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Fünfzehntes Kapitel.

Und du, o Wand, o süß und liebenswerthe Wand!
Die zwischen unsrer beiden Eltern Haus thut stehen;
Du Wand, o Wand, o süß und liebenswerthe Wand,
Zeig' deine Spalte mir, daß ich dadurch mag sehen.

Sommernachtstraum.

»Gott sei bei mir, das geht ja mit einer Anmuth her, Bruder Peter!« rief der Freiherr von Willading, als er mit entzücktem Blicke den hinweggehenden Winzern nachschaute: »wenn wir noch mehres dieser Art sehen, werde ich die Würde der Bürgerschaft vergessen und mich mit den andern vermummen, obgleich mein guter Ruf als ein besonnener Mann durch die Thorheit verloren gehen möchte!«

»Das läßt sich besser unter uns sagen, als unter den Augen des Volkes thun, ehrenwerther Melchior. Es würde wahrhaftig schlecht klingen, könnten sich diese Waadtländer rühmen, ein Adeliger deines Rufes zu Bern hätte sich so weit vergessen!«

»Nichts davon! – sind wir nicht hier, um fröhlich zu sein und zu lachen, und uns an jeder Thorheit, die uns vorkömmt, zu erfreuen? Weg daher mit deinen amtlichen Seitenblicken und mit deiner überschwenglichen Würde, gutes Peterchen! Laß die Zunge dem Herzen frei antworten, als wären wir Knaben, die mit einander sich umher tummelten, wie es ehemals der Fall war, lange, ehe man dich zum Landvogt zu machen gedachte, oder ich eine schmerzliche Stunde kannte.«

»Signor Grimaldi soll zwischen uns entscheiden; ich behaupte, bei denen, die in hohen Aemtern stehen, ist Zurückhaltung nothwendig.«

»Ich will entsche iden, wenn die Schauspieler alle ihre Rollen ausgespielt haben,« erwiederte der Genueser lächelnd: »seht, jetzt kömmt einer, den alle alten Krieger ehren. Wir wollen es wegen einer kleinen Verschiedenheit des Geschmackes in Gegenwart eines so Mächtigen nicht an Ehrfurcht fehlen lassen.«

Peter Hofmeister war kein schlechter Trinker, und da die Annäherung des Gottes des Fasses durch einen Tusch von ungefähr zwanzig Instrumenten verkündigt wurde, welche in einem, dem Gewölbe des Himmels angepaßten Tone sprachen, mußte er seine Ansichten auf eine andere Zeit aufsparen. Nachdem die Musikanten und eine Abtheilung der Diener vorüber waren, – denn der rothen Gottheit wurden besondere Ehren erwiesen – kamen drei Opferpriester, deren einer einen Bock mit vergoldeten Hörnern führte, während die zwei andern das Rebmesser und das Beil trugen. Diesen folgte der mit Weinlaub geschmückte Altar, das Rauchfaß und der Hohepriester des Bacchus, welcher dem jungen Gotte unmittelbar voran schritt. Der kleine Gott saß rittlings auf einem Fäßchen, sein Haupt mit einem Kranze edler Trauben umgeben, einen Becher in der einen Hand, in der andern einen mit Weinlaub umwundenen und fruchtgekrönten Scepter haltend. Vier Mohren trugen das Fäßchen, auf welchem er saß, während andere ihm einen Sonnenschirm über das Haupt hielten. In seinem Gefolge sah man Faune in Tigerfellen, ihre charakteristischen Possen machend, tanzen, während zwanzig lachende und leichtfüßige Bacchantinnen ihre Trommeln hören ließen und, sich im Takte bewegend, den Zug schlossen.

Ein allgemeiner Jubelruf ging der Erscheinung des Silen voran, der auf einem Esel saß und von zwei Mohren gestützt wurde. Der halb leere Schlauch an seiner Seite, das gedankenlose Lachen, der stiere Blick, die lallende Zunge, die geschwellte Lippe und das blödsinnige Gesicht gaben Grund zu vermuthen, hier sei ein besserer Beweggrund für ihre Stütze, als irgend eine, welche zur Wahrheit der Darstellung gehörte. Zwei Jünglinge erschienen nun, die auf einer Stange ein Bündel Trauben trugen, wodurch die durch Josua's Boten aus Canaan gebrachte Frucht vorgestellt werden sollte – ein Sinnbild, das die Künstler und Maskenfreunde des andern Welttheils bei passender Gelegenheit sehr gerne anbringen. Ein großer Wagen, die Arche Noahs benamset, schloß den Zug. Man sah darauf eine Kelter, und eine Weinlaube überschattete die Kelterer; weiter hinten saß die Familie des zweiten Vaters des Menschengeschlechts. Als der Wagen vorbeifuhr, sah man in den Gleisen seiner Räder die Spuren des köstlichen Saftes stehen.

