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II.

Am andern Morgen erwachte die Gräfin d'Almata viel früher als gewöhnlich. Ihre Duena selbst war noch nicht aufgestanden als die Edelfrau bereits das Bett verlassen und sich zum Ausgehen angekleidet hatte. An dem immerwährenden Lächeln auf ihren Lippen, so wie an der Hast ihrer Bewegungen errieth man leicht, daß eine fröhliche Ungeduld sie befeuerte.

Als die Duena in das Zimmer trat, war ihre Toilette bereits fast ganz vollendet. Die Alte erblickte darin einen Verweis ob ihrer Schläfrigkeit und mit stummen Aerger fing sie an hier und da etwas am Anzuge der Gräfin zu ordnen, diese aber kehrte sich scherzend zu ihr um:

– Nun, Ines, sei nicht böse, Liebe; die Freude hat mich aus dem Bett getrieben. Du hast dich gestern so viel für mich bemüht, daß ich dich aus Erkenntlichkeit für deine Dienstleistungen nicht wecken mochte.

Geheimnisvoll näherte sie sich hierauf der bereits getrösteten Duena, ergriff sie bei der Hand und flüsterte ihr, von ihrer Freude hingerissen, mit leiser Stimme zu:

– Ines, ich werde sie sehen! werde sie besuchen! Mein Herz klopft so fröhlich; es ist als wenn ein neues Leben mein Blut und meine Adern durchströmte. Komm, hilf mir noch ein wenig; ich weiß vor lauter Freude und Hast kaum was ich thue.

Die verwunderte Duena gehorchte.

– Und der Graf d'Almata, Senora? fragte sie zweifelnd. Wird der nicht schrecklich erbittert werden, wenn Ihr nochmals ohne sein Wissen und trotz seines Verbotes Eure Wohnung verlaßt?

– Er weiß es, Ines; er hat es mir erlaubt.

– So! Und seid Ihr gewiß, Senora, daß Euch diese Erlaubnis in aller Form gegeben ward?

– Ganz gewiß; du kannst nicht glauben wie gütig, wie vertrauensvoll und wie zärtlich er gestern gegen mich war. Ich begreife diese plötzliche Veränderung nicht.

– Ich wohl, Senora. Der Graf liebt Euch über alles. Seit acht Jahren trauert Ihr nun und erwiedert alle Beweise seiner Zuneigung durch eine unüberwindliche Niedergeschlagenheit. Als ich Euch gestern die frohe Nachricht brachte, da glänzten Eure Augen voll Lebensfeuer, eine warme Röthe überflog Eure Wangen und Eure Stimme ward sanft und klar wie Saitenton. Ihr wart schön, Senora, schön, lachend und stolz. Er, der Euch liebt und anbetet, vermochte diesem Zauber nicht zu widerstehen; – und, Senora, habt Ihr selbst nicht mit ihm mit mehr Heiterkeit und zugleich Zärtlichkeit denn je gesprochen?

– Wie klar durchschauest du doch die Herzen, Ines! Ja, so ist es: nach vierzehn Tagen der Verzweiflung und der Thränen ward ich plötzlich so sehr von Freude erfüllt, daß alles, was von meinen Lippen strömte, den Stempel einer angenehmen Heiterkeit und einer innigen Freundschaft trug, die den Grafen auf den Gipfel des Glückes erhob. Als ich ihm dann im Laufe des Gesprächs, unter dem Vorwande einige Spitzen zu kaufen, den Wunsch ausdrückte das Mägdehaus zu besuchen, umarmte er mich mit Inbrunst: Geh, liebe Catalina, jedes Mißtrauen ist verschwunden; verbirg dich nicht mehr vor mir; ich weiß wohl daß nur die Sucht nach Freiheit dich so geheimnisvoll handeln läßt, da du glaubst, daß ich dich überwache. Bleibe immer so froh, sei immer so gut und thue was du willst. Deine edle Seele wie dein ehrsamer Stolz sind mir genugsame Bürgschaften gegen die unruhige Bekümmernis meines castilianischen Gemüths.

Ein Seufzer entschlüpfte der Brust der Duena; sie hob die Hände empor und sprach:

– Und solch' einen Mann, die Güte und Liebe selbst, müssen wir hintergehen! Gott vergebe es uns, Senora; wir thun großes Unrecht!

