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Die Gesichtszüge des Herrn Mac Whirr, Kapitäns des Dampfers Nan-Shan, schienen das vollkommene Widerspiel seines Charakters zu sein: sie boten keine bestimmten Merkmale weder von Festigkeit noch von Beschränktheit; sie drückten überhaupt keinerlei Eigentümlichkeit aus; sie waren einfach gewöhnlich, ausdruckslos und unbeweglich. Das Einzige, was sich in seinem Aussehen hie und da anzudeuten schien, war Schüchternheit; in den Geschäftszimmern der Reeder konnte man ihn nämlich, ein schwaches Lächeln auf dem sonnverbrannten Gesichte, mit niedergeschlagenen Augen sitzen sehen. Schlug er sie auf, so bemerkte man, daß sie blau von Farbe und offen und ehrlich im Ausdruck waren. Sein Haar, das blond und außerordentlich fein war, umschloß die kahle Wölbung seines Schädels wie ein Kranz von seidenem Flaume. Sein über der Lippe kurz abgeschnittener Bart dagegen war flammend rot und glich einem Gestrüpp von Kupferdraht, während über seine Wangen, mochte er sich noch so glatt rasieren, bei jeder Bewegung des Kopfes metallische Funken zu gleiten schienen. Er war unter Mittelgröße, etwas rundschulterig und so derb von Gliedern, daß seine Kleider immer um eine Idee zu eng für seine Arme und Beine zu sein schienen. Als ob er unfähig wäre zu begreifen, welche Anforderungen die Verschiedenheit der Breitegrade an die menschliche Kleidung stellt, trug er immer und überall einen braunen Filzhut, einen vollständigen Anzug von gleicher Farbe und plumpe schwarze Stiefel. Diese hafenmäßige Tracht gab seiner dicken Gestalt eine Art steifer, unbeholfener Eleganz. Eine dünne silberne Uhrkette zierte seine Weste, und nie verließ er das Schiff, um ans Land zu gehen, ohne einen eleganten Regenschirm allerbester Qualität, meist jedoch ungerollt, in seiner mächtigen, haarigen Faust zu halten. Der Obersteuermann Jukes, der seinen Kapitän bis an die Laufplanken begleitete, wagte es manchmal, in liebenswürdigstem Tone zu sagen: »Erlauben Sie, Herr Kapitän!« und sich mit aller Ehrerbietung des Schirmes zu bemächtigen; er hob ihn dann in die Höhe, schüttelte die Falten zurecht, drehte ihn im Nu zu einer zierlichen Rolle zusammen und händigte ihn dem Eigentümer wieder ein. Dabei machte er ein so grimmig ernstes Gesicht, daß Herr Salomon Rout, der Oberingenieur, der eben über dem Oberlicht seine Morgenzigarre rauchte, den Kopf zur Seite wandte, um ein Lächeln zu verbergen. »Ah! So! Dank' Ihnen, Jukes; dank' Ihnen!« pflegte der Kapitän anerkennend zu murmeln, ohne jedoch aufzublicken.
Da er gerade so viel und nicht mehr Einbildungskraft besaß, als er von einem Tag auf den andern brauchte, so erfreute er sich einer ruhigen Selbstgewißheit, und aus demselben Grunde lag ihm auch jede Überhebung ferne. Man betrachte seine Vorgesetzten und man wird finden, daß die mit einem reicheren Maße von Einbildungskraft begabten am ersten empfindlich, herrisch und anspruchsvoll sind; jedes Schiff aber, das Kapitän Mac Whirr befehligte, war eine schwimmende Wohnung der Harmonie und des Friedens. Ihm war es in der Tat so wenig möglich, sich zu einem höheren Gedankenfluge aufzuschwingen, als es einem Uhrmacher möglich ist, einen Zeitmesser ohne andere Werkzeuge als eine Schrotsäge und einen zwei Pfund schweren Hammer herzustellen.
Doch die wenig anziehende Lebensgeschichte von Männern, die so völlig in den Tatsachen der nackten Wirklichkeit aufzugehen scheinen, hat auch ihre geheimnisvolle Seite. In Kapitän Mac Whirrs Falle war es zum Beispiel ein ungelöstes Rätsel, was in aller Welt den wohlgeratenen Sohn eines Krämers in Belfast veranlaßt haben mochte, seinen Eltern davonzulaufen und zur See zu gehen. Und doch hatte er gerade das getan, als er fünfzehn Jahre alt war. Bei Licht betrachtet, würde diese Tatsache genügen, um in uns die Vorstellung einer ungeheuern, mächtigen Hand zu erwecken, die unsichtbar in den Ameisenhaufen der Erde hineinfährt, Schultern packt, Köpfe zusammenstößt und die verblüfften Gesichter der Menge nach ungeahnten Richtungen hin- und nie gekannten Zielen zuwendet.
