Felix Dahn
Ueber Ludwig Steub
Felix Dahn

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Die Rose der Sewi.

Die Rose der Sewi. Eine ziemlich wahre Geschichte aus Tirol. Von Ludwig Steub. Stuttgart 1879. Jetzt wieder mannigfach nachgebessert in den gesammelten Novellen. 1881.

Ein Büchlein voll liebenswürdigsten Humors, reich an lebenswahrer Schilderung von Land und Leuten der gefürsteten Grafschaft, welche Niemand gründlicher kennt, als der Verfasser (schon längst hätten sie ihn zum »Ehrentiroler« ernennen sollen!), an scharfer Charakteristik der Männlein und Weiblein in Haupt- und Nebengestalten: eine echte und rechte »Dorfgeschichte«: die schlichte, aber urkomische Fabel ist eine von den »Aventuren«, welche nicht erfunden, nur erlebt werden können, wie man auch ohne die ausdrückliche Betheuerung der Vorrede dieser »ziemlich wahren« Geschichte empfinden würde.

Der günstige, aber auch gefährliche Einfluß, welchen der Verkehr mit »Herrischen«, »Städtischen«, zumal Schriftstellern und Malern, auf unsere Bauern im Gebirg übt, ist vortrefflich geschildert: in meisterhafter Darstellung wird der Verlauf der einfachen Handlung zwanglos, aber kunstvoll durchflochten mit Arabesken der Landschafts- oder Genremalerei. Man wird mitten in der ästhetischen Unterhaltung vielfach belehrt, ohne doch irgendwie in dem angenehmen Einschlürfen des poetischen Genusses durch Entdeckung lehrsamer Absichten gestört und verstimmt zu werden. In der That, sehr, sehr wenige deutsche Schriftsteller der Gegenwart können genannt werden, welche in Feinheit und Grazie des Stiles mit Steub den Vergleich aushalten. Unser rastlos treibendes, hastig schreibendes und mußelos lesendes Geschlecht zeigt weder in den Ausbietenden noch in den Nachfragenden des »Literaturmarktes« (man verfällt unwillkürlich in solchen Sprachgebrauch zu dieser Zeit der Zöllner und Zöllnerfeinde!) jenes behagliche, liebevolle Versenken in den Gehalt und zumal in die Form des Kunstwerkes, welche Vertiefung noch unseren Vätern – (von unseren Großvätern, den Zeitgenossen Goethes, zu schweigen) – als angenehme Pflicht galt. Es mag innerhalb der blauweißen Pfähle – und wohl ein gut Stück darüber hinaus – keinem Schriftsteller das Lob anmuthvolleren Stiles zugetheilt werden, als unserem Verfasser. Glücklicherweise ist es aber auch kaum ernsthaft zu nehmen, das Wort Berthold Auerbachs, welches lustige Laune diesem Büchlein gleichsam als Motto vorangestellt hat: »Ist es nicht ein wunderliches oder, geradezu gesagt, trauriges Geschick, daß man vielen gebildeten Deutschen erst sagen muß, wer Ludwig Steub ist?« Wenn der Verfasser seine Geschichte mit dem Satz eröffnet, wie hieraus erhelle, sei er »unter Anderen ein deutscher Schriftsteller, der aber in Deutschland noch wenig bekannt«, so müssen wir doch bezeugen, daß, als im Jahre 1872 die Einwanderung der Bajuvaren nach Thule begann, sie in den Oedländern um den Universitätsplatz zu Königsberg herum, Namen und Werke ihres Landsmannes Ludwig Steub bereits als bekannt vorfanden und seinem Preise nur wenig nachzuhelfen hatten; er hat also den hercynischen Wald, diese allerdings für herminonischen Ruhm nicht leicht zu übersteigende Völkerscheide, längst sieghaft überschritten. Und ist einmal das deutsche Mittelgebirge passirt – Flüsse sind bekanntlich keine starken Hemmnisse – dann mag ein Name leichtbeschwingt über Spree, Oder, Weichsel, Nogat, Pregel und Niemen bis nach Wetljanka dringen. Dies ist ganz buchstäblich zu nehmen: Auerbach und Steub könnten sich durch eine Reise dorthin überzeugen, daß der Duft der »Rose der Sewi« dem Seuchenhauch der astrachanischen Steppen getrotzt hat.

