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Die alte Kirche Saint-Médard in der Rue Mouffetard gehört einer sehr armen Gemeinde an, die nicht sehr fromm ist, und dem Kirchenrat wird es nicht leicht, mit den Einkünften auszukommen. Sonntags wohnt kaum jemand dem Gottesdienst bei; vielleicht ein paar Bürgersfrauen aus dem Stadtviertel, etliche Dienstboten und ein halbes Dutzend Greise in ländlicher Tracht, die auf den bloßen Steinfliesen neben einem Pfeiler niederknieen und, indem sie die Lippen bewegen und die Augen gegen die Decke drehen, ihren Rosenkranz zwischen den Fingern ablaufen lassen. In der Woche ist die Kirche fast leer. Im Winter, des Donnerstags, hört man einen Augenblick lang Fußtritte in den Seitengängen, wenn die Konfirmanden zum Unterricht kommen. Dann verirrt sich hin und wieder eine arme Frau mit einem Säugling auf dem Arm in die Kapelle, um der heiligen Jungfrau eine Kerze zu weihen. Vom Baptisterium her erschallt zuweilen das Geschrei eines Neugebornen, der getauft wird, oder, was öfter der Fall ist, ein ärmlicher, mit einer einfachen schwarzen Decke versehener Holzsarg steht auf zwei Böcken, und der Geistliche segnet, nur von einem kleinen Kreis trauernder Frauen umgeben, in aller Eile die Leiche ein, während die Männer, die Freidenker sind, außerhalb der Kirche warten.
So findet denn der Abbé Faber, einer der Vikare des Kirchspiels, höchst selten jemand bei seinem Beichtstuhle vor und bekommt kaum etwas andres als die wenig interessanten Bekenntnisse einiger alter Weiber zu hören. Aber da er ein Mann der Pflicht ist, so begibt er sich regelmäßig Dienstags, Donnerstags und Samstags punkt sieben Uhr in seine Kapelle, und wäre es nur, um ein Gebet zu sprechen und dann, wenn niemand da ist, wieder nach Hause zu gehen.
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Eines Abends im vergangenen Winter stieg der Abbé Faber, mühsam mit seinem Regenschirm gegen den Sturm ankämpfend, die steile Straße, die zu seiner Kirche führte, hinan. Da er doch wohl einen vergeblichen Gang machte, so sehnte er sich ganz im stillen nach dem behaglichen Feuer, das in seinem Zimmer flackerte, und nach dem Bande, den er aufgeschlagen, mit der Brille zwischen den Blättern, auf dem Tisch hatte liegen lassen. Aber es war Samstag, da holten sich zuweilen ein paar alte Witwen, die ihre spärlichen Renten in dem billigen Stadtteil verzehrten, die Absolution, um am darauf folgenden Sonntage das Abendmahl zu nehmen. Der gute Priester durfte deshalb seinem eichenen Kasten nicht fern bleiben und mußte als gewissenhafter Kassierer den Schieber öffnen, in den die Gläubigen, denen der Beichtstuhl eine Art Sparhafen für das Paradies ist, allwöchentlich das Verzeichnis ihrer kleinen Sünden niederlegen.
Dem Abbé Faber kam ein Ausgang am Samstag, wo Zahltag war, um so härter an, weil dann die ganze Rue Mouffetard von Menschen wimmelte, und zwar von dem geistlichen Stande abholden Arbeitern. Mag man auch ein geheiligter Mann sein, angenehm ist es doch nicht, wenn man die Augen vor den böswilligen Blicken der Vorübergehenden niederschlagen und sich die Ohren vor den beleidigenden Worten, die sie einem zurufen, verstopfen muß. Eine bestimmte Schnapskneipe fürchtete der Abbé am meisten; aus ihrem hell erleuchteten Raume, in dem man Fäßchen mit den Aufschriften: Absinth, Bitter, Madeira, Wermut u. s. w. aufgestellt sah, strömte der Alkoholdunst zur geöffneten Thüre heraus, und am Schenktisch saß stets eine Bande lustiger Zechbrüder in langen Blusen, die den Abbé in der schwarzen Soutane mit dem Rufe des Raben: »Kra, kra!« spottend begrüßten.
Zum Glück hatte diesmal das schlechte Wetter die Leute vertrieben, so daß er unbehelligt in die Kirche gelangte. Er tauchte den Zeigefinger ins Weihwasser, schlug das Zeichen des Kreuzes, machte seine kurze Verbeugung und wandte sich nach seinem Beichtstuhle. Wenigstens war der gute Priester nicht umsonst gekommen; es wartete jemand auf ihn.
