Felix Dahn
Odhins Rache - Friggas Ja - Die Finnin
Felix Dahn

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Friggas Ja.

 

I.

In Norwegen war's, an einsamem Fjord. – Hoch im Gewölk hatte den ganzen langen Sommertag ein gewaltig Unwetter getobt: Blitz auf Blitz war herniedergefahren auf die Häupter der Steinriesen, der Felsberge; Meer und Fjord hatten, von widerstreitenden Stürmen aufgewühlt, sich weiß schäumend über ihre Ufer zu ergießen getrachtet; ja, die Erde hatte gebebt und aus ihren Schlünden war Feuer hervorgebrochen, die Siedelungen der Menschen bedrohend.

Aber gegen Abend hin ging der wilde Kampf in der Luft, auf dem Meer und Land und im Schose der Tiefen zu Ende: sieghaft durchbrach die Sonne die dicht geballten Wolken, die solang ihr getrotzt: über die Gipfel der Berge hin jagte, wie verfolgend, ein freudiger Wind die fliehenden Nebel; ein wunderschöner Regenbogen wölbte die kühn geschwungene Brücke von der Erde zu dem Himmel empor. –

Da kam von Osten über die Felshöhen her zu Thal geschritten ein Wanderer.

Nicht hastig, – bedachtsam ging er, aber stet, immerfort, ohne Unterbrechung, nie des rechten Trittes verfehlend. Er schien des Wanderns über Berg und Thal gar gut gewöhnt. – Als er im Herabsteigen die Ebene schon nahezu erreicht hatte, ließ er sich langsam nieder auf einen Felsen an dem Hang des letzten Hügels. Der lag an dem Ostufer eines breitflutenden Stromes, der sich, eine Wegrast weiter nördlich, in den blauen Fjord ergoß.

Der Wanderer legte den Speer, der ihm als Bergstock gedient, über die rechte Schulter, lehnte, von seinem weiten, dunkelblauen Mantel umwallt, das mächtige Haupt, von dem breitrandigen Schlapphut beschattet, rücklings an die Felswand und blickte sinnend lange vor sich hin.

Kein Laut weit und breit, als zu seinen Füßen das gurgelnde Rauschen und Ziehen des tief rinnenden Stromes und hoch oberhalb seines Hauptes das schrille Kreischen des Steinadlers, der in den Fels zu Horste strich.

Lange saß er so, schweigend; endlich sprach er, den Blick auf den Regenbogen im Westen gerichtet, der nun blasser ward und allmählich verschwand: »Schon sind sie also hinaufgezogen, die Freunde, die Siegesgenossen.

Nun hebt da oben wieder an das alte Wesen: – ich weiß es all' auswendig! Freund Thor trinkt wieder viel mehr Sieges-Ael, als er – sogar er! – vertragen kann: zuletzt merkt er es aber dann doch, daß Loki in scheinbar schmeichelnden Worten sein spottet: er will zuschlagen, greift aber den Hammer nicht mehr. Und die lockige lockende Freia in ihrem roten Haar – das sich lockt und andre locken will – ruht nicht mit heimlich heißen Blicken, mit alles verheißendem Lächeln des üppigen Mundes, bis sie richtig zu süßem Begehren berückt hat alles, was Mann ist; – ausgenommen mich! Und Bragi, der biedere Sänger! – Der singt – wieder einmal! – auf der unablässig gequälten Harfe mein Lob! Will es singen! Was weiß Bragi von Odhin? Wer begreift Odhin! Nicht einmal Odhin! – Nur sie etwa . . .! ja, sie gewiß!

Odhin könnte nur Odhin loben. Und der ist dafür zu klug. Er kennt sich gerade gut genug, um sich nicht zu loben, sondern scharf zu tadeln. – Aber freilich« – er lächelte und strich mit der Linken über den wirren, leicht ergrauten Bart – »nur wann es kein Ohr hören kann, tadl' ich ihn.

Doch mich ekelt des Lobes der andern!

Mein Bestes ahnen sie sowenig wie mein Schlimmstes. Und mein Schlimmstes: – was ist das? Das alles zersetzende Grübeln, das sich die eigne Wildheit, die maßlose, schrankenlose Lebensgier, als gutes Recht der überbrausenden Kraft vortäuscht.

Aber ist's meine Schuld?

Wenn der Bergstrom schäumend, allverderbend, aus seinem Rinnsal bricht, – ist's seine Schuld oder des Felsens, der ihm den notwendigen Weg eigensinnig sperrt? Siesie allein ist schuldig an Odhins wildem Sehnen! Und an dieses Sehnens Thaten. Oh Frigga! Gestrenge, grausame Braut, wie bist du schön.«

Er erglühte bei dem Gedanken, leiser Schauer rieselte ihm durch die Adern.

»Jetzt, – in diesem Augenblick – schaut sie streng, hart, zürnend auf den leeren Hochsitz des Bräutigams mit jenen hellen wunderbaren Augen, die da leuchten, als sei der Morgenstern zweimal aufgegangen! Die feinen Nüstern ihrer feinen Nase zucken leicht, die hochgeschwungenen Brauen zieht sie – den andern unmerklich – zusammen und – ich sehe sie vor mir! – in den herrlichen, weißen, den edelgebildeten Nacken wirft sie mit unwilliger Bewegung die Wellen, die kurz gebrochenen, des lichtgoldigen Haares. »Wo wandert er wieder umher,« – so denkt sie hinter der unleidlich ruhigen stolzen Stirn – »mein unsteter Verlobter? Warum weilt er nicht an meiner Seite? Bin ich ihm, ist ihm all' Asgardh nicht genug?« – Und sie drückt die schmalen, die zierlichen, die scharf geschnittenen Lippen zusammen; und sie schweigt und sinnt, die Undurchschaubare, während um sie her alles lacht und schwatzt.

Wunderbares Frauenherz! Sie liebt mich nicht! – Sie kann gar nicht lieben, glaub' ich! – Und doch, mein' ich, ist sie nicht ganz ohne Eifersucht.

Birgt das leise, leise Hoffnung? Eifersucht – blindeste Blinde und sehendste Seherin! – Sie hat Recht, eifersüchtig zu sein! Nicht auf ein einzeln Weib. Aber auf dies mein unausgefülltes Sehnen.

Und weshalb ist es unausgefüllt?

Sie nur, nur Frigga kann mich ausfüllen und sie: – sie will es nicht! Sollen mich vielleicht diese Siegesfeste ausfüllen? Immer eines wie das andere? Langweilig sind sie! In Asgardh müßig thronend sitzen? Ja, später vielleicht, wann ich mir endlich die Spröde gewonnen, mag's mir genügen da oben. Aber noch nicht! Mit dieser feurig rinnenden Glut in den Adern? Noch lange nicht!

Was ich bei den Nornen erkundet – es wird ja, muß ja geschehen: – aber erst dereinst! Sie zeigten mir im Spiegel eines Quells einen Odhin mit nur Einem Auge, einen alten, fast greisenhaften Mann. Und sie raunten allerlei Dunkles – ich wollte gar noch nicht alles verstehen! – von künftig drohendem Unheil. Mag sein! Mag kommen! Noch aber schau ich, gierig nach Schönem, mit zwei Augen feurig in die Welt, noch lüstet mich gar nicht, Eines zu verpfänden für traurige Weisheit! Noch kost mir die warme, weiche, die buhlerische Luft des Sommerabends um braunes Gelock. Noch sind die grauen Haare im Barte zu zählen: und noch nicht zu zählen die wilden Heißwünsche des tobenden Blutes.

Im Alter, Odhin, magst du dann weise werden und tugendlich. Oder auch morgen schon, ja heute noch: – aber nur in Friggas weißen Armen. Oh nie, nie will ich – nicht Eine Nacht! – von ihrem Lager schweifen, teil' ich es erst. Jetzt aber – beim Göttermahle neben ihr sitzen – all' diese berauschende Schöne schauen, die mir gehört – nach der Götter Beschluß! – und nicht an eine Welle ihres Blondhaars rühren dürfen? – Das trag ein andrer, Odhin trägt es nicht! –

Und heute gar! –

Wenn jemals einen Sieg der Asen ich allein erfocht, entschied – so war es heute.

Sie hatten diesmal gekämpft, wie fast noch nie, bärenhaft tapfer, die wackern Dummköpfe, die ehrenwerten Riesen. Und in unsinnig großer Überzahl hatten sie sich geschart: denn bei ihnen muß stets die Menge – das Dicke! – den Geist ersetzen: Steinriesen, soweit meine wolkenüberfliegenden Raben blicken konnten, Sturmriesen, und hinter dem Midhgardh-Wurm – hei, bedrängte das glatt-flinke Scheusal den schweratmenden Thor! – aller Wasserriesen rauschendes, wogendes Heer. Und aus dem Urgrund der Erde, der alten Riesenmutter Schose, die zuckenden Feuerschlangen!

Vergebens wollten Tyr und Freyr und der wutbrüllende Thor die Übermacht sprengen in offnem Ansturm. Ich sah's voraus, bald waren sie erdrückt: bald war die Schlacht verloren. Da winkte ich sie mir zur Seite, die meine Lieblinge sind in Asgardhs leuchtendem Heerbann: meiner Schildjungfrauen hochbusige Schar!«

Freude und Stolz flogen über die ernsten Züge des Wanderers und verschönten sie; rascher sprach er und das graue Auge blitzte:

»Alles wagen sie, die herrlichen Mädchen, für ein Wort des Lobes aus meinem Munde, für ein freundlich Streichen über ihr fliegend Gelock! Zur Seite winkt' ich mir die speerkühnen Walküren und vom Schlachtfeld jagten wir ab, zur Seite hin, wie in zagender Flucht. Mordgierig setzten sie mir, lustgierig meinen schönen Jungfrauen nach, viele hundert der grimmen Tölpel. Doch, sowie er sich also geteilt hatte, der ungeheure Schlachthaufe – hui! fuhren wir, wie Wirbelwind, um uns selber uns kreiselnd und wendend, in die klaffende Lücke und faßten im Rücken die Bedränger Thors und mit dem Schreckensschrei: »Odhin, Odhin über euch!« sprengten wir sie jauchzend auseinander.

Wohl wehrten sie sich grimmig, sie, mit denen ich am liebsten kämpfe, der raschen Feuerriesen lodernde Schar. Und Brandr, ihr König, hat schöne Kraft im Arm und schöne Wut in der Seele. Hatte!« lachte er vor sich hin. »Nicht gar sänftlich that es, als er mir mit aller Macht den glühenden Hekla-Fels auf den linken Arm warf – gerad' oberhalb des Schildrands! Da, hier – es brennt noch immer ein wenig,« er rieb langsam die Stelle mit der Rechten und lachte in seltsamer Wollust über seinen bittern Schmerz. »Aber wie nun auch ich in Kampfzorn geriet, – denn die Wunde verdroß mich! – und ihn von dem flammen-mähnigen Gaule herabstach – den Speer im Bauche hinein und im Nacken heraus – und wie sie da entsetzt, prasselnd, auseinanderstoben, seine tapfersten Gefolgen: – hei, Odhin, alter Freund, das war schön. Da mocht ich dich – fast – ein klein wenig leiden! – Und Dank dir, Brunhild! Die Feurigste warst du mir wieder. Dafür sollst du morgen aus Odhins Becher trinken.

Aber heute nicht Bragis Lob! Nicht jetzt, da der Stolz auf den klug ersonnenen, hart erstrittenen Sieg mir die strotzenden Adern schwellt, die mächtig atmende Brust weitet, da ich einmal wieder – nicht oft wahrlich wird mir's! – bade in der Freude an dem eignen Selbst.

Ah, welch lechzende Gier nach Glück, nach Schönheit, nach Berauschung in Schönheit lodert in mir! Oh Frigga – heute – jetzt! in deine Arme! Aber träte ich nun vor sie, was allein böte sie mir? Ihre Stirne zum Kuß!

Sie muß es ja wissen, wie die Versagung mich entflammt. Seit dem ersten, dem Brautkuß auf ihren süßen, herrlichen Mund – ah, noch fühl' ich ihn wonneschauernd nach im tiefsten Mark! – hat sie geschworen, erst an dem Tage, den sie, sie wählt, mir ihre Lippen wieder zu gewähren. Und erst, wann sie ihn bestimmt, tagt mir auch der Tag der Vermählung. Und immer noch, immer noch zögert sie ihn hinaus! Ist's eisige Kälte? – Sie kann nicht lieben! – Ist's berechnende Klugheit? – Dann, kühle, strenge, kluge Göttin, bist du vor lauter Klugheit thöricht! Es währt zu lange, schöne Frigga, zu lange für diesen Bräutigam. Damit fesselst du ihn nicht da oben in Asgardh!

Nein! Wandern, wandern, immer Neues schauen, umherstreifen unter Riesen und Elben und Menschen, Starke überwinden, Schlaue überlisten, Schöne gewinnen! –

Wie die Kraft, wie der Drang nach Wonne die Brust mir weitet, die Arme mir schwellt.

Oh Frigga, Frigga, was säumst du! Wie? Soll ich jetzt – mit diesen lohenden Flammen in Seele und Leib – in Fensal, deinem kühlen Hause, neben dir sitzen, neben deinem goldnen Stuhl, von deinen sieben strengen Spindel-Jungfrauen unablässig überwacht, während du, ohne je das Auge auf mich leuchten zu lassen, unablässig unter den langen Wimpern hervor auf die einfältige Spindel schaust, die du auf dem Estrich tanzen läßt? All' deine Schöne soll ich nur schauen, wie jeder Mann darf: – nur mit den Augen, den durstigen, einschlürfen deinen berückenden Reiz und immer heißer, immer wilder entbrennen? Nein! Die Qual ertrag ich nicht! Lieber dich gar nicht mehr schauen, bis endlich einmal das steinerne Herz dir erweicht!

Und einstweilen vergehen die blauen Tage, vergehen die sehnsuchtatmenden Nächte! Schon verblühten die Veilchen auch dieses Jahres! Bald verblühen auch die Liebeslust duftenden Linden: – ach und noch immer nicht mein! – –

Dich schauen und dich entbehren? – Nein!

Deshalb gab ich gleich nach dem Siege den Schildmädchen mein leuchtend Gewaffen, es mit hinaufzunehmen nach Walhall. Und in Mantel und Hut, wie von jeher mir lieb, zog ich allein aus, Gefahr oder Freude zu suchen.

Schwerlich finde ich – heute noch – Gefahr oder Freude.

Kluge Elben und zierliche Elbinnen, die sonst gern ich besuche, halten sich furchtsam verkrochen bei dem Getöse der Schlacht. Und Menschen? Leer liegt und öde das Land, wo Götter kämpfen und Riesen, an den letzten Markungen menschlicher Siedelung. Aber schau – dort – jenseit des breiten Stromes: da steigt unter alten Eschen ein feines Wölklein weißlichen Rauches auf.

Ein Jäger, der den erlegten Berghirsch brät?

Ein Fischer, der den gespeerten Stromlachs siedet?

