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I.

Dunkelnd sank der Herbstabend auf die See. Eintönig grau lagen Meer und Land, das einzig sichtbare Land: der Küstensaum des kleinen, weltverlorenen Eilands.

Eintönig, mit immer gleichem Anschlag, rollte die letzte Welle der weit draußen sich brechenden Brandung, langsam ersterbend, auf den grauen Sand des Gestades. Kein Lufthauch kräuselte die lichtlose, die unendliche Wasserfläche. Der Strand lag bereits in tiefem Schatten.

Nur der hohe Turm, der von dem ragenden, schwarzen Schieferfels des Inselberges in die Wolken stieg, erglomm plötzlich in rotgelbem Lichte: die Sonne, die im fernen, fernen Westen niederging, hatte, gerade bevor sie in die Flut tauchte, die ihr vorgestreckte lange Nebelwand durchbrochen und einen grellen Strahl auf die finstern Felsenmassen geworfen: gleich wieder verschwand dieser Strahl und nun war abermals alles grau, aber noch düsterer, so schien es, als zuvor.

Kein Leben rings; regungslos reckte der Strandhafer, der spärlich auf den hohen Dünen wuchs, seine scharfen Rispen in die Höhe; kein Schall, als das leise rollende, reibende, knisternde Anrauschen der schwachen Welle über die vielen kleinen, meist zerbrochenen Muscheln hin; kein Tierlaut auch: denn ganz geräuschlos flog sie, die eine, einsame Möwe, die langsam, langsam am Gestade hin gegen die Klippen im Osten des Eilands zog.

In der Bucht, die sich nach Westen hin zwischen zwei schwarzen Felswänden aufschloß, lag, auf dem grauen Sande der Länge nach hingestreckt, eine schlanke Mädchengestalt. Gen Westen blickte sie unablässig, noch nach einem Schimmer des Lichtes suchend: vergeblich: die Sonne war bereits hinabgesunken. –

Lange, lange lag sie so, regungslos; nur die leise Hebung und Senkung des weißen Gewandes über dem kaum aufgeknospten Busen verriet, daß sie lebte. Denn die Augen mit den langen, sonnenfarbnen Wimpern hatte sie nun geschlossen, müde von schmerzlicher Ausschau. Ihr blondes Haar, wunderhold gewellt, flutete über den linken, lang ausgestreckten Arm: er war blendend weiß; und auf dieser linken Schulter ruhte das schön geformte Haupt; die rechte Hand griff nach dem Herzen. –

Lange, lange lag sie so, in Sinnen und Sehnen versunken, verträumt. –

Sie hörte nicht, wie von den Dünen in ihrem Rücken, von Süden her, ein leichter Schritt nahte; der lockere Sand knisterte kaum unter diesem behutsam gemessenen Tritt.

Es war ein Mann in dunklem Mantel; ein breiträndiger Hut beschattete die hohe Stirn; einen Speer trug er in der Hand. Er stand nun dicht hinter ihr, zu ihren Häupten; schweigend sah er herab auf ihre bleichen Wangen. – Endlich schaute sie empor: sie hatte seinen Atem gefühlt oder einen halb verhaltenen Seufzer.

»Ihr, Dagfred?« sagte sie ruhig, mit einem langen Blick. »Ihr verratet mich nicht.« – »Ihr verratet Euch selbst.« – »Was meint Ihr?« – »Immer find' ich Euch – hier.« – »Ich sah der Sonne nach.« – »Weil sie über den Westeilanden sinkt.«

»Mir geht sie dort auch auf;« sie schlug die sanften ganz hellblauen Augen sehnend auf. – »Die Sonne nicht: aber die Hoffnung.«

Der Mann sah ihr ernst in das edle, schmale, fast farblose Antlitz: es war vollendet schön. Er schwieg; er drückte nun die meergrauen Augen zu.

»Redet!« sprach sie, langsam sich erhebend; – die jungfräuliche schlanke Gestalt erreichte fast des stattlichen Mannes Höhe. – »Euer Schweigen ist ein Tadel. Was andres soll die Gefangene denken, träumen, wünschen, als – Befreiung.« – »Oft strafen die Götter am schwersten, indem sie Wünsche erfüllen.« – »Ist das Eure Skaldenweisheit?« – »Ein Stück daraus. – Ihr ersehnt nicht die Befreiung, – den Befreier.«

Sie hob das Haupt: »Ich darf's; er ist mein Verlobter.« – »Er ist ein Knabe.« – »Fürst Kjartan zählt dreißig Jahre.« – »So ist er denn ein Knabe von dreißig Jahren.«

Sie furchte die weiße Stirn, wandte sich von ihm ab und wollte den Dünenhügel rasch hinansteigen: aber sie glitt aus auf dem glatten, abrieselnden Sande, sie wankte, sie fiel, schon war das Gesicht ganz nahe der scharfen Felsenkante. Da streckte der Mann den rechten Arm vor sie hin, den Speer tief in den Sand stoßend: – er berührte sie nicht: – sie griff mit beiden Händen nach seinem Arm und richtete sich daran auf. –

»Dank!« sagte sie nun, innig. »Ihr seid hier mein einziger Freund.« – »Ich bin nicht Euer Freund, Königskind.« – »Was seid Ihr mir?« – »Euer Beschützer, Halla.« – »Wider wen?« – »Wider – alles.«

»Wohl denn! Aber Ihr zählt nicht zu meinen Feinden, seid nicht des Königs Hako, nicht seines Inselvogtes Untertan: Ihr seid hier auf dem Eiland ... –« – »Gast.« – »Der Einzige seid Ihr, der es mit der Gefangenen gut meint: – warum hasset Ihr meinen Verlobten?« – »Ich hass' ihn nicht, ich kenn' ihn nur.« – »Weshalb redet Ihr stets gegen ihn?« – »Weil ich Euch behüte gegen – alles. – Ich kam, Euch zu warnen: laßt Euch nicht von den andern treffen an dieser Stelle, dem einzigen Landungsort des ganzen Felseneilands. Sonst läßt man Euch nicht mehr frei umherwandeln – und das würdet Ihr doch bitter vermissen. – Lebt wohl.« – »Ihr geht nicht mit mir in die Burg zurück? Bald kommt die Nacht.« – »Und mit ihr kommen – meine Sterne.« Er bog um den Felsen zur Linken.

Sie sah ihm eine Weile sinnend nach: dann stieg sie, leise das blonde Haupt schüttelnd, den Dünenpfad hinan.

*

 

II.

