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König Sturm stand auf dem Dache seines weißen Schlosses.
Es lag hoch auf den Bergen in dem Lande, wo das Jahr nur eine lange Nacht und einen langen Tag hat, weil die gute Frau Sonne dort nicht wohnen mag.
Der König war gerade ganz allein in seinem Schloß von Eis. Seine Sturmvögel hatte er nach allen Seiten ausgeschickt, daß sie den Wind über die Erde trügen und die Luft bewegten, damit sie rein würde und gesund für Menschen, Tiere und Pflanzen.
Wenn die Vögel heimkehrten, hatten sie immer viel zu erzählen, was sie auf ihrer Reise gesehen und gehört hatten; da wurde dem König die Zeit nicht lang, und er lachte dann manchmal so laut über ihre Abenteuer, daß die Erde zitterte und die Menschen vor Angst laut aufschrien.
Heute aber stand er da und gähnte laut und sah begehrlich nach dem Stalle, wo seine vier kohlschwarzen Hengste mit ihren goldenen Ketten klirrten und die Glocken am silbernen Wagen leise läuteten. Er sehnte die Zeit herbei, wo er selbst auf seinem sausenden Gespann von seinen Bergen zur Erde fuhr, kreuz und quer durchs ganze Land, daß die Haare aus seinem weißen Königsmantel weit umherflogen und sich wie eine Decke über die Erde legten.
Hui, wie das ging! Tausende von Wolkenfrauen begleiteten ihn auf ihren grauen Rossen und schrien und jauchzten vor Lust an der tollen Jagd, und der König hieb mit seiner scharfen Eispeitsche auf seine Hengste ein, daß sie immer schneller und schneller um die arme stöhnende Erde rasten und die Menschen voll Angst in ihre Hütten krochen. Bis an die Grenze des blauen Reichs, das Frau Sonne gehörte, ging die wilde Fahrt – da aber mußte der König umwenden mit seinem Troß, denn Frau Sonne heizte mit ihren goldenen Strahlen so heiß in ihrem Lande ein, daß ihm die kristallene Eiskrone vom Haupte geschmolzen wäre – und da er ein König war, wollte er nicht ohne Krone sein. –
Aber nur zweimal im Jahr durfte er diese Fahrt machen, sonst wäre die Erde und alles, was auf ihr lebte, zugrunde gegangen.
Eben aber war die Zeit der langen Nacht. Die wilden Wolkenfrauen schliefen rings auf den Bergen, und unten im Tal waren die Menschen in ihre Höhlen gekrochen, saßen bei tropfenden Talglichtern, aßen schwarzes Renntierfleisch und tranken öligen Fischtran; sie flickten ihre Schlitten und Netze und freuten sich auf den langen Tag, um wieder auf Jagd und Fischfang zu gehen.
König Sturm sah ihnen eine Welle zu und gähnte laut, denn er langweilte sich sehr. Ihr habt es gut, dachte er, ihr seid wenigstens nicht allein. – Und er stieg auf eine noch höhere Zinne seines Schlosses. Von da konnte er mitten ins blaue Reich der Frau Sonne sehen, und dies war seine liebste Kurzweil in der Zeit, da er nicht um die Erde sausen durfte.
Da lag das goldene, glühende Schloß hoch oben auf blauen Bergen. Ein Wald von Rosen blühte ringsumher und weiße Schwäne schwammen auf silbernen Seen. »Schön ist ihr Land«, sagte der König, »aber wenn sie nur selbst herauskäme, habe sie lange nicht gesehen«.
Und da Frau Sonne gerade auch nicht viel zu tun hatte, trat sie eben aus ihrem goldenen Haus und sah mit ihren großen strahlenden Augen hinüber in das Land des Königs. Sie zürnte ihm eigentlich, weil er die armen Menschen so ängstigte, und wenn sie sah und hörte, wie sie vor Furcht schrien und sich versteckten, war sie ihm bitterböse und heizte dann doppelt warm in ihrem Lande ein, damit er keine Macht darüber bekam.
So erschrak sie denn ein wenig, als sie den König auf dem Berge stehen sah, denn sie war nur deshalb gekommen, um ihn zu sehen, aber sie wollte es ihn nicht merken lassen.
Und so standen sie beide eine Weile und sahen sich an. Plötzlich winkte der König mit seinen schwarzen Händen, denn er hatte dicke Fellhandschuhe an, zur Frau Sonne hinüber. Und da hob auch sie die lilienweißen Hände und winkte mit ihrem goldenen Schleier.