Oder etwa doch ein weltverloren Gehöft, in dem auf dem Herde die karge Abendkost bereitet wird? Wer immer der Wirt sei: – einen Gast soll noch heut' er begrüßen.«

In wenigen Schritten hatte er das Ostufer des fast meerbusenbreiten Stromes erreicht: er fand nicht Furt, nicht Fähre: da spreitete er mit beiden Armen nach rechts und nach links den dunkeln Mantel aus, zwei mächtigen Adlerflügeln vergleichbar, und leise raunte er in den im Abendwind wehenden Bart:

»Hügel nicht hemmet,
Felsen nicht festhält,
Berg nicht bannet,
Noch wallendes Wasser,
Nicht wogende Welle,
Noch mächtige Meerflut
Nicht fließender Fluß
Des wegfährtigen Wanderers Willen:
Meinen Mantel und mich!«

Da stand er drüben auf dem Westufer! –

Und nun rauschte er durch das Schilf, durch das Ufergebüsch dahin, – eine kleine Höhe hinan. Die war mit stachligem Buschgestrüpp bestanden: jedoch scheu, wie ehrerbietig, bog sich von selbst jeder Dorn zur Seite, den flatternden Mantel nicht zu zerreißen.

Auf der Krone der Uferhalde angelangt, sah er unter ein paar Eschen versteckt eine niedrige Hütte: aus deren Moosdach war das weiße Rauchwölklein von dem Herdfeuer aufgestiegen.


II.

Ein armes Hüttlein war's, gar schlicht: aber sorglich und säuberlich gepflegt, nirgend verwahrlost; die Bank von weißem Ahornholz, die zu beiden Seiten der Hausthür auf der Stirnseite des Baues sich hinzog, war tadellos blank gescheuert; in dem schmalen Wiesenfleck vor der Fensterluke standen ein paar blühende Waldblumen eingepflanzt: schöner rotbrauner Agelei und zierlich nickende Blauglocken.

So leis' auch nur der Tritt des Wanderers auf den weißen, reinlich mit Kies bestreuten Hausweg, der auf die Thüre zuführte, gedrückt hatte, – er war doch vernommen worden da drinnen.

Mit einem leichten Sprung erschien auf der Schwelle der halbgeöffneten Holzthür eine schlanke, fast kindliche Gestalt.

Ein sehr junges Mädchen war es, in weißem Wollhemd, das ein Ledergürtel über den fast allzuschmalen Hüften zusammenhielt; die kleinen Füße waren nackt; ein fahles Rehfell – so schien es – bedeckte das Wollhemd bis an den Gürtel. Aber man sah nicht viel von aller Gewandung. Denn eine ganze Flut von gelöstem Haar bedeckte in frei flutenden tiefbraunen Langwellen wie den Rücken und die Schultern, so die junge Brust.

Die zierliche Gestalt gemahnte an das Rehlein, dessen Fell sie trug: auch das scheue und doch neugierige Äugen, mit welchem das zarte, zage Ding nach dem nahenden Geräusch ausspähte: sie beugte erwartungsvoll den Oberkörper vor, mit der offnen Fläche der linken Hand an den Thürpfosten gelehnt, das schmale braune Köpflein, auslugend, vorgestreckt.

Wie von Zauber gebannt blieb er stehen, der vielgewanderte Wandrer, und starrte mit weitgeöffneten Augen auf das Bild, das sich ihm bot.

Das Mädchen aber zog die in streng regelmäßigem Halbkreis gewölbten dunkelbraunen Brauen ein wenig zusammen: Enttäuschung, Verdruß schien die etwas niedrige Stirne zu umwölken und ein hoffendes Lächeln, das um die vollen Lippen gespielt hatte, verflog, als sie nun mit kindlich heller Stimme begann:

»Von wannen auch du wallest
Und welcherlei Wege: –
Willkommen, Wandrer, der Wirtin!
Sei ein guter Gast,
Wie ich Gutes dir gönne:
Heilig ist mir dein Haupt, –
Heilig sei dir mein Herd:
Unsern Schirmer und Schützer scheue:
Denn all dies Erbe ist Odhin zu eigen.«

Sie hob nun, einen Schritt vortretend, die offne Fläche der rechten Hand, wie warnend, wie abwehrend, gegen den Ankömmling, Und, wie beschwichtend, erwiderte dieser nachdruckschwer: »Ich gelobe, nur zu thun, was Odhin gefällt.«

Und er schritt jetzt näher heran, den Blick nicht lösend von der zarten Gestalt. »Sie schauen – welche Lust! – Welch weicher, sanfter Reiz! – Schon das ist Glück.« –

Sie wich über ihre Schwelle in das Haus – rückwärts tretend: sie konnte nicht den Blick von dem gewaltigen Antlitz trennen: – unverwandt schaute sie auf ihn. Er folgte, rasch andringend. »Du bist allein?« forschte er. »Er ist beim Opfer.« – »Wer? Dein Vater?« – »Aswin.« – »Wer ist Aswin?« – »Ei, mein Mann.«

Da stieß der Gast den Speerschaft auf die Schwelle: – das Haus erdröhnte, zitterte und bebte in seinen Grundfesten. »Du – bist – Eheweib?«

Die junge Frau war heftig erschrocken: wortlos wies sie mit ausgestrecktem Zeigefinger in die Ecke neben dem Herde. Da lag auf hoch gehäuften Fellen von allerlei Jagdtieren ein Säugling. Das Kind war erwacht von dem schütternden Aufstoßen des Speeres: es ward unruhig: die Mutter nahm es auf: gleich lächelte es.

Der Gast furchte die mächtige Stirn: er zuckte die Achseln: »Du siehst nicht aus wie ein Eheweib! – Weshalb – ich sah sogleich auf deinen Ehe-Finger – weshalb gehst du unberingt?« Die junge Frau löste aus den auf und zu greifenden Fingerlein des Kindes einen höchst einfachen Erzring. »Wir sind arme Leute. Es ist ihr einzig Spielzeug. Setze dich auf die Herdbank, guter Gast.«

Der wollte willfahren: da fiel sein Blick auf die Runen, die auf die breite und hohe Eichenlehne der rauchgebräunten, den Herd umziehenden Bank eingeritzt waren: rasch trat er einen Schritt zurück. »Nun?« staunte die Frau, »verscheucht dich der fromme Spruch? Er ist so schön:

»Unseres Ehehauses
Frieden befreundet Frigg:
Unsichtbar sitzet sie hier.«

»Dumpf ist es hier, an dem Herde,« grollte der Wanderer. »Komm wieder hinaus mit mir – ins Freie – in den wohligen Wind – dort weiß ich mich wohler und – – freier.«


III.

Verdüstert schritt er hinaus; draußen warf er sich auf die Ahornbank rechts von der Thüre.

Die junge Frau folgte, das Kind auf dem Arme; sie ließ sich nieder auf den beiden Holzstufen, die von dem Hauswege her zu der Thüre hinan führten; sie sah ruhig vor sich hin, das Kind schaukelnd und leise dazu singend, ganz leise. –

»Also Aswin heißt er . . . dein . . . Mann?« »Aswin. Weißt du, das bedeutet: »der Asen Freund«. Von Geschlecht zu Geschlecht haben seine Ahnen fromm den Göttern gedient. Und mein Mann ehrt vor allen Göttern Odhin.«

»Ja,« sprach der Gast und strich langsam einmal über den wirren Bart, »ich erinnere mich.« – »Du? – – Wie das? – Ja, Odhin! – Ich wünschte mir schon lange, den – von allen Göttern nur den – einmal von Angesicht zu sehen.« – »Wünsch' es dir nicht! – Nicht jedem und nicht jeder ward es und wird es zum Heile.« – »Aswin versäumt kein Opfer für den Hohen. Erst gestern wieder ging er zum Opferstein, unser einzig Fohlen dem Gotte darzubringen.« – »Wann kommt er zurück?« – »Morgen früh; er will die ganze Nacht durch gehen.« – »Welches Weges?« – »Dort« – sie deutete mit zwei Fingern der rechten Hand gen Mittag – »dort her – über das Steil-Joch.«

Unmerklich, leise, zuckte der Wanderer den Speerschaft vom Boden auf.

»Er opfert um Sieg. Denn nach wenigen Nächten zieht er mit aus im Heerbann unsres frommen Königs wider den bösen Jarl, der die Götter verachtet.« – »Der Bauer kämpft für mich,« sprach der Gast und nachdenksamer Ernst legte sich ihm über die bewegten Mienen. – »Ich bat ihn, auch für sein Leben zu opfern, nicht nur um des Königs Sieg. Er sagte: »Nein! Das Fohlen ist nicht gar viel wert. Für zwei Bitten kann ich es dem Wunschgott nicht anrechnen; so opfre ich nur um Sieg.«

Der Hörende strich geruhig mit der linken Hand über die stolzen dunkeln Brauen; aber dann verscheuchte er mit hastiger Bewegung des Hauptes die widerstreitenden Gedanken, wandte sich voll der Wirtin zu, beugte sich auf die junge Gestalt herab und musterte sie mit kundigen Blicken.

Sie merkte es nicht: denn sie war mit dem Kinde beschäftigt und, – so schien es – mit ihrer Gewandung. Er hatte einstweilen das kleine, schmale Köpflein, die unschuldigen, im Ausdruck so kindlichen Züge, die zartknochigen Schultern betrachtet; sein Auge traf jetzt zufällig den jugendlichen Busen, der, vom dichten Haargewog und von dem Rehfell verhüllt, kaum zu erraten war. Da sprach die junge Mutter: »Dich dürstet, Kleine? Nun so trink!« Und ohne irgendwelche Scheu, ohne Besinnen, warf sie die langen, dunkelbraunen Wellen des Haares von der Brust nach rückwärts über die linke Schulter, nestelte die Haken und Ösen des Rehfelles auf, öffnete den Schlitz des darunter liegenden weißen Wollhemdes, daß die linke Brust voll sichtbar ward, und legte das Kind daran, das sofort eifrig sog.

Da wendete blitzschnell der Gast das Auge, das Haupt ganz ab von ihr. – Er errötete, wie, auf schuldhafter That betroffen, ein Knabe. Er sprang auf von der Bank und ging mit hastigen Schritten, der Thüre den Rücken zukehrend, auf und nieder; keinen Blick warf er auf die junge Mutter.

»Ist's nun genug?« koste diese – nach geraumer Weile – das Kind. »So segne dir's die Allnährerin, die große Mutter Odhins.« – »Ja, Mutter,« flüsterte der Wanderer, »segn' es reichlich dem Kinde.« Da lächelte das sehr behaglich, und griff mit den weichen Fingerlein vergnügt in das herabgebeugte Gesicht der Mutter. Der Gast bemerkte, daß sie das Gewand wieder zugehakt hatte. »Wie heißest du?« fragte er nun, das Auge auf sie richtend. – »Bidhja.« – »Die Bitte! – Ein holder Frauenname! – Und das Kind?« – »Es hat noch keinen Namen. Wir wählten solang! – Wir stritten – aber nur im Scherze, lieber Gast! – soviel darum: es war unser erster Streit!« und sie lächelte still vor sich hin. – »Vielleicht geb' ich dem Kind dereinst den Namen.« – Er blieb hart vor ihr stehn. »Und nach meinem Namen fragst du nicht?« – Sie hob verwehrend den Zeigefinger der Rechten. »Er hat's verboten,« – »Wer? – Dein Mann?« – »Nein doch: – Odhin. Er, selbst oft ein Wandrer, ist der Wegfärtigen Schirmherr. Wirtlichkeit gebeut er den Menschen, die ihn ehren. Wirtlichkeit verwehrt auch, den Gast nach Namen und Sippe zu fragen. Es ward mir schwer – recht schwer –!« Sie sah ihn, emporblickend, verwundert, scheu, aber doch mit ganz unverhohlener Neugier an, die großen, runden, dunkeln Augen schwammen in einem Weiß, das zart bläulich angehaucht war. – »Arg schwer! Denn, . . . seit ich zuerst dich ersah, konnt' ich nicht aufhören, über dich zu staunen. Sieh, wir leben hier ganz einsam. Der nächste Hof, der meiner Eltern, liegt sieben Rasten weit gen Niedergang, der zweitnächste, meines Schwagers, zwölf Rasten weit gen Mitternacht. Ich war noch nie auf einem Opferfest, wo viele Leute zu sehen sein sollen. Ich habe, so alt ich bin – nun volle siebzehn Winter! – keine Menschen gesehen, als die Eltern, die Schwester, den Schwager, Aswin, – den Guten! – zwei sturmverschlagene Fischer und einen felsverstiegenen Jäger. So mußt du mir nicht zürnen, wenn ich über dich staune. – Sehr! – Aber dich fragen? Nie.« – »Unrast heiß' ich.« – »Oh welch trauriger Name! – Wer dir Rast geben könnte!« – »Du könntest es . . .« das war – wider seinen Willen – ungestüm aus ihm hervorgebrochen.

»Ich?« lächelte sie. »Wie könnte ich . . .! Doch ja! Du ruhst und rastest auch hier nicht, unsteter Gast! Bald setzt du dich, bald springst du auf und schreitest hastig umher. Weißt du, was dir fehlt? Eine Arbeit fehlt dir! Nun warte! Da!« Sie reichte ihm den Säugling hin.

Unwillkürlich gehorchend nahm er willig das Kind auf die beiden mächtigen Arme.

»Halte die Kleine einstweilen, bis ich das Feuer auf dem Herd frisch entfacht habe: warme Abendspeise soll dich erfreuen: köstlicher Hirsebrei! – Die Kleine weint nur, wann sie in der Ecke liegen soll: – auf deinem Arm wird sie – du wirst es sehn! – ganz freundlich mit dir sein. Leg sie nur – beileibe! – nicht nieder, bis ich sie dir wieder abnehme.« Schon war sie im Hause verschwunden.


IV.

Da stand er nun, der gewaltige Gott, der Gott des Geistes und aller stolzen Gedanken: recht hilflos stand er da.

Der lange Speer lehnte ihm an der Schulter; das Kindlein beschäftigte vollauf seine beiden Hände und Arme, seine Augen und seine Gedanken. Höchst ungeschickt hielt er's: er fürchtete stets, dem kleinen, so weich anzufühlenden Geschöpf wehe zu thun: hielt er es herzhaft, es zu zerdrücken, hielt er es locker, es fallen zu lassen. Er hätte viel lieber einen schnappenden jungen Drachen getragen! Und während er mit seinen Gedanken der jungen Mutter folgen wollte, mußte er nun ihr ungebärdig Kind behüten! Er konnte gar nicht jenen Gedanken nachhängen: – er mußte stets acht haben, daß ihm das dünne Bündel nicht entschlüpfe, entgleite, entrutsche.

Nach einer kleinen Weile siegte jedoch in ihm über den Unmut der Sinn für das unwiderstehlich Erheiternde an seiner Lage. Denn dem Gotte des Geistes gebrach es nicht an dem Sinn für den das Lächeln erzwingenden Reiz des Selbstwiderspruchs in den Dingen und in dem Gebühren der Lebenden: und bereitwilliger noch und mit innigerem Genusse lachte der Überlegene – der auch sich selbst Überlegene! – der eignen als anderer Verkehrtheit.

