Alphonse Daudet
Der Nabob. Band 2
Alphonse Daudet

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Elftes Kapitel

Die Feste des Bey

In Südfrankreichs sonnigen Gefilden sind wohlerhaltene Schlösser aus alter Zeit eine Seltenheit. Kaum ragt hier oder dort am Hügelrand eine alte Abtei mit verwitterter Fassade und öden Fensterhöhlen, durch die man nur noch den Himmel sieht, empor, ein von der Sonne zu Staub verbranntes Denkmal aus dem Zeitalter der Kreuzzüge oder der Liebeshöfe, ohne menschliche Spur zwischen seinen Steinen, an denen selbst der Epheu nicht mehr klettert, noch der Bärenklau, die nur trockener Lavendel noch umduftet. Inmitten aller dieser Ruinen macht das Schloß von Saint-Romans eine glänzende Ausnahme. Wer im Süden gereist ist, hat es gesehen und wird es nun gleich wiedersehen. Es liegt zwischen Valence und Montélimart, in einer Gegend, wo die Eisenbahn schnurgerade der Rhône entlang läuft, zu Füßen der reichen Hügel von Beaume, von Raucoule, von Mercurol, wo alles mit Rebenanpflanzungen bedeckt ist, die sich bis zum Flusse hinab erstrecken. Die Rhone ist dort grün und voll von Inseln wie der Rhein bei Basel, liegt aber unter einem Sonnenglanze, wie der Rhein ihn nie gesehen hat. Beim Vorüberfahren mit dem Eisenbahnzuge, der dort bei jeder Wendung sich jäh in die Rhone stürzen zu wollen scheint, sieht man am andern Ufer Saint-Romans breit vor sich liegen. Sein großartiger Aufbau mit den Rampen, Balustraden und all seinem architektonischen Schmuck, umgeben von einem prachtvollen Park, der Blick durch ungeheure Hagebuchengänge, an deren Ende sich weiße Statuen vom Blau des Himmels abzeichnen – das alles prägt sich trotz der Schnelligkeit der Fahrt unverlöschlich dem Gedächtnis ein. Ganz oben, inmitten weitgedehnter Rasenplätze, deren frisches Grün der sengenden Sonne zu spotten scheint, breitet eine gigantische dunkle Ceder ihre schattenspendenden Aeste aus und erinnert, vor dem alten Herrensitze aus der Zeit Ludwig XIV. stehend, an einen großen Neger, der den Sonnenschirm eines Höflings trägt.

Von Valence bis Marseille, in dem ganzen Rhonethal ist Saint-Romans de Bellaigue berühmt wie ein Feenpalast, und diese Oase von Grün und schönem sprudelnden Wasser macht in der That in jenen vom Mistral versengten Landen einen zauberhaften Eindruck.

»Wenn ich einmal reich werde, Mama,« sagte Jansoulet als kleiner Junge zu seiner Mutter, die er anbetete, »so will ich dir Saint-Romans de Bellaigue schenken.«

Und wie das Leben dieses Mannes der Verwirklichung eines Märchens aus tausend und eine Nacht glich, wie alle seine Wünsche, selbst die wunderlichsten, sich erfüllten, wie seine tollsten Einfälle Gestalt gewannen – so hatte er auch Saint-Romans gekauft, um es seiner Mutter darzubringen, und zwar vollständig neu ausgestattet und in großartigster Weise restauriert. Obgleich das nun schon lange her war, so hatte die brave Frau sich doch noch nicht an diese prächtige Wohnung gewöhnen können.

»Es ist der Palast der Königin Jeanne, den Du mir geschenkt hast, mein armer Bernard,« schrieb sie ihrem Sohne, »niemals werde ich mich entschließen können, dort zu wohnen.«

Sie wohnte auch in der That niemals dort, sondern quartierte sich in das Haus des Verwalters ein, ein Gartenhaus moderner Bauart, das zur Ueberwachung der Pachtwirtschaft, der Schäfereien und der Oelmühlen ganz am Ende des Besitztumes lag und einen ländlichen Ausblick auf Getreidefelder, Oelbäume und Weinberge bot, die sich bis an den Horizont hinzogen. In dem großen Schlosse wäre sie sich wie eine Gefangene in jenen Zauberwohnungen vorgekommen, wo den Eintretenden mitten in seinem Glück ein hundertjähriger Schlummer überfällt. Hier fand die Bäuerin, die sich nie an dies ungeheure, zu spät, von zu weit her und zu blitzartig gekommene Vermögen hatte gewöhnen können, hier fand sie sich wenigstens mit der Wirklichkeit verknüpft durch das Kommen und Gehen der Arbeiter, die Austrift und die Heimkehr des Viehes und dessen regelmäßige Gänge zur Tränke, durch das ganze gewohnte Landleben, das sie mit dem Hahnenschrei und dem scharfen Gekreische der Pfauen erweckte und sie vor Anbruch der Morgendämmerung über die Wendeltreppe ihres Gartenhauses herablockte. Sie betrachtete sich nur als eine Hüterin dieses prächtigen Gutes, das sie für Rechnung ihres Sohnes verwaltete und ihm in gutem Zustande überliefern wollte an dem Tage, wo er, reich genug und des Lebens bei den »Türken« überdrüssig, seinem Versprechen gemäß kommen würde, um mit ihr im Schatten von Saint-Romans zu wohnen.

Und wie waltete sie sorgfältig und unermüdlich! Schon früh morgens in den Nebeln der Dämmerung hörten die Knechte ihre rauhe und heisere Stimme: »Olivier . . . Peyrul . . . Audibert . . . auf! . . . es ist vier Uhr!« Alsdann eilte sie in die ungeheure Küche, wo die Mägde schlaftrunken die Suppe auf dem hellen, prasselnden Feuer der dicken Holzklötze kochten. Man gab ihr ihren kleinen Teller von Marseiller Steingut, angefüllt mit gesottenen Kastanien, ihr frugales Frühstück, das sie von Jugend auf gewohnt war und niemals durch andres ersetzen wollte. Dann lief sie raschen Schrittes umher, mit dem großen silbernen Schlüsselring am Gürtel, woran alle ihre Schlüssel klimperten, den Teller in der Hand, den Spinnrocken unter dem Arm, denn sie spann den ganzen Tag und unterbrach sich darin nicht einmal, um ihre Kastanien zu essen. Im Vorbeigehen warf sie einen Blick auf den noch in schwarzem Dunkel liegenden Stall, wo die Tiere sich schwerfällig regten und mit ungeduldigen Mäulern an der Krippe schnupperten; und das erste Morgenlicht, das über die Steinmauer des Parkes herüberglitt, fand die alte Frau, trotz ihrer siebzig Jahre, mit der Leichtigkeit eines jungen Mädchens bald hier bald dort geschäftig und thätig. Jeden Morgen überzeugte sie sich aufs neue von dem ungeschmälerten Dasein aller Reichtümer der Besitzung, ungeduldig zu konstatieren, ob die Nacht nicht die Statuen und die Vasen entführt, die hundertjährigen Baumgruppen entwurzelt oder die Quellen verstopft habe, welche sich in ihre hallenden Becken ergossen. Dann zeichnete die volle Mittagssonne noch auf dem Sande einer Allee oder gegen die weiße Mauer einer Terrasse diese lange Frauengestalt ab, wie sie Stücke dürren Holzes aufsammelte oder einen schlecht gewachsenen Zweig des Gebüsches abbrach, unbesorgt um die brennende Sonne, die von ihrer alten Haut wie von den Flächen einer alten Steinbank abprallte. Um diese Zeit zeigte sich auch ein andrer Spaziergänger im Park, der freilich weniger gelenkig und geräuschvoll war, sich mehr schleppte als ging, an die Mauern und Brüstungen sich anklammernd, ein armes, gekrümmtes, schlotterndes und verwachsenes Geschöpf, mit erstorbenen Gesichtszügen, das nie sprach und nur, wenn es müde war, einen kurzen Klageruf ertönen ließ, um den Diener herbeizurufen, der stets in seiner Nähe und ihm behilflich war, sich niederzusetzen oder sich auf eine Stufe hinzukauern, woselbst er dann stundenlang unbeweglich und stumm, mit schlaffem Munde, blinzelnden Augen verweilte, durch die durchdringende Monotonie der Grillen eingelullt, ein Schandfleck der menschlichen Gesellschaft in dieser prachtvollen Umgebung.