Die Edelfrau ließ ihr Haupt auf die Brust sinken; sie schien von der Bemerkung der Duena niedergedrückt zu werden. Endlich antwortete sie traurig:

– Wir thun Unrecht, sagst du? Leider! es ist vielleicht wahr; aber ist es möglich diesem Schicksal zu entfliehen? Ich bin unschuldig, du weißt es – und eher stürbe ich vor Scham ehe ich einem einzigen unedlen Gedanken in meinem Herzen Zugang verstatten würde ... und doch muß ich leiden und unter den Verdacht gebeugt einher gehen.

Einen Augenblick schwieg sie, dann aber fuhr sie fragend fort:

– Soll ich ihm alles entdecken, Ines?

– O, was sagt Ihr da, Senora!

– Sieh, Ines, ich liebe den Grafen so wohl aus Neigung wie in Folge meiner grenzenlosen Dankbarkeit. Die Ueberzeugung, daß ich ihn hintergehen muß, ist für mich eine Hölle voll Schmerz und Pein: es giebt Augenblicke, in denen ich ihm alles entdecken könnte.

– Hütet Euch wohl davor, Senora; das spanische Blut würde dann gewiß – und mit Recht – die Oberhand gewinnen. Sein Leben würde von einer für ihn gräßlichen Gewißheit vergiftet werden und Ihr selbst könnt nicht voraussehen, was in diesem Falle Euer Loos sein würde. Es wäre besser wieder nach Spanien zurückzukehren und zu vergessen warum wir nach den Niederlanden gekommen sind.

Diese letzten Worte der Duena machten auf die Edelfrau einen sehr peinlichen Eindruck; als wenn ihr ein Hohn geschehen, erhob sie sich mit würdigem Stolz und, indem sie der alten Frau einen finstern Blick zuwarf, sprach sie:

– Wie darfst du davon sprechen, Ines? Abreisen ohne sie zu sehen? Du spottest sicher, denn besser als ich weißt du, daß dies unmöglich ist – Komm, meine Haube ... wir gehen!


In der Gasthuisstraße steht ein Haus mit seltsamem, gothischem Giebel, dessen oberstes Fach mit einer symbolischen Darstellung der heiligen Dreifaltigkeit geziert ist. Ueber der Hauptthür befindet sich ein in erhabener Bildhauerarbeit ausgeführtes Gemälde, eine Anzahl junge Mädchen vorstellend, die von einer Mutter oder Lehrerin unterrichtet werden, wie auch einige Waisen an der Thüre des Stifters. Unter dieser kunstvollen Bildhauerarbeit liest man folgende Erklärung über den Ursprung und Zweck des Mägdehauses:

Tot eerlick onderhout van Myskens Cleene,
Die Nasnaels duer armoede mochten sneven,
Heeft een godfurchtig man wt liefde alleene
Dit godhuys wel begaeft, onbekennt in d'leven


Dese goede man is wt dit leven gescheyden,
den XIX november MDLXII. Hy heeft geleeft
LXXIII jaren ende was geraempt Jan van der Meere
Coopman allhier.
Diese Inschrift heißt auf Deutsch: »Zum ehrlichen Unterhalt kleiner Mädchen, die sonst der Armuth anheimfallen würden, hat ein gottesfürchtiger, während seines Lebens unbekannter Mann dieses Gotteshaus aus Liebe reich bedacht. Dieser gute Mann ist am 19ten November 1562 aus dem Leben geschieden. Er war 73 Jahre alt, hieß Jan van der Meere und war Kaufmann allhier. D. Ueb.

Vor diesem Hause war es, wo die Gräfin d'Almata am frühen Morgen mit ihrer Duena sich zeigte. Diese Letztere hob den eisernen Thürklopfer empor und ließ ihn niederfallen, daß der Schlag im Innern des Hauses wiederhallte.

– Nun, Senora, sprach sie unterdessen hastig zu ihrer Gebieterin, um Gottes willen bezwingt Euch; man könnte aus Eurem Gesicht errathen, was niemand auch nur vermuthen darf.

Die Edelfrau antwortete nicht.