Am Mittag des folgenden Tages saßen der Inselvogt und der Skalde Dagfred in der Halle der Turmfeste beim Mahle. Unwirsch schob der Vogt den Zinnkrug mit Ael zur Seite; er strich den rotbraunen Bart von den Lippen. »Nicht einmal der Trunk mundet mir mehr. Ich mach' ein Ende, so oder so! – Selbst zum Mahle steigt sie nicht mehr von ihrem Turmgemach herab, die Hochfärtige, seit ... –« – »Seit Ihr sie verscheucht habt, Hardbrand,« schloß Dagfred ruhig. – »Verscheucht! Ist es etwa eine Schmach, die ich meiner Gefangenen ansinne, begehr' ich sie zum Weibe, ich, ihr Herr und Gebieter?« – »Der seid Ihr nicht.« – »Nun ja! Nicht ich habe sie gefangen. Mein alter König Hako hat sie geraubt und hierher gesandt auf dies schmale Geklipp mitten im wilden Meer, das nur die Möwe kennt, sie hier verborgen zu halten, bis ihren Vater, den greisen König Ring, den er mit Waffen nicht bezwingen kann, die Sehnsucht nach dem einzigen Kinde bezwingt, daß er sich König Hako unterwerfe. Ich aber bin auf diesem Eiland Herr ... –« – »Das ist Euer König Hako.« – »Ich bin ihr Herr.« – »Ihr Kerkerwart seid Ihr.« – »Und Ihr? Was seid Ihr für Halla?« schrie der Vogt und sprang auf; nun sah man: er war ein Riese, um mehr als Hauptes Länge überragte er den nicht kleingewachsenen Skalden. Grimmig blitzten unter buschigen braunroten Brauen hervor seine großen hellblauen Augen auf Dagfred. »Ihr seid wohl ihr Freund?« – »Nein. Ich sagte das gestern der Jungfrau selbst.« – »Was hat Euch dann hierher geführt? Und wie, beim Donner, konntet Ihr so töricht sein, von König Hako, nachdem Ihr bei dem großen Skaldenkampf in seiner Halle die Nordlandssänger sämtlich überwunden, statt roten Goldes nur das Eine als Siegespreis zu erbitten, daß er Euch Hallas Versteck nenne? Ihr, ein armer Skalde! Von dem reichsten und den Sängern freigebigsten König: – das heißt, seit jener König Harald von Thule verschollen ist. Was hat Euch hergeführt?« – »Ein Gelübde.« – »Wem gelobt?« – »Mir selbst.« – Er stand auf. – »Nun wohl, da kommt Ihr denn gerade recht, mich den Brautlauf um die Schlanke halten zu sehen. Ich habe,« lachte er, »König Hako nur geeidet, die Jungfrau nicht von dem Eiland entkommen zu lassen. Das werd' ich halten! Als Jungfrau soll sie nicht von mir scheiden! Diese Schilfgestalt – mit meiner Hand zerdrück' ich sie. – Sie hat mir's angetan. Sie wird mein Weib, mit Güte, oder mit Gewalt.« – »Solang ich lebe – nicht.« – »Was geht's Euch an?« schrie der Riese. »Freilich: die Weiße ist Euch zugetan! Nur Eurer Harfe Tönen belebt das kühle blaue Auge, nur bei Eurer Stimme Klang zieht zuweilen ein sanftes Rot über die bleichen Wangen.« – »Sie ist verlobt.« – »Mit dem Irenfürsten Kjartan. Wer aber weiß, ob sie den Kelten liebt? Wer kann das sagen?« – »Sie sagt es.« – »Und wenn! Kann das Euch hindern ...?« – »Mein Haar wird grau.« – »Bah, Euer Haar ist noch ganz braun! Und Euer Herz ist heiß. Meint Ihr, man hört das nicht heraus aus Eurem Harfenschlag? Die Worte versteht man nicht, die Ihr leise dazu singt. Aber diese Harfentöne! Wie sie locken, werben, klagen, stürmen! Nicht nur meine Nichte, das junge, törichte Ding, schleicht Euch verstohlen nach in das Geklipp, in die Nacht: – selbst das Gesinde! die rauhen Knechte, sie lassen Fische, Speck und Ael, auf Euch zu lauschen. Ich habe niemals solchen Harfenschlag gehört in allen Fürstenhöfen. Und auch die andern nicht. Nur jener König Harald ... –« – »Den habt Ihr doch nie gehört.« – »Nicht ich! Aber der Knechte einer: – der war dereinst auf Thule, er ist seither erblindet, der sagte jüngst: ›so harft nur noch Harald‹. – Aber gesteht: was zieht Euch dieser Königstochter nach?« – »Ich sagte schon: ein Gelübde.« – »Wie lange kennt Ihr sie?« – »Vier Jahre sind's.« – »Wo traft Ihr sie?« – »In ihres Vaters Halle. Der hatte sie gerade mit Kjartan verlobt.« – »Schlecht hat der Bräutigam sie behütet! Gleich darauf ward sie gefangen, da sie mit ihm am Strand den Reiher beizend ritt.«

Grimmig fiel Dagfred ein: »Er ließ sie greifen – vor seinen Augen! – und versteckte sich im Schilf und rettete sein Leben!«

»Habt Ihr vielleicht gelobt,« lachte der Vogt, »sie zu befreien und sie diesem Bräutigam zuzuführen?« – »Nein,« – »Nun: das ist gut. Denn seht Euch vor, Skalde: Ihr seid mein Gast, vom König dringend mir empfohlen: doch wollt Ihr die entführen, – ich schlag' Euch tot.«

»Ich will sie nicht entführen. – Genug der Worte. Allzuviele schon.« Er schritt hinaus.

Hardbrand sah ihm drohend nach: »Der Gast wird lästig. Ich kann ihn nicht zum Hochzeitsreigen brauchen, wann ich das Schilf in diesen Armen knicke. Nun, mein Pfeil fehlt nie und die See ist tief.«

*

 

III.

Hoch in dem obersten Stockwerk des Turmes in einem schmalen Gelasse saß die bleiche Jungfrau auf einem mehrstufigen Holzschemel, den Arm gelehnt auf den Steinsims der einzigen Fensterluke: diese gewährte den Blick über die unendliche See; träumerisch schaute Halla hinaus.

Sie beachtete es nicht, wie zu ihren Füßen knieend Dala, des Vogtes rotlockige Nichte, der Gefangenen langes goldwelliges Haar gelöst hatte und nun mit den weichen Fingern darin wühlte, strählend und streichelnd, sanft, zart, ja zärtlich. Dala war kleiner als das schlanke Königskind, in üppiger Fülle wölbten sich ihre reizvollen Formen.

»O wie schön, wie wunderschön ist dies dein goldnes Haar, Herrin,« sprach sie, in beiden offenen Händen die volle Flut wägend und dann liebkosend an beide Wangen schmiegend. »Es ist so schön, es muß so schön sein, weil – Er es liebt,« hauchte sie leise.

»Nenne mich nicht Herrin, Kind. Ich bin ja deines Oheims Magd.« – »O nimmermehr! Und gingest du in Ketten, – du wärest doch die Seligste auf Erden!« Begeistert schlug sie die schönen, feurig leuchtenden, hellbraunen Augen zu ihr auf. – »Sieh, Dala, taucht dort, im Westen, nicht ein Segel auf?« Hastig streckte sie den Arm durch die Luke. – »Laß sehen.« Die Kleine reckte sich auf den Zehen. »O nein! Es ist nur weiß Gewölk. Wie oft nun schon hast du's gemeint!« – »Ach ja, wie oft nun schon! Und stets ein Wahn!« – »So mächtig sehnst du dich von hier hinweg?« – »Ach, mit der ganzen Seele.« – »Es ist unfaßlich,« sprach Dala halblaut vor sich hin. – »Oder ...? Sage, ist es dein Verlobter? Sind es seine Küsse, nach denen du so heiß dich sehnst?«

Sie hatte das ganz leise in das Ohr der Freundin geflüstert: sie errötete über und über bei der scheuen, der brennenden Frage.

»Küsse?« erwiderte Halla, langsam mit der Hand über die Schulter, über das dunkelgrüne Gewand der Erglühenden hinstreichend. »Ich weiß von Küssen nicht. Fürst Kjartan hat mich – Einmal – auf die Stirne geküßt, – als mich der Vater ihm verlobte. Drei Tage kannt' ich ihn. O nein! Nicht nach ihm – nach dem Vater sehn' ich mich. Und – nach der Freiheit! Nur fort von hier!« – »Ich verstehe: mein wilder Oheim ...« – »Es ist nicht das. Ich fürcht' ihn nicht.« – »Dann – weshalb: ›nur fort von hier?‹«

»Ich weiß es nicht! Ich vermag nicht, es zu sagen. – Ich glaube« – nun sprach sie ganz nachdenklich – »Er ist schuld daran.« – »Wer?« – »Nun Er! – Der Skalde, mein' ich. Oder doch sein Harfenschlag. Und auch sein leiser, verhaltner Gesang aus der Ferne. Seine Stimme!«

Starr vor Staunen sahen die braunen, leuchtenden Augen auf sie. »O Halla! Er? Sein Spiel, seine Stimme, – die vertreiben dich? Mein ganzes Leben lang möcht' ich, zu seinen Füßen schweigend hingestreckt, ihm in das ach! so trauerernste Antlitz schauen und lauschen seiner weichen Stimme Steigen und Fallen, dem Silberklang, dem Tonfall seiner Worte, mich sonnend in seines Wesens stillem Glanz. Er zwingt ja zu sich heran.«

Betroffen blickte die Königstochter auf: »Mag sein! – Obzwar ich das nie so – so stark gefühlt, wie du es sagst, wie du es scheulos, – mich erschreckend – aussprichst. Aber es mag das gerade sein. Ich – ich will nicht gezwungen sein! An Fürst Kjartan, oder an den Vater will ich denken, will ich denken müssen. Oft drücke ich das harte Gold meines Brautrings an den Finger bis er mich schmerzt, vernehme ich ... Da! Ganz fern! Hörst du es?« – »Ob ich es höre!« – »Fort! Fort von hier! O könnt' ich Fürst Kjartan meine bräutliche Treue durch die Tat, durch eine große Tat beweisen!« – Sie erhob sich rasch.

