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Eine Woche darauf ritt Amadis, Gaweins jugendlicher Schildknappe, der eigentlich Alliene die Jungfrau war, allein quer durch die Wälder, die des Königs Assentijn und König Mirakels Länder vom Reich des Königs Artur trennten. Er war auf dem Wege nach Camelot, wohin Gawein ihn gesandt hatte, um endlich den Tod des Mordred und des Didonel zu melden.
In stiller Eifersucht litt er gar zu sehr, wenn er Gawein und Ysabel zusammensah – und darum hatte er mit bewegten Worten Gaweins Einwände besiegt und zog nun allein durch die gefahrvollen Wälder, doch er war nicht furchtsam –, Alliene, die Jungfrau, war nicht furchtsam: Armut und Elend hatten sie in der verfallenen Burg ihres Vaters gelehrt, keine Furcht vor möglichen Unfällen zu hegen. Die Waffenrüstung ihres Bruders lastete nicht allzu schwer auf ihren zarten Schultern, ja, sie vermochte sogar das gewichtige Schwert zu schwingen. Drachen hausten ja freilich nicht mehr in den Höhlen der Wälder! Alliene, die Amadis hieß, hatte sich nun also auf den Weg gemacht mit des Gawein Botschaft, daß Mordred und Didonel zwei heimliche Schurken gewesen, doch daß sie nun erschlagen und dann unter Gebeten für ihrer Seelen Heil ehrlich begraben seien, und daß das Schachbrett für den Augenblick unauffindbar sei.
Fürwahr: das Schachbrett hatte sich nicht wieder gezeigt, und wohin sollte Gawein die Schritte lenken, wenn es sich nicht mehr zeigen wollte? So verweilte er denn auf Endi, versöhnt mit seinem Schwiegervater, und voller Minne zu Ysabel. Sie saßen beieinander in der breiten Nische vor dem Bogenfenster und lasen mitsammen seinen eigenen Roman: wie er dereinst das erste schwebende Schachbrett gesucht hatte. Oder sie ritten zu zweit auf die Jagd mit dem Falken auf der Faust.
Und Amadis ritt jetzt wehmütig durch die endlosen Wälder, ohne Furcht, doch auch ohne Hoffnung, ohne Freude am Leben, weil es um die Minne allzeit so traurig bestellt war, wenn der eine dem anderen Liebe schenkte und dafür nicht immer Liebe empfing. So liebte Amadis Gawein, und so liebte Gawein Ysabel, die doch einen anderen liebte, wie sie es selber eingestanden hatte. Und düstere Schatten fielen aus den dicht beblätterten Bäumen, und Schatten fielen auf sein Gemüt, und nur matt glänzten die Sonnenstrahlen, und nur selten umspielten flimmernde Sonnenflecken den jungen Ritter, der auf moosigem Grund über die von Unkraut überwucherten Wege dahinritt.
Und die Vögel schwiegen, weil die Wolken tief auf die Baumkronen drückten.
Hin und wieder raschelte eine Schlange im Grase, wand sich zwischen Felsblöcken dahin, verschwand geheimnisvoll unter dorrenden Blättern, die zusammenschrumpften oder zwischen den sattroten Pilzen vor Feuchtigkeit verfaulten.
Nun aber erklangen deutlich Menschenstimmen in der Ferne, und das Pferd spitzte die nervösen Ohren, und Amadis lauschte und suchte zu ergründen, was ihm wohl für eine Begegnung, gut oder böse, bevorstünde.
Dort, wo der Weg abbog, wo Felsen eine rauhe Schlucht umsäumten und der Sonnenschein aus nun freiem Himmel greller in den Wald fiel, die Schatten tiefer dunkelten: dort kam eine Schar von Rittern dahergeritten ...
Eine Schar? Nein ...
Amadis zählte nur ihrer sieben ...