Ein gutmütig Lächeln spielte daher nun um den bärtigen Mund: »Oh Frigg, strenge Braut! Sähest du jetzt deinen Verlobten! Wie er sich einübt – für deine Bedienung. Ei, winzig Wichtlein, so halt' doch still! Was willst du denn eigentlich?«

Er fand es endlich aus: das mit den Ärmchen zappelnde, mit den Beinchen stoßende und strampfende Kind wollte nicht wagrecht liegen, aufrecht wollte es sitzen. Sowie er es auf seinem Arm emporgerichtet, lächelte es ihn freundlich an aus den sanften, großen, schwimmenden, dunkeln Augen der Mutter, griff mit beiden Händchen in den wirren Bart und, die winzigen rosigen Fingerlein nach der Möglichkeit zuerst auseinanderspreizend und dann einbiegend, zauste es ihn recht herzhaft.

»Du! Das lass', kleine Brut! – Bin's nicht gewöhnt! – Das thut weh! Mehr weh als die Armwunde.« Er hielt die Kleine nun, vorsichtig, fern ab von seinem Gesicht. Minder erfreut sah sie umher. Da entdeckte sie am vierten Finger seiner rechten Hand einen glänzenden Goldring. Eifrig griff sie danach mit allen zehn Fingern und suchte den abzustreifen. Da das nicht gelang, ward sie ungeduldig: sie verzog das Gesicht zum Weinen. »Ei! Auch noch schreien?« rief der unfreiwillige Pfleger. Er fürchtete sich: alsdann mußte es ja noch viel unbehaglicher werden! So beeilte er sich, der Laune des Pfleglings zu willfahren; er streifte selbst den Ring ab und legte ihn der Kleinen in das Händchen: »aber nur zum Spiele geliehen, du Zappelding, nicht geschenkt; sonst verlör er auf immer die Kraft,« flüsterte er.

Das Kind lachte, nickte lebhaft auf das glänzende Spielzeug herab und sah dazwischendurch den Geber an mit erfreuten, dankenden Äugelein. »Der Liebesring!« sprach der, ganz betroffen. »Drück' ich daran und wünsche – so ist sie . . .! Und das Kind – ihr Kind – spielt damit! – Da! Da liegt der Zauber am Boden!«

Vorsichtig, behutsam bückte er sich. –

Denn höchst unbequem und ungefüg ward ihm nun die Stellung: – das wieder unruhig strampfende Kind auf dem linken Arm, den langen Speer zwischen dem langen Mantel und den beiden Beinen! – So hockte er denn in steif geradliniger Bewegung nieder, den glatten Reif wieder aufzuheben, der auf der festgestampften Lehmschicht vor der Thüre mutwillig, wie ein belebtes Wesen, elfisch, kreiselnd, umherrollte und sich nicht wieder greifen lassen wollte. Endlich – er war rot im Gesicht geworden – hatte er den tückischen Ring erhascht! Es war eine sehr harmlos aussehende, schlichte Zier, dies schicksalreiche Geschmeide: eine schmale goldne Schlange stellte es dar, dreifach geringelt: der Kopf des Schlängeleins, wachsam nach außen gereckt, blinzelte aus zwei klugen Augen; aus dem kaum geöffneten Munde ragte, nur gerade merkbar, das spitze Zünglein; unter den Schuppen der Windungen aber waren versteckt ein paar Runen angebracht. –

»Es ist doch besser,« sprach er, das Kleinod in die Gürteltasche schiebend, »ich steck' ihn weg. Trag' ich ihn am Finger, will ihn die begehrliche kleine Elbin wieder haben. Und ich selbst – die Versuchung! . . . Nein! . . . Geschieht's, – durch Zauberzwang soll's nicht geschehn.« – »Komm', Unrast, tritt herein zu mir!« rief von dem Herde heraus die kindliche Stimme. »Alles ist für dich bereit. Ich wart' auf dich, Unrast. Komm' doch!« – »Sie weiß nicht, was sie redet, was sie ruft,« sprach er und sprang samt dem Kind und dem Speer über beide Stufen und über die Schwelle. Sie nahm ihm nun die Kleine ab. »Sie ist so gut haben, nicht? So freundlich! . . . Nicht auf die Herdbank? Auf den Schemel? Nun, wie du willst. – Dort, auf dem Herdrand, steht der Napf. Hier, nimm den Holzlöffel. – Halt! Doch nicht so gierig!«

Der Gott, der nur Wein, niemals Speise zu sich nimmt, hatte so rasch als möglich den Schein des Essens abspielen wollen: allein die junge Hausfrau litt das nicht. »Gemach! Der Brei ist ja noch heiß! Du wirst dir die stolzen, die spöttischen Lippen verbrennen! – Ungeschickter! Ungestümer! Ungeduldiger! – Ja, wahrlich »Unrast« heißest du mit Fug! Ich sehe schon – du hast all deine Lebtage nicht recht gelernt, wie man heißen Brei ißt.« – »Nein, leider nicht!« sagte der Gescholtene, ganz kleinlaut. – »Komm', ich werd' es dich lehren.« – Sie setzte sich auf die Herdbank dicht vor ihn. – »Wart', ich will ihn dir schon kühlen.« Sie blies die Backen auf – gar ernsthaft blickend, mit weit geöffneten Augen, – und hauchte mit aller Macht auf den Inhalt des nur halb gefüllten flachen Holzlöffels: – es ließ ihr gar drollig! – Er mußte wieder – unfreiwillig – lächeln. – Nun schob sie den ersten Löffel voll an seinen bärtigen Mund: gehorsam that er ihn auf und schluckte mit Würgen und Widerstreben das weiche Zeug hinunter.

»Ein so großes Kind hab' ich noch nie gefüttert,« lachte sie hell auf. – »Aber schau –: die Kleine ist mir – auf dem Arm! – eingeschlafen. Ich lege sie zu Bett.«

Sie stand auf und ging mit dem schlummernden Kind in den zweiten – und letzten – Raum, den die Hütte außer der Herdhalle noch enthielt: die Schlafstätte; sie war nur durch einen die Öffnung der Seitenthür füllenden Vorhang aus starkem grauem Segeltuch abgetrennt. Unter dem Vorhänge selbst machte sie zögernd Halt: einen raschen Blick warf sie noch auf den Gast zurück: nun war sie verschwunden hinter den zusammenfallenden Falten.


V.

Sowie sie geschieden, sprang der Wanderer auf, so ungestüm – er stieß den Napf um auf dem Herde. Er schritt in der engen Halle auf und nieder – mit sieben seiner Schritte war sie durchmessen. »Welch Geschöpf, dies junge Reh! Mutter ist sie – und selbst noch Kind! Nicht nur das Blut, die Seele bewegt sie. – – Freilich: sie ist auch rührend in ihrer Unschuld – rührend . . . bis zum Erbarmen! – Ein Druck an den Ring – ein Wort des Wunsches und – Nein! – Ich will nicht! – Aber ein Wurf meines Speeres – und sie ist Witwe! Dann – keines Zaubers wird es brauchen. – Und dieser Speerwurf? – Unrecht? – Ja, Odhin, ja, jawohl, Unrecht! Frevel! – Wohlan denn! Soll ein Mann, ein Gott, nicht auch einmal freveln dürfen? Dieser holde Reiz: – er ist mein Lohn für den heutigen Sieg. Warum mir diesen Lohn nicht gönnen? Hei, das heiße Riesenblut, das alt vererbte, braust auf in meinen Adern: es gärt, es glüht! Warum soll gerade ich immer der Weise, der Gerechte, der Tugendliche sein? Das ist sehr wenig – lohnsam! Jeder andere Mann: Gott oder Riese, Elbe oder Menschenmann – der diesen lechzenden Durst verspürte und ihn löschen könnte, – so leicht, so sicher, so unhemmbar gewiß wie ich! – der löschte ihn. Warum soll ich allein nicht . . .?«

»Weil wir dich, Odhin,
Ehren vor allen . . .«

»Horch! Sie betet!«

»Darum flücht' ich zu dir
Und fleh' dich an.«

Er schlich – ganz unhörbar konnte er auftreten – an den Vorhang und spähte durch die Falten. Sie lag auf beiden Knieen, die Linke auf des schlummernden Kindes Brust gespreitet, die Rechte hoch ausgestreckt zum Gebet.

»Es welkte die Welt,
Es risse das Recht,
Es sänke die Sitte,
Die Zucht verzehrte
Gehrende Gier
Und frecher Frevel den Frieden, –
Waltest du nicht,
Weiser Wächter,
Odhin von Asgardh!

Schütze den Schlummer,
Schirme den Schlaf
Dem kleinen Kinde.
Schirme mich selbst
Und auf wilden Wegen
Den guten Gatten
Vor steilem Sturz
Und vor spitzem Speer.
So bete ich bittend
Nacht um Nacht.

Heut aber höre
Besondere Bitte:
Gieb auch dem Gast,
Dem armen Unrast,
Rast und Ruhe
Und Freude des Friedens.

Niemals noch nahte mir
Gleiche Gestalt,
Gleiche Gewalt
Blitzenden Blicks,
Ahnenden, allergrübelnden Auges.

Des Mächtigen muß ich,
Ob ich auf andres
Suche zu sinnen,
Dennoch dauernd gedenken.

Gewiß ist er gut:
Guten nur gebt ihr,
Gütige Götter,
Gleiche Gewalt.

So gewählt ihm die Wünsche,
Und des Herzens Hoffen,
Das hastend ihn hetzt,
Ihn unruhig umtreibt,
Den armen Unrast.
Höret ihn, helft ihm.
All ihr Asen
Oben in Asgardh,
Aber vor allen du, Odhin,
Der Wünsche Gewährer.«

Da zog ein böses Lächeln um seinen übermütigen Mund: »Der Anfang des Gebetes schreckte zurück. – Aber nun? Nun will sie's ja selber! Sie bittet darum! Wohl denn; – Odhin soll – ihrer Bitte gemäß – Unrast's Wünsche gewähren.«


VI.

Alsbald trat Bidhja heraus, sie suchte den Gast. Der saß wieder vor der Thür auf der Bank, den Speer zwischen den Füßen und an die Schulter gelegt, das Haupt in dem weichen Hut an die Holzwand des Hauses gelehnt; sinnend sah er in die immer noch helle Abendluft hinaus. – Sie ließ sich neben ihm nieder. »An was dachtest du?« forschte sie. – »An dich.« – Sie lachte. »Was wäre über mich zu denken!« – »Mancherlei. – Du hausest hier einsam, unbefreundet, wann dein Hauswirt fern. Du bedarfst eines Freundes, eines Schützers. Ich will dein Schützer sein.« – »Du? . . . Aber du wohnst doch . . .?« – »Ganz wo anders. Doch weiß ich mancherlei Zauber zu üben . . .« Erschrocken sah sie zu ihm empor, mit Grauen: allein es mischte sich ein leises Wohlgefallen in dies Grauen, als sie, kopfnickend, sprach: »Ich glaube das wohl von dir! – Nur guten Zauber doch!« – »Das wird von dir abhängen.« – »Von mir?« staunte sie. – »Ich gebe Bidhja drei Bitten frei –: was auch du begehrst, es soll geschehen.«

Da patschte das junge Weib die kleinen Hände zusammen und lachte hellauf: »Höre, das glaub' ich dir nicht! Zum Zaubern gehören Stab und Runen und Kessel und Sud. Aber nur so wünschen? Ei, ich versuch's! Gleich! Mir thut's lange schon leid, daß ich – das Ael ist uns ausgegangen – dir keinen Trunk bieten konnte. So wünsch ich denn: mein großer Zuber in der Gerätkammer soll vor dir stehen, gefüllt mit bestem Ael.«

Da fuhr sie zusammen, die Kleine: noch weiter öffneten sich die großen, runden Augen: ihr alter zweihenkeliger bauchiger Holzzuber, vielfach geflickt, stand vor dem Gast: und gelbweißer Aelschaum floß an beiden Seiten daran herab. Der Wanderer wollte zürnen: allein, wie er das verdutzte und doch erfreute Gesicht der Wirtin sah, da zog ihm, halb wider Willen, ein Lächeln über den Mund: »Kleingläubige! Eine Bitte schon verscherzt!« Er stieß mit dem Fuße den Zuber um, das Ael floß auf die Erde. – »Was thust du? So trinke doch!« – »Ich trinke nur Wein.« – »Was ist das? – – Aber gleichviel! Nun ich sehe, es ist richtig mit dem Wunschzauber, – nun will ich auch gleich das allerheißest Ersehnte wünschen. Meiner Schwester Kind, etwa so alt wie meines, prangt im schönsten, rotgesäumten, weißen Wolltuch. Oft sah ich's mit Neid. Wir sind zu arm, dergleichen zu ertauschen. Solch Wolltuch, zweimal solang, wie die Nichte hat, soll mir stracks auf den Knieen hier liegen.«

Und da lag es.

Hastig sprang der Gast auf und hielt ihr den vor Staunen geöffneten Mund zu.

»Kindisch Geschöpf! Schweig!« grollte er. »Und das,« raunte er mit sich selbst, »das sollte mir Ersatz sein für Frigg, für das hohe Weib, das kluge, mit den himmelsklaren, ernsten Augen, mit den hohen, den ewigen Gedanken. Ein Spielzeug wäre sie, ein anmutiges, nicht aber Odhins Genossin! – Verscherze nicht auch den dritten Wunsch noch! Du könntest ihn brauchen! Die letzte Bitte spare dir auf und – nach meinem Rate bitte sie einst. Ich gebiet' es.«

»Und ich gehorche,« hauchte die junge Frau, leise bebend, wie sie sich erhob, die langen dunkeln Wimpern scheu senkend, nachdem sie vergeblich versucht hatte, seinen strengen Blick zu tragen. Das ließ ihr sehr hold, sehr gewinnend: der Gast schien die Sanftmut, die Demut zu lieben. »Ob wohl Frigg lieben kann, wie diese sanfte Seele ihren Gatten liebt? Ob Frigga jemals so weich, so ganz aus Herzens Grund sich fügen kann?« sann er. Und es fesselte ihm die kindliche, zarte, zage Gestalt die nachdenkliche, die vergleichende Betrachtung.

Ein Schweigen entstand. –

Beunruhigt wagte Bidhja, obwohl noch verschüchtert, das Auge wieder aufzuschlagen. Aber sie erschrak nun mehr als zuvor über einen lodernden Blick, der sie zu verzehren schien.

Sie wollte zuerst weichen, fliehen in das Haus. Allein sie fühlte, dann würde dieser Blick ihr folgen. Und das – gerade das! – fürchtete sie. So überwand sie den feigen Einfall der Flucht, überwand sogar die Furcht – denn dieses Antlitz flößte doch auch Vertrauen ein – und nun trat sie plötzlich rasch auf ihren gewaltigen Gast zu. Mit der Bewegung eines schutzflehenden Kindes legte sie ihm die Innenfläche der rechten Hand unter seinem zurückwehenden Mantel auf die linke Brust.

