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Die Rechte.

Und Grete Lassen gefällt dir auch nicht, Rudolf?«

»Nein, Mutter.«

»Sie ist doch sehr hübsch.«

»Aber dumm.«

»Lisa Wagner war dir zu gescheit.«

»Ja, die beiden sind zu große Gegensätze. Eine dumme Frau kann ich so wenig brauchen wie eine, die klüger sein will als ich.«

»Wie ist es dann mit Lenchen Seidel?«

Rudolf Hansen stöhnte herzbrechend und warf einen komisch hilfeflehenden Blick in das liebe, gütige Gesicht seiner Mutter, das sich unter dem weißen Haar vor Eifer gerötet hatte. Seine hübschen, energischen Züge verzogen sich drollig, und in seinen Augen blitzte der Schelm.

»Ach, Herzensmutter – was hab' ich denn verbrochen, daß du mich dieser zimperlichen Zierpuppe ausliefern willst? Das ist eine von denen, die bei jedem verweigerten neuen Hut in Ohnmacht fallen oder Schreikämpfe kriegen. Brrr – das ist grausig. Nee, nee – laß mir meinen Frieden und quäle mich nicht mehr mit Heiratsplänen.«

»Aber du bist doch nun schon fünfunddreißig Jahre alt. Willst du denn ewig ein Junggeselle bleiben?«

»Warum denn nicht, Mutter?« antwortete Rudolf, sich rittlings auf einen Stuhl setzend und die liebe, alte Dame so recht verschmitzt und behaglich anstrahlend. »Ich befinde mich doch ganz famos dabei. Du hältst das Hauswesen tadellos imstande, meine Freunde und Bekannten beneiden mich und kommen am liebsten zu uns, weil du so viel Behaglichkeit um dich verbreitest. Mit keinem andern weiblichen Wesen würde ich mich so gut verstehen wie mit dir.«

Die Mutter sah halb zärtlich, halb bekümmert in sein gebräuntes, frisches Gesicht.

»Denk' doch an später, Rudolf, wenn ich mal nicht mehr bin. Bald bin ich sechzig Jahre alt. Und ganz offen – ich sehne mich nach Ruhe. Der große Haushalt fordert Kräfte, gerade weil du gern Gäste bei dir siehst. Wir haben immer ein gastfreies Haus geführt, und das sollst du auch tun. Aber ich schaffe es nicht mehr allein.«

»So nimm dir doch eine tüchtige jüngere Kraft, die dir das schwerste abnimmt.«

»Ach, geh' mir mit bezahlten Leuten. Das ist nichts. Ich habe schon mit den Bediensteten genug Ärger. Nein, nein, eine junge Frau muß ins Haus, das ist die natürliche Lösung. Es gibt so viel nette Mädchen. Aber an allen hast du auszusetzen. Du mußt dir doch auch sagen, daß es die Pflicht eines jeden gesunden, vernünftigen Mannes ist, eine Familie zu gründen. Reich genug bist du, um wählen zu können, wie es dein Herz verlangt. Soll denn mit dir deine Familie aussterben? Wem willst du mal dein Vermögen, deine Fabrik, dies liebe alte Haus hinterlassen? Sollen fremde Menschen die Früchte des Fleißes ernten, die unter deinen und deines Vaters Händen gereift sind?«

Rudolfs Gesicht war sehr ernst geworden. Er fuhr sich über die Stirn, als wollte er etwas fortwischen.

»Heute machst du mir besonders warm, Mutter.«

»Muß ich nicht? Du hörst ja nie auf mich in dieser Angelegenheit. Es ist ein Kreuz mit deiner Ehefeindlichkeit.«

»Ein Ehefeind bin ich nicht, Mutter, aber ich – ach – quäle mich doch nicht.«

Er sprang auf und ging unruhig auf und ab.

Die alte Dame ließ sich seufzend in ihren Lehnstuhl am Fenster nieder.

»Nein, mein Junge – quälen will ich dich nicht.«

Er streichelte ihre Hände.

»Sieh nicht so sorgenvoll aus,« bat er herzlich.

Sie zwang sich zu einem Lächeln.

