Alphonse Daudet
Rosa und Ninette
Alphonse Daudet

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Zehntes Kapitel.

Ganz am Ende der Allee des Observatoriums, unter dem dichten Laub der Kastanien, schritt an einem Juninachmittag Frau La Posterolle ungeduldig auf dem Asphalt hin und her, während auf den zerstreuten Bänken längs desselben müßiges Volk und Galgengesindel herumlagerte. Die Dame, welche von den Strümpfen bis zum Sonnenschirm ganz in Schwarz gekleidet war, wozu ihre weiß gepuderte Ahnfrauenfrisur einen scharfen Gegensatz bildete, schien wenig empfänglich für das schmeichelhafte Erstaunen der Bummler und Studenten, die, auf dem Wege zu dem in der Nähe wähnenden Fechtmeister, sich nach der alten Person mit den herausfordernd jugendlichen Augen und den selbstgewissen, festen Schritt eines Schiffskapitäns auf seiner Kommandobrücke herumdrehten. Jeden Augenblick sah sie nach der mikroskopischen Uhr ihres Lederarmbandes und murmelte zornig: »Fünf Uhr – fünf Uhr zehn – fünf Uhr zwanzig« – sich fragend, wie lange sie noch zu warten haben würde, als Fagan mit dem langsamen, schwankenden Schritt des ersten Ausganges am Ende der Allee erschien.

Da er sich hartnäckig weigerte, seine Töchter nach dem Eklat ihres Besuches zu sehen, hatte seine Exgattin dieses Stelldichein zum Zwecke der Regelung gewisser Angelegenheiten, Rosas Heirat betreffend, von ihm bewilligt erhalten, und Pauline Hulin, die, immer gütig und verständig, ihn seinen Kindern wieder zu nähern suchte, ihn bis zum Luxemburg begleitet, wo Moriz und sie auf ihn warteten.

Als Frau La Posterolle ihn von weitem kommen sah, bleich und abgemagert, den feinen Schnurrbart fast ganz ergraut, eilte sie mit einem kleinen Lachen, welches ihren grausamen Gedanken: »Ist der klapperig geworden!« verriet, ihm entgegen, um sich sogleich mit einer Miene des Interesses und ihren beliebten Schäkereien an ihn zu schmiegen. Er, der all ihrer Verrätereien bis zu der letzten, des Bruchs mit seinen Töchtern, gedachte, fühlte Verachtung und Zorn, und in seiner Schwäche Furcht wie vor einem bösen Dämon, einem tückischen Kobold, der sich in dem Dunkel der Allee versteckt hielt.

»Gut, daß Sie gekommen sind,« begann sie, neben ihm hergehend, indem sie ihren Schritt dem seinigen anpaßte. Da es die Schicklichkeit verböte, daß sie zu Fagan, noch dieser zu ihr käme, so hätte sie an ihre alte Allee gedacht, um ihre gemeinsamen Interessen zu regeln –

Er unterbrach sie lebhaft: »Warum haben Sie sich nicht an meinen Rechtsanwalt gewendet? Mit ihm ist alles abgemacht.«

»Und ich habe daran Ihren großmütigen Charakter erkannt –.« Aber es handelte sich nicht nur um Geld, sondern hauptsächlich um die Anordnung der Hochzeitstafel, des Brautzuges und die Bestimmung, wo der Ehekontrakt unterzeichnet werden sollte.

Bei ihm wie bei ihr hätte es die gleichen Inkonvenienzen. Sie hätte daher an die Remorys, die Eltern des jungen Mannes, gedacht. Ihm wäre das recht? Gut – dann zu etwas anderem. Die Trauung – wohlverstanden eine kirchliche – würde in der Madelaine stattfinden, und Rosa wünschte über alles, am Arm ihres Vaters in die Kirche zu treten.

»Sie weiß, was sie zu diesem Zweck zu tun hat,« sagte Fagan, plötzlich stehen bleibend mit gebieterischer Geberde.

Die Dame blinzelte mit den Augen.