Dieses Geschöpf war der älteste Sohn, der Bruder Bernards, das Schoßkind von Vater und Mutter, das Ideal, die Intelligenz, die glorreiche Hoffnung der Familie des Nagelschmieds, die, wie so viele andre im Süden dem Aberglauben des Rechtes der Erstgeburt treu anhing und alle erdenklichen Opfer gebracht hatte, um den hübschen, ehrgeizigen Jungen nach Paris zu senden, der mit vier oder fünf Marschallstäben im Koffer sich auf die Reise gemacht hatte, ein Gegenstand der Bewunderung aller jungen Mädchen des Dorfes, und den Paris, nachdem es in seinem großen Bottich diesen glitzernden südländischen Flitter in zehn Jahren geklopft, ausgerungen, gepreßt, mit allen seinen ätzenden Flüssigkeiten gebrannt und in seinem Kote umgewälzt hatte, schließlich in diesem zerfetzten, verwahrlosten und vertierten Zustande wieder ausgespieen hatte, nachdem er seinen Vater durch den ihm bereiteten Kummer unter die Erde gebracht und seine Mutter genötigt hatte, ihr letztes zu verkaufen und vorübergehend in wohlhabenderen Häusern als Magd zu dienen. Gerade in dem Augenblick, als dieser Auswurf der Pariser Hospitäler, durch öffentliche Unterstützung der Heimat wieder zugeführt, dem Flecken St. Andéol wiederum zur Last fiel, gerade in diesem Augenblick war Bernard, er, den man den Junior nannte, wie es in den südlichen halbarabischen Familien Gebrauch ist, wo der ältere stets den Familiennamen annimmt, und der jüngere Sohn offiziell als junior bezeichnet wird, auf dem besten Wege, in Tunis sein Glück zu machen, wovon schon seine regelmäßigen Geldsendungen in die Heimat zeugten. Und nun, welche Gewissensbisse für die arme Mutter, alles, selbst das Leben und das Wohlergehen des unglücklichen Kranken dem robusten und mutigen Jungen danken zu müssen, den der Vater und sie selbst stets ohne Zärtlichkeit geliebt hatten, den man seit seinem fünften Jahre als Tagelöhner zu behandeln sich gewöhnt hatte, weil er sehr stark und zottig war und besser als irgend ein andrer im Hause zu basteln verstand. O, wie gern hätte die Mutter ihren Jüngsten bei sich gehabt, um ihm ein wenig all das Gute, das er ihr erwies, zu vergelten und ihm auf einmal diese Zärtlichkeitsschuld abzutragen, diese mütterlichen Liebkosungen, welche ihm vorenthalten geblieben waren.

Aber freilich diese königlichen Reichtümer bringen auch die Bürde, die Widerwärtigkeiten mit, die dem Leben der Könige naturgemäß anhaften. Die arme Mutter Jansoulet, inmitten ihrer glänzenden Umgebung, glich in der That einer wahren Königin, die das jahrelange Exil, die grausamen Trennungen und Prüfungen erfahren hat, wodurch die Größe aufgewogen wird. Einer ihrer Söhne unheilbar blödsinnig, der andre, fern von ihr, ganz von seinen umfangreichen Geschäften in Anspruch genommen, schrieb nur selten eine Zeile, sagte stets, »ich werde kommen«, und kam doch nicht. Im Laufe von zwölf Jahren hatte sie ihn nur ein einziges Mal und zwar bei Gelegenheit eines geräuschvollen Besuches des Beys in St. Romans gesehen, inmitten eines Trosses von Pferden und Karossen, inmitten von Feuerwerken und Festlichkeiten.

Kurz darauf war er seinem Fürsten nachgereist, nachdem er kaum Zeit gefunden, seine alte Mutter zu umarmen, die von diesem großen, so ungeduldig erwarteten freudigen Ereignisse nur einige Bilder aus illustrierten Journalen bewahrt hatte, auf denen Bernard Jansoulet dargestellt war, wie er mit Achmed das Schloß betrat und demselben seine alte Mutter vorstellte. So und nicht anders finden Könige und Königinnen ihre Familienbegegnungen in den illustrierten Blättern dargestellt. Dazu kam nur noch eine riesenhafte Ceder des Libanon, die man vom Ende der Welt hatte kommen lassen und die, wie ein Obelisk, mit den größten Schwierigkeiten und einem enormen Aufwande von Menschenkraft, Geld und Zugtieren an Ort und Stelle geschafft worden war, wobei man den halben Park verwüstete, um dieses Zeichen der Erinnerung an den königlichen Besuch aufzupflanzen.

Nunmehr wenigstens, da sie ihren Sohn für einen Zeitraum von mehreren Monaten, wenn nicht für immer in Frankreich wußte, hoffte sie, bei dieser Reise ihren Bernard ganz für sich zu haben. Und so kam er denn eines schönen Abends, inmitten desselben blendenden Glanzes und desselben offiziellen Apparates, umgeben von einer Menge von Grafen, Marquis und seinen Pariser Herren, die nebst ihren Dienern allein die beiden großen Breaks füllten, welche die Mutter zu ihrem Empfange nach der kleinen Station Griffes, an der andern Seite der Rhone, gesandt hatte.

»Aber umarme mich doch, meine liebe Mutter. Du brauchst dich nicht zu genieren, deinen Sohn, den du seit Jahren nicht gesehen hast, recht kräftig ans Herz zu drücken. . . . Uebrigens sind diese Herren alle unsre Freunde. . . . Hier der Marquis von Monpavon, der Marquis von Bois-Landry. – Allerdings, es ist jetzt eine andre Zeit als damals, wo ich euch den kleinen Cabassu und Bompain zuführte, um die Bohnensuppe mit uns zu essen. Du kennst Herrn von Géry? Mit meinem alten Cardailhac, den ich dir hier vorstelle, ist das der erste Schub. Aber es kommen noch andre nach. Mache dich auf eine heillose Unruhe gefaßt. . . . In vier Tagen haben wir den Bey zu erwarten.«

»Schon wieder der Bey!« erwiderte die bestürzte Dame. »Ich glaubte, der sei tot.«

Jansoulet und seine Gäste konnten sich bei diesem Schreckensruf, der durch den südlichen Dialekt überaus komisch wirkte, des Lachens nicht enthalten.