Allein ihre Worte dröhnten gewaltig, mit ihren breiten Rossen versperrten sie den schmalen Weg. Ihre Rüstungen klirrten, und Eisen und Stahl rasselten aneinander, daß es schien, als wären es ihrer mehr, denn es in Wirklichkeit waren.
Amadis, der wohl wußte, wie leicht Unheil und Mißgeschick entstehen konnte, bekreuzigte sich hinter seinem Schild, ritt indessen furchtlos weiter.
Und wie die Ritter näher kamen, grüßte er sie höfisch mit seinem Speer und gutem Wort, das er ihnen zurief. Der vorderste, ein Riese, erwiderte den Gruß und fügte hinzu:
»Wohin lenkest du, junger Knabe, durch die Grenzen dieser vielen Königreiche deine Schritte, das laß mich dich fragen? So allein und so jung an Jahren durch die Wälder zu irren: das scheint mir einen Mut zu verraten, der sonst deinen Jahren noch nicht eignet!«
»Ich sage Euch großen Dank, Herr Ritter, für Eure höfliche Frage, die ich gern beantworte«, sprach Amadis. »Ich lenke meine Schritte nach Camelot an den Hof des großen Königs Artur, um ihm Kunde von einem seiner Ritter zu bringen.«
»Zu guter Stunde!« brüllte der Riese verwundert ...
Und neben ihm stotterte sein Kumpan: »
u ggguter Sss–tunde.«
Während ein Dritter hinter ihm in ein lautes Lachen ausbrach ...
»Zu guter Stunde!«
Und die vier anderen riefen aus:
»Bei Sankt Michael!«
»Bei Sankt Johann!«
»Da hast du es gar glücklich getroffen«, fuhr nunmehr lachend der Riese fort. »Denn wisse wohl, mein lieber Knabe, daß wir sieben Ritter der Tafelrunde sind und daß wir Mordred und Didonel suchen, die Camelot verlassen haben und nicht wiedergekehrt sind, so daß unser Herr König uns geheißen hat, nach ihnen zu forschen, denn sie sind ihm sehr teuer und er fürchtet für ihr Leben ... Ich bin Bohort geheißen und mein Gefährte hier an meiner Seite ist Ywein ...«
»Ywein«, wiederholte der Stotterer, und er stotterte diesmal nicht, denn ein w ging ihm stets glatt vom Munde.
»Agloval, bei meiner Treu, bin ich«, rief der Lacher, und aufs neue lachte er laut, während er jovial mit der Hand dem Knaben auf die Schulter schlug.
Und die anderen schrien ihre sonoren Namen keltischen Klanges laut heraus, und sie dröhnten machtvoll an den Felswänden der Schlucht entlang und durch den Wald hin:
»Hestor und Melegant, sind wir ...«
»Galehot, ich!«
»Und ich Sagremort, wisse das wohl!«
Da lüftete Amadis das Visier seines Helmes und sprach leise und bescheiden:
»Meine hohen Herren und tapferen Barone! Gott im Himmelreich war mir gnädig, daß er mich euch Sieben auf meinem einsamen Wege begegnen ließ. Ich bin Amadis, der Schildknappe des Herrn Gawein.«
»Des Gawein!« riefen sie alle, und Bohort fuhr heftig fort:
»Künde mir, viellieber Knabe, von unserem Gawein. Denn wir entbehren auch ihn seit langen Tagen, und Lancelot und Gwinebant sind schon zu zweit ausgezogen, ihn zu suchen.«
»Er weilt bei seinem Schwiegervater, dem König Assentijn«, versicherte Amadis, »doch höret mich noch weiter an, ihr Ritter, denn Geheimnis ist nun nicht mehr vonnöten: ich bin kein Knappe, sondern eine unselige Jungfrau; ich bin Alliene, und Gawein befreite mich, als Mordred und Didonel mich aus der Burg meines Vaters entführt hatten und übel an mir taten.«
Ausrufe der Überraschung und der Entrüstung entfuhren den Rittern des Königs Artur. Sie stiegen alsbald ab, banden die Rosse an die Bäume und ließen sich am Rande der Schlucht rings um Amadis nieder, der ihnen alles erzählte, was sich ereignet hatte: daß Mordred und Didonel zwei Schurken gewesen sein sollten, dünkte sie beinahe undenkbar, doch dann fiel ihnen so manches ein:
»Nie und nie haben sie eine Damoicele aus den Händen anderer schurkischer Ritter befreit«, bemerkte der kleine tapfere Melegant.
