bocke. Augenscheinlich war sie weit davon entfernt, schläfrig zu sein, und, wie sie ihrem Bruder erklärte, ganz zufrieden mit ihrem Platze.
»Wißt ihr auch, daß wir seit dem Frühstück nichts genossen haben?« fragte dieser. »Mc Williams und ich sind beinahe ohnmächtig und stellen den Antrag, daß wir am nächsten Hause, das wir treffen, anhalten, die Leute aufwecken und sie bitten, uns etwas Abendessen zu geben.«
Mit einem leisen Lachen sah Hope Clay von der Seite an.
»Abendessen!« sagte sie dabei. »Die jungen Herren wollen zu Abend essen?«
Auf Clay schienen die Leiden der jungen Herren keinen tiefen Eindruck zu machen. Mit der Peitsche nach den Palmblättern über seinem Kopfe schnippend, saß er auf dem Bocke und lächelte in einer ganz sinnlosen, nichtswürdigen Weise über nichts.
»Hören Sie 'mal, wissen Sie wohl, daß wir uns verirrt haben und halb verhungert sind?« fragte Langham entrüstet. »Haben Sie überhaupt eine Ahnung, wohin diese Straße führt?«
»Nicht die entfernteste,« antwortete Clay ganz vergnügt. »Ich weiß weiter nichts, als daß vor langer, langer Zeit eine Revolution stattgefunden hat, und daß dabei eine Frau mit Schmucksachen in einem offenen Boote entflohen ist, und dann entsinne ich mich, daß ich eine Scheibe vorstellte und im hellen Mondschein auf mich habe schießen lassen. Darauf bin ich wieder zu den wirklich wichtigen Lebenszwecken erwacht – wozu Abendessen jedoch nicht gehört ...«
Langham und Mc Williams sahen sich bedenklich an, und jener schüttelte sein weises Haupt.
»Nun macht einmal, daß ihr vom Bock da herunter kommt,« sagte er gebieterisch. »Wenn Sie und Hope sich etwa einbilden, dies sei nur eine vergnügliche Mondscheinspazierfahrt, so sind wir andrer Ansicht. Ihr beiden könnt jetzt im Wagen sitzen, während wir einmal eine Weile das Fahren besorgen, und ich versichere euch, daß wir sehr bald eine menschliche Wohnstätte erreichen werden.«
Gehorsam stiegen Hope und Clay ab und setzten sich unter das Vorderverdeck, wo sie die mondscheinbeschienene Straße sehen konnten, wie sie sich, einem weißen Bande gleich, hinter ihnen abrollte. Allein ihre frühere gemächliche Fahrt sollten sie nicht länger genießen. Der neue Kutscher peitschte seine Pferde alsbald zum Galopp, und die Bäume flogen an beiden Seiten an ihnen vorüber.
»Erinnerst du dich der Stelle aus ›Der letzte gemeinsame Ritt‹, wo der junge Mann sagt:
›Ich und mein Liebchen an meiner Seiten
Wollen zusammen in Ewigkeit reiten‹,
und wie er dann fortfährt, er wolle sich noch einen Tag als Gott fühlen, denn man könne nicht wissen, ob nicht die Welt am Abend untergehen werde?«
Hope lachte frohlockend und streckte die Arme aus, als ob sie die ganze schöne Welt umarmen wolle, die um sie ausgebreitet lag.
»O nein,« erwiderte sie lachend, »die Welt ist ja eben erst erschaffen worden.«
Als der Wagen bald darauf anhielt, wurden auf dem Bocke Stimmen laut, dann erhob sich ein gewaltiges Hundegebell, und die Liebenden sahen, wie Mc Williams an die Thür einer Hütte trommelte und trat. Endlich wurde diese einen Zoll weit geöffnet, und es folgte eine lange Verhandlung in spanischer Sprache, die damit endete, daß die Thür wieder geschlossen wurde und Licht durch die Fenster schien.
Einige Augenblicke darauf traten fröstelnd und gähnend ein Mann und eine Frau heraus und machten in dem neben der Hütte stehenden Lehmofen ein Feuer an. Hope und Clay blieben im Wagen sitzen und beobachteten, wie die Flammen aus den mit Oel getränkten Reisigbündeln aufzüngelten und wie die jungen Männer mit flackernden Kienfackeln umhergingen und vom Boden über der Küche Futter für die Pferde rissen, während zwei schläfrige junge Mädchen, von denen eines einen Krug auf der Schulter und das andre eine Fackel trug, den Weg nach dem nahen Sturzbache einschlugen. Ihr Kinn in die Hand stützend, betrachtete Hope die schwarzen Gestalten, die sich zwischen ihr und dem Feuer hin und her bewegten oder sich darüber beugten, so daß ihre Gesichter von den Flammen beleuchtet wurden und sie es mit einer Hand vor der strahlenden Hitze schützen mußten, während die andre etwas in einem dampfenden Kessel umrührte. Hope empfand ein überströmendes Gefühl der Dankbarkeit gegen diese einfachen Fremden für die Mühe, die sie sich gaben. Es kam ihr zum Bewußtsein, wie gut jedermann und wie wunderbar liebevoll und großmütig die Welt war, worin sie lebte.
Nach einiger Zeit trat ihr Bruder an den Wagen und verbeugte sich mit spöttisch übertriebener Höflichkeit.
»Nun, nachdem wir alle Arbeit gethan haben,« sagte er, »hoffe ich, daß sich Ihre Excellenzen herablassen werden, unser dürftiges Mahl zu teilen; oder sollen wir es Ihnen hierher bringen?«
Der Lehmofen stand in der Mitte einer Hütte von geflochtenen Zweigen, durch deren Lücken der Rauch freien Abzug hatte. Eine Reihe hölzerner Bänke war ringsumher aufgeschlagen, auf die sich die ganze Gesellschaft setzte, um mit großem Appetit Reis und gebackene Bananen zu essen, während die Frau immer neue Tortillas zwischen ihren Händen formte und dabei ihre Gäste neugierig musterte. Ihre Augen fielen auch auf Langhams Schulter und blieben dort so lange haften, daß Hope der Richtung ihrer Blicke folgte. Mit einem plötzlichen Ausrufe des Schreckens und des Vorwurfs sprang sie von ihrem Platze auf und lief zu ihrem Bruder.
»O, Ted!« rief sie. »Du bist verletzt? Du bist verwundet? Und davon hast du mir kein Wort gesagt! Was ist es denn? Thut es sehr weh?«
Auch Clay kam und trat mit besorgter Miene an ihre Seite.
»Laßt mich in Ruhe!« rief ihr Bruder ärgerlich, indem er sich zurückzog und sie mit der Kaffeekanne abwehrte. »Es ist nur eine Schramme, und ihr werdet dran schuld sein, wenn ich den Kaffee verschütte.«
Allein beim Anblick des Blutes war Hope kreideweiß geworden. Sie schlang ihrem Bruder die Arme um den Hals, verbarg ihr Antlitz an seiner Schulter und fing an zu weinen.
»Ich bin recht selbstsüchtig,« schluchzte sie. »Ich war so glücklich, und du hast die ganze Zeit Schmerzen ausgestanden.«
Ganz bestürzt sah ihr Bruder die andern an.
»Was für ein Unsinn!« sagte er, Hope sanft auf die Schulter klopfend. »Du bist übermüdet und bedarfst der Ruhe, das fehlt dir. Daß du so weich werden kannst, nachdem du dich so herzhaft benommen hast – und nun gar in Gegenwart dieser jungen Damen! Schämst du dich denn gar nicht?«
»Ich sollte denken, die andern müßten sich schämen,« meinte Mc Williams streng, während er gelassen mit seinem Abendessen fortfuhr, »sie haben ja nicht genug Kleider an.«
Langham sah über Hopes Schulter Clay an und nickte bedeutsam.
»Sie hat ihren Nerven etwas zu viel zugemutet,« sagte er entschuldigend, »und das ist kein Wunder, denn es ist doch eine etwas ungewöhnliche Nacht für sie gewesen.«
Ihm durch ihre Thränen zulächelnd, richtete Hope den Kopf auf, und dann wandte sie sich ab und ging auf Clay zu.
»Ja, es ist eine ungewöhnliche Nacht gewesen,« sagte sie. »Sollen wir es ihm anvertrauen?«
Clay richtete sich unwillkürlich auf, trat an ihre Seite und ergriff ihre Hand. Mc Williams setzte die Schüssel, woraus er gegessen hatte, rasch auf die Bank und erhob sich ebenfalls. Die Leute des Hauses starrten die vom Herdfeuer beleuchtete Gruppe, das schöne junge Mädchen und den großen, sonnverbrannten Mann an ihrer Seite mit verständnislosem Interesse an, und Langham blickte mit einem verlegenen Lachen von seiner Schwester auf Clay und von diesem wieder auf seine Schwester.
