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Und erst die Nächte! Der Uhu, der heranschwebt mit dem rauschenden Flügel und mit glühenden Augen und ruft, daß man sich fürchten könnte, immer wieder ruft, weil ihn das Licht lockt. Und das ist, wie in der Spinnstube: ein altes Weib erzählt eine Geschichte, die ganz danach ist, daß die Mädchen wirklich eine Gänsehaut über sich kriegen könnten, und alle fürchten sich und halten sich den Mund zu, damit sie nicht quietschen in ihrer Beklommenheit, und reißen die Augen und die Ohren auf, weil sie ja nichts verlieren wollen, und wenn sie dann heimgehen, so kriecht's an ihnen herauf, und sie kichern vor lauter Angst in der Dunkelheit und sie sind mit jedem froh, der sie heimführt, wenn er sie nur recht fest an sich preßt. Und wieder ein andermal wird dir, du siehst alle guten Geister im Wald. Und sie lachen heiser hinter den Bäumen vor und sie sitzen an den Spitzen der Zweige, hängen sich daran und haschen sich wie übermütige Schulbuben, die niemanden über sich haben, und treiben dürfen, was sie freut. Und sie klettern auf die Felsen, die da grau und nackt stehen, und sie sonnen sich im Moos und machen sich breit, breit, bis sie zerfließen.
Und der Wald hat seine tausend Stimmen. Und eine jede lernst du verstehen, und es ist eine jede anders, und du hast nichts zu tun, nur darauf zu achten, was sie dir immer sagen wollen. Denn es hat immer Sinn und Bedeutung. Und niemals wiederholt sich ein Laut, wenn du nur dein Ohr genug schärfen kannst, und selbst der Sturmwind, wenn er sich hineinlegt in den Wald und die Bäume müssen mitschwingen und wollen nicht und zittern vor Zorn, selbst der hat immer einen anderen Ton und eine neue Weise.
Und dann die Regenzeit! Die Tropfen fallen dir den ganzen, ganzen Tag. Das klatscht und klatscht und kocht förmlich und schlurft über das Dach und zischt und rieselt. Und das ist, als hätten graue Gespenster einen grauen Mantel umgeschlagen und der Wind treibe sie und sie huschten durch den Wald. Und du willst es malen, und es geht gar nicht. Und du wirst ordentlich krank und sehnsüchtig nach einem Blickchen Sonne, und taub wirst du von dem traurigen Lärm und du hörst nichts, nur immer wieder dasselbe, und dein Spitz winselt und winselt und will hinaus und bleibt an der Türe stehn und er schaudert über das ganze Fell. Und durch die grauen Strähnen blinkt es, macht große Bogen und springt dir ins Gesicht und zerfließt: der erste Schnee.
Ich bin nach Hause. Und mein Bruder und meine Schwägerin, der Josef und die Josefa, haben sich sehr mit mir gefreut und mich tun lassen, was ich eben hab' wollen.
Erst hab' ich mich freilich wieder an Menschen gewöhnen müssen. Natürlich, und ich war ihnen auch fremd. Der Studierte! Und noch dazu, der auf etwas lernt, auf das man sich schon gar keinen Reim nicht weiß. Aber man hat sich innerlich gern gehabt, und dann versteht man einander bald und ehrlich wieder, und es ist eben gut.
Aber nirgends ist ein Müßiger so sehr verloren wie im Dorf, wo es außer ihm keinen sonst gibt. Der Tag hat eine Länge, als zerrte wer an ihm – nicht zum glauben. Und zu Abend geht man ins Kasino und sieht zu, wie die Beamten Karten spielen und sich bewundern, wie gut sie's können, oder auf dem Billard liegen, und trinkt seine paar Glas Bier und vertut seinen Gulden, und ist glücklich, wenn man wieder einmal schlafen gehen darf.
Unzufrieden aber bin ich mit mir nicht gewesen. Ich hab' nichts zusammengebracht, aber schon gar nichts. Aber mir ist vorgekommen, das muß so sein. Und ich warte so innerlich. Das ist nicht anders wie mit einem Feld, wenn du mitten im Winter daran vorübergehst. Eins sieht aus wie das andere. Aber weil der Boden gut ist, so mußt du glauben, man hat ihn bestellt, und kommt erst die Zeit, so wird es schon aufsprießen, und du wirst sehen, was da ganz insgeheim gewachsen und geworden ist, und wozu es taugt und gut ist. Denn einpflügen, das ist eine sehr dumme Geschichte.
