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Vierzehntes Kapitel

Die Absicht König Tejas war gewesen, in der kommenden Nacht mit allen Waffenfähigen, bis auf einige Wächter des Engpasses, sich vom Vesuv herab auf das Lager des Narses zu werfen und in demselben, begünstigt durch das Dunkel und die Überraschung, noch ein furchtbares Blutbad anzurichten: war der Letzte der Ausfallenden erlegen, und drohte nun, etwa bei Tagesanbruch, der Angriff auf den Engpaß, so sollten die Wehrunfähigen, die nicht die Knechtschaft dem Tode vorzogen, durch den Sprung in den nahen Krater des Vesuvs ein freies Grab suchen, wonach auch die Verteidiger des Passes durch Hervorbrechen aus der Schlucht ein rasches Ende machen sollten.

Es hatte den König mit freudigem Stolz erfüllt, daß auch nicht eine Stimme unter den Tausenden von Frauen und Mädchen – denn alle Knaben vom zehnten Jahre an und alle Greise wurden bewaffnet – die entehrende Sklaverei und das Leben statt des Todes im Vesuv gewählt hatte, als Teja den Versammelten in der Wagenburg die Wahl anheimgestellt.

Sein Heldenherz erfreute sich an dem Gedanken, daß sein ganzer Stamm in einer in der Geschichte der Völker unerhörten Tat, in glorreichem Heldentod, wie ein Mann, seine große Vergangenheit ruhmvoll besiegeln wollte. Dieser Verzweiflungsgedanke des tod-grimmen Helden wurde nicht verwirklicht: aber sein brechendes Auge sollte statt jenes grauenhaften Bildes ein helleres, ein versöhnendes schauen.

Narses, immer wachsam und vorsichtig, hatte schon vor Johannes und Cethegus die drohenden Vorbereitungen der Feinde wahrgenommen und den Rat der Feldherrn auf die fünfte Tagesstunde in sein Zelt berufen, seine Gegenmaßregeln zu erfahren.

Es war ein wunderbarer, goldner September: voll Schimmer des Lichts und Schimmer des Dufts über Land und Meer: wie er in solcher strahlenden Schönheit auch in Italien nur über den Golf von Bajä sich ergießt. In den lichtgesättigten Himmel stieg spielend die weiße Kräuselwolke des Vesuvs: Mit rhythmischem Anschlag rollten die letzten, leisen Meereswellen, wie huldigend, an das wunderschöne Land.

Da schritt hart an dem Saume der Flut hin, so daß die rollenden Wellen manchmal seine gepanzerten Füße berührten, langsam, den Speer über der Schulter, von dem linken Lagerflügel her, einsam ein gewaltiger Mann. Die Sonne glitzerte auf seinem runden Schild, auf dem prachtvollen Panzer: der Seewind spielte in seinem purpurnen Helmbusch.

Es war Cethegus: und er schritt auf dem Todesweg.

Nur von weitem folgte ihm, ehrfürchtig, der Maure.

Angelangt an einem schmalen Vorsprung des Küstensandes in den Golf hinein, ging er bis an die äußerste Spitze dieser kleinen Landzunge, wandte sich und blickte nach Nordwesten. Dort lag Rom: sein Rom.

«Lebt wohl», sprach er tief bewegt, «lebt wohl, ihr sieben Hügel der Unsterblichkeit. Leb' wohl, Tiberstrom, der du den ehrwürdigen Schutt der Jahrhunderte dahin spülst: zweimal hast du mein Blut getrunken, zweimal mich gerettet. Nun rettest du mich nicht mehr, befreundeter Flußgott! Gerungen hab' ich und gekämpft um dich, mein Rom, wie keiner, wie selbst Cäsar nicht, vor mir.

Die Schlacht ist aus: geschlagen ist der Feldherr ohne Heer. Ja, ich erkenne es nun: alles kann der gewaltige Geist des einzelnen ersetzen, nur nicht ein fehlend Volk.