»Ich habe mir viel herausgenommen, Langham,« sprach Clay. »Ich habe Ihre Schwester gefragt, ob sie meine Frau werden wolle – und sie hat ja gesagt.«
Langham wurde so rot als seine Schwester. Einer Liebe gegenüber, die, wie er fühlte, groß und gewaltig sein mußte, war er verlegen und kam sich seltsam jung und unreif vor. Befangen trat er zu Hope, küßte sie und ergriff sodann Clays Hand, und nun standen die drei beisammen, sahen einander an, aber in keinem der Gesichter erschien ein Ausdruck des Zweifels oder der Ungewißheit. So blieben sie eine Weile lächelnd und allerhand zusammenhanglose Ausrufe ausstoßend stehen, vollständig unempfänglich für alles andre, als ihr eigenes Glück. Mit halbgeschlossenen Augen beobachtete Mc Williams das selige Paar, wobei sich sonderbare Falten und Runzeln in seinem Gesicht zeigten, bis sich Hope plötzlich von den andern losmachte und mit ausgestreckten Händen auf ihn zugeeilt kam.
»Haben Sie mir denn gar nichts zu sagen, Mr. Mc Williams?« fragte sie.
Der Angeredete sah Clay unsicher an, als ob sich die Gewohnheit, seinen Vorgesetzten um Rat zu fragen, auch bei dieser Gelegenheit geltend machen wolle, und dann ergriff er die Hände, die sie ihm entgegenhielt, und schüttelte sie kräftig. Sein gewöhnliches Selbstvertrauen schien ihn verlassen zu haben, und er trippelte verlegen lächelnd von einem Fuße auf den andern.
»Na, ich habe ja immer gesagt, daß bessere Frauenzimmer, als Sie eins sind, nicht erschaffen werden,« stammelte er endlich. »Das habe ich von Anfang an gesagt, nicht wahr, Clay?« fragte er, indem er diesem mit großer Entschiedenheit zunickte. »Und das ist auch so; sie werden nirgends besser erschaffen.«
Bei diesen Worten ließ er ihre Hände fahren, schritt zu Clay hinüber und pflanzte sich mit einem Lächeln des Erstaunens und der Bewunderung vor ihm auf.
»Wie haben Sie das nur angestellt?« fragte er. »Wie haben Sie's denn gemacht? Ich nehme an, daß es Ihnen bewußt ist, daß Sie lange nicht gut genug für Miß Hope sind,« fuhr er mit strengem Tone fort. »Das wissen Sie doch hoffentlich?«
»Natürlich weiß ich das,« antwortete Clay einfach.
Nun trat Mc Williams an die Thür und blieb dort eine Weile stehen, während deren er das Paar über die Schulter ansah.
»Nein, besser werden sie nicht erschaffen,« wiederholte er ernst, und dann verschwand er in der Richtung, wo die Pferde standen, immer den Kopf schüttelnd und seinem Erstaunen und seiner Freude in leisem Murmeln Ausdruck verleihend.
»Bitte, gib mir etwas Geld,« sagte Hope zu Clay, »alles, was du bei dir hast,« fügte sie mit einem Lächeln über die Gewalt hinzu, die sie sich anmaßte, »und du auch, Ted.«
Die beiden Männer leerten ihre Taschen, und Hope schüttete die Masse Silbermünzen in die Hände der Frauen, die sie verständnislos anstarrten.
»Wir danken Ihnen auch für die Mühe, die Sie sich um unsertwillen gemacht haben, und für Ihr gutes Abendessen,« sagte Hope dabei in spanischer Sprache, »und möge Ihr Haus vor Uebel bewahrt bleiben.«
Mit vielen Knicksen und guten Wünschen, die sie in der übertriebenen bilderreichen Redeweise des Landes aussprachen, folgten ihr die Frau und ihre Töchter an den Landauer, und im Abfahren winkte ihnen Hope einen letzten Gruß mit der Hand zu, während sie sich gleichzeitig fester an Clays Schulter schmiegte.
»Die Welt ist voll von solchen gütigen, sanften Seelen,« sagte sie dabei.
Nach einer Stunde hatten sie die Hauptstraße wieder erreicht, und nun fingen die Sterne an zu verblassen und das Mondlicht schwand, Büsche und Felsen begannen weniger gespenstisch auszusehen und ihre natürlichen Umrisse und Gestalten wieder anzunehmen. Im kühlen, grauen Lichte des Morgens erkannten sie die vertrauten Linien der die Hauptstadt umgebenden Höhen, und durch eine Bemerkung der auf dem Bocke sitzenden jungen Männer aufmerksam gemacht, gewahrten sie den Hafen von Valencia zu ihren Füßen, der so friedlich und ungestört dalag, wie das Wasser in einer Badewanne. Als sie in die Straße einbogen, die nach der Palmenvilla führte, sahen sie die schlafende Hauptstadt, deren Häuser vom Lichte der aufgehenden Sonne rot angehaucht waren, wie eine Totenstadt unter sich liegen, und von drei Stellen an verschiedenen Teilen der Stadt stiegen dicke, schwarze Rauchsäulen träge zum Himmel empor.
»O, das hatte ich ganz vergessen,« rief Clay. »Hier ist ja eine Revolution gewesen. Wie lange her das zu sein scheint!«
Um fünf Uhr hatten sie das Thor des die Palmenvilla umgebenden Gartens erreicht, und ihr Erscheinen versetzte den dort stehenden Posten in einen Zustand ganz unmilitärischer Freude. Ein lediges Pony, dasselbe, worauf sich José aus dem Staube gemacht, als das Schießen begonnen hatte, war vor einer Stunde müde, verschunden und steif im Stalle angelangt und hatte den Bewohnern der Palmenvilla einen heillosen Schreck eingejagt.
Mr. Langham und seine älteste Tochter standen auf der Veranda, als die Pferde die Allee heraufgaloppiert kamen. Die ganze Nacht hatten sie gewacht, und beider Gesichter sahen infolge der ausgestandenen Angst und des Mangels an Schlaf bleich und angegriffen aus. Mr. Langham schloß Hope in die Arme und preßte sie stumm an sein Herz.
»Wo bist du gewesen?« fragte er endlich. »Warum hast du mir das angethan? Du mußtest doch wissen, welche Angst ich ausstehen würde!«
»Ich konnte nicht anders,« antwortete Hope, »ich mußte mit Madame Alvarez gehen.«
Ihre Schwester hatte nicht weniger ausgestanden, als ihr Vater, solange sie über Hope im Ungewissen war, aber jetzt, wo sie sie wohlbehalten vor sich sah, trat ein Umschlag ein, und der Zorn über die Sorgen und die Angst, die sie ihnen gemacht hatte, gewann die Oberhand.
»Meine liebe Hope,« sagte sie streng, »wir andern werden also alle für Madame Alvarez geopfert? Was konntest du ihr denn unter solchen Umständen überhaupt nützen? Weder Zeit noch Ort waren für ein junges Mädchen passend, und du legtest den Herren nur eine Verantwortlichkeit mehr auf.«
»Clay schien ganz bereit zu sein, diese Verantwortlichkeit zu übernehmen,« entgegnete der junge Langham ohne im mindesten zu lächeln, »und außerdem ist es sehr die Frage, ob wir lebend wieder nach Hause gekommen wären, wenn Hope nicht bei uns gewesen wäre.«
Nur auf ernstes Zureden und nach vielen Erklärungen ließ sich Mr. Langham beruhigen und überzeugen, daß seines Sohnes Wunde nichts zu bedeuten habe und daß seine Tochter wirklich wohlbehalten wieder bei ihm war.
Miß Langham und er selbst hätten, wie er sagte, eine sehr aufregende Nacht verbracht. In der Stadt sei fortwährend geschossen worden, und es habe eine beständige Unruhe geherrscht. Die Häuser einiger Anhänger von Alvarez seien in Brand gesteckt und geplündert, Alvarez selbst erschossen worden, sowie er den Hof des Militärgefängnisses erreicht hatte, und die Aufständischen hatten das Gerücht verbreitet, er habe sich das Leben genommen. Auch Rojas zu erschießen, hatte Mendoza wegen dessen Beliebtheit bei den unteren Klassen jedoch nicht gewagt, und er hatte ihn sogar dem Volke hinter den Gitterstäben eines Fensters gezeigt, um der Menge zu beweisen, daß er noch am Leben sei. Der englische Gesandte hatte die Leiche Stuarts aus dem Regierungspalaste abholen und nach der Gesandtschaft bringen lassen, von wo sie nach England übergeführt werden sollte. Das waren, soweit sie Mr. Langham bekannt waren, die Ereignisse der eben vergangenen Nacht.