Von der Fabel der »Rose« wollen wir nichts verrathen – ein Theil ihres Reizes lauscht gerade aus dem Geheimniß; auch aus dem Geheimniß von Art und Ort der Krise, welche die liebliche Heldin befällt. Die reizvolle Zartheit, mit welcher, freilich unter mächtiger Hilfeleistung Titania's und ihrer Elben, diese Peripetie der Handlung angedeutet zugleich und verhüllt wird, bekundet, daß unter den Gaben des bajuvarischen Stammes die Grazie viel stärker vertreten ist, als man in Paris oder selbst in Berlin oder Königsberg anzuerkennen pflegt.

Diese Berühmung der Feinheit als einer Wiegengabe der MarkomannenenkelAnmerkung des Setzers für die Mindergebildeten: »Unter den Markomannenenkeln sind nämlich die Bayern zu verstehen.« wird, so hoffen wir, dem Buch manchen Leser zuführen – vermöge der Lust am Widerspruch.

Zum Schluß nur noch ein Wort über den Ortsnamen im Titel.

Die (tirolische) kleine Landschaft »Sewi« führt ihren Namen von einem schmalen See, der in der Vorzeit hier fluthete, aber längst abgelaufen ist. Auch der Binnen-»See« wird mundartlich weiblich behandelt, während die Schriftsprache nur das Meer »die« See nennt: der mittelhochdeutsche Dativ und Accusativ von See lautet aber »Sewe«: daher sagt man in jener Gegend noch »in die Sewi« oder »in der Sewi«.


Von ganz köstlichem Humor und echter, wahrheitgetreuester Wiedergebung des Zuständlichen und der Charaktere sind aber auch gar manche der älteren kleineren Erzählungen: so Der Staatsdienstaspirant, Das Seefräulein und Die alte Trompete in Es, um deren willen ich Steub und Freund Scheffel, der ja auch einmal eine alte Trompete (zu Säckingen) mit weithin schallendem Erfolg geblasen hat, »die zwei alten deutschen Literatur-Trompeter« nennen möchte: der dritte, der »Trompeter von Gravelotte«, (– Freiligrath –) wartet bereits die große Reveille ab!


Das umfassendste Dichtungswerk Steubs ist der dreibändige Roman Deutsche Träume. Ich will nur geradezu sagen, daß ich den Anfang – das Knabenleben des Helden (wir erfahren aus der Biographie, daß es der junge Ludwig zu Aichach war) – zu dem Allerschönsten zähle, was wir auf solchem Gebiete besitzen, und ohne Frage ist es das Poesiereichste, Schwungvollste, was Steub je geschrieben hat. Oft und oft und niemals ohne Rührung hab' ich diese Schilderung gelesen – auch wohl deshalb, weil sie mich an die eigenen Ritter- und Hohenstaufenspiele gemahnt, mit welchen ich den Garten meines Elternhauses erfüllte. Ich bin ganz der Meinung, daß der Roman einer Umarbeitung für eine 2. Ausgabe würdig wäre, wenn ich auch zugeben muß, daß die Fortführung nicht auf der Höhe des Anfangs bleibt. Durchaus nicht aber bin ich der Ansicht, daß der tragische Schluß durch einen glücklichen Ausgang zu ersetzen wäre: wie sollen denn »deutsche Träume« vor 1870 anders als tragisch enden können? Das Scheitern der Einheits- und Freiheits-Hoffnungen aus den so jugendlich idealen, freilich auch recht jugendlich unreifen Bewegungen und Strebungen der Vierziger-Jahre ist eben tragisch. Und ein glücklicher Ausgang wäre nur möglich, wenn der Held etwa die Jahre 49-70 überlebte und als bayerischer General in der Schlacht bei Sedan fiele, oder als bayerischer Gesandter zu der Kaiserproclamation nach Versailles abgesendet würde. Ich meine, das sollte sich der Verfasser einmal überlegen. Der Held brauchte deshalb doch noch nicht älter als ca. 60 Jahre zu werden. Jenem Roman hat wohl mehr als der tragische Ausgang geschadet, daß die Frauengestalten zum Theil unerfreulich sind.

Das »Seefräulein« habe ich auf der Bühne nie gesehen, doch auch auf diesem Gebiet hat es einen guten Leumund.

 


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