»Sage, Halla, du liebst doch diesen Kjartan?« – »Gewiß! Bin ich doch seine Braut! Ich soll, ich muß ihn ja lieben. Auch ist er schön, sehr schön in seinen lichten langen Locken. Und jung. Viel jünger als ...« – »Das ist all' keine Antwort. Liebst du ihn?« – »Ja doch! Gewiß und wahr! – Nach allem was ich davon weiß. Denn – Dala, gute Dala – sage selbst: was wissen wir Jungfrauen davon? Was ist die Liebe? – – Weißt du es, Dala? O dann sag' es mir.«

»Ich?« – Glühendes Rot übergoß ihr die Stirn und den heftig wogenden Busen. Sie sprang auf. »Du gehst, meine Freundin? Du verläßt mich?« – »Ich muß. Es zieht mich nach. Horch! Der Wind verträgt die Töne schon. Ich muß ihm folgen. Aber ganz geheim – von weitem!« –

*

 

IV.

Der folgende Tag brachte dem einsamen Eiland ein fast unerhört Ereignis: einen Gast.

Der Türmer sah von der Hochzinne bei heftigem Weststurm ein kleines Schiff herantreiben: nicht dem Steuer schien es zu gehorchen, nur Wind und Wellen. Glücklich gelangte es gleichwohl durch die Brandung und die Klippen in die Westbucht. Der Inselvogt war vorsorgend mit mehreren Knechten an den Strand hinabgeeilt, einen Angriff abzuwehren. Aber es waren nur zwei Männer in dem Boot: so ließ man die meermüden Leute landen: es war mit seinem Ruderer ein Skalde, Horand nannte sich der; sie waren durch den Weststurm von den Däneninseln hierher verschlagen, sagten sie. –

Abends in der Halle sang und harfte der Gast gar hell und heiter, in ganz andern Weisen als Dagfred, dessen Lied man immer nur von ferne klagen, grollen, stürmen hörte. Die Knechte, die Mägde drängten sich eifrig um das Herdfeuer, dem fröhlichen Spiele zu lauschen. Als Halla vernahm, der Fremde sei vom Weststurm hergetragen, stieg auch sie mit Dala hinab in die Halle, welche sie sonst mied.

Ehrerbietig begrüßte die Eintretende Horand: – einen raschen Blick wechselten beide – dann aber achtete er gar nicht mehr der wunderschönen Jungfrau. Das gefiel Hardbrand: denn nicht sonder Argwohn hatte er seine Gefangene ihre stolze Einsamkeit durchbrechen sehen.

Dagfred aber, der bisher neben dem Fremden gesessen, erhob sich nun: er stellte sich hinter Hallas Stuhl, jenem gegenüber.

Der frohgemute braunlockige Sänger hatte, so schien es, Augen nur für die üppige Gestalt, die weichen Formen, die blühenden Farben Dalas: an sie allein, nie an die Königstochter, richtete er die Rede: aber karge Antwort nur entlockte er den vollen, kirschroten Lippen. Nach geraumer Zeit schritt der Vogt hinaus, noch einmal, wie er jeden Abend pflag, einen wachsamen Rundgang längs den Mauern der Feste zu machen.

Da sprach Dagfred, mit ausgestrecktem Finger auf Horands Saitenspiel deutend: »Auf Irland wurde diese Harfe gebaut.« Halla erschrak: einen flehenden Blick warf sie auf Dagfred. Horand aber erwiderte ruhig: »So? Das mag wohl sein. Ich kaufte sie auf Lethra von einem Dänen. Aber viele Iren landen dort.« – »Horand,« sprach Dagfred langsam vor sich hin. »Den Namen sollte ein Gast meiden. Er mahnt den Wirt zur Vorsicht.« – »Warum?« – »Horand hieß der Sänger, der – in Verkleidung – für König Hettel einst schön Hilde stahl.« – »Ich habe mir den Namen nicht ausgesucht,« lachte der Gast. »Nein. Das tat ein andrer für Euch.«

Hardbrand trat wieder ein, sein mächtiger Schlüsselbund rasselte ihm am Wehrgurt. »Noch ein Horn Ael und noch ein Lied, ihr Skalden,« rief er.

»Nun ist die Reih' an Euch,« meinte Horand zu Dagfred. – »Mein Lied ist nicht für Fröhliche.«

»Wünscht auch Ihr, vielschöne Jungfrau in den roten Locken, daß ich noch eins singe?« Und ohne die Antwort abzuwarten – Dala, die kein Auge von Dagfred ließ, hatte die Frage gar nicht gehört, – fuhr er fort: »Ja? Dann tu' ich's gern. So hört – zum Schluß – noch eine Weise, die weiland König Harald sang von Thule.«

»Singt nicht seine Weisen!« warnte da von der Bank der Knechte her eine Stimme. Alle wandten sich dorthin. – »Ei Knut, der blinde Knecht,« rief der Vogt. »Was fällt dir ein? Warum?« – »Haralds Weisen kann nur Harald singen.« – »Er ist aber tot. Oder verloren,« lachte Horand. – »Wie lange schon, lieber Herr?« fragte der Blinde. »Sein Bild ist das Licht in meiner Augen Nacht, sein Lied mein Trost in meiner Seele Gram geworden. Denn er war gut – mit allen – auch mit uns Knechten.« – »Wie lang? – Vier Jahre mögen's sein! – Mir gefällt die Weise. Und ich singe sie. Es ist das Lied wie Freir warb um Gerdha.«

Und nach ein paar Griffen in die Saiten hob er an:

»Wann der Vollmond über die Düne steigt,
– Königskind, klug Königskind! –
Dann halte bereit dein hoffendes Herz,
– Königskind, klug Königskind! –
Dann naht in der Nacht in dem Nachen dir
Freir, dein Freund, dein Befreier.
Dann holt dich, Holde, der hohe Held, –
Dann trägt dich, Traute, dein Treuer fort;
Wann der Vollmond über die Düne steigt,
– Königskind, klug Königskind! –«

Schrill durch die Saiten fahrend brach er jäh ab. »Hei, nun vergaß ich, was noch alles folgt. Es war mir ja nur um die Weise. Auf die Worte kommt nichts an. Ich bin sehr müde von der schweren Arbeit am Steuer. Laßt uns schlafen gehen.« – »Ja, laßt uns schlafen gehen,« wiederholte Hardbrand und alle brachen auf.

Dagfred aber sah den Blick, den Halla im Hinausschreiten dem Fremden zuwarf.

Er blieb bei diesem, dem in der Halle Stroh und Schilf geschüttet ward.

»Teilen wir das Lager?« fragte Horand. – »Ich schlafe außerhalb der Burg.« – »Nun so trinkt noch das Horn leer. Gebt mir den Bechergruß.« – »Nein. – Aber einen Rat will ich Euch geben.« – »Welchen Rat?«

»Singt Ihr wieder einmal des Verschollenen Worte, so singt sie richtig. Es heißt:

›Wann der Vollmond fällt auf den flutenden Fjord.‹

– wie der Stabreim verlangt: nicht:

›Wann der Vollmond über die Düne steigt.‹

Seltsam, daß ein Skalde des Stabreims so ganz vergißt. Freilich: hier ist kein Fjord. Die Änderung ist Eure Erfindung – nicht König Haralds.« Und er schritt hinaus.

*

 

V.

Am andern Morgen verabschiedete sich der Gast. Das Meer war ruhiger, der Wind umgesprungen, man konnte wieder nach Westen segeln.