»Zwei eingeborene Offiziere haben gegen Mitternacht hier nach Ihnen gefragt, Clay,« fuhr er fort, »und sie warten noch unten im Verwaltungsgebäude. Sie kommen von Rojas' Truppen, die auf den Anhöhen jenseits der Stadt lagern, und wünschen, daß Sie sich mit den Mannschaften, die hier im Bergwerke arbeiten, ihnen anschließen möchten. Ich habe ihnen gesagt, ich wisse nicht, wann Sie zurückkehren würden, und darauf meinten sie, sie wollten auf Sie warten. Wenn Sie letzte Nacht hier gewesen wären, hätten wir möglicherweise etwas thun können, aber jetzt, wo alles vorüber ist, bin ich froh, daß Sie statt dessen die Dame gerettet haben. Allerdings hätte ich gern einen Schlag gegen diese Banditen geführt, aber gegen Meuchelmörder aufzukommen, können wir freilich nicht hoffen. Der Tod des jungen Stuart ist mir sehr nahe gegangen, und dazu noch die Ermordung Alvarez', lassen mich wünschen, ich hätte niemals etwas von Olancho gehört. Deshalb habe ich mich entschlossen, mit dem nächsten Dampfer abzureisen und meine Töchter sowie Ted mitzunehmen. Den Kampf um das Bergwerk mag das Ministerium des Auswärtigen in Washington mit Mendoza ausfechten. Sie, mein lieber Clay, haben sich brav gehalten, aber die andern hatten die Uebermacht und haben uns besiegt. Mendozas Staatsstreich ist zu einer geschichtlichen Thatsache geworden, und die Revolution ist zu Ende.«
Gleich nach seiner Ankunft hatte Clay um eine Zigarre gebeten, und während Mr. Langham sprach, zerbiß er sie mit der augenscheinlichen Befriedigung eines Mannes, der zwölf Stunden lang einen gewohnten Genuß entbehrt hat. Jetzt stieß er die Asche ab, betrachtete nachdenklich das brennende Ende und warf sodann einen Blick auf Hope, die mit den andern auf der Veranda stand. Diese wartete offenbar gespannt darauf, wie er sich verhalten würde, allein Clay fühlte sich ihrer Billigung seines Vorgehens, das er für das einzig Mögliche hielt, im voraus sicher.
»Die Revolution ist keineswegs zu Ende, Mr. Langham,« sagte er endlich einfach. »Sie hat eben erst angefangen.«
Damit wandte er sich plötzlich ab und entfernte sich in der Richtung nach dem Verwaltungsgebäude, worauf auch Mc Williams und der junge Langham die Veranda verließen und ihm folgten, als ob sich das von selbst verstehe.
Die Soldaten des Heeres, von denen es bekannt war, daß sie zu General Rojas' Anhängern gehörten, bestanden aus dem dritten und vierten Regiment und waren auf dem Papier viertausend, in Wirklichkeit dagegen zweitausend Mann stark. Als sie ihren Führer durch Mendozas Reiterei hatten verhaften und vom Paradeplatz wegführen sehen, hatten sie zuerst einen Versuch machen wollen, ihn zu befreien, allein das Fußvolk hatte den Reitern nicht folgen können und war keuchend und atemlos im Staube zurückgeblieben. Ungewiß, was sie thun sollten, hatten sie auf der Straße Halt gemacht, und ihre jungen Offiziere waren zu einer Beratung zusammengetreten. Zuerst hatten sie erwogen, ob es möglich sei, das Militärgefängnis anzugreifen, jedoch waren sie von diesem Plan wieder abgekommen, da ein solches Vorgehen, wie sie fürchteten, selbst wenn der Angriff von Erfolg sein sollte, zur sofortigen Ermordung Rojas' führen mußte. Nach der Stadt zurückzukehren, wo das erste und zweite Regiment, die Anhänger Mendozas, ihnen an Zahl bei weitem überlegen waren, erschien nicht ratsam, und da es ihnen an einem eigentlichen Führer fehlte, hatten die Offiziere schließlich die Leute nach den Höhen über der Stadt geführt und dort ein Lager beziehen lassen, wo sie den weiteren Verlauf der Dinge abwarten wollten.
Während der Nacht hatten sie die Erleuchtung der Stadt und der im Hafen liegenden Schiffe beobachtet, sie hatten die Flammen aus den Häusern der Mitglieder von Alvarez' Kabinett aufsteigen sehen, und als der Morgen dämmerte, bemerkten sie, daß der weite Garten, der den Regierungspalast umgab, von Mendozas Truppen wimmelte und daß die rot und weiß gestreifte Flagge, das Sinnbild der Revolution, darüber wehte. Die Nachricht, daß Alvarez ermordet, Rojas dagegen aus Furcht vor dem Volke verschont worden sei, war früh am Abend zu ihnen gedrungen, und mit dem Bewußtsein, daß ihr General in Sicherheit sei, war auch die Hoffnung zurückgekehrt, und sie hatten neue Pläne besprochen. Um Mitternacht hatten sie endgültig beschlossen, Widerstand zu leisten, falls Mendoza am nächsten Morgen einen Versuch machen sollte, sie zu vertreiben, und sich, wenn der Kampf einen für sie ungünstigen Ausgang nähme, über die Bergstraße nach den Eisengruben Langhams zurückzuziehen, wo sie die dort arbeitenden fünfzehnhundert Soldaten zu überreden hofften, mit ihnen gemeinsame Sache gegen den neuen Diktator zu machen.
Um sich dieser Hilfe zu versichern, wurde ein Bote auf Umwegen nach der Palmenvilla geschickt, der den Betriebsdirektor für diesen Plan zu gewinnen suchen sollte, während ein andrer den Auftrag erhielt, die Soldaten in den Bergwerken selbst zu bearbeiten. Der Offizier, der nach der Palmenvilla geschickt worden war, um Clay zu bitten, ihnen seine fünfzehnhundert Soldaten-Arbeiter zu leihen, hatte sich entschlossen, die Rückkehr des Abwesenden dort abzuwarten, was zur Folge hatte, daß ein zweiter Botschafter vom Lager aus hinter ihm hergeschickt wurde.
Diese beiden Leutnants begrüßten Clay mit Begeisterung, allein er unterbrach sie sofort und begann sie auszufragen, wo ihr Lager liege und welche Straßen von dort nach der Palmenvilla führten.