Einen Augenblick später öffnete ein Waisenmädchen, was ein großes Bund Schlüssel an der Schürze trug, die Thür. Die Kleine sah ungemein fröhlich aus; ihre ganze Kleidung war so nett und rein, Schürze, Kappe, Mützchen und Vorärmel waren von Leinwand, aber so blendend weiß und so glänzend, daß das Mägdlein für einen lebendigen Beweis der Reinlichkeit, der Sorgfalt und der kundigen Arbeit, die das Institut auszeichnete, gelten konnte.

– Was beliebt der Edelfrau? fragte das Mägdlein mit freundlichem Lächeln.

– O! du liebes Kind! rief die Senora wie bezaubert, während sie die Kleine freundlich am Kinne faßte. – Sie griff in die Tasche und zog nach kurzem Suchen einen silbernen Fingerhut hervor, den sie der Kleinen zum Geschenk machte.

– Nimm das, mein Kind, weil du so freundlich bist und nett. – Ich komme um hier einige schöne Spitzen zu kaufen.

– Dank Euch, dank Euch, Edelfrau, antwortete das Mädchen. Wir haben sehr schöne Spitzen. Beliebt hier in dieses Zimmerchen zu treten. Und unter die Thür schreitend rief sie nach oben:

– Frau Mutter, Frau Mutter, kommt schnell herab! Hier ist eine schöne Edelfrau, die Euch zu sprechen verlangt!

Einen Augenblick später erschien eine Frau von vielleicht vierzig Jahren im Sprachzimmer. Gesundheit und Gemüthsruhe spiegelten sich in ihrem Angesicht und ihre ganze Erscheinung zeugte von Güte und Frieden. Sie verneigte sich vor der Senora, und bot ihr höflich einen Sessel an.

– Welche Ehre, edle Frau, sprach sie, daß die Gräfin d'Almata unser Haus und seine armen Waisen eines Besuches würdigt! Worin können wir Euch dienen?

– Wohlan, Frau Mutter, ich wünsche einige schöne Spitzen zu kaufen und bei dieser Gelegenheit eine Stiftung zu sehen, die so berühmt ist ob ihrer Reinheit und ihrer Zucht.

Die Mutter öffnete hastig eine große Lade und breitete große Stücke Spitzen vor den Augen der Edelfrau aus. Diese jedoch konnte ihre Ungeduld nicht bezwingen.

– Ja, sprach sie, die Spitzen sind außerordentlich schön und ich werde deren gewiß kaufen; wollt Ihr aber, Frau Mutter, nicht die Güte haben mir vorerst Eure Waisen zu zeigen wenn sie bei der Arbeit begriffen sind?

Ohne dieser Bitte die schuldige Aufmerksamkeit zu schenken, fing die Mutter plötzlich an die Senora verwundert zu betrachten, und zwar in einer Weise, die keineswegs von Unhöflichkeit frei zu sprechen war.

– Wohlan, Frau Mutter, sprach die Gräfin, Ihr antwortet mir nicht?

– Verzeiht, edle Frau, erwiderte diese, ach Gott, wo sind meine Sinne! ich war ganz zerstreut! ... Es ist doch sonderbar!

– Was ist's denn, was Euch so sehr überrascht? fragte die Senora fast zitternd.

– Nichts, nichts, eine Aehnlichkeit ... aber, mein Himmel, wie ich auch nur daran denken konnte! – Habet die Güte mir zu folgen, edle Frau!

Sie führte beide Frauen über einen viereckigen Hof nach dem Hintergebäude, wo die Waisen sich befanden.

Cuidado, Senora! flüsterte unterwegs die Duena ihrer Herrin mit Nachdruck in das Ohr.

Der Saal, in welchen die Gräfin von der Mutter geführt ward, war von arbeitenden Mädchen verschiedenen Alters angefüllt.

Sie waren alle gleich gekleidet: ein schwarzer wollener Rock, ein blaues wollenes Leibchen mit plattem weißem Krägelchen, eine schneeweiße Schürze und ein schwarzes Sammtkäppchen, dies war ihr ganzer Schmuck. Das Haar war hinten aufgebunden und in das Käppchen gefaßt, so daß die Stirn ganz frei und sehr erhaben erschien. Bei der Arbeit trugen sie, um die Aermel ihrer wollenen Leibchen vor zu schneller Abnutzung zu bewahren, leinene Vorärmel.