*
Ein männliches Beichtkind! Das war ein seltener Fall in der Kirche Saint-Médard; aber als der Abbé beim Scheine der roten an der Decke der Kapelle aufgehängten Lampe den kurzen weißen Kittel und die nägelbeschlagenen Schuhe erkannte, dachte er, mit einem jener wenigen Arbeiter zu thun zu haben, die sich ihren ländlichen Glauben und ihre alten frommen Gewohnheiten durch alles hindurch bewahren. Die Bekenntnisse, die er erwartete, waren wohl nicht weniger alltäglich, als die jener Köchin, die sich jedesmal anklagte, daß sie sich einen Nebengroschen machte, und schon allein bei dem Worte Wiedererstattung außer Fassung geriet. Der Priester lächelte sogar, als ihm die summarische Form einfiel, in der ihn ein Bürger der Vorstadt um einen Beichtzettel gebeten hatte, da er sich verheiraten wollte: »Ich habe weder gestohlen, noch gemordet; das übrige können Sie sich denken.« So betrat denn der Vikar in aller Seelenruhe seinen Beichtstuhl, und nachdem er eine tüchtige Prise genommen hatte, zog er ohne jegliche Erregung den kleinen grünen Vorhang des Gitterfensterchens zur Seite.
»Herr Pfarrer,« stammelte eine rauhe, gewaltsam gedämpfte Stimme.
»Ich bin nicht Pfarrer, mein Freund. Sagt das Beichtgebet und nennt mich: mein Vater.«
Der Mann, dessen überschattete Züge der Abbé nicht unterscheiden konnte, stotterte das Gebet, dessen er sich schlecht zu erinnern schien, her und begann dann in dumpfem Tone:
»Herr Pfarrer ... nein ... mein Vater ... entschuldigt, wenn ich nicht spreche, wie es sich gehört, aber ich bin seit fünfundzwanzig Jahren nicht zur Beichte gewesen, seitdem ich die Heimat verlassen habe. ... Sie wissen ja ... wie es in Paris ist. ... Und dann war ich auch nicht schlechter als jeder andre, und sagte mir, der liebe Gott ist so nachsichtig. ... Aber was ich heute auf dem Gewissen habe, kann ich nicht allein tragen, und Sie müssen mich anhören, Herr Pfarrer. ... Ich habe einen Menschen ums Leben gebracht!«
Der Abbé fuhr in die Höhe. Ein Mörder! Es handelte sich also nicht um Nachlässigkeiten im Geschäft, um die Verleumdung der Nächsten und was dergleichen Weibergewäsch mehr war, dem er nur ein halbes Ohr lieh, und wo er mit gutem Gewissen die Absolution erteilte. Ein Mörder! Hinter der Stirne, die sich so nahe zu ihm hineinbeugte, war der Gedanke und die Ausführung eines Verbrechens entstanden; die gefalteten Hände waren vielleicht noch feucht von Blut! In seiner Erregung, der sich ein wenig Furcht beimischte, konnte der Abbé nur mechanisch ein paar Worte finden.