Groß und stark und mächtig stand König Sturm da, auf sein blankes Schwert gestützt. Seine nachtschwarzen Augen funkelten, und rabenschwarz war sein Haar und Bart.
Wie schön er ist! dachte Frau Sonne. Ich habe ihn noch nie so schön gesehen. – Und sie lächelte lieblich zu ihm hinüber, ihr flammenrotes Haar leuchtete, und ihre Augen waren so weich und sanft wie Schwanengefieder.
Wie schön sie ist! dachte der König. Ich habe sie noch nie so schön gesehen. – Und plötzlich rief er mit lauter Stimme, daß es in den Bergen wie Donner tönte: »Willst du mich nicht besuchen, Frau Sonne? Aber du mußt deinen heißen Feuerwagen zu Hause lassen, ich werde dir meinen Wolkenwagen schicken.«
Frau Sonne erschrak über die starke Stimme des Königs, aber zugleich freute sie sich an seiner Kraft, und sie rief ihm zu: »Wie kann ich zu dir kommen? Ich würde sterben in der Nacht und Kälte bei dir.«
»Aber ich liebe dich, Frau Sonne, und ich will dich küssen.«
»Dann komme zu mir, König Sturm, ich liebe dich auch, aber du mußt deine Wolkenfrauen zu Hause lassen und deine harte Peitsche.«
»Wie kann ich wohl zu dir kommen, da doch meine Silberkrone schmelzen würde in deinem heißen Lande, und du weißt, sie ist an meinem Haupte angewachsen.«
»Aber ich liebe dich auch ohne Krone,« sagte sie.
»Ein König ohne Krone ist kein König mehr. – Willst du es nicht doch versuchen? Ich hülle dich in meinen Mantel von Hermelin, und an meinem Herzen ist es warm.«
Frau Sonne schüttelte traurig den Kopf und ging in ihr goldenes Schloß zurück.
Aber am andern Tage ging sie wieder auf den Berg, und auch der König stand wieder auf seinem Söller.
»Frau Sonne,« rief er, »willst du mir nicht ein Stück Weges entgegenkommen, daß wir uns in der Mitte der Erde treffen?«
Da lachte Frau Sonne vor Freude. »Ja«, sagte sie, »daran habe ich auch schon gedacht.«
»Morgen«, sagte der König, »gleich morgen.«
Und Frau Sonne winkte und sagte: »Ja, morgen.«
Da machte sich denn der König auf den Weg. Er ließ seine Wolkenfrauen schlafen, ließ auch seine Peitsche zu Hause und befahl seinen Rappen, langsam, ganz langsam zu traben. Denn er wollte Frau Sonne nicht erschrecken, und dann hoffte er auch, daß sie in ihrem leichten Wolkenwagen schneller des Weges käme und er nicht zu nahe an ihr Land heran müsse, denn er hatte große Sorge um seine Krone.
Frau Sonne fuhr denn auch sanft und leicht durch die Lüfte und trieb mit ihrem Lilienstengel die Wolkenschwäne zur Eile an, denn sie sehnte sich sehr, den starken König nun endlich einmal ganz nahe zu sehen. Und so fuhr sie in ihrer Sehnsucht dem Könige viel weiter entgegen, als sie eigentlich wollte, aber es wurde ihr sonderbar kühl und schwer im Herzen, je weiter sie nach Norden kam; und da sie den König noch immer nicht sah, wollte sie schon wieder umkehren in ihr blaues, warmes Land. – Da plötzlich ging ein Sausen durch die Luft, und die vier schwarzen Hengste standen vor ihr still. Frau Sonne wurde es dunkel vor den Augen, und ein Schwindel ergriff sie. Da breitete der König seinen weißen Mantel aus und nahm sie an sein Herz. Sie fühlte, daß es sehr warm war, und schmiegte sich an ihn und ließ sich küssen – viele, viele Male.
So lebten sie einige schöne Tage zusammen, und dann mußte jedes wieder zurück, da sie ihr Reich nicht so lange allein lassen konnten.
Aber jeden Abend und Morgen standen sie auf den Bergen ihres Landes und hielten Zwiesprache miteinander.
Und bald darauf hatte Königin Sonne ein Knäblein im Schoß, das seinem Vater sehr ähnlich war. Der König Sturm war sehr glücklich darüber und nannte ihn Boreas.
