Charles de Coster
Vlämische Legenden
Charles de Coster

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Bianca, Clara und Candida

I. Von drei edlen Jungfrauen und ihrer großen Schönheit

Im Jahre 690 unseres Herrn Jesu Christi lebten drei wunderholde Jungfrauen, so vom Mannesstamme der edlen Sippe des Kaisers Oktavian entsprossen waren.

Und waren Bianca, Clara und Candida geheißen.

Ob sie gleich Gott die Blüte ihres Magdtums geweihet hatten, so muß man nicht wähnen, daß solches geschah, weil sie der Freier ermangelten. Denn an jedwedem Tage liefen die Leute zusammen, wenn sie zur Kirche gingen, und sprachen männiglich: »Sehet doch die sanften Augen, sehet die weißen Hände.«

Und mehr denn einer leckte sich die Lippen, wenn er sie betrachtete, und seufzte betrübt: »Muß es denn sein, daß diese liebreizenden Jungfrauen sich Gott weihen, welcher ihrer elftausend und mehr in seinem Paradiese hat?«

»Aber nicht so allerliebste«, sprach ein hustender Alter, der hinter ihnen ging und den Duft ihrer Kleider einsog. Und wenn er unter Weges etwelchen jungen Gesellen erblickte, der ins Wasser spuckte oder der Länge nach auf dem Bauche lag, um sich den Rücken an der Sonne zu wärmen, so gab er ihm einen Fußtritt und sprach dazu: »Heda! Willst du nicht die auserlesensten Blüten der Schönheit, die es gibt, anschauen?«

 

II. Wie ein Prinz von Arabien in Liebe zur Jüngsten entbrannte und was daraus entstund

Etliche hatten sie zum Ehestand verleiten wollen; doch da sie ihr Ziel nicht erreichten, so wurden sie trübsinnig und magerten sichtbarlich ab.

Unter ihnen war ein Prinz von Arabien, welcher sich mit großem Pomp taufen ließ. Und solches geschah ausdrücklich der Jüngsten wegen.

Dieweil er aber weder durch Bitten noch durch Gewalt zum Ziele kam, nun so setzte er sich eines Morgens auf ihre Türschwelle und durchbohrte sich allda mit seinem Dolche.

Da nun die Jungfrau den schönen Ritter schreien hörte, kam sie eilends die Stiege herab, ließ ihn auf ihr Ruhebett legen, welches ihn, da er noch nicht vollends tot war, baß erfreute.

Aber da sie sich über ihn neigte, seine Wunden zu untersuchen und zu verbinden, küßte er sie mit dem Rest seiner Kraft auf den holden Mund, seufzte wie ein Erlöster und gab freudiglich seinen Geist auf.

Aber die Jüngste war dieses Kusses nicht froh, denn sie vermeinte, daß er von dem Gute Jesu, ihres himmlischen Bräutigams, genommen sei. Dennoch beweinte sie den schönen Ritter ein klein wenig.

 

III. Worinnen man sieht, wie Satan die Mägdlein verfolget, so sich von der Welt abwenden wollen

Es geschah aber oftmals, daß eine Schar von Verliebten vor dem Hause der Jungfrauen stund. Etliche sangen klägliche Weisen, andere vollführten Reiterstücklein auf stolzen Rennern, und aber andere späheten den lieben langen Tag nach den Fenstern, ohne ein Wörtlein zu sagen.

Und sie kämpften da oft miteinander und töteten sich aus Eifersucht. Darob waren die Jungfrauen schier betrübt.

»Ach,« sprachen die Älteren zur Jüngsten, »bete für uns, Bianca, die du deinen Namen zu Recht trägst, denn du bist weiß von Seele und Leib. Bete für uns, Liebchen; Jesus erhöret die Gebete einer reinen Magd wie du williglich.«

»Schwestern,« entgegnete die Jüngste, »ich bin nicht würdiger denn ihr, aber ich werde beten, so ihr es begehret.«

»Tue das«, sagten sie.

Alsbald warfen sich alle drei auf die Kniee, und die Jüngste betete also:

»Süßer Jesus, wir haben gewißlich wider dich gesündiget, denn wie würdest du sonst dem Bösen Macht geben, diese elenden Männer durch unsere Schönheit zu rühren? Ja, wir haben gesündiget, aber schwach, wie wir sind, sehr wider Willen, Herr. Ach, vergib uns um unseres großen Schmerzes willen. Du hast uns zu eigen gewollt, und so ist alles, was wir sind, dein: unsere Jugend und Schönheit, unsere Trübsal und Freude, Gelübde und Gebete, Leib und Seele, Gedanken und Tun, alles. Gedenken wir nicht morgens, mittags und zur Vesper dein? Wenn deine helle Sonne aufgeht, oh, Geliebter, und ebenso, wenn an deinem Himmel die hellen Sternlein leuchten, so sehen sie uns beten und dir nicht Gold, Weihrauch noch Myrrhen, wohl aber unsere demütige Liebe und unser armes Herz darbringen. Das ist nicht genug, wir wissen es wohl. Ach, lehre uns mehr zu tun.«

Hier hielt sie inne, und alle drei seufzten bitterlich.