Sich selbst jung erhalten kann der Geist, nicht andre verjüngen. Ich habe das Unmögliche gewollt. Aber das Mögliche erreichen ist – gewöhnlich. Und spränge mir noch einmal aus meines zertrümmerten Cäsar Marmorhaupt der große Gedanke entgegen dieses Kampfes um Rom: – gepanzert, wie Athene aus dem Haupte des Zeus – – ich kämpfte ihn noch einmal, diesen Kampf. Denn besser ist's, um das Übermenschliche ringend erliegen, als in der dumpfen Ergebung unter das Gemeine dahingehn.

Du aber sei mir gesegnet» – und er kniete nieder und netzte die heiße Stirn unter dem ehernen Helm mit der salzigen Flut – «du aber sei mir gesegnet, Ausonias heilige Meerflut: sei mir gesegnet, Italias heiliger Boden» – und er griff mit der Hand tief in den Sand der Küste: «Dankbar scheidet von dir dein treuester Sohn –: erschüttert, nicht von dem Grauen des nahenden Todes, erschüttert allein von deiner Herrlichkeit. Lange Jahrhunderte ahn' ich für dich drückender Fremdherrschaft. Ich habe sie nicht von dir zu wenden vermocht: aber mein Herzblut bring' ich als Wunschopfer dar. Ist der Lorbeer deiner Weltherrschaft verdorrt für immer – dir lebe fort, unzertretbar, still grünend unter dem Staube, die Olive des Freiheitssinns und deines Volkes edle Eigenart. Und einst leuchte der Tag dir herauf, mein Rom, mein italisches Land, da kein Fremder mehr herrscht auf deinem geheiligten Boden, da du allein dir selber gehörst von den heiligen Alpen zum heiligen Meer.»

Und ruhig erhob er sich nun und schritt, rascheren Ganges, nach dem Mittellager und dem Feldherrnzelt des Narses.

Beim Eintreten fand er die Heerführer alle versammelt, und Narses rief ihm freundlich entgegen: «Zur guten Stunde kommst du, Cethegus. Zwölf meiner Feldherren, die ich auf einem Bund der Tollheit ertappt, wie sie etwa die Barbaren, aber nicht Schüler des Narses, begehen möchten, haben sich zur Entschuldigung auf dich berufen: es könne keine Tollheit sein, woran sich der geistesgewaltige Cethegus selbst beteilige. Sprich, bist du wirklich jenem Waffenbund gegen Teja beigetreten?»

«Ich bin's, und ich gehe gerad' von hier – laß mir den Vortritt, Johannes, ohne Losung – auf den Vesuv. Die Wachtstunde des Königs naht.»

«Das gefällt mir von dir, Cethegus.»

«Danke: es spart dir wohl manche Mühe, Präfekt von Rom», erwiderte Cethegus.

Eine Bewegung der höchsten Überraschung ging durch alle Anwesenden: denn auch die Eingeweihten staunten über seine Kenntnis der Lage.

Nur Narses blieb ruhig: leise sagte er zu Basiliskos: «Er weiß alles. Und das ist gut.»

«Nicht meine Schuld, Cethegus, daß ich dir nicht früher deine Ersetzung durch mich mitgeteilt: der Kaiser hatte es streng verboten. Ich lobe deinen Entschluß, Cethegus. – Denn er stimmt zu meinen besten Absichten. – Die Barbaren sollen nicht das Vergnügen haben, heute nacht nochmal eine Myriade unserer Leute zu schlachten. Wir rücken sofort mit allen unsern Truppen, auch den beiden Flügeln, bis auf Speerwurfweite vor den Engpaß: sie sollen nicht Raum zum Anlauf gewinnen: und ihr erster Schritt aus der Mündung der Schlucht soll sie in unsre Lanzen führen. Ich habe auch nichts dagegen, Cethegus, wenn Freiwillige jenen König der Schrecken bestehen –: mit seinem Tode, hoff' ich, löst sich der Barbaren Widerstand.

Nur eins macht mich besorgt. Ich habe die ‹jonische Flotte› längst hierher beschieden, – ich hatte die Entscheidung einige Tage früher erwartet – und sie bleibt aus. Sie soll mir die gefangenen Barbaren sofort aufnehmen und nach Byzanz schaffen. Kam noch der Schnellsegler nicht zurück, Nauarch Konon, den ich auf Kundschaft durch die Meerenge von Regium geschickt?»