Sein Vater vergab ihm seinen törichten Ungehorsam nie ganz. »Wir hätten ihn ja entbehren können, wenn das Geschäft nicht gewesen wäre,« sagte er später manchmal, »und er noch dazu unser einziger Sohn!« Seine Mutter weinte viel nach seinem Verschwinden. Da er nicht daran gedacht hatte, eine Mitteilung zu hinterlassen, so wurde er für tot betrauert, bis endlich nach acht Monaten sein erster Brief aus Talkahuano kam. Dieser war nur kurz und enthielt die Bemerkung: »Wir hatten sehr schönes Wetter zu unsrer Fahrt.« Doch war in des Schreibers Augen offenbar das einzig Wichtige, was er zu berichten hatte, die Tatsache, daß sein Kapitän ihn an eben dem Tage, wo der Brief geschrieben wurde, als ordentlichen Matrosen angenommen und auf die Schiffsartikel verpflichtet hatte. »Weil ich die Arbeit leisten kann,« fügte er erklärend hinzu. Die Mutter vergoß wieder viele Tränen, während der Vater seinen Gefühlen durch die Worte Luft machte: »Tom ist ein Esel.« Er war ein wohlbeleibter, mit natürlicher Schlauheit begabter Mann und konnte es bis ans Ende seines Lebens nicht lassen, im Verkehr mit seinem Sohne halb mitleidig über ihn, wie über einen nicht ganz vollsinnigen Menschen zu witzeln.
Die Besuche Mac Whirrs in seiner Heimat waren natürlich selten, und so schrieb er im Laufe der Jahre eine Reihe von Briefen an seine Eltern, durch die er sie über seine verschiedenen Beförderungen, sowie über sein Hin und Her auf dem weiten Erdenrunde auf dem laufenden erhielt. In diesen Mitteilungen waren Sätze wie die folgenden enthalten: »Die Hitze ist hier sehr groß«; oder: »An Weihnachten trafen wir auf einige Eisberge.« Die alten Leute lernten nach und nach alle möglichen Namen von Schiffen und ihren Führern kennen – Namen von schottischen und englischen Schiffseigentümern – Namen von Meeren, Meerengen, Vorgebirgen – ausländische Namen von Häfen für Bauholz, für Reis, für Baumwolle – Namen von Inseln und Halbinseln und endlich den Namen der jungen Frau ihres Sohnes. Sie hieß Lucy. Es kam ihm nicht in den Sinn zu erwähnen, ob er den Namen hübsch fand. Und dann starben die Eltern.
Mac Whirrs Hochzeit fand zur festgesetzten Zeit statt, nicht lange nach dem großen Tage, an dem er sein erstes Kommando erhalten hatte.
Alle diese Ereignisse hatten sich viele Jahre vor dem Morgen begeben, an dem der Kapitän sich im Kartenhause dem auffallenden Tiefstande eines Barometers gegenüber sah, dem zu mißtrauen er keinen Grund hatte. Wenn man die Vorzüglichkeit des Instrumentes und anderseits die herrschende Jahreszeit, sowie die augenblickliche Lage des Schiffes auf der Erdkugel in Betracht zog, so mußte dieser Tiefstand in hohem Grade unheilverkündend erscheinen. Allein das rote Gesicht des Mannes verriet nichts von Beunruhigung. Vorzeichen waren für ihn nicht vorhanden; ja, er war nicht imstande, die Bedeutung einer Vorhersage zu erfassen, bis ihre Erfüllung sie ihm dicht unter die Augen rückte. »Das Barometer ist gefallen, und zwar ordentlich,« dachte er. »Es muß ungewöhnlich schlechtes Wetter in der Luft liegen.«
Die Nan-Shan befand sich auf dem Wege vom Süden nach dem Vertragshafen von Futschou. Ihre untern Räume bargen eine Warenladung und außerdem hatte sie zweihundert chinesische Kulis an Bord, die nach einigen Arbeitsjahren in verschiedenen tropischen Kolonieen nach ihren heimatlichen Dörfern in der Provinz Fokien zurückkehrten.