Die meisten waren mit Spitzenklöppeln beschäftigt, andere näheten oder zeichneten Wäsche, strickten bunte Wolle oder stickten mit Seide und Gold in verschiedenen Stoffen.

Vor Ankunft der Mutter waren die Mädchen mit dem Singen eines geistlichen Liedes beschäftigt; die Senora hatte dies gehört und namentlich eine sanfte Discantstimme unterschieden, die wie der Ton einer silbernen Flöte den Gesang beherrschte. Es war ihr peinlich, daß bei ihrem Erscheinen plötzlich die tiefste Stille herrschte und jedes Mädchen das Haupt über ihre Arbeit beugte. So lautete indessen die Hausordnung und die Mutter war nicht mild im Strafen.

Nach dem Wunsche der Senora zeigte ihr die Mutter die Arbeit eines jeden Mädchens und gab dabei so weitläufige Erklärungen, daß sie nur sehr langsam zwischen den Reihen der Mädchen fortschreiten konnte. Nach Derjenigen fragen, die sie zu sehen wünschte, das durfte die Gräfin nicht und sie sah sich mithin zur peinlichsten Geduldprobe verdammt und hörte, ganz mit dem Gedanken beschäftigt, daß jemand, der ihr theurer war als selbst ihr eigenes Leben, in diesem Augenblicke mit ihr die Luft desselben Zimmers athme, fast nicht mehr auf ihre Begleiterin.

Die Mutter war über die sonderbare Unaufmerksamkeit der Gräfin nicht wenig verwundert, und eben wollte sie ihre Erklärungen unterbrechen, als diese plötzlich fragte:

– Eure Töchter, Mutter, singen wohl lieblich und schön; vor allen ist unter ihnen ein Discant von bezaubernder Reinheit.

– Ich glaube es wohl, rief die Mutter; das ist die hölzerne Clara ... Was fehlt Euch, Edelfrau? die Luft beengt Euch vielleicht? Kommt, wir wollen in den Hof gehen, dort ist es frischer.

– Ihr irrt Euch, Mutter, antwortete die Duena mit Hast doch sehr kaltblütig. Meine Gebieterin erbleicht oft plötzlich; es ist dies ein nervöses Uebel, was jedoch weiter nichts bedeutet.

– Ah! um so besser, versetzte die Mutter. Wollt Ihr, edle Frau, das Lied vielleicht noch einmal hören?

– Ach ja, ich würde Euch dafür dankbar sein; aber erlaubt, daß ich mich ein wenig setze, denn ich bin sehr ermüdet.

Die Mutter eilte nach dem obern Ende des Saales und holte ihren eigenen mit Leder überzogenen und mit vergoldeten Nägeln besetzten Sessel herbei. Sie ersuchte die Gräfin sich darauf niederzulassen und sprach dann zu den Mädchen gewandt:

– Kinder, diese Edelfrau wünscht euch singen zu hören. Clara Houtvelt stelle dich vor das Pult.

Während die Waisen sich anschickten ihrer Mutter zu gehorchen, fragte die Gräfin mit schlecht bezwungener Aufregung:

– Clara Houtvelt, sagt Ihr, Mutter? Ich glaube Ihr habt von einer (hölzernen) Clara gesprochen, die Vorsängerin ist?

– Ja, edle Frau, Clara Houtvelt ist Houten Clara, das liebe Engelchen, was dort vor dem Pulte steht.

Und ohne weiter auf den Gesichtsausdruck der Senora, noch auf die ängstliche Aufmerksamkeit, womit die Duena ihre Gebieterin betrachtete, Acht zu geben, wandte sie sich zu den Mädchen:

– Das Christlied! Clara, Kind, sing du vor; deine Schwestern sollen den Gruß (die Salution) wiederholen.