»Bringen Sie Ihre Leute so rasch als möglich an den diesseitigen Endpunkt unsrer Eisenbahn,« sagte er ihnen. »Es ist noch früh, und Revolutionäre pflegen lange zu schlafen. Gewöhnlich haben sie zuviel Wein getrunken und sind auch von der Aufregung ermüdet, und welche Absichten sie auch gestern abend gegen Sie gehabt haben mögen, sie werden sie jedenfalls erst spät heute morgen zur Ausführung bringen. Ich will sogleich an Kirkland telegraphieren, er solle mit allen seinen Soldaten und seinen dreihundert Irländern schleunigst hierher kommen, und wenn ich annehme, daß er eine halbe Stunde braucht, um sie zu sammeln und einen Zug zusammenzustellen, und eine zweite halbe Stunde zur Fahrt, so kann er um halb Sieben hier sein, und das wäre immerhin eine rasche Mobilmachung. Reiten Sie jetzt zurück und führen Sie Ihre Leute im Eilmarsch hierher. Mit Ihren zweitausend haben wir im ganzen dreitausendachthundert Mann, aber ich muß den unbedingten Oberbefehl über meine eigenen Truppen haben, sonst handle ich unabhängig von euch und gehe mit meinen Arbeitern allein in die Stadt.«
»Das ist unnötig,« antwortete einer der Leutnants. »Wir haben keine Führer, und wenn Sie uns nicht befehligen wollen, so ist kein andrer da, der das thun könnte. Wir bürgen Ihnen dafür, daß unsre Leute Ihnen folgen und unbedingt gehorchen werden. Sind sie doch schon früher von Fremden geführt worden: von dem jungen Kapitän Stuart, vom Major Ferguson und Oberst Shrevington. Wie hoch General Rojas von Ihnen denkt, wissen sie auch, ebenso, daß Sie in Europa Heere geführt haben.«
»Na, dann sagen Sie ihnen nichts davon, daß das nicht wahr ist, bis wir mit der Geschichte fertig sind,« entgegnete Clay. »Nun, meine Herren, reiten Sie flott und bringen Sie Ihre Leute so rasch als möglich hierher.«
Die Offiziere dankten ihm mit großem Wortschwall und sprengten sehr glücklich über den Erfolg ihrer Sendung davon, während Clay ins Geschäftszimmer trat, wo er von Mc Williams seine Befehle an Kirkland telegraphieren ließ. Dabei setzte er sich neben den Apparat und beantwortete von Zeit zu Zeit die Fragen, die Kirkland über den Draht schickte, und in den Pausen dachte er an Hope. Zum erstenmal bereitete er sich auf einen Kampf vor, während er die Berührung einer weiblichen Hand noch auf seinem Arme fühlte. Er machte sich Sorge, sie könne glauben, daß er zu wenig Rücksicht auf sie nehme, weshalb er einige Zeilen an sie schrieb, die er jedoch mehrmals änderte, bis er folgende Botschaft zu stande brachte:
»Ich bin fest davon überzeugt, daß Du mich verstehst und daß Du selbst nicht wünschst, daß ich mich für geschlagen ansehe, solange Aussicht vorhanden ist, durch das, was zu unternehmen ich im Begriff bin, das Zünglein der Wage wieder zu unsern Gunsten neigen zu können. Besser als irgend ein andrer Mensch in der Welt es zu beurteilen vermag, weiß ich, was ich aufs Spiel setze, aber Du selbst wirst nicht wünschen, daß ich mich durch Furcht abhalten lasse, den Kampf, den ich solange gekämpft habe, zu Ende zu führen. Ich kann Dich leider nicht mehr besuchen, bevor wir aufbrechen, aber ich weiß, daß Dein Herz bei mir ist. Mit inniger Liebe
Robert Clay.«
Diesen Brief gab er seinem Diener zur Besorgung, und dieser brachte ihm gleich die Antwort darauf mit:
»Ich liebe Dich, weil Du gerade so bist, wie Du bist, und wenn Du nachgegeben hättest, wie es Vater wünschte, so würdest Du ein andrer Mensch geworden sein, und ich hätte von vorn anfangen und lernen müssen, Dich aus andern Gründen zu lieben. Ich weiß, daß Du zu mir zurückkehren und reiche Ernte mitbringen wirst. Nichts kann Dir jetzt zustoßen.
Hope.«
Noch nie hatte er eine Zeile von ihr empfangen, so daß er diese wieder und wieder mit einer Empfindung des Stolzes las, die sich so deutlich in seinem Gesicht spiegelte, daß Mc Williams verstohlen lachte und sich über den Apparat beugte. Clay aber ging in sein Zimmer und küßte das Blatt zärtlich, wobei er errötete, wie ein Schulknabe, um es dann sorgfältig zusammenzufalten und unter seiner Jacke zu bergen. Wie schuldbewußt sah er sich um, obgleich er ganz allein war, zog seine Uhr hervor, deren Deckel er springen ließ, um die Photographie anzusehen, die ihm seit so vielen Jahren daraus entgegengelächelt hatte. Wie unähnlich sie der Alice Langham war, die er jetzt kannte! Wahrscheinlich war das Bild aufgenommen worden, als sie noch sehr jung war, vielleicht in dem Alter, worin Hope jetzt stand, ehe die kleine Welt, in der sie lebte, sie verstümmelt, in ihre Zwangsjacke gesteckt und ihr ihren Stempel aufgedrückt hatte. Dabei fiel ihm ein, was sie ihm am ersten Abend, wo er sie gesehen, gesagt hatte: »Es ist das Bild eines jungen Mädchens, das vor vier Jahren zu existieren aufgehört hat, und das Sie nie getroffen haben.«
»Ob sie wohl jemals existiert hat?« fragte er sich. »Eigentlich sieht es Hope ähnlicher als ihrer Schwester,« fuhr er bei sich fort. »Ja, es gleicht Hope ganz außerordentlich.«
Das bestimmte ihn, das Bild zu lassen, wo es war, bis Hope ihm ein besseres würde geben können, und er ließ lächelnd den Deckel zuschnappen, als ob er Alice Langham eine Thür vor der Nase zuschlage und für immer schlösse. –
Kirkland stand auf der Lokomotive, die die Soldaten von den Bergwerken brachte. Den Zug hielt er so an, daß der erste Wagen vor dem Güterschuppen stehen blieb, bis die Arbeiter ausgestiegen waren und sich in zwei Gliedern auf der Ladebühne aufgestellt hatten. Sodann ließ er den Zug um eine Wagenlänge vorfahren und die im zweiten Wagen Sitzenden aussteigen und sich ebenso aufstellen. Je mehr Wagen sich entluden, um so weiter schritten die an der Spitze der beiden Reihen marschierenden Leute auf der nach der Stadt führenden Straße vorwärts, aber alles geschah ohne Verwirrung, ohne Drängen und ohne Uebereilung.
Als der letzte Wagen geleert war, ritt Clay an der Linie entlang und bestimmte für jede Compagnie einen Vorarbeiter als Führer. Seine Maschinisten und die amerikanischen Irländer bildeten die Vorhut. Keiner der Leute trug Uniform, und die eingeborenen Soldaten gingen sogar barfuß, aber sie waren von Siegeszuversicht beseelt und bewahrten eine solche Ordnung in ihren Reihen, als ob sie aufgestellt wären, um ihren monatlichen Sold zu empfangen. Die an der Spitze der Kolonne marschierenden Amerikaner waren zum Scherzen aufgelegt und geneigt, die ganze Geschichte als einen lustigen Vergnügungsausflug zu betrachten. Clay hatte sie an die Spitze gestellt, nicht weil sie bessere Schützen waren als die Eingeborenen, sondern weil jeder Südamerikaner glaubt, daß jeder Bürger der Vereinigten Staaten im Gebrauche der Büchse und des Revolvers ein Meister sei, und diesen Aberglauben wollte Clay ausnützen. Seine Hilfsmaschinisten und Vorarbeiter begrüßten ihn, als er an der Linie auf und ab ritt, mit gutmütigen Scherzen, und fragten ihn, wann sie ihre Offizierspatente erhalten würden, und ob es wahr sei, daß sie alle zu Kapitäns ernannt werden sollten, oder nur zu Obersten, wie in ihrer Heimat.
Eine halbe Stunde hatten sie gewartet, als auf der Straße Hufschlag und das Stampfen vieler Menschenfüße hörbar wurden, und gleich darauf die Spitze des dritten und vierten Regiments im Eilmarsch erschien. Die Leute waren noch in der Paradeuniform, die sie am Tage vorher getragen hatten, und im Vergleiche zu den Arbeitersoldaten und den Amerikanern in ihren Wollhemden boten sie ein so kriegerisches Bild, daß sie mit lautem Jubel begrüßt wurden. Clay ließ sie an einer Seite der Straße Aufstellung nehmen und seine eigenen Leute an ihnen vorbeimarschieren, an die sie sich sodann anschlossen. Zwanzig der besten Schützen unter seinen Maschinisten wählte Clay als Plänkler aus, die Spitze und Vorhut bilden sollten. Sie hatten den Befehl, sich auf die Hauptmasse zurückzuziehen, sobald sie den Feind gewahrten. In dieser Ordnung setzte sich die viertausend Mann starke Abteilung gegen die Stadt in Bewegung.
Es war etwas nach Sieben, als sie den Marsch antraten, und die Luft war mild und friedlich. Männer und Weiber drängten sich in die Thüren und Fenster der Hütten, als sie vorüberzogen, und sahen ihnen schweigend nach, da sie nicht wußten, zu welcher Partei das kleine Heer gehörte.
Als Clay jedoch, um sie darüber aufzuklären, »Hoch Rojas!« rief, nahmen seine Leute den Ruf auf, und das Volk antwortete freudig.
So hatten sie den enger gebauten Teil der Stadt erreicht, als die Vorhut eiligen Laufes mit der Meldung zurückkam, sie seien auf eine Abteilung von Mendozas Reiterei gestoßen, die schleunigst davongesprengt sei, als sie sie gewahrt habe. Daß ihr Anmarsch im Palast bekannt war, war nun außer allem Zweifel, und Clay ließ seine Leute auf einer leeren Plaza halten und teilte sie in drei Abteilungen ein. Von der Plaza aus führten nämlich drei Parallelstraßen ins Herz der Stadt und mündeten dem Garten des Palastes gegenüber, wo sich Mendoza verschanzt hatte. Clay wies seine drei Abteilungen an, durch diese drei Straßen vorzugehen, wobei die Spitzen der einzelnen Kolonnen durch die Querstraßen die Verbindung miteinander aufrecht erhalten und jeden Augenblick bereit sein sollten, sich gegenseitig zu unterstützen.