»Wenn dir nur ein einziges Mal ein Mädchen gefallen wollte. Aber dir ist wohl noch nie eine begegnet, an der du nichts auszusetzen gehabt hättest.«

Rudolf sah mit einem ernsten Blick in ihre liebevoll forschenden Augen. Dann sagte er zögernd:

»Doch Mutter, einmal ist mir eine begegnet, die hätte ich vom Fleck weg geheiratet – aber sie entschwand aus meinem Leben so schnell, daß ich sie nicht halten konnte. Und ich kenne nicht einmal ihren Namen und ihren Aufenthalt. Aber vergessen kann ich sie nicht. Nein, nein – erschrick nicht – an gebrochenem Herzen sterbe ich nicht – so romantisch ist die Sache nicht. Aber siehst du, trotzdem sie mir nur so über den Weg gelaufen ist – sie gefiel mir so gut wie keine andere vorher und nachher. Und alle muß ich mit ihr vergleichen.«

Die alte Dame streichelte erschrocken seinen Arm.

»Davon wußte ich nichts – ich ahnte nichts. Ist da alle Hoffnung verloren?«

»Ja – ich finde sie wohl nie mehr. Aber laß uns nicht mehr davon reden. Später erzähl' ich dir's einmal, nicht wahr? Du läßt mich nun in Ruhe mit deinen Plänen – vorläufig wenigstens. Nimm dir eine Stütze – du sollst dich nicht überanstrengen. Und nun gute Nacht, liebe Mutter!«

Er küßte sie und ging schnell hinaus, um sein Zimmer aufzusuchen. Dort warf er sich auf den Diwan, um noch eine Zigarette zu rauchen vor dem Schlafengehen. Wie alle Zimmer im Hause, so war auch dies mit einer soliden, behaglichen Eleganz ausgestattet. Schöne Teppiche und Portieren gaben dem Raum etwas Trautes, Wohnliches.

Rudolf sah träumerisch sinnend den Rauchwölkchen nach. Das Gespräch mit seiner Mutter hatte die Erinnerung geweckt an ein Erlebnis, das einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht hatte.

Vor zwei Jahren war es gewesen, im Frühsommer. Seinem Hang zu einsamen Wandergängen nachgebend, hatte er sich einige Tage vom Geschäft losgemacht, um das reizende Selketal im Harz zu durchwandern. Im schlichten Touristenanzug war er aufgebrochen und marschierte so recht von Herzen vergnügt durch die Frühsommerpracht des Harzes.

Mitten im Walde erkletterte er, als er sich über den Weg nicht recht einig war, einen steil aufragenden Felsen. Dabei trat er versehentlich auf einen Vorsprung, den er für fest gehalten hatte. Das Gestein bröckelte ab, und er fiel jäh in die Tiefe zurück. Erheben konnte er sich nicht mehr, sein linker Unterschenkel war gebrochen.

Es war still und menschenleer um ihn her. Seine Hilferufe vernahm kein Mensch. Stundenlang lag er auf dem Waldboden, ohne sich rühren zu können. Zu dem Schmerz gesellten sich Hunger und Durst, und seine Lage war sehr unerfreulich. Trostlos und erschöpft stellte er die Hilferufe ein und verfiel in eine dumpfe Gleichgültigkeit. Die Stelle, wo er lag, war abseits gelegen von der breiten Straße. Er liebte auf seinen Wanderungen gerade die wenig begangenen Pfade. Wenn ein Zufall nicht Menschen in seine Nähe führte, konnte er elend verschmachten.

Als er schon alle Hoffnung auf Erlösung aufgegeben hatte, hörte er plötzlich aus der Ferne den Gesang einer Frauenstimme. Näher und näher schien die unsichtbare Sängerin zu kommen. Wie elektrisiert richtete er sich auf, soweit es sein Zustand zuließ. Dann nahm er alle Kraft zusammen und rief laut um Hilfe.

Der muntere Gesang verstummte sofort – es tat ihm fast leid, denn klar und warm und so frühlingsfrisch und froh war die Stimme der Sängerin gewesen. Aber seine Not veranlaßte ihn, nochmals um Hilfe zu rufen.