Nun kam das Opfer, der Gesang und der Tanz, wie bei den meisten frühern Darstellungen, welche alle, wie die des Bacchus, Anspielungen auf den besondern Charakter und die Attribute der verschiedenen Gottheiten enthielten. Der bacchische Tanz, welcher den Aufzug schloß, wurde charakteristisch ausgeführt; die Trompeten schmetterten und der Zug ging in der Ordnung, wie er gekommen war, weiter.

Peter gab ein wenig von seiner gewöhnlichen amtlichen Zurückhaltung auf, als er diese Spiele zu Ehren einer Gottheit mit ansah, welcher er so gewöhnlich seine Verehrung thätlich bezeigte, denn es geschah selten, daß dieser vollendete Beamte, den man sehr passend einen Doctrinär in seiner Art nennen konnte, seine Sinne in Schlaf wiegte, ohne sie mit gehöriger Wirkung in den Saft der benachbarten Hügel getaucht zu haben; eine Sitte, welche unter Männern seiner Klasse in jener Zeit bei weitem allgemeiner war, als in der unsrigen, welche in so hohem Grade die Zeit der Nüchternheit zu sein scheint.

»Dies kommt der Wahrheit ziemlich nahe,« bemerkte der zufriedene Landvogt, als die Faune und Bacchanten, mit weit mehr Gelenkigkeit und Eifer als Anmuth ihre Bockssprünge und klassischen Possen machend, die Bahn verließen. – »Dies sieht aus, wie Begeisterung durch guten Wein erzeugt, Signor Grimaldi, und wäre die Wahrheit bekannt, so würde man finden, daß der Schelm, der die Rolle des dicken Burschen auf dem Esel spielte, – wie heißt der Bursche, edler Melchior?«

»Schilt mich, wenn ich weiser bin als du selbst, würdiger Landvogt; er ist offenbar ein Schelm, der ohne den Beistand einer Flasche seine Mummerei nie so gut durchgeführt hätte.«

»Wir müssen uns nach dem Burschen erkundigen, denn es könnte eine Gelegenheit kommen, ihn dem Vorstand der Winzergesellschaft zu empfehlen, wenn alles vorüber ist. Ein tüchtiger Herrscher hat zwei große Mittel, welche er mit Klugheit anwenden muß, Freiherr von Willading, und diese sind – Furcht und Schmeichelei; und Bern hat keinen bereitwilligern Diener, beide, oder eines von beiden anzuwenden, je nachdem es Noth thut, als einer seiner armen Landvögte, welchem die öffentliche Meinung nicht sein ganzes Recht hat widerfahren lassen, wenn die Wahrheit offenkundig wäre. Aber man muß mit diesen guten Leuten von der Gesellschaft über ihre Leistungen gebührend sprechen. Hörst du, Meister Hellebardier, du bist von Vevay, glaube ich, und in deiner Art wohlstehend, oder meine Augen thun uns beiden unrecht.«

»Ich bin, wie Ihr gesagt habt, Monsieur le Bailli, ein Vevayer und einer, der unter unsern Handwerkern wohl bekannt ist.«

»Wahrlich, das sieht man, trotz deiner Hellebarde. Du bist, ohne Zweifel, ein Mann von seltner Einsicht und gründlicher Gelahrtheit rücksichtlich dieser Spiele. Willst du uns den Charakter nennen, der eben auf dem Esel vorüberritt – den, der den Trunkenbold so gut gespielt hat, meine ich. Sein Name ist uns in diesem Augenblicke aus dem Gedächtnis entschwunden, obgleich sein Gebahren uns stets gegenwärtig sein wird; denn eine bessere Darstellung eines vom Trunk Ueberwältigten wird man selten sehen.«

»Der Herr sei Euer Schirm, gnädiger Landvogt! Dies ist Antoine Giraud, der dicke Metzger von La Tour de Peil, und ein besserer Mann bei'm Becher lebt nicht in dem ganzen Waadtlande. Kein Wunder, daß er seine Rolle so auswendig gewußt hat; denn während die Andern in Büchern lasen, oder wie unbeholfene Rekruten von dem Schulmeister abgerichtet wurden, hatte Antoine wenig mehr zu thun, als dem Schlauch an seiner Seite zuzusprechen. Wenn die Diener der Gesellschaft fürchten, er möchte die Feierlichkeit stören, so bittet er sie, sich nicht selbst zum besten zu haben, denn jeder Schluck, den er nimmt, wird zur Ehre der Feier genommen, und er schwört bei Calvin's Glauben, es werde mehr Wahrheit in seiner Darstellung sein, als in der irgend eines andern in der ganzen Gesellschaft.«