Bevor Dagfred nach dem Frühmahl die Feste verließ, sprach der Vogt zu ihm: »Nun, Skalde, acht' auf mich. Ich muß dies weiße Geschöpf haben. Nicht länger zügle ich mein Blut. Mich hört sie nicht an, meine Nichte weigert sich, für mich zu sprechen. So sage du ihr –: in sieben Nächten muß sie mein sein. Will sie mein Weib werden, gut. Will sie nicht mein Weib werden, so wird sie meine ... –«

»Schweig! Sieh hier dies Schwert – schau dir's genau an. – Das wird dein Tod, stehst du nicht ab.« Und aus den graudunkeln Augen des Skalden sprühte solch heiliger Zorn, daß der Riese erschrak und scheu zur Seite sah. – »Wart!« drohte er, als jener den Rücken gewandt hatte. »Ich kann diesen Blick nicht tragen. Aber mein Pfeil ist blind: – den blendet nicht dein Auge.«

*

 

VI.

Ziemlich in der Mitte des kleinen Eilandes stieg der Schieferfelsberg, der es krönte, zu seiner steilsten Höhe hinan. Ein viel zerrissener, phantastisch gezackter Kamm zog seine Schroffen hier von Ost nach West. Einzelne, verwitterte, vom scharfen Seegesprüh ausgefressene Nadeln und Spitzen ragten wie schwarze Pfeiler in die Wolken, unzugänglich für des Menschen Fuß; der Seeadler flog hier kreischend zu Horst. – –

Unter der Jochhöhe wölbte sich in die Felswand hinein eine Höhle; vor derselben lag ein runder freier Platz; auf dessen Nordseite baute sich vorn auf breiten Stufen eine natürliche Brüstung des Felsens in die See hinaus.

Hier verbrachte Dagfred die meisten Stunden des Tages; in der Höhle schlief er: den Riegeln und den Knechten des Vogtes mochte er seinen Schlaf nicht anvertrauen. Hier verwahrte er unter dem Gestein die Schieferplatten, auf denen er schrieb mit den Schiefergriffeln, welche die Felsensplitter reichlich gewährten; hier auch hatte er seine mitgebrachten Waffen geborgen. Hier weilte er auch an dem Abend, in der Nacht dieses Tages.

Der Mond – noch nicht ganz voll – war blutrot aus den dunkeln Meereswogen gestiegen: er spiegelte sein zitternd Bild in der wild bewegten Flut. Denn stoßweise fuhr ein springender, wechselnder Wind über die See; dann fegten die weißlichen Wolken, in Fetzen zerrissen, an der Mondscheibe vorbei, hastig, wie gehetzte Geister, und hoch auf spritzten dann unten am Fuße der schwarzen Klippen die weißkammigen Wellen der Brandung. – –

Dagfred schritt vor der Höhle auf und nieder, ruhelos, rastlos. Im Winde wehte hinter ihm der dunkle Mantel, der weitfaltige, zwei mächtigen schwarzen Adlerflügeln gleich; um das Haupt, aus den offenen Schläfen flatterten die braunen Locken und über den Hals hin wehte der ergrauende Bart. Den Hut hatte er von der heißen Stirne geschleudert. So ging er lange schweigend auf und ab, die beiden Hände in die Hüften gestemmt, vornüber gebeugt, die mächtige Stirne zur Erde gesenkt, nur hier und da sie rasch emporreckend gegen den unruhigen Nachthimmel.

Endlich begann er: »Denk' es aus! Denk' es durch, armes, heißes, müdes Hirn! Tauche hinab, mein Geist, in deine eignen tiefsten Tiefen! Kein Buch, kein Mensch, kein Gott auch kann dir raten. Du selbst mußt, du allein kannst dir helfen. –

So rollet denn nochmal vorüber an mir, ihr langen, ihr kämpfereichen Jahrzehnte!

Die abgerissenen Sprüche der Skalden – wortkarg, dunkel: gut, um trotzig danach zu sterben, nicht gut, um weise danach zu leben! Weiter: Der Christenpriester fromme Predigt: jahrelang des guten Bischofs Unterweisung! Dann aber: im blauen Griechenmeer – in Athen – die Weisheit jener großen Meister! O mein Platon, wie du doch so herrlich – geirrt hast! – Jerusalem! – Den ›Jorsalafara‹ haben die Landsleute staunend mich genannt. Aber Frieden fand ich nicht in den lärmenden Schulen von Athen, nicht in Christi stillem, leerem Grab!

Was hab' ich nicht alles gelernt! Die Skalden lehrten mich dichten, die Mönche träumen, denken die Griechen: aber Trost lehrte nur ich mich selbst!

Dann die Tat, das Leben, der Kampf, der Sieg, der Ruhm!

In meine Hand vererbt des greisen Vaters Königsstab. Sieg in zwanzig Schwertschlachten, Sieg in hundert Harfenkämpfen! Mein Name groß über all' Nordland hin! Schwertkönig, Harfenkönig, Siegkönig! Holder Frauen ungesuchte Gunst, Glanz, Gold die Fülle: – und nicht ein Sandkorn Glückes! –

Da hör' ich von der weißen Königstochter in Halogaland, wie schön von Angesicht, wie tief an Seele, vor allen Jungfrau'n sei das blonde, weiße Kind. Werb' ich offen um sie? – Ein Wort und mit Stotz legt König Ring mir die Tochter an die Brust.

Ich will nicht!

Sie, nicht der Vater, soll mich wählen.

Nicht den König, den Schwert- und Harfenkönig und Sieger, – den Mann soll sie wählen, lieben, lieben müssen. Und kann das junge Weib den Mann im grauen Bart lieben? Das eben gilt's zu prüfen!

Als Skalde tret' ich in ihres Vaters Halle: – ich sehe sie: – und ach! das stets gesuchte Glück, das nie erreichte, stets entschwebende – hier steht es vor mir und schaut mich staunend an aus blauen, scheuen, zagen Augen! Und am Tage vorher war dieses Mädchen – dieses! – dem eiteln, nichtigen Knaben verlobt worden! O ewige Sterne! Seid ihr denn wirklich leer, ihr weiten Himmel?«

Tief aufstöhnend blickte er empor.

»Und gleich darauf läßt sie der Feigling sich stehlen. Jetzt: mein Gelübde: ›sie suchen, finden, behüten gegen alles.‹ Vier Jahre, lange Jahre!

Endlich find' ich sie – und nun, nun hebt erst an die allerherbste Qual! – Denn jetzt: was? was tun? –

Soll ich sie tragen auf mein rasches Schiff: – morgen, bevor die andern nahen, – sie rauben, mir rauben? Sie liebt mich nicht. Noch nicht! Liebt sie den Knaben? Sie glaubt ihn zu lieben! Und vor allem – armer, armer Harald! – sie glaubt ihn lieben zu müssen. Soll ich ihr sagen, daß er, kaum war sie verschwunden, um König Hakos Tochter warb, bis der ihn fortjagte? Was hilft es? Es macht sie nur traurig – treulos nicht! Das ist's! Das ist's!

Und wenn ich sie mir raube und wenn es mir gelingt, sie zu zwingen, mich zu lieben: – ich meine, es muß gelingen: – ihr Herz, ihr Geist kann nicht widerstehen, zeig ich ihr die ganze Fülle meiner Liebe, führ' ich sie in die Heiligtümer meiner Gedanken ein: lauscht sie doch jetzt schon meinen Liedern, meinen Worten gern: – was dann?

Lieben wird sie mich, dem Bräutigam wird sie die Brauthand wahren. Den Brautring kann ich ihr mit Gewalt vom Finger streifen: – den Ring der Pflicht nicht von der Seele. Denn sie ist treu. Darum ist sie so herrlich! Sie stirbt, ehe sie dem ungeliebten die Treue bricht um den geliebten Mann. Und soll sie dann bei seinen Küssen mein gedenken? – –

So wart' ich den Ausgang ab? In wenigen Nächten landen sie.

Wagt sich der schöne Knabe mit den glatten Mädchenwangen selbst hierher und fecht' ich gegen ihn, unzweifelhaft, – hei ganz unzweifelhaft! – erschlag' ich ihn! Und dann? Was dann?