»Das ist ja ein andrer Bey, Mutter. . . . Es gibt immer wieder Beys, gottlob! Aber habe nur keine Sorge, dieses Mal wirst du nicht so viel Beschwerden davon haben. . . . Mein Freund Cardailhac wird die ganze Affaire in die Hand nehmen. Wir werden prachtvolle Festlichkeiten haben. . . . Aber mittlerweile sorge, daß wir rasch unser Diner bekommen und daß unsre Zimmer bereit gemacht werden. Unsre Pariser sind völlig aufgelöst.«

»Alles ist bereit, mein Sohn,« erwiderte die Alte, die in ihrem schwarzen Kopftuche kerzengerade und steif dastand, mit ihren vergilbten Spitzen im Haar, die sie auch bei den größten Festlichkeiten nicht ablegte. Der Glückswechsel hatte in dieser Beziehung nichts geändert. Sie war die Bäuerin aus dem Rhonethal, unabhängig und stolz, frei von dieser duckmäuserigen Liebedienerei, wie sie die von Balzac gezeichneten Bauern zur Schau tragen, und auch zu einfach, um durch den Reichtum aufgeblasen zu werden. Ein einziger Stolz beseelte sie, und der bestand darin, ihrem Sohne zu zeigen, mit welcher peinlichen Sorgfalt sie sich ihrer Obliegenheit als Schloßverwalterin entledigt hatte. Nirgends ein Atom von Staub, kein Schimmelfleck an den Wänden. Das ganze prachtvolle Erdgeschoß, die Säle mit ihren schillernden Seidenvorhängen, die erst im letzten Augenblick ihrer Ueberzüge entkleidet worden waren, die langen, hallenden Sommergalerieen mit ihrem kühlen Mosaikboden, deren mit kokett geblümten Sommerstoffen bezogene Kanapees à la Louis XV. in die alte Zeit versetzten; der geräumige, mit Palmen und Blumen geschmückte Speisesaal bis zum Billardsaal mit seinen Kronen und der elfenbeinernen glänzenden Ausstattung; das ganze Schloß mit den auf die herrschaftliche große Freitreppe hinausgehenden geöffneten Fenstern präsentierte sich zum Entzücken der Ankömmlinge und reflektierte die wunderbare Umgebung mit der stillen und heiteren Pracht der untergehenden Sonne in den großen Spiegelwänden, in dem gewichsten oder gefirnißten Getäfel mit derselben Klarheit wie der Wasserspiegel der Weiher die sich gegeneinander neigenden Pappeln und die ruhig dahinziehenden Schwäne verdoppelte. Die Umrahmung war so schön, der allgemeine Anblick so überwältigend, daß darunter der schreiende und geschmacklose Luxus sich verlor und auch dem verwöhntesten Auge entging.

»Daraus läßt sich etwas machen,« sagte der Direktor Cardailhac, den Monocle ins Auge geklemmt und den Hut auf die Seite gedrückt, indem er in Gedanken sein Arrangement entwarf.

Und die hochmütige Miene Monpavons, den die Frisur der alten Frau bei dem Empfange auf der Freitreppe anfangs zurückgestoßen hatte, machte einem leutseligen Lächeln Platz. Allerdings ließ sich daraus etwas machen, und wenn sich ihr Freund Jansoulet durch Leute von Geschmack beraten ließ, so konnte er der tunesischen Hoheit einen höchst würdigen Empfang bereiten. Den ganzen Abend war unter den Gästen von nichts andrem die Rede. Die Ellbogen auf den Tisch gestützt, wurden in dem reich ausgestatteten Speisesaale Pläne entworfen und besprochen. Cardailhac, der einen weiten Blick hatte, war mit dem seinigen schon ganz im reinen.

»Vor allen Dingen carte blanche, nicht wahr, Nabob?«

»Carte blanche, mein Alter, und daß der dicke Hemerlingue vor Wut berstet.«

Der Direktor gab alsdann seine Pläne zum besten; die Festlichkeiten sollten tagweise eingeteilt werden, wie in Vaux, als Fouquet Ludwig XIV. empfing; einen Tag Schauspielvorstellung, einen andern Tag ländliche Festlichkeiten, Rundtänze, Stiergefechte, musikalische Aufführungen; am dritten Tage . . .

Und in seiner Sucht, den Direktor zu spielen, skizzierte er schon Programme, Plakate, während Bois-Landry, beide Hände in den Taschen, die Cigarre in eine Ecke seines boshaften Mundes geklemmt, in seinem Stuhle zurückgelehnt, schlief, und der Marquis von Monpavon stets zu strammer Haltung jeden Augenblick seinen Brustlatz zurechtrückte, um sich wach zu halten.

Géry hatte die andern Gäste frühzeitig verlassen und sich zu der alten Mutter geflüchtet, die ihn und seine Brüder von Kindesbeinen an gekannt hatte – in das bescheidene Wohnzimmer mit den weißen Gardinen und den hellen, mit Bildern behangenen Tapeten, wo die Mutter des Nabob an der Hand einiger aus dem Schiffbruche geretteter Bruchstücke ihre Vergangenheit wieder aufleben ließ.

Paul sprach leise zu der hübschen Alten, mit ihren regelmäßigen und strengen Zügen und ihrem weißen und gleich dem Flachs an ihrem Spinnrocken geglätteten Haar, die, in einen grünen Shawl eingehüllt, aufrecht auf ihrem Stuhle saß, sie, die nie in ihrem Leben sich an ein Kissen angelehnt, noch in einem Lehnstuhle gesessen hatte. Er nannte sie Françoise, und sie hieß ihn nur Herr Paul. Sie waren ja alte Freunde. . . . Und nun rate man, wovon sie sprachen. Von ihren Enkeln natürlich! Von den drei Knaben ihres Bernard, die sie nicht kannte, und die sie so gern kennen gelernt hätte.

»Ach, Herr Paul, wenn Sie wüßten, wie ich mich danach sehne. Ich wäre so glücklich gewesen, wenn man mir diese drei Kleinen anstatt aller dieser schönen Pariser gebracht hätte, . . . Stellen Sie sich vor, daß ich sie nie gesehen habe, außer auf den Bildern, die dort hängen. . . . Die Mutter der Kinder macht mir ein klein wenig Angst, sie ist eine Dame der großen Welt, eine geborene Afchin. . . . Aber ich bin überzeugt, die Kinder sind keine solchen Zieraffen und würden gewiß ihre alte Großmama lieb haben. . . . Ich würde immer glauben, daß ich den Vater als kleinen Jungen vor mir hätte, und würde ihnen alles vergelten, was ich dem Vater vorenthalten habe, denn, daß ich es nur sage, Herr Paul, die Eltern sind nicht immer gerecht. Man hat so seine Vorliebe. Aber Gott, der ist gerecht! Diejenigen, die man am meisten auf Kosten der andern hätschelt und verwöhnt, wie werden sie uns von dem lieben Gott oft zugerichtet. . . . Und die Parteilichkeit der Eltern bringt den Kindern häufig Unglück.«

Die Alte seufzte, indem sie einen Seitenblick nach dem großen Alkoven warf, hinter dessen Vorhängen sich von Zeit zu Zeit ein langer, stöhnender Atemzug vernehmen ließ, wie die unbewußte Klage eines Kindes, das nach einer empfangenen Züchtigung unter heftigem Weinen eingeschlafen ist. . . .

Ein schwerer Tritt ließ sich jetzt auf der Treppe hören, eine rauhe Stimme sprach ganz leise: »Ich bin es . . . laßt euch nicht stören.« Und Jansoulet trat über die Schwelle. Alle Welt im Schlosse hatte sich zur Ruhe begeben, und da er die Gewohnheiten seiner Mutter kannte und wußte, daß ihre Lampe immer die letzte war, die im Hause ausgelöscht wurde, so kam er, um sie zu besuchen, um ein wenig mit ihr zu plaudern und sie mit diesem Herzenswillkomm zu begrüßen, den sie vor den Gästen nicht miteinander hatten austauschen können.