Wohl erschrak sie aufs neue ein wenig, wie sie den machtvollen, den hastenden Herzschlag verspürte. Allein sie bezwang auch diese Scheu, und die langbewimperten Augen zu ihm aufschlagend mit dem Ausdruck des todesbangen Rehes bat sie mit unwiderstehlicher Innigkeit: »Bitte, Lieber, schau mich so nicht, so mich nie mehr an! Ist es Zorn? – Ist es Haß? – Was that ich dir zu leid? – Ich weiß es nicht! – Doch kann ich das – diesen Blick – nicht ertragen. Nie blickte ein Mensch – auch Aswin nicht – mich also an. Ich bin dir gut, du wundersamer Fremdling. So hilflos gut! O bitte – sei du auch gut gegen mich. Bitte!«

Da zog in des Wanderers breite Brust allüberwältigend Erbarmen, jede andere Regung verdrängend. Aus seinem Auge schwand das Lodern: er senkte die stolz erhobene Stirn und väterlich, wie segnend, strich er leicht über das kleine zierliche dunkelbraune Köpflein hin: »Du rührend Kind! Du reines Herz! Mir ist: deinem Bitten kann niemand widerstehen. – Leb wohl.«

Bidhja hatte, zusammenschauernd unter seiner leisen Berührung – es war die erste gewesen – das Haupt tief gebeugt. Als sie es nun wieder hob und die Augen dankend aufrichtete, – da war der Gast verschwunden.

Vergeblich spähte sie überall umher, den Weg verfolgend, auf dem er den Hügel heraufgekommen, – den entgegengesetzten Pfad, an der Hütte vorbei – dann nach beiden Seiten: nirgend war er zu sehen. Ratlos, erstaunt sah sie unwillkürlich nach oben in das nun tief schattende dämmernde Abendgewölk: – ein plötzlicher Windstoß trieb die Nebel von der Erde empor: da war ihr, eine von den hochgetürmten dunkeln Wolken gleiche dem Mann in Mantel und Hut; auch der lange Wolkenspeer in der Rechten fehlte nicht. »Wie thöricht,« lächelte sie still vor sich hin. »Ich meine, ich muß ihn noch sehen: – überall sehn. Nun seh ich ihn gar in den Wolken! – Sofort muß ich Aswin von ihm sagen – Aswin kommt ja morgen, – sicher. – Aber Unrast? Wann kommt Er wieder? – Niemals wieder?«

Sie legte gar ehrfürchtig das zaubergespendete Wolltuch über die Schulter und ging auf das Haus zu. Langsam ging sie, zögernd, Schritt für Schritt. Auf der Schwelle blieb sie stehen: nochmal sah sie zu jenem fliegenden Wolkengebild hinauf: es war völlig verschwunden.

Sinnend, den Kopf leise schüttelnd, trat sie über die Schwelle. Sie legte sich auf das Lager – aus Schilf und Moos aufgeschüttet, – neben ihr Kind. – Aber sie fand nicht Schlaf. – –


VII.

Sausend war der Gott, von dem dunkeln Mantel wie von Adlerflügeln getragen, in ungestümer Bewegung durch das Gewölk gen Asgardh emporgefahren.

»Oh Frigga, Frigga! Grausame Braut!« grollte er. »Zu dir! Rasch zu dir! Alles sagen! Dir aufdecken, welche Qual dein Nein über mich verhängt. Aber auch davon will sie ja nichts hören. Glut schoß ihr neulich in die bleichen Wangen: – hastig schritt sie von mir hinweg. War es süße Scham? Eher herber Zorn! Denn nicht sanft –: herbe ist sie! Gleichviel! Alles soll sie hören. Sie soll doch ahnen, wozu ihr ewig Nein mich treibt – mich treiben könnte

In Asgardh angelangt, eilte er sofort mit starken Schritten, an Walhall vorüber, auf Fensal, Friggas Halle, zu. Weitab lag die vom Lärme Walhalls, unter dem Schatten dichter, schönblättriger Linden; ein Quell floß hier durch Wiesen hin; auf denen blühten zarte Blumen jahraus, jahrein.

Seine lauten Tritte auf dem engen, mit Steinen belegten Pfade, der den Rasen durchschnitt, scheuchten die weißen Tauben der Göttin auf, die – war es doch nun schon dunkle Nacht – oberhalb des Simses der Hallenthür sich zu Rüste gesetzt; verschüchtert flogen sie auf und umflatterten mit laut klatschenden Flügelschlägen unschlüssig das Dach.

Dem späten Besucher däuchte, aus dem Schlafsaal, dessen Fenster durch Läden fest geschlossen war, glimme durch eine schmale Ritze im Holze Licht. Er hoffte, er wünschte es so heiß! Vielleicht sah er's nur deshalb.

Mit Einem Sprung setzte er über die sieben Stufen, die von dem Vorhof an die breite Schwelle der Pforte hinaufführten.

Hochklopfenden Herzens wollte er anpochen mit der wie im Zorn geballten Faust: – er achtete nicht in seiner Ungeduld des ehernen Thürklopfers in Hammergestalt, den kunstreiche Zwerge der schönen Göttin geschmiedet hatten. Aber siehe, da ward von innen die Thüre geräuschlos aufgethan und auf der Schwelle erschien, im weißen Nachtgewand, Lofn, Friggs kindjunge Dienerin. Sie trug in der Rechten einen matt brennenden Span von Wacholder: – würzig, aber herb und streng, duftete das zähe Holz im Glimmen. Zwei Finger der Linken hielt sie an den Mund, Schweigen bedeutend.

Wunderbar! Beschwichtend nicht, aber zurückschreckend, Scheu erzwingend wirkte auf den ungestüm Verlangenden der tiefe, der keusche Friede dieser Frauen-Siedelung. – – –

Der Hoffnung traurig entsagend flüsterte er – der stummen Mahnung gehorsam die starke Stimme mäßigend –: »Meine Braut? – Ich will sie sehen – sprechen.« Die Jungfrau schüttelte das Haupt, über das der weiße Nachtmantel gezogen war, und noch leiser als die Frage kam der Bescheid: »Niemand naht Frigga zur Nacht! – Lang harrte sie Odhins beim Siegesmahl. – Er kam nicht. – Nun schläft sie.«

Schmerzlich, grollend, grimmig furchte der Sehnende die gewaltigen Brauen. Rasch, wie der Wirbelwind thut, drehte er sich um sich selbst. Ohne Wort, ohne Gruß, ohne noch einen Blick zurückzuwerfen, schlug er den weitfaltigen Mantel um die breiten Schultern, stöhnte einmal auf und stürmte hinweg. –

Bald lag er auf seinem ruhelosen Ruhebett. Unsanft stieß er die treuen Wölfe von sich, die ihm den Fuß lecken wollten. Das dichte Fell des Eisbären, welches das Eichenholzgestell des Lagers bedeckte, schleuderte er zur Erde. Es war zu heiß, zu weich! Auf das harte Holz drückte er mit wollüstiger Pein Schultern und Rücken, bis sie schmerzten. Die Quetschwunde am linken Arm brannte. Das freute ihn. Es that ihm wohl.

Er wälzte das Haupt voll tobender Gedanken auf dem Eichenbrett rastlos hin und her – alle noch übrigen Stunden der Nacht. »Oh Frigg,« knirschte er einmal, »soll ich dich aus Liebe hassen müssen? Wenig fehlt! Nichts fehlt! Ich hasse dich – vor Sehnsucht. Warte! Wehe dir: – morgen!« Er schlief so wenig in Gladsheim, als Bidhja unten auf Erden.


Auch in Fensal brannte Licht im Schlafgemach die ganze Nacht. –

Durch die Ladenritze hatte die Braut lange, lange Stunden unablässig ausgespäht, bis sie den wohlbekannten, den wogenden Schritt hatte heranhasten hören, bis sie die dunkle Gestalt erkannt. Dann war sie – tief verschämt, errötend – von dem Fenster zurückgetreten, das herabgleitende Nachtgewand sorglich mit beiden Händen über den wunderschönen Busen emporhebend – als ob sein Blick den dichten Laden hätte durchdringen können! – –

Erst als er scheidend von den Stufen herabsprang, trat sie wieder an den Laden, – sie sah dem Hinwegbrausenden nach, immer nach: – die weiße Stirn an das harte Holz pressend, bis auch der letzte Schatten seines fliegenden Mantels verschwunden war. – Dann trat sie – unverwandten Auges – zurück und sank auf das weiße, das schneeig-weiße Lager; aus den weichen Fellen weißer Hirsche war es aufgeschichtet.

Sie stützte beide Ellbogen auf die Kniee und in die beiden schmal zulaufenden Hände vornübergebeugt das herrliche, das edel gebildete Haupt. Gelöst flutete ihr auf die schwer wogenden Brüste das hellblonde Haar in kurz gebrochenen Wellen: und sie weinte, weinte, weinte – ohne Wort, ohne Seufzer sogar.

Und jede ihrer Thränen ward zu Gold. –

Am andern Morgen früh legte ihr Lofn in ihrer weißen Schürze zusammengehäuft die vielen kleinen goldnen Kugeln vor. »Ein ganzes Halsgeschmeide!« klagte die Vielgetreue. – »Leg's zu den andern Reihen.« – »Es sind schon gar viele.« – »Ich weiß! Ihm gehören sie. Ihn sollen sie schmücken.«


VIII.

Kaum hatte an diesem Morgen der Sonnengott die lichtmähnigen Rosse vor den goldenen Wagen geschirrt, – schon stand Odhin in der Gasthalle zu Fensal vor seiner Braut, der herrlichen.

Nichts, keine Bewegung, kein Zittern, keine Miene in dem wundervoll schönen, aber strengen und kalten, undurchdringbar vom Willen gehüteten Antlitz verriet ihm irgendwelche Empfindung. Nur daß die weiße Stirn errötete, konnte sie nicht hindern. Und weil sie das fühlte, schlug sie schämig die langen Wimpern, die sonnenfarbenen, nieder. Das leuchtende Haar, auf der Mitte der Stirn in zwei Hälften gestrichen, strömte in langen Wogen über ihre Schultern bis unterhalb der Kniee: – sie trug kein Gold, als dies ihr Haar. – Das ganz weiße, faltige Gewand war mit handbreitem hellblauem Saum eingefaßt; die herrlich gerundeten, marmorweißen Arme glänzten, voll sichtbar: denn den blauen Mantel hatte sie von den Schultern gelöst und über die Rückenlehne ihres kunstvoll geschnitzten Hochsitzes gelegt; auf ihrer linken Achsel wiegte sich eine ihrer weißen Tauben.

Sie ließ die Spindel, weithin sie auswerfend über die drei Stufen des Hochsitzes hinab, auf dem glattgestampften Estrich schnurrend tanzen: unverwandt waren auf diese Spindel die scharf gesenkten, kühlen, lichten, wasserblauen Augen gerichtet: – nur mit kaum merkbarem Beugen des Hauptes, nicht mit Wort, nicht mit Blick, hatte sie des Eintretenden Gruß, seinen Heilruf erwidert.

Lofn saß zu ihren Füßen auf der mittleren Stufe des Hochsitzes und zupfte einen frischen Wocken für die nimmer rastende Spindel zurecht.

Der Hochsitz füllte die Mitte des Hintergrundes der geräumigen Halle – der Eintretende war nahe der Schwelle stehen geblieben: – so trennte beide ein gar weiter Zwischenraum.

Schweigen entstand, nachdem die Braut nur stumm gegrüßt hatte. Bang, furchtsam blickte Lofn von ihrer Stufe zu Odhin auf. Da wies dieser plötzlich, mit gebieterischem Ausstrecken des Armes, nach der Eingangsthüre: – er hatte sie offen gelassen. So ungestüm war die überraschende Bewegung, daß die Taube, wild erschrocken, von der Schulter der Herrin auffuhr und pfeilschnell zur Thüre hinausschoß: – eilfertig folgte Lofn, ihren Wocken wirr zusammenpackend, desselbigen Weges. –

Die Herrin sah nun auf von der Spindel: streng gefurcht war die weiße Stirn und herbe klang die Stimme, als sie, die Erregung verhaltend, sprach: »Odhin von Asgardh, Ärgster der Argen! Du gebietest in meinem Hause?« – Da er beharrlich schwieg, fuhr sie fort: »Was soll's? – Was hast du mir – mir allein – zu sagen?«

»Viel!« grollte er. »Nun, Frigga, rüste dich zum Kampfe . . .« Drohend, nahezu feindlich, hatte er begonnen. Jedoch, wie er nun mit durstigen Augen in sich sog all diese strahlende Schönheit, diese unwiderstehliche Anmut, welche wie eitel Wohllaut sie umflutete, – da schmolz ihm der eherne Groll und begeistert fuhr er fort: »du schönstes aller Weiber und – geliebtestes.«

Stumm wandte sie, wie um nicht weiter zu hören, das herrliche Haupt zur Seite. Unendlicher Liebreiz lag in der Bewegung, wie in jeglicher Regung dieser wonnigen Gestalt.

Er warf hastig den Hut und den Mantel auf die Rundbank, die sich um die ganze Halle hinzog; im dunkelblauen Wollwams stand er nun, über die Schulter hing ihm, mit Silber beschlagen, das mächtige Hifthorn.

Er trat ihr rasch mehrere Schritte näher: aber zurückgestoßen von ihrer Ruhe machte er plötzlich wieder Halt; er kam so an den Mittelpfeiler der Halle zu stehen; er lehnte sich daran mit dem Rücken; er schlang, hoch sich reckend, den linken Arm um den Pfeiler und drückte ihn an sich, die wilde Erregung zu meistern. Bald ließ er ihn wieder los, durchmaß die Halle nach rechts und nach links mit starken Schritten, jedoch die Augen nicht lösend von der schweigsamen Spinnerin und immer bald wieder gerade ihr gegenüber Halt machend.

Sie aber, die fein geschnittenen Lippen fest zusammenschließend, rührte und regte sich nicht – auch nicht ein kleines! – auf ihrem stolzen Hochsitz. Eifrig, unablässig, kaum je aufblickend spann sie weiter.


IX.

»Fürchte nicht,« begann er – mit solcher Ruhe, daß sie insgeheim erstaunte: aber bald fühlte sie, wie gewaltsam erzwungen diese Bändigung war – »ich dränge dich nochmal. Heiß ist meine Liebe: aber doch hat die Glut noch nicht allen Mannesstolz ausgebrannt in Odhin von Asgardh. Wenn es dir denn noch immer so ganz unerträglich ist, mein Weib zu werden« – da bebte seine Stimme vor zornigem Groll – »so – warte noch. Höre nur, was du wissen mußt. Ich fand gestern Abend« – und nun spähte sein Auge gespannt auf jede leiseste Regung in ihren Mienen – »ich fand – ein junges Weib: – Bidhja.«

Rasch schlug Frigga die gesenkten Wimpern auf: – es war nur Ein Blick – sofort kehrte die eisige Ruhe auf ihr Antlitz zurück: – und doch hatte der Spähende es vermerkt. –

Sie nickte. »Du kennst sie also,« fuhr er fort. – »Sie gefällt mir. – Ich werde ihr Freund, sie wird meine Freundin sein.« Da sprach die Braut, den reizvollen Mund so wenig wie möglich öffnend, mit herbstem Ton: »Es giebt nicht Freundschaft zwischen Mann und Weib. Nur Verlöbnis, Ehe oder – Frevel.« – »Oho,« lachte der Gott, laut, schallend auf und fuhr rasch, wie vergnügt, einmal mit der Rechten über Bart und Kinn. »Wer hat dich diese Weisheit gelehrt?« – »Ich brauchte sie nicht zu lernen. Der Ehe Göttin heiß' ich.« – »Wirst es aber – in Wahrheit – erst werden, nachdem du mein Weib geworden. Eine Jungfrau – Göttin der Ehe!«

»Auch dein eigner Sohn – Loki – gab mir darin Recht.« – »Ei, Loki? Der noch niemals log?« – »Diesmal log er nicht. – Er meinte, nur drei Fälle kenne er vom Gegenteil. Im ersten zählte der Freund achtzig Winter. Im zweiten war der Freund blind und die Freundin blind und taub. Im dritten waren beide jung, aber die Freundin häßlich wie die Fledermaus. Da liebte nur sie ihn.« – »Nicht übel! Aber echte Loki-Bosheit: lose Loki-Lügen! So schlimm ist's doch wahrlich nicht. – Und wär' es so: was schadet es, wenn wirklich durch die Freundschaft, die sonst deinem weißen, farblosen Flachse da gleicht, wenn wirklich durch die Freundschaft zwischen Mann und Weib ein feiner hellroter Faden sich, lebhaft gleißend, durchzieht: – wie wenn ein Haar Freias, der rotlockigen, hindurchgeflochten wäre? Was schadet es?« Er schwieg und spähte.