Zwar auch mit diesem Vogte werd' ich fertig. – Und dann? Nie wird sie dessen Weib, der ihren Bräutigam erschlug!

Wohl denn: so fecht' ich für Kjartan, erschlage ihren Wächter und führe selbst die Braut dem Bräutigam in die Arme? Schweig, zuckend Herz! Du kannst es, wenn du willst. Und du willst es, wenn du sollst.

Und dann? Und dann? O weh dann, Halla, weiße Halla, über dich!

Vor Jahr und Tag ist dann ihr Los das elendeste Weibeslos auf Erden: sie muß den Mann verachten, dessen Kuß sie trägt, in dessen Armen sie – mit Schaudern! – Lust empfindet, eine Geschändete, geschändet an dem Leib, und – ach! – geschändet an der Seele!

Das darf nicht sein!

Sie gegen alles hüten, war mein Schwur! Auch gegen dieses Gecken Umarmung, gegen die Entweihung!

Ist das nicht Selbsttäuschung der Eifersucht? Nein, hör' es, Halla, heilig Geliebte: wüßt' ich dich glücklich durch ihn: – selbst erkämpft' ich ihn dir und stürbe darum mit Freuden.

Also: was tun?

Das einzige Heil wäre: er stirbt, aber nicht durch mich, durch ein ander Schwert. Dann rett' ich sie vor des Riesen Gewalt und dann, ja dann kann sie mein werden ohne Treubruch. Das – o ihr Sterne: werdet ihr das fügen? Und das legt mir das Schwerste auf: gar nicht handeln. Abwarten, was geschieht, und dann: Halla oder – das andre! Das ist das Härteste. Doch ist's die Pflicht.

Die Sterne riefst du an? Törichter, schwärmender Skalde! O wer jetzt beten könnte! Beten, ringen mit seinem Gott in heißem Gebet. Ich kann es nicht! Die Pflicht: – sie ist alles, was ich gerettet habe aus dem Schiffbruch meiner Gedanken: aus Walhall, aus dem Christenhimmel und aus Platon!

Pflicht! Oder Ehre! Oder Treue: nenn's wie du willst: es ist das Menschen-Notwendige, ohne das du nicht leben, nicht das Auge frei aufschlagen kannst. Das andre – das Pflichtlose – ist Lüge, Selbstwiderspruch, ist der Vernunft Zertretung, ist Wahnsinn, ist Untergang der Welt.

Der Welt! Was ist die Welt! Ward sie geknetet von einem Gott, wie der Töpfer knetet ein Gebild aus Ton? Und wer hat den Gott geschaffen? So ist sie ungeschaffen, ungeworden, nur wir in ihr geworden? Ach nicht zu unserm Glück!

Auf Glück ist und Unglück
Die Welt nicht gerichtet.
Das haben nur töricht
Die Menschen erdacht.
Es will sich ein ewiger
Wille vollenden:
Ihm dient der Gehorsam,
Ihm dient auch der Trotz.
Ihm beug' ich in Ehrfurcht,
Ihm beug' ich in Andacht,
Ihm beug' ich, erschauernd
In ahnenden Schauern,
Ihm beug' ich freiwillig
Gehorsam das Haupt ...

Freiwillig! Wer ist frei? Was ist Freiheit? Ist Freiheit Willkür der Wahl? Kann ich anders als ich muß? Kann ich aufhören, Halla zu lieben? Ich muß sie lieben, weil ich Harald bin. Kann ich Harald sein und nicht Harald sein? Frei sein ist sein eigen sein. Freiheit ist angeborne Eigenart. Mein eigen – wie lange bin ich's? Nach dem Tode? Gar nicht mehr sein? Nicht mehr Harald sein? Nur eine Spanne Zeit jenem ewigen Willen dienen – durch meine Eigenart – und dann – nicht mehr?

Es ist so grausam!

Aber so großartig, so übermenschlich, so göttlich grausam. Vielleicht gerade deshalb das Wahre, weil unsre Lebensgier, unsre Todesscheu es zu denken kaum vermag.

Gleichviel! Nur für sein Leben sorge, daß es schön, daß es würdig verlaufe, der Mann: das nach dem Leben ist Gottes Sache. Ja, Gottes. Denn er ist, der Unbegreifliche! Er ist: so wahr die Welt ist, in der webend und waltend er wirkt. So bleibt? Die Pflicht! Ist wenig! Und hart, hart wie Schwert und Tod. Nur die Pflicht? Nein! Daneben die Liebe.

Und die ist hold und weich, wie Harfenklang und Duft der Rose. Auch so vergänglich wie der Saite Zittern und der Rose Hauch? Das wäre noch trauriger, als wenn sie gar nicht wäre! Und um dies eine Gut, dies weiße junge Weib mit den scheuen blauen Augen, gibst du nun all dein Leben hin?

Gewiß. Meines Volkes waltet mein Bruder so wacker wie ich: – sonst wär' ich nicht aus dem Lande geschieden! Und nur Einen höchsten Preis, Ein höchstes Gut hat alles Menschenringen.

Das höchste Gut des Sängers aber ist die Schönheit.

O nur einmal – Einmal nur! – sie fassen, sie halten in diesen Armen und sie küssen, küssen ..., bis ihr vor seligem Grauen, vor schauernder Wonne die Sinne vergehen! Ihr die Liebe in die Lippen, in die Seele küssen! – –

Ach, all' mein Leben war und ist ja nur ein Sehnen nach dem Schönen. Der Traum von Schönheit, den ich suchte, dem ich nachjagte über die heimischen Fjorde hin, durch die Rebenhügel des Rhone, durch die Myrtenhecken Ausoniens, über die Eilande der Hellenen, unter den Palmen des Jordans: – ich fand ihn endlich nah' der eignen Heimat: in diesem blonden Weibe mit dem goldwelligen Haar fand ich das Urbild alles Schönen. Und all' mein Glück oder viel wahrscheinlicher wohl: – all' mein Unglück! Das heißt: alles Glückes Entbehrung!

Denn was ist Glück? Gold? Macht? Weisheit? Ruhm?

O nein! Pflicht und Liebe. Der Friede der Pflicht und die schönheittrunkene Begeisterung der Liebe.

Der Liebe! Was aber, – was ist die Liebe?«

Er stand nun im vollen Lichtgusse des entwölkten Mondes, dicht vor der Höhle: in deren Mündung tauchte ein Schatte auf, eine Gestalt, die sich vorsichtig verbarg, jedoch zugleich eifrig lauschte.

»Was ist die Liebe?« wiederholte der Skalde sinnend, strich einmal leise über die Saiten der Harfe und sprach wie verträumt vor sich hin:

»Die Liebe ist Leid,
Ist lechzend Verlangen:
Dann: göttlichen Glückes
Lodernde Lust:
Oder: seeleversehrendes Sehnen
Und stummes, stolzes Sterben!
Aber immer ewig ist die Liebe.«

*

 

VII.

Bald darauf stürmte Dala mit brennenden Wangen atemlos in Hallas Gemach; diese hatte in Sinnen versunken in die Mondnacht hinausgeblickt.

»Dala! Du erschreckst mich! Welche Hast! Bringst du ein Unheil?«

»Nein,« rief das schöne Mädchen und warf sich leidenschaftlich an der Freundin Brust. »Eine Antwort! Auf deine Frage! Halla, o Halla, denke nur: ich weiß nun, was die Liebe ist.«

»Wie? Von wem hast du das erkundet?«

»Von ihm selbst!«

Da sprang die Königstochter tief erschrocken auf. »Von Ihm!« rief sie. »Er liebt dich? Er hat dir ...?«

»Nicht mir! Sich selbst hat er's gesagt, auf seine eigne Frage. Er ahnte nicht meine Nähe. Auf dem Felsen stand er – im vollen Lichte – ich im tiefen Schatten. – Die Strahlen des Mondes kosten und küßten seine Stirne: – sein Auge leuchtete in überirdischem Glanz und einem Gotte glich er, wie er sprach:

›Liebe ist Leid,
Ist lechzend Verlangen:
Dann: göttlichen Glückes
Lodernde Lust:
Oder: seeleversehrendes Sehnen
Und stummes, stolzes Sterben.
Aber immer ewig ist die Liebe.‹

O Halla! Und es ist wahr! Alles wahr! Jedes Wort, ich fühl' es.«

Aber Halla legte mit bedachtsamer Bewegung die Hand auf die Brust und schüttelte sacht das schöne Haupt.