»Süßer Jesus,« redete die Jüngste abermals, »wir wissen genugsam, was diese Männer begehren. Sie dünken sich selber schön und hochgemut und wähnen also unsere Liebe zu erlangen. Doch sie sind nicht schön, nicht gut noch hochgemut wie du, Herr Jesus. Darum sind und bleiben wir dein immerdar und werden nimmer die Ihren sein. Schenke uns doch ein wenig Liebe, denn du allein bist unser Trost und Freude in diesem Jammertal, o Jesus, du wirst uns nicht verlassen. Ach, laß uns lieber bald sterben, denn uns hungert und dürstet nach dir. Doch so es dein Wille ist, laß diese Unwürdigen uns nach Herzenslust mit Liebe bedrängen; es wird uns Wonne sein, für dich zu leiden. Aber doch lässet der leibliche Gatte sein Weib nicht in Gefahr, noch der Bräutigam die Braut. Bist du nicht besser denn sie alle, und wirst du uns nicht vor den Fallstricken des Feindes bewahren? So es dir mißfällt, tue es nicht: aber dann möchte man uns eines Tages unser Magdtum rauben, das dein ist. Ach, Inniggeliebter, laß uns lieber unser ganzes Leben lang alt, häßlich und aussätzig sein, und sende uns dann in die Hölle zu Teufeln, Flammen und Schwefel, um allda zu harren, bis daß du uns rein genug erfindest und uns endlich in dein Paradies aufnimmst, allwo es uns verstattet sein wird, dich ewiglich zu schauen und zu lieben. Erbarme dich unser, Amen.«

Und nachdem sie also gebetet, weinte die arme Jüngste und ihre Schwestern mit ihr und wiederholten: »Erbarmen, Jesus, Erbarmen.«

 

IV. Von der Stimme des himmlischen Bräutigams und von dem schönen Ritter in silberner Rüstung

Plötzlich hörten sie eine sanfte Stimme; die sprach: »Seid getrost.« Und sie sagten: »Siehe, der Gatte redet zu seinen Gattinnen.«

Und das Gemach ward erfüllet von einem Wohlgeruch, süßer denn der einer Räucherpfanne, so den köstlichsten Weihrauch verduftet.

Und wieder sprach die Stimme: »Verlasset morgen bei Tagesanbruch die Stadt. Besteiget eure Zelter und reitet immer geradeaus und sorgt euch nicht um den Weg. Ich will euch behüten.«

»Wir gehorchen dir,« antworteten sie, »der uns zu den Glücklichsten unter den Töchtern der Menschen macht.«

Und sie stunden auf und herzten einander voll Freuden.

Derweil sie die Stimme vernommen, war ein schöner Ritter in silberner Rüstung auf den Marktplatz getreten. Sein Haupt war mit einem güldenen Helm bedeckt, darauf gleich einem Vogel ein Helmbusch flatterte, leuchtender denn Flammen; sein Streitroß aber war ganz weiß.

Keiner ward seines Kommens gewahr. Er entstieg gleichsam der Erde inmitten der Schar der Freier. Diese aber, von Furcht ergriffen, wagten ihn nicht anzuschauen. »Ihr Schändlichen,« sprach er, »räumet den Platz mit euren Pferden. Wisset ihr nicht, daß der Lärm ihrer Hufeisen diese drei Fräulein in ihren Gebeten störet?«

Solches sagend, ritt er von dannen gen Sonnenaufgang. »Ach,« sprachen die Freier untereinander, »sahet ihr diese silberne Rüstung und den feurigen Helmbusch? Das war sonder Zweifel der Engel Gottes, welcher um dieser drei Damen willen vom Paradiese herabstieg.« Aber die Frechsten murmelten: »Er hat uns nicht verboten, zu Fuß vor diesem Hause zu verweilen, und so können wir es bescheidentlich tun.«

 

V. Wie auf Gottes Befehl die drei Jungfrauen ins Blaue hinausziehen

Den andern Morgen, ehe denn der Tag graute, kamen sie in großer Zahl, hatten aber ihre Rosse im Stalle gelassen. Da die Sonne aufgegangen war, sahen sie die drei Jungfrauen nach Gottes Gebot eine jegliche ihren Zelter besteigen und solchergestalt aus ihrem Hause hinausreiten. Vermeinend, daß sie auf dem nahen Anger frische Luft schöpfen wollten, folgten sie ihnen und sangen fröhliche Lieder zu ihrem Preise. Solange sie in der Stadt waren, gingen die Zelter langsam, aber draußen vor dem Tor trabten sie geschwinde.