Der Morgen war schön. Die glatte See hob sich ohne eine Perle Schaumes. Am Himmel stand die Sonne von einem eigentümlichen weißen Nebel wie von einem Hofe umgeben. Das ganz von Chinesen besetzte Vorderdeck zeigte in buntem Gemisch dunkle Gewänder, gelbe Gesichter und schwarze Zöpfe – dazwischen viele nackte Schultern, denn es war windstill und die Hitze drückend.
Die Kulis lagen träge herum, schwatzten, rauchten oder starrten über die Reling; einige schöpften Wasser und begossen einander damit; andre hatten sich auf Luken hingestreckt um zu schlafen, während wieder andere in Gruppen von sechs Köpfen um eiserne Präsentierbretter hockten, die mit Tellern voll Reis und winzigen Teetassen bedeckt waren. Jeder einzelne Sohn des himmlischen Reiches führte seine gesamte Habe mit sich – eine hölzerne Kiste mit klirrendem Schloß und messingbeschlagenen Ecken, die die Erträgnisse seiner Arbeit enthielt: ein und das andre Feierkleid, etwas Weihrauch, ein wenig Opium vielleicht, Stücke namenlosen Plunders von eingebildetem Werte und ein kleines Häufchen Silberdollars. Diese letztern waren auf Kohlenausladern erworben, im Spiel oder durch einen kleinen Handel gewonnen, aus der Erde gegraben, in Bergwerken, auf Eisenbahnlinien oder im toddrohenden Schilfmoor unter viel Mühe und Schweiß errungen – mit unermüdeter Geduld gesammelt, mit Sorgfalt gehütet, mit wilder Gier geliebt.
Ungefähr um zehn Uhr hatte eine QuerdünungEin die Fahrtrichtung kreuzender Seegang ohne Wind – Vorzeichen eines Orkans. vom Formosakanal her eingesetzt, ohne jedoch unsre Passagiere viel zu beunruhigen, da die Nan-Shan mit ihrem flachen Boden, ihren Schlingerkielen und ihrer großen Breite den Ruf eines außergewöhnlich stetigen Schiffes genoß. Obersteuermann Jukes pflegte in Augenblicken gehobener Stimmung am Lande von ihr zu rühmen, daß das alte Mädchen ebenso gut sei wie schön. Kapitän Mac Whirr wäre es nie eingefallen, seine gute Meinung so laut und in solch phantastischen Ausdrücken auszusprechen. Sie war zweifellos ein gutes Schiff und auch noch nicht alt. Es war noch keine drei Jahre her, daß sie in Dumbarton auf Bestellung einer kaufmännischen Firma in Siam – Sigg & Söhne – gebaut worden war. Als das Schiff segelfertig dalag, bis ins kleinste vollendet und bereit, seine Lebensarbeit zu beginnen, ruhten die Blicke seiner Erbauer mit Stolz auf ihm.
»Sigg hat uns gebeten, ihm einen zuverlässigen Kapitän zu besorgen, um das Schiff hinauszuführen,« bemerkte der eine der beiden Geschäftsinhaber, worauf der andre nach einigem Nachsinnen sagte: »Ich glaube, Mac Whirr ist eben an Land.« – »Wirklich? Dann telegraphiere ihm sofort. Das ist der rechte Mann,« erklärte der ältere der beiden Männer, ohne einen Augenblick zu zögern.
Am andern Morgen stand Mac Whirr in ungestörter Seelenruhe vor den Reedern. Er war um Mitternacht mit dem Expreßzug von London abgereist nach ebenso kühlem wie schnellem Abschied von seiner Frau, deren Eltern den höheren Ständen angehört und einst bessere Tage gesehen hatten.
»Es wird gut sein, wenn wir zusammen einen Gang durch das Schiff machen,« sagte der ältere der beiden Herren, und die drei Männer machten sich auf, um die Vollkommenheiten der Nan-Shan vom Steven zum Stern und vom Kolschwinn bis zu den Knöpfen ihrer stämmigen Masten in Augenschein zu nehmen. Als sie auf dem Schiff angekommen waren, entledigte sich Kapitän Mac Whirr zuerst seines Rockes und hing ihn auf das Ende eines Dampfbratspills, das eine Verkörperung all der neuesten Verbesserungen darstellte.