Aber ganz ruhig sprach sie diesmal: »Sprich doch die Wahrheit, Gott der Arglist. Deine Buhle soll sie werden.« Den Blick noch schärfer schärfend als je rief er überraschend: »Und wenn?« Sie zuckte ganz leise. »Du weißt es ja,« fuhr er ruhig, den linken Arm wieder um den Pfeiler schlingend und das Haupt leicht senkend, fort: »nach dem zweifellosen alten Recht der Götter hier oben in Asgardh gleichwie der Menschen auf Erden, soweit in allen Landen sie uns Asen verehren: – nur Braut und Eheweib bindet die Pflicht der Treue, nicht Bräutigam, nicht Gatten. Mit Maiden oder Witwen mag er der Liebe pflegen: nicht Sitte verwehren's, nicht Recht.« – »Jawohl, ich kenne es, dies Recht: es ist scheußlich.« – Der Gott zuckte die Achseln. »Aber Recht.« – »Un-Recht!« – »Nein, Recht ist es.« – »Bei uns. Nicht überall.« – »Aber bei uns.« – »Man flüstert: fern im Morgenland wird einst eine neue Lehre künden ein neuer Gott . . . –«

Da ballte Odhin grimmig die Faust um den Griff des Kurzschwerts, das in seinem Wehrgurt hing, sein graues Auge loderte wild auf und drohend sprach er: »Auch ich hörte von ihm raunen. In Jünglingsgestalt soll er dereinst erscheinen. Oh, stellte er sich doch zum Schwertkampf mir: – Ich gäb' ihm Brünne, Schild und Helm voraus – und wir kämpften – kämpften um die Herrschaft der Welt.«

»Nach seiner Lehre werden Braut und Frau die gleichen Rechte auf Treue haben wie Bräutigam und Ehemann.« – »So? – Wenn's dann nur auch gehalten wird! Ich meine, nicht nur von den Schwachen, auch von den Starken.«

»Und dies bei uns geltende Recht der Männer, – oh, es ist auch für uns Frauen »Recht«! – das habt ihr Männer gemacht, wie's euch Männern behagt.« – »Jawohl. Und alles Recht werden die Männer machen, solange die Männer mehr Vernunft haben, es zu denken, als die Weiber. Und mehr Kraft haben, es zu schützen. Also immer.« – »Es ist scheußlich, sag' ich dir. Ein Mann hat nur Ein Herz: – wie kann er mehr als Ein Weib lieben?« Sie hatte das heftig hervorgestoßen.

Mit Wohlgefallen hatte er die rascheren, lauteren Worte gehört. Er schwieg eine Weile, kühl sie musternd. Dann sprach er spöttisch, die grauen Augen zusammendrückend und den breiten Bart langsam spitz zusammendrehend: »Doch auch Frauen – so sagen die Leute! – haben schon manchmal – es soll vorkommen! – als Witwen die Arme geschlungen um den – zweiten Gemahl.« Sie hob streng die Brauen: »Mit Friggas Segen – nie und nimmermehr! »Ein Leib, Ein Herz, Ein Gatte«: – das ist Friggas Recht.« – »Zum Glücke für die armen Witwen gilt es aber nicht, dies allzu grausame Recht! Sie sind so erinnerungsreich! Und so hoffnungswarm!« – »Höhne nicht! Höhne die Frauen nicht! Es erregt mir den Zorn.« – Sehr zufrieden dachte der Gott: »Das seh' ich.« Aber er sagte es nicht. – »Und du« – hier flog ihm ein rascher Blick zu – »als der Gott des Gesanges, der Dichtung – du nimmst dir darin wohl mehr noch als andre in Anspruch?«

Aber Odhin schüttelte das hohe Haupt: plötzlich war er sehr ernst geworden: »Mitnichten! Der Sänger, der hierin ein Mehr für sich begehrt – über der andern Maß hinaus – zu den Göttern etwa wähnt er sich dadurch zu heben? Der Thor! Zu den Tieren senkt er sich dadurch hinab. Mag sein, daß heißere Gluten, lockendere Bilder als andern ihm aufsteigen: dafür beflügeln ihn die Schwingen der Begeisterung: nach oben tragen, nicht nach unten reißen sie. – Ich verlange nichts, als was Sitte und Recht allen verstatten.«

»Doch – Bidhja ist Aswins Weib: du brichst sein Recht.« – »Sie wird bald Witwe sein.« Er hatte das ganz tonlos, ganz kurz gesagt, aber dabei scharf, wie nie zuvor, auf ihr Antlitz geblickt. – »Mörder!« scholl es da und es sprühte wie Feuer auf ihn aus den strengen blauen Augen. Behaglich strich der Geschmähte dreimal langsam den wirren Bart. »Das wollt' ich nur hören!« Er lächelte fein. »Nun hab ich dich, wo ich dich wollte: – im Unrecht wider mich mit solch ungerechtem Wort. – Soweit reißt meine verschlossene Braut dahin die –« – »Vielleicht die Eifersucht?« Sie lachte laut. »Geh! Küsse, wen du willst.« – »Bidhja nicht, bis Aswin fiel. – Nicht durch mich. – Nicht nach meinem Willen auch, wie du jetzt wähnst. Ich fragte soeben auf meinem Weg nach Fensal die Walküren: – frühwache Mädchen sind's. – Sie warfen die Lose. Nach unabwendbarem, nornengewobenem Verhängnis fällt Aswin heute Morgen noch im Kampf, im Sieg – bevor er seine Hütte wieder sieht: vom Opfermahl hinweg ging's in die Schlacht. – Brunhild wird ihn auf Grani gen Walhall tragen.«

»So geh denn hin und übe dein abscheulich Recht! Mittels jenes« – sie schauerte vor tiefinnerem Weh – »jenes abscheulichen Zaubergolds an deinem Finger.« Sie ward glutrot vor heil'gem Zorn; ihr Busen wogte.

»Weshalb nennst du Recht und Ring abscheulich?« Er ward stets kühler in seinem Ausdruck. – »Weil sie es sind! – Du sagst: du liebst mich?« – »Ich liebe dich.« – »Und Bidhja auch? Das ist –« – »Unmöglich, willst du sagen? Du siehst soeben, daß es möglich ist.« – »So ist es: wie Krankheit und Laster.«


X.

»Ei, – laß sehen! – doch vielleicht nicht völlig so,« erwiderte Odhin, ganz langsam, bedächtig sprechend, und so ruhig, als ob ihn die Frage gar nicht angehe. Er lehnte das erhobene Haupt fest an den Pfeiler und schob wiederholt mit der Linken den Bart nach beiden Seiten von den Lippen. Grübelnd, sinnend sprach er vor sich hin, nicht für die Hörerin, – so schien es – nur um für sich selbst das Richtige zu suchen: »Wenn ich nun sagte: in meines Wesens Harfenspiel sind gar viele Saiten ausgespannt. Kann Ein Weib sie alle schwingen und tönen machen? Oder wenn ich nun erwiderte: in meines Wesens meeresweitem Spiegel glänzen alle Sterne wider, nicht Einer nur? Oder denk' es einmal so: allem Schönen die eigene Eigenart aufzuprägen, drängt es den Mann. Wie, wenn nun, nach urweiser, ew'ger Einrichtung der Welt, die reichste Möglichkeit des Schönen in der Welt gerade darauf beruhte, daß es den Starken treibt, sich allem Schönsten zu verbinden? Wenn . . .« – »Schweig, arger Gott! Mit Recht den Grübler schilt man dich.« – Mir klingt die Schelte wie Lob. – Und Eins ist freilich wahr,« – fuhr er wieder, ganz wie in Sinnen verloren, fort, »was den Dichter angeht: Dichten ist Zeugen. Die gleiche Heißglut, die das Leben zeugt, zeugt auch das Lied. Feuer in die Harfe, oder Harfe ins Feuer! Die gleiche Begeisterung, der gleiche Rausch, ja die Berauschung in Schönheit, reißt den Bräutigam zur Braut dahin« – da loderten seine Augen, die er halb geschlossen gehalten hatte, plötzlich in heißem Blick auf die herrliche Gestalt – »und zum Lied den Dichter. Nie hab' ich schön – wahrhaft schön! – gedichtet, als wann ich liebte. Und: das höchste Gut des Sängers ist die Schönheit.« – »Mir aber tönt im Ohre noch ein ander Wort,« sprach sie vorwurfsvoll, verweisend: sie hielt ein im Spinnen und hob mahnend den Zeigefinger der Rechten: sie sah ihn voll an und unendlich edel war ihr Blick, als sie feierlich sprach: »Das höchste Gut des Mannes ist sein Volk.« »Wer sprach wohl dieses Wort?« – »Ich sprach es. Und ich sprech' es noch. Dies Wort bleibt stehn. Und noch ein andres auch: »der ist kein Sänger, der kein Held.« Erst auch dem Sänger den Helm auf das Haupt und auf den Helm den blutbesprengten Eichkranz des Sieges oder des Heldentods. Hab' ich jemals solche Mannespflicht versäumt? Noch brennt die Wunde hier, in meinem Schildarm. Und das merke: auch wenn ich jemals ruhen darf an deiner weißen Brust: – von deinem süßesten Kusse reiß' ich mich los, wann das Heerhorn ruft in die tosende Schlacht! – Nach dem Sieg aber soll dem Sänger das Gelock der Kranz des Schönen kränzen, ja muß ihn der Trank des Schönen laben: sonst elend verlechzt ihm vor tödlichem Durst die verschmachtende Seele.«

Begeistert, laut, feurig schloß der Gott, der kühl und nachsinnend begonnen. Fortgerissen hatte er fortreißend gesprochen. Denn viel weniger herb als zuvor, eher wehmütig, klang die Stimme Friggs, als sie nun seufzte: »Verderblicher! Gunlödh – Laufeja – Harpa – Bidhja! Wer wird das letzte deiner Opfer sein?« – »Opfer? – Frage sie doch, ob sie bereuen! Ob sie um ein ganzes langes Leben gewöhnlichen Erdenglückes den kurzen Wonnerausch in Odhins Armen zurücktauschen? – Frage sie doch! – Und trieb mich etwa Selbstsucht nur und dumpfe Gier? Haben nicht die Sterne auch diese meiner Schritte gelenkt? Gewann nur ich dabei oder gewann das All? Möchtest du etwa Harpa missen, die Sterbliche, die ich zu unsterblichem Harfenschlag in Asgardh mir gesellt, mir – und euch allen? Und Laufejas Sohn? Nicht viel trau' ich ihm zwar, dem listreichen Loki! – Aber du selbst, – möchtest du den Schlauen entbehren im Rate der Götter? – Und Gunlödh? – Wohl nahm ich den Met der milden Maid und ließ Gunlödh sich grämen: – aber der Dichtung berauschenden Wonnetrank errang ich damit: nicht mir allein, – ihr und allen Wesen zu köstlichster Labe. So ward es stets dem weiten All zum Segen, wann Schönheit mich begeisterte, wann aus meines Wesens Eigenart ein frischer Sproß erwuchs.«

»Aber auch Freia!« Da stieg ihr lodernde Glut in die weiße Stirn. »Wähnst du, ich erriet nicht längst, um wessen willen allein aus Wanaheim nach Asgardh überzusiedeln sie sich entschloß – sie, die verhaßte Bethörerin von allem, was da Mann ist: – diese überall umherzüngelnde rote Flamme?« Heftig drückte die zürnende Göttin die stolzen, schmalen Lippen zusammen. Aber er lächelte und strich geruhig mit der Hand über seine mächtige Stirn: »Nicht gar so bitter, mein' ich, solltest du doch von ihr reden, von der Rotlockigen. Es ist nun einmal der Flamme Art: sie will brennen.« – »Und meine Art ist's, die schädliche Flamme auszutreten.« – »Mir hat sie nicht geschadet.« – »Ich weiß,« sprach Frigg, beinahe freundlich, mit einem frohen, lobenden, dankenden Blick: »die Allberückerin, – dich hat sie nicht berückt. Doch that sie redlich dazu, was sie konnte.« Er schüttelte ruhig das dunkle Gelock und lächelte stolz vor sich hin: »Ein Weib, das auf mich zielte, traf mich noch nie. – Also ergieb dich drein« – fuhr er, nun wieder ganz kühl, mit scharf prüfendem Blicke, fort. »Viele Saiten find – ich sagt' es schon – in meiner Brust gespannt – laß sie doch alle tönen!«


XI.

»Nein, Odhin von Asgardh, nein!« rief da die Braut, aufschauend von ihrer Arbeit und ihn voll anblickend. »So argklug du bist, – welch schicksalsschwere Entscheidung du heute herbeibeschworen hast mit deinen ruchlosen Reden, – du ahnst es nicht.« – »Vielleicht doch ein klein wenig,« lächelte der Gott ganz heimlich in den Bart: das graue Auge leuchtete in aufsprühender Freude: es stand ihm schön. »Entweder,« fuhr sie drohend fort, »all deine bösen, zucht- und scham- und zügellosen Worte waren nur in grausamem Spiel geschnellte Geschosse mit vergifteten Widerhaken, – unausreißlichen! – gezielt auf dieses panzerlose Herz . . .« da bebte ihr die Stimme.

»Oh wär' es endlich panzerlos,« flüsterte er zu sich selbst, entzückt aufhorchend.

»Oder: sie waren dir Ernst! Und dann, Odhin von Asgardh – schön wie du bist, – gewaltig wie du bist – gewaltig, wie du dir heranzwingst die Herzen: – das heißt: anderer Herzen!« – besserte sie hastig – »dann reiß' ich mich los von dir auf immerdar.«

»Gegen Nornenspruch und Sternengang?«

»Mein Herz ist meine Norne, mein klares Auge ist mein Stern! – Willst du wirklich – du! – der groß wie keiner ist – wie sie sagen! – willst du wirklich jenes ekle Recht, – das Recht der Untreue! – üben gegen Frigg – diese Frigga, die hier vor dir steht?« – Sie sprang vom Sitz empor: – »mit deinem Fluch-Ring, den dir üble Zwerge schmiedeten: – so wirf dich in den trüben Gischt deines wilden Begehrens: – mir aber wirst du dann nicht mehr an die Fingerspitze, nicht an den Saum mehr rühren meines weißen Gewandes: denn er ist rein. Ja oder nein: Alle oder Frigg – oder: Frigg und keine sonst mehr. – Wähle, Odhin von Asgardh.«

Und die verhaltene Maid, die strenge, die fühllose Jungfrau war nun von ihrem Hochsitz heruntergebraust, einer weißen Wolke vergleichbar. Die Spindel, die sonst so emsig gepflegte, hatte sie zornig auf den Estrich geschleudert. So ungestüm wogte der herrliche, der hochgewölbte Busen, daß die Nadel an der Spange ihres Gewandes barst. Hochrot glühten die länglichen Wangen, das sonst so kühle, herbe Auge funkelte und, leise knisternd, hob sich auf dem Scheitel ihr gewelltes Haar. So stand sie vor ihm, drohend, und, weil feurig, ob auch nur im Grimme feurig, schön wie nie zuvor.