Clara stand da vor dem Pulte wie ein poetisches Bild des Kindes. Ihre Glieder waren außerordentlich zart, vielleicht etwas mager, doch dies that ihren zwölf Jahren keinen Eintrag. Ihre großen Augen schienen das Blau des Himmel zurück zu strahlen, ihr Mündchen war klein wie ein gefaltetes Rosenblatt und das Grübchen auf ihrer Wange lieblich wie ein glänzendes Sternchen. Was sie jedoch am meisten vor ihren Genossinnen auszeichnete, aber zu ihrem platten Mützchen, ihrer Schürze und ihrem wollenen Leibchen am wenigsten paßte, das war die Würde ihrer Haltung und etwas Unaussprechliches in ihrem Blicke, was in ihr das Kind hoher Eltern vermuthen ließ. Unter ihren Gespielinnen selbst war Keine, die diesen Eindruck nicht bereits erfahren hatte; alle waren überzeugt, daß Clara von keinen geringen Eltern stammen könne, obschon dieser Glaube sich bei ihnen nur auf die würdige Haltung und die edle Seele dieses reinen und schönen Kindes gründete. Als Clara von der Mutter das Zeichen zum Anfang erhalten hatte, erhob sie ihr schmeichelnd hohes Stimmchen und sang:

Maria ende Joseph mede
Voeren beyde te samen
Tot Bethleem ter stede,
Daer si haer herberghe namen.

 

Das hier mitgetheilte Christlied ist ein alter vlämischer Kirchengesang, ganz in jenem schwulstigen und barocken Stile geschrieben, der die geistliche Poesie der damaligen Zeit charakterisirte. Der Uebersetzer hielt es aus diesem Grunde für passend den vlämischen Text auch in dieser deutschen Ausgabe unverändert stehen zu lassen, giebt aber hier eine Uebersetzung desselben in Prosa: D. Ueb.

Maria und Joseph fuhren zusammen nach Bethlehem zur Stadt, wo sie ihre Herberge nahmen.

    In excelsis gloria! etc.

In einem armen Häuschen, wo weder Wiege noch Thüre stand, mußten sie übernachten, denn sie waren von aller Habe entblößt.

Fußnote aus technischen Gründen im Text wiedergegeben. Re. für Gutenberg

 

Da sang mit frohem Schalle Joseph Hallelujah, und die Engel alle! In excelsis gloria! Valasus! Valasus! Schweige süßer Jesus, du bist unser Dominus. Et in terra pax hominibus.

Die andern Mädchen antworteten alle zugleich:

In excelsis gloria!
Et in terra pax hominibus.
Valasus! Valasus!
Swighet soete Jhesus;
Ghi sijt ons Dominus,
Et in terra pax hominibus!

Diesen Refrain sangen sie dann nach jeder Strophe. Clara aber fuhr fort:

In een arm huyseken,
Al sonder weeghe oft doeren,
Omdai si waren van have bloot
Moesten hem also gheboeren.
In excelsis gloria, enz.

Alst quam ter rechter middernacht,
Soe hevet die maghet ghebaert
Een kindeken van groter macht,
Als die engel ons verklaert.
In excelsis gloria, enz.

Daer baerde die suverlijke
Den Heere ghebenedijt
Van hemel ende aertrijcke.
Lof si haer tot alder tijd!
In excelsis gloria, enz.

In excelsis gloria! etc.

Als nun die Mitternacht erschien, da hat die Jungfrau ein Kind von großer Macht geboren, wie schon die Engel uns erklärt.

In excelsis gloria! etc.

Da gebar die Reine den Herrn, der da gebenedeiet ist im Himmel und auf Erden. Gelobt sei sie zu aller Zeit!

In excelsis gloria! etc.

Doe sanck met bliden gheschalle
Joseph alleluya, en die Enghelen alle:
In excelsis gloria!
Valasus! Valasus!
Swighet soete Jhesus,
Ghi sijt ons Dominus.
Et in terra pax hominibus.

Während dieses Liedes saß die Gräfin mit offenem Munde da und lauschte ganz erstaunt, als hätte sie in der That dem heiligen Hallelujah des Himmels beigewohnt. Ihre Augen waren keinen Augenblick von Clara abgewandt, sie hingen buchstäblich an den Lippen des Kindes. Und in der That besaß die singende Waise in ihrer Erscheinung etwas so Reines und Himmlisches; aus ihren blauen Aeuglein strahlte eine so innige Begeisterung, sie schien so ganz in ihren Lobgesang versunken, durch ein geheimnisvolles Gefühl der Harmonie fortgerissen zu sein, daß sie mit nichts als mit einer verklärten Seele, die vor dem Throne Gottes steht, verglichen werden könnte. Die Duena selbst war dadurch so gerührt, daß sie ganz die Gefahr vergaß in der ihre Gebieterin schwebte; mit vorgestrecktem Haupte und offenem Munde starrte auch sie unverwandt auf Clara hin.