»Alle Welt! der Bursche hat eben so viele gute Laune, als Schauspieler-Gabe in sich – dieser Antoine Giraud. Schöne Adelheid, seht doch in der geschriebenen Festanordnung nach, welche sie uns gegeben haben, damit wir uns vergewissern, daß dieser Handwerker-Hellebardier uns keinen unrechten Namen genannt hat. Wir im Amte dürfen einem Vevayer nicht zu leicht trauen.«

»Es wird umsonst sein, fürchte ich, Herr Landvogt, denn in dem Verzeichnisse stehen die Charaktere, aber nicht die Namen derer, welche sie darstellen. Der fragliche Mann stellt nach seinem Aussehen und allen den andern Umständen Silen dar, wenn ich nicht irre.«

»Gut, mag das sein, wie Ihr wollt. Silen selbst könnte seine Rolle nicht besser spielen, als dieser Antoine Giraud es gethan hat. Gold wie Wasser könnte der Bursche am Hofe des Kaisers als Schauspieler verdienen, ließ er sich nur rathen, sich dahin zu begeben. Ich stehe auch dafür, er würde Pluto, oder Minerva, oder jeden andern Gott eben so gut darstellen, als er diesen Schurken Silen dargestellt hat.«

Die aufrichtige Bewunderung Peters, der, die Wahrheit zu sagen, von der Gelehrsamkeit der Zeit, wie man sich ausdrückt, nicht viel besaß, lockte ein Lächeln auf die Lippe der schönen Tochter des Freiherrn, und sie schaute umher, um das Auge Sigismund's zu treffen, dem alle ihre geheimen Gefühle, die des Schmerzes so wie die der Freude, so natürlich und so innig zugewendet waren. Aber das abgewendete Haupt, die starre Aufmerksamkeit, und die fast unbewegliche statüengleiche Stellung, in welcher er dastand, zeigte, daß ein mächtigeres Interesse seinen Blick auf den nächsten Zug fesselte. Obgleich des Grundes dieser hohen Aufmerksamkeit unkundig, vergaß Adelheid augenblicklich den Landvogt, seine Förmlichkeit, und seinen Mangel an Gelehrsamkeit in dem Wunsche, die zu sehen, welche herannahten.

Der mehr klassische Theil der Feierlichkeiten war nun vorüber. Der Rath der Gesellschaft hatte beschlossen, mit einer Darstellung zu endigen, welche der Masse der Zuschauer verständlicher wäre, als alles das vorhergegangene, indem es sich an das Mitgefühl jedes Volkes und aller Klassen der Gesellschaft richtete. Dieses Schauspiel zog Sigismund's Aufmerksamkeit in so hohem Grade an. Man nannte es den Hochzeitszug. Er rückte langsam vor, um den Raum einzunehmen, welcher durch den Abzug Antoine Giraud's und seiner Begleiter leer geworden war.

Voran schritt die gewöhnliche Musikbande, eine lebhafte Weise spielend, die seit langer Zeit bei den Festlichkeiten Hymens angestimmt wurde. Der Gutsherr, oder wie er genannt wurde, der Baron, und seine Gemahlin führten den Zug an, beide in die reiche und zierliche Tracht jener Zeit gekleidet. Sechs alte Paare, das Glück des ehelichen Lebens darstellend, und von einer zahlreichen Nachkommenschaft jeden Alters, vom Kinde an der Brust bis zu dem Gatten und dem Weibe in der Blüthe des Lebens begleitet, gingen dem edlen Paare zunächst. Dann erschien ein Theil einer Wohnung, welche das Innere des häuslichen Lebens darstellen sollte, und seine Küche, seine Geräthschaften und den größten Theil der nützlichen und nothwendigen Dinge enthielt, welche man als die wesentlichen Bestandtheile einer Haushaltung der untern Kreise ansehen kann. In dieser Hälfte eines Hauses drehte ein Mädchen das Spinnrad, und ein zweites war mit Backen beschäftigt. Der Notar, mit dem Heirathscontract unter seinem Arm, und in das carrikirte Costüm seines Berufs gekleidet, blähte sich hinter den zwei emsigen Hausmädchen. Sein Erscheinen wurde mit einem allgemeinen Gelächter begrüßt, denn die Zuschauer ergötzte der lustige Einfall mit der Carrikatur über alle Maßen. Allein dieser plötzliche und allgemeine Ausbruch der Freude wurde eben so schnell in dem Wunsche vergessen, den Bräutigam und die Braut zu sehen, welche unmittelbar hinter dem Rechtsgelehrten folgten. Man hatte gehört, daß dieses Paar keine Schauspieler seien; sondern daß die Gesellschaft ein Paar von entsprechendem Stande und Vermögen ausgewählt habe, welches seine Einwilligung gab, sich bei Gelegenheit dieser großen Feier wirklich zu verehelichen, wodurch natürlich jene lebhafte Freude und Festlichkeit, welche der Vorstand dieser Gesellschaft zu verbreiten beabsichtigte, noch erhöht werden mußte. Dieses Suchen hatte, wie man sich wohl denkt, in den einfachen Dorfgemeinden, welche Vevay umgaben, das größte Interesse erregt. Viele Erfordernisse waren, als unerläßlich bei den Bewerbenden, bekannt gemacht worden – bei der Braut Schönheit, Bescheidenheit, Verdienst, die Unterwürfigkeit des andern Geschlechtes, bei dem Bräutigam jene Eigenschaften, welche ihm in jeder Hinsicht Anspruch geben, das Glück eines so ausgestatteten Mädchens in seine Hände nieder zu legen.

Zahlreich waren die Vermuthungen der Vevayer rücksichtlich des Paares, welches gewählt worden, diese ernsten und wichtigen Rollen zu spielen, die, was die Treue der Darstellung betrifft, selbst den Silen noch übertreffen sollten; allein der Vorstand der Abtei hatte so große Sorgfalt angewendet, die Namen der Erwählten geheim zu halten, daß das Publikum bis auf diesen Augenblick, wo Verheimlichung nicht mehr möglich war, hinsichtlich dieses interessanten Punktes noch in völligem Dunkel schwebte. Es war so gewöhnlich, daß Ehen dieser Art bei Gelegenheit öffentlicher Feste abgeschlossen wurden, und Convenienzheirathen, wie man sie nicht unpassend benannt hat, sind in so völliger Uebereinstimmung mit den Sitten aller europäischen Völker – vielleicht dürfen wir sagen, aller alten Völker – daß es gegen die öffentliche Meinung nicht sehr angestoßen haben würde, wenn man auch gewußt hätte, daß das erwählte Paar sich bei diesem Aufzuge zum zweiten oder dritten Male sah und im Begriff war, das Ehegelöbniß so zu sagen beim Schmettern der Trompeten und dem Klang der Trommeln abzulegen. Dennoch war es gewöhnlicher, die Neigungen der Paare zu Rath zu ziehen, indem die Feierlichkeiten dadurch einen höheren Glanz erhielt; und diese Wahlen bei öffentlichen Gelegenheiten hatten, wie man allgemein annahm, mehr als das gewöhnliche Interesse der Heirathen, da man sie für Mittel ansah, durch Hülfe der Reichen und Mächtigen die zu verbinden, welche Armuth oder andere widrige Umstände bisher getrennt hatten. Das Gerücht sprach von manchem unerbittlichen Vater, der sich lieber durch das Zureden der Großen hatte bekehren lassen, als er der Laune des Publikums entgegen treten wollte, und tausend kummervolle Herzen, solcher, die der untern und einfachen Klasse angehören, erheitern sich heute noch bei der Annäherung irgend eines frohen Festes, welches hoffen läßt, dem Schuldner und Verbrecher die Thüren des Gefängnisses, oder denen, die da reicher sind an Treue und Liebe als an andern Gütern, die Pforten Hymens zu öffnen.

Ein allgemeines Murmeln und eine gemeinsame Bewegung verrieth die lebendige Theilnahme der Zuschauer, als die Haupt- und wirklichen Personen, welche bei diesem Theile des Festes auftraten, näher kamen. Adelheid fühlte ihre Wange wärmer erglühen und ihr Herz freudiger schlagen, als ihr Auge zuerst der Braut und des Bräutigams ansichtig ward, welche sie gern für ein treues Paar hielt, das ein grausames Schicksal bisher getrennt hatte und nun entschlossen war, solchen Bemerkungen zu trotzen, denen sich alle preis geben müssen, welche die öffentliche Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen, um den Lohn ihrer ausdauernden Liebe und ihrer Selbstverläugnung zu empfangen. Diese Theilnahme, welche anfangs ein ziemlich allgemeines und unbestimmtes Gefühl war, das sich vornämlich auf ihre eigene Lage und die Eigenschaften ihres edlen Herzens gründete, wurde jedoch ungemein erhöht, als sie die Braut näher und genauer in das Auge faßte. Die bescheidene Miene, der verschämte Blick, das schwere Athmen des Mädchens, deren persönliche Reize die weit übertrafen, welche ländliche Schönheiten in jenen Gegenden auszeichnen, wo das weibliche Geschlecht nicht von den schwereren Arbeiten des Feldes ausgenommen ist, waren so natürlich und einnehmend, daß sie ihre ganze Theilnahme erweckten; und mit instinctmäßiger Raschheit heftete nun Fräulein von Willading ihre Blicke auf den Bräutigam, um zu sehen, ob ein Wesen, deren Aeußeres so sehr zu ihren Gunsten sprach, in ihrer Wahl wohl glücklich werden würde. Hinsichtlich des Alters, der persönlichen Erscheinung und, so viel man sehen konnte, der äußern Verhältnisse war nichts auffallend Unpassendes in der Wahl, obgleich Adelheid glaubte, die Miene des Mädchens verrathe eine bessere Erziehung als die ihres Gefährten – eine Verschiedenheit, welche sie jedoch gern einer größern Befähigung bei ihrem Geschlechte, den sittlichen Gehalt nach außen abzuspiegeln, zuschrieb, als die des Mannes ist.

»Sie ist schön,« flüsterte Adelheid, ihr Haupt ein wenig zu Sigismund, der an ihrer Seite stand, neigend, – »und muß ihr Glück verdienen.«

»Sie ist gut und verdient ein besseres Schicksal!« murmelte der junge Mann, der angestrengt und hörbar athmete.

Die erschreckte Adelheid hob ihre Augen und eine starke aber unterdrückte Bewegung zuckte in jedem Zuge des Gesichtes ihres Freundes. Die Aufmerksamkeit aller umher war dem Zuge so lebhaft zugewendet, daß sie einen Augenblick unbeachteter Mittheilung erlaubte.

»Sigismund, das ist deine Schwester!«

»Gottes Fluch wollte es so!«

»Warum ist eine so öffentliche Gelegenheit gewählt worden, ein Mädchen von ihrer Bescheidenheit und ihren Sitten zu vermählen?«

»Kann Balthasar's Tochter wählerisch sein? Gold, das Interesse der Abtei, und der thörichte »éclat« dieser Scene haben meinen Vater vermocht, seine Tochter jenem Habsüchtigen zu geben, der wie ein Jude bei dieser Sache gefeilscht und unter andern Bedingungen auch verlangt hat, daß der wahre Name seiner Braut nie bekannt werde. Sind wir nicht durch eine Verbindung geehrt, welche uns schon verstößt, ehe sie geschlossen ist?«

Das dumpfe, erstickte Lachen des jungen Mannes durchbebte die Nerven seiner Freundin und sie brach das heimliche Gespräch ab, um den Gegenstand bei einer günstigeren Gelegenheit wieder aufzunehmen. Mittlerweile hatte der Zug den Platz vor der Bühne erreicht, wo die Schauspieler bereits ihre Verrichtungen begonnen hatten.

Ein Dutzend junge Bursche und eben so viele Mädchen begleiteten das Paar, welches im Begriff war, sich zu verloben. Hinter diesen kam die Aussteuer und das Brautgeschenk Trousseau und corbeille. ; jene ist der Theil der Mitgabe der Braut, welcher sich auf ihre persönlichen Bedürfnisse bezieht; dieses ist ein Geschenk des Bräutigams und ist, wie man bildlich annimmt, ein Beweis der Stärke der Liebe. Bei dieser Gelegenheit war die Aussteuer so reich und zeugte von so großer Freigebigkeit und Wohlhabenheit von Seiten der Verwandten eines Mädchens, welche sich dazu hergab, sich bei einer so öffentlichen Gelegenheit zu vermählen, daß es allgemeines Erstaunen erregte, während auf der andern Seite eine bloße goldene Kette von unzierlicher Arbeit und der Gelegenheit bei weitem angepaßter, die ganze Beisteuer des Bräutigams ausmachte. Die Verschiedenheit zwischen der Freigebigkeit der Freunde der Braut und der des Mannes, der, nach dem Aussehen zu schließen, ohne Frage die meiste Ursache hatte, seine Zufriedenheit zu bezeigen, verfehlte nicht, viele Erörterungen zu veranlassen. Sie endigten, wie die meisten Erörterungen, mit Schlußfolgerungen gegen die schwächere und schutzlosere der Parteien. Der allgemeine Schluß ging lieblos dahin, bei einem so ausgestatteten Mädchen müßten besondere nachtheilige Umstände obwalten, sonst würde eine größere Gleichheit unter den Geschenken sein; – ein Schluß, der ziemlich wahr, obgleich grausam ungerecht gegen den bescheidenen und schuldlosen Gegenstand desselben war.

Während Betrachtungen dieser Art bei den Zuschauern immer mehr kreis'ten, begannen die Schauspieler ihre Tänze, welche sich durch die zierliche Förmlichkeit, die zu der Sittenfeinheit jener Zeit gehörte, auszeichneten. Die Gesänge, welche folgten, enthielten das Lob Hymens und seiner Verehrer, und einige Strophen, welche die Tugenden und Schönheit der Braut priesen, wurden im Chor gesungen. Ein Schornsteinfeger erschien auf dem Schornstein des Hauses, seinen Ruf hören lassend – eine Hindeutung auf das Haushaltungsgeschäft und dann entfernten sich alle, wie dies bei den vorhergehenden Zügen geschehen war. Eine Wache von Hellebardieren machte den Schluß.

Der Theil der Festlichkeiten, welche Angesichts der Bühne vorgehen sollten, war nun für den Augenblick abgethan und die verschiedenen Züge begaben sich auf mannigfache andere Punkte der Stadt, wo die Scenen zu Gunsten derer wiederholt wurden, welche wegen des Gedränges nicht im Stande waren, alles auf dem Platze Vorgehende genau zu sehen. Die Mehrzahl der Vornehmeren benutzten diese Pause, ihre Sitze zu verlassen und sich eine Erholung zu verschaffen, wie der frühere Zwang sie wünschenswerth machte. Unter denen, welche den Platz ganz verließen, war der Landvogt und seine Freunde, welche dem Spaziergang am See-Ufer zuschritten, und in ihre Unterhaltung manchen heitern Scherz über das, was sie abgesehen hatten, einfließen ließen.

Der Landvogt zog bald seine Freunde um sich und ging in eine tiefe Untersuchung über den Charakter des Festes ein, während welcher Signor Grimaldi ein boshaftes Vergnügen verrieth, den lehrsüchtigen Peter zu verleiten, die Verwirrung, welche hinsichtlich der Personen aus der heiligen und Profan-Geschichte in seinem Kopfe herrschte, an das Licht zu stellen. Selbst Adelheid konnte nicht umhin, bei dem Anfang dieser scherzhaften Scene zu lachen, obgleich ihre Gedanken nicht säumten, zu einem Gegenstande zu flüchten, welcher ihr eine nähere und zärtlichere Theilnahme einflößte. Sigismund wandelte gedankenvoll an ihrer Seite und sie benutzte die Aufmerksamkeit, welche alle in ihrer Umgebung dem eben erwähnten lächerlichen Gespräche zuwendeten, den Gegenstand wieder aufzunehmen, welcher vorher nur obenhin berührt worden war.

»Ich hoffe, deine schöne und bescheidene Schwester wird nie Ursache haben ihre Wahl zu bereuen,« sagte sie, ihre Schritte hemmend, so daß die Entfernung zwischen ihr und denen, von welchen sie nicht gehört zu werden wünschte, größer ward, während sie Sigismund näher kam; – »es ist etwas furchtbar Widerstrebendes für jedes jungfräuliche Gefühl, bei einer so entscheidenden und feierlichen Handlung wie die, wenn das Gelöbniß der Treue abgelegt wird, sich vor die Augen der Neugierigen und Rohen geschleppt zu sehen!«

»Arme Christine! Ihr Schicksal war von Kindheit auf bemitleidswerth. Ein reinerer und milderer Geist, als der ihrige, ein Wesen, das empfindlicher vor rauher Berührung zurückbebt, lebt nicht; und doch sieht sie, wohin sich auch ihr Auge wenden mag, nur schreckende Vorurtheile und Meinungen, welche ein so zartes Geschöpf zum Wahnsinn bringen müssen. Es mag ein Unglück sein, Adelheid, der Bildung zu entbehren und verdammt zu sein, sein Leben in der Oede der Unwissenheit und in der Sklaverei roher Leidenschaft hinzubringen; aber es ist kaum ein Glück, den Geist über die Beschäftigungen, welche eine grausame und selbstsüchtige Welt so häufig aufdringt, erhaben zu fühlen.«

»Du sprachst von deiner sanften und vortrefflichen Schwester?« –

»Du schilderst sie richtig. Christine ist sanft, und mehr als bescheiden – sie ist demüthig. Aber was kann die Demuth selbst thun, um ein solches Unglück auszugleichen? Mein Vater wünschte, den Schandfleck seiner Familie von allen, bei denen es möglich war, abzuwenden und ließ daher meine Schwester, so wie mich, früh aus dem väterlichen Hause wegnehmen. Sie wurde fremden Händen anvertraut und das Geheimniß so streng beachtet, daß sie lange, vielleicht zu lange, in Unwissenheit über die Familie war, von welcher sie stammte. Als ein verzeihlicher Stolz meine Mutter veranlaßte, ihrer Tochter Gesellschaft zu suchen, war Christinens Geist gewissermaßen gebildet und sie mußte die Demüthigung erdulden, zu erfahren, daß sie zu einer geächteten Familie gehöre. Ihr milder Geist versöhnte sie jedoch bald mit der Wahrheit, wenigstens so weit menschliche Beobachtung dringen konnte, und nach dem ersten Augenblicke eines furchtbaren Kampfes hörte sie niemand gegen den strengen Rathschluß der Vorsehung murren. Die Ergebung dieses sanften Mädchens war stets ein Vorwurf gegen meinen eigenen stürmischen Charakter, denn, Adelheid, ich kann dir die Wahrheit nicht verhehlen – ich habe in dem Wahnsinn bei diesem Verschwinden aller meiner Hoffnungen Alles verwünscht, was ich nur in meine gottlosen Verwünschungen einzuschließen keck genug war! Ja, ich habe selbst meinen Vater der Ungerechtigkeit angeklagt, daß er mich nicht an der Seite des Richtstuhls auferzog, damit ich einen wilden Stolz in dem empfände, was jetzt der Fluch meines Daseins ist. Nicht so bei Christine. Sie hat stets die Liebe unserer Eltern mit Wärme erwiedert, wie eine Tochter die Urheber ihres Lebens lieben soll, während ich da Unwillen empfand, wo ich hätte lieben sollen. Unsere Abstammung ist ein Fluch, den die grausamen Gesetze des Landes über uns verhängen, und darf niemanden, am wenigsten einem der jetzt lebenden, als Vergehen heimgegeben werden; und so hat meine arme Schwester immer gesprochen und die Wünsche der Eltern, uns auf Kosten ihrer eigenen natürlichen Liebe Gutes zu thun, verdienstlich gefunden. Ich wollte, ich könnte ihre Vernunft und ihre Ergebung nachahmen!«

»Die Ansicht deiner Schwester ist die eines Weibes, Sigismund, deren Herz stärker ist, als ihr Stolz; und was mehr ist, sie ist die richtige.«

»Ich läugne es nicht; sie ist die richtige. Allein jenes übelangebrachte Mitleiden hat mich für immer unfähig gemacht, mit denen, welchen ich angehöre, gleichzufühlen, wie ich wünschte. Es ist ein Irrthum, diese grellen Marken zwischen unsere Sitten und unsere Liebe zu stellen. Wesen, die den Ernst des Kriegers haben, können ihre Phantasie nicht wie schwanke Zweige, oder mit der Leichtigkeit eines Weibes biegen –«

»Die Pflicht!« sagte Adelheid nachdrücklich, als sie bemerkte, daß er inne hielt.

»Wenn du willst, die Pflicht! das Wort hat ein großes Gewicht bei deinem Geschlechte und ich stelle nicht in Abrede, daß dies auch bei dem meinigen der Fall sein sollte.«

»Du mußt deinen Vater lieben, Sigismund. Die Art, wie du eingeschritten bist, um sein Leben zu retten, als wir in jenem furchtbaren Kampf des Sturmes waren, widerlegt deine Worte.«

»Der Himmel verhüte, daß es mir an einem natürlichen Gefühle dieser Art fehle; und doch ist es schrecklich, Adelheid, die, welchen wir unser Leben danken, nicht verehren, innig lieben zu können. Christine ist darin viel glücklicher als ich, ein Vorzug, den sie ohne Zweifel ihrer einfachen Lebensweise und dem vertrautern Umgang mit zärtlichen Freundinnen verdankt. Ich bin der Sohn eines Scharfrichters; diese bittere Wahrheit ist meinen Gedanken stets gegenwärtig, wenn sie sich in die Heimath und zu jenen Scenen wenden, an welchen ich mich so gern erfreute. Balthasar mag es gut gemeint haben, als er mich in Sitten, so verschieden von den seinigen, erziehen ließ; aber um das gute Werk zu vollenden, durfte der Schleier nie weggezogen werden.«

Adelheid schwieg. Obgleich sie die Gefühle verstand, welche einen Mann beherrschten, der so verschieden von denen, welchen er entstammte, erzogen war, so war doch ihre Denkweise dem Nachhängen solcher Betrachtungen entgegen, welche die Ehrerbietung des Kindes gegen seinen Vater untergraben konnten.

»Wer ein Herz hat, wie das deinige, Sigismund, kann seine Mutter nicht hassen!« sagte sie nach einer Pause.

»Dann läßt du mir nur Gerechtigkeit widerfahren; meine Worte haben meine Gedanken schlecht ausgedrückt, wenn sie einen solchen Eindruck hinterließen. In besonneren Augenblicken habe ich meine Geburt stets nur als ein Unglück angesehen, und meine Erziehung halte ich für einen Grund mehr, meine Eltern zu ehren und dankbar gegen sie zu sein, obgleich sie mich in einem gewissen Grade unfähig gemacht hat, mit Innigkeit in ihre Gefühle einzugehen. Christine selbst ist nicht treuer, liebt nicht hingebender, als meine arme Mutter. Man muß dieses vortreffliche Weib sehen und kennen, Adelheid, um all das Unrecht zu begreifen, das die Welt durch ihre grausamen Sitten anstiftet.«

»Wir wollen jetzt nur von deiner Schwester sprechen. Hat man hier über ihre Hand verfügt, ohne ihre Wünsche zu berücksichtigen, Sigismund?«

»Ich hoffe es nicht. Christine ist weich, aber während weder Wort noch Blick die Schwäche verräth, fühlt sie doch die Last, die uns beide niederdrückt. Sie hat sich lange daran gewöhnt, ihre eigenen Verdienste nur vermittelst dieser Erniedrigung zu sehen und hat auf ihre trefflichen Eigenschaften einen zu geringen Werth gelegt. Viel, sehr viel hängt in diesem Leben davon ab, daß wir uns gewöhnen, uns selbst zu schätzen, Adelheid; denn wer bereit ist, Unwürdiges zuzulassen, – ich spreche nicht von einer Schuld gegen Gott, sondern gegen Menschen – der wird sich bald durch Gewohnheit mit einer Richtschnur vertraut machen, die unter seinen gerechten Ansprüchen ist, und vielleicht damit endigen, daß er das wird, was ihm Schrecken einflößte. Dies war die Folge von Christinens Bekanntschaft mit ihrer Abkunft; denn ihr weiches Gemüth sieht eine Art Großmuth darin, diesen großen Flecken zu übersehen, und so neigte sich ihr Geist zu sehr, den Jüngling mit einer Anzahl Tugenden auszustatten, welche zu ihrer Achtung durchaus nothwendig sind, welche aber, wie ich fürchte, nur in ihrer warmen Phantasie leben.«

»Das berührt den schwersten Zweig der menschlichen Erkenntniß,« erwiederte Adelheid, über den aufgeregten Bruder mild lächelnd – »eine gerechte Würdigung unsrer selbst. Wenn eine Gefahr dabei ist, unsere Verdienste zu gering anzuschlagen, so ist auch das Ueberschätzen unsrer selbst nicht ohne Gefahr, obgleich ich den Unterschied vollkommen begreife, den du zwischen gemeiner Eitelkeit und jener Selbstachtung machst, welche gewiß für den nicht ganz unentbehrlich ist, der glücklich werden will. Ein Wesen aber, wie du deine Schwester geschildert hast, wird ihre Liebe kaum jemand zuwenden, den sie derselben nicht vollkommen würdig hält.«

»Adelheid, du, die den Haß der Welt nie gefühlt hat, begreifst nicht, wie lockend Achtung und Verehrung für den werden können, der unter der Wucht des erstern sich abhärmt. Meine Schwester hat sich so lange gewöhnt, ihre Hoffnungen gering anzuschlagen, daß der Schein von Großmuth und Gerechtigkeit bei diesem jungen Manne allein schon hingereicht hätte, ihre Gefühle zu seinen Gunsten zu stimmen. Ich kann nicht sagen, ich glaube – denn Christine wird bald sein Weib sein – ich will sagen, ich fürchte, die einfache Thatsache, daß er ein Wesen gewählt hat, das die Welt verfolgt, hat ihm einen Werth in ihren Augen gegeben, den er sonst nicht besessen hätte.«

»Du scheinst die Wahl deiner Schwester nicht zu billigen?«

»Ich kenne die Einzelnheiten des widrigen Handels besser als Christine,« antwortete der junge Mann, zwischen seinen Zähnen sprechend, wie jemand, der eine bittere Erregung zurückdrängt. – »Ich war mit den gierigen Forderungen auf der einen, und mit den demüthigenden Zugeständnissen auf der andern Seite bekannt. Nicht einmal Geld konnte Balthasar's Kinde diese Gnad' erkaufen – die Bedingung mußte dazu kommen, daß der unauslöschliche Schandfleck ihrer Geburt für immer verborgen bliebe.«

Adelheid sah an dem kalten Schweiße, der auf Sigismund's Stirne stand, wie furchtbar er litt, und sie suchte sogleich eine Gelegenheit, seine Gedanken auf einen minder beunruhigenden Gegenstand zu lenken. Mit der Gewandtheit ihres Geschlechtes und mit der Feinheit und Zartheit eines Weibes, das wahrhaft liebte, fand sie Mittel, ihre freundliche Absicht zu verwirklichen, ohne seinen Stolz nochmals aufzuregen. Es gelang ihr, seine Gefühle so weit zu beruhigen, daß, als sie sich ihrer Gesellschaft wieder anschlossen, das Aeußere des jungen Mannes völlig jene ruhige und stolze Fassung wieder gewonnen hatte, zu welcher er gegen das Bewußtsein des Fleckens, der seine Hoffnungen verdüsterte, indem er das Leben selbst häufig zu einer fast zu unerträglichen Bürde machte, seine Zuflucht zu nehmen schien.



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