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Dann kamen wir zum Grausen und zur Hölle,
Den großen Reichen und der traurgen Herrschaft
Pluto's, wo er auf seinem Throne saß;
Den wüsten Plätzen, den endlosen Ebnen,
Dem Wehgeschrei, dem Kreischen, wilder Pein,
Dem Seufzen, Schluchzen, tiefem Todesstöhnen,
Wo Erd' und Luft von Klag' und Aechzen tönen.
Sackville.
In dieser Weise verfloß jene denkwürdige Nacht. Die zwei Verwundeten schlummerten viel, und ihre Bedürfnisse beschränkten sich auf einen Trunk Wasser von Zeit zu Zeit, um ihren fiebrischen Durst zu stillen oder ihre Lippen zu befeuchten. Ich vermochte Dus dazu, sich auf Lowiny's Bett niederzulegen und zu versuchen, ob sie nicht etwas Ruhe genießen könne; und zu meiner Freude vernahm ich, nachdem die Nacht vorüber war, daß sie zwei bis drei Stunden süß geschlafen habe. Frank und ich nickten auch ein wenig, nach der Art der Soldaten, und Lowiny schlief auf ihrem Stuhl, oder an ihres Vaters Bett sich lehnend. Was Prudence betrifft, so glaube ich, daß ihre Wachsamkeit nicht einen einzigen Augenblick sich verminderte. Da saß sie, die ganze lange Nacht hindurch, schweigend, ohne Thränen, finster, ihr Herz zerrissen von dem gewaltigen und plötzlichen Schlage, der ihre Familie betroffen hatte, aber wach und aufmerksam auf die kleinste Bewegung ihres verwundeten, wie ein Riese daliegenden Gatten. Keine Klage entschlüpfte ihrem Munde: kaum einmal wandte sie sich um zu sehen, was um sie her vorgehe, und sie beachtete durchaus Nichts außer ihrem Manne. Ihm schien sie unwandelbar treuergeben; und was sie auch von seiner natürlichen finstern Strenge und der Herbigkeit, womit er sie selbst zuweilen behandelte, denken mochte und mußte, so schien doch jetzt Alles vergessen.
Endlich kehrte das Licht wieder, nachdem die Stunden der Finsterniß zu ungewöhnlicher Länge sich ausgedehnt zu haben schienen. Jetzt, da Jaap und der Indianer bereit waren, an unserer Statt die Wache zu übernehmen, begaben wir, Frank und ich, uns nach einer der Hütten und legten uns noch für einige Stunden nieder; und das war die Zeit, wo Dus ihren süßesten und erquickendsten Schlummer genoß. Lowiny bereitete uns unser Frühmahl, das wir Drei, Dus, Frank und ich mit einander so gut wir konnten, in Tobits Wohnung einnahmen. Was Squire Newcome betrifft, so hatte er die Lichtung im Lauf der Nacht oder sehr früh Morgens verlassen, ohne Zweifel höchst beunruhigt in seinem Gewissen, aber noch immer ungewiß, ob seine Verbindung mit den Squatters mir bekannt sey oder nicht; und der Vorwand für diesen seinen Aufbruch war die zu erwartende Nothwendigkeit, eine Jury zusammenzurufen; denn Mr. Jason Newcome bekleidete in eigener Person oder als Stellvertreter die verschiedenen Aemter und Funktionen des Friedensrichters, eines Coroners der Grafschaft, eines Inspektors des Fleckens Ravensnest, eines Kaufmanns, Krämers, Müllers, Holzhändlers, Landwirths und Gastgebers; um Nichts zu sagen davon, daß er alle Testamente in der Gegend aufsetzte, ein stehender Schiedsmann war, wenn Streitigkeiten durch Schiedsgerichte abgemacht wurden, ein tonangebender Politiker, ein Patriot von Profession, und ein angesehener und beständiger Anwalt der Rechte des Volkes bis auf die unbedeutendsten Kleinigkeiten hinaus. Wer die Menschen kennt, wird nicht überrascht seyn, wenn er nach Aufzählung aller seiner Aemter und Bestrebungen vernimmt, daß er obendrein auch ein ausgemachter und ausgezeichneter Spitzbube war.
Lang genug habe ich gelebt, um zwei Wahrheiten, als durch meine eigene Erfahrung bekräftigt, für ganz unzweifelhaft zu halten, und zwar diese: ich habe nie einen Mann gekannt, der seine Liebe zu dem Volke und seinen Wunsch, ihm bei allen Gelegenheiten zu dienen, geflissentlich und laut aussprach, dessen Zweck nicht gewesen wäre, es zu seinem eigenen Vortheil zu betrügen; die andere ist diese: ich habe nie einen Mann gekannt, der, genöthigt, in vielfache Berührung mit dem Volke zu kommen, und dabei persönlich populär war, an dem in der That sonderlich Viel gewesen wäre. Aber es ist Zeit, Jason Newcome und seine Charakterfehler zu verlassen, um uns zu der interessanten Scene zu begeben, die uns im Hause Tausendacres' erwartete, und zu welcher wir jetzt von Jaap berufen wurden.
Wie der Tag vorrückte, ermunterten sich der Kettenträger und Tausendacres aus der betäubten Ermattung, welche in Folge ihrer Verwundungen über sie gekommen war, und nahmen mehr oder weniger in Acht, was um sie her vorging. In Beiden sank das Leben rasch, aber Beide schienen gerade in diesem Augenblick ihre Gedanken auf die Welt zurückzulenken, um gleichsam einen letzten Abschiedsblick zu werfen auf die Scenen, wo sie die lange Zeit von siebzig Jahren hindurch eine Rolle gespielt hatten.