»Wohl einige Zeilen der Entschuldigung an Frau Hulin, wie?«

»Unbedingt.«

»O, dazu wird sie sich gern verstehen. Man hält zu sehr auf den Arm des berühmten Vaters –!« Das sagte sie mit besonderer Betonung, um ihm zu bedeuten, daß es nur eine Frage der Eitelkeit und nicht der Liebe war. Dann setzte sie lächelnd hinzu: »Weniger begünstigt als meine Tochter, werde ich den Arm des Präsidenten Remory nehmen.«

»So werden wir alle beide anwesend sein?« fragte Fagan betroffen.

»Wie anders, da wir unsere Tochter verheiraten.«

Er schritt eine Weile stumm dahin; dann murmelte er: »Wunderlich trotz alledem. – Und Ihr Gatte, La Posterolle –« fragte er in ironischem Ton.

»Eben La Posterolle – ich wollte gerade von ihm sprechen. Als meinen Mann und Rosas Stiefvater ist es, schwer, ihn auszuschließen – zudem hat er die Partie zustande gebracht. Bevor Gaston Remory in die Magistratur eintrat, war er Attaché in seinem Kabinet. Finden Sie daher nicht, daß er in dem Brautzug mitgehen müßte?«

»Ich habe nichts dagegen einzuwenden.« – Dann versank Fagan plötzlich in tiefes Nachdenken und ließ die Frau an seiner Seite schwatzen,, mit ihren Armbändern und ihrem Sonnenschirm spielen, und die Familie Remory, den Präsidenten, die Präsidentin und jenen kostbaren Eleven von Saint-Cyr, der Ninette umschwärmte, nach Herzenslust preisen. »Noch eine Hochzeit in Aussicht, lieber Freund; eine Gelegenheit zu neuen Rendezvous unter unseren hohen Bäumen. – Ich liebe sie, diese hohen Bäume – und Sie?«

Er antwortete nicht, beschäftigt mit der Aussicht auf eine endlose Reihe dieser traurigen Zusammenkünfte, bei denen er seine frühere Gattin, jedesmal gealtert und verwandelt, immer boshafter und mit einer Stimme, die immer meckernder wurde, am Ende der breiten Allee erscheinen sah.

Sie rief ihn zum Bewußtsein der Gegenwart, indem sie ihn plötzlich fragte:

»Und Sie, mein lieber Fagan, wann gedenken Sie sich wieder zu verheiraten? Es steht nichts mehr im Wege, meine ich, da Herr Hulin tot ist.«

Er zitterte und sah sie forschend an.

»Ah, Sie wissen also?«

»Vieles, was Ihnen unbekannt ist, wette ich.«

Aus der Krümmung ihres Mundes und ihrem Seitenblick entnahm er, daß sie ihn verwunden, recht tief verwunden wollte. Aber eine böse Neugierde stachelte ihn.

»Was denn, reden Sie. Was ist mir unbekannt?«

»Nun, zum Beispiel, warum der Mann der schönen Pauline sich das Leben genommen hat. Ich bin überzeugt, daß Sie keine Ahnung davon haben. – Nun, er hat sich getötet – es sind seine eigenen Worte in einem Abschiedsbrief an einen Freund – weil er ein Glück ohne Morgen nicht überleben konnte. – Verstehen Sie? – Nein, nicht wahr?«

Er hatte so gut verstanden oder zu verstehen geglaubt, der Unglückliche, daß er, von einer plötzlichen Schwäche ergriffen, sich auf die nächste Bank setzen mußte.

»Es ist ganz natürlich – ein erster Ausgang – die Beine zittern einem noch ein wenig –« sagte Frau La Posterolle besorgt; und auf ein Zeichen Fagans, sich an seiner Seite niederzulassen antwortete die Pariserin mit einer kleinen Grimasse des Widerwillens: »Nein, ich danke, ich ziehe es vor zu stehen,« und sich auf ihren eleganten Schirm stützend, fuhr sie mit einem Wiegen des ganzen Körpers fort: »Also hören Sie. Wie Sie wissen, nahte der Augenblick, wo das Kind zur Verzweiflung der Mutter nach dem Gesetz in die brutalen Klauen des Mannes übergehen sollte. Plötzlich erscheint Hulin, der mehr als je verliebt war, bei seiner Frau – das war, als Sie in Korsika waren – und – ich wiederhole Ihnen ungefähr seine Worte: ›Wenn Du mir gewährst, was ich wünsche, schiffe ich mich ein, und Du hörst nichts mehr von mir; ferner verzichte ich durch ein in Deinen Händen zurückgelassenes Dokument auf alle gesetzlichen Rechte über unser Kind.‹«