Der Gesang war längst geendigt und Clara bereits wieder zu ihrem Klöppelkissen zurückgekehrt, die Gräfin und die Duena indessen saßen noch gleich unbeweglich da.

– Ja, ja, edle Frau, sprach die Mutter sich der Senora nähernd, voll Stolz, man suche in der ganzen Stadt noch eine einzige Sängerin wie dieses liebliche Kind! Auch wird sie niemals außerhalb unsers Hauses in Dienste treten. Da sind die Elisabethsnonnen hier hinten, die Witte Zusters (weißen Schwestern) in der langen Niewstraße, und die Oostmallen auf dem Ossenmarkt die unserer Clara bereits zugeredet haben in ihr Kloster zu treten wenn sie alt genug sein würde. Man wolle sie ohne Mitgift annehmen, denn sie sollte in der Kirche die erste Stimme führen; aber sie sollen sie nicht haben, edle Frau. Clara ist mein Kind und wenn es Gott gefällt soll sie mich, so lange ich lebe, nicht verlassen. Was denkt Ihr, Gräfin, von dieser schönen Stimme?

Senora war von einem unwiderstehlichen Gefühle beherrscht; und kaum vermochte sie zwei Thränen zurück zu halten, die gewaltsam sich aus ihren Augen stahlen. Die Duena bemerkte den innern Kampf ihrer Gebieterin und ergriff sie, um sie zur Besinnung zu bringen, heimlich bei der Hand. Ohne weder dieses Zeichen noch die Frage der Mutter zu beachten, erhob sich die Edelfrau von ihrem Sessel und ging gerade zu Clara hin, die aus Ehrfurcht vor der Fremden gleichfalls aufstand und die Augen bescheiden niederschlug.

Bebend ergriff die Gräfin des Mädchens Hand und sprach stammelnd:

– Welche engelgleiche Stimme hast du doch, mein Kind! Sieh mich doch an, meine Kleine; fürchtest du dich denn vor mir?

– Ach nein, Edelfrau, antwortete sie; sprecht Ihr doch so freundlich zu Eurer Dienerin!

– Dienerin! seufzte die Dame schmerzlich, während sie die Hand der Waise noch zärtlicher drückte. Willst du mich wohl umarmen, Clara? ... o, du singst so schön!

– Umarmen, Edelfrau? fragte das Mädchen verschämt. Ich möchte wohl, aber ich darf nicht.

Kaum waren diese Worte dem Munde des Kindes entfallen, als die Senora dasselbe beim Kopfe ergriff und es so lange und mit einer solchen Leidenschaft küßte, daß die Kleine davon ganz roth wurde und sich erstaunt und überrascht wieder zu ihrer Arbeit niederbückte.

Unterdessen hatten sich die Mutter wie die Duena, beide von dieser flüchtigen Scene angezogen, der Gräfin genähert. Die Erstere wußte nicht was sie von dem Betragen der Edelfrau denken sollte und bereits durchkreuzten sonderbare Vermuthungen ihren Kopf. Da diese Vermuthungen jedoch jedes wahrscheinlichen Grundes entbehrten, so that sie sich selbst innerlich Gewalt an, um zu glauben, daß Clara's Gesang allein die Gräfin zu Thränen gerührt habe. Die übrigen Waisenmädchen betrachteten das, was vor ihren Augen geschah, zum Theil mit gedankenloser Neugierde, zum Theil mit Neid. Sie waren gewöhnt in Clara stets und überall den Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit und besonderer Liebkosung zu erblicken, so daß sie auch bei dieser Gelegenheit nichts Weiteres vermutheten.

Die Duena hingegen zitterte vor Angst, und kaum bemerkte sie, daß ihre Gebieterin nach dem Kusse, den sie auf die Stirn des Kindes gedrückt, erbleichte, daß ihre feuchten Augen im Feuer der Verwirrung funkelten, als sie auch schon mit lauter Stimme sprach:.

– Senora, der schöne Gesang hat Euch zu sehr aufgeregt; Ihr seid unwohl ... Die frische Luft wird Euch wohl thun. Laßt uns lieber Nachmittag oder Morgen wiederkehren.

