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Eines Abends kam Sannchen hastig nach Haus gerannt, ganz gegen ihre Gewohnheit, sie liebte eher ein bequemes Schlendern; geradewegs in die Küche kam sie, wo sich Pimpernellche mit der Zubereitung eines Härings beschäftigte, was ihr ein Gräuel war.
»Du, ich hab'n g'sehe!« rief sie triumphierend, ganz nach Kinderart diesmal.
66 »Wen?« fragte Pimpernellche, obwohl sie's wußte und dunkelrot geworden war.
»Wen?« machte Sannchen, fast geärgert, »natürlich den vom Sonntag. Er war vorm Institut, und mir sin all in eener Reih' gange', die ganz Straß' hawen m'r gebraucht. Er hat uns awer ä Kompliment gemacht! Wie vor'm Ferschte! Die Annere hawen zu kichere angefange, aber ich hab'm fein gedankt. G'rad so war er angezoge wie am Sonntag, und die Kläre sagt, er hätt' uns alsfort uff die Füß geguckt. Es is awer aach ä Skandal, ä paar hawen noch so kurze Röck –! – unn ä Maler is er, nun Herr von Reitz heeßt er, des weeß ich alles!«
Damit machte sie Pimpernellche einen spöttischen Knix und war wieder verschwunden.
Pimpernellche schlief mit seligen Gedanken an ihn ein und nahm am nächsten Morgen seufzend ihren großen Marktkorb, um einzukaufen.
Wenn er sie so sähe! Sie tröstete sich damit, daß junge Herrn seines Schlages kaum vor neun Uhr schon Toilette gemacht und gefrühstückt haben könnten. Sie stellte sich natürlich vor, wie er im elegantesten Zimmer des ersten Hotels in einen 67 seidnen Schlafrock »gewickelt« seine Schokolade »schlürfte« und seine »feinen, wohlgepflegten« Hände die Briefe und Zeitungen musterten.
Da! – o Schrecken über Schrecken, da kam er! Sie blieb wie angewurzelt stehen, in echt weiblicher Schlauheit ließ sie den großen Korb zur Erde gleiten und stellte sich, wie wenn sie die Blumen der Verkäuferin mustere. Das Blut drohte ihre Backen zu sprengen, die Kniee zitterten, sie verstand kein Wort der Verkäuferin, der ganze Markt drehte sich um sie – da hörte sie eine Stimme, aufschauen konnte sie nicht, seine Stimme, zuerst in gleichgültigem Handel mit der Verkäuferin, – er wählte einen großen Strauß Veilchen, – dann zu ihr gewendet in leisem, ehrerbietigen Ton:
»Gestatten Sie, mein gnädiges Fräulein?«
Und wirklich, sie brachte es fertig, sie schaute ihn an. Schön sah sie im Augenblick nicht aus, so dunkelputerrot, mit unsicherem Blick und dem krampfhaft zum Lächeln verzogenen Munde, aber: »lächle, lächle, verscherze Dein Glück nicht, halte Dich aufrecht, bedenke, aus welchem Holz Du bist!«
Und sie hielt sich kerzengrade, sie schaute ihn an mit gewaltsam aufgesperrten Augen, ungefähr so 68 wie man in die Sonne schaut. Ungefähr so viel sah sie auch von ihm, was man von einem Blick in die Sonne sieht, sie streckte die Hand nach den Veilchen aus, sie versuchte sie mit bebenden Fingern an ihrer Taille zu befestigen, sie brachte ein freudiges und doch gemessenes »Oh, danke!« zu stande und erwiderte auf seine Vorstellung mit einer regelrechten Verbeugung. Also wirklich Künstler?
Ihr Herz hüpfte unter einem Tusch von Trompeten, unter Flöten und Cymbelgetön. Ja sie stand mit Hoheit vor ihm, aber endlich entschloß sie sich zum Gehen.
»Würde Ihnen meine Begleitung lästig sein?« frug er in einem warmen, dringlichen Flüsterton, der sie verwirrt machte und sich um sie schloß wie weiche, schwüle Luft.
Da sie nicht gleich antwortete, fragte er noch einmal: »Gestatten Sie, gnädiges Fräulein?«
»Bitte!« sagte sie gepreßt. Wie gern hätte sie ihren Jubel in den Morgen hinausgeschrieen, aber das ging doch nicht!
In vornehmem Schweigen blieb er an ihrer Seite.
69 »Sie! Sie! De Korb! Ehr'n Korb!« kreischte ihr die Verkäuferin nach.
Pimpernellche wandte sich um und winkte ihr ab, doch schon war er an dem Stand, nahm den Korb und überreichte ihn mit einer Verbeugung.
Sie blieb stehen, fassungslos und rot vor Scham.
»Aber, Sie, – Sie werden doch nicht mit mir gehen wollen, wenn ich –«
Er mit Ernst und Würde: »Beruhigen Sie sich doch, gnädiges Fräulein, mir gelten Äußerlichkeiten nichts! Die Seele einer Fürstin kann im geringsten Gewande stecken, und ich suche nur die Seele.«
»Und glauben Sie bei mir eine schöne Seele zu finden?«
»Ja, sicher; dafür bürgt mir die königliche Linie Ihres Nackens.«
Sie beugte diesen »königlichen Nacken« tiefer. Welch eine Sprache! Welch ein Mann! Und das war nicht etwa im Ton eines albernen Komplimentes gesagt.
»Ich bin nur ein Aschenbrödel.«
»Wissen Sie nicht, was aus Aschenbrödel geworden ist?«
70 »Ja, oh ja – aber es giebt keine Prinzen.«
»Wenn es echte Aschenbrödel giebt, warum sollte es keine echten Prinzen geben? Doch wir sind gleich an Ihrem Heim, und ich habe Ihnen nicht einmal erklärt, warum ich mir die Kühnheit erlaubte Sie anzusprechen. Könnten sie es nicht ermöglichen, einen ganzen Nachmittag von zu Hause weg zu sein, um einen Spaziergang zu machen? Ja? Ich würde Ihnen sehr dankbar sein. Und nehmen Sie Ihr reizendes blondes Schwesterchen mit, es wird sonst nicht gut gehn in der kleinen Stadt, Sie verstehen?«
»Vollkommen. Ich will es gern thun, und teile es Ihnen noch poste restante mit, nicht?«
»O ja, bitte!«
Dabei faßte er ihre Hand – zum Glück hatte sie ihre besten Handschuhe an und nicht diese ekelhaften Zwirnhandschuhe, die sie sonst an Markttagen trug, und sah sie an. Der Blick! –
Und wie seine Hand die ihre umfaßte! Alles hätte sie für ihn gethan, und wenn er ihr in dem Augenblick einen Dolch vorgehalten hätte, so – so – immer näher und dann hinein mitten ins Herz, sie hätte Stand gehalten, sie schon.
71 Ob sie wirklich als irdisches Weib zur Hausthüre hereingekommen, oder ob sie geschwebt war, wußte sie nicht. Zum Glück stand der Küchenstuhl parat, sie fiel geradewegs darauf nieder, dann stellte sie den Korb mit einer Zärtlichkeit hin, wie wenn sie ihm eine Zärtlichkeit erwiese. Daß er leer war und sie ihre Pflichten gröblich verletzt hatte, bemerkte sie in ihrer Verzückung nicht. Ihre Gefühle regten die Flügel und schwangen sich auf und rauschten mächtig. Sie hätte die Arme ausbreiten mögen in Ekstase und weinen und schluchzen und schreien vor unsagbarem Glück.
* * *