Fagan sprang auf. »Unsinn – ein solches Dokument ist völlig wertlos. Kein Tribunal der Welt –«

»Ich weiß, ich weiß – aber Frau Hulin wußte es nicht, ihr Mann wahrscheinlich auch nicht. Ich habe es von dem Rechtsanwalt Malville – O! Da habe ich meine Quelle verraten, aber was tut es? Die Geschichte gewinnt dadurch nur an Glaubwürdigkeit. – Malville also sagte mir, daß diese Art von gütlichen Abmachungen unter den höheren Ständen sowie unter Bauern sehr häufig vorkämen, und daß in diesem Lande, wo jedermann die Gesetze zu kennen verpflichtet ist, sehr wenige auch nur das erste Wort davon wissen. Aber nun auf unsere Hulins zurückzukommen. Von dem Gedanken erschreckt, ihren Sohn hingeben zu müssen, willigte die Unglückliche in das, was der Mann von ihr verlangte, in die Ausübung seiner ehelichen Rechte für eine Nacht, und so opferte sie die Frau der Mutter. Es ist hart, aber gestehen Sie, daß die Einzelheiten dieser Nacht für die Kasuistiker interessant sein würden. Mag sein, daß sie vor dem Ehemann Abscheu empfunden; jetzt aber war er nicht mehr ihr Mann – getrennt von Bett und Tisch, lebte sie wie eine Witwe seit vier oder fünf Jahren – noch mehr, sie war bereits in dem Alter, wo die Frauen unseres Landes die Liebe begreifen und sie nur dulden –«

O, Giftmischerin! Mit welcher Kunst sie ihr Gift destillierte, und wie sie die zerstörenden Wirkungen in dem gefurchten, bleichen Gesicht verfolgte, das jedem anderen Mitleid eingeflößt haben würde!

»Diese Nacht, sehen Sie, hat den wieder beglückten Mann auch so schön gedünkt, daß er, in Havre angekommen, nicht den Mut hatte, sich einzuschiffen, und lieber starb, als daß er dieses Glück ohne Morgen, wie es in seinem Brief an Malville hieß, überlebte.«

Fagan hatte sich erhoben und murmelte zwischen den Zähnen:

»Einerlei! Ein solcher Vertrauensbruch ist ein starkes Stück von diesem Malville.«

»Das ja,« sagte sie mit ihrem häßlichen Lachen. »Man braucht ihm nur Wagner vorzuspielen, und man hat ihn mit Haut und Haaren.«

Nachdem sie noch einige Schritte weit schweigend nebeneinander hergegangen waren, weckte sie ihn aus seinem Nachdenken: »Wir müssen uns jetzt trennen.« Sie nahm seine Hand. »Die Kleinen sind in der Nähe. Wollen Sie sie nicht sehen?«

Er schwankte, dann sagte er mürrisch:

»Nein – ein andermal.«

»Sehr wohl – auf baldiges Wiedersehen, mein lieber Fagan.«

Sie verließ ihn auf der belebten Straßenkreuzung und gewann in leichtem, munteren Schritt die Ecke des Boulevard Port Royal, wo ein großer, offener Landauer voll grellfarbiger Sonnenschirme ihrer harrte.

»Allein?« fragte Rosa, enttäuscht, ihren Vater nicht zu sehen.