»Bleiben Sie doch, mein lieber Paul, vor Ihnen genieren wir uns nicht.« Und in Gegenwart seiner Mutter wiederum Kind geworden, warf er sich zu ihren Füßen, indem er in rührender Weise mit Worten und Umarmungen die Alte liebkoste. Auch sie war von Herzen glücklich, ihn bei sich zu haben, aber sie fühlte sich doch nichtsdestoweniger ein wenig geniert, weil sie ihn als ein allmächtiges, außerordentliches Wesen betrachtete, das sie in ihrer Naivetät einem von Blitz und Donner umgebenen hohen Olympier gleichstellte. Sie sprach mit ihm, erkundigte sich nach seinen Freunden, nach seinen Geschäften, ohne gleichwohl den Mut zu haben, die Frage an ihn zu richten, welche sie an Géry gestellt hatte: »Warum hat man mir meine kleinen Enkel nicht gebracht?«

Aber Jansoulet war der erste, der dies Thema berührte: »Die Kinder sind in Pension, Mama. . . . Sobald die Ferien kommen, wird Bompain sie dir bringen. . . . Du erinnerst dich doch noch Bompains? Und dann sollen sie zwei ganze Monate bei dir bleiben und sich von dir hübsche Geschichten erzählen lassen, und dann werden sie mit dem Kopfe auf deinem Schoße einschlafen, so, siehst du . . .«

Und mit diesen Worten legte er seinen gewaltigen Krauskopf auf den Schoß der alten Frau, indem er sich in Gedanken die guten alten Abende aus seiner Kindheit ins Gedächtnis zurückrief, wo er ebenso, wenn es ihm gestattet wurde, und der ältere Bruder ihm den Platz nicht streitig machte, eingeschlummert war. Zum erstenmal seit seiner Rückkehr nach Frankreich genoß er in seinem aufregenden und geräuschvollen Leben einige Augenblicke der köstlichsten Ruhe, an dies treue mütterliche Herz gelehnt, das er in regelmäßigem Schlage wie den Pendel einer alten Dielenuhr pochen hörte, inmitten dieser völligen Stille der Nacht und des unendlichen Gefildes. . . . Plötzlich ließ sich wiederum derselbe lange Seufzer eines unter Thronen eingeschlafenen Kindes aus dem Hintergrunde des Zimmers vernehmen. Jansoulet erhob den Kopf, sah seine Mutter an und fragte ganz leise: »Ist er es?«

»Ja, er ist es, ich lasse ihn dort schlafen, er könnte während der Nacht meiner Hilfe bedürfen,«

»Ich möchte ihn wohl sehen und umarmen.«

»Gut, so komm!«

Die Alte erhob sich, nahm die Lampe, näherte sich dem Alkoven, zog vorsichtig die großen Vorhänge zurück und machte ihrem Sohne ein Zeichen, behutsam näher zu treten.

Der Kranke schlief. . . . Aber es war kein Zweifel, daß in seinem Schlafe etwas in ihm lebendig geworden war, was am Abende vorher ihn nicht gestört hatte, denn an Stelle der starren Bewegungslosigkeit, die ihn den ganzen Tag über nicht verlassen hatte, durchschüttelten ihn jetzt heftige Zuckungen und auf seinem ausdruckslosen und abgestorbenen Gesichte zeigte sich ein Zug schmerzlichen Leidens. Im höchsten Grade ergriffen, betrachtete Jansoulet diese abgemagerten, erdfahlen und welken Züge, aus denen ein Bart, der die ganze Lebenskraft des Körpers aufgesogen zu haben schien, mit einer überraschenden Fülle emporstarrte, dann beugte er sich herab, berührte mit der Lippe die in Schweiß gebadete Stirn, um die er ein Zittern wahrnahm, und sagte ganz leise, ernst und respektvoll, wie man zu dem Familienhaupte spricht: »Grüß Gott, Aeltester.«

Vielleicht hatte der umnachtete Geist ihn verstanden. Wenigstens bewegten sich seine Lippen und ein gedehnter Schmerzensruf antwortete ihm, ein sanfter Klagelaut, ein verzweifelnder Ausruf, der die sich begegnenden Augen von Mutter und Sohn mit Thränen füllt und ihnen beiden denselben Schmerzensschrei entlockt: »Pécaïré«, den lokalen Ausdruck für alles Mitleid und alle Zärtlichkeit.

Am folgenden Tage begann schon am frühen Morgen der Tumult mit der Ankunft der Schauspieler und Schauspielerinnen, eine Sündflut von Hütchen, Chignons, großen Stiefeln, kurzen Weiberröcken, gekünstelten Ausrufen, fliegenden Schleiern. Die Damen waren in der großen Mehrzahl, da nach Cardailhacs Meinung für den Bey es auf das Schauspiel wenig ankam, daß es sich vielmehr darum handele, falsche Stimmen aus einem hübschen Munde ertönen zu lassen, schöne Arme und wohlgebildete Beine in der leichten Bekleidung der Operette vorzeigen zu können. Alle plastischen Schönheiten an seinem Theater waren daher versammelt, Amy Férat an der Spitze, ein loser Vogel, der sich in mancherlei schon versucht hatte, ferner zwei oder drei berühmte Grimassenschneider, deren fahle Gesichter sich in dem frischen Grün der Parkanlagen fast ebenso geisterhaft ausnahmen wie die weißen Statuen. Die ganze Gesellschaft, aufgeregt von der Reise, ungewohnt der freien Luft, entzückt von der freigebigen Gastfreundschaft und von der Hoffnung beseelt, bei diesem Durcheinander von Beys, Nabobs und andern Schleppenträgern etwas für sich zu fischen, verlangte nichts andres, als sich zu ergötzen und mit der derben Ausgelassenheit einer Schar von Seineschiffern zu johlen, die sich am Lande gütlich thun. Aber Cardailhac war damit keineswegs einverstanden. Sobald alle untergebracht waren und sich umgekleidet hatten, auch das erste Frühstück eingenommen war, hieß es: Gleich die Rollen zur Hand genommen und in die Probe!

Es war keine Zeit zu verlieren. Die Proben wurden neben der Sommergalerie abgehalten, wo man schon mit dem Aufbau des Theaters begonnen hatte, und der Lärm der Hämmer vermischte sich mit den Couplets, und die gellenden Stimmen, welche nur notdürftig durch den Orchesterdirigenten zusammengehalten wurden, flossen zusammen mit dem lauten Schrei der Pfauen auf ihren Stangen.

In der Mitte der Freitreppe saß, wie auf der Bühne seines Theaters, Cardailhac, die Proben überwachend und einer Anzahl von Arbeitern und Gärtnern seine Befehle erteilend; er ließ Bäume fällen, welche die Aussicht hemmten, Zeichnete Entwürfe zu Triumphbögen, expedierte Depeschen und Eilboten an Bürgermeister und Unterpräfekten nach Arles, um eine Deputation von Landmädchen im Nationalkostüm zu bestellen, nach Barbantane, wo die schönsten Tänzer zu Hause sind, nach Faraman, das wegen seiner wilden Stiere und seiner Pferde berühmt ist, und da der Name Jansoulet in großen Buchstaben unter all diesen Sendschreiben prangte und mit diesem Namen der Name des Beys von Tunis stets verknüpft war, so beeiferte man sich, allen Anforderungen zu genügen; die Telegraphendrähte kamen nicht zur Ruhe, die Eilboten ritten die Pferde zu schanden, und dieser kleine Sardanapal vom Theater der Porte Saint Martin, den man Cardailhac nannte, wiederholte fortwährend: »Es läßt sich etwas daraus machen.« Er war überglücklich, das Gold mit vollen Händen ausstreuen zu können, die ganze Provence in Bewegung zu setzen, deren Kind dieser enragierte Pariser war, und deren Reichtum an malerischen Elementen er von Grunde aus kannte.

