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Bevor Frau Kathi Mayer stumpf geworden war, hatte es ganz besonders um zwei Dinge zwischen ihr und ihrem Manne Hader gesetzt: um die Zukunft und um die Erziehung der Kinder.
Was die Mädchen anging, so lehnte er von ersten Kindesbeinen an jeden Anteil ab. Die unterstanden überall und immer der Mutter. Er spielte nur mit ihnen und verhätschelte sie, die ihm die bestgeratenen Geschöpfchen von der Welt waren, und er bewunderte sie und jeden ihrer Reize in der Kinder Gegenwart in einer Weise, die der Mutter oftmals die Schamröte ins Gesicht trieb.
Sie hatte ja so nichts gelernt. Aber Achtung vor den Eltern war denn doch bei ihr zu Hause gewesen, und sie schien ihr unentbehrlich. Unmittelbar nach einer sehr glücklichen und gedankenlosen Jugend – sie stand in ihrer Erinnerung wie ein beglänzter Sonnentag – hatte sie sich verliebt und geheiratet. Dann waren die Kinder gekommen, so rasch und zahlreich, daß sie eigentlich immer erst im Wochenbett zu einiger Ruhe und Besinnung gelangt war. Und in ihre Schwäche hinein und bald hatte sie fühlen müssen, der Boden unter ihr sei unsicher und sie dürfte sich durchaus nicht auf ihren Mann, nur auf sich und ihre eigenen Beine dürfte sie sich verlassen ...
Sie ging's ganz tüchtig an. Und hätte sie an ihm nur einigen Beistand gehabt, sie wären vorwärtsgekommen; denn sie hatte Weltverstand und den Blick fürs Nützliche, und ihr war die Arbeit ein wirkliches Bedürfnis. Sich abäschern, abmüden bis zum Umsinken, das war das richtige für sie und ihresgleichen. Denn hernach konnte man darüber nicht denken, wie es besser hätte sein sollen. Dennoch sah sie klar, wie grundfalsch die Erziehungsmaximen ihres Mannes seien. Das war ein sehr bequemer Fatalismus, im wesentlichen auf einen Satz gebaut, dessen Unrichtigkeit sie doch alle Tage vor Augen hatte, daß eine besondere, gütige Vorsehung allzeit über dem Wiener wache »er geht net unter«.
Über den Buben hatte sie rasch jeden Einfluß verloren. Der Vater aber unterstützte ihn offenkundig in jeder Auflehnung gegen ihr Ansehen, selbst wenn sie vor den anderen Kindern geschah. Das sollte ein Mann werden! Den ließ er sich nun einmal nicht verweibern.
Es gab bei diesem Sprößling nichts, das Herr Franz Mayer nicht gebilligt oder wofür er aus seinem unerschöpflichen Schatz von Sprüchleinweisheit nicht mindestens eine Entschuldigung vorgelangt hätte.
Der Bube war von einem häßlichen Jähzorn. Ja – er ließ sich halt nicht zu nahe kommen, und »jähe Leut' sind gemeinlich gute Leut'«. Er war frech. Er lachte der Mutter ins Gesicht und tyrannisierte im frühen Bewußtsein seiner Herrenwürde die Schwestern, die sich's gefallen ließen.
Das war ganz in der Ordnung. »Das Hendel muß ducken – das Hahndel net.« Er war eben keine Lettfeigen. Er verstand zu kommandieren. Das mußte doch ein Mann, der in der Welt einmal was vorstellen sollte.
Er wollte in der Schule nichts lernen, stiftete unter seinen Kameraden bösartige Zänkereien. Er verstand es meisterlich, sie untereinander zu verhetzen, und, kam man ihm hinter seine Schliche, so wehrte er sich als ein behender, grimmiger und tückischer Raufer. Ja – über ihm war keiner. Er verstand seinen Vorteil. Und das Lernen war ihm eben zu fad.