»Ich verstehe es nicht. – Gar nicht: das erste! Verlangen? Wonach? Ist das wie – Durst? Eher: das andre: vom stummen Sterben. Am meisten, das letzte: ›immer ewig ist die Liebe.‹ Und doch!«

Sie setzte sich wieder und stützte das Kinn auf die gebogene Hand. »Fürst Kjartan ewig mit mir eins? – Ich meine,« fuhr sie langsam, nachgrübelnd, fort, »die Liebe ist anders. Sie ist – glaub' ich – ein leises, banges, aber doch seliges Grauen: – eine süße Furcht! Ein scheues Fliehen, Fliehen wollen hinweg – von wem? Nun eben von ... Ihm, – von dem Geliebten, wollt' ich sagen.

Und doch! Vor Fürst Kjartan bin ich nie geflohen. Seltsam! Und dann dennoch wieder ein zartes, zages, aber doch seliges Hinziehen, ein zwingendes Sehnen der Seele nach – nach wem? Nun eben ... nach Ihm! Nach dem Geliebten!

Und doch! Zu Fürst Kjartan hat mich Sehnsucht nie gezogen.

Wie seltsam! Wie rätselhaft! Mir wird bang um mich selbst. O könnt' ich dem Verlobten meine Treue zwingend beweisen. Um Fürst Kjartan sterben! Viel lieber als für ihn, mit ihm leben. Was ist mir in dem Herzen irr und wirr? Ich weiß nicht, wie mir helfen!«

Und sie ließ nun das Haupt herabsinken von der Hand und preßte die Stirn auf den harten kalten Stein des Gesimses, – mit der Linken griff sie, abgewandt, nach dem Arm der Freundin.

Aber Dala riß sich stürmisch los. »Wie? Du zweifelst? Du wagst an seinen Worten zu mäkeln, zu ändern? O da bin ich seliger als du! Ich glaub' ihm! Ich versteh' ihn! Ich fühl's, wie er, was die Liebe ist. – Ich kann nicht bei dir bleiben, Zweiflerin. – Schlafe wohl! Wenn du schlafen kannst! Ich kann es nicht! Ich muß ihn denken! Ihn – und die Liebe.«

*

 

VIII.

Und sie eilte in ihre eigene Schlafkammer, sprang auf den an dem Fenster stehenden Schemel und sah hinaus in das flutende Mondlicht.

»Hör' es,« rief sie, »hör' es, heiliger Himmel! Ich lieb' ihn, ich lieb' ihn. Mit Jauchzen dir künd' ich's! Nun weiß ich's gewiß. Er hat mich's gelehrt, – er selbst! – daß ich ihn liebe. Nicht nur das Traurige, das allein Halla begreift, nicht nur das Sterben um ihn: – o nein, auch das andre!

Ja, Liebe ist Leid! Wie weh tut's im Herzen, daß er mich gar nicht sieht und merkt, nicht mich, nicht meine Liebe.

Ja, Liebe ist lechzend Verlangen. Wonach? frägt Halla. Nach ihm!

Ach seit er neulich unversehens mit der weichen Hand meinen Arm gestreift, seitdem weiß ich es. Lechzendes, heißes Verlangen nach ihm, nach seiner Nähe. O dürft' ich nur zu seinen Füßen liegen! Erst umschläng' ich ihm beide Kniee mit diesen meinen Armen. Dann aber – ei wie kühn bist du doch, Dala, in deinen Gedanken, wenn er nicht da ist! ... – Dann höb' ich mich leicht und leise auf seinen Schoß – so leicht – er sollt' es anfangs gar nicht merken. Und dann schläng' ich meine Hände, – gefaltet, so! – ihm hinter dem Nacken zusammen und zöge leise, leise – nein, nicht leise! mit heißer Gewalt! – das hohe Haupt ihm herab! Ach und an seine Brust schmiegte sich dies wogende, wallende, stürmende Herz, – o springe nicht, Herz, bei dem Gedanken! – Und dann? – Dann küßte ich ihm zuerst, ganz ehrfürchtig, ganz scheu und verhalten, die traurigen, traurigen Augen! Und dann die mächtige Stirn und das krause Gelock. Und wenn er das geduldig gelitten« – sie sprang auf und reckte beide Arme in die Höhe – »o dann wäre schon alles gewonnen! Dann käme mir der Mut, der heiße Wagemut der Liebe: und ich faßte seine beiden bleichen Wangen mit diesen meinen beiden Händen und ich küßte ihn auf den stolzen, strengen, ach so unleidlich fest geschlossenen Mund, bis er, der Traurige, vergäße seiner Trauer, vergäße der eisigen Halla, vergäße alles und freudig lächelte, selig, in seligem Rausche, und mich wieder küßte – hierher! – auf den Mund, gerade mitten auf die lechzenden Lippen, und wir wären eins in göttlichen Glückes lodernder Lust!«

Da sank sie erschöpft zusammen, über den Schemel hingestreckt, und mit Macht brachen ihr die Tränen flutend, strömend aus den Augen und flossen auf die heiße, junge Brust.

*

 

IX.

Lange lag sie so, hingegeben wohltuendem, lösendem Weinen. Plötzlich fuhr sie auf, von einer lauten Stimme in einem Nebenraum emporgeschreckt. »Horch! Der Oheim! Er spricht – wieder einmal – halb im Aelrausch! – laut mit sich selbst. Was hör' ich? Sein Name? Wieder! – Ich muß lauschen.«

Und sie drückte das Ohr an den dünnen Bretterverschlag, der ihr Gemach von der Schlafkammer des Oheims trennte.

Sie lauschte gespannt – atemlos.

Sie unterdrückte einen leisen Schrei des Entsetzens. Sie schloß die Nacht über kein Auge; angstvoll wachte sie den Morgen heran.

*

 

X.

Ganz früh am andern Tage trat Dala schnell auf den Skalden zu, wie der im Burghof an seiner kleinen dreieckigen Harfe frische Saiten aufzog und stimmte.

Sie zupfte mit den rundlichen Fingern an den Saiten, sie streichelte zärtlich den Bug der Harfe, der in einen Schwan mit gewölbten Schwingen auslief. Knechte gingen hin und wieder durch den Hof.

»Hüte dich,« flüsterte sie während des schwirrenden Geräusches des Stimmens. »Mein Oheim: – er sinnt deinen Tod.«

Dagfred nickte, eifrig weiter stimmend.

»Dank dir, Kind. Aber ich fürchte beide nicht –: nicht den Ohm und nicht den Tod.«

Ihre Stimme bebte, als sie traurig fragte: »Du lebst nicht gern?« – »Ich lebe nicht für mich.« – »Ich weiß!« – »Du willst das wissen, Kind?« – »Ich bin kein Kind. – Ich bin so alt wie – sie.«

Halla trat sinnend in den Hof; sie sah noch bleicher als sonst; aber sie erschrak wohl, als Dagfred plötzlich auf sie zuschritt: denn sie errötete stark.

»Nehmt diesen kleinen Dolch,« sprach er zu ihr. »Er hüte Euch, wann ich Euch etwa nicht mehr hüten kann.« Er schlang die Harfe an dem breiten Lederriemen um die Schulter, nahm Mantel und Hut und schritt aus dem Hoftor.

*

 

XI.

Dieser Tag ward seltsam schwül.

Obwohl der Spätherbst bereits gekommen war, ballte sich's gewitterhaft über der See: im Westen zuckte es wie Wetterleuchten, ja der Skalde glaubte ganz in der Ferne Donner grollen zu hören.

Er hatte die Stunden der Helle an seinem einsamen Lieblingsorte verbracht, schreibend, singend, harfend.