Ihrer Funktionen enthoben, zeigte die alte Mutter sich nur wenig, kümmerte sich nur um ihre Wirtschaft und um ihren Kranken. Die Menge der Besucher erschreckte sie und ebenso die unverschämten Bedienten, die man kaum von ihren Herren unterscheiden konnte, diese Frauenzimmer mit ihren dreisten und koketten Mienen, die glattrasierten alten Schauspieler, die wie verkommene Pfaffen aussahen, all dieses Gelichter, das sich nachts auf den Korridoren mit Kopfkissen und nassen Schwämmen verfolgte und die Troddeln an den Gardinen abriß, um sie zu Wurfgeschossen zu verwenden. Des Abends hatte sie von ihrem Sohne nichts, er mußte bei seinen Gästen bleiben, deren Zahl zunahm, je näher der Tag der Festlichkeit herankam; sie konnte sich nicht einmal mehr mit Herrn Paul über ihre kleinen Enkel unterhalten, da der gutmütige Jansoulet, der sich durch den Ernst seines Freundes etwas geniert fühlte, diesen fortgesandt hatte, um ihn einige Tage bei seinem Bruder verleben zu lassen. Und die sorgfältige Hausfrau, der man jeden Augenblick die Schlüssel abforderte, um Leinen zu holen, um eine Stube in Beschlag zu nehmen, um das Silberzeug zu komplettieren, und die an die von ihr gearbeiteten schönen Ueberzüge dachte, an die Verwüstungen, die an allen ihren Habseligkeiten bei Gelegenheit der Durchreise des früheren Beys im Schlosse angerichtet worden, als wäre eine Windhose darüber hingebraust, sagte in ihrem Patois, indem sie in fieberhafter Hast den Flachs an ihrem Spinnrocken anfeuchtete: »Daß das Feuer des Himmels die Beys und nochmals die Beys verbrenne!«

Endlich kam der Tag, der große Tag, von welchem man noch heute in der ganzen dortigen Gegend spricht. Gegen drei Uhr nachmittags, nach einem lukullischen Diner, bei dem dieses Mal die alte Mutter in einer neuen Spitzenhaube den Vorsitz führte und an welchem nebst Pariser Berühmtheiten, Präfekten, Deputierte, alle in großer Gala mit dem Degen an der Seite, auch Bürgermeister mit ihren Schärpen und glattrasierte Geistliche teilnahmen, trat Jansoulet, schwarz gekleidet und mit weißer Halsbinde, von seinen Gästen umgeben, auf die Freitreppe hinaus, wo sich ihm in dem glänzenden Rahmen einer bezaubernden Natur, inmitten von Fahnen, Triumphbögen und Trophäen ein wunderbarer Anblick bot: ein Ameisengewimmel von Köpfen, ein Flattern von Kleidern längs der Abhänge und Alleen, hier in lieblicher Gruppe auf dem Rasen gelagert die hübschesten jungen Mädchen von Arles, deren Köpfchen von zierlichen Spitzentüchern bedeckt waren, weiter unten die Tänzerin aus Barbantane, mit ihren acht Tamburinschlägern, jeden Augenblick bereit, den Tanz zu beginnen, mit verschränkten Händen, flatternden Bändern, den Hut auf einer Seite, ein rotes Tuch um die Hüften geschlungen. Noch weiter erblickte man die Sänger in Reih und Glied, schwarz gekleidet und mit glänzenden Hüten, allen voran der Bannerträger, ernsten Blickes, im Bewußtsein seiner Würde die Lippen aufeinandergepreßt, das Banner hoch in die Luft erhoben. Auf einem großen Rundell, das in eine Arena umgewandelt war, sah man schwarze gefesselte Stiere und auf ihren kleinen Rossen mit langer weißer Mähne, die Stierkämpfer, den Dreizack in der Hand, weiter unten noch mehr Fahnen, Helme, Bajonette, und zwar bis zum Triumphbogen am Eingangsthor. Selbst auf der andern Seite der Rhone, über welche zwei Compagnien Pioniere eine Schiffbrücke zu schlagen im Begriff waren, damit man von der Station in gerader Linie nach Saint-Romans gelangen könne, sah man, soweit das Auge reichte, eine unermeßliche Menge, ganze Dörfer, die von allen Seiten herbeigeströmt waren, und die sich auf dem Wege von Giffas zu einer Wolke von Staub und Geschrei zusammengeballt hatten, teils am Rande der Gräben sitzend, teils auf den Ulmen, teils auf Karren postiert: eine unabsehbare lebendige Hecke für den Triumphzug, Ueber all dieses Getümmel war eine blendende Sonne gebreitet, deren Strahlen hier auf dem Metall eines Tamburins, dort auf der Spitze eines Dreizacks oder der Franse eines Banners funkelten, und dazwischen strömte die mächtige Rhone, welche auf ihren spiegelglatten Wogen das lebende Bild dieses königlichen Festes dem fernen Meere zutrug. Beim Anblick dieser Wunder, aus welchen alles Gold seiner Geldschränke hervorleuchtete, überkam den Nabob ein Gefühl der Bewunderung und des Stolzes.

»Es ist prachtvoll . . .« sagte er erbleichend, und hinter ihm murmelte seine Mutter, auch blaß, aber von einer unnennbaren Bewegung ergriffen: »Es ist zu schön für einen Menschen, man möchte glauben, daß man das Kommen Gottes erwarte.«

Das Gefühl der alten katholischen Bäuerin stimmte im wesentlichen mit dem Eindruck überein, welchen das auf den Straßen wie zu einer großartigen Prozession versammelte Volk hatte, dem dieser Fürst aus dem Morgenlande, der da kam, um ein Kind dieses Landes zu besuchen, die Legende der drei Könige ins Gedächtnis rief, die dem Sohne des Zimmermannes ihre Ehrfurcht bezeigten.

Inmitten der aufrichtigen Beglückwünschungen, welche auf Jansoulet eindrangen, erschien plötzlich schweißtriefend aber triumphierend Cardailhac, der seit dem Morgen sich nicht hatte sehen lassen.

»Nun habe ich Ihnen nicht gesagt, daß sich daraus etwas machen ließe! – Wie? Liegt Schick darin oder nicht? . . . . Das nenne ich mir denn doch eine Zusamenstellung . . . Ich glaube, unsre Pariser würden es sich gewiß etwas kosten lassen, wenn sie einer ersten Vorstellung, wie dieser, beiwohnen könnten!«

Und darauf fügte er mit Rücksicht auf die danebenstehende Mutter leise hinzu: »Haben Sie die jungen Mädchen aus Arles gesehen? Sehen Sie sie sich ein wenig genau an, namentlich die erste, die vorne steht, um das Bouquet zu überreichen.«

»Aber das ist ja Amy Férat.«

»Allerdings. Sie sehen ein, mein Teurer, daß, wenn der Bey sein Taschentuch in diesen Haufen von schönen jungen Mädchen wirft, doch wenigstens eine darunter sein muß, die es aufzunehmen bereit ist. Diese unschuldigen Seelen da würden sich nicht darauf verstehen! Ja, ja, ich habe an alles gedacht, sollen Sie sehen. . . . Alles ist geordnet und geregelt wie auf der Bühne.«

Und nun erhob der Direktor, um einen Begriff von seinen Anordnungen zu geben, seinen Stock. Alsbald wurde dies Zeichen aufgenommen und durch den ganzen Park von oben bis unten wiederholt, und auf einmal vereinigten sich alle Sänger, alle Musikanten, alle Tamburins zu der majestätischen südlichen Volksmelodie: Grand Soleil de la Provence. Diese rauschende Musik hatte auf dem jenseitigen Flußufer eine lebhafte Unruhe hervorgerufen, da man nicht anders glaubte, als daß der Bey von der andern Seite seinen Einzug gehalten hätte. Auf ein neues Zeichen des Direktors schwieg das ungeheure Orchester allmählich, zwar mit einigen nachtönenden Noten, aber von einer aus dreitausend Mitwirkenden bestehenden Gesellschaft konnte man füglich nichts Besseres erwarten.