»Oheim Kettenträger ist eben jetzt wieder ganz belebt,« sagte Dus, als sie Frank und mir unter der Thüre entgegen kam, »und er hat nach Euch Beiden gefragt; besonders aber nach Mordaunt, dessen Namen er binnen der letzten fünf Minuten dreimal genannt hat. ›Schickt nach Mordaunt, mein Kind‹ sagte er zu mir, ›denn ich wünsche mit ihm zu sprechen, ehe ich Euch verlasse.‹ Ich fürchte, er hat innere Mahnungen an sein herannahendes Ende.«
»Das ist möglich, liebste Ursula; denn die Menschen können wohl schwerlich vom Leben sich losreißen, ohne die Annäherung des Todes zu fühlen. Ich will sogleich an sein Bett gehen, damit er sieht, ich bin hier. Es ist am besten, seine eigene Empfindung entscheiden zu lassen, ob er im Stande ist zu sprechen oder nicht.«
Der Ton von Kettenträgers Stimme, welcher leise, aber deutlich sprach, kam uns zu Ohren, als wir ihm näher traten, und wir blieben Alle stehen, um zu lauschen.
»Ich sage, Tausendacres,« wiederholte Andries etwas lauter als zuvor, »wenn Ihr mich hört, alter Mann, und mir antworten könnt, wünsche ich, daß Ihr mich dies wissen laßt. Ihr und ich, wir sind im Begriff, eine sehr lange Reise anzutreten, und es ist unvernünftig, so wie sündhaft, mit bösen Gefühlen im Herzen aufzubrechen. Wenn Ihr nur auch eine solche Nichte gehabt hättet, wie Dus hier, um Euch diese Dinge zu sagen, alter Aaron, so möchte es wohl für Eure Seele besser seyn in der Welt, in welche wir Beide hinüberzugehen im Begriff sind.«
»Er weiß es – gewiß er weiß es, und fühlt es auch,« murmelte Prudence, sich wieder wie zuvor unruhig hin und her wiegend. »Er hat fromme Vorfahren gehabt und kann nicht so weit von der Gnade abgefallen seyn, daß er Tod und Ewigkeit vergessen hätte.«
»Seht Ihr, Prudence, Aaron konnte nie abfallen von dem, an was er nie sich gehalten hatte. Was die frommen Vorfahren betrifft, so mag man von ihnen immerhin schwatzen in den Reden am vierten Julius, aber sie können nicht viel gelten, wenn es sich darum handelt, einen Mann von seinen Sünden zu reinigen. Ich glaube, die frommen Vorfahren, von welchen Ihr sprecht, waren die Leute, die zuerst auf dem Fels bei Plymouth landeten; aber laßt mich Euch sagen, Prudence, wären ihrer auch zweimal so Viele gewesen, und wären sie Alle zweimal so gut gewesen, als Ihr von ihnen rühmt, es wird Eurem Mann nichts helfen, wenn er nicht Buße thun will, und all das Unrecht und die Sünden bereuen, die er in dieser Welt gethan hat, und seine Mißachtung der Grenzen überhaupt, und seine Eingriffe in anderer Leute Grund und Boden insbesondere. Es mag schön und gut seyn, fromme Vorfahren zu haben, aber ein guter Wandel und Gemüthsverfassung sind viel besser, wenn die letzte Stunde herannaht.«
»Antwortet ihm, Aaron,« sagte das Weib – »antwortet ihm, mein Mann, damit wir Alle die Gemüthsverfassung erkennen, worin Ihr von der Welt Abschied nehmt. Kettenträger ist im Grunde ein wohlmeinender Mann und hat uns nie boshafterweise ein Leid gethan.«
Zum ersten Mal, seit Andries seine Wunde empfangen hatte, hörte ich jetzt die Stimme Tausendacres'. Bis zu diesem Augenblick war der Squatter vor, wie nach seiner Verwundung, in finsterem Schweigen dagesessen, und ich hatte geglaubt, er habe nach seiner Verletzung den Gebrauch der Sprache verloren. Zu meiner Ueberraschung jedoch sprach er jetzt mit so tiefer und kräftiger Stimme, daß ich zuerst mich versucht fühlte, zu wähnen, die Verletzung, die er erhalten, könne vielleicht nicht tödtlich seyn.
»Wenn es keine Kettenträger gäbe,« brummte Tausendacres, »so gäbe es keine Linien und Grenzen und Marken, wie sie es nennen; und wo es keine Grenzen und Marken gibt, da kann kein Recht gelten, als das des Besitzes. Wären nicht Eure geschriebenen Rechtstitel, so läge ich nicht jetzt hier, in den letzten Zügen.«
»Vergib Alles, mein Mann; vergib es Alles, wie es einem guten Christen geziemt,« erwiederte Prudence auf diesen charakteristischen Blick auf die Vergangenheit, wobei der Squatter so offenbar alle seine eigenen Vergehen und Sünden übersehen hatte, und die Folgen ganz auf Andere zu schieben bemüht war. »Es ist das Gesetz Gottes, daß Ihr Euern Feinden vergeben sollt, Aaron, und ich wünsche, daß Ihr dem Kettenträger vergebt, und nicht mit Galle im Herzen in das Land der Geister hinübergehet.«
»Es wäre weit besser, Prudence, wenn Tausendacres Gott anflehen wollte, ihm selbst zu vergeben,« fiel hier der Kettenträger ein. »Ich bin ganz bereitwillig und glücklich, die Verzeihung jedes Menschen zu erlangen, und es ist gar nicht unwahrscheinlich, daß ich etwas gethan oder gesagt haben mag, was die Gefühle Eures Gatten verletzt hat; denn wir Leute in den Wäldern sind rauh genug und derb in unseren Reden und in unserem Thun; so bin ich denn bereit, Tausendacres' Verzeihung sogar zu erlangen, sage ich, und will sie mit Freuden annehmen, wenn er sie mir anbieten und dafür die meinige annehmen will.«
Ein tiefes Stöhnen rang sich los aus der breiten, höhlenartigen Brust des Squatters. Ich nahm es als ein Zugeständniß, daß er Andries' Mörder sey.
»Ja,« begann Kettenträger wieder, »Dus hat mich einsehen gelehrt –«
»Oheim!« rief Ursula, welche mit gespannter Aufmerksamkeit zuhörte, und jetzt sprach, weil sie ihrer inneren Bewegung nicht mehr Meister war.