Der Knabe wuchs schnell heran, und eines Tags küßte er seine Mutter und sprach: »Laß mich zu meinem Vater ziehen, zu weich ist mir die Luft in deinem Reiche, und die Rosen duften so schwül und machen mich matt und krank.«
Frau Königin weinte bitterlich. Aber Boreas ließ sich nicht halten. Und bald hörte sie ihn nun mit dem König Sturm um die Wette über die arme Erde jagen, und die Menschen weinten immer lauter und beteten zur Königin Sonne, daß sie doch die Grenzen ihres Reichs erweitern und zu ihnen kommen möge. Aber die Königin durfte ihr goldenes Haus nicht für lange verlassen. Ach, wenn ich doch ein Töchterchen hätte, das mir gleich wäre, das wollte ich euch schicken, ihr armen Menschlein! dachte sie. Und sie betete zu den Göttern, daß sie ihr eine Tochter schenken möchten. –
Und jedes Jahr kam nun König Sturm einmal seiner Königin entgegen. Und immer näher an ihr Land lockte sie ihn, denn sie hoffte, daß er an der Nähe ihres warmen Landes auch wärmer und sanfter werden würde, und daß dann auch ein neues Kindlein nicht mehr so rauh werden würde wie das erste. Aber auch das zweite Kindlein war ein Knabe, und sie nannten ihn Euros, und dann kam noch ein dritter Knabe, den sie Notos hießen – aber obgleich jeder ein wenig sanfter war als der König, so wollten sie doch beide auch lieber in dem kalten Reiche des Vaters leben und zogen eines Tags von der Mutter fort, weil sie sich auf den rauhen Fahrten des Königs lustig und stark fühlten. Da wurde die Königin sehr traurig und verbarg sich vor dem König, ging nicht mehr auf die Berge und schaute nicht mehr hinüber in das Land des Königs.
Der König aber ging täglich auf seinen Söller hinauf und wartete lange auf seine Königin. Und da sie gar nicht kommen wollte, wurde seine Sehnsucht nach ihr plötzlich so groß, daß er die Angst um seine Krone vergaß und flugs in ihr Land reiste und sie in ihrem goldenen Hause aufsuchte.
Er war ganz bleich und erschöpft, als er bei ihr ankam, und seine geliebte Krone war ihm wirklich vom Haupte geschmolzen.
Die Königin fiel ihm vor großer Freude zu Füßen und sagte: »Ich danke dir, daß du mich so liebhast, daß du deine Krone opfern konntest.«
Und sie blieben einen Tag und eine Nacht zusammen und waren glücklich und vergnügt. Länger aber konnte der König es im Sonnenreiche nicht aushalten, denn der Glanz darin blendete seine Augen, und die große Wärme tat ihm weh.
Bald darauf wurde der Wunsch der Königin endlich erfüllt, und sie bekam ein kleines, schönes Prinzeßchen. Und als es heranwuchs, war es ganz wie seine Mutter anzusehen: es hatte rotgoldene Locken und strahlende Augen, weiche gute Hände und leichte flinke Füße.
Und die Königin Sonne nannte es Zephyra und liebte es sehr. Und sie hielt ihr Wort, das sie den armen Menschlein gegeben hatte, und schickte Zephyra jedes Jahr einmal mit ihrem goldenen Feuerwagen über die Grenze ihres Reichs den wilden Brüdern entgegen; und wenn diese ihre schöne Schwester sahen und sie mit den weißen Händen über deren struppige Haare strich, wurden sie plötzlich sanft und blickten nicht mehr so wild und trotzig um sich.
Jedes Jahr ging Zephyra ihnen ein Stückchen weiter entgegen, bis sie auch dem König Sturm mit den schwarzen Hengsten begegnete. Da war der König sehr glücklich, als er sein schönes Kind sah, und küßte es und weinte vor Freude, und seine Tränen fielen wie fruchtbarer Regen auf die Erde. Und überall, wo Zephyra die Erde mit ihren leichten Füßen berührte, wurde es heller und wärmer, Blumen fingen an zu blühen, und Vögel sangen. So freuten sich alle Menschen auf die Zeit im Jahre, da sie zu kommen pflegte, und machten ihr ein großes Fest und wurden glücklich und gut unter ihren sanften Händen.
Und so schwebte Zephyra zwischen dem goldenen Schlosse der Königin Sonne und dem weißen Schlosse des Königs Sturm hin und wieder, bis sie aus Licht und Blumen zwischen den beiden Reichen eine Brücke gebaut hatte, auf der König Sturm und Königin Sonne einander ohne Angst begegnen konnten. Und da wurde es wunderschön auf der ganzen Erde. Und Zephyra blieb der Liebling der Menschen.