»Mein Onkel hat Sie mit der gestrigen Post unsern Freunden, den Herren Sigg, so gut empfohlen, daß sie Ihnen ohne Zweifel weitere Aufträge geben werden,« sagte der jüngere Teilhaber der Firma. »Sie können stolz darauf sein, das schnellste Schiff dieser Größe an der chinesischen Küste zu befehligen.«
»Ah? Ich danke Ihnen,« murmelte Mac Whirr, für den die Aussicht auf eine ferne Möglichkeit nicht lockender war als für einen kurzsichtigen Wanderer die Schönheit einer weiten Landschaft. Er hatte den Blick zufällig gerade auf dem Schloß der Kajütentür ruhen lassen; jetzt ging er voll Eifer darauf zu und begann kräftig am Türgriff zu rütteln, während er in leisem, ernstem Tone bemerkte: »Man darf den Handwerksleuten heutzutage nicht trauen. Ein nagelneues Schloß und funktioniert nicht! Sehen Sie? Sehen Sie?«
Sobald die beiden Herren sich allein in ihrem Bureau am jenseitigen Ende der Werft befanden, fragte der Neffe mit leichtem Spott: »Du hast den Burschen Sigg gegenüber so sehr herausgestrichen; was findest du eigentlich an ihm?« – »Ich gebe zu, daß er nichts von deinen neumodischen Kapitänen an sich hat, wenn du das meinst,« erwiderte der ältere Mann kurz. »Ist der Vorarbeiter der Schreiner von der Nan-Shan da? . . . Kommen Sie einmal herein, Bates. Was soll das sein, daß Sie uns von Taits Leuten ein schlechtes Schloß aufhängen lassen? Das Schloß der Kajütentür ist total unbrauchbar. Der Kapitän bemerkte es, sobald sein Blick darauf fiel. Lassen Sie sogleich ein andres anbringen. Ja, ja, die Kleinigkeiten, Bates – was sage ich denn immer?«
Das Schloß wurde demgemäß durch ein andres ersetzt, und wenige Tage später dampfte die Nan-Shan ostwärts, ohne daß Mac Whirr sich zu irgend einer weiteren Bemerkung über ihre Ausrüstung oder zu einem einzigen Worte aufgeschwungen hätte, das Stolz auf sein Schiff, Dankbarkeit für seine Ernennung oder Befriedigung über seine Aussichten verraten hätte.
Von Natur weder geschwätzig, noch verschlossen, fand er nur wenig Veranlassung zu reden, außer in seinem Berufe. Hier mußte er natürlich Anweisungen geben. Befehle erteilen und dergleichen. Im übrigen aber? Mit der Vergangenheit war er fertig, die Zukunft war noch nicht da, und die gewöhnlichen Vorkommnisse des Tages bedurften keiner Besprechung – Tatsachen reden mit genügender Deutlichkeit für sich selbst.
Der alte Herr Sigg liebte einen Mann von wenig Worten und einen, der sich nicht erlaubt, über die ihm erteilten Weisungen hinauszugehen. Da Kapitän Mac Whirr diesen Anforderungen durchaus entsprach, so behielt er das Kommando der Nan-Shan und führte sie mit Sorgfalt durch die chinesischen Gewässer. Sie war ursprünglich als britisches Schiff eingetragen, aber nach einiger Zeit hielten es die Herren Sigg für gut, sie unter siamesischer Flagge segeln zu lassen. Als Obersteuermann Jukes von der beabsichtigten Veränderung hörte, schien er sich persönlich beleidigt zu fühlen. Er ging brummend umher und ließ von Zeit zu Zeit ein kurzes, höhnisches Lachen hören. »Nein, 's ist zum Tollwerden! Einen einfältigen Arche-Noah-Elefanten auf seiner Flagge zu haben!« klagte er einmal, unter der offenen Tür des Maschinenraumes stehend. »Hol mich der Teufel, wenn ich das aushalte! Ich werde kündigen. Wird's Ihnen nicht auch übel, Herr Rout?«
Der Oberingenieur schwieg und räusperte sich mit der Miene eines Mannes, der den Wert eines guten Kontraktes zu schätzen weiß.