Da wollten die verliebten Fußgänger ihnen nachlaufen; doch zu guter Letzt fielen sie vor Ermattung einer neben den andern auf den Weg.

Nachdem die Zelter etliche Meilen gelaufen waren, stunden sie still. Und die drei Jungfrauen, so sich ihres Verdrusses ledig sahen, beschlossen, Gott für seinen großen Beistand zu danken und ihm eine schöne Kirche zu erbauen. Wo, das war ihnen nicht bewußt. Aber dies war zuvor im Paradiese bestimmt, wie ihr sogleich sehen werdet.

Denn kaum saßen sie auf ihren Zeltern, als die Tiere, vom Geiste Gottes gelenkt, zu laufen anhuben.

Und sprangen über Flüsse, liefen durch Wälder und Städte, deren Tore sich vor ihnen auftaten und sich hinter ihnen schlossen, und setzten über die Mauern hinweg.

Und es entsetzte sich ein jeglicher, da er diese drei weißen Rosse und diese drei goldhaarigen Damen wie die Windsbraut vorbeijagen sah. Und also ritten sie wohl tausend Meilen und mehr.

 

VI. Von den Hämmern aus Diamant und den Grundfesten, so aus der Erde gerissen waren

Zu Haeckendover im Herzogtum Brabant hielten die Zelter still und wieherten.

Und wollten nicht einen Schritt mehr tun, nicht vorwärts noch rückwärts. Solches geschahe, maßen dies der Ort war, den Gott zu seiner Kirche erwählet hatte.

Aber die Jungfrauen, vermeinend, daß die Zelter müde wären, gingen zu Fuß bis nach Hoy-Bout und meinten, daß es dort gut sei, die Kirche zu bauen.

Darum so holten sie die wackersten Maurer und Meister zumal, und in so großer Zahl, daß in einem Tagewerk die Grundfesten zum mindesten zwei Handhoch wurden. Da sie das sahen, freuten sich die Jungfrauen inniglich und wähnten ihr Werk vor Gott angenehm.

Sahen aber am andern Morgen alle Grundfesten aus der Erde gerissen, und dachten nicht anders, als daß dort von ohngefähr ein arger Ketzer begraben sei, der bei der Nacht die Steine der Kirche über seinem verdammten Gebein erschüttert hätte.

Gingen also mit ihren Arbeitern nach Steenen-Berg und vollführten allda das nämliche Werk wie zu Hoy-Bout. Doch am andern Morgen fanden sie wiederum die Grundfesten aus der Erde gerissen.

Solches geschah, weil der Herr nirgends denn in Haeckendover wollte angebetet werden.

Und er schickte seinen Engel bei der Nacht mit demantenen Hämmern, so aus den Speichern des Paradieses genommen waren. Und hieß sie das Werk der drei Jungfrauen zerstören.

Die waren über die Maßen tiefsinnig und betrübt, fielen auf die Knie und flehten und beteten zu Gott, ihnen gnädiglich zu sagen, wo es ihm gefalle, angebetet zu werden.

 

VII. Von der Jüngsten und dem schönen Engel

Und plötzlich sahen sie einen schönen Knaben von schier himmlischer Schönheit in einem Kleide von der Farbe der Abendröte. Der blickte sie liebreich an.

Da sie den Engel Gottes erkannten, warfen sie sich aufs Angesicht.

Aber die Jüngste war die keckste, wie Kinder sind, und traute sich wohl, den hübschen Boten anzuschauen. Und da sie ihn so freundlich fand, faßte sie Mut und lachte.

Der Engel nahm sie bei der Hand und sprach zu ihr und zu ihren Schwestern: »Stehet auf und folget mir nach.«

Solches taten die drei Jungfrauen.

Und sie kamen an den Ort, wo heutigen Tags die Kirche stehet, und der Engel sprach zu ihnen: »Dies ist die Stelle.«

»Danke, Euer Gnaden«, antwortete die Jüngste frohgemut.