Und die anderen sechs Kämpen stimmten ihm zu: niemals hatten Mordred und Didonel während all der langen Jahre bedrängte Damoicelen befreit. Deshalb konnten sie auch den Worten dieser als Gaweins Schildknappe vermummten Jungfrau Glauben schenken, und als sie alle wieder aufsaßen, sagte Bohort:
»Jungfrau Alliene oder Amadis, wie Ihr Euch heute nennet, zu sechsen wollen wir in den Hain der Liebe ziehen, davon Ihr sprechet, in die böse Burg, darin bedrängte Damoicelen durch schurkische Ritter, Spießgesellen des Mordred und des Didonel, gefangengehalten werden, und die Sechs werden die Jungfrauen erlösen, deß sollet Ihr gewiß sein. Doch einer von uns wird Euch nach Camelot geleiten, auf daß Ihr dem König Artur die Kunde bringet. Saget mir, welchen von uns Ihr Euch erwählet!«
»Ich weiß es nicht, Herr Bohort«, sagte Amadis.
»Darf ich mich erbieten?« sprach Galehot, »gern würde ich so lieben Schildknappen den meinen nennen, wenn Gawein seiner nicht Not hat, und mit ihm nach Camelot zurückkehren. Ihr, meine lieben Gefährten – o Sagremort, runzele doch nicht so deine Brauen! – gehet alle und befreiet die bedrängten Jungfrauen aus dem Haine der Liebe. Doch saget mir, wollen sie auch wohl wirklich befreit werden?«
Agloval lachte laut ob Galehots Zweifel. Allein Sagremort sagte:
»Er hat recht, Galehot: wollen die Damoicelen wirklich befreit werden oder nicht, das ist die Frage?«
»Rrrrrritt – ttter – pflicht«, stotterte Ywein »ist es, bbbbe – dddrängte ... Jjjjungfrauen ... zu bbbbbefreien!«
»Gleichviel, ob sie befreit werden wollen oder nicht«, meinte Hestor bescheiden, damit auch er jetzt seine Meinung äußere, und es war beinahe, als entschuldigte er sich.
»So wirst du, Vetter Galehot, mit Amadis nach Camelot zurückkehren«, entschied Bohort, »wo unser Herr allein mit der Königin und mit Keye weilt und ängstlich nach Botschaft ausspäht, und wir sechs anderen werden gehen, die Damoicelen zu befreien.«
»Endlich gibt es wieder einmal Damoicelen zu befreien!« rief Melegant in jubelnder Freude.
»Wir gehen Dddddamoi – celen zu bbbbefreien«, stotterte Ywein; »ob sie bbbbefreit werden wollen oder nnnn – icht!«
»Dies darf man wohl ein kleines Abenteuer nennen«, meinte Hestor, der jeder prahlenden Übertreibung abhold war.
Allein Sagremort sprach:
»Ich weiß eigentlich nicht, ob es an sich überhaupt schon ein Abenteuer zu nennen ist, aber es könnte vielleicht eins werden ... ja, ja, das könnte es!«
»Und darum wollen wir alle sechs wieder aufsitzen«, sagte Agloval laut lachend, und zu seinem dröhnenden Lachen erklang seiner Waffen Geklirr, als er seinen gepanzerten Fuß in den breiten Bügel setzte.