Als sie geordnet und zum Vorgehen bereit waren, ritt Clay in die Mitte des Platzes und hielt seinen Hut in die Höhe, zum Zeichen, daß er sprechen wolle.
Aus zwei Gründen, sagte er, hätten sie sich mit den Waffen in der Hand dort vereinigt: der erste und wichtigste, der, wie er wisse, die Eingeborenen antreibe, sei ihr Wunsch, die Verfassung der Republik aufrecht zu erhalten. Ihren eigenen Gesetzen gemäß sei der Vizepräsident der Nachfolger des Präsidenten, wenn dessen Amtsdauer abgelaufen sei oder falls er stürbe. Präsident Alvarez sei ermordet worden, und der Vizepräsident Rojas sei demnach sein gesetzmäßiger Nachfolger. Ihre Pflicht als Soldaten der Republik gebiete ihnen, ihn aus dem Gefängnis zu befreien und den Mann, der sich widerrechtlich an seine Stelle gedrängt habe, zu vertreiben und so die Gesetze aufrecht zu erhalten, die sie sich selbst gegeben hätten. Der zweite Beweggrund, fuhr er fort, sei weniger erhaben und mehr selbstsüchtig. Nach den Bergwerken von Olancho, die jetzt Tausenden Arbeit verschafften und Millionen von Dollars ins Land brächten, strecke Mendoza seine begehrliche Hand aus, um, wenn er könne, ein Monopol seiner Regierung daraus zu machen. Bliebe er am Ruder, so würden alle Fremden aus dem Lande vertrieben und die Soldaten gezwungen werden, ohne Lohn in den Bergwerken zu arbeiten. Ihr Zustand würde dann nur wenig besser sein, als der der Sträflinge in den Salzbergwerken von Sibirien, denn sie würden nicht nur keinen Lohn mehr für ihre Arbeit erhalten, sondern das Volk im ganzen werde aufhören, seinen Anteil am Nutzen der Bergwerke zu empfangen, der bisher an den Staat bezahlt worden sei.
»Unter Präsident Rojas werdet ihr Freiheit, Gerechtigkeit und Wohlstand haben!« rief Clay. »Unter Mendoza werdet ihr euch dem Kriegsgesetz beugen müssen. Er wird euch aussaugen und mit Steuern erdrücken, und ihr werdet unter einer Schreckensherrschaft leben. Wen von den beiden wählt ihr?«
»Rojas! Rojas!« riefen die eingeborenen Soldaten, verließen die Reihen und drängten sich um Clays Pferd, immer rufend: »Rojas! Hoch Rojas! Hoch die Verfassung! Tod Mendoza!«
Die Amerikaner blieben an ihren Plätzen und brachten der Regierung ein dreifaches Hurra aus.
Als die Truppen den Vormarsch gegen den Palast wieder antraten, hatte sich der Tumult noch nicht wieder gelegt. Noch immer schrieen sie, und dieser Lärm trieb die Bürger in ihre Häuser, so daß die drei Abteilungen durch verlassene Straßen mit verschlossenen Thüren und verhüllten Fenstern zogen. Niemand stellte sich ihnen entgegen, aber niemand ermutigte sie auch. Jetzt konnten sie die Vorderseite des Palastes und die Flagge der Revolution sehen, die an dem davorstehenden Mast hing.
In einiger Entfernung vom Palaste kamen sie an den Häusern der amerikanischen und englischen Gesandtschaften vorbei, auf denen die betreffenden Landesflaggen wehten. Fenster und Dächer der Gebäude waren mit Frauen und Kindern besetzt, die dort Zuflucht gesucht hatten, und die Abteilung blieb halten, als der Konsul Weimer und Sir Julian Pindar, der englische Gesandte, barhaupt auf die Straße kamen und Clay zu sich winkten.
»Da unser Gesandter nicht hier war,« sagte Weimer, »habe ich nach Truxillo telegraphiert und unser dort liegendes Kriegsschiff hierher berufen, und soeben haben wir gehört, daß es gerade in den äußeren Hafen einfährt. In einer Viertelstunde kann es seine Blaujacken gelandet haben, und Sir Julian und ich sind der Ansicht, daß Sie auf diese warten sollten.«
Auch der englische Gesandte legte mahnend eine Hand auf Clays Zügel.
»Wenn Sie Mendoza im Palast mit diesem Pöbelhaufen angreifen,« gab er zu bedenken, »wird die ganze Stadt den zügellosen Massen zur Beute fallen. Deshalb ersuche ich Sie, die Leute zurückzuhalten, bis Ihre Seeleute da sind, um für die Ordnung in den Straßen zu sorgen und das Privateigentum zu schützen.«
Clay warf einen Blick über seine Schulter auf die Maschinisten und die irischen Arbeiter, die in feierlicher Haltung hinter ihm standen.
»Einen Pöbelhaufen können Sie das doch kaum nennen,« antwortete er. »Sie sehen ein bißchen rauh und kurz angebunden aus, aber ich verbürge mich für sie. Die beiden andern Abteilungen, die in den mit diesen parallel laufenden Straßen herankommen, sind Regierungstruppen und vollkommen berechtigt, die unrechtmäßigen Eindringlinge aus dem Regierungspalaste zu vertreiben. Das Beste, was Sie thun könnten, wäre, hinunter nach dem Hafen zu gehen und die Marinesoldaten und die Blaujacken nach den Punkten zu schicken, wo Sie glauben, daß sie vom größten Nutzen sein werden. Ich kann nicht auf sie warten, aber je schneller sie kommen, um so besser.«
Der zum Palaste gehörige Garten nahm den Raum von zwei Häuservierecken ein; dahinter lag der botanische Garten, und vor der Vorderseite führte eine Anzahl niedriger Terrassen von der Veranda bis zu dem hohen eisernen Gitter, das den Garten von der Hauptstraße der Stadt schied.
Clay schickte dem rechten und dem linken Flügel seines kleinen Heeres den Befehl, einen Umweg zu machen und sich in der Straße hinter dem botanischen Garten zu vereinigen. Wenn sie das Feuer seiner Leute vor der Vorderseite hörten, sollten sie sich den Eingang durch dessen Thore erzwingen und den Palast von der Rückseite angreifen.
»Mendoza hat den Garten vollständig verrammelt,« warnte ihn Weimer, »auch hat er drei Feldgeschütze aufgestellt, die diese drei Straßen vollständig beherrschen. Sie und Ihre Leute stehen jetzt gerade in der Schußlinie eines der Geschütze ... Er wartet nur darauf, daß sie ein wenig näher kommen, um loszudonnern.«
Von seinem Standorte aus konnte Clay die Stangen am Gitter des Gartens zählen, aber die Bretter, womit sie hinten verschalt waren, verhinderten ihn, sich eine Vorstellung von der Stärke und Verteilung der Truppen Mendozas zu machen. Nach Weimers Mitteilung nahm er seinen Stab beiseite und erklärte ihm die Sachlage.
»Das Nationaltheater und der Unionklub liegen dem Palaste an den beiden Ecken dieser Straße gerade gegenüber,« sagte er. »Ihr müßt in diese Gebäude eindringen, die Fenster verrammeln und eine Art von Brustwehr für euch am Rande des Daches aufrichten und dann die Leute vom Gitter in den Palast zurücktreiben. Zuerst verjagt die Bedienungsmannschaft der Kanonen und sorgt dafür, daß sie nicht wieder an die Geschütze tritt. Ich werde in der Straße hier unten warten, bis ihr sie vertrieben habt; dann werde ich die Thore stürmen und die Geschichte im Garten zur Entscheidung bringen. Das dritte und vierte Regiment müßten sie etwa zu derselben Zeit im Rücken angreifen, und ihr müßt den Garten vom Dache aus fortwährend unter Feuer halten.«
Die beiden Unterstützungsabteilungen hatten sich bereits in Bewegung gesetzt, um die Rückseite des Palastes auf dem ihnen bezeichnten Umwege zu erreichen. Clay aber zog seine Zügel straffer an, riet seinen Leuten, sich dicht an den Häusern zu halten, und setzte sich in Bewegung, während seine Soldaten ihm auf den Bürgersteigen folgten und die Mitte der Straße frei ließen. Als sie auf etwa hundert Schritt an den Garten herangekommen waren, wurde ein Teil des hölzernen Schildes hinter dem Gitter niedergelegt, eine weiße Rauchwolke stieg auf, ein Knall folgte, und eine Kanonenkugel schlug ins Dach eines Hauses, so daß ihnen die Ziegel prasselnd um die Köpfe flogen. Allein die Leute an der Spitze hatten die Bühnenthür des Theaters bereits erreicht, ebenso eine der Thüren des Klubhauses. Diese schlugen sie mit den Kolben ihrer Büchsen ein und rannten dann die Treppen der verlassenen Häuser hinan auf die Dächer. Langham wurde von einer Menschenmasse über die Bühne gedrängt und sprang zwischen die Notenpulte des Orchesters. Hier sah er, wie ein Strahl der frühen Morgensonne auf die geschmacklosen Vorhänge der Logen und die übertriebene Perspektive eines Hintergrundes fiel.