»Mein Großvater hat zur Not seinen Namen schreiben können und is doch der große Adam Mayer geworden. Was man im Leben braucht, steht net in die dalketen Bücher.«
Er log. Ja – mit der Aufrichtigkeit kommt man doch gewiß zu nichts. Und ihm fiel halt allerlei ein, worauf nicht ein jeder kommt. Er aber hatte den rechten Schick und den guten Griff für alles, was ihm unterkam. Er trieb sich frühzeitig und manchmal bis in die späte Nacht mit Älteren auf der Schenke um. Wen ging's was an? Es war doch nur ein Zeichen für seine Reife und Klugheit, daß Erwachsene am Umgang mit ihm Gefallen fanden. Er studierte eben das wirkliche Leben aus. Und wenn er sich dabei manches gestattete, was vielleicht seinen Jahren nicht geziemte – je, bei dem kommt's früher, bei wem anderen später. »Die Hörndeln abstoßen tut er sich halt. Ist noch keiner anders a richtiger Mann worden.«
Es waren ihr wiederholt ganz ansehnliche Geldbeträge abhanden gekommen. »Mußt halt besser aufpassen, wo du eh weißt, wie ausg'spitzt der Bub ist.« Und endlich – »er ist halt noch ein Kind«.
Dann hatte sie entdeckt, daß er's mit den Dienstboten halte.
Am gleichen Tage mußte das Mädchen aus dem Hause, dessen anmaßende Vertraulichkeit ihr früher verdächtig vorgekommen. Und es gab eine böse, die letzte Auseinandersetzung zwischen den Gatten.
Je mehr sich aber sein Weib ereiferte, desto gelassener blieb Herr Franz Mayer. Er konnte nun einmal nichts dabei finden. Der Bube kam doch zu seinen Jahren. Da war derlei nur natürlich.
Ob er's aber in der Ordnung finde?
»In der Ordnung? Es ist halt amal so, wie's ist.«
Aber mit ihrem eigenen Dienstmädchen! Wo sollte damit der Respekt vor der Herrschaft bestehen?
Ja – das sei nun einmal nicht anders. Danach fragt ein junger hitziger Mensch nicht, in dem alles lebt. Und was denn der Adam dafür könne, daß er den Frauenzimmern in die Augen steche? Und sie fangen meist so an. Es hat's keiner anders getrieben. Außer er lugt. Die hat man halt so – na, halt so bei der Hand. Und wenn sie sonst nur sauber sind! Geistlich sollte der Adam doch nicht werden. Und wenn man's sich recht überlege, so sei das eigentlich noch immer das Vernünftigste. Mit so einer verplempert sich ein Bursch nicht, wie der Adam einer ist, wo man sonst und gar bei einem Unerfahrenen immer fürchten muß, er bleibt beim Honig picken und verdirbt sich seine ganze Zukunft. »Und's Billigste ist's am End' a noch; selbst wann was g'schiecht, ist's immer noch 's Billigste.«
Ja – aber unter ihrem Dach! Und das Exempel für die heranwachsenden Mädchen, die so was vor sich haben!
Er wurde hämisch. Ja, dann solle sie sich die Madeln halt unter ein Glaskasterl tun und fleißig abstauben! Und sehr gut achtgeben, daß ja keine Fliege dazukommt! Denn sie seien erst recht neugierige Dinger, und man lebe schließlich in keinem Kloster mit lauter andächtigen Schwestern, sondern in der sündhaften Wienerstadt. Dann müßte sie ihnen doch rein die Augen verbinden, wenn sie zu Abend über die Mariahilferstraße gehen, so auch allerhand Frauenzimmer herumspazieren. Und das möchten sich die Mädeln gewiß nicht gefallen lassen. Und, wovon sie meine, daß ihre Lehrmädchen untereinander wispern und ob die Rosi da gar niemals hinhorche? Gewiß reden sie von nichts, als wer ihnen nachgestiegen ist und wie sie ihn haben ablaufen lassen oder wohin sie sich ihn bestellten. Schad't das nix, so schad't ihnen das zu Haus a nix. Und überhaupt – er wolle endlich einmal vor dem Penzen seine Ruh' haben. Wenn er sich über Tags um ein' blutigen Groschen die Füß' in den Leib gelaufen hat, sollte das vielleicht eine Zerstreuung sein, daß sie ihm den einzigen Buben, den er hat und auf den er nun einmal nie nix kommen laßt, verklagt und neuen Verdruß stiftet! »Wie er ist, so wird er halt. Ich möcht' ihm gar net anders. Und der Vater bin ich, und mich geht er an und sonst niemanden!« Und er schlug mit der Faust auf den Tisch.
An diesem Tage hatte Frau Kathi Mayer die letzte Überraschung erlebt, die ihr Mann ihr noch bereiten gekonnt. Und dennoch war sie bereits der Meinung gewesen, ihn ganz und durchaus zu kennen.