In diesem Augenblick fuhren die Wagen vor, die Galakutschen, welche bei den Festlichkeiten für den vorigen Bey benutzt worden waren, zwei große Karossen in Rosa und Gold nach tunesischem Geschmack, die von der Mutter Jansoulet wie Reliquien behütet worden waren, und die mit ihren gemalten Schlägen und ihren mit Gold durchwirkten Ueberzügen und Fransen ebenso glänzend und ebenso neu wie am ersten Tage aus der Remise gekommen waren. Auch in dieser Beziehung hatte Cardailhac seiner Erfindungsgabe freien Lauf gelassen, indem er statt der etwas schweren Pferde an diese gebrechlichen Fahrzeuge acht weiß angeschirrte Maultiere einspannen ließ, deren Mähnen geflochten und die mit Silberglöckchen und mit allerlei Zierat vom Kopfe bis zu den Füßen bedeckt waren, eine Ausschmückung, wie sie in der Provence heimisch ist, und die man den Mauren entlehnt hat. Wenn das den Bey nicht zufriedenstellte! . . .

Der Nabob, Monpavon, der Präfekt und einer der Generäle stiegen in die erste Equipage, die andern nahmen in den folgenden Wagen Platz. Die Geistlichen, die Bürgermeister, noch ganz illuminiert von dem herrlichen Schmause, eilten, sich an die Spitze der Sänger ihrer Gemeinden zu stellen, welche den Zug eröffnen sollten, und alles setzte sich nach der Station Giffas in Bewegung.

Das Wetter war prächtig, aber heiß und drückend, der Jahreszeit um drei Monate voraus, wie es so häufig in diesem heißblütigen Lande der Fall ist, wo alles vor der Zeit reift und da ist. Obgleich keine Wolke am Himmel sichtbar war, so verkündete doch die Unbeweglichkeit der Luft, eine feierliche Stille, welche die ganze Natur beherrschte, daß aus irgend einem Winkel des Horizontes ein Gewitter im Anzuge sei. Die unsägliche Abspannung in der Natur machte sich nach und nach auch bei den Menschen geltend. Man hörte nur das Klingeln der Glöckchen der Maultiere, die in einem gemessenen Schritt einhergingen, man hörte den schweren, abgemessenen Schritt der Sängerchöre, die Cardailhac in bestimmten Zwischenräumen postierte, und von Zeit zu Zeit in der doppelten lebendigen Hecke, welche die Straße einfaßte, in der Ferne einen Anruf, Kinderstimmen und das Geschrei eines Wasserverkäufers, des obligaten Begleiters aller Feste, die im Süden unter freiem Himmel gefeiert werden.

»Oeffnen Sie doch an Ihrer Seite, Herr General, man erstickt,« sagte Monpavon, vor Hitze purpurrot und für seine Schminke fürchtend, und durch die niedergelassenen Fenster konnte nun das gute Volk die hohen Würdenträger betrachten, wie sie sich von den erhabenen Gesichtern, die durch einen und denselben Ausdruck der Erwartung, nämlich des Beys, des Gewitters, überhaupt der Erwartung von irgend etwas gespannt waren, den Schweiß abtrockneten.

Noch ein Triumphbogen, und Giffas war erreicht, die lange mit Kieselsteinen gepflasterte Straße war mit Palmzweigen bedeckt, die alten schmutzigen Häuser mit Blumen und Fahnen geschmückt. Vor dem Dorfe lag die Station wie ein weißer Würfel am Wege, der wahre Typus eines kleinen Nebenbahnhofes, der verloren mitten unter Weinbergen daliegt und in dessen einzigem Wartezimmer sich niemals ein Mensch befindet, höchstens einmal eine alte Botenfrau, die, drei Stunden vor der Zeit angelangt, in einer Ecke kauert.

Zu Ehren des Beys war das unscheinbare Gebäude mit Fahnen, Trophäen und Teppichen geschmückt, Diwans waren herbeigeschafft und ein prachtvolles Buffett mit Sorbett und Delikatessen aller Art für Seine Hoheit aufgestellt. Der Nabob bemühte sich, nachdem er den Wagen verlassen, der beängstigenden Unruhe ledig zu werden, die auch er, ohne einen Grund dafür zu wissen, seit einem Augenblick empfand. Präfekten, Generäle, Deputierte, schwarze Fracks und gestickte Uniformen bewegten sich auf dem großen inneren Perron, imposante feierliche Gruppen bildend, den Mund gespitzt, in gravitätischer Haltung, wie sie sich für offizielle Persönlichkeiten geziemt, welche die Blicke auf sich gerichtet wissen. Und ihr mögt glauben, daß man sich von draußen die Nase gegen die Fensterscheiben platt drückte, um alle diese gestickten Uniformen zu betrachten, den Brustlatz Monpavons, der sich brüstete und aufging wie ein Hefenkuchen, Cardailhac, der fast atemlos seine letzten Anordnungen traf, und das gutmütige Gesicht Jansoulets, ihres Jansoulet, dessen glänzende Augen zwischen den aufgedunsenen und lederfarbigen Wangen sich wie zwei vergoldete Nägel auf einem Stücke Korduanleder ausnahmen. Da plötzlich ein elektrisches Glockensignal. Der Bahnhofsvorstand kommt in Aufregung herbeigelaufen: »Meine Herren, der Zug ist signalisiert, In acht Minuten wird er hier sein.« Alle erbebten, und instinktiv griff jeder nach der Uhr. Nur noch sechs Minuten, Dann unterbrach jemand das allgemeine Schweigen mit den Worten: »Sehen Sie doch dorthin!«

Auf der rechten Seite, von welcher der Zug erwartet wurde, bildeten zwei hohe Weinberge eine Schlucht, hinter welcher der Eisenbahndamm verschwand. In diesem Augenblick war diese Schlucht schwarz wie Tinte, da die Bläue des Himmels an dieser Stelle durch eine ungeheure Wolke verdunkelt wurde. Bei der feierlichen Einsamkeit des Fahrdammes, zu dessen beiden Seiten, soweit das Auge reichte, sich alles aufgestellt hatte, um die Ankunft Seiner Hoheit zu erwarten, hatte dieses dunkle Wolkengebilde, welches seinen Schatten vor sich hinwarf, etwas Beängstigendes, indem infolge eines Spieles der Perspektive die hochgetürmten Wolken langsam und majestätisch einherzuschreiten schienen, während der Schatten mit der Geschwindigkeit eines galoppierenden Pferdes einherjagte. Welch ein furchtbares Gewitter! Das war der Gedanke, der alle überkam, aber den sie kaum auszusprechen Zeit hatten, denn ein gellender Pfiff erschallte, und der Eisenbahnzug trat aus der finsteren Einbuchtung hervor. Ein wahrhaft königlicher Zug, schnell fahrend und nur ganz kurz, mit französischen und tunesischen Fahnen geschmückt, dessen rauchende und pustende Lokomotive, mit ihrem kolossalen Blumenbouquet an der Vorderseite, den Eindruck einer Brautjungfer bei der Hochzeit Leviathans machte.

In der Nähe der Station verminderte sich seine rasende Geschwindigkeit. Sämtliche offizielle Persönlichkeiten gruppierten sich, stellten sich in Positur, rückten ihre Galadegen zurecht und zupften ihre Vatermörder heraus, während Jansoulet sich dem Zuge näherte, mit einem unterwürfigen Lächeln auf den Lippen, und mit einem Rücken, der schon für das übliche Willkomm: »Salom alek« gekrümmt war. Der Zug fuhr jetzt ganz langsam, Jansoulet glaubte, er halte an, und legte die Hand auf den von Gold glänzenden Wagenschlag. Aber die Fahrgeschwindigkeit mochte wohl noch zu stark sein, genug, der Zug rückte langsam vorwärts, mit dem Nabob stets zur Seite, der den unseligen fest geschlossenen Wagenschlag zu öffnen bemüht war und mit der andern Hand befehlend nach der Lokomotive winkte. Aber die Lokomotive gehorchte nicht. »Lassen Sie doch halten!« Aber die Lokomotive hielt nicht. Ungeduldig sprang der Nabob auf das mit Decken belegte Trittbrett, und seinen großen Krauskopf zum Wagenfenster hineinsteckend, rief er mit jener etwas dreisten Rücksichtslosigkeit, die dem früheren Bey an ihm so wohl gefallen hatte: »Station Saint-Romans, Hoheit!«

Wie von einem furchtbaren Traumgesicht wurde Jansoulet von dem sich ihm darbietenden Anblick ergriffen, erschreckt, ja fast gelähmt. Er wollte sprechen, brachte aber kein Wort heraus, seine fleischigen Hände vermochten kaum sich anzuklammern, so daß er fast rücklings herabgestürzt wäre. Was war es denn, was er gesehen hatte? In halb liegender Stellung ruhte auf einem Diwan im Hintergrunde des Waggons der Bey, den schönen Kopf mit dem langen seidenweichen, schwarzen Barte in die Hände gestützt, den orientalischen Rock bis oben zugeknöpft, ohne andern Schmuck als das große Band der Ehrenlegion quer über die Brust und mit einer Diamantfeder an seinem Fes, sich nachlässig mit einem goldgestickten Fächer Kühlung zufächelnd.