Durch einen Gang gelangte er zwischen den großen Bildsäulen der Komödie und der Tragödie hindurch in einen Vorsaal, wo er die weißen Gesichter, die ihm gefolgt waren, in langen Spiegeln vervielfältigt sah, und dann auf einen eisernen Balkon, von dem er atemlos keuchend in den Garten des Palastes blickte, der von Soldaten wimmelte und von weißem Rauch erfüllt war. Auch durch die Fenster des gegenüberliegenden Klubgebäudes ergossen sich Männer und schleppten Sofas und Stühle auf die Balkons und das flache Dach. Die Leute, die in seiner Nähe waren, rissen die gelbseidenen Vorhänge des Vorsaales ab und behängten das Geländer des Balkons damit, um ihre Bewegungen besser vor dem Feinde unten zu verbergen. Kugeln zerschlugen den Stuck über ihren Köpfen, und Fensterscheiben zerbrachen plötzlich, sie mit Glassplittern überschüttend. Von den Dächern in ihrer Nähe hatte das Schießen bereits begonnen. Jenseits des Klubs und des Theaters und an beiden Seiten des Palastes weit die Straße hinab setzten die Kaufleute eilig die eisernen Läden vor ihre Fenster, und Männer, Weiber und Kinder suchten Zuflucht auf den hohen Stufen der Kirche Santa Maria. Andre standen in schwarzen Massen auf den Balkonen und Dächern der entfernteren Häuser, wo sie sich in riesenhaftem Schattenriß am blauen Himmel abzeichneten. Ihre ermutigenden Zurufe oder ihr Wutgeschrei waren in der klaren Morgenluft weithin hörbar und feuerten die Kämpfer unten zu größern Kraftanstrengungen an. Im Palastgarten focht eine Reihe von Mendozas Leuten hinter der ersten Verrammlung, während andre Tische, Betten und Stühle über die großen Terrassen schleppten und auf die nächst tiefere warfen, wo sie von andern ergriffen und zur Herstellung einer zweiten Verteidigungslinie benutzt wurden.
Zwei von den Hilfsmaschinisten knieten zu Langhams Füßen und hatten die Läufe ihrer Büchsen auf das Geländer des Balkons aufgelegt. Ihre Augen waren seit Jahren geübt, Entfernungen zu schätzen, sie sahen über die Visiere ihrer Gewehre, wie durch das Fernglas eines Theodoliten, und bei jedem Knall wurden ihre Gesichter ernster und preßten sich ihre Lippen fester zusammen. Einer von ihnen setzte sein Gewehr ab, um sich eine Zigarette anzuzünden, und Langham reichte ihm mit einem gewissen Gefühl des Widerstrebens seine Streichhölzer.
»Es wäre besser, wenn Sie eine Deckung aufsuchten, Mr. Langham,« sagte der Mann freundlich. »Was kann es nützen, daß wir für Ihre Bergwerke fechten, wenn Sie nicht am Leben bleiben, um sich ihrer zu erfreuen? Geben Sie mal einen Schuß auf die Leute bei der Kanone ab.«
»Dieses Schießen auf weite Entfernung gefällt mir nicht,« antwortete Langham. »Ich werde hinuntergehen und Clay aufsuchen. Der Gedanke, einen Mann zu treffen, der mich nicht ansieht, ist mir widerwärtig.«
»Wenn er Sie nicht gerade ansieht, zielt er vielleicht auf Ihren Nebenmann,« entgegnete der Maschinist mit einem ungläubigen Lächeln. »›Leben und leben lassen,‹ ist ein Sprichwort, das auf den gegenwärtigen Augenblick nicht paßt.«
Als Langham Clay erreichte, erhob sich frohlockendes Geschrei von den Hausdächern, und die dort aufgestellten Leute standen auf, zeigten sich über ihrer Brustwehr und riefen Clay zu, die Geschütze seien verlassen. In diesem Augenblick lief Kirkland über die Straße, befestigte eine Dynamitpatrone an jedem Thorpfosten und steckte die Zündschnüre an. Die Soldaten stoben nach beiden Seiten auseinander, als er zurücksprang. Gleich darauf ertönte ein ohrenzerreißendes Krachen, die Thore wurden aus ihren Angeln gehoben und stürzten zusammen, und die Leute auf der Straße kletterten über die Trümmer und umringten die Geschütze.
Langham umfaßte eine Kanone am Halse wie ein menschliches Wesen, und als er sie umspannte und half, die Mündung gegen den Palast zu richten, während andre an den Speichen der Räder anfaßten, fühlte er nicht, daß ihm das heiße Metall die Hände verbrannte. Jetzt war es ein Nahgefecht – nahe genug, selbst für Langhams Geschmack. Ohne genau zu wissen, wie er dahin gekommen war, sah er sich in der vordersten Reihe. Auf beiden Seiten handelte jedermann nach eigenem Ermessen und schien genau zu wissen, was er zu thun hatte, aber Ted fühlte sich verlassen und fürchtete, er werde seinen Mut verschwenden, weil er nicht wußte, wie er ihn am besten verwerten konnte. Wohl sah er den Feind in wechselnden Gruppen finster blickender Männer, die ihn einen Augenblick über ihre Gewehrläufe betrachteten und dann hinter einer leichten Rauchwolke verschwanden. Immerfort mußte er denken, daß der Krieg die Leute dahin bringe, sich große Freiheiten gegen ihre Mitmenschen herauszunehmen, und es kam ihm außerordentlich abgeschmackt vor, daß sich Männer, die sich ganz fremd waren, gegenübertraten und einander umzubringen versuchten – Männer, die so wenig miteinander gemein hatten, daß sie nicht einmal gegenseitig ihre Namen kannten. Die Soldaten, die auf seiner eigenen Seite fochten, waren ihm ebenso unbekannt, und er schaute sich vergeblich nach Clay um. Mc Williams sah er wohl einen Augenblick durch den Rauch, wie er mit seinem Taschenmesser auf eine Patrone losschlug, die sich geklemmt hatte, und dabei mit seinem Gewehr sprach und es schalt, wie ein menschliches Wesen, und als Langham zu ihm hinlief, warf er es weg und nahm ein andres von der Erde auf. Dann kniete er neben dem Verwundeten nieder, der es hatte fallen lassen, nahm ihm die Patronen aus dem Gürtel und versicherte ihn tröstend, er sei nicht so schwer verletzt, als er glaube.
»Sind Sie unversehrt?« fragte Langham.
»Ja,« antwortete Mc Williams. »Ich versuche schon eine ganze Weile, einem kleinen Kerlchen, der sich hinter dem blauseidenen Sofa da drüben versteckt hat, einen Schuß beizubringen. Er hat eine ganz unnatürliche Wut auf mich und hat mich schon dreimal beinahe getroffen, während ich nur Pferdehaare aus seiner Brustwehr schieße.«
Die Leute von Stuarts Leibgarde fochten außerhalb der Brustwehren. Sie gebrauchten ihre Säbel wie Macheten, und die Irländer schwangen ihre Flinten um ihre Schultern, als ob es Schmiedehämmer wären. Die Gewehre auf Langhams Seite krachten dicht an seinem Ohre, so daß sie ihn fast betäubten, und die des Feindes gingen so nahe bei seinem Gesicht los, daß er sich fortwährend bücken und blinzeln mußte, als wolle er sich bei Blitzlicht photographieren lassen. Wenn er schoß, zielte er dahin, wo die Masse am dichtesten stand, so daß er nicht sehen konnte, was seine Kugel anrichtete, aber er entsann sich später, daß er stets mit der größten Eile wieder geladen hatte, um nicht zu fallen, bevor er noch einen Schuß abgegeben hatte, und daß der Gedanke, er könne fallen, ihm nur aus diesem Grunde fatal gewesen war. Dann änderte sich das Bild vor seinen Augen. Anscheinend strömten Hunderte von Mendozas Soldaten aus dem Palaste und kamen mit lautem Hurra auf ihn los, und er ging so unwillkürlich zurück, als ob sich das ganz von selbst verstehe, ebenso wie er einem durchgehenden Pferde oder einer Lokomotive oder irgend einem andern unvernünftigen Wesen aus dem Wege gegangen sein würde. Dabei stieß er mit den Schultern gegen eine Masse von schreienden und schwitzenden Männern, die sich wieder gegen andre drängten, bis die Masse das eiserne Gitter erreichte und nicht weiter konnte. Hier hörte er, wie Clay ihnen zurief, und dann sah er ihn vorwärts laufen, wobei er fortwährend schoß. Obgleich ihm sein Verstand sagte, daß das ganz nutzlos sei, folgte Ted ihm doch, und dann erhob sich ein gewaltiges Geschrei von der Rückseite des Palastes, und noch mehr Soldaten, geradeso gekleidet wie die andern, kamen aus den großen Thoren gestürzt und schwärmten um die beiden Flügel des Gebäudes, und er erkannte sie als die Truppen Rojas' und wußte, daß der Kampf nun entschieden war.
