Alphonse Daudet
Die wunderbaren Abenteuer des Tartarin von Tarascon
Alphonse Daudet

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Ein Wort an Cervantes – Die Landung – Wo sind die Türken? – Enttäuschung!

O Miguel Cervantes von Saavedra! Wenn die Behauptung auf Wahrheit beruht, daß an jenen Orten, an denen große Menschen geweilt haben, etwas von ihrem Wesen, von ihrem Geiste zurückbleibt und die Luft durchdringt bis an das Ende aller Tage – wenn das wahr ist, dann muß der unsterbliche Teil von dir, der den Berberstrand umschwebt, seine innige Freude empfunden haben, als er Tartarin aus Tarascon ans Land steigen sah, diesen wunderlichen Typus des Südfranzosen, der in sich selbst die beiden Helden deines unsterblichen Werkes vereinigte – Don Quixote und Sancho Pansa.

Es war ein herrlicher, warmer Tag. Auf dem von der Sonne hell beleuchteten Quai promenierten fünf oder sechs Steuerbeamte; einige Algerier näherten sich den Ankömmlingen, um neue Nachrichten aus Frankreich zu erfahren; ein paar Mauren hockten im Kreise und rauchten aus langen Pfeifen; maltesische Matrosen brachten Fischnetze ans Land, durch deren Maschen Tausende von Sardinen wie kleine Silberstücke schimmerten.

Kaum hatte Tartarin den Fuß aufs Festland gesetzt, als sich der Quai auch belebte und seine Umgebung ein vollständig anderes Gepräge erhielt. Eine Bande Eingeborener, die noch abscheulicher aussahen als die Seeräuber des Bootes, erhob sich von den Steinen des Strandes und stürzte auf den Fremden zu – große Araber, die außer einem Leinenkittel nichts auf dem Leibe hatten, kleine, in Lumpen gehüllte Mauren, Neger, Tunesen, Mulatten, Hotelkellner mit weißen Schürzen. Alle lachten, schrieen, faßten ihn an den Ärmeln, an den Rockschößen, am Kragen und stritten sich um sein Gepäck. Der eine nahm seine Konserven, der andere seine Reiseapotheke, und alle nannten ihm in wirrem Durcheinander empfehlenswerte Hotels mit sonderbar klingenden Namen.

Es war ein heilloser Trubel.

Der arme Tartarin wußte gar nicht, wie ihm geschah. Er lief hierhin und dorthin, schimpfte, fluchte, schlug um sich, um wenigstens seine Gepäckstücke zusammenzubehalten, und da er nicht wußte, wie er sich dieser unzivilisierten Horde verständlich machen sollte, sprach er bald französisch, bald provenzalisch, ja selbst lateinisch – so viel er davon noch behalten hatte: Rosa – die Rose, bonus, bona, bonum – das war so ziemlich alles, was er noch wußte.

Vergebliche Mühe! Niemand hörte auf ihn. Da kam glücklicherweise ein kleiner Mann herbei, der einen langen Rock mit gelbem Kragen trug und einen großen Stock als Waffe führte. Er kam dem Reisenden zu Hilfe, wie die Götter bei Homer, wenn sie ihre Lieblinge im Handgemenge bedroht sahen. Mit seinem Stocke jagte er die aufdringliche Gesellschaft auseinander. Es war ein algerischer Polizeibeamter. Er wandte sich nun sehr höflich an Herrn Tartarin, empfahl ihm im Hotel de l'Europe abzusteigen, winkte einige in der Nähe stehende Kellner dieses Hotels herbei und sorgte dafür, daß sie ihn und sein Gepäck auf mehreren Karren davonführten.

Schon bei den ersten Schritten, die er in Algier tat, machte Tartarin von Tarascon große Augen. Eine orientalische Stadt hatte er sich früher ganz anders vorgestellt. Er glaubte, sie müßte einen feenhaften, geheimnisvollen Eindruck machen, sie müßte so etwa ein Mittelding zwischen Konstantinopel und Zanzibar sein. Und wie sah er sich nun enttäuscht. Er war wie aus den Wolken gefallen. Das war ja alles geradeso wie daheim in Tarascon: Cafés, Restaurants, breite Straßen, vier Stockwerk hohe Häuser. Auf einem kleinen, gut gepflasterten Platze spielte die Kapelle eines algerischen Linienregiments eine Polka von Offenbach; in der Nähe saßen einige Herren auf höchst eleganten Stühlen vor einem Kaffeehaus, tranken Bier und aßen Spritzkuchen. Da promenierten elegant gekleidete Damen, ein paar Kokotten, dann kamen Soldaten, ihnen folgten andere Soldaten, diesen wieder andere – wohin er blickte, sah er Soldaten . . . aber keinen Türken, auch nicht einen einzigen, mit Ausnahme seiner eigenen Person.

Als er quer über den Platz gehen wollte, fühlte er sich einigermaßen geniert. Alle Welt blickte ihn erstaunt und neugierig an, die Militärkapelle hörte sogar zu spielen auf, und die hübsche Polka von Offenbach blieb sozusagen mit einem Fuße in der Luft hängen.

Die beiden Flinten auf der Schulter, den Revolver im Futteral an der Seite, so ging Herr Tartarin, ernst und würdevoll, wie Robinson Crusoe, an den Gruppen der Staunenden vorbei, ohne sie noch eines Blickes zu würdigen. Aber als er glücklich im Hotel angelangt war, verließen ihn doch seine aufs höchste angespannten Kräfte. Die Abreise von Tarascon, der Hafen von Marseille, die Überfahrt, der montenegrinische Prinz, die Piraten, das alles ging ihm wirr durch den Kopf. Es sauste und brauste ihm in den Ohren, es flimmerte ihm vor den Augen. Nur mit Not und Mühe konnte er noch die Treppe hinaufsteigen, sein Zimmer betreten, die Waffen ablegen und sich entkleiden – das Hotelpersonal wollte sogar schon einen Arzt holen lassen.

Kaum hatte sich Tartarin jedoch zu Bett gelegt, als er auch schon einschlief und so kräftig und laut schnarchte, daß der Wirt einsah, die medizinische Wissenschaft sei hier nicht vonnöten. Leise zog er sich mit seinem Personal zurück.


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