Zwei Adjutanten, sowie ein Ingenieur der Bahn standen neben ihm. Gegenüber, auf einem andern Diwan, befanden sich in zwar respektvoller, aber immerhin bevorzugter Stellung, da sie allein in Gegenwart des Beys saßen, Hemerlingue, Vater und Sohn, mit ihren citronengelben Gesichtern und den über die weiße Halsbinde herabfallenden Backenbärten, zwei Eulen vergleichbar, der eine dick und der andre dünn, im Begriffe, die von ihnen zurückeroberte tunesische Hoheit im Triumph nach Paris zu führen. . . . Welch schrecklicher Traum! Alle diese Herrschaften, obwohl sie Jansoulet sehr genau kannten, sahen ihn gleichgültig an, als ob sein Anblick keine Erinnerung in ihnen wachzurufen vermöchte. . . . Kreidebleich zum Erbarmen, kalten Schweiß auf der Stirn, stammelte er: »Aber Hoheit, wollen Sie denn nicht aussteigen?« Ein greller Blitz, dem ein furchtbarer Donnerschlag unmittelbar folgte, schnitt ihm das Wort ab. Aber der Blitz, der in den Augen des Fürsten zuckte, schien unserm Nabob nicht weniger schrecklich. Hoch aufgerichtet, mit erhobenem Arme, schmetterte ihn der Bey, mit einigen bedächtigen und wohlvorbereiteten Worten, die in jenem Kehltone, der an die harten Laute des Arabischen erinnerte, übrigens aber im reinsten Französisch gesprochen wurden, nieder: »Mach, daß du nach Hause kommst, Mercanti. Der Fuß geht dorthin, wohin das Herz ihn treibt; mein Fuß wird nie das Haus des Mannes betreten, der mein Land bestohlen hat.«

Jansoulet wollte erwidern. Aber der Bey machte ein Zeichen: Genug. Und nachdem der Ingenieur auf eine elektrische Glocke gedrückt hatte, worauf ein Pfiff von der Lokomotive antwortete, dehnte der Zug, der immer in langsamer Bewegung geblieben war, seine knackenden Eisenmuskeln und fuhr mit voller Kraft davon, während inmitten schwarzer Rauchwolken und von unheimlichen Blitzen beleuchtet seine Fahnen im Gewittersturme flatterten.

Jansoulet, der in schlotternder Haltung, einem Betrunkenen ähnlich, auf dem Perron stehen geblieben war und sein Glück auf immer entschwinden sah, fühlte nicht, wie die schweren Regentropfen auf sein entblößtes Haupt fielen. Erst als die andern auf ihn zustürzten und ihn mit Fragen überschütteten: »Warum ließ denn der Bey nicht anhalten?« stotterte er einige zusammenhangslose Worte hervor: »Hofintriguen . . . Infame Machinationen . . .« Und plötzlich schrie er, wie ein wildes Tier brüllend, indem er mit der Faust dem davoneilenden Zuge drohte, mit blutunterlaufenen Augen und Schaum auf den Lippen: »Canaillen! . . .«

»Fassung, ein wenig Fassung, Jansoulet . . .«

Ueberflüssig, auszusprechen, wer dies sagte und wer nunmehr, den Arm des Nabob in den seinigen legend, sich bemühte, ihn aufzurichten, ihm die Brust nach dem Muster der seinigen vorzurecken, und ihn dann mitten durch die schreckensstarren gestickten Uniformen nach dem Wagen geleitete und dem vernichteten Mann einsteigen half, wie man etwa den nächsten Verwandten eines teuren Toten nach dem Begräbnis in den Trauerwagen hebt. Der Regen floß in Strömen, die Donnerschläge folgten sich ununterbrochen. Alle stürzten sich auf die Wagen, welche nun rasch nach dem Schlosse zurückkehrten. In diesem Augenblick ereignete sich eine ebenso herzzerreißende als komische Szene, einer dieser grausamen Scherze, durch welche ein unbarmherziges Geschick das bereits am Boden liegende Opfer völlig in den Staub tritt. Bei der einbrechenden Dämmerung und der infolge des Orkanes gesteigerten Dunkelheit glaubte die zu beiden Seiten des Bahnhofes dicht gepreßt stehende Menge unter all den gestickten Gestalten eine königliche Hoheit zu erkennen, und sobald sich die Wagen in Bewegung setzten, erscholl ein unermeßliches Geschrei, brach ein dröhnender Jubelruf los, der schon seit Stunden sich Luft zu machen gedroht hatte, hallte rollend von Hügel zu Hügel und pflanzte sich durch das Thal fort! Der Bey lebe hoch! Durch dieses Signal aufmerksam geworden, begannen Fanfaren zu ertönen und die Sänger ihrerseits fielen ebenfalls ein, und indem dieser Lärm sich immer weiter verbreitete, war der Weg von Giffas nach Saint-Romans bald nichts andres als ein einziges Geschmetter und Geschrei. Cardailhac, die andern Herren und Jansoulet selbst mochten noch so sehr sich aus dem Wagen beugen und verzweiflungsvolle Zeichen machen: »Genug! Genug!« ihre Zeichen blieben in dem Tumult und in der Dunkelheit unbemerkt und dienten höchstens dazu, den Lärm noch zu steigern. Und man mag uns glauben, daß dazu gerade keine Veranlassung vorlag. Alle diese Südfranzosen, deren Begeisterung seit dem frühen Morgen genährt worden war, die durch das lange Warten und den Ausbruch des Gewitters überdies gereizt worden, erschöpften alles, was ihnen an Stimme, Atem und lärmendem Enthusiasmus zur Verfügung stand, indem sie mit der Hymne von der Provence den stets wiederholten Ruf: »Der Bey hoch!« abwechseln ließen. Die meisten von ihnen wußten überhaupt nicht, was ein Bey sei, und konnten sich von einer solchen Persönlichkeit kaum eine ordentliche Vorstellung machen. Aber nichtsdestoweniger erhoben sie die Hände, schwenkten ihre Hüte und steigerten sich selbst in einen förmlichen Rausch von Begeisterung. Frauen trockneten sich voll Rührung die Thränen aus den Augen, und plötzlich ertönte die laute Stimme eines Kindes oben aus einer Ulme: »Mama, ich sehe ihn.« Das Kind sah ihn. Uebrigens sahen ihn alle und würden noch zur Stunde darauf schwören, daß sie ihn gesehen haben.