Wenige Minuten später trat eine junge Dame von vielleicht zweiundzwanzig Jahren zwischen den Bäumen hervor und sah sich vorsichtig spähend um. Sie trug ein schlichtes Lodenkostüm mit einer weißen Leinenbluse, dazu ein Filzhütchen, welches sehr kleidsam auf dem reichen, braunen Haar saß. Auf ihrem Rücken hing ein kleiner Rucksack, und in der Hand trug sie einen ziemlich derben, festen Stock – wohl zur Stütze und zum Schutz, denn sie war allein. Sicher war es eine Touristin, die gleich Rudolf Hansen unbetretene Pfade liebte.

In ihrem von der Luft frisch geröteten hübschen Gesicht erschien ein forschender, prüfender Ausdruck, als sie den Verunglückten erblickte. Staubig und elend, wie er aussah, machte er keinen allzu vertrauenerweckenden Eindruck auf sie. Trotzdem trat sie, ihren Stock fester fassend, einen Schritt näher.

»Haben Sie um Hilfe gerufen?« fragte sie ruhig, ihn mit den großen, klaren Blauaugen fest anblickend.

Dieser Blick löste ein seltsam wohliges Gefühl in ihm aus. »Was für ein kraftvolles, lebensfrisches Geschöpf – und wie mutig sie ist,« mußte er denken.

»Ja, mein gnädiges Fräulein. Gott sei Dank, daß Sie mich gehört haben.«

»Sind Sie in Not? Was ist geschehen? Kann ich Ihnen helfen?«

Er erzählte in kurzen Worten, was geschehen war. Sein hilfloser Anblick bezeugte wohl zur Genüge die Wahrheit seiner Worte. Ohne noch ein Wort zu verlieren, warf sie Stock und Rucksack auf den Boden, zog schnell ihre Jacke aus und kniete neben dem Verwundeten nieder.

»Lassen Sie sehen – ich bin die Tochter eines Arztes und habe einige Erfahrung,« sagte sie ruhig und bestimmt und befreite mit großem Geschick den Fuß des gebrochenen Beines von Schuh und Strumpf.

»Das ist ein glatter Bruch, so viel ich erkennen kann. Leider ist das Bein schon arg angeschwollen. warten Sie – ich will Ihnen einige Linderung verschaffen.«

Eilig öffnete sie ihren Rucksack. Da kam zuerst ein Plaid zum Vorschein. Das wickelte sie zusammen und legte es ihm unter den Kopf. Dann zog sie einige Taschentücher heraus und blickte sich um. »Ich laufe nur zum Fluß hinüber,« sagte sie, ihm ermunternd zunickend, »wir müssen vor allen Dingen Wasser haben!«

Im Gehen löste sie den Filzhut vom Kopf und eilte davon. Nach wenigen Minuten tauchte sie wieder auf, vorsichtig ihren mit Wasser gefüllten Hut vor sich her tragend.

In diese improvisierte Waschschüssel tauchte sie die Taschentücher und legte sie als Umschlag auf die Geschwulst. Ah – wie das Wohltat! »Ist es nun ein wenig besser?« fragte sie lächelnd.

»Viel besser. Wie soll ich Ihnen danken, mein gnädiges Fräulein, für Ihren großherzigen Samariterdienst!« antwortete er.

»Da gibt es gar nichts zu danken,« sagte sie freundlich. »Es ist doch Menschenpflicht, zu helfen, wenn man jemand in Not sieht.«

»Eine andere wäre vielleicht an Ihrer Stelle davongelaufen. Frauen pflegen in solchen Fällen sehr ängstlich zu sein.« –

»Ach – das will ich zu Ehren meines Geschlechtes nicht glauben. Aber es ist jetzt nicht Zeit zu solchen Betrachtungen. Sie müssen so bald wie möglich in ärztliche Behandlung. Leider ist niemand weiter in der Nähe. Laufen können Sie nicht, und, obwohl ich nicht zu den Schwächsten gehöre – tragen kann ich Sie nicht. Bis Alexisbad ist es doch wohl noch eine Stunde Wegs. Es hilft nichts – ich muß Sie Ihrem Schicksal überlassen, um Hilfe herbeizuholen. Können Sie die Kompressen selbst erneuern? Ich rücke Ihnen den Hut mit dem Wasser in greifbare Nähe.«

»Ja, ja – es wird schon gehen. Es tut mir so leid, Ihnen Mühe und Umstände zu machen und Ihre Zeit in Anspruch zu nehmen.«

»O, ich habe augenblicklich keine andere Verwendung für meine Zeit, als in der Natur herumzubummeln. Luft schnappen kann ich auch auf diesem Gang nach Alexisbad. Darf ich Ihnen einen Schluck Wein anbieten? Ich habe ein Fläschchen als Arznei bei mir.«

»Ach – wie dankbar nehme ich's an, ich bin vor Hunger und Durst halb verschmachtet.«

Sie lachte.