»Ja, ja, Mädchen, es ist ganz und gar Dein Werk gewesen. Wie Du von der Schule zurückgekommen, und als wir in die Wälder zogen, so gut wie allein, hast Du nie vergessen, einen alten vergeßlichen Mann seine Pflicht zu lehren –«
»Oh, Oheim Kettenträger, nicht ich, sondern Gott in seiner Barmherzigkeit hat Euern Verstand erleuchtet und Euer Herz gerührt –«
»Ja, Liebchen; ja, Dus, meine Theure, ich verstehe das auch; aber Gott in seiner Barmherzigkeit hat einen Engel gesandt als seinen Diener auf Erden an einen armen, unwissenden Holländer, der ohne Deine Hülfe nicht zu der Erkenntniß und der Gnade gelangt wäre, die er erlangen konnte und sollte, und so ist die glückliche Veränderung zu Stande gekommen. Nein, nein, Tausendacres, ich will selbst Eure Verzeihung nicht verachten, so wenig Ihr mir zu verzeihen haben mögt; denn es nimmt Einem, dessen Zeit hienieden nur noch kurz ist, schwere Lasten vom Herzen, zu wissen, daß er keine Feinde zurückläßt. Man sagt, es sey das Beste, die guten Wünsche eines Hundes für sich zu haben, und wie viel besser ist es doch, die guten Wünsche eines Menschen für sich zu haben, der eine Seele hat, die nur der Reinigung bedarf, um die ganze Ewigkeit hindurch in der Gegenwart und vor dem Antlitz des Allmächtigen zu wohnen.«
»Ich hoffe und glaube,« brummte Tausendacres wieder, »daß in der Welt, wohin wir gehen, kein Gesetz und keine Sachwalter seyn werden.«
»Hierin, Aaron, seyd Ihr in großem Irrthum. Jenes Land ist ganz Gesetz und Recht und Gerechtigkeit, obwohl – Gott verzeihe es mir, wenn ich irgend einem Menschen Unrecht thue, aber um ganz offen mit Euch zu sprechen, wie es zwei Sterblichen geziemt, die ihrem Ende so nahe sind, – ich selbst nicht glaube, daß dort viele Sachwalter seyn werden, die diejenigen beunruhigen könnten, die da aufgenommen sind in die Höfe und Hallen des Allmächtigen selbst. Ihr Thun und Beruf auf Erden macht sie noch nicht tüchtig für das Thun und den Beruf des Himmels.«
»Wenn Ihr immer solche vernünftige Begriffe gehabt hättet, Kettenträger, so hätte Euch wohl kein Leid betroffen, und mein Leben und das Eurige wären verschont geblieben. Aber dies ist ein Zustand, wo die Kurzsichtigkeit den Sieg davonträgt über die besten Berechnungen. Ich war nie meiner Sache gewisser, Nutzholz zu Markte zu bringen, als ich es vor drei Tagen zu seyn glaubte, das, was jetzt im Flusse liegt, wohlbehalten nach Albany zu bringen; und jetzt seht Ihr, wie es ist! Die Jungen sind zerstreut, und sehen vielleicht diesen Platz nie wieder; die Mädchen sind in den Wäldern und rennen herum mit dem Wild des Forstes; das Holz ist in die Hände des Gesetzes gefallen, und zwar mit Beihülfe eines Mannes, welcher ehrlicher Weise verpflichtet war, mich zu beschützen, und ich liege hier sterbend!«
»Denkt nicht mehr an das Holz, mein Mann, denkt nicht mehr an das Holz,« sagte Prudence mit Eifer und Ernst; »die Zeit ist verzweifelt kurz im besten Falle, und die Eurige ist kürzer als gewöhnlich, selbst für einen Mann von siebzig Jahren, während die Ewigkeit kein Ende hat. Vergeßt die Bretter und vergeßt die Jungen, vergeßt die Mädchen, vergeßt die Erde und Alles, was sie enthält!«
»Du willst doch nicht, daß ich Dich vergesse, Prudence,« unterbrach sie Tausendacres, »Dich, die Du jetzt vierzig lange Jahre mein Weib gewesen, die ich genommen, als Du jung und schön warst, die mir so viele Kinder geboren, und immer eine treue und hartarbeitende Frau gewesen – Du willst doch nicht, daß ich Dich vergesse?«
Diese eigenthümliche Frage, aus dem Munde eines solchen Menschen, und beinahe in seinem Todeskampfe, klang wunderbar und feierlich unter die verworrenen und halbwilden Gemüthserschütterungen einer mir ewig unvergeßlichen Scene hinein. Die Wirkung derselben auf Ursula war besonders auffallend; sie verließ das Bett ihres Oheims, und mit dem Ausdruck innigen, weiblichen Mitgefühls in ihrem Angesicht näherte sie sich diesem betagten Paare, das jetzt für eine kurze Zeit wenigstens getrennt werden sollte, und blieb hier stehen, nachdenklich den Mann, der wahrscheinlich ihres Oheims Mörder war, anschauend, wie wenn sie gerne in seinen geistigen Leiden und Krankheiten ihm Hülfe spendete. Selbst Kettenträger versuchte sein Haupt aufzurichten, und sah mit Theilnahme nach der andern Gruppe hinüber. Niemand jedoch sprach, denn Alle fühlten, daß die feierlich ernsten Erinnerungen und Ahnungen eines Paares in solcher Lage zu heilig waren, als daß sie unterbrochen werden durften. So ging das Gespräch zwischen ihnen ohne eine Unterbrechung fort.