Auflodernd rief der Bräutigam: »Gegrüßt, du heil'ger, schöner Zorn! Du bist der Liebe plauderhafter Bote.« Sie trat einen Schritt zurück: leicht errötend schüttelte sie leise das Haupt: »Liebe? – Ich weiß von Liebe nicht. Du aber bedenke stets: nur der Ratschluß der versammelten Götter hat, nachdem du um mich geworben, mich als Braut dir zugesprochen, nicht meine Wahl.« – »Ich weiß, ich weiß! Nur deine Hand hat all mein Werben mir eingetragen: – all mein Ringen um dein Herz – es blieb umsonst! O Schmach und Schmerz und wildes Weh! Du bist das erste Weib, das Odhin verschmäht.« – »Wie?« grollte die keusche Göttin, »rühmst du vor Frigga deine Siege?« – »O nein,« rief er leidenschaftlich ausbrechend, in tiefstem, bitterstem Weh, »ich beklage sie, ich verfluche sie, ich verwünsche sie! Und dich klag' ich um sie an! – Du – du – allein hast sie verschuldet!« – »Ich!«

»Ja du, Unnahbare! Weshalb, weshalb allein bin ich von Weib geirrt zu Weib? – Seit ich zuerst dich, Herrliche, geschaut, durchzuckte mir's nicht die Sinne nur bis in das tiefste Mark, erfüllte mir's die ganze Seele: sie, sie – dies blonde Haupt, – sie ist mir zugeteilt seit Anbeginn der Welt! Sie ist meines Wesens lang gesuchte andre Hälfte! Sie allein füllt die klaffende, die sehnende Leere, die hier so schmerzt, so beängstend, so bitter schmerzt, hier, in meiner ach! allzu breiten, leeren Brust! Sie allein – ihr süßer, in seligen Wonnen berauschender Leib, und diese himmelklare, stummverhaltne, aber meerestiefe Seele – hell wie ihr lichtes Auge, – sie allein löscht mir den brennenden Durst, den lechzenden Heißdurst nach Schönheit! Und dieses Weib, – meine anverlobte Braut! – es verschließt sich, es umgürtet sich wie mit ewigem Eise vor all' meinem glühenden Werben. Wenn ich noch so innig flehe – sie schüttelt nur – siehst du! nun wieder! – unablässig, hastig, leidenschaftlich das geliebte Haupt und . . .«

»Nein! Nein! Nein! Nein! Nein! Ich werde mich wehren, solang ich Kräfte habe.«

»Da! Das ist alles, was ich den fest geschlossenen Lippen entringe! Ich vergehe! Ich verbrenne! Und du? Glutlos, – blutlos, – lieblos, – herzlos – schaust du behaglich zu mit deinen wasserkühlen, wasserhellen Augen. Wohlan denn: Ich, der stolzeste Gott und Mann, der je geatmet hat, sieh, ich beuge, ich demütige mich so tief vor dir, daß ich dich anflehe, – hör es! – wenn nicht aus Liebe, – aus Mitleid, aus Erbarmen – werde mein! Sprich es endlich, dies verzweiflungsvoll ersehnte: »Ja.«

»Nein! Nein! Nein! Nein! Nein!«

»Das ist alle Antwort, die mir wird! Und du wunderst dich, wenn ich, von dir immer, immer wieder fortgestoßen, hinausstürme in die weite Welt, ein brennender Brand, und entzünde und verbrenne alles, was mich reizt? – Oh Frigga, Frigga! Kluges Auge! Hast du denn nicht durchschaut den trügenden Schleier meiner Worte?

Es ist ja all nicht wahr, was ich geredet! Meine Seele war ja fern von jenen weihelosen wilden Worten! Mein Ernst, mein einz'ger, mein ew'ger Ernst, ist: daß ich dich liebe, dich allein. Ich wollte ja nur herausschürfen aus deiner undurchdringbaren Seele, ob es dir denn wirklich ganz gleichgültig ist, wenn Odhin andre liebt? Und liebst du mich auch nicht – noch nicht! – Dank dieser Stunde! Sie lehrte mich: es ist dir nicht gleichgültig! O Frigga – Frigga, liebe mich, werde mein und so unmöglich ist es, daß mir noch ein ander Weib in den Sinn trete, wie daß noch nach Endlichem begehrt, wer die Unendlichkeit gewann. –

Ich verspreche dir gar nicht Treue: wardst du mein – ich könnte sie ja nicht brechen, wenn ich es wollte! Oh Frigga, mach' ein Ende dieser Qual! Es ist besser: nicht nur für mich – für die Welt – auch für dich! Es ist das Notwendige! Was sind Gunlödh und Harpa und Laufeja und alle Mädchen und alle Weiber in allen neun Welten gegen dich! Eine Saite mochten sie schwingen lassen in meiner Brust: du bist der Vollklang meines ganzen Wesens. Einzelne schöne Strahlen sind sie: – du aber bist die Sonne, du Allherrliche, du bist die Schönheit selbst. Sie sind kleine Splitter des Anmutigen, des Weiblichen: – du bist das Weib, du bist die Anmut selbst. – Einen Augenblick mögen andre erfreuen: – du bist der Liebe All und Ewigkeit; du bist die Wonne meines ew'gen Seins. Ja, und du bist mehr: nicht meines Herzens einz'ge Lust nur, – du bist meines Geistes ebenbürtige Genossin! Mit deinem klaren Haupt laß sie mich beraten, laß sie mich teilen, die Herrschaft der Welt! Ja, du denke mit mir meine geheimsten Gedanken, die ich kaum mir selber gestehe. Du sorge mit mir meine Sorgen, du kämpfe mit die Kämpfe meines Geistes, wie du – ich weiß es! – nicht zagen würdest, an meiner Seite den Waffenkampf zu teilen, du, des Helden Heldin, des geist-gewaltigsten Mannes schönheit-gewaltigste Frau. Denn du – du bist ja ich und ich bin du! – Du bist mein ewig Weib! Sprich, Frigga, liebst du mich denn nicht?« – Und Flammen loderten aus den graudunkeln Augen: in ausbrechender Glut trat er dicht vor die Geliebte und faßte stürmisch ihre beiden Hände.

Da – zu seinem äußersten Erstaunen – stürzte plötzlich die hohe, die königliche Gestalt, wie vom Blitze getroffen, gerade vor ihm nieder auf beide Kniee, die sonst so nixen-kühlen Augen sahen, überschwänglichen Ausdrucks voll, zu ihm empor und ganz leise kam es aus dem kaum geöffneten Mund: »Über alle Maßen!«


XII.

Da riß er die Knieende herauf an seine breite Brust und umschloß sie fest mit den beiden gewaltigen, den ehernen Armen und drückte sie an sich, erbarmungslos, und faßte ihr Hinterhaupt mit der Rechten und preßte ihr erglühend Antlitz an das seine und bedeckte ihr mit brennenden Küssen, mit markdurchrieselnden, Mund und Wangen und Augen und Stirn und das lichtwogige Haar. – – –

»Erbarmen – Geliebter – Erbarmen! – Ich vergehe!« hauchte sie.

Nun hob er sie auf, die herrliche, die hochgewachsene Gestalt, und leicht, wie ein Kind, trug er sie auf beiden Armen an die Bank, die sich um die Wand der Halle zog; dort setzte er sie sanft aufrecht nieder.

Sie lehnte den Rücken an die Wand und ließ, wie betäubt, das schöne Haupt herabsinken: die Hände fielen ihr schlaff in den Schos und mit gesenkten Wimpern flüsterte sie, unhörbar für ihn: »Wehe, wehe! – Nun ist er doch verloren! – Nein! Nein! Nein! Nein! Nein!« fügte sie rasch bei: »es soll nicht sein!« – Und kraftvoll raffte sie sich empor und schlug die Augen wieder auf –: doch mied sie es, seinem Blicke zu begegnen: fest entschlossen sah sie starr zur Seite.

»Und warumwarum, Geliebte, hast du mir das solange verborgen? Warum wolltest du nicht mein werden?« Er griff wieder nach ihren beiden Händen: aber sie entzog sie ihm; sie atmete schwer, sie rang – sie suchte nach einer Antwort.

»Weil – weil . . .« Sie mied beharrlich sein Auge. »Meine Amme –! Sie hat mich gelehrt: – wann ein Mann – wann du erst wüßtet, daß ich dich liebe, – wann ich dein geworden, – würdest du mich – nicht mehr so stürmisch – würdest du mich weniger lieben.« – Da hob er sacht – mit Einem Finger – ihr Antlitz an dem weichgerundeten Kinn empor: – er wollte sie zwingen, ihn anzublicken, aber fest hielt sie die sonnenfarbenen Wimpern geschlossen. – »Echte Ammen-Weisheit! Nicht in deiner großen Seele gewachsen – und nicht in deine große Seele gedrungen. Unwürdig meiner: – noch unwürd'ger deiner! Das ist nicht der Grund! Du kannst mich nicht belügen.« – »Nein! Ich kann es nicht. Darum laß mich schweigen!« – »Aber – wenn du mich liebtest und doch mein Weib – noch nicht! – werden wolltest – weshalb – seit jenem ersten wonneheißen Brautkuß – nicht ein zärtlich Lächeln mehr? Nicht mehr ein kosender Druck der Hand? Nicht mehr Ein Kuß? Du liebst – und du umpanzerst dich wie mit dreifachem Erze? Weshalb?«

Da zog, von den Mundwinkeln beginnend, ein wunderlieblich Lächeln, das sie unaussprechlich verschönte, über die so strengen Lippen und ein leisester Anflug von schalkhaftem Scherz über das herrliche Antlitz: »Weshalb? Ei, Odhin von Asgardh! Den Alldurchspäher, den Allergrübler rühmen sie dich –: der Nornen Geheimnisse ergründest du, die Rätsel in der Götter und der Menschen Brust – lange vor ihnen selbst! – errätst du: – und in das Herz deiner eignen Braut vermochtest du nicht zu schauen? Weshalb? O du thörichter Gott der Weisheit.« – Sie streifte mit einer anmutvollen Handbewegung, nur im Fluge, ganz leicht, sein Haar an der Schläfe. – »Weshalb? O du geliebter Thor! Weil ich wußte: – ließ ich dich mir nahen, – ich konnte dir nicht widerstehen. Wenn meinen Kuß, mußt' ich dir alles geben. Und das – das will ich nicht! Will ich nicht! Nein – nein – – Ach wehe, wehe mir – das wollte ich nicht.« Verzweifelt barg sie das edelgerundete Haupt in beiden lichten Händen. – »Und warum? Warum? Ich flehe dich an! Warum dies Widersinnige, dies Widerweibliche?« – Er warf sich vor ihr auf die Kniee und suchte ihr die festgefügten Finger von dem Antlitz hinwegzuziehen.

Da löste sie plötzlich selbst von ihren Augen die Hände, streckte sie, allzärtlich, gegen ihn aus und faßte mit beiden Händen seine wetterbraunen Wangen und sah ihm tief und wehevoll in die Augen und sprach mit unendlicher Innigkeit: »Warum? Weil, weil ich dich liebe – über alle Maßen! Mehr, ach! tausendmal mehr als mich selbst und als alles in allen Welten! – Mehr als jemals Weib Mann geliebt.« – »Und darum . . .?« – »Ja, darum! – Und darum, weil du so herrlich bist! Der Herrlichste, das Herrlichste der Welt. Weil du die Welt bist – Friggas Welt! O du mein alles!« – »Erst wann du mein wardst, werd' ich herrlich sein.« – »Oh nein,« rief sie da laut, in Verzweiflung ausbrechend. Sie streckte die beiden wunderschönen Arme gerade vor sich hin und rang die ineinandergeschlungenen Hände und schlug sie dann, sich plötzlich zurückwerfend, zusammen ob dem Haupt. »Wenn ich dein werde, – dann wirst du untergehen.

Denn vernimm, oh Geliebter!

Nachdem der Götter Ratschluß mich dir verlobt – es ist noch jetzt mein Stolz und tief geheime Wonne« – und mitten im tiefsten Weh lächelte sie wunderhold – »daß kein atmend Wesen, daß auch du, Kluger, es nicht geahnt, wie über alle Maßen ich dich lang vorher geliebt – geliebt – ach! seit ich zuerst den untergehenden Blick, – nein: die versinkende Seele – verlor in deinen unergründlichen Augen! – Niemand hat es gemerkt, daß der Götter Befehl ja nur meines eignen Herzens geheimstes, mächtigstes Sehnen erfüllen wollte! – In der Nacht nach unsrem Verlöbnis, – nachdem dein Einer, dein alles entflammender Kuß mir bis tief in den Quellgrund der Seele geglüht war! – in der Nacht vergrub ich in die weichen, weißen Felle meines Lagers das Haupt und hauchte selig vor mich hin: »Er – der Herrlichste – wird mein!«

»Da – da« – sie stockte, erschauernd: »da standen plötzlich – ich merkte es, weil sie zwischen mein Lager und der Wandampel fahlen Schein getreten waren – da standen vor mir die furchtbaren drei Schwestern, die Nornen.« – »Ungerufen?« sprach Odhin, erbleichend. »Das bedeutet tödliches Unheil!« – »Ja, das hat es bedeutet! – Denn schauerlich, langsam gegen mich heranschreitend, mit den drei erhobenen Zeigefingern ihrer drei Rechten mich bedräuend, sprachen sie im Dreiklang der Stimmen, eintönig, dumpf:

»Wehe dir, wonnige Frigg,
    Wird dich Odhin umarmen!
Wehe dir, Odhin, wird
    Frigg deine Frau!
Weh dann über die Welt!
Denn eher nicht nahet,
    – Doch dann unabwendbar –
Bis Odhin Friggas Gürtel gelöst hat,
    Odhin das Ende:
Das Ende auch
    Frigga, der freudigen Frau,
Und allen Asen von Asgardh
    Und allen Wesen in allen Welten!«

Ich erbebte – sie aber fuhren fort:

»Und aber auch auf das andere achte:
    Nur wann dich, Edle, Odhin
Zum Weibe gewann,
    Nur dann gedeihet,
Nur dann wird wirklich,
    Was an Wonnen der Welt mag werden.
Nur aus euer beider Bunde,
    Aus eurem Blute nur blüht
Das glänzendste Glück,
    Euch Seligen selbst
Und allem, was atmet.«