»Ei – da kommt Ihnen wohl eine Schinkenstulle auch nicht ungelegen?«

Sie holte aus dem Rucksack ein ganz famoses Frühstück. So gut hatte es Rudolf Hansen noch nie in seinem Leben geschmeckt. Die Schmerzen hatten unter den wohltätigen Umschlägen nachgelassen, der Wein belebte seine Kräfte, und die appetitliche Schinkenstulle entzückte ihn geradezu. Er haschte nach der Hand seiner Helferin und zog sie in stummem, inbrünstigem Dank an die Lippen. Seine Augen redeten aber dabei eine gar deutliche Sprache, und die junge Dame wurde unter seinen bewundernden, dankbaren Blicken ein wenig rot.

Nachdem sie den Umschlag noch einmal erneuert und frisches Wasser im Hut herbeigeholt hatte, machte sie sich auf den Weg, um Hilfe zu holen. Ohne Hut und Jacke, ihren Rucksack zurücklassend, lief sie eilends davon.

Rudolf war in einem traumähnlichen Zustand zurückgeblieben. Lieblich gaukelte das hübsche, lebensfrische Gesicht seiner Samariterin vor seinen geistigen Augen – und in jener Stunde hatte Rudolf Hansen sein Herz an ein Mädchen verloren, von dem er nichts wußte, als daß sie hilfsbereit, mutig und ohne Ziererei ihr schlichtes Menschentum betätigte. Schneller, als er gehofft, kam sie mit Leuten zurück, die ihn auf einer Bahre bis zum Fahrweg trugen, wo ein Leiterwagen stand, der ihn aufnahm. Die junge Dame leitete selbst umsichtig seine Überführung und setzte sich neben ihn auf den Wagen.

Unterwegs erfuhr er noch, daß sie dafür gesorgt hatte, daß er sofort im Hause eines Arztes in Alexisbad Aufnahme fand. Auf seine bescheidenen Fragen nach ihrer eigenen Persönlichkeit gab sie ihm nur kurze Antwort. Er hörte nur von ihr, daß sie Waise und bei einer alten Dame in Stellung sei, und daß sie sich auf einer achttägigen Urlaubsreise befand und den Harz, in dem sie geboren war, zur Erholung und Erbauung durchstreifte. Es stand fest bei ihm, dieser Begegnung eine Fortsetzung zu geben. Nur wußte er noch nicht, wie er sie bitten sollte, ihm später zu gestatten, sich ihr zu nähern. Ehe er noch darüber im klaren war, kamen sie in Alexisbad an. Während man ihn vom Wagen in das Haus des Arztes trug, verschwand seine Retterin spurlos. Sie wußte ihn ja nun in Sicherheit. Seinem Dank wollte sie wohl entgehen.

Und er sah sie nie wieder.

Wie sie gekommen, war sie entschwunden. Alle Nachforschungen, die er anstellte, waren erfolglos. Telegraphisch hatte er seine Mutter herbeirufen lassen, die ihn gesund pflegte. Sie ahnte nicht, daß er bei diesem Unfall sein Herz verloren hatte. –

Aber er vergaß die barmherzige Samariterin nicht. Und wenn ihm seine Mutter irgendeine junge Dame zur künftigen Gattin empfahl – dann erschien vor ihm ein liebes, lachendes Gesicht mit klaren blauen Augen, von dichtem braunem Haar umrahmt. Und er hörte die warme, frische Stimme, die ihm einst Rettung aus Not und Pein verhieß.

Wo mochte sie weilen, die Unbekannte, Namenlose? Würde er sie nie, niemals wiederfinden? Hatte sie, die seines Seins Vollendung hätte werden können, nur wie ein schönes Traumbild seinen Weg gekreuzt? –

Einige Wochen später teilte Frau Hansen ihrem Sohne mit, daß sie eine junge Dame zu ihrer Unterstützung im Haushalt angenommen habe. Diese war ihr von einer befreundeten Dame warm empfohlen worden. Fräulein Käthe Lindner war bisher bei der Schwester dieser Dame in Stellung gewesen, die vor kurzem gestorben war.