»Bekenne, mein Sohn. ... Gottes Barmherzigkeit ist unendlich.«
»So hören Sie denn meine ganze Geschichte,« sagte der Mann, in dessen Stimme ein tiefer Seelenschmerz nachklang. »Ich bin Maurergeselle und kam vor mehr als zwanzig Jahren mit einem Landsmann, einem Schulkameraden nach Paris. ... Wir hatten Nester zusammen ausgenommen und miteinander in der Schule lesen gelernt. ... Also so eigentlich ein Bruder, nicht? ... Er hieß Philipp. ... Ich heiße Jacques. ... Er war ein großer, schöner Kerl; ich bin immer schwerfällig und plump gewesen. ... Einen besseren Arbeiter gab es nicht, während ich nur ein ganz mittelmäßiger bin ... und gut und brav war er, und das Herz hatte er auf dem rechten Fleck. ... Ich war so stolz darauf, sein Freund zu sein, und froh, wenn ich mit ihm gehen durfte, oder wenn er mich mit einem Klaps auf den Rücken seinen gutmütigen alten Esel nannte. ... Ich liebte ihn, weil ich ihn bewunderte. Und denken Sie nur, was für ein glücklicher Zufall: wir fanden beim selben Meister Stellung. Abends ließ er mich aber fast immer allein, er amüsierte sich gern und ging mit den Kameraden aus; in seinem Alter war das so natürlich – er freute sich des Lebens, war frei, hatte keine Pflichten – ich konnte nicht mit, weil ich sparen mußte, denn damals hatte ich noch meine kranke Mutter daheim, der ich alles, was ich entbehren konnte, schickte. Meine Mahlzeiten nahm ich bei einer Obsthändlerin in dem Hause, wo ich wohnte, und die für die Maurer kochte. Philipp aß wo anders; unser Essen schmeckte auch gerade nicht besonders. Aber die Obstfrau war eine Witwe, der die Einnahme, die sie von mir hatte, recht zu statten kam, und um offen zu sein, ich hatte mich gleich in ihre Tochter verliebt. Arme Katharine! Sie werden bald erfahren, Herr Pfarrer, was aus ihr geworden ist. – Drei Jahre hatte es gedauert, bis ich ihr eingestehen durfte, daß ich ihr gut war ... ich sagte Ihnen ja, daß ich nur ein mittelmäßiger Arbeiter bin, und mein Verdienst reichte kaum für mich und das, was ich nach Hause sandte ... da war an Heiraten nicht zu denken. ... Als meine Mutter endlich starb, konnte ich etwas beiseite legen, und sobald es mir für den Anfang einer Häuslichkeit genügend schien, sprach ich mit Katharine über mein Gefühl für sie ... erst sagte sie weder ›ja‹ noch ›nein‹. Lieber Gott, ich wußte, daß man sich mir nicht an den Hals wirft; ich habe nichts Bestechendes an mir. ... Katharine beriet sich mit ihrer Mutter, die mich als einen soliden und braven Menschen schätzte, und die Hochzeit wurde festgesetzt. ... Ach, das waren ein paar glückliche Wochen! Ich sah freilich, daß Katharine sich nicht besonders zu mir hingezogen fühlte, daß sie mich eben gerade duldete, aber da sie ein gutes Herz hat, würde ich mir ihre Liebe schon mit der Zeit erringen, hoffte ich. ... Selbstverständlich hatte ich Philipp, den ich täglich bei der Arbeit traf, alles erzählt, und als ich mit Katharine versprochen war, wünschte ich, daß er sie kennen lernen sollte. ... Das weitere werden Sie schon erraten haben, Herr Pfarrer. ... Philipp war hübsch, lustig und liebenswürdig, alles was ich nicht war, und ohne daß er es beabsichtigte, ohne seine Schuld, verliebte sich Katharine sterblich in ihn. ... Aber Katharine ist eine offene, brave Seele, und sobald sie es selber wußte, gestand sie es mir sofort ein. ... Den Augenblick werde ich nie vergessen! Es war an ihrem Geburtstage, und ich hatte ihr ein goldenes Herzchen gekauft und es in eine hübsch mit Watte ausgelegte Schachtel gethan ... wir waren allein im Hinterstübchen und sie hatte mir eben meine Suppe hingestellt. Ich zog meine Schachtel aus der Tasche, öffnete sie und zeigte ihr das Schmuckstück. Da brach sie in Thränen aus.
»Verzeihe mir, Jacques,« sagte sie zu mir, »und behalte es für deine zukünftige Frau; ich kann sie nicht werden. ... Ich liebe einen andern. ... Ich liebe Philipp.«
*
Kummer hat es mir natürlich gemacht, Herr Pfarrer, gerade genug! Aber was sollte ich thun, da ich sie beide liebte? Das, was ich für ihr Glück hielt, sie verheiraten. Und da Philipp immer ein bißchen flott gelebt hatte und stets Ebbe in seiner Kasse war, lieh ich ihm meinen Spargroschen, damit sie sich Möbel kaufen konnten.