»Nein, Aaron, mein Mann, nein das will ich nicht,« antwortete Prudence, und ihre Stimme verrieth den Kampf mit heftiger Gemütsbewegung; »kein Gesetz, kein Gebot kann das verlangen. Wir sind ein Fleisch, und was Gott zusammengefügt hat, das wird er nicht lange geschieden und getrennt lassen. Ich kann nicht lange zurückbleiben hinter Euch, mein Mann, und wenn wir uns wieder finden, so hoffe ich, es wird an einem Orte seyn, wo keine Bretter, keine Bäume, keine Acres Landes uns mehr Mühe und Unruhe machen werden.«
»Ich bin aber doch hart behandelt worden mit diesem Holz,« murmelte der Squatter, der offenbar jetzt mehr zum Schuldbewußtseyn erwacht war, als zuvor, und der auch jetzt noch nicht umhin konnte, immerfort mit dem sich zu beschäftigen, was der Hauptgegenstand seiner Gedanken und seiner Thätigkeit während seines Lebens gewesen war, obgleich dies Leben jetzt schon unter seinen Füßen zusammenstürzte, – »ja, mißhandelt bin ich worden mit dem Holze, Prudence, ich kann es nicht anders ansehen. Wenn man auch die Rechte der Littlepage's noch so hoch anschlägt, so hatten sie doch billigermaßen immer nur Anspruch auf die Bäume; während die Jungen und ich, wie Ihr wohl wißt, die Bäume in so schöne und stattliche Dielen und Planken umgewandelt haben, als nur je zu Markte geflößt wurden.«
»Aber einer Umwandlung anderer Art bedürft Ihr jetzt, Aaron, mein Mann; eine andere Art von Umwandlung und Bekehrung thut Euch jetzt noth. Wir müssen Alle einmal uns bekehren in unserm Leben; Alle wenigstens, die da Kinder von puritanischen Eltern und von gottseligen Vorfahren sind; und man muß gestehen, wenn man unsre Jahre anschlägt, und das Gewicht des Beispiels in einer solchen Familie wie die unsrige, daß Ihr und ich es lange genug aufgeschoben haben. Kommen muß es aber dazu, oder es kommt etwas Schlimmeres; und Zeit und Ewigkeit fallen in Eurem Falle, Aaron, so ziemlich zusammen.«
»Ich würde beruhigter im Gemüth sterben, Prudence, wenn Kettenträger nur zugeben wollte, daß der Mann, der einen Baum fällt, und herbeischleppt, und sägt und in Flöße schichtet, eine Art Recht, natürliches oder gesetzliches, auf das Holz erwirbt.«
»Es thut mir leid, Tausendacres,« versetzte Andries, »daß Ihr ein solches Zugeständniß von mir nöthig zu haben glaubt in diesem ernsten Augenblick, da ich als ein ehrlicher Mann es nimmermehr machen kann. Ihr thätet besser, Eurem Weib Euer Ohr zu leihen, und Euch zu bekehren, wenn Ihr könnt, und sobald Ihr könnt. Ihr und ich wir haben nur noch wenige Stunden zu leben; ich bin ein alter Soldat, Tausendacres und habe mehr als dreitausend Mann in meinen eignen Reihen niederschießen sehen, zu geschweigen derer, die in den Reihen des Feindes fielen; und bei einer solchen Erfahrung versteht sich Einer nachgerade schon ein Wenig auf Wunden und deren Folgen und Ausgang. So spreche ich denn als mein Dafürhalten aus, daß Keiner von uns Beiden die mindeste Hoffnung hat, die nächste Nacht zu überleben. So macht denn, daß diese Bekehrung so schnell und so gut als möglich vor sich gehe, denn es ist wenig Zeit zu verlieren, und Ihr seyd ein Squatter. Es ist dies der Augenblick, Tausendacres, wo mehr als in jedem andern der wahre Werth von Professionen und Gewerben und Berufsarten sich erweist, so wie auch die Art und Weise, wie die Pflichten erfüllt worden, die sie mit sich bringen. Es mag ehrenvoller und gewinnreicher seyn, ein berechnender Vermesser zu seyn und sich auf Arithmetik zu verstehen, und in der Welt von sich reden zu machen durch große und umfassende Arbeiten, die man ausgeführt hat; aber sogar Seine Excellenz selbst, wenn sein letztes Stündchen herannaht, mag sich freuen, daß die Versuchungen solcher Gelehrsamkeit, und der Umstand, daß er so durch und durch ein ehrlicher Mann ist, ihn den Stand eines armen Kettenträgers nicht beneiden lassen, der, wenn er nicht Viel wußte, und nicht Viel leisten konnte, wenigstens das Land mit Treue maß, und seine Arbeit so gut verrichtete, als er konnte und wußte. Ja, ja, alter Aaron, bekehrt Euch, sage ich Euch; und sollte Prudence nicht genug von der Religion und von ihrer Bibel wissen, und vom Beten zu Gott, daß er Erbarmen habe mit Eurer Seele, so ist hier Dus Malpone, meine Nichte, welche diese Sachen versteht, und was noch weit Mehr ist, fühlt, ganz so gut wie die meisten Dominies, und besser als einige Selbstsüchtige und Faule darunter, die ich kenne, und die ihre Herden so behandeln, als wenn der Herr wollte sie sollten nur von ihnen geschoren werden, und die zu faul sind, um viel Mehr zu thun, als immerfort zu rufen – und das nicht mit den Worten des inspirirten Schreibers: Wächter, welche Stunde der Nacht ist es? Wächter, welche Stunde der Nacht ist es? – sondern: Meine geliebte und höchst christliche und gottselige Gemeinde, zahlt, zahlt, zahlt! – Ja, es ist zu viel Geiz und Selbstsucht in der Welt, und das thut der Sache des Erlösers Schaden; aber die Wahrheit ist etwas so Klares und Schönes, mein armer Aaron, daß selbst Lügen und Laster und alle Arten von Sünden sie nicht lange beflecken können. Nehmt meinen Rath an und redet mit Dus; und obgleich Ihr ohne Zweifel schlimmer werden werdet im Leiblichen, wird Euch doch besser werden im Geist.«
Tausendacres wandte sein wildes und rauhes Gesicht herum und schaute ernst und gespannt Ursula an. Ich sah den Kampf, der im Innern vorging in dem klaren Spiegel des süßen, aufrichtigen Angesichts meiner Geliebten, und ich erkannte, daß es passend sey, wenn wir uns zurückzögen. Frank Malbone verstand meinen Blick und wir verließen miteinander das Haus und schlossen die Thüre hinter uns.