Und als die Furchtbaren verschwunden waren und ich, zitternd vor haarsträubendem Grauen, auf die Stelle hinstarrte – da – oh Entsetzen! sah ich ein furchtbar Gesicht. Himmel und Erde und alle Welten ein einzig unabsehbar Schlachtfeld: – Feuer und Rauchqualm weit über das All: – Riesen und Ungeheuer in nie geahnter Zahl! – Tot lag dir zur Rechten der tapfre Thor, der treue! – Tot lag dir zur Linken mit zersprungenem Siegesschwert Tyr! – Tot hinter deinen Fersen, mit zerspelltem Sonnenspeer, lag Freir! – Tot rings, rings um dich her die Einheriar und erschlagen, ach! auch deiner geliebten Walküren waffenfrohe Schar! – Ich selbst, vom gift'gen Qualm erstickend, sank sterbend aus deinem Schildarm. – Und du – oh das, das ist das Ärgste! – auch du verschwandest in eines grauenhaften Untiers Rachen. – Da fuhr ich, laut schreiend, auf aus den Decken und gelobte mir selber – und dir: Nie, nie werd' ich sein Weib: – sonst muß er untergehn.« Erschöpft glitt sie zurück auf die Hallenbank. –

Der Gott zuckte zusammen –: kaum merkbar, aber er zuckte. Und eine düstre Schattenwolke flog über die stolze, kampf- und trotzgewohnte Stirn. »Untergehn! – Ich! – Auch ich? – Also war doch etwas daran! – Ahnungen, – Träume, – Geflüster der fallenden Blätter im Spätherbst – ein halb verstandner Vogelruf auf öder Heide: – lang haben sie mir dergleichen dunkel angekündet. – Ich hab's bekämpft – hinweggetrotzt – hinweggelacht – nicht geglaubt – nicht glauben wollen –: bis jetzt. Jetzt aber: – glaub' ich's. Ja ich fühl's – ich weiß es! – seit deinem markdurchschütternden Schrei: ich werde untergehn – Und ach! du mit mir.« Er schwieg, in sich gekehrt, sinnend, brütend. –

Weit riß die Braut die hellen, runden, blauen Augen auf: sie hing ängstlich, jede Miene überwachend, an dem gewaltigen Antlitz, über das ein ganzes Sturmgewitter von Gedanken hinzog. Erwartungsvoll harrte sie – gespannt – todesbang. Endlich brach ihr die stumme Qual in dem schrillen Schrei hervor: »Siehst du, Odhin! Siehst du nun! Du selber weichst zurück! Du schwankst!«

»Nein, Geliebte,« rief er laut, mit dröhnender, mit machtvoller Stimme – und sie klang jetzt seinem hallenden Schlachtruf vergleichbar – »ich schwanke nicht. Glück auf zum Untergang und heil uns zum Verderben!«

Er richtete sich hoch auf.

»Daß mir alles was Glück ist, nur in dir – in deinem Leib und deiner Seele – blüht, – nicht erst die Norne braucht mir das zu melden! – Allein mit verständnisvoller Freude vernahm ich's und begeistert glaub' ich's: unsere Umarmung erst erschließt die höchste Wonne der Welt. Erst wann Odhin und Frigg Ein Wesen geworden, – dann erst ersprießt für alles, was atmet, was an Heil ihm werden kann. Und mag's dann untergehn, untergehn müssen: – – besser, daß die Welt ihre schönste Vollblust entfaltet und blühen läßt, solang sie darf, – als daß die Welt ewig währe, aber ewig nur ein Halbleben lebe, das Höchste, was sie aus sich gestalten könnte, nie gestaltet! Mir aber – und auch dir, so hoff' ich – taucht – für uns beide! – gar kein Schwanken auf. Lieber an deiner Brust geruht – ach und wär' es nur ein einzig Mal! – dein ganzes Wesen in mich eingeschlürft – ach und wär' es nur ein einzig Mal! – und dann – zusammen! – untergehn, als ewig leben, aber dein entbehren. Nein! Selige Liebe und seliger Tod! Oh Frigga, Geliebte: kannst du das verstehen? Willst du wählen wie ich? Du mußt – du mußt! Denn du bist ich selbst – nur ohne meine Fehler! – bist von Odhins eigenster Eigenart. Ja, ich seh es an dem Aufleuchten deiner so strenge gehüteten Augen: du wählst wie ich: du rufst gleich mir – –«

»Glück auf zum Untergang und Heil uns zum Verderben! Dein will ich sein. Dein muß ich sein. Dein bin ich. Nimm mich hin!« Und die keusche Göttin sprang stürmisch auf von ihrem Sitz und warf ihm um den breiten Nacken leidenschaftlich die weißen, die vollen Arme und küßte ihn heiß auf den Mund.

Und Stille ward um die beiden her, Stille und Seligkeit. – – –


XIII.

Nach geraumer Zeit machte sich die Braut aus seinen starken Armen los, trat zurück und sprach ruhig, mild, freundlich: »Und – Bidhja? Längst kenn' ich sie: – das fromme Kind – was wird mit ihr?«

»Ich vergaß, daß sie lebt,« rief er, mit der linken Hand leicht über die Schläfe fahrend. – »Geduld, Geliebte. Du sollst zufrieden sein! – Und sie auch. – Und Er! – Wir alle!« –

Und noch einen raschen, glühenden Kuß auf die nicht mehr spröden Lippen, – er griff nach Mantel und Hut und brausend, rascher als der stoßende Adler fliegt, schoß der Gott durch dichtes Gewölk hernieder zur Erde.


Ein feiner, weißer Nebel spann in der Luft über dem ganzen Thale des Fjordes, den Herabsausenden verhüllend. –

Bidhja saß auf den Stufen vor der Thür ihrer Hütte; sie schlang, mit kleinen Stichen nähend, hellrote Wollfäden zur Zier in das weiße Wolltuch, die Wunschgabe des zaubernden Gastes. Das Kind lag neben ihr in einem alten durchlöcherten Lindenschild Aswins; es schlief. –

Manchmal stockte der Emsigen die Nadel mitten im Durchziehen: die Hand sank leis auf ihre Knie und sie blickte, verträumt, gerade vor sich hin; oder auch wohl empor, gen Himmel, in der Richtung, in welcher sie jenen Wolkenmann zuletzt erschaut hatte.

Endlich seufzte sie: »Wenn doch Aswin zurück wäre! – Oder der Gast wieder käme! – Ich meine, Unrast hat mich noch nicht verlassen, obwohl er schied: ich sehe ihn immer noch.« – Sie schaute starr vor sich hin. – »Ach, ich kann's gar nicht erwarten, bis ich Aswin von ihm erzählen darf!« – Sie nähte nun wieder eifrig fort. »Manchmal ist mir, ich habe den ganzen Besuch nur geträumt. Aber da!« – sie strich zärtlich mit allen zehn Fingern über das weiche Tuch – »da greif' ich ja mit Händen das Wahrzeichen: – sein liebes Geschenk! – Und er kommt wieder: – Er wird mich selbst die letzte Bitte lehren! Er hat's gesagt. – Und er hält Wort.« – »Immer,« sprach da eine gedämpfte Stimme aus dem wogenden, flirrenden Nebel heraus, und vor ihr stand urplötzlich der Wanderer. – »Du! – O Freude! Fast zwar hättest du mich ein wenig erschreckt! Aber doch – wie froh bin ich, dich zu sehen! – – Ich dachte gerade an dich – –. Eigentlich immer – all die Zeit – . . . seit du fort bist. – Aber – du blickst so ernst! Nicht – wie gestern Einmal! – zornig, bedräuend. Milde schaust du, aber so – wie mitleidig: mit mir? Oder selbst trauernd? Hat dich ein Leid getroffen, armer Unrast?« – »Nicht mich. Mir ward Wonne. Und nicht »Unrast« mehr heiß ich. Keine Lippe soll mich mehr so nennen!« – »Wie aber heißest du jetzt?« – »Glücklich« heiß ich: bald werd ich »Selig« heißen! – Du aber nenne mich: »Freund«! Denn Freundschaft führt mich her. Ich versprach dir in jeder Not Schutz, Hilfe. Du brauchst sie jetzt. Bereite dich auf bittern Schmerz. Aber verzage nicht: denn aus tiefstem Leid trägt, starken Armes, dich dein Freund empor. – Dein Mann – Aswin –«

»Er ist noch nicht zurück. – Bald muß er nun sichtbar werden, wann der Nebel fiel, dort, hoch oben auf dem Felsenpfad des Steiljochs. – Warte hier, bis er kommt.« – »Nein. Denn – fasse dich! – er kommt nicht mehr hierher zurück.« – »Nicht mehr hierher? Wie? Nicht zu mir? Was hält ihn ab? Wo ist er?« – »In Walhall.« Da sank die kindlich zarte Gestalt nach rückwärts, lautlos, ohne Schrei, ohne Wort, ohne Seufzer sogar, der Blume im Grase vergleichbar, die ein Hagelkorn auf Einen Schlag daniederstreckt. Köpflein und Nacken glitten an die nächst höhere Stufe, aus der schlaffen Hand fiel die Nadel zu Boden.

»Armes Kind,« sprach mitleidsvoll der Gott. »Nein, nicht elend: – glücklich will ich dich machen.« Und er fuhr mit dem rechten Zipfel des langfaltigen Mantels dicht oberhalb des Antlitzes der Ohnmächtigen hin: der Lufthauch weckte sie sofort.

Mit großen Augen – thränenlosen – starrte sie ihn an: sie öffnete halb den Mund: der bebte ein wenig vor Weh. »Sei getrost! Gleich sollst du bei ihm sein! Und mit ihm leben, ungetrennt, solange Walhall aufrecht steht auf seinen goldnen Pfeilern. Sprich nach die Worte, die ich dir vorsage.«

»Oh güt'ger Freund!« Es war alles, was sie hervorbringen konnte.

Er aber hob feierlich die rechte Hand und sprach ihr langsam vor:

»Dieses als drittes
Erbittet sich Bidhja:
Nicht, nach der Weiber wehvollen Weise,
    Nach Hel hinunter
Freudlos zu fallen,
    Sondern selig,
Immer von Aswin ungeschieden,
Mit dem kleinen Kinde
    Oben in Asgardhs
Wonnen zu wohnen,
    Als Friggas Freundin,
In Demut ihr dienend.« –

Nur ganz leise vermochte die von seligem Schrecken Gebannte die Worte zu wiederholen.

»Gut. Es geschieht,« sprach er, die Hand senkend. »Nun aber geb' ich dem schlummernden Kinde hier den versprochenen Namen. Sieh, es lächelt im Traume! Ja, ja, das Beste verleihen die Götter den Sterblichen in schuldlosem Schlafe! »Fulla« soll sie heißen, die Kleine: groß, schön, üppig soll sie werden und Fülle der Freude, Fülle des Lebens, Fülle von allem Guten soll selber sie haben und andern spenden. Jedoch der Pate schuldet auch der Mutter des Patkindes ein Geschenk. So nimm es hin, du reinstes Herz, das je in Menschenbrust gepocht. Bidhja heißest du? »Die Bitte!« Wohlan: dem reinen, sanften Weib, das bittet, wird gewährt! Nicht Gott, nicht Mensch, kann deiner Bitte widerstehen, wenn du so bittest – so, wie du gestern mich gebeten, »gut zu sein«. Das aber werde deine Verrichtung in Asgardh: der Bittenden Fürsprecherin zu sein. Du sollst alle Bitten, die an Odhin oder Frigg gerichtet werden, – wenn dein reines Herz sie gut heißt – zu Odhin und Frigga tragen. Und das schenk' ich dir als Pate deines Kindes, daß alle Wesen dir alle Bitten gewähren müssen, die nicht das Schicksal verwehrt! – Nun auf! Nimm dein Kind auf den Arm! Aber halt es fest, – das rat' ich, – sehr fest! Und schließe die Augen, daß nicht Schwindel dich faßt. Denn hoch geht's hinauf! Und gar rasch reist er durch die Lüfte, der dein Freund ward: Odhin von Asgardh.«

Er legte ihr das ruhig schlafende Kind dicht an den Busen, schlug mit dem linken Arm den dunkeln, den langfaltigen Mantel mit gewaltigem Griff um Mutter und Kind, winkte mit der erhobenen Rechten nach oben und, die Erde mit dem Ballen des linken Fußes hinter sich abstoßend, das rechte Knie, leicht gebogen, erhebend, fuhr er sausend mit ihr durch den wallenden, rings scheu ausweichenden Nebel in die Höhe. Bald war die Nebelschicht überflogen und im hellsten Lichte der Sonne glänzte von oben her ihnen grüßend entgegen Asgardhs goldgetäfelter Burgwall.


XIV.

Nun stand Odhin mit der sprachlos Staunenden in Friggs Halle. Vor der schönheitstrahlenden Göttin sank die Sterbliche ins Knie, die Augen wie geblendet niederschlagend. »Oh wie schön!« hauchte sie, das dunkle Köpfchen senkend.

Leicht errötend über diese aufrichtige Huldigung löste die blonde Göttin, die hohe Gestalt gütig neigend, der Mutter sanft das schlummerde Kind aus dem Arm, drückte es einmal – hierbei viel stärker errötend und das edle Antlitz schämig von Odhin abkehrend – an den eignen stolzen Busen und legte es dann, ihm leise beschwichtigend zuwispernd – denn es regte sich nun – gar behutsam in einen Korb voll hochgehäuften, feinsten, weichsten Flachses. – Gleich stand sie wieder bei der immer noch Knieenden, richtete ihr zuerst das in Bestürzung gesenkte Gesicht in die Höhe und hob sie dann mit sanfter Gewalt vom Estrich auf. »Komm, Schwesterlein! Wir meinen's gut mit dir.«

Aber immer noch sprachlos schmiegte sich die junge Frau an den Gürtel der Göttin; die strich ihr, ermutigend, über das schlichte braune Haar.

In kurzen Worten teilte Odhin der Braut mit, welche Verwendung in Asgardh er der Zagenden zugedacht. Frigga nickte zustimmend und sprach:

»Wohl! Was immer und irgend
    Bidhja bittend begehrt,
Inbrünstig und aus allem Ernste,
    – Versagte nicht solches das Schicksal –
Das müssen ihr Menschen
    Und alle Wesen willig
Und gern auch die gütigen
    Götter gewähren«

»So tritt dein Amt gleich an,« sprach Odhin, »und versuche sofort die neue Begabung. Bitte, daß du mein nie mehr gedenkest.«

Da erschrak die Kleine, sie zögerte; schmerzerfüllt schlug sie die großen Augen auf: aber nicht zu ihm, der vor ihr stand – zu seiner Braut; angstvoll, hilfesuchend, sah sie empor.

»Ach nein, Herrin! – Wenn ich darf, – das möchte ich nicht bitten!« – »Und weshalb wohl nicht?« lächelte Frigg. – »Ich denke sein so gern! Es wird mir dann so weit in der Seele! Ich atme dann so groß und tief. Wie er – Er! – mein Gast war – meines armen Herdes! Ich will das nie vergessen.«

Da trat Odhin einen Schritt vor und sprach ruhig, ihr die Hand auf die Schulter legend: »So bitte, daß du meiner nur in Freundschaft gedenkest: ganz so, wie ich deiner gedenke.« – »Ja, war das jemals denn anders? Ich habe nie in Feindschaft –, hast du jemals in Zorn an mich gedacht?« – »Kind, frage nicht! Thu' wie ich dir rate!« Da schritt die Schüchterne dicht an ihn heran, schlug seinen Mantel zurück, legte, wie damals vor ihrer Hütte die offne flache Rechte auf seine linke Brust und sprach, die Augen demutvoll zu ihm erhebend: »So bitt' ich und bete, daß wir beide aneinander nur in Freundschaft gedenken.«

Unverändert, – ganz wie zuvor, – blieben nach diesen Worten des Gottes ernste Züge; väterlich ruhte sein Auge auf ihr. –

Aber Bidhjas Antlitz wandelte sich jäh.