Bei diesen Worten schien sie ihre Gebieterin scheinbar zu unterstützen, in der That aber zog sie dieselbe mit fast unwiderstehlicher Kraft am Arme aus dem Saale fort, und führte sie so nach dem Sprachzimmer, in welchem sie vorher die Spitzen gemustert hatten.

– Nun, Mutter, sprach die Duena, zeigt uns schnell die besten Spitzen; meine Gebieterin bedarf der Ruhe. Auf der ganzen Welt kenne ich niemand der empfänglicher wäre für Gesang als die Gräfin. Er erschüttert alle ihre Nerven und zieht ihr zuweilen Ohnmachten zu.

– Ach, wenn ich der Frau Gräfin damit angenehm sein kann, so möge sie kommen wenn es ihr gefällt. Clara kann noch viele schöne Liedchen; ich werde sie vor meiner edlen Nachbarin allein singen lassen; das Kind ist so sanft und so freundlich; es hat noch niemals etwas geweigert was jemand Vergnügen machen könnte!

Die Senora besaß in der That nicht mehr Geistesgegenwart genug um zu antworten. Der Kuß brannte noch immer in ihrem Geiste, und ihre Seele hing noch immer an dem Mündchen des angebeteten Kindes. Die Duena begriff den Zustand ihrer Gebieterin sehr wohl und ohne deren Zustimmung abzuwarten, fuhr sie fort:

– Ja, die Spitzen sind außerordentlich schön; der Preis, den Ihr fordert, Mutter, ist wahrlich hoch; allein dies schadet nicht; meine Gebieterin nimmt das ganze Stück: ich werde sie augenblicklich holen und auch diese schmale Spitze zu fünf Karolusgulden ... Auf Morgen, Mutter. Seid hundertmal bedankt für Euern freundlichen Empfang. Wir gehen, nicht wahr, Senora?

Die Gräfin wandte sich zur Mutter und sagte:

– Ich möchte der Sängerin gern ein Geschenk machen; könnte ich sie vielleicht noch einmal sehen?

– Augenblicklich, edle Frau, antwortete die Mutter und eilte aus dem Zimmer.

– Um Gottes willen, Senora, was thut Ihr da! rief die Duena mit gefalteten Händen.

– Ich will sie noch einmal küssen ehe ich gehe und sollte ich darüber das Leben verlieren, Ines.

– Möge Euer Schutzengel Euch beistehen, Senora; die Gefahr ist groß! Vorsichtig, vorsichtig, da ist sie bereits.

Clara ward von der Mutter zur Gräfin geführt; diese ergriff ihre Hand.

– Liebes Kind, deine Stimme und deine Anmuth haben mich bezaubert, sagte sie. Ich muß dich doch für deinen schönen Gesang belohnen. Da nimm dies von mir als von einer Freundin die dich liebt.

Das Kind betrachtete erstaunt das glänzende Geschenk in seiner Hand. Das war ein Scheerchen mit silbernen Augen und ein Nadelbüchschen, von demselben Metall.

– Küsse nun die Senora, sprach die Duena.

Clara voller Freude über das niedliche Scheerchen und das noch schönere Nadelbüchschen, ließ sich das nicht zweimal sagen und hob ihre Arme, ein holdes Lächeln in den Augen, zur Gräfin empor. Diese küßte und küßte das Kind bis die Duena mit der strengen Bemerkung:

– Senora, der Graf wartet Eurer; er wird sonst über unser langes Ausbleiben ungehalten werden, dazwischentrat, während sie selbst einige Schritte nach der Thür hin that.

– Auf Morgen, Frau Mutter, sprach die Gräfin; auf Morgen, mein Kind.

– Es fehlt dir noch ein Fingerhut, meine kleine Sängerin; ich werde dir ihn auch schenken.

Hierauf folgte sie ihrer Duena und die Thür schloß sich hinter ihnen zu.

– Senora! Senora! rief die Duena als sie auf die Straße gekommen waren, wie unvorsichtig waret Ihr doch! Diese Leute müßten in der That stockblind sein, wenn sie nicht errathen sollten, daß Eure Rührung ein Geheimnis verberge, und ...