»Tut nichts! Es ist alles abgemacht,« entgegnete Frau La Posterolle mit erzwungenem Lächeln, und indem sie die breite, einem Ballschläger ähnliche Hand des Fräuleins nahm, um aufzusteigen, fügte sie hinzu: »Ah, der brave Kerl, er grollt nicht – er unterzeichnet den Ehekontrakt, er kommt zur Hochzeit –«

»Und meine Mitgift,« fragte Ninette »ist davon die Rede gewesen?«

»Alles abgemacht. Aber das Beste ist, daß ich ihm die Heirat mit seiner Madame unmöglich gemacht zu haben glaube.«

Die Jüngere lachte unter ihrem Halbschleier hell auf: »Da sind wir also die Konkurrenz los –.« Und Rosa, die jetzt keinen Grund zur Eifersucht mehr hatte, murmelte, während sich der Wagen in Bewegung setzte und ihre lange Gestalt zusammenknickte:

»Armer Papa!«

Dieser schritt währenddessen über die grünen, blumengeschmückten Plätze, welche die untergehende Sonne mit einem Netz goldener Lichter überspann, dem Luxemburggarten zu, wo er Frau Hulin und ihren Knaben treffen sollte. Die Augen zu dem hohen Gitter des Gartens erhoben, dessen Eisenstäbe durch violette Schatten bis ins Unendliche verlängert schienen, dachte er im Gehen an die Freundin, welche ihn hinter dieser nur scheinbar so hoch hinausragenden Barriere, einem Bilde des sie trennenden Schicksals, erwartete. Er erklärte sich jetzt die Skrupel, welche die reizende und zartfühlende Pauline, die ihn, bevor sie frei war, zu lieben schien, bewogen, sich plötzlich zurückzuziehen, nachdem sie Witwe und Herrin ihres Willens geworden, Skrupel, die ohne Zweifel übertrieben waren, und welche er mit der Zeit und durch unermüdliche Liebe zu verstreuen hoffte.

Darüber wieder ganz heiter geworden, beschleunigte er seinen Schritt und atmete mit den empfänglichen Sinnen des eben Genesenen die milde Luft, die verschiedenen Wohlgerüche der Blumenbeete ein, welche der mit dem Geräusch von Quellen niederrieselnde Staubregen der Bewässerung erquickte. Aber dann fielen ihm wieder die Reden der Frau La Posterolle ein. Das Gift wirkte, schlich sich aus einer Ader in die andere. Eine Nacht, eine ganze Nacht im Arm dieses Mannes! Wahrlich, das mußte ein Opfer gewesen sein, da sie ihn, Fagan, liebte. Ja, sie liebte ihn, kein Zweifel. Indem sie sich also einem anderen hingegeben hatte, und zwar freiwillig, da der Mann, der tatsächlich seit Jahren nicht mehr ihr Gatte war, kein Recht mehr auf sie besaß, hatte sie gelogen, mit ihrem Herzen, mit ihrer ganzen Person.

Nicht mehr ihr Gatte! Wie hatte das nichtswürdige Weib es verstanden, ihn allein durch diese vier Worte, die sie ihm unter die Haut gespritzt, Leid zu bereiten. Nicht mehr ihr Gatte! Das hieß, nicht mehr der, den sie verabscheute, gegen den sich Herz und Fleisch in ihr empörte, ein Neuer, Fremder in diesem Bett strenger Witwenschaft und, wie Frau La Posterolle sagte, im Alter, wo die Frau –

O, diese großen, blauen Augen, halb geschlossen unter den Küssen eines anderen, diese weißen Schultern mit der reinen, kernigen Haut, gegen ihren Willen von einem Wollustschauer überlaufen – er mußte sich das immer und immer wieder vorstellen. Und Pauline wußte es sehr wohl; sie wußte, daß, wenn sie sich heirateten, diese Erinnerung sie beide verfolgen, ihr Glück beinträchtigen und beschmutzen würde. Ja, sie hatte recht, und er teilte jetzt alle ihre Skrupel. Allein er zögerte noch, sich mit seiner Freundin darüber auszusprechen. – Denn am Ende konnte dieses Gefühl in ihnen beiden eine Wandlung erfahren, sich im Laufe der Zeit bei fortgesetztem zärtlichen Verkehr mildern, ja, wer weiß, ob die Liebe an einem so schönen Lenztag wie diesem nicht sogar alles siegreich überwinden und auslöschen würde durch ein helles Auflodern ihrer heilenden und versöhnenden Flamme.