Rudolf war es sehr zufrieden. Seine Mutter war entzückt von Fräulein Lindner, die sich bereits in Rudolfs Abwesenheit vorgestellt hatte. Schon am nächsten Tage sollte sie eintreffen.

Und als Rudolf am nächsten Tage aus der Fabrik nach Hause kam, sagte ihm seine Mutter, daß Fräulein Lindner von nun an als Dritte an ihren Mahlzeiten teilnehmen würde. Sehr lieb war ihm das nicht. Aber die Mutter schien diese junge Dame schon ganz in ihr Herz geschlossen zu haben.

»Du wirst sehen, Rudolf, sie ist eine sehr angenehme Hausgenossin. So ein frisches, kluges und verständiges Geschöpf – ich bin ganz vernarrt in sie. Doch du wirst selbst sehen – komm' zu Tisch, sie erwartet uns schon im Speisezimmer,« sagte die alte Dame lebhaft.

Rudolf reichte ihr den Arm und führte sie hinüber. Als er neben seiner Mutter in das Speisezimmer trat, stand – vom hellen Sonnenlicht umflossen – ein blauäugiges, braunhaariges, schlankes Mädchen neben der gedeckten Tafel. Wie ein Ruck ging es durch seine Gestalt. Und dann eilte er auf die Überraschte zu, ergriff ihre Hände und zog sie an seine Lippen.

»Sie, mein gnädiges Fräulein? Meine barmherzige Samariterin – Sie sind Fräulein Lindner? Ach – Gott sei Dank, daß ich Sie endlich wiederfinde!« rief er mit so warmem Entzücken im Ton, daß seine Mutter freudig lauschte.

Käthe Lindner war sehr rot geworden und sichtlich erschrocken. Betreten sah sie nach der alten Dame hinüber, die aber gütig lächelte.

»Sie kennen meinen Sohn? Rudolf, du kennst Fräulein Lindner?«

Er gab hastig eine Erklärung, ohne das junge Mädchen aus den Augen zu lassen.

Bei Tische unterhielt er sich sehr angeregt mit ihr und gab seiner Freude Ausdruck, ihr endlich seinen Dank abstatten zu können. Sie hatte ihre Munterkeit wiedergefunden und versicherte ihm, daß sie sich für die Schinkenstulle und das Glas Wein schon schadlos halten wolle in seinem Hause. Rudolf war wie berauscht von ihrem frischen, lebensfrohen Wesen, und seine Mutter beobachtete mit heimlicher Freude, wie seine Augen strahlend an der neuen Hausgenossin hingen.

Als Käthe Lindner nach Tisch in die Küche ging, um den Kaffee zu besorgen, sagte die alte Dame lächelnd:

»Also das ist endlich die Rechte, Rudolf, – nicht wahr?«

Er umarmte die Mutter stürmisch.

»Ja – sie ist es. Und wir lassen sie nicht wieder fort, Mutter. Gelt – sie ist dir recht als Schwiegertochter?«

Die alte Dame küßte ihn, und ihre Augen feuchteten sich.

»Soll sie mir nicht recht sein, da ich sehe, wie sie deine Augen strahlen macht! Aber weißt du denn auch, ob sie dich will?«

Er atmete tief auf.

»Ja, Mutter – an dem ersten überraschten Blick hab' ich's gemerkt. Sie hat mich so wenig vergessen, wie ich sie.«

Und er hatte recht.

Käthe Lindner hatte oft genug an den jungen Mann gedacht, den sie damals hilflos im Walde fand. Als sie ihn nun so unerwartet vor sich sah als ihren künftigen Brotherrn – da verließ sie einen Augenblick ihre feste, unerschrockene Tapferkeit. Und ihre Augen hatten ihr Empfinden verraten ...

Drei Monate später wurde Käthe Lindner Rudolf Hansens Frau. Gleich am nächsten Tag hatte ihr Rudolf Herz und Hand angeboten. Und Frau Hansen brachte ihre künftige Schwiegertochter gleich wieder in das Haus ihrer Freundin zurück, wo sie bis zur Hochzeit verblieb.

 

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