Zwei für mich lange und ängstliche Stunden folgten, während welcher Zeit mein Freund und ich meist auf der Lichtung herum wanderten, die Männer ausfragten, welche das bewaffnete Geleite bildeten, und ihre Berichte anhörten. Diesen Männern war es Ernst mit dem was sie thaten; denn Achtung vor dem Gesetz ist ein auszeichnender Zug in Neuengland, woher die Meisten dieser Männer kamen, als in irgend einem andern Theile des Landes, trotz der, wie es scheinen könnte, für das Gegentheil sprechenden Spitzbüberei des Squire Newcome. Manche Beobachter behaupten, diese Achtung vor dem Gesetz nehme allmählig unter uns ab, und an ihrer Stelle komme merklich die Neigung auf, die Meinungen, Wünsche und Interessen lokaler Majoritäten geltend, und das Land Menschen statt Grundsätzen unterthan zu machen. Die Letztern sind ewig und unveränderlich, und weil sie von Gott kommen, haben die Menschen, selbst wenn sie in ihren Gesinnungen einmüthig wären, so wenig das Recht, sie zu ändern, als seinen heiligen Namen zu lästern. Alles was die weiteste und ausgebildetste politische Freiheit Wohlthätiges wirken kann, ist: diese Grundsätze zum Besten des menschlichen Geschlechts in der Ordnung und Führung ihrer täglichen Angelegenheiten anzuwenden; aber wenn sie an die Stelle dieser reinen und gesunden Regeln und Gebote des Rechts Gesetze, in Selbstsucht ausgeheckt und vollzogen durch die Macht und Gewalt der Zahl, zu setzen versuchen, so üben sie nur Tyrannei in volksmäßiger Gestalt, statt in der frühern königlicher Macht oder aristokratischer Mißbräuche. Es ist ein unseliger Irrthum, sich einzubilden, daß die Freiheit gewonnen werde durch die bloße Erkämpfung des Rechts zu regieren für das Volk, wenn nicht auch die Art, wie dies Recht verstanden und geübt werden soll, aufs engste verbunden und verschmolzen ist mit allen volksmäßigen Begriffen von dem, was errungen worden ist. Dies Recht zu regieren besagt weiter Nichts, als das Recht des Volkes sich der so errungenen Macht zu bedienen, um die großen Grundsätze der Gerechtigkeit zu seinem eigenen Besten anzuwenden, da es bisher vom Besitze dieser Vortheile ausgeschlossen war. Es verleiht keine Macht und Befugniß, was an und für sich unrecht ist, unter irgend welchem Vorwand zu thun; auch wäre gar Nichts gewonnen gewesen, wenn Amerika, sobald es sich einer Herrschaft entledigte, welche einen so großen Theil seiner Kraft zur Vermehrung des Reichthums und Einflusses eines entfernten Volkes mißbrauchte, sich sofort daran gemacht hätte, eine neue Politik in ihrem eignen Innern aufzustellen, welche ähnliche Uebel ihm zufügen müßte.
Mein alter Bekannter, der treuherzige Rhodeisländer war auch in dem gewaffneten Geleite mitgekommen; und ich hatte, während ich das Haus Tausendacres' verlassen, eine kurze Besprechung mit ihm, welche den Leser einigermaßen in das Geheimniß des Standes der Dinge auf der Lichtung einweihen mag. Wir begegneten uns in der Nähe der Mühle, wo mein Bekannter, dessen Name Hosmer war, also begann:
»Guten Morgen Euch, Major, und herzlich willkommen in der freien Luft!« rief der stämmige Yeoman, mir zutraulich aber achtungsvoll die Hand bietend. »Ihr seyd hier in eine Grube gefallen, oder in eine Diebshöhle; und es ist offenbar das Walten der Vorsehung, daß Ihr nur wieder den blauen Himmel gesehen und die freie Luft geathmet habt! Nun, ich habe diesen Morgen ein Wenig mit dem Indianer herumgespürt; und kein Hund hat eine sichrere Witterung als er. Wir gingen in die Schlucht am Flusse; und eine verzweifelte Masse Bretter hat das Gezücht in das Wasser geschafft, das kann ich Euch sagen! Wenn der Haufe vierzig Pfund Yorker Geld gilt, so muß das Ganze volle fünfhundert werth seyn. Sie hätten sich da ein Vermögen gemacht. Jeder von den Spitzbuben. Ich weiß nicht, ob ich nicht selbst darum fechten würde, um so viele Bretter und so schöne Bretter zu retten, mit Recht oder mit Unrecht geschnitten!«
Hier hielt der alte Bursch inne, um zu lachen, und dies that er ebenso behaglich und mit vollem Genügen, wie er sprach und überhaupt Alles that. Ich benützte die Gelegenheit, um ihm ein Wort zu erwiedern.
»Ihr seyd ein zu ehrlicher Mann, um daran zu denken, je Bretter zu sägen aus eines Andern Bäumen,« versetzte ich. »Diese Leute haben ihr ganzes Leben lang auf unehrliche Weise sich fortgebracht, und Jeder kann sehen, wozu das geführt hat.«