Unter diesen einander widerstreitenden Betrachtungen war er langsam an den Eingang des Luxemburg gelangt. Bevor er eintrat, drehte er sich und ballte die Faust gegen jene Alleen, durch deren dunkles Laub die schlanken und wollüstigen Gestalten Carpeaux' schimmerten, welche den Erdball in ihren erhabenen Armen halten und in ihrer Fünfzahl alle weibliche Hinterlist der Erde darstellen. »Gewürm,« grollte er, »Du verstehst Dich darauf, dem Manne das Blut auszusaugen –«

Eine kleine Hand, die sich in die seine stahl, zog ihn in den Garten, wie wenn seine Freundin auf der entfernten Bank, auf der sie saß, geahnt, was er litt, und ihm Moriz entgegengeschickt hätte, um ihn aus seinen schmerzlichen Betrachtungen zu reißen.

»Gott, wie bleich Sie sind!« sagte Frau Hulin, als er bei ihr anlangte, und indem sie ihn fragte, ob es ihm auch nicht kalt geworden sei, verriet ihre Stimme eine gewisse Besorgnis, jene instinktive Furcht des Weibes vor einer Gefahr, die man ihm verbirgt, und die es errät. Was war es? Was hatte er erfahren, das seine Züge in solchem Maße verzerrte?

»Wenn Sie sich einen Augenblick setzten – vielleicht ist es nur ein wenig Ermüdung?«

»Nein, gehen wir lieber. Mich verlangt es, Ihren Arm unter dem meinigen zu fühlen,«

Er bemerkte, daß sie zitterte, und ebenso befangen und unruhig war wie er. Sollte er trotz seines Entschlusses von vorhin die Sache sogleich und offen zur Sprache bringen, diese Ungewißheit, die ihnen das Herz bedrückte, zerstreuen? Während das Kind vor ihnen herlief, hatten sie mechanisch die Terasse zur Linken verfolgt, da die zur Rechten um diese Zeit von Spaziergängern der Musik wegen wimmelte, von welcher einzelne Töne durch das Laubwerk zu ihnen drangen, untermischt mit dem Geschrei der Kinder, dem Pfeifen der Schwalben, dem Toben und Tollen der Kleinen, die immer aufgeregter werden, je tiefer die Sonne sinkt. Der Spaziergang schien Fagan so süß in der Stille dieses Abends, die Frau an seiner Seite so frisch trotz ihres Trauergewandes, ihr Teint so zart wie der ihres Kindes, daß er nicht den Mut hatte, diese köstliche Harmonie zu stören, und sich damit begnügte, von seiner Zusammenkunft gerade nur das mitzuteilen, was die Heirat seiner Tochter betraf,

»Ah, meine Freundin, wie recht hatten Sie! – Welch ein Wagnis ist die Scheidung, und welch bizarre Verwicklungen bringt sie mit sich. Rosa wird sich in einigen Tagen verheiraten, und ihre Heirat vollzieht sich durchaus in ordnungsgemäßen Formen, aber da ihre Eltern geschieden sind, welch seltsames Schauspiel wird die Hochzeit darbieten –«

Er vergnügte sich damit, den Brautzug zu schildern, wie er als Vater, die Braut führend, an der Spitze ging, hinter ihm Frau La Posterolle, die Mutter, die aber nicht mehr den Namen der Tochter trug – endlich La Posterolle, der Mann der strikten Observanz, der ebenfalls im Zug mitging und sich durchaus an seinem Platz fühlte.

»Stellen Sie sich das vor, die unendliche Treppe der Madelaine hinansteigend und durch das große Portal in die Kirche ziehend, die von sämtlichen Kerzen erhellt und von den Fluten der Orgel durchbraust, diese Mißgesellschaft empfängt – ah, wenn Paris noch lachen könnte –«

Fagan lachte indessen nicht, er, der in seiner Vaterliebe verletzt war, seine Töchter endgültig verloren hatte. Als Pauline wieder dagegen zu protestieren und für sie einzutreten versuchte, glich ein schnelles Lächeln wie eine Grimasse über Regis Gesicht, und bis zu Tränen enttäuscht, sagte er:

»Nein, meine Freundin, Sie irren sich; meine Kinder, die das böse Weib an sich gerissen, gehören mir nicht mehr. Mein Rechtsanwalt hat es mir vorausgesagt. Es war die langsame Arbeit der Ameise, der Bohrmuschel, die nach und nach ihr Werk tut – und nun zu denken, daß ich bis an das Ende meines Lebens an diese Kreatur gebunden bin, daß sie mich nie mehr los läßt. Wir werden uns bei Ninettens Hochzeit, später, wann wir Großeltern sind, bei den Taufen wieder begegnen. Ich werde sie zur Mitpatin haben, Sie werden es sehen, und sie wird meine Enkel mich verabscheuen lehren, wie sie es meine Kinder gelehrt hat. – Ach, die Scheidung, dieses Zerreißen der ehelichen Bande, die ich als eine Befreiung bejubelte, Sie erinnern sich – über die ich so froh, auf die ich so stolz war –. Aber wenn man Kinder hat, ist sie keine Lösung.«

Frau Hulin schüttelte leise mit dem Kopfe.

»Mit Kindern ist die einfache Trennung nicht viel besser – sie ist nur eine scheinbare, eingebildete – das Kind bleibt immer eine Kette zwischen Vater und Mutter.«

Sie sagte das mit jener tiefen, schwermütigen Stimme, in der sie ihre schwersten Kümmernisse aussprach; denn ihr gewöhnlicher Ton war kristallhell und klar wie ihr ganzes Wesen.

»Was ist dann aber zu tun?« murmelte Fagan. Nach einem langen Schweigen, während dessen die letzten Takte eines Marsches aus Lohengrin verklangen, sprach er das Ergebnis ihres beiderseitigen stummen Nachdenkens aus:

»Ja, die Integrität der Ehe – darin liegt das ganze Glück – sich bei der Wahl seiner Gattin sagen zu können: ›Wenn ich sterbe, werde ich mein Haupt an diese Schulter lehnen, diese Lippen werden mir die Augen schließen, und diese Schulter will ich weich und rein, diese Lippen frisch und nur für mich haben.‹ So habe ich die Ehe verstanden.«

Pauline seufzte traurig. Es war alles, wodurch sie ihre Zustimmung kundgab.

Sie waren die breite, abgerundete Terasse hinabgestiegen und irrten jetzt, fröstelnd bei dem rosigen Himmel und dem Bangen vor dem sinkenden Abend, um das große Bassin. Dieses Frösteln hatte sogar das Kind ergriffen, das nicht mehr lief, sondern sich in die schwarzen Gewänder der Mutter schmiegte.

»Wenn wir nach Hause gingen,« sagte sie nach einer Weile, »für einen ersten Ausgang sind Sie schon zu lange draußen,«

»Gut, gehen wir heim,« erwiderte Regis in demselben mutlosen Ton.

Als er am Ausgange im Gedränge der fortströmenden Menge sich nach einer Droschke umsah, bemerkte er plötzlich Frau La Posterolle und ihre Töchter, die sich ohne Zweifel bei der Musik verspätet hatten und nun ihren Wagen bestiegen. Die gesuchten Toiletten der Damen, die etwas auffallende Equipage, versammelten einige Neugierige um sich, worauf Rosa und Ninette sehr stolz zu sein schienen.

»Entfernen wir uns,« sagte Fagan leise zu seiner Begleiterin. – Seine Lieblinge, glänzend und geputzt, ganz in seiner Nähe zu haben und sie nicht umarmen zu können, verursachte ihm zu viel Herzeleid. Er war ein Opfer der Scheidung, der arme Mann, der seine Töchter, deren Mutter, seine eigentliche Familie, in dem Wagen unter Lachen und Scherzen und dem Wehen heller Bänder rasch davon fahren sah, während er, unschlüssig und schwankend auf dem Trottoir neben dieser Frau und diesem Kinde stehen blieb, deren tiefe Trauer, an der er teilnahm, ohne sie äußerlich zu teilen, deutlich genug sagte, wie sehr sie einander fremd waren und es voraussichtlieh bleiben würden.


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