Jetzt sah er, wie ein großer Mann mit einem Negergesicht aus dem vordersten Haufen der Soldaten vorsprang und ihnen zurief, ihm zu folgen. Clay stieß einen Schrei des Frohlockens aus, lief dem Manne entgegen und rief ihm auf Spanisch zu, sich zu ergeben. Der Neger blieb stehen, wie ein gestelltes Wild, und starrte Clay und den Ring von Soldaten, der sich um ihn schloß, mit flammenden Blicken an. Dann erhob er seinen Revolver und zielte bedächtig, gerade als ob er gewußt hätte, daß er nur noch einen Augenblick zu leben habe, und als ob er wünsche, das, was ihm in dieser kurzen Spanne noch zu thun übrig blieb, möglichst gut zu machen.
Clay sprang zur Seite und rannte in Zickzacklinien auf ihn los, aber Mendoza folgte allen seinen Bewegungen mit seinem Revolver.
Nur einen Augenblick dauerte das, dann warf der Spanier plötzlich seine Arme über sein Gesicht, stieß den Absatz seines Stiefels in den Rasen, drehte sich darauf herum und fiel aufs Antlitz.
»Wenn der Schuß da sitzt, wo die Schärpe sein Herz deckt, dann weiß ich, wer ihn abgefeuert hat,« hörte Langham eine Stimme an seiner Seite sagen, und als er sich umwandte, sah er Mc Williams, der seine Finger an seinen Lippen befeuchtete und damit vorsichtig den heißen Lauf seines Winchestergewehres betastete.
Mendozas Tod beraubte seine Anhänger und die Sache, wofür sie kämpften, ihres Führers. Sie warfen ihre Waffen auf die Erde, hielten die Hände über die Köpfe und baten um Gnade. Clay und seine Offiziere beantworteten das sofort damit, daß sie von einer Gruppe zur andern liefen, die Gewehre in die Höhe schlugen und den Leuten auf den Dächern heiser zuriefen, das Feuer einzustellen, und da ihnen sogleich gehorcht wurde, ging der Lärm der letzten Schüsse in dem ungeheueren Jubel- und Siegesgeschrei unter, das, vom Garten ausgehend, in den Straßen aufgenommen wurde und sich wie eine Feuersbrunst über die Dächer der Häuser verbreitete.
Die eingeborenen Offiziere sprangen auf Clay zu, umarmten ihn nach ihrer Art und begrüßten ihn als den Befreier von Olancho, den Retter der Verfassung und als ihren Bruder und Landsmann. Dann kletterte einer auf einen Marmortisch und rief ihn zum militärischen Präsidenten aus.
»Sie rufen sich selbst zum Narren aus, wenn Sie nicht machen, daß Sie da herunterkommen,« sagte Clay lachend. »Ich danke euch, daß ihr mir erlaubt habt, mit euch zu fechten, und es wird mir großes Vergnügen machen, unserm Präsidenten zu erzählen, wie brav ihr euch in dieser Prügelei, ich wollte sagen Schlacht, gehalten habt. Und nun möchte ich mir den Vorschlag erlauben, daß ihr die Waffen der Gefangenen in den Palast schafft und die Leute selbst nach dem Militärgefängnis führt, worauf ihr den General Rojas befreien und im Triumph nach der Stadt führen könnt. Das sollte euch doch wohl gefallen, nicht wahr?«
Allein die Eingeborenen behaupteten, daß ihm allein die Ehre gebühre, das zu thun, was Clay jedoch unter dem Vorwande ablehnte, daß er nach seinen Verwundeten sehen müsse.
»Daß es Tote gegeben haben sollte, kann ich kaum glauben,« sagte er zu Kirkland, »denn, wenn in einem europäischen Kriege zweitausend Kugeln dazu gehören, einen Mann zu töten, so sind in Südamerika wenigstens zweimalhunderttausend dazu erforderlich.«
Hierauf befahl er Kirkland, mit seinen Leuten nach dem Bergwerk zurückzumarschieren und darauf zu achten, daß niemand zurückbleibe.
»Wenn sie den Sieg feiern wollen, so können sie das zu Hause thun, aber nicht hier. Die Leute haben sich heute ein gutes Zeugnis verdient, und ich möchte nicht gern, daß das hinterher durch Ausschreitungen verdorben würde. Ihre Belohnung sollen sie später haben. Was Rojas und Mr. Langham für sie thun werden, muß sie zu wohlhabenden Leuten machen.«
Nachdem das Schießen aufgehört, hatte sich das Hurraschreien von den Dächern plötzlich in Händeklatschen verwandelt, und die Rufe, die noch nicht ganz verständlich waren, hatten einen andern Klang. Clay sah, daß sich die Amerikaner auf den Balkonen des Klubs und des Theaters weit über die Geländer beugten, alle in derselben Richtung sahen und mit lauten Jubelrufen ihre Hüte schwenkten, und über diesem Lärm hörte er das regelmäßige Stampfen im Gleichschritt marschierender Soldaten und das Rasseln eines Gatlinggeschützes, das sich über das holperige Pflaster bewegte. Auch er stieß einen Freudenschrei aus, und Kirkland und die beiden jungen Männer liefen mit ihm eine Böschung hinan, um einen Platz zu erreichen, von wo sie besser sehen konnten. Die an den Thoren des Palastes stehende Volksmenge teilte sich, und nun sahen sie zwei Reihen Blaujacken, die sich fächerförmig ausgebreitet hatten und das Geschütz zogen, Seekadetten in ihren fest zugeknöpften Waffenröcken und Gamaschen, und hinter ihnen noch mehr Blaujacken mit bloßen, sonnverbrannten Kehlen und seemännischem Schwanken in ihrem Gange. Dann kam eine Abteilung Marineinfanterie, über deren weißen Helmen die amerikanische Flagge wehte. Ihre Anwesenheit und das Gefühl des Stolzes, das der Anblick dieser Männer von zu Hause in ihnen erweckte, ließ den eben beendeten Kampf kleinlich und erbärmlich erscheinen; sie nahmen ihre Hüte ab und riefen mit den andern Hurra.
Ein Oberleutnant, der seine Wichtigkeit fühlte, aber auch eine gewisse Enttäuschung, daß er zu spät gekommen war, um noch etwas von dem Kampfe zu sehen, ließ seine Leute am Thore des Palastgartens Halt machen und ging gegen die Terrasse vor, wobei er unterwegs Erkundigungen einzog. Alle Gruppen, die er anredete, wiesen auf Clay. Diesen hatte der Anblick seiner Landesflagge daran erinnert, daß Mendozas Banner noch am Maste hing, neben dem er stand, und als sich der Offizier näherte, war er eifrig damit beschäftigt, das Flaggenfall zu lösen und die Flagge niederzuholen.
»Können Sie mir sagen, wer hier befehligt?« fragte der Offizier, indem er Clay mit zweifelhafter Miene begrüßte. Sein Ton war etwas scharf, denn Clay war keine sehr militärisch aussehende Erscheinung, da er mit Staub und Schweiß bedeckt war, und ihm sein Sombrero tief im Nacken hing. »Am Landungsplatze hat uns unser Konsul gesagt,« fuhr der Leutnant fort, »ein gewisser General Mendoza übe die Regierungsgewalt aus, und zehn Minuten später hörte ich, er sei tot und ein gewisser General Rojas sei Präsident, aber ein Mann Namens Clay habe sich zum Diktator gemacht. Wer vertritt nun also die Regierungspartei?«
Clay zerrte die rot gestreifte Flagge herunter und riß sie von dem Flaggenfall ab, während ihm Kirkland und die zwei jungen Männer mit einem belustigten Lächeln zusahen.