So heiß hatte die Mittagssonne gebrütet, so heiß hatten die nackten Schieferplatten die Strahlen zurückgeworfen, daß er den langfaltigen Mantel, der ihn ganz verhüllte, und den breitrandigen Hut vor der Höhle abgelegt hatte; weiter nach Westen hin war er gewandelt, den Schatten der vorspringenden Felsen und den frischen Hauch des Windes von der See her zu suchen.

Nun war die Sonne längst gesunken; und den Mond verdeckten völlig dicht getürmte Wolken; es lagerte dunkles Dämmern finster auf den schwarzen, schweigenden Felsenmassen.

Da kam langsam, gemessenen Schrittes, von der Höhle des Sängers her über den schmalen Felsensteig, der von West nach Ost zur Burg zurückführte, eine Gestalt in Mantel und Hut. Der schmale Steig – nicht zwei Menschen nebeneinander faßte er – war zur Linken überhöht von dem hochragenden, vielzackigen Kamme des Bergscheitels: zur Rechten fiel dicht neben dem schwindelnden Pfade die glatte, senkrechte Wand turmhoch ab gerad' in die See, die gierig unten an die Klippen leckte.

An einer kleinen Senkung des Weges machte die Gestalt in Hut und Mantel Halt, – sich nach rechts, nach dem Meere hinwendend mit dem Antlitz; so war die linke Seite voll dem überragenden Felsenkamme zugekehrt.

Da schwirrte hoch in einer Spalte der Schieferzacken eine Bogensehne.

Ein leiser Aufschrei: – Mantel und Hut flogen in die See: mit zarten Fingern suchten zwei weiße Hände Halt an den scharfen Steinkanten des letzten Saumes des Felsenpfads.

»Für ihn!« hauchte eine matte Stimme. »Hier liegen bleiben? Bald würde er mich – tot – finden: – vielleicht alles erraten – dann um mich klagen! – Nein! Er soll – um mich! – nicht trauern. Er soll es niemals ahnen! Wie sagte er doch? ›Oder sterben – stolz – ... stumm.‹«

Die beiden kleinen Hände gaben ihren Halt auf. Lautlos glitt die Gestalt in die Tiefe.

*

 

XII.

Am andern Morgen saß in der Halle beim Frühmahle der Vogt, die Stirne gefurcht, die geballte Rechte trotzig auf das Knie gestemmt. Da rauschte der rote Wollvorhang des Eingangs und Dagfred trat herein.

Entsetzt fuhr Hartbrand empor vom Stuhle, das struppige Haar hob sich ihm auf der Stirne.

»Du, Skalde? – Du –?«

»Wer sonst?«

»Ich sah ihn fallen,« knirschte er zwischen den Zähnen – »mit diesen Augen sah ich es.« Er sank auf den Stuhl zurück. »Was – was suchst du hier?« – »Meinen Mantel und Hut. – Ob einer der Knechte sie fand? Ob der Wind sie vom Felsen geweht? Sie sind auch hier nicht.«

Dala war verschwunden.

Man durchsuchte das ganze kleine Eiland, man forschte unten in der See: man fand keine Spur. Nun gebot der Vogt, das Suchen aufzugeben; sie sei – so erklärte er finster – offenbar auf einem ihrer nächtlichen Gänge von dem Geklipp in das Meer gestürzt. Dagfreds Mantel spülte die Flut des Abends an den Strand; er ward dem Skalden gebracht.

Er trug ihn nach wie vor. Er bemerkte nicht das nur fingerbreite, ganz runde Loch, das ihn links, in der Herzgegend, durchbohrt hatte, und nicht den roten Flecken, der auf der Innenseite das kleine Loch umsäumt hielt.

Er mißte sie doch, die leuchtenden, die so warmen, hellbraunen Augen. Und Halla weinte um das glühende Herz, das sie verloren.

*

 

XIII.

Wenige Tage darauf stieg der Vollmond über die Düne.

Bald nach Tagesanbruch traf die Gefangene den Skalden in dem Burghof bei dem Ziehbrunnen; sie bat ihn, den schweren Deckel aufzuheben, die Eisenkette zu lösen und den mächtigen Holzeimer hinabzulassen; er tat es, über den Brunnen gebeugt; sie saß auf der runden Ummauerung. Der Vogt stand in der offenen Türe des Burgwalls.

Dagfred stellte nun den gefüllten Eimer auf den Brunnenkranz. Die Jungfrau dankte, schöpfte einen kleinen Holzbecher voll und trank.

»Heut' abend also kommen sie,« flüsterte er, laut mit der Kette rasselnd, die er wieder festigte. »Ihr wißt –?« – »Alles.« – »Ihr werdet mir beistehen!« – »Ich werde Euch behüten.« Rasch und leise waren die Worte hin und her geflogen: aber Hardbrand hatte doch argwöhnisch auf das Paar geblickt.

Als Halla auf das Walltor zuschritt, ihrer Gewohnheit nach einen Morgengang an den Strand zu machen, warf der Vogt den Eisenriegel klirrend in die Fuge.

»Nichts da! Heute bleibt Ihr zu Hause.«

»Warum?« – »Der Türmer hat mehrere Segel auftauchen sehen in der Ferne, im Westen. Zwar schienen sie nicht hierher, auf Möwenrast, zu halten. Allein, wer weiß? Ihr bleibt heute hinter Schloß und Riegel, bis die Schiffe verschwunden sind.«

So war die Hoffnung der Gefangenen, sich von der Bucht im Westen heimlich, ohne Gewalt, auf ein rettendes Boot flüchten zu können, abgeschnitten.

*

 

XIV.

Wohl hatten die Schiffe, fünf an der Zahl, eine Zeitlang, den hellen Tag über, das Eiland nicht zu ihrem Ziele genommen: sie hatten es nur umkreist, sie schienen zu fischen, zu jagen. Aber gegen Abend zogen sie ihre Kreise enger und enger, und als nach Sonnenuntergang die Flut einsprang, fuhren sie vor frischem Nordwest geraden Wegs auf die Westbucht zu.

Als der Vollmond stieg über die Düne, liefen sie ein.

Der Inselvogt hatte vom Turm aus die allmählich drohend werdenden Bewegungen der Segel verfolgt und alsbald die Abwehr gerüstet. Nur die Mägde und zwei Knechte ließ er bei der Gefangenen in der Burg zurück: er selbst eilte mit allen andern Knechten – es waren zwanzig – hinunter an den Strand.

Auf halbem Wege, da wo sich der schmale, nur mannsbreite Felsenpfad von Süden her gegen Osten und Westen gabelte, traf er den Skalden. Der trug Schild und Speer und auf dem Haupt einen Helm mit dunkeln Adlerflügeln.

»Freund oder Feind?« rief ihn Hardbrand an.

»Noch keins von beiden: Gast,« erwiderte Dagfred und trat einen Schritt höher auf den Felsen, den Zug der Männer, einen nach dem andern vorüber zu lassen.

Einen Augenblick erwog der riesige Vogt, ob er nicht den gefährlichen Gast in seinem Rücken unschädlich machen solle, bevor er an die Bucht hinabzog.

Aber da riefen drängend die Seinen: »Eilt, Herr, eilt! Sie wollen schon landen.«

Hinunter in raschen Sprüngen hastete die Schar.

Auf seinen langen Speer gebogen sah von der Felsenplatte aus der Skalde zu.

Und auf der Mauerkrone der Feste stand das gefangene Königskind, die Hände ringend, um Sieg betend für die Befreier; die schlanke weiße Gestalt hob sich scharf ab von den dunkeln Schatten des Turmes hinter ihr: von flutendem Mondlicht übergossen leuchtete ihr goldwelliges Haar.

*

 

XV.

Nicht lange währte der ungleiche Kampf: allzu stark war die Übermacht der Angreifer: König Ring hatte seiner Schätze nicht gespart, das geliebte einzige Kind zu erretten. Fünf hochbordige Drachenschiffe hatte er ausgerüstet, hundertfünfzig Söldner hatte er geworben, kampferfahrene Angelsachsen aus Kent: Horsa, ein kecker Wiking, der auch ganz leidlich die Harfe schlug, war der Führer. Der hatte als Skalde den lange schon vermuteten Versteck der Geraubten erkundet.