«Nein, Feldherr! So wenig als ein zweites Eilschiff, das ich selber nachgesandt.»

«Sollte der letzte Sturm die Flotte geschädigt haben?»

«Unmöglich, Feldherr, er war nicht stark genug. Und sie lag ja, nach letzter Botschaft, sicher vor Anker im Hafen von Brundisium.» – «Nun, wir können nicht auf die Schiffe warten. Vorwärts, meine Feldherren, wir brechen alle, ich selber mit, sofort gegen den Engpaß auf. Leb' wohl, Cethegus! Laß dich die Entsetzung nicht anfechten. Ich besorge, es würde dir nach der Beendung des Krieges manch lästiger Prozeß drohen. Du hast viele Feinde: mit Recht und mit Unrecht. Böse Wahrzeichen drohen dir ringsumher. Aber ich weiß, du hast von jeher nur ein Wahrzeichen geehrt: ‹Ein Wahrzeichen nur gilt:› –»

«‹Für die Heimat kämpfend zu fallen.› Nur noch eine Gunst: verstatte mir – meine Isaurier und Tribunen ruhen ja in Rom – die Italier und Römer in deinem Heer, die du unter alle deine Scharen verteilt hast, um mich zu sammeln und sie gegen die Barbaren zu führen»

Einen Augenblick besann sich Narses. «Gut, sammle sie und führe sie! – Zum Tode», sagte er leise zu Basiliskos. «Es sind höchstens fünfzehnhundert Mann – ich gönne ihm die Freude, an der Spitze seiner Landsleute zu fallen – und sie hinter ihm! Leb' wohl, Cethegus.»

Stumm, mit dem erhobenen Speer ihn grüßend, schritt Cethegus hinaus.

«Hm», sagte Narses zu Alboin, «– schau' ihm nur ernsthaft nach, Langobarde. Da geht ein merkwürdiges Stück Weltgeschichte dahin. Weißt du, wer da hinausschritt?»

«Ein großer Feind seiner Feinde», sagte Alboin ernst.

«Ja, Wölflein, schau' dir ihn nochmal an: da geht zu sterben –: der letzte Römer!» – –

Als alle Heerführer bis auf Basiliskos und Alboin Narses verlassen hatten, eilten aus dem durch Vorhänge abgesperrten Abschluß des Zeltes Anicius, Scävola und Albinus, noch in langobardischer Kleidung, mit bestürzten Mienen. «Wie?» rief Scävola, «du willst dem Richter diesen Mann entziehen?» – «Und dem Henker», sprach Albinus, «seinen Leib? und seinen Anklägern sein Vermögen?» Anicius nur schwieg und ballte die Faust um den Schwertgriff.

«Feldherr», rief Alboin, «laß die zwei Schreier meines Volkes Kleidung von sich legen. Mich ekelt dieser Kläffer.»

«Du hast nicht unrecht, Wölflein! – Ihr braucht euch nicht mehr zu vermummen», sprach Narses. «Ich bedarf euer nicht mehr als Ankläger.

Cethegus ist gerichtet: das Urteil vollstrecken wird – König Teja. Ihr aber, Rabenschnäbel, sollt nicht noch einhacken auf den toten Helden.»

«Und Kaiser Justinians Befehl?» trotzte hartnäckig Scävola.

«Tote Männer kann auch Justinianus nicht blenden und kreuzigen lassen. Wenn Cethegus Cäsarius gefallen, kann ich ihn nicht wieder aufwecken, für des Kaisers Grausamkeit. Von seinem Gold aber, Albinus, erhältst du keinen Solidus: und du, Scävola, von seinem Blute keinen Tropfen. Sein Gold ist dem Kaiser, sein Blut den Goten, sein Name der Unsterblichkeit verfallen.»

«Den Tod des Helden gönnst du diesem Bösewicht?» grollte jetzt Anicius.

«Ja, Sohn des Boëthius: denn er hat ihn verdient.

Du aber hast ein tüchtig Recht auf Rache an ihm: – du wirst dem Gefallenen das Haupt abschlagen und nach Byzanz dem Kaiser bringen! Hört ihr die Tuba? Das Gefecht begann!»


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