So haben sie sich denn verheiratet, und am Anfang ging alles gut. Sie bekamen einen kleinen Jungen, dessen Pate ich wurde und den ich nach meiner Mutter Camille nannte. Kurz nach der Geburt des Kindes jedoch fing Philipp an liederlich zu werden. Ich hatte mich in ihm getäuscht; er paßte nicht für die Ehe, denn er war zu vergnügungssüchtig. Sie wohnen in einem Stadtviertel mit armen Leuten zusammen, Herr Pfarrer; Sie wissen wohl die traurige Geschichte auswendig. ... Der Arbeiter, der allmählich in den Müßiggang und die Trunksucht hineingerät, der zwei, drei Tage ohne Arbeit herumlungert, der seinen Wochenlohn für sich behält und nur, von Ausschweifungen aller Art müde, nach Hause zurückkehrt, um Händel anzufangen und seine Frau zu schlagen. Nun, in weniger als zwei Jahren, war es mit Philipp soweit gekommen. Ganz im Anfang habe ich noch gepredigt, dann schämte er sich auch seines Betragens und versuchte, sich zu bessern. Lange hielt das aber nicht vor. ... Schließlich reizten ihn meine Ermahnungen nur, und wenn ich ihn besuchte und er einen meiner mitleidigen Blicke, die ich auf das abgehärmte Gesicht der armen Katharine und auf das geleerte Zimmer warf, dessen Möbel alle ins Leihhaus gewandert waren, auffing, dann wurde er wütend. ... Eines Tages hatte er die Kühnheit, mir sogar eine Eifersuchtsscene zu machen wegen seiner Frau, die brav ist, wie die heilige Jungfrau, und hielt mir vor, daß ich sie früher geliebt hätte, und behauptete, ich sei heute noch in sie verliebt; kurz, sagte mir Dinge, die zu wiederholen ich mich schämen würde. ... Da bin ich ihm fast an den Hals gefahren. Aber ich that, was ich thun mußte; ich verzichtete darauf, Katharine und mein Patchen weiter zu besuchen; dem Philipp begegnete ich zuweilen noch, wenn wir auf demselben Bau arbeiteten.
Das werden Sie aber begreifen, daß ich Katharine und ihr Kind zu gern hatte, um mich gar nicht mehr um sie zu kümmern. Am Samstagabend, wenn ich wußte, daß Philipp seinen Lohn mit Kameraden vertrank, trieb ich mich in der Nähe seiner Wohnung herum, traf Camille, fragte ihn aus, und wenn das Elend allzu groß war, ließ ich ihn natürlich nicht mit leeren Händen gehen. Ich glaube, der elende Kerl, der Philipp, ahnte, daß ich seiner Frau aushalf; er drückte ein Auge zu und fand das sehr bequem. ... Ich will mich endlich kurz fassen; es ist alles zu traurig. Jahre vergingen, und Philipp versank immer tiefer im Laster, aber Katharine, die ich soviel, als in meinen Kräften stand, unterstützte, erzog ihren Sohn zu einem braven, tüchtigen Charakter, wie sie selber einer ist. Er ist jetzt zwanzig Jahre alt und ist kein Arbeiter geworden. Er ging abends in eine Zeichenschule, hat überhaupt was gelernt und ist jetzt bei einem Architekten mit einem recht netten Gehalt angestellt. Zu Hause wurde es allmählich, trotz der Anwesenheit des Trunkenboldes, auch besser, denn Camille ist ein vorzüglicher Sohn gegen seine Mutter. Seit zwei Jahren hat die brave Frau sich sehr verändert, und mir wurde immer ganz froh ums Herz, wenn ich sie so glücklich am Arme ihres wie ein Herr gekleideten Jungen einherschreiten sah.
Aber gestern abend, wie ich eben aus meiner Kneipe komme, treffe ich Camille, und wie ich ihm die Hand schüttele – der ist gar nicht stolz und schämt sich meiner mit Kalk bespritzten Bluse nicht – da merke ich, daß etwas los ist.
»Was gibt es denn, Camille?« fragte ich.
»Was es gibt?« erwiderte er. »Daß ich gestern eine Nummer gezogen habe, die einen als Marinesoldat in die Kolonieen bringt, wo man am Fieber stirbt; jedenfalls muß ich fünf Jahre dienen, muß die Mutter ohne Mittel und allein mit dem Vater zurücklassen, der nie mehr getrunken hat und schlimmer gewesen ist, als jetzt. Was es gibt? Daß die Mutter daran zu Grunde geht und daß wir armen Leute mit einem Fluche belastet sind!«
Ich verbrachte eine schreckliche Nacht! Denken Sie doch, Herr Pfarrer, zwanzig Jahre der Sorge und des Kummers, die diese Frau durchgekämpft hat, in einer Minute durch die Grausamkeit des Zufalls zu Schanden gemacht, weil der Junge aus einem Sack eine schlechte Nummer gezogen hat! Als ich nach dem Neubau, den wir auf dem Boulevard Arago aufführen, ging, war ich von der schlaflosen Nacht ganz kaput. Aber arbeiten muß man, ob einem schwer ums Herz ist oder nicht. So kletterte ich denn das Gerüst empor – das Haus steht schon bis zum vierten Stockwerk – und begann meine Steine zu setzen. Plötzlich klopfte mir jemand auf die Schulter. Es war Philipp ... Er arbeitete bloß noch, wenn es ihm gerade paßte, und war augenscheinlich nur gekommen, um sich wieder etwas zum Vertrinken zu verdienen. Der Meister, der eine Konventionalstrafe zu zahlen hat, wenn der Bau nicht zu einer bestimmten Zeit fertig ist, nimmt den ersten besten Arbeiter, der sich ihm anbietet.