Die Senora indessen hielt ihr die Hand auf den Mund und von Entzücken ganz außer sich sprach sie:

– Schweig, Ines, schweig! Und wenn der Graf auch alles entdecken, und wenn ich auch ein Opfer seines Hasses und seiner Rache werden sollte, was wäre das? Ha! Weißt du nicht, daß ich sie gehört, gesehen und geküßt habe? daß sie mir entgegenlachte, daß sie mit mir gesprochen? daß ihre Lippen voll Liebe auf den meinigen ruhten! o Gott! es ist des Glückes zu viel! Ich bin bereit alles auszustehen, alles zu leiden, aber raube mir doch die beseligende Freude nicht, die jetzt mein Herz überströmt! ... Schweig doch, Ines, laß mich baden in diesem unaussprechlichen Genusse; trübe den Himmel meiner entzückten Seele nicht! ... Was ist der kleine Engel nicht schön, nicht wahr, Ines? Welch edler Hauch ist nicht über die kleine Nachtigall ausgegossen!

Zwei Thränen trocknend öffnete die Duena die Thür und als ihre Gebieterin eingetreten war, schloß sie dieselbe sorgfältig wieder zu.

Unterdessen war die Mutter des Mägdehauses gedankenvoll vor sich hin sprechend nach dem Sprachzimmer zurückgekehrt, um dort die Laden, in denen die Spitzen verschlossen wurden, wieder zu schließen. Als sie indessen dort angelangt war, hatte sie jedoch bereits wieder vergessen was sie denn eigentlich thun wollte, und so sank sie denn fast bewußtlos in einen Stuhl und sprach, die Augen zu Boden gerichtet, endlich leise und langsam vor sich hin:

– Aber die Geschichte von dem abgebrannten Dorfe und dem mitleidigen Soldaten? – Sollte dies denn eine Erdichtung sein? – Houtvelt? Ein sonderbarer Name. – Es ist vielleicht ihre Schwester ... aber wäre dies möglich? Ist Clara wohl älter als zwölf Jahre? Nein, vielleicht ist es eine Nichte, eine Tante ... Wer weiß? Aber ist es möglich, daß eine Nichte, eine Tante – eine Schwester selbst – bei einem einzigen Kusse auf den Mund eines Kindes sich entfärbe, ohnmächtig werde, Thränen vergieße? Könnte dieses unwiderstehliche, dieses hinreißende Gefühl wohl ein anderes sein als das, was die Gräfin beim Anblicke ihrer Rührung in meinem eigenen Herzen entzündete? Was beherrscht anderes die Seele einer Frau wenn nicht die Mutterliebe? ... Ach, ich begreife! Arme Mutter, was muß sie leiden! Ein Kind, so schön und bezaubernd! Es seit Jahren nicht gesehen haben, es wiederfinden unter Mädchen die zum Dienen erzogen werden, es weder erlösen noch beschützen können, ohnmächtig werden bei einem Kusse und sich dennoch mit gebrochenem Herzen entfernen müssen! o Gott! einen Händedruck, einen Kuß, ein Lächeln von seinem eigenen Kinde stehlen und mit ihm reden müssen als wenn es eine Fremde wäre! Vergehen und stets das glühende Schwert der Schande über seinem Haupte schweben sehen, gegen Natur und Gesellschaft blutig ankämpfen und hundertmal unter dem unerbittlichen Schicksal zerschmettert niedersinken! Arme Mutter! ... Aber wer kann es wissen? Ich irre mich vielleicht – und dann wäre meine Vermuthung ein der Gräfin ganz unwürdiger Hohn – Wie dem auch sein mag, die Gräfin ist gut, sie liebt das Kind feurig was ich über alles lieb habe: was auch das Geheimnis ihres Herzens sein möge, ich werde es nicht verrathen – dafür bewahre mich Gott! Und wenn sie Vergnügen daran findet – und ich zweifle nicht daran – wenn sie in Clara's Anblick und in ihrem süßen Lächeln die mütterliche Seligkeit kosten will ... so möge sie kommen die arme Mutter, ich werde ihr behilflich sein ...

– Frau Mutter, rief jetzt die Schließerin, hier ist Schwester Begga von den Annunciaten, sie kommt wegen des Chorhemdes für den Kanonikus Visschers!

– Ich komme, ich komme! antwortete die Mutter hastig, indem sie schon der Schwester entgegeneilte.


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