 

VIII. Wie die drei Jungfrauen ein grünes Eiland erschauten, und von den schönen Blumen und Vöglein, so dort waren

Es war aber der dreizehnte Tag nach dem Feste der Heiligen drei Könige; es hatte viel geschneit und überdies stark gefroren, denn es wehte ein rauher Wind.

Und die drei Jungfrauen erblickten vor sich mitten im Schnee etwas gleich einem grünen Eiland.

Und besagtes Eiland war von einem purpurnen Seidenfaden umschlungen.

Darinnen war Lenzeshauch, davon Rosen, Veiglein und Jasmin erblühten, deren Geruch gleich wie Balsam ist. Draußen aber war Nordwind, Sturm und grimmer Winter. Gegen die Mitte, da wo jetzund der Hochaltar stehet, war eine immergrüne Eiche, so voller Blüten als wie ein Jasminstrauch aus Persien.

Auf den Zweigen sangen Grasmücken, Finken und Nachtigallen um die Wette die wohlklingendsten Weisen des Paradieses. Denn es waren die Engel, die sich befiedert hatten und also zur Ehre Gottes zwitscherten.

Eine artige Nachtigall, die trefflichste Vorsängerin von allen, hielt in ihrer rechten Kralle einen Streifen Pergament, darauf in Lettern von feinem Golde geschrieben stund:

»Dieser Ort ist von Gott ausersehen und den drei Jungfrauen durch göttlichen Wink gezeigt, um allhier eine Kirche zur Ehre unseres Herrn und Erlösers zu bauen.«

Groß war der Jungfrauen Freude, und die Jüngste sprach zum Engel:

»Nun sehen wir wohl, daß Gott uns ein wenig liebt. Was sollen wir tun; redet, Herr Engel.«

»Ihr sollet, ihr Liebchen,« sprach der freundliche Bote, »hier die Kirche errichten und dazu zwölf der geschicktesten Arbeiter auserlesen, nicht mehr noch minder; der liebe Gott wird der dreizehnte sein.«

Nachdem er also geredet, fuhr er wieder aufwärts in den hohen Himmel.

 

IX. Von der Kirche zu Haeckendover und von dem geschickten Arbeiter, der daran arbeitete

Da begaben sie sich zu dritt eilends von dannen, um die zwölf geschickten Arbeiter auszuwählen, welche die Grundfesten der Kirche dort erbauten, allwo der purpurne Seidenfaden gewesen war.

Das Werk gedieh so wohl, daß es ein groß Ergötzen war, die Steine also schnell aufsteigen zu sehen.

Aber wundersam war es, daß ihrer stets dreizehn bei der Arbeit waren und zur Zeit des Essens und der Löhnung nicht mehr denn zwölf.

Denn der Herr wollte wohl mit ihnen schaffen, aber nicht essen, noch trinken, er der so erlesene Gerichte in seinem Paradiese hat, so süße Früchte und Wein aus dem saphirenen Quell. Selbiges ist ein Born, der allezeit von Wein überströmt, gelber denn flüssiges Gold.

Er litt auch nicht Mangel ohne Geld, denn solches Leiden ist uns vorbehalten, die wir von Natur bedürftig, elend und notleidend sind.

Und so ward denn die Glocke aufgehängt, wie es bei vollendeten Kirchen geschieht.

Darauf traten die Jungfrauen zu dritt ein, die Jüngste warf sich auf die Knie und sprach:

»Himmlischer Gemahl und inniggeliebter Jesus, wer soll diese zu deiner Ehre erbaute Kirche weihen?«

Darauf antwortete der Herr:

»Ich selbst weihe mir diese Kirche und spreche sie mir selber zu. Darum wage niemand, sie nach mir zu weihen.«

 

X. Von den zwei Bischöfen und von den verdorrten Händen

Jedoch zwei ehrwürdige Bischöfe, da sie in Haeckendover waren und die neue Kirche erblickten, wollten sie einsegnen.

Und wußten nichts von den Worten Jesu zu den drei Jungfrauen, ansonst hätten sie sich solcher Tat nicht unterfangen. Wurden aber erschrecklich bestraft.

Denn der eine erblindete, als er das Wasser weihen wollte. Dem andern aber, da er den Weihwedel nahm und die Arme erhob, die Kirche zu segnen, verdorrten die Hände und wurden steif und konnte sie gar nicht bewegen.

Da wurden die Bischöfe inne, daß sie gesündiget hatten, bereuten und baten den Herrn, ihnen gnädiglich zu verzeihen. Und es ward ihnen vergeben, sintemalen sie aus Unwissenheit gesündiget hatten. Darnach aber kamen sie oftmals mit großer Andacht nach Haeckendover.

 


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