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Ich hatte Philipp lange nicht gesehen und erkannte ihn kaum wieder. Er war durch den Schnaps nur noch eine Ruine, ein Greis mit zitternden Händen und grauem Barte.
»Euer Junge hat also eine schlechte Nummer gezogen,« sagte ich zu ihm.
»Und wenn?« erwiderte er mit rauher Stimme und einem bösen Blick. »Fängst du auch an, mich damit zu ärgern, wie Katharine und Camille? ... Dem Jungen geht's halt wie andern auch; er dient dem Vaterlande. ... Alle Wetter, ich weiß wohl, was ihnen im Kopf 'rum geht, meiner Frau und ihm. ... Wenn ich tot wäre, brauchte er nicht Soldat zu sein. Aber leider bin ich eben noch auf dem Posten, und Camille hat noch keine Aussicht darauf, der Sohn einer Witwe zu werden!«
Sohn einer Witwe! ... ach, Herr Pfarrer, warum hat er dieses Wort ausgesprochen? Der böse Gedanke verließ mich den ganzen Morgen nicht mehr, während ich an des Unglücklichen Seite arbeitete. Ich dachte an das jammervolle Leben, das die arme Katharine führen mußte, allein mit dem verwilderten und verrohten Trunkenbold, der zu allem fähig war, wenn der Junge nicht mehr da sein würde, um sie zu beschützen und zu ernähren. ... Auf einer benachbarten Uhr schlug es elf, und die Arbeiter gingen frühstücken. Philipp und ich waren noch die letzten auf dem Gerüst, und wie er auf die erste Sprosse der Leiter tritt, um hinabzusteigen, grinst er mich mit einem höhnischen Lachen an und sagt zu mir mit seiner versoffenen Branntweinstimme: »Siehst du, man ist noch immer wetterfest, und Camille ist noch lange nicht der Sohn einer Witwe, noch lange nicht!«
Da stieg mir vor Wut das Blut in den Kopf! Ich kannte mich nicht mehr! Mit beiden Händen ergriff ich das Ende der Leiter, an die sich Philipp anklammerte, und während er um Hilfe schrie, schleuderte ich die Leiter mit einem Ruck in die Luft.
Er war auf der Stelle tot, und man glaubte an einen Unfall.
Camille ist jetzt der Sohn einer Witwe und braucht als solcher nicht Soldat zu werden.
Das habe ich gethan, Herr Pfarrer, und das mußte ich Ihnen und dem lieben Herrgott sagen! Daß es mir leid thut und daß ich um Vergebung bitte, ist selbstverständlich ... aber ich darf Katharine nicht so glückselig in ihrem schwarzen Kleide am Arme ihres Sohnes vorübergehen sehen, sonst wäre ich im stande, mein Verbrechen nicht mehr zu bereuen ... und um dies zu vermeiden, wandere ich aus; ich schiffe mich nach Amerika ein. ... Hier, Herr Pfarrer, nehmen Sie das goldene Herzchen, das Katharine zurückwies, als sie mir eingestand, daß sie den Philipp gern habe, und das ich seither zum Andenken an die einzigen schönen Tage meines Lebens aufbewahrte. ... Verkaufen Sie es; der Erlös soll für die Armen sein.
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Hat Jacques vom Abbé Faber Absolution erhalten? ...
Eines ist gewiß: der alte Priester verkaufte das goldene Herzchen nicht. Er that den Betrag, den es ungefähr wert war, in den Almosenstock und hing das Kleinod wie ein Weihgeschenk am Altare der heiligen Jungfrau auf, wo er oft für den armen Maurer betet.