Gegenüber einem solchen frenetischen Jubelgeschrei und bei der Unmöglichkeit, einer solchen Menge Schweigen und Ruhe zu gebieten, konnten die Insassen der Wagen nichts andres thun, als der Sache ihren Lauf lassen, die Fenster der Wagen schließen und durch rasches Fahren dies grausame Martyrium thunlichst abkürzen. Aber nun wurde es erst recht schlimm. Als die Menge diese Beschleunigung der Fahrt bemerkte, fing sie gleichfalls nach Leibeskräften zu laufen an. Bei den dumpfen Tönen ihrer Tamburins machten die Tänzer von Barbantane Hand in Hand, wie eine lebende Guirlande, ihre Sprünge um die Wagenschläge. Die Sänger, die bei dem raschen Laufe kaum zu Atem kommen konnten, heulten mehr als sie sangen und rissen ihre Bannerträger, die ihre Fahnen auf die Schultern geworfen hatten, mit sich fort, und die guten dicken Dorfpfarrer mit ihren asthmatischen Gesichtern fanden, indem sie ihre stattlichen, wohlgepflegten Schmerbäuche vor sich herschoben, nichtsdestoweniger noch Zeit, mit wohlwollender und gerührter Stimme den Maultieren zuzurufen: »Es lebe unser guter Bey!« Und über dem allen ein Regen, der in Strömen floß, der die rosa gemalten Karossen entfärbte und den Tumult noch vermehrte und diesem Triumphzuge das Aussehen einer Niederlage gab, aber einer zum Lachen reizenden Niederlage, bei der Gesang und Lachen, Verwünschungen und Umarmungen miteinander abwechselten wie bei der Heimkehr einer Prozession während eines Wolkenbruches,

Ein dumpfes Rollen verkündete dem armen Nabob, der unbeweglich und schweigend in der Ecke seines Wagens saß, daß man die Schiffbrücke passierte. Man näherte sich dem Schlosse.

»Endlich,« sagte er, indem er durch die beschlagenen Fensterscheiben die schaumgekrönten Wogen der Rhone erblickte, deren Aufruhr ihm wie eine Idylle vorkam im Vergleiche zu dem Unwetter, welches er soeben durchgemacht hatte. Aber am Ende der Brücke wurden, als der erste Wagen beim Triumphbogen angekommen war, Petarden losgebrannt, die Tambours wirbelten und begrüßten so den Einzug des Monarchen bei seinem Vasallen, und um die Ironie auf die Spitze zu treiben, erstrahlte plötzlich das Dach des Schlosses in einem Meere von Licht, und es zeigte sich in gigantischen Buchstaben, die nur hin und wieder durch den Wind und den Regen verursachte Lücken aufwiesen, die Inschrift:

VIV• L• B•Y •HMED.

»Ah, das ist das Bouquet,« sagte der unglückliche Nabob, der sich des Lachens, freilich eines gar bitteren und armseligen Lachens nicht enthalten konnte. Aber nein, er irrte sich. Das Bouquet wartete seiner erst am Thore des Schlosses, und es war Amy Férat, welche ihm dasselbe anbot, indem sie ein klein wenig aus der Gruppe der jungen Mädchen von Arles heraustrat, die in der Erwartung der ersten Karosse ihre empfindlichen Festkleider und ihren Kopfputz unter dem schützenden Dache der Marquise in Sicherheit gebracht hatten. Ihr Blumenbouquet in der Hand trat die Schauspielerin bescheiden, mit züchtig niedergeschlagenen Augen auf den Wagenschlag zu und machte eine tiefe, fast kniefällige Verbeugung, die sie seit acht Tagen einstudiert hatte.

An Stelle des Beys aber entstieg in steifer Haltung und ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen, Jansoulet dem Wagen. Und da das junge Mädchen verblüfft, mit dem Bouquet in der Hand noch stehen blieb, sagte ihr Cardailhac mit jener Pariser Unverfrorenheit, die sich schnell in alles hineinfindet: »Nimm nur deine Blumen wieder mit, Kleine, die Geschichte ist in die Brüche gegangen . . . der Bey kommt nicht . . . er hatte sein Taschentuch vergessen, und weil er dieses braucht, um sich den Damen verständlich zu machen, so begreifst du. . . .«

 

Nun ist es Nacht geworden. Alles schläft in Saint-Romans nach der furchtbaren Aufregung des Tages. Ein wolkenbruchartiger Regen strömt unablässig herab und in dem großen Park, wo die verwaschenen und verweichten Triumphbogen und Trophäen undeutlich aufragen, hört man Gießbäche über Rampen und Treppen rauschen. Nichts als Wasser und Bäche überall, ein einziges Wassergeplätscher.

Allein in seinem mit verschwenderischer Pracht ausgestatteten Zimmer, wo das königliche Lager mit den purpurgestreiften Seidenbezügen seiner harrt, wacht noch der Nabob, mit großen Schritten das Gemach durchmessend und unheilvolle Gedanken brütend. Es ist nicht der ihm soeben zugefügte Schimpf, der ihn quält, diese öffentliche Beleidigung im Angesicht von dreißigtausend Personen, es ist selbst nicht die tödliche Beleidigung, die ihm der Bey in Gegenwart seiner Todfeinde angethan hat. Nein, der Südfranzose mit seiner rein physischen, rasch wechselnden Gefühlsweise hat das Gift seines Grolles schon weit von sich geschleudert. Die Günstlinge der Höfe sind ja infolge bekannter Vorgänge darauf vorbereitet, so jählings in Ungnade zu fallen. Was ihn mit banger Sorge erfüllt, das ist das, was er hinter dieser Beschimpfung versteckt wähnt. Er denkt daran, daß all sein Vermögen, seine Paläste, Comptoire und Schiffe auf Gnade oder Ungnade in der Hand des Beys sind, in diesem gesetzlosen Orient, in diesem Lande der Willkür. Und seine glühende Stirn an die feuchten Fensterscheiben drückend, die Hände kalt wie Eis, blickt er ziellos in die Nacht hinaus, die ebenso dunkel und ebenso verschlossen ist, wie sein eignes Schicksal.

Horch, ein Geräusch von Schritten, ein hastiges Klopfen an die Thür. »Wer ist da?«

»Herr Jansoulet,« erwidert Noël, halbbekleidet eintretend, »eine sehr dringende Depesche, die von der Telegraphenstation durch Eilboten übersandt ist.«

»Eine Depesche, was kann es denn nun noch geben?«

Er greift nach dem blauen Couvert und öffnet es mit zitternder Hand. Der Halbgott, der schon zweimal bis ins Herz getroffen ist, fängt an sich seiner Verwundbarkeit bewußt zu werden und einen Teil seiner Sicherheit zu verlieren. Er begreift jetzt die Furcht und die nervösen Schwächen andrer Menschen. . . .

Rasch die Unterschrift. . . . Mora . . . . Ist es möglich? Der Herzog und an ihn? Ja, und doch ist es so. . . . M . . o . . r . . a.

Und darüber: »Popolaska ist mit Tode abgegangen. Neuwahl in Korsika. Sie sind der offizielle Kandidat.«

Deputierter? . . . Damit war alles gerettet. Dann war nichts mehr zu fürchten. Einen Vertreter der großen französischen Nation behandelt man nicht wie einen simplen Trödler. . . . Nun müssen die Hemerlingues zurücktreten. . . .

»O mein Herzog, mein edler Herzog!«

Er war so bewegt, daß er kaum den Empfang zu bescheinigen vermochte. Doch plötzlich rief er aus: »Wo ist der Mann, der diese Depesche gebracht hat?«

»Hier, Herr Jansoulet,« klang in breitem, traulichem Südfranzösisch die Antwort vom Korridor herein.

Der Bote konnte von Glück sagen.

»Komm herein,« sagte der Nabob.

Und indem er ihm die Bescheinigung übergab, nahm er aus seinen stets wohlgefüllten Taschen so viel Goldstücke, als er in beiden Händen halten konnte, und warf sie dem armen Teufel in die Mütze, der über dem Glück, das ihm heute nacht in diesem Feenschloß in den Schoß fiel, fast die Besinnung verlor.


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