Am ersten Morgen, an dem die neue Flagge über dem Stern der Nan-Shan wehte, stand Jukes auf der Brücke und betrachtete den Elefanten mit ingrimmigen Blicken. Nachdem er eine Zeitlang mit seinen Gefühlen gekämpft hatte, bemerkte er: »Sonderbare Flagge das, Herr Kapitän!«
»Was ist's mit der Flagge?« fragte Mac Whirr verwundert. »Scheint mir ganz in Ordnung zu sein.« Damit ging er ans Ende der Brücke um besser sehen zu können.
»Nun, mir kommt sie sehr sonderbar vor,« stieß Jukes in höchster Erregung heraus und stürzte davon.
Der Kapitän wußte nicht, wie er sich dieses Benehmen deuten sollte. Nach einer kleinen Weile begab er sich gemächlich ins Kartenhaus, holte sein »Internationales Flaggenbuch« hervor und schlug die Tafel auf, wo die Flaggen aller Nationen in bunten Reihen auf das Genaueste abgebildet waren. Er ließ seine Finger darüber gleiten, und als er zu Siam kam, betrachtete er mit großer Aufmerksamkeit das rote Feld und den weißen Elefanten darin. Nichts konnte einfacher sein; der Sicherheit halber trug er das Buch aber hinaus auf die Brücke, um die kolorierte Abbildung mit dem wirklichen Gegenstände auf der Flaggenstange vergleichen zu können. Als bald darauf Jukes, der an jenem Tage seinen Pflichten mit einer Art unterdrückter Wut nachging, in seine Nähe kam, bemerkte sein Gebieter: »Die Flagge ist in Ordnung.«
»So?« murmelte Jukes, indem er sich vor einem Deckkasten auf die Kniee warf und eine Reservelotleine herausschleuderte.
»Jawohl. Ich habe im Buch nachgesehen. Zweimal so lang als breit und der Elefant gerade in der Mitte. Ich dachte mir schon, daß die Leute hier sich auf die Landesflagge verstehen müßten. Das war nicht anders zu erwarten. Sie haben sich geirrt, Jukes . . .«
»Nun, Herr Kapitän,« begann der junge Mann, sich rasch erhebend, »ich kann nur sagen –« Mit unsicheren, zitternden Händen suchte er nach dem Ende der Leine.
»Schon gut,« beruhigte ihn der Kapitän, indem er sich schwer auf einen kleinen Feldstuhl fallen ließ, den er besonders gern hatte. »Sie müssen nur dafür sorgen, daß der Elefant nicht verkehrt aufgezogen wird, solange die Leute noch nicht daran gewöhnt sind.«
Jukes warf die neue Lotleine aufs Vorderdeck hinüber und brüllte: »Hier, Bootsmann! Vergessen Sie nicht, sie ordentlich naß zu machen.« Dann wandte er sich mit ungeheurer Entschlossenheit zu seinem Kapitän. Dieser aber hatte behaglich die Arme auf dem Brückengeländer ausgebreitet und fuhr in seiner nur unterbrochenen Rede fort: »Ich glaube nämlich, daß man das für ein Notsignal halten würde. Was meinen Sie? Der Elefant dort bedeutet, denke ich, dasselbe, was der Union-Jack auf der Flagge.«
»So?« schrie Jukes so laut, daß alle Köpfe auf dem Verdeck der Nan-Shan sich nach der Brücke wandten. Dann seufzte er tief auf und bemerkte mit plötzlicher Ergebung in sanftem Ton: »Das würde freilich ein verdammt jämmerlicher Anblick sein.«
Später am Tage wandte er sich an den Oberingenieur mit einem vertraulichen: »Soll ich Ihnen das neueste Stücklein des Alten erzählen?«
Herr Salomon Rout (häufig der lange Sal, der alte Sal oder auch Vater Rout genannt) war fast überall, wohin er kam, der größte Mann und hatte sich infolge davon die gebeugte Haltung gemütlicher Herablassung angewöhnt. Er hatte spärliches, sandfarbenes Haar, und die Farbe seiner flachen Wangen, wie auch seiner knochigen Handgelenke und seiner langen Gelehrtenhände war so blaß, als hätte er sein Leben lang im Schatten gewohnt.