Sie hatten so viel miteinander durchgemacht! Nur nichts von der Art, die Menschen einander nähert und innerlich unlösbar vereinigt. Denn in allem Ungemach, das sie so hartnäckig heimsuchte, und mit immer geschärfterem Auge erkannte sie seine und nur seine Schuld.
Was in ihr an Neigung gewesen, das war darüber gestorben. Und nichts war geblieben, nur ein zorniges Mitleiden mit einem nun einmal unverbesserlichen Menschen, dem man seine Streiche nicht einmal so recht nachtragen durfte. Denn er konnte im Grunde nichts für sich. Auch dies Flämmchen erlosch nach der vollen Glut, die keine Warnung Erfahrener zu bändigen stark genug gewesen, von der sie einmal gehofft, sie und die Ihrigen würden sich durch das Leben daran wärmen können, es käme, was da wolle.
Sie hatte erst mit staunender Verwunderung, dann mit Empörung, endlich verzagt und trostlos, wie etwas Unbegreifliches, doch Notwendiges mitangesehen, wie alles mißriet, das er unternahm. Geschäfte, die anderen, um nichts Klügeren, denn es fehlte ihm keineswegs am Verstande, guten Nutzen abwarfen, die endigten bei ihnen regelmäßig mit erheblichem Schaden. Warum nur? Ja, ihr Franzi hatte die Zeit nicht, ihnen nachzugehen. Und er vergaß die wichtigste Abrede, wenn seine Billard- oder Kartenpartie gar zu interessant war. Vergaß daran, wie an den Tod, und machte sich hernach die bittersten Vorwürfe, daß er ihr anfangs ordentlich leid tat, und faßte die besten Vorsätze, für die sie bald genug nur eine Antwort hatte: »Nimm dir nix vor, Franzl, – ist eh gescheiter.«
So hatte er die guten und lohnenden Vertretungen verloren, die man ihm vordem als Angehörigem einer angesehenen und weitverzweigten Familie und als im Besitz mancher wertvollen Verbindung gern übertragen. Und in der Frau erwachte eine heftige Sehnsucht: eine feste Stellung sollte er annehmen, damit man wisse, was man habe, damit man sich danach einrichten könne. Hatte sie erst diese Decke – das Strecken danach wollte sie schon besorgen. Es mußte nicht einmal gar zu knapp bemessen werden: denn sie verdiente doch auch, und zwar ganz ausgiebig. Nur nicht so schrecklich viel freie Zeit fürs Bummeln und nichtsnutzige Einfälle sollte er haben.
Es war geglückt, ihn in einem Kaufhause unterzubringen. Sie atmete auf; denn er war ja noch jung, und mit seiner Gewandtheit mußte er doch vorwärtskommen. Aber die Freude währte nicht lange. Nach wenigen Monaten trat er wieder aus. Die Ärzte hätten ihm die sitzende Lebensweise verboten, wurde erzählt, Frau Kathi Mayer wußte das besser, und eine heimliche Verachtung, ja ein Widerwillen regte sich in ihr, gedachte sie der Opfer, die sie bringen mußte, um mindestens den Namen der Familie rein zu halten. Und warum? Er war wieder nicht schlecht gewesen, nur schlampert und halt gefällig gegen seine Freunde. Der letzte Rest ihres eigenen Vermögens war daraufgegangen.
Nach jener Unterredung bezüglich des Adam und der Dienstmädchen machte sie sich zum erstenmal Vorwürfe darüber, daß sie also gehandelt, nicht lieber für sich und die Kinder gerettet, was zu retten war, seinen Pfad nicht von dem ihrigen geschieden und ihn nicht hatte dahin gehen lassen, wohin es ihn so offenbar und so unwiderstehlich zu ziehen schien.
Und nun begann dies Leben eines Agenten, das für einen schwachen Menschen das innerlich verderblichste ist.
Da muß man in die Wirtshäuser und in die Cafés, um herumzuhören, wo sich irgend etwas begibt und was zu verdienen wäre, um Bekanntschaften und Bruderschaften zu stiften, die einem vielleicht andernwärts nützen.
Man muß Schnurren aushecken und sich Spassetteln gefallen lassen, schmarotzen und es nur wieder springen lassen. Denn anders wird man nicht beliebt, und ein »öder Ding« ist nirgends gut gelitten. Und so verwurstelt man immer mehr. Und man muß die Wurst nach der Speckseite werfen – etwas daraufgehen lassen, hat man verdient. Denn man will doch nicht »notig« erscheinen.