Die gespannte Erregung sank. Der unbestimmte Schmerz, die Unruhe endete. Die halb wehmütige, halb glückliche Verträumtheit verflog. Der verschleierte Blick ihres Auges ward hell, ward nüchtern. Sie schritt rasch auf den Flachskorb zu, in welchem Fulla schlummerte, hob sie auf den Arm und rief lebhaft: »Aswin! Wo ist Er all diese lange Zeit? Aswin, mein lieber Mann! Ich will ja doch lange schon zu Ihm? Darf ich denn nicht?« fügte sie ungeduldig bei.

»Du sollst sogar,« sprach Odhin, mit der Hand deutend. »Dort hinaus! – Vor der Thüre – rechts – wird dir Lofn, meiner Braut Gürtelmagd, den Weg nach Walhall weisen, wo Aswin unter den Einheriar weilt. Grüß ihn von mir, für den er, tapfer kämpfend, sieghaft fiel. Sag' ihm –: Odhin schickt ihm Weib und Kind.« –

Mit kurzem, dankbarem Kopfnicken verschwand die Glückliche: vollbeschäftigt, ihr nun erwachend Kind zu schweigen. »Still, Fulla, Liebling,« mahnte sie, »es geht zum Vater


XV.

Nun sie allein waren, trat Odhin auf die Geliebte zu, langsam, nicht mehr in Bewegung und Blick mit der wilden zornigen Glut des Verschmähten: nein, still, befriedet, im seligen Bewußtsein des für ewig gesicherten Besitzes ihrer Seele. – – –

Unendlich liebesinnig schaute er mit den geheimnisdunkeln Augen auf das wunderschöne Weib, in ihre himmelsklaren Augen, neigte dann ein wenig das hohe Haupt und legte es, mit der Linken nur ganz zart sie umschlingend, sanft auf ihre rechte Schulter nieder. »Oh Geliebte – bald mein Weib – laß mich einen Augenblick in stillem, unaussagbarem Glück an deiner Brust diese kampfgefurchte Stirn, dies gedankenschwere Haupt verruhen. Oh welches Glück, welch friedlich stetes Glück ist dies Vertraun der Liebe! Hier – hier endlich – hier allein find' ich die Stätte, wo ich sicher ruhen mag.

Denn ach! einsam ist Odhin! –

Hasser hab ich in hellen Haufen – und ganze Nebelgeniste von Neidern: – mich freut der Feinde Vielheit: in die Winde verweh' ich sie lachend. – Allein das war doch tief, sehr tief traurig, daß auch von denen, die mich lieben, die mich ehren wollen, nicht Eine voll mich verstand, nicht Einer es ahnte, wie im tiefsten Kern des Wesens mir – bei all der feuerstürmigen Wildheit meiner Kraft! – nur eitel Güte wohnt. Allüberwältigende, allüberwindende Güte, mich selbst fortreißende, thöricht weiche Rührung des Herzens, der Wunsch, allüberall hin überschwänglich Glück zu verstreuen, jede Thräne zu hemmen, bevor sie niedergleiten kann; – daß niemand es ahnte, wie gütig ich sein möchte: – das schmerzte doch bitter, Geliebte!

Wohl lachte ich dann erst recht laut – vor den andern! – und Scherzwort auf Scherzwort schnellte ich, wie Pfeile, vom Mund. – Aber die Lippe zuckte dabei und es zuckte vor verhaltenem Weh mir das Herz; glaub es nur: mein Lächeln war meist schmerz-erkauft. Denn öde war mir das All: ach, ich hatte nicht Einen Vertrauten. Nun aber du mich liebst, – oh nun ist alles gut! Wie eitel Gold nun leuchtet mir die Welt! – Nun bin ich nicht mehr einsam – ich habe ja dich! Und vor deinen lieben klaren, klugen Augen will ich so gern aufdecken meines tiefsten Wesens letzten Urgrund, auch alle meine schweren Fehler –«

»Ich hab' sie lieb, die Fehler,« lächelte sie und strich ihm selig über Haar und Bart und koste diesen Bart zärtlich mit ihrer weißen, schönen, weichen Hand.

»In dich ergießen will ich all' meine stolzesten und meine traurigsten Gedanken. Du – nur du allein! – kannst mich verstehn, – ach – viel besser, als ich mich selbst verstehe.«

»Ja, das mag vielleicht sein,« sagte sie und griff nach seiner speerschaft-vertrauten, harten Rechten, die dem Fange des Adlers glich, und küßte sie demütig, aber sehr heiß. »Vielleicht! Und weißt du auch, warum? Lieben ist – Verstehen. Und ich liebe dich viel, vielmehr, Odhin, als du dich selbst. Und dich ganz verstehen, ist dich ewig lieben. So – siehst du – nimmt's kein Ende – mit Lieben und Verstehn: – Unendlich beides: – unausdenkbar selig.« – Hinsterbend ward ihr Wort zu leisem Hauch. –

Und wieder schwiegen beide – vor eitel Glück und eitel Liebe. –

Und so still ward es und so ruhig standen die beiden, daß die entflohene Taube, durch die offne Thüre hereinspähend, ganz zutraulich heranflog und sich, girrend und kopfnickend, auf dem Hochsitz niederließ.


Endlich begann Odhin, das Haupt von ihrer Schulter hebend: »Höre, Geliebte! Noch Ein Wort zu dir allein. Vor den Göttern allen werd' ich dir nun bald die Hochzeitsgaben reichen, die hoch gehäuft, in meinem Schatzhaus deines Jaworts harren – ach, wie lange schon! – Nicht vor den andern aber, – unter uns beiden allein – möcht' ich dir – jetzt gleich schon! – eine andre Hochzeitsgabe schenken. Sie ist recht winzig: – wirst du sie verschmähen?« – »Sie kommt von dir!« – »Es ist nur ein gar klein Ding, ein sehr unscheinbar Geschmeide! – Doch – vorher – laß dir noch andres erzählen.

Du erinnerst dich – ich fing einmal – vor Jahren schon! – den Schwarz-Elben ihren bösen, tückischen König weg und hielt ihn in Banden. Da brachten die Wimmelnden, ihn zu lösen, mir viele Schürzen voll rohen Berggoldes und auch, aus Gold geschmiedet, manch zauberkräftig Gerät. Unter all dem hochgeschichteten glanzleuchtenden Haufen lag auch ein schmales Fingergold. Dieser Ring sollte, wenn leise, mit leisem Wunschwort, gedrückt, das Herz bezwingen jedes Weibes.

»Verschenk' ihn nie,« warnten die kundigen Zottelbärte – »sonst verliert er auf immer seine Kraft, auch wenn du ihn wieder gewännest. Aber ach!« – klagten sie – »vollkommen gerät nicht Gerät auch meisterlichstem Meister. Sogar Thors Hammer ist ein wenig mißglückt: zu kurz gedieh uns der Stiel! So auch dieser Ring: – nicht alle Weiber kann er bezwingen.

Wir haben hineingeschmiedet zwei kleine goldne Natterlein: Eitelkeit, die gelbe, und Sinnengier, die rote. Eitelkeit oder Sinnengier – oder doch beide zusammen! – werfen Jungfrauen und Frauen. Aber Eine atmet, die werfen sie nicht. Frigga heißt sie, Fiörgyns hochgemute Tochter. Wohl weiß auch sie, daß sie schön ist, ja die Schönste von allen. Und es freut sie auch, ganz im geheimen. Wohl kreiset auch in ihren durchsichtigen Adern warmes Blut. Allein in dieser herben Seele thront ein unbezwingbar spröder Stolz, wie auf dem höchsten Felsberg ew'ger Schnee. Den wirft nichts um im Himmel und auf Erden, kein Zwang, auch nicht stärkster Zauberzwang. Nicht Sonnenglut von außen, nur von innen heraus mag ihn schmelzen jener glühende Feuerzauber, der da »Liebe« heißt. Doch ob Frigga lieben kann? Kein Weiser weiß es! Und nur Thoren glaubten es bisher. Gegen Frigga hilft nicht dieser Ring.« Da hätt' ich ihnen am liebsten ihren goldenen Bettel vor die Füße geworfen.«

»Und« – forschte die Göttin, vorwurfsvoll, aber sie vermochte nicht, so hart zu sprechen, als sie gerne wollte – »du hättest wirklich den Zauber gebraucht – gegen mich – wider meinen Willen . . .?«

Laut, wild, drohend lachte der starke Gott und die dunkelgrauen Augen funkelten.

»Ha, gewiß! Dich zu gewinnen – deinen süßen Leib und diese widerspenstige, unertragbar trotzige Seele – jedes Mittel war willkommen. Ja« – er trat ihr einen Schritt näher und sah ihr mit so grimmigem Verlangen in das Antlitz, daß sie den Blick nicht ertrug: »ohne Zauber, mit Gewalt, mit Mannes-Gewalt, wie eine Speer-Gefangene, hätt' ich längst die unbräutliche Braut zu meinem Willen mir hergezwungen, – machte dich nicht dieser dein dünner weißer Leinengürtel da, solang du ihn um die jungfräulichen Hüften geschlungen trägst, unüberwindlich jedem Mannesarm. Ah, wie ich ihn hasse, wie kein Ding sonst, diesen Linnenstreifen, dies verfluchte schmale Heiligtum.« –

Sie wollte ihm einen strafenden Blick zuwerfen. Aber das mißlang. Sowie sie auf sein Auge traf, schlug sie, leis erbebend, das ihrige nieder und flammende Lohe flog ihr über das weiße Antlitz bis unter das in kurzen Wellen gebrochene Haar über der Stirne. Sie wollte zürnen: sie konnte nicht: sie war in süßen Schauern entzückt im tiefsten Kern ihres Lebens: denn ein Weib war auch sie. – –

»Diesen Ring nun – den Liebesring – ich bitte dich: laß mich dir ihn – als erste Hochzeitsgabe – schenken. Und vernimm« – fuhr er leiser fort – »was niemand weiß und ahnt: – ich darf ihn dir stecken an deine reine Hand, diesen bösen Reif! – denn auch er ist rein: ich habe seinen Zauber nie benutzt: es hat mir immer widerstrebt.«

»Odhin,« hauchte sie und barg das edelgewölbte Haupt zärtlich an seiner breiten Brust, das Gesicht in seinem Barte vergrabend, »der Edlen Edelster du, mein Odhin: du bist groß.«

»Groß ist nur meine Liebe,« flüsterte er in das feingerundete Ohr. Er streifte nun den Ring, der hartnäckig widerstrebte – fest und scharf sich einbohrend in das Fleisch, wie ein lebendig Gewürm – vom vierten Finger der rechten Hand und steckte ihn an den entsprechenden Finger der Braut vor den Verlobungsring, den sie hier trug. Und sie suchte eifrig seinen Mund und küßte ihn glühend – es war der erste Kuß, den sie nicht empfing, den sie gab. –

»Und wann – wann ist die Hochzeit, Frigga?« fragte er hastig. »Morgen?«

»Nein, du Vielkluger!« lächelte sie und sah ihn holdselig an und schüttelte ein klein wenig schelmisch das blonde Haupt. – »Übermorgen erst?« trauerte er. – »Nein, du Heißgeliebter! Heute! In dieser Stunde! Jetzt! Gleich! – Rasch, stoß in dein hallend Horn! Ruf alle Götter, alle Göttinnen herbei! Thor mit dem Hammer, zum Weib mich zu weihen! Rasch! Einmal entschlummern dürfen – hier! – das Haupt auf deiner Brust! Ah, Odhin!« – das hauchte sie, kaum vernehmbar, süß erschauernd an seine Wange sich schmiegend, – »ich vergehe ja vor Sehnsucht, dein zu sein!«


XVI.

Laut schmetternd, wie noch nie zuvor, hatte von Fensals Hochschwelle aus das treue Horn durch die weiten Himmel gehallt: es ward sein letzter Dienst: es zersprang bei des siegfrohlockenden Gottes gewaltigem Atem! –

Heran stürmten alle Götter und Göttinnen, aufgeschreckt, als seien die Riesen eingedrungen in Asgardh. Allen vorauf sprang herbei Thor, den mächtigen Hammer schwingend. Aber er hatte damit nur – auf Odhins Begehr – des bräutlichen Weibes weiße Stirn und Haar zu berühren. Und staunten da alle höchlich und freuten sich gar sehr. Denn längst hatten sie die Vermählung gewünscht und oft und laut und heftig gescholten auf die eisige Frigg. –

Und Bidhja bat, – und wahrlich nicht vergeblich! – zusammen mit Lofn schmücken zu dürfen die wunderbar erstrahlende Braut. Unter dem weißen Schleier von feinstem, durchsichtigem Linnen hervor leuchtete auf dem stolzen Busen das Halsgeschmeid, das da der Anmut niemals weichenden, immer jungfräulichen Zauber leiht. Und alle Göttinnen sagten, so schön hätten sie Frigga nie gesehen und nie geglaubt, weil niemals noch diese strengen Züge so von Wärme, von geheim durchglühender, stolzer Freude belebt gewesen waren. Und alle Göttinnen sprachen ihren Heilwunsch der Braut; auch Freia; aber bei dem letzten Worte wischte diese – ungesehen – mit ihrem roten Haar rasch über die feuchten Augen hin.


Und vor Fensals Eingangsstufen, auf dem immer grünenden Rasen, ward das Brautzelt aufgeschlagen; es ward geschmückt mit allen Kleinoden von Asgardh und mit allen Blumen der Erde. Aber Odhin, nachdem er all die Pracht gemustert, ergriff schweigend seinen Speer und stieß oben in den Spitzgiebel des Linnendaches ein Loch, so daß ein Stern, ein wunderbar schöner, gerade auf das bräutliche Lager sah. – – –

Gar bald zog er – kaum war es dämmerdunkel geworden – an der Hand die Geliebte von dem lärmenden Festmahle hinweg. Sie folgte, leis erbebend, aber ohne Widerstand, ja rasch dahinschreitend.

Und Thor mit dem Donnerhammer hielt die Brautwacht zwanzig Schritte weit von dem Zelt gen Aufgang; und Freir mit dem Sonnenspeer hielt die Brautwacht zwanzig Schritte weit von dem Zelt gen Mittag; und Tyr mit dem Siegesschwert hielt die Brautwacht zwanzig Schritte weit von dem Zelt gen Niedergang; und Ullr mit Bogen und Pfeil hielt die Brautwacht zwanzig Schritte weit von dem Zelt gen Mitternacht, auf daß kein Späher, kein Lauscher, ja kein leisester Laut störe der Vermählten heilig geheime Wonnen. – – –


Und in dieser Nacht ward gezeugt ein Knabe; dem haben bei der Namenweihe die Nornen den Namen »Baldur« gegeben: er ward die Wonne der Welt.

 


 


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