Er lächelte von seiner Höhe auf Jukes herab, indem er ruhig weiterrauchte und seine Blicke bald da- bald dorthin schweifen ließ, wie etwa ein freundlicher Onkel der Erzählung eines aufgeregten Schuljungen zuhört. Dann fragte er, ohne sich im geringsten merken zu lassen, wie sehr ihn die Geschichte belustigte: »Und haben Sie ihm gekündigt?«
»Nein,« schrie Jukes, und seine Stimme, die das Geräusch der Ladekrane übertönen mußte, klang angestrengt und erschöpft. Alles war in diesem Augenblick eifrig beschäftigt, Warenballen und -säcke mittels der Schinkelhaken aufzugreifen und auf das Ende langer Kranenarme zu heben, wie es schien, nur, um sie nachher achtlos wieder hinunterfallen zu lassen. Die Lastketten knirschten in den Hebeböcken, klirrten auf den Scheerstocken und rasselten über die Schiffswand; das ganze Schiff bebte und seine langen grauen Flanken waren von Dampfringeln umwoben. »Nein«, schrie Jukes, »ich habe nicht gekündigt. Wozu auch? Ebenso gut könnte ich meine Kündigung dem Schott da an den Kopf werfen. Ich glaube nicht, daß man einem solchen Manne überhaupt etwas begreiflich machen kann. Da hört einfach alles auf.«
In diesem Augenblicke schritt Kapitän Mac Whirr, mit dem Regenschirm in der Hand vom Lande kommend, übers Verdeck, und hinter ihm drein ein düster blickender, würdevoller Chinese in seidenen, mit Papier besohlten Schuhen, ebenfalls einen Regenschirm in der Hand. In nur eben vernehmlichem Tone, den Blick auf seine Stiefel gerichtet, wie es seine Art war, erklärte der Gebieter der Nan-Shan, daß man diesmal in Futschou anlegen müsse, und ersuchte Herrn Rout, bis morgen nachmittag Punkt ein Uhr für Dampf zu sorgen. Er schob seinen Hut zurück, um sich den Schweiß von der Stirne zu trocknen, und brummte, es sei ihm nichts so verhaßt, als an Land gehen zu müssen, während der ihn überragende Herr Rout, ohne ihn eines Wortes zu würdigen, in erhabener Ruhe weiter rauchte und seinen rechten Ellbogen mit der linken Handfläche streichelte. Hierauf wurde Jukes in demselben gedämpften Tone angewiesen, das vordere Zwischendeck von jeder Ladung freizuhalten. Zweihundert Kulis sollten dort unten untergebracht werden. Die Gesellschaft Bun Hin schicke sie nach Hause. Fünfundzwanzig Säcke Reis würden sogleich an Bord gebracht werden, damit man Vorrat habe. Jeder von den Leuten führe eine Kampferholzkiste mit sich, und der Zimmermann müsse angewiesen werden, drei Zoll breite Latten an der ganzen Länge des Zwischendecks entlang anzubringen, damit diese Kisten nicht hinausfallen könnten. Es werde gut sein, wenn Jukes sogleich Vorsorge dafür treffe. »Hören Sie, Jukes?« Der Chinese hier solle als eine Art Dolmetscher das Schiff bis Futschou begleiten; er sei Bun Hins Sekretär und solle sich den Raum einmal ansehen. Jukes möge ihn führen. »Hören Sie, Jukes?«
Jukes versäumte nicht, diese Weisungen an geeigneter Stelle mit dem pflichtschuldigen: »Ja, Herr Kapitän,« zu interpunktieren, allein es klang matt und gleichgültig. Sein barsches: »Komm mit, John,« veranlaßte den Chinesen, ihm auf den Fersen zu folgen.
»Ein feiner Schlafsaal, was?« bemerkte Jukes, auf die offene Luke des Zwischendecks zeigend. Sein Ton war nicht eben zuvorkommend – dazu war er sich der Überlegenheit der eigenen Rasse zu sehr bewußt –, doch auch nicht unfreundlich. Der Chinese aber blickte traurig und sprachlos in die Finsternis des Zwischendecks hinab, als stände er am Rande eines offenen Grabes.
»Da unten kommt kein Regen hinein,« erklärte Jukes. »Und bei schönem Wetter kann jedes Kulimännchen auf Deck heraufkommen und so machen,« fuhr er, sichtlich wärmer werdend, fort, »Puuuh!« Dabei dehnte er seine Brust aus und blies die Backen auf. »Nicht wahr, John? Frische Luft schöpfen! Gut. Da oben können sie auch ihren Reis essen und ihre Höslein waschen. Verstehst du, John?«
Dazu machte er mit Mund und Händen die entsprechenden Bewegungen, und der Chinese, der sein