Und dafür galt Franz Mayer nicht; durchaus nicht. Im Gegenteile – er war ein fescher Geist, und man bedauerte ihn nur allgemein, daß er eine so engherzige Frau habe, die ihn an der Entfaltung seiner Gaben hemme. Das war aber einmal immer so gewesen – alle genialen Männer hatten böse Weiber.
Man wußte freilich von ihm, daß er niemals Wort hielt, als wenn es eine Landpartie oder sonst eine Hetz galt. Aber wen scherte eine kleine Charakterschwäche eines sonst vortrefflichen Mitbürgers etwas? In seinen Kreisen kam dadurch niemand zu Schaden. Da kannte man einander schon, empfing jede Zusage mit geziemendem Vorbehalt und wußte sich demgemäß einzurichten. Endlich – unter ihnen war keiner viel anders und hatte also keiner ein Recht, mit ihm zu maulen oder Moral zu predigen. Und wenn er wirklich über seine Mittel lebte: »Ich werd' mir net 's Maul verbrennen. Franzi! zahlst d' ein' Doppelliter? Oder ein' Latern Bisamberger? Is gar gut und gar net teuer!«
Er war nun einmal so. Ein Phantast war er, dem eine rege und vom ewigen Müßiggang überhitzte Einbildungskraft tausend Möglichkeiten vorgaukelte, bis er die Fähigkeit verloren, zu unterscheiden, was wirklich war und was er sich nur so ausgeheckt. Immer neue Projekte beschäftigten ihn. Es war mancher gesunde Einfall darunter; denn wer immer wieder die Rute auswirft, dem wird endlich auch einmal ein fetter Fisch an die Angel gehen. Und diese Pläne, deren keiner jemals ernstlich in Angriff genommen wurde, entwickelte er nach allen Umständlichkeiten mit allen Möglichkeiten, sie ins Werk zu setzen, zu Hause. Dort begegneten sie verdrossenem Schweigen. Er besprach sie, schwelgend in seiner Erfindergabe, auf der Kneipe – ein lebhaftes Gläserklingen, ein helles Zujauchzen: »Sollst leben, Mayer! Was dir net alles einfallt, Mayer! Bist doch ein ganz verfluchter Kerl, Mayer! Alsdann – trinken mer eins, daß es gerat'!«
Er betrog sich, er betrog andere. Hätte man's ihm aber vorgehalten, er wäre nicht übel in die Höhe geraten. Wen ging's was an? Wer durfte an ihm moralisieren? »Net amal ein' Spaß wird man mehr machen dürfen! Wär' gar aus!«
Dies alles aber sah und begriff seine Frau. Es schnürte ihr die Kehle und, ihr unbewußt, wuchs eine Erbitterung in ihr heran, die sich einmal furchtbar in einer Explosion entladen mußte, die dann keine Schranke mehr kannte.
Da kamen gelegentlich gute Tage. Es glückte ein ergiebiges Geschäft. Damit wurde dann sofort gerechnet als mit etwas, dessen regelmäßige und beständige Wiederkehr gesichert sei. Warnte sie vor solcher Zuversicht, so wurde sie verspottet. Meldeten sich aber die mageren Wochen und sie erinnerte ihrer Vorhersagung, so wurde er ruchlos grob. Natürlich – wenn sie nur recht behalte, dann könne ihrethalben der Mann mit der ganzen Wirtschaft zugrunde gehen. Wie ihm denn etwas geraten solle, wenn es ihm die eigene Frau immer wieder beschreie?
So unsinnig der Vorwurf war, er schloß ihr dennoch den Mund.