Es ist ein sehr schönes Frühjahr geworden. An zurück nach Wien hab' ich keinen Augenblick gedacht. Was hab' ich denn da wollen? Aber ich war unruhig und recht sehr ohne Lust zu allem, weil doch jeder gewußt hat, was er mit sich anfangen soll, ohne Wink und ohne Wort, nur ich nicht mit meinem Studium und samt meiner Akademie. Ich bin viel um das Dorf gestrichen, das sich in sein Tal hinstreckt, als wollt' es sich verstecken, weil es da warm ist. Hat keinen Grund dazu. Es kann sich immer noch sehen lassen. Nicht ein einziges Strohdach ist mehr da, nur Schiefer oder Ziegel, und es geht den Leuten gut. Also, ich bin gebummelt. Ein paar Stimmungen waren da; nicht viele, aber doch einige – wer die packen könnte, ganz erwischen, der wär' schon was.
Und dabei war noch etwas, was mich gequält hat immer mehr und mehr, wie der Tag länger und das Licht dauerhafter und besser geworden ist. Nämlich, die Landschafterei hat mich nicht mehr gefreut. Natürlich, ich habe sie doch nicht einmal noch gekannt. Sie war mir nicht mehr genug. Und ich habe nicht geglaubt oder das Vertrauen gehabt, ich könnte in ihr das ausdrücken, was ich den Menschen sagen will. Und in der Kunst ist doch das Höchste der Mensch. Denn auf ihn zielt alles. Und nur wer ihn nackt sicher kann, der kann ihn auch in den Kleidern bilden, daß man an ihn glaubt und er dasteht, wie er soll. Aber das braucht vieles Studium und großen Fleiß. Und auf der Akademie hab' ich das nicht treiben wollen; warum nicht, hab' ich dir schon gesagt. Und nun hat mich das geärgert, und es war mir ein Versäumnis, und ich habe durchaus nicht gewußt: wie macht man das jetzt gut? Und gar hier? Und das ist und das macht doch schon verdrießlich.
Mit meinem Bruder hätt' ich nicht davon reden können. Der hätt' doch kein Wort davon verstanden. Und hätte mich für verrückt oder voll von sündhaften Gedanken gehalten. Aber – woher ein Modell nehmen da auf dem Dorf und wie die verstehen lernen, was man eigentlich will von ihr? Man kriegt Kopfweh und gänzlich kranke Gedanken dabei.
Sie sind ja nicht so sittlich. Wenn es einer mit einer hat, so ist da weiter nichts, und hat er's mit mehreren, dann hat er eben Glück, und sie sollen klüger sein und aufpassen; und kriegt ein Mädel ein Kind, so regt man sich weiter auch nicht auf. Ist sie sonst nur brav, so heiratet sie der, oder es nimmt sie schon ein anderer, oder sie geht in die Stadt und hat also ihr Fortkommen. Aber sittsam sind sie durch die Bank. Sehr sittsam. Und dies alles ist erhört und alt; aber was ich hätte begehren müssen, das war unerhört und neu, und man hätte sich also bekreuzigt und entsetzt davor. Und in der Stadt war gar nichts für mich zu finden. Denn, was es da gab – du lieber Gott!
Ohnedies, man hat mir nicht ganz getraut. Ich war schon zu lang fortgewesen. Und mein Bruder war auch nicht zufrieden mit mir. Nur sagen hat er mir nichts können und hat sich's nicht getraut. Denn ich hab' doch von keinem gelebt.
Wie zerfahren aber ich bin und wie ich was möcht', ohne zu wissen was, dies hat ein jeder merken müssen. Und zwischen Josefi und Ostern war es ganz besonders schlimm mit mir. Denn da sollen die Äcker bestellt sein, und in mir ist eine große Brache gewesen. Und man sieht doch ordentlich, wie alles im Leben drängt und es gar nicht mehr erwarten kann, und in mir will sich gar nichts regen.
Ich hab' allerhand Zeichnungen gemacht. So tolles Zeug, wie ich's aus den Beskiden mitgebracht hab', und Einfälle. Die hab' ich ausgefertigt und da und dorthin geschickt, und man hat sie mir genommen und gut gezahlt. Das war mir recht; wegen meines Bruders, damit der sieht, daß meine Kunst nicht so brotlos ist, wie er vielleicht meint. Aber zufrieden war ich nicht damit. Das sind Fratzen, und es ist nicht meine Sache, und ein anderer kann das schon besser.