Von dem Deck ihrer Schiffe aus bereits hatten die Angelsachsen mit ihren niemals des Zieles fehlenden, armslangen, reiherfederbeflügelten Pfeilen, von den mannshohen Eibenbogen mit mörderischer Kraft geschnellt, die meisten der Verteidiger getötet oder verwundet. Nun sprangen sie von den Borden in das Meer und, die Brust auf den langen, schmalen Lindenschild gelegt, das gezogene Kurzschwert im Munde, den Speer in der Linken, schwammen sie, die ganze Breite der Bucht entlang, einer neben dem andern, von der helfenden Flut getragen, an den Strand: fünfzig auf einmal sprangen, allen voraus Horsa, auf den Sand.

Fünfzig andre folgten. Darauf ward von dem größten der Schiffe herabgelassen ein gar zierlicher Nachen, wie eine Nußschale, weiß angestrichen, rot bemalt, reich vergoldet, von vier Ruderern gezogen; in der Mitte ragte ein dünnes spielerisches Mastbäumchen, bunt bewimpelt und bekränzt; an diesem lehnte ein Jüngling in himmelblauem Gewand, glitzernd von Gold und edeln Steinen, der silberne Helm umreiht von einem Goldkranz: – Kleeblätter stellte das Goldgewinde dar –: Brünne und Schild waren besäumt mit goldenen Fransen und Glöcklein. Die langen, sorgfältig geringelten und salbenduftenden, hellgelben Locken waren auf das zierlichste mit blauen Bändern durchflochten.

Der Jüngling ward, wagrecht liegend, von den vier Knechten auf den Schultern durch die letzten Uferwellen getragen; unbenäßt stellten sie ihn sänftlich und säuberlich auf den trocknen Sand: hier, in guter Sicherheit, weit hinter dem Gefecht, blieb er stehen und schwenkte einen goldenen Feldherrnstab.

»Der – Das! – ist ihr Bräutigam,« sprach ergrimmend Dagfred – die Faust zuckte ihm am Speere: »ihrer Seele, ihres Gürtels, ihres weißen Leibes Herr und Gebietiger!«

Als Fürst Kjartan auf den Strand gehoben ward, schien der Kampf bereits zu Ende.

Der Inselvogt stand fast allein noch aufrecht. Mit gewaltigen Hieben seines wuchtigen Langschwertes hatte der Riese gar manchen der Angreifer niedergestreckt: ein ganzer Haufe von Feinden lag tot oder wund um ihn her. Da erschaute auch er den Irenfürsten. Mit gellendem Schrei sprang er vorwärts, schlug dem tapfern Horsa, der sich ihm entgegenwarf, eine Wunde in den Schwertarm, rannte geradeaus auf den Keltenprinzen und erreichte ihn. Der stürzte ins Knie.

Das sah, hoch vom Mauerrand herab, seine Braut: ein leiser Schrei: – ein im Mondlicht blitzender Stahl: – die weiße Gestalt knickte auf der Mauer zusammen. Niemand hatte es bemerkt, nur die Mägde, welche sie auffingen.

Aber Fürst Kjartan war nur vor eitel Schreck ins Knie gesunken.

Und seine Feigheit hatte ihn gerettet. Denn nun war der furchtbare Hieb des Riesen fehl gegangen. Und zu einem zweiten kam er nicht. Auf allen Seiten umstarrt von Speeren, die den Fürsten deckten, warf Hardbrand plötzlich den Schild auf den Rücken, brach sich durch die Angreifer hinter ihm Bahn mit einem sausenden, radförmigen Schwertesschwang rings um sich her und floh in wilden Sprüngen die Düne und den Felsen hinan auf die Burg zu.

Auf dem Engpfad trat ihm Dagfred entgegen.

»Wohin?« – »Zu ihr!« – »Was willst du?«

»Sie tot küssen zwischen diesen Armen. Solange hält das Eisentor. Dann mit ihr in die Flammen. – Laß' mich vorbei!«

Statt Antwort zu geben fällte Dagfred den Speer. Sofort flog er ihm aus der Hand, zersplittert von einem zornigen Streiche des Riesen: der Schwerterkampf zwischen den beiden Männern begann.

*

 

XVI.

Unterdessen überwältigten die Angelsachsen unten am Gestade den letzten Widerstand der noch übrigen Knechte. Das Gefecht war aus. Fürst Kjartan erhob wieder den goldenen Feldherrnstab, deutete damit auf die Burg und stieg hinan.

Halbwegs erschrak er heftig; er stieß auf den Inselvogt. Doch er faßte sich: er sah, tot lag der Riese auf seinem Schild, einen Schwertstoß in der Kehle.

Der schöne Fürst, fünfzig Angelsachsen hinter ihm, eilte weiter bergan. Er fand das eiserne Burgtor weit geöffnet; zwei Knechte legten ihm auf der Schwelle ihre Lanzen zu Füßen.

Er schritt nun in den Burghof und stieg auf der kleinen Steintreppe auf der Innenseite des Walles auf dessen Krone.

»Halla,« rief er, »geliebte Braut! Wo bist du? Komm, ich habe gesiegt: – ich habe dich befreit.«

Keine Antwort. Aber bei dem nächsten Schritt um die Mauerecke sah der Bräutigam die bleiche Braut – der Vollmond gab ganz hellen Schein – in den Armen einer Magd liegen. Neben ihr stand, auf ein blutig Schwert gestützt, ein Mann im Adlerhelm.

»Halla! – Bei allen Göttern! – Verwundet! Wer hat sie getroffen?«

Da sprach der im Adlerhelm: »Sie sich selbst. Sie glaubte dich gefallen – im Heldenkampf, – für sie gefallen. Die treue Braut wollte den Bräutigam nicht überleben. – Sie stirbt um dich: aus Treue gegen dich: hörst du es, Kjartan?«

»Ich hör's. – Aber was soll das mir?«

Da hob Halla das schöne Haupt und sah gespannt, die sanften blauen Augen weit geöffnet, bald auf Fürst Kjartan, bald auf den Skalden.

»Du hast es gehört und du lebst noch? Ich sage dir: dies Mädchen hier: – es stirbt um dich. Und du lebst noch?«

So drohend ward dies Wort gesprochen, – der Bräutigam trat einen Schritt zurück.

»Weißt du, was die Liebe ist?« sprach fast drohend der Skalde.

»Gewiß! Ein süßer Rausch.«

»Nein, lern' es nun. Die Liebe – o Halla! Auch du weißt es nicht.«

Da erhob sie sich ein wenig auf dem linken Arm, wandte das Antlitz von Kjartan ab, richtete die Augen, tiefsten Ausdruckes voll, auf den Skalden und hauchte: »Doch, Dagfred! Mir ist – ich weiß es jetzt. Ich hab' es gelernt – in dieser Stunde – meiner letzten.«

»Die Liebe ist, du schöner Knabe, Leid, ist lechzend Verlangen. Dann: göttlichen Glückes lodernde Lust. Oder: ... – Deine Braut wird nicht dein: sie stirbt um dich!

Töte dich mit diesem Dolch, der noch in ihrer Wunde steckt! Oder du hast sie nie geliebt. Und dann – dann töt' ich dich.« Grimmig trat er auf ihn zu.

»Mich selbst töten! Wilde Tat! Niemals!«

Mit einem Sprung war er auf der Walltreppe und verschwand.

»Siehst du, Halla, – davor – vor solchem! – mußt' ich dich doch behüten! Nun – gib her! – nun mischt sich doch dein süßes Blut mit meinem.« Und er zog den Dolch aus ihrem weißen Busen und stieß ihn sich in die Brust! Er sank neben ihr nieder und hielt ihr die offne Rechte hin.

»Oder: Seeleversehrendes Sehnen und stummes, stolzes Sterben. – Siehst du, Halla! Das ist die Liebe!«

»Ja,« antwortete sie und schlug ein in seine Hand, »ja, mein Geliebter: – mein ewig Geliebter: – Denn immer ewig ist die Liebe.«

Da starben beide.


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