»Ihre Verlegenheit kann ich wohl begreifen,« sagte Clay. »Präsident Alvarez ist tot, und General Mendoza, der den Versuch gemacht hat, sich zum Diktator aufzuwerfen, ist ebenfalls tot, und der wirkliche Präsident, General Rojas, ist noch im Gefängnis, so daß ich annehmen muß, daß ich für den Augenblick die Regierung vertrete – ich bin nämlich der Mann Namens Clay. Ich habe bis jetzt nicht daran gedacht, aber bis General Rojas frei ist, werde ich wohl Diktator von Olancho sein. Ist Madame Alvarez an Bord Ihres Schiffes?«
»Ja, sie ist bei uns,« erwiderte der Offizier etwas verwirrt. »Entschuldigen Sie, sind Sie die drei Herren, die die Dame nach der Jacht gebracht haben? Ich fürchte, vorhin etwas übereilt gesprochen zu haben, aber Sie sind nicht in Uniform, und die Regierung scheint hier unten so rasch zu wechseln, daß unsereins es schwierig findet, damit Schritt zu halten.«
Während der Leutnant sprach, waren sechs von den eingeborenen Offizieren näher getreten und grüßten Clay in strammer militärischer Haltung.
»Wir haben Ihre Befehle ausgeführt,« meldete einer von ihnen, »und die Regimenter sind bereit, mit den Gefangenen abzumarschieren. Haben Sie noch weitere Befehle für uns? Sollen wir General Rojas irgend eine Bestellung ausrichten?«
»Drücken Sie General Rojas meine Glückwünsche aus,« antwortete Clay, »und sagen Sie ihm in meinem Namen, er würde mir einen großen Gefallen erweisen, wenn er einen amerikanischen Bürger Namens Burke in Freiheit setzen wollte, auch sei es mein Wunsch, daß er euch Herren alle um einen Grad befördere und jedem den Stern von Olancho verleihe. Sagen Sie ihm in meinem Namen, daß Sie meiner Ansicht nach noch höhere Belohnungen und Ehren verdient haben.«
Die jungen Offiziere brachen freudig in laute Danksagungen aus. Sie versicherten Clay, er thue ihnen viel Ehre an und es sei für sie der höchste Lohn, unter ihm gefochten zu haben. Allein Clay lachte nur und winkte ihnen väterlich ab.
Diesen Verhandlungen hatte der Offizier des Kriegsschiffes mit dem peinlichen Gefühl beigewohnt, daß er diesem pulvergeschwärzten jungen Herrn gegenüber, der amerikanische Bürger in Freiheit setzte und Kapitäne dutzendweise ernannte, eine Taktlosigkeit begangen habe.
»Sind Sie aus den Vereinigten Staaten?« fragte er, als sie auf die Mannschaft des Kriegsschiffes zugingen.
»Gott sei Dank, ja! Warum nicht?«
»Ich habe mir gleich gedacht, daß Sie ein Landsmann seien, aber Sie grüßten wie ein Engländer.«
»Ich habe früher einmal im Sudan in der englischen Armee gedient, als sie mit Offizieren etwas knapp bestellt war.«
Bei diesen Worten schüttelte Clay nachdenklich den Kopf und sah die beiden Reihen von Blaujacken an, die rechts und links von ihnen Stellung genommen halten. Inzwischen waren die Pferde vorgeführt worden, und Langham und Mc Williams warteten mit dem Aufsitzen auf ihn.
»Seit ich den Kinderschuhen entwachsen bin, habe ich mancherlei Uniformen getragen,« sagte Clay, »aber niemals die meines eigenen Vaterlandes.«
Während dieses Gespräches hatte ihm das Volk von allen Seiten zugejubelt. Von den Balkonen und Dächern winkten ihm schöne Frauenhände, Männer kletterten auf Bäume und Laternenpfähle, und alle riefen seinen Namen. Die Offiziere und Mannschaften der Landungsabteilung bemerkten diesen Empfang mit Staunen.
»Was soll ich denn thun?« fragte der kommandierende Offizier.
»O, ich würde an Ihrer Stelle den Palastgarten besetzen und von dem Volke säubern lassen, ebenso die Straße hier rechts, wo viele Weinkneipen sind, und die Ordnung im allgemeinen aufrecht erhalten, bis General Rojas eintrifft. Das kann jetzt höchstens noch eine Stunde dauern. Morgen werden wir kommen und Ihrem Kapitän unsre Aufwartung machen. – Sehr erfreut, Sie kennen gelernt zu haben.«
»Ganz auf meiner Seite,« antwortete der Offizier aufrichtig. »Warten Sie noch einen Augenblick. Auch wenn Sie unsre Uniform nicht getragen haben, sind Sie doch ebenso gut und besser als viele, die ich sie habe tragen sehen. Jedenfalls sind Sie jetzt hier eine Art Höchstkommandierender, und ich will mich hängen lassen, wenn ich Ihnen nicht die gebührenden Ehrenbezeugungen erweisen lasse.«
Clay lachte wie ein Knabe, als er sich in den Sattel schwang. Der Offizier trat zurück und gab ein Kommando, die Seekadetten senkten ihre Degen, und Clay ritt zwischen den geschlossenen Reihen seiner Landsleute dahin, die stramm ihre Gewehre vor ihm präsentierten. Bei diesem Anblick schienen die Giebel der Häuser wieder zu schwanken, und als er in den glänzenden Sonnenschein hinausritt, waren seine Augen feucht, und er mußte viel blinzeln.
Die beiden jungen Leute hatten sich an seine Seite verfügt; Mc Williams drehte sich im Sattel um, stützte sich mit einer Hand auf die Kruppe seines Pony und sah nach dem Palaste.
»Schauen Sie sich um, Clay,« sagte er. »Werfen Sie einen letzten Blick darauf, denn Sie werden so etwas nie wieder sehen. Drehen Sie sich um – drehen Sie sich noch einmal um, Herr Diktator von Olancho!«
Die Herren lachten und hielten seinem Verlangen gemäß ihre Pferde an, um noch einmal in der engen Straße rückwärts zu schauen. Sie sahen, wie die grün und weiße Flagge von Olancho an dem vor dem Palaste stehenden Maste in die Höhe stieg und wie die Blaujacken die Menge zurücktrieben: sie sahen die Löcher in den Mauern der Häuser, wo sich Mendozas Kanonenkugeln ihren Weg gebahnt hatten, und die von Geschossen durchlöcherten seidenen Vorhänge, die am Balkongeländer des Theaters hingen.
»Vor einer Stunde hatten Sie das Heft vollständig in der Hand,« sagte Mc Williams spöttisch. »Sie hätten den General Rojas in die Verbannung schicken und uns alle zu Kabinettsministern machen können – und das haben Sie versäumt – um eines Mädchens willen. Jetzt sind Sie Diktator von Olancho, was werden Sie morgen sein? Morgen werden Sie Andrew Langhams Schwiegersohn sein – ein Ehekrüppel. Andrew Langhams Schwiegersohn kann von seiner Frau nicht erwarten, daß sie in einem solchen Loche ihre Residenz aufschlägt, also – leben Sie wohl, Mr. Clay, wir sind wohl die längste Zeit zusammen gewesen.«
Clay und Langham schauten Mc Williams forschend an, um zu sehen, ob er im Ernste spreche, allein dieser wich ihren Blicken aus.
»Es waren unser drei,« sagte er; »einer davon wurde angeschossen, der zweite nahm ein Weib und der dritte – Sie werden dick werden, Clay, und in der Fünften Avenue wohnen, einen seidenen Hut tragen und eines Tages, wenn Sie in Ihrem Klub sitzen, werden Sie eine Nachricht mit einer komischen spanischen Ueberschrift in der Zeitung lesen, und dann wird dies alles wieder vor Ihnen stehen: die Hitze, die Palmen, das Fieber und die Tage, wo Sie von Bananen lebten und wo wir zusahen, wie sich unsre Joche über die Schluchten erstreckten, und dann wird der Augenblick kommen, daß Sie Ihre Hand hingeben möchten, einmal wieder in einer Hängematte zu schlafen und zu fühlen, wie Ihnen der Schweiß über den Rücken läuft. Sie werden ihre Flinte an den Backen reißen und auf eine Reihe von Menschen zielen, aber die Polizei wird Ihnen nicht erlauben, zu schießen. Sehen Sie, das ist das, was Sie aufgeben. Dort ist es: schauen Sie es sich noch einmal recht ordentlich an. Sie werden es nie wieder zu sehen bekommen.«