Sie haben auch oftmals Kriegsrat über mich gehalten, ich kann es nicht anders heißen, der Josef und die Josefa. Er war nämlich ein sehr kluger Mensch, ohne daß er etwas gelesen hat, nur seinen Kalender. Den hat er auswendig gelernt, glaub' ich, jedes Jahr. Was er angepackt hat, das hat einen festen Griff und einen guten Schick gehabt, und es hat nichts auf der Welt gegeben, was er nicht verstanden und er für sich auch gedacht hat. Nu, das hat man ja im Dorf auch gewußt. Nur ordentlich geschämt hat er sich seiner großen Klugheit und war also schweigsam, und sein Weib ist es mit ihm auch geworden. Es sind zwei prächtige Menschen; tun niemandem nix, aber wollen auch von keinem was; sind ganz ohne Bücher und ohne Getu'.
Da sitzt er einmal auf der Ofenbank und hat seine Rast. Es ist ziemlich kalt den Tag, und er hat seine Pfeife geraucht und nachgedacht; halt über Steuern und warum der Weizen so billig ist. Und ganz unerwartet sagt er mir, der ich am Fenster sitze und Arabesken ausdenke: ›Du, Florian, wenn ich nicht verheiratet wär'!‹
Ich überziehe gerade eine Platte mit Wachs, weil mir das Radieren Spaß zu machen angefangen hat. Und ich stelle mir vor, eine Meerkatzenmusik mit den Schwänzen, wenn sie immer ineinander greifen, müßt' eine gute Wirkung tun und sehr drollig sein, wenn ein alter, richtiger Meerkater machte den Takt. Und so brumme ich denn für mich: ›Dann wärst du eben ledig, Josef.‹
Er lacht in sich. ›Hast recht. Aber das weiß ich ohne dich. Und ich weiß noch mehr. Ich wüßt' mir nachher eine.‹
›Ist ein Glück, daß die Josefa nicht in der Näh' ist‹, sagt ich ihm. ›Und nur eine? Ich wüßt' mir schon gar viele.‹
Er wird nicht ungeduldig: ›Zur Frau, mein' ich, tät' ich mir eine wissen.‹
›Was hast denn von der Wissenschaft? Du hast doch dein Weib, und du hast's gern, wie sie es verdient. Oder ist sie vielleicht nicht brav, die Josefa?‹
›Sehr brav ist sie. Ganz wie eine soll. Zu der Arbeit und zu den Kindern. Und sie kann auch schweigen.‹
›Also, willst ein Türke werden?‹
Er schielt mich an: ›Hätt' was für sich, meinst du! Na, in der Stadt, und gar ihr auf der Akademie, ihr lebt doch so wie die türkischen Heiden.‹
›Oder glaubst du, die Josefa möcht' dir's erlauben. Frag' sie – oder frag' sie lieber nicht. Denn sie könnt' mehr reden, als dir recht wär'.‹
Er schüttelt sich vor innerlichem Lachen; ich sehe das wohl, obwohl nicht er und nicht ich eine Miene verziehen: ›Will ich auch gar nicht. Aber wenn ich jünger wär' und nicht beweibt, ich wüßt' mir eine‹, und er schlägt sich nachdrücklich auf die rote Hose und klopft seine Pfeife in die Linke aus. Denn sein Weib hat sehr auf Reinlichkeit gehalten.
›Und – wer ist denn das Wunder?‹
›Ich denk' – die Hanka Jerab möcht' ich nehmen.‹ Und er steht auf und reckt sich: ›Der Wind frischt sich. Wir kriegen gut Wetter.‹
Ich hab' meinen Bruder nicht oft so ausführlich und so in Sätzen reden hören. Und so bleibt mir das. Und dann, ich hab' in meinem Leben nicht an die Hanka Jerab gedacht und konnte sie mir nicht einmal vorstellen. Aber das ist nun einmal so: hörst du, einer hat etwas gekauft, so wunderst und ärgerst du dich, daß du es nicht warst, und wenn du keinen Gedanken hast, wozu du das brauchen tätest. Und einer begehrt etwas, so möchtest du es augenblicklich selber haben. Das ist bei den Kindern so, und das wird bei den Großen nicht anders, und es bleibt das ganze Leben und es ist damit nicht fertig zu werden.
Also, ich sehe nach der Hanka, die eine Bauerntochter ist neben uns. Die Leute sind sich ganz gut gestanden – halbes Leben ohne alle Schulden – und sie war das einzige Kind. Vielleicht hat das mein Bruder so gemeint; wenn sie nämlich einander geheiratet hätten, so wären die beiden Höfe zusammengekommen und das wär' dann freilich ein Besitz geworden, den man herzeigen kann, freilich nicht das, was er jetzt so unter sich hat. Ich hab' mir's nicht anders denken können; denn sonst war an dem Mädel wahrhaftig nicht mehr, als an jeder, die da bei uns herumlauft.