Sie wußte wohl – wenn er konnte, so foppte er ihr das Geld aus dem Sack. In ihren eigenen Angelegenheiten konnte sie ihn durchaus nicht verwenden. Diese Einsicht hatte sie teuer genug bezahlt. Zu Anfang, da sie noch nicht so ganz sicher, war er ihr gekommen: da oder dort wäre eine Partie zu kaufen – spottwohlfeil, eine Sünde, so eine Gelegenheit auszulassen, wo man einen Haufen Geld mit einem Schlag verdienen könne. Sie ließ sich beschwatzen; das Wenigste war brauchbar, und sie sah sich geprellt. Niemals hatte sie so teure und so geringwertige Ware erstanden, als wenn er ihr einen seiner Bekannten aufdrängte, der es ihr und nur aus Freundschaft so wohlfeil überlassen wolle, damit der schöne Verdienst nicht an Fremde komme. Hernach war er immer eine Zeit sehr vergnügt und sehr flott mit dem Gelde. Und ihren Jammer – denn ihre ganze Seele hing an jedem Kreuzer, und bei jedem Schaden, der sie betraf, verlor sie für eine geraume Zeit völlig den Kopf und machte das Unheil so nur noch ärger – schüttelte er schleunigst in seiner Gesellschaft von sich ab. Das sei nun einmal nicht anders – wer kaufen wolle, der müsse seine Augen gut offenhalten und dürfe sich auf gar niemanden verlassen. Und die Weiber meinten wohl, sie hätten's allein mit dem großen Löffel ausgegessen und verstünden doch rein gar nichts und seien zu nichts gut. Wenn ihm so was passiert wär' – na, der Spektakel! Er möcht' ihn lieber nicht erleben. Und wer gewinnen wolle, der müsse auch auf Verlust gefaßt sein, und nochmals – ja die Weiber überhaupt! Wenn sie nicht raunzen, so ist ihnen gar nicht wohl auf der Welt und in ihrem Fell, und es fehlt ihnen völlig was. Das nimmt man eben nicht so tragisch, wie sie's machen! Sonst hätte man doch keine ruhige oder vergnügte Stunde mehr im Leben.
So gab ihm dasselbe Leben immer neue Kräfte, das die ihrigen verzehrte.
Und sie hatte keine Vertraute auf der Welt. Niemand, vor dem sie ihr Herz ausschütten konnte. Einmal hatte sie sich die Kathi dazu heranziehen wollen. Die sonderbare Verschlossenheit ihrer Ältesten, der alles neben dem in ihr belanglos erschien, lähmte ihr Bedürfnis nach Offenherzigkeit und Mitteilung.
Die Jüngeren aber? Sie wollte den Kindern nicht vorzeitig den Glauben an den Vater zerstören. Und so beklemmt von Rücksichten einem gegenüber, der selber keine anerkannte, und wieder unfähig, sie immer festzuhalten, sich zur Unzeit vergessend, war sie ihm gegenüber ewig im Nachteil, ja scheinbar im Unrecht. Und dies machte sie ganz bis zur Besinnungslosigkeit erregt.
Eine Hoffnung hatte sie immer noch gehegt in sich. Es war ja gewiß: sie lebten im Übergang. Aber das mußte wo auf festem Boden sein Ende nehmen. Dem kommenden Geschlecht mochten bessere Zeiten beschieden sein. Endlich und irgendwie mußte sich die Linie wieder heben, die nun schon so lange nach abwärts lief. Und alle ihre Wünsche hafteten am Adam. Denn: »Ein Madel is immer a armer Narr. Und sie hat's halt, wie man's ihr gibt, net um a Argamentel anders.«
Und nun war ihr auch diese letzte Aussicht zerstört, mußte sie auch diesem Traume entsagen. Und damit riß das letzte Freudige, das ihr so fern hinter Wolken vorgeglänzt, das ihr das Leben übergoldet, und nichts mehr blieb, nur die eherne und so entsetzlich schwere Fessel der Pflicht.
Denn was konnte aus ihrem Einzigen, dem sie in ihrem Innersten den Vorrang vor den Töchtern gab, unter diesen Umständen werden? Meisterlos war er veranlagt: kein gutes Exempel und keinen Ernst sah er vor sich, und was immer er anstellte, es ging ihm hin. Im günstigsten Fall ein schlimmerer Franz Mayer oder noch was viel, viel Böseres ...
Mit zusammengezogenen Brauen, einen starken Schmerz in der Stirne, saß sie in dieser Stunde ganz einsam da. Die Augen waren verhangen und sahen dennoch weit, weit in eine trostlose Zukunft. »Muttergottes hilf!« flüsterte sie. »Ich weiß jetzt, warum wir Weiber eine eigene, schmerzhafte Fürbitterin im Himmel haben und brauchen. Und da sagen's immer, ein leichtes Geblüt ist ein Glück. Kann sein, für den, der's hat. Wer aber mit dem leben muß – für den ist's kein's ... wahrhaftig net ...« Und ihr kam ein Schluchzen, und sie rang die Hände und hielt sie wieder strack und steif vor sich, als dringe etwas Entsetzliches auf sie ein, und sie wollte es mit all ihrer schwachen Kraft abwehren und sich ferne halten ...