»Ja, ich hoffe, das bin ich, Squire Littlepage – ich hoffe, das bin ich. Harte Arbeit und ich sind einander nicht fremd, und so lang Einer arbeiten kann und arbeiten will, bekommt ihn der Satan nicht leicht zu packen. Aber was ich sagen wollte, der Indianer verfolgte die Spur am Fluß hinab, obgleich sie auf einem ziemlich betretenen Pfade hinlief; aber diesem Indianer würde es so leicht seyn, sie selbst auf einer Heerstraße zu finden, als es für Euch oder für mich ist, an einem Sabbathtage die Stelle in der Bibel zu finden, wo wir am vorigen Sabbath stehen geblieben. Ich mache mir immer ein Zeichen in die meinige mit einem Schnürchen, das mir meine Alte ausdrücklich dazu geflochten hat; und eine recht gute Methode ist das, denn während man mit der einen Hand nach der Brille sucht, ist Nichts leichter als mit der andern die Bibel aufzuschlagen. Es ist gar etwas Bequemes darum; und wenn Ihr eine vornehme Lady in York drunten heirathet, wie Eure Mutter war, denn ich kannte sie und verehrte sie, wie wir Alle hier herum thaten, – nun, wenn Ihr heirathet, bittet Eure Frau, Euch auch ein Schnürchen zu flechten, um mit Hülfe desselben die Stelle in der Bibel zu finden, und Alles wird gut gehen, darauf nehmt das Wort eines alten Mannes!«
»Ich danke Euch, mein Freund, und will mir den Rath merken, sollte ich auch etwa eine Lady aus dieser Gegend und nicht von York drunten heirathen.«
»Aus dieser Gegend hier? Nein, wir haben hier Niemand, der gut genug für Euch wäre. Laßt mich sehen: Newcome hat eine Tochter, die alt genug wäre, aber sie ist verzweifelt häßlich, und würde für Euch in keiner Weise passen. Ich denke, die Littlepage's würden nicht allzugerne sich so nahe mit den Newcome's einlassen.«
»Nein, mein Vater war ein alter Freund – oder ein alter Bekannter wenigstens, von Mr. Newcome, und muß seine Verdienste kennen und würdigen.«
»Ja – ja – ich stehe Euch dafür, der General kennt ihn. Nun, die menschliche Natur bleibt menschliche Natur; und ich glaube, wenn man die Wahrheit sagen soll, Keiner von uns ist nur halb so gut als er seyn sollte. Wir lesen von treuen Haushaltern in dem guten Buche, und auch von ungetreuen, Squire,« hier hielt der alte Yeoman wieder inne und überließ sich seinem herzlichen Gelächter, womit er deutlich zu verstehen gab, welche Anwendung er seinen Worten gegeben wissen wollte. »Nun, Alle müssen zugeben, daß die Bibel ein gutes Buch ist. Ich schlage sie nie auf, ohne Etwas daraus zu lernen, und was ich lerne, das bemühe ich mich, nicht mehr zu vergessen. Aber da ist ein Bote an Euch, Major, von Tausendacres' Hütte, und ich bilde mir ein, es wird darauf hinauslaufen, daß er oder Kettenträger seinem Ende nahe sey.«
Wirklich kam Lowiny, um uns in das Haus zu holen, und ich verabschiedete mich für jetzt von meinem Collega Major. Es war mir klar, daß dieser ehrliche Yeoman, ein tüchtiger Repräsentant seiner Klasse, Newcome und seine Schliche durchschaute, und nicht abgeneigt war, davon zu sprechen und sie aufzudecken. Doch hatte auch dieser Mann einen Fehler, und zwar einen sehr charakteristischen seiner Klasse und Sekte. Er konnte nicht offen heraussprechen, sondern pflegte mit Anspielungen um einen Gegenstand herumzugehen, statt frisch mit der Sprache herauszugehen und zu sagen, was er auf dem Herzen hatte; auf den Busch zu klopfen, um das Wild aufzujagen, während er, gerade darauf losgehend, kürzer zu seinem Zweck hätte kommen können. Ehe wir uns trennten, gab er mir zu verstehen, daß Susquesus und mein Sklave Jaap den sich zurückziehenden Squatters nachgegangen seyen, mit der Absicht, ihre Spuren einige Meilen weit zu verfolgen, um sich Gewißheit zu verschaffen, ob nicht Tobit und seine Rotte noch in der Lichtung sich herumtrieben, ihr Hab' und Gut zu beobachten und einen Schlag zu führen, wenn man sich dessen am wenigsten versehe.
Dus trat mir unter der Thüre des Hauses entgegen, traurig und mit Thränen, aber eine solche heilige Ruhe in ihrem sonst so strahlenden Angesicht herrschend, daß sich darin ganz die Nachwirkung der feierlichernsten Pflichterfüllung aussprach, womit sie so eben beschäftigt gewesen. Sie bot mir ihre beiden Hände dar und sagte: »Oheim Kettenträger ist sehr verlangend, uns zu sprechen – wegen unserer Verlobung, glaube ich.« Ein Schauer durchbebte Ursulas Gestalt: aber sie raffte ihre Kraft zusammen, lächelte trüb und fuhr fort: »Hört ihn geduldig an, lieber Mordaunt, und bedenkt, daß er in gewissem Sinne mein Vater ist, und so vollen Anspruch auf meinen Gehorsam und meine Hochachtung hat, als wenn ich seine leibliche Tochter wäre.«
Wie ich in das Gemach trat, konnte ich bemerken, daß Dus gebetet hatte. Prudence schien beruhigt und getröstet, aber Tausendacres' Gesicht selbst hatte einen unsicheren und wilden Ausdruck, wie wenn jetzt erst Zweifel in seiner Seele sich zu regen begonnen hätten, in dem Augenblick, wo sie am quälendsten für ihn seyn mußten. Ich bemerkte, daß sein ängstliches Auge an Dus hing, und daß er ihr beständig mit seinen Blicken folgte, wie wenn sie dasjenige Wesen wäre, welches das Werkzeug geworden, in ihm das Bewußtseyn seines bedenklichen Zustands zu wecken. Aber bald ward meine Aufmerksamkeit nach dem andern Bett hingezogen.
»Kommt her zu mir, Mordaunt, mein Junge: und komm Du auch hieher, Dus, meine liebste Tochter und Nichte. Ich habe einige wichtige Worte mit Euch zu sprechen, bevor ich scheide, und wenn sie nicht jetzt gesprochen werden, so bleiben sie wohl ungesagt. Es ist immer das Beste, die Zeit beim Stirnhaar zu fassen, wie man sagt; und gewiß kann man es nicht übereilt gesprochen nennen, wenn Einer nicht nur einen Fuß im Grabe hat, sondern beide Füße und den halben Leib obendrein, wie man dies von mir wohl sagen kann. Jetzt hört eines alten Mannes Rath an, und unterbrecht mich nicht, bis ich ganz ausgesprochen habe, denn ich werde sehr schnell schwächer und habe keine Kraft mehr, mit Streiten und Beweisgründen Worte zu verschwenden.«
»Mortaunt hat mir so Viel mitgetheilt, daß ich aus seinem eigenen Munde weiß, er liebt und bewundert mein Mädchen, und wünscht und hofft und gedenkt sie zu seiner Gattin zu machen. Andererseits bekennt und gesteht Dus, oder Ursula, meine Nichte, daß sie Mortaunt liebt und achtet und eine lebhafte Freundschaft für ihn hat, und geneigt ist, sein Weib zu werden. Alles das ist natürlich, und es gab eine Zeit, wo es mich so glücklich gemacht haben würde, als der Tag lang ist, wenn ich dies aus dem Munde des Einen oder des Andern vernommen hätte. Ihr wißt, meine Kinder, daß ich für Euch Beide gleiche Zärtlichkeit hege, und daß ich euch in jeder Hinsicht, die weltlichen Glücksgüter ausgenommen, für so geeignet ansehe, Mann und Weib zu werden, als nur irgend ein junges Paar in Amerika. Aber Pflicht ist Pflicht, und sie muß erfüllt werden. General Littlepage war mein alter Oberst; und selbst ein rechtlicher und ehrenhafter Mann, hat er alles Recht zu erwarten, daß jeder von seinen früheren Kapitäns insbesondere gegen ihn so handle, wie sie wünschen, daß er gegen sie handle. Obgleich nun der Himmel Himmel ist, muß doch diese Welt eben betrachtet werden als diese Welt die sie ist, und man muß die Regeln und Gesetze ihres Regiments an ihrer Stelle achten. Die Malpone's sind eine achtbare Familie, das weiß ich; und obgleich Dus' Vater ein wenig wild und unbesonnen und verschwenderisch war.«
»Oheim Kettenträger!«
»Wahr, Mädchen, wahr! er ist dein Vater gewesen und das Kind muß immer die Eltern ehren. Ich gebe das zu, und will nicht Mehr sagen, als durchaus nöthig ist; zudem, wenn Malpone seine schlimmen Eigenschaften hatte, so hatte er auch seine guten. Ein schönerer Mann war weit und breit nicht zu finden, wie dies meine arme Schwester wohl empfunden hat, glaube ich: und er war muthig wie ein Bullenbeißer, und großherzig und gutmüthig, und manche Personen wurden ganz hingenommen von all diesen glänzenden Vorzügen und hielten ihn für besser, als er eigentlich war. Ja, ja, Dus, mein Kind, er hatte seine guten Eigenschaften neben den schlimmen. Aber die Malpone's sind Gentlemen, wie man an Frank sieht, Dus' Bruder, und an den andern Gliedern der Familie. Sodann war meiner Mutter Familie, durch welche ich mit Dus verwandt bin, sehr gut, – sogar noch besser als die Coejemans – und das Mädchen ist ein Frauenzimmer von Stand ihrer Geburt nach. Niemand kann das läugnen: aber das Blut macht nicht Alles aus. Kinder müssen genährt und gekleidet werden: und Geld ist am Ende doch nöthig zum Behagen und zur Eintracht der Familien. Ich kenne Madame Littlepage namentlich sehr gut. Sie ist eine Tochter des alten Herman Mordaunt, der ein angesehener Gentleman im Lande war, und der Eigenthümer von Ravensnest so wie auch von andern Gütern und zur höchsten Gesellschaft in der Provinz gehörte. Nun mag Madame Littlepage, die so geboren und erzogen und gebildet worden ist, und eine solche Verwandtschaft und Bekanntschaft hat, keine Freude daran haben, Dus Malpone zur Schwiegertochter zu bekommen, eines Kettenträgers Nichte, und ein Mädchen, das selbst die Ketten getragen hat, wofür ich sie nun um so mehr liebe und achte, Mortaunt, mein Junge: aber weßwegen die thöricht urtheilende Welt sie mißachten wird –«
»Meine Mutter – meine großherzige, richtig fühlende und billig denkende Mutter – nimmermehr!« rief ich aus in einer Aufwallung von Gefühl, die ich nicht bewältigen konnte.
Meine Worte und der Ernst meines ganzen Wesens brachten einen tiefen Eindruck auf meine Zuhörer. Ein Schimmer schmerzlicher Freude zuckte über das Antlitz von Dus hin, gleich einem elektrischen Funken. Der Kettenträger schaute mich gespannt an, und im Ausdruck seines Gesichts war leicht das lebhafte Interesse zu erkennen, das er an meinen Worten nahm, und welche Wichtigkeit er ihnen beilegte. Frank Malbone aber mußte sein Angesicht wegwenden, um die Thränen zu verbergen, die ihm in die Augen drangen.
»Wenn ich das glauben dürfte – wenn ich das hoffen dürfte, Mortaunt,« fuhr Kettenträger fort, »so würde es ein gesegneter Trost seyn für meinen scheidenden Geist, denn den General Littlepage kenne ich hinreichend, um gewiß zu seyn, daß er ein gerechter und billigdenkender Mann ist, und daß er mit der Zeit die Sachen so ansehen wird, wie man sie ansehen muß. Bei Madame Littlepage fürchtete ich, sey es anders; denn ich habe immer gehört, die Mortaunt's seyen eigene Leute, und haben solche Gesinnungen, wie vornehme Leute zu haben pflegen. Das macht nun eine Veränderung in meinen Ideen und auch zum Theil in meinen Planen. Je dennoch, meine jungen Freunde, ich muß jetzt Euch Beide bitten mir ein Versprechen abzulegen, – und ein feierliches Versprechen, einem Sterbenden gegeben, – und es besteht darin –«
»Erst hört mich an, Kettenträger,« fiel ich ihm lebhaft in's Wort, »ehe Ihr Ursula unbedacht, und ich hätte beinahe gesagt grausam in ein unvorsichtiges Versprechen verwickelt, das unser Beider künftiges Leben unglücklich machen könnte. Ihr selbst habt mich zuerst aufgefordert, gereitzt, bestürmt, sie zu lieben; und jetzt, da ich ihren Werth erkannt habe und anerkenne, werft Ihr Eis in meine Flamme, und heißt mich thun, woran jetzt zu denken zu spät ist.«
»Ich gestehe es, ich gestehe es, Junge, und ich hoffe, der Herr in seiner großen Barmherzigkeit wird den großen Irrthum, den ich begangen habe, vergeben und verzeihen. Wir haben hievon schon gesprochen, Mortaunt, und Ihr erinnert Euch wohl, ich habe Euch gesagt, daß Dus selbst es war, die mich zuerst in dieser Sache die Wahrheit erkennen machte, und wie viel besser und schicklicher es für mich sey, Euch zurückzuhalten, als Euch zu ermuntern und anzufeuern. Wie kommt es, mein theures Mädchen, daß Ihr das Alles vergessen habt, und jetzt, wie es scheint, wünscht, daß ich gerade das thue, was Ihr mir gerathen hattet, nicht zu thun?«
Ursula's Antlitz wurde blaß wie der Tod: dann wurde es plötzlich flammendroth, wie ein Sonnenuntergang, und sie sank auf die Kniee, und verbarg ihr Angesicht in der groben Bettdecke, während sie in ihrer Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit ihre Antwort hervorstammelte:
»Oheim Kettenträger,« sagte sie, »als wir zuerst von dieser Sache sprachen, hatte ich Mordaunt noch nie gesehen.«
Ich knieete neben Ursula, drückte sie an meine Brust, und suchte das Gefühl meiner tiefen Dankbarkeit für diese edle, aufrichtige Erklärung, durch solche Liebkosungen, wie die Natur und die Empfindung sie eingaben, an den Tag zu legen. Dus aber machte sich sanft aus meinen Armen los, stand auf, und wir Beide standen nun da, abwartend, welchen Eindruck das so eben Gehörte und Gesehene auf Kettenträger machen werde.
»Ich sehe, daß die Natur stärker ist als Vernunft und Ansichten und Herkommen,« begann der alte Mann wieder nach einer langen Pause des Nachdenkens – »ich habe jedoch nur noch wenig Zeit übrig, die ich dieser Sache widmen kann, meine Kinder, und muß sie daher zu einem Schluß bringen, versprecht mir, Beide, daß Ihr nie heirathen wollt ohne die freie Zustimmung des Generals Littlepage, und der alten Matame Littlepage und der jungen Matame Littlepage, sofern sie Alle noch leben.«
»Ich verspreche es Euch, Oheim Kettenträger,« sagte Dus mit einer raschen Entschlossenheit, die ich ihr kaum verzeihen konnte – »Ich verspreche es Euch und werde mein Versprechen halten, so wahr ich Euch liebe, und meinen Schöpfer fürchte und ehre. Es wäre Elend für mich, in eine Familie zu treten, die mich nicht gerne aufnähme –«
»Ursula! – Liebste – Theuerste – Ursula! bedenkt doch! Bin ich denn Nichts in Euren Augen?«
»Es würde auch Elend für mich seyn, ohne Euch zu leben, Mordaunt – aber im einen Fall würde ich aufrecht gehalten werden durch das Gefühl, meine Pflicht erfüllt zu haben, während im andern Alles, was mir vom Mißgeschick begegnet, mir als Strafe für meine Fehler erscheinen würde.«
Ich wollte das Versprechen nicht leisten; denn, die Wahrheit zu gestehen, so wenig ich auch nur einen Augenblick wegen meines Vaters oder meiner Mutter Zweifel hegte, so war dies doch der Fall rücksichtlich meiner lieben und verehrungswürdigen Großmutter. Ich wußte, daß sie nicht nur sich in den Kopf gesetzt hatte, ich müsse Priscilla Bayard heirathen, sondern daß sie auch eine Leidenschaft hatte, in ihrer Familie Partieen zu stiften; und ich fürchtete, sie möchte mit der Zähigkeit des Alters auf ihren Ansichten bleiben. Dus suchte mich zu bewegen, die Zusage zu geben; aber ich sträubte mich dagegen; und alles Zureden hörte auf in Folge einer Bemerkung, welche bald darauf der Kettenträger machte.
»Es thut Nichts, es thut Nichts, Liebchen; Dein Versprechen ist genug. So lange Du demselben treu bleibst, was hat es zu sagen, ob Mortaunt eigensinnig ist oder nicht? Und jetzt, meine Kinder, da ich nun nicht weiter von den Dingen dieser Welt reden will, sondern alle meine Gedanken und Worte den göttlichen Dingen zuzuwenden wünsche, will ich meine Abschiedsworte zu Euch sprechen. Ob Ihr Euch nun heirathet oder nicht, bitte ich den allmächtigen Gott, Euch seinen besten Segen zu verleihen in diesem Leben wie im künftigen. Lebt so, meine theuren Kinder, daß Ihr dem ernsten Augenblick, dessen Ihr jetzt mich gewärtig sehet, mit Hoffnung und Freude entgegengehen könnt, und daß wir uns Alle wiedersehen mögen in den himmlischen Wohnungen, Amen!«
Eine kurze, feierliche Pause trat ein nach diesem Segenswunsch, die aber unterbrochen wurde durch ein fürchterliches Stöhnen, das sich aus der breiten Brust Tausendacres emporrang. Aller Augen wandten sich nach diesem Bette, welches einen höchst erschütternden Contrast darbot mit der friedlichen Scene des Abschieds der Seele dessen, um welchen wir versammelt waren. Ich allein trat näher, um Prudence beizustehen, welche, in ächt weiblicher Treue, bis zum letzten Augenblick an ihrem Gatten hing. »Bein von seinem Bein, und Fleisch von seinem Fleisch.« Ich muß jedoch gestehen, daß Grausen meine Glieder lähmte, und daß, als ich bis an den Fuß vor des Squatters Bett gekommen, ich wie ein festgewurzelter Baum und wie angenagelt stehen blieb.
Man hatte Tausendacres; mittelst Bettdecken aufgerichtet, so daß er mit dem halben Leibe beinahe in sitzender Stellung da lag, – eine Veränderung, die er gewünscht hatte, als Dus mit ihm betete. Seine Augen standen offen: geisterhaft, unstet umherirrend, hoffnungslos. Wie die Lippen im krampfhaften Zucken des Todes sich zusammenzogen, gaben sie seinem grimmigen Gesicht eine Art von sardonischem Lächeln, daß es doppelt furchtbar werde. In diesem Augenblick kam eine finstere Ruhe über das Angesicht und Alles ward unbeweglich. Ich wußte, daß der letzte Athemzug bevorstand und erwartete ihn, wie der bezauberte Vogel in das Basiliskenauge der Schlange starrt. Er kam und verzog die Lippen so, daß alle Zähne hervortraten, – und nicht Einer fehlte diesem Manne von Eisen: und da ward der Anblick selbst für meine Nerven zu entsetzlich und ich verhüllte die Augen. Als ich die Hand wieder wegzog, warf ich noch einen flüchtigen Blick auf die dunkle Hülle, in welcher der Geist des Mörders und Squatters so lange gewohnt hatte, als Prudence eben beschäftigt war, die starren, aber noch immer feurigen Augen zuzudrücken. Ich hatte nie zuvor einen Leichnam gesehen, der mir solches Entsetzen verursachte, und wünsche nimmer einen solchen zu sehen.