Sie war sehr schüchtern, oder hat so getan. Auch war sie noch sehr jung. So an die siebzehn herum war sie. Die Augen hat sie immer so gehalten, als suchten sie was auf dem Boden, vielleicht den gestrigen Tag. Nicht einmal bestimmen hätte man können, von welcher Farbe sie gewesen sind, vor den sehr langen, schwarzen Wimpern. Sie war groß und hat sich sehr gut gehalten. Und bei der Arbeit, zum Beispiel, wenn sie einen Schiebkarren mit grünem Futter, das doch sein Gewicht hat, vor sich hergestoßen hat, da hat man gesehen, wie kräftig sie ist und daß sie ganz ohne Fehler gewachsen sein muß und daß ihr die Arbeit Spaß macht. Und vielleicht hat sich mein Bruder das vorgestellt. Denn eine Bäuerin hat nun einmal kein leichtes Leben und viel auf sich.
Aber für mich hat das doch keinen Sinn gehabt. Und ich hab' mir's nicht nehmen lassen: der Bruder hat gewußt, warum er sie mir in die Gedanken gesetzt hat. Denn er hat noch lieber etwas umsonst getan, wie umsonst gesprochen. Und so hab' ich an die Hanka mehr gedacht, als ich für möglich gehalten hätte.
Endlich, was ist so ein Mädel anders, als die anderen? Das redet man sich nur so selber ein. Und dennoch hab' ich einen gewissen Respekt vor ihr gehabt, weil sie mein Bruder mit Achtung angesehen hat. Und so eine Neugierde war doch auch dabei.
Manchmal, wenn ich im Freien gesessen bin und skizziert hab', und sie ist über den Hof, immer gleich, immer eilig und niemals hastend und mit einem Schritt, der sie so aus sich selbst gehoben hat, so kräftig und so voller Schwung war er, hab' ich ihr über den Zaun herüber einen Spaß zugerufen. Ich weiß nicht, vielleicht hat sie ihn gern gehört. Denn sie haben mich für hochmütig gehalten, weil ich mit niemandem gesprochen hab'. Ja, worüber denn auch? Denn ich war in der Zeit, wo einem nichts wichtig ist, nur was sich auf die eigene Kunst bezieht; davon war ich ganz voll und eben über das hab' ich mit meinen Leuten doch nicht gut reden können, und mit dem Herrn Pfarrer auch nicht, und der Schullehrer war überhaupt ein Ochse.
Einmal also sitz' ich da, und sie ist im Krautgarten gewesen, jäten. Da muß man sich bücken und wieder aufrichten: und die ganze Geschmeidigkeit des Körpers kommt zur Geltung, und man konnte so recht sehen, wie voller Ebenmaß sie sein muß. Ich fang' sie zu zeichnen an. Es war ein recht heller Tag, und die Sonne hat auf ihren Haaren geschienen, die sie zu einer Krone geflochten hat und die blond gewesen sind. Das macht einen feinen Effekt, wenn da ein Gold zum andern getan wird, und ich merk's mir.
Es geht recht gut. Wie ich aber fertig bin, so mißfällt mir das Blatt durchaus. Ich nehm's und zerreiß' es. Das klingt schrill, und sie erschrickt davon, sieht aber trotzdem nicht auf.
Das hat mich verdrossen. Warum tut sie so scheu und heilig, denk' ich mir? Sie ist doch gewiß nicht so, sondern anders. Und man wird sie ja doch nicht in die Kirche stellen, weil sie so tut. Und warum versteckt sie sich eigentlich vor mir? ›Hanka!‹ ruf' ich.
Sie richtet sich zu ihrer schönen Höhe auf und hält, wegen der Blendung oder in Komödie, die Hand vors Gesicht. Dann kommt sie ohne jede Eile zum Zaun: ›Was will der Herr Florian?‹
›Tu die Hand weg!‹ befehl' ich.
Sie tut's. Das Gesicht ist gewöhnlich. Stumpfe Nase; der Mund recht breit; wenig Ausdruck.
›Und deine Augen darf man nicht sehn?‹ Und ich bin herrisch und weiß nicht, mit welchem Recht. Nur wer sich für einen Städter hält, der glaubt immer, den Bauern befehlen zu dürfen.
›Ja, warum denn?‹ und sie lächelt sehr schüchtern. Aber man sieht dabei, sie hat ganz wunderschöne Zähne.
›Hast du sie grau, wie eine falsche Katz'? Oder sind sie gar zu klein? Oder warum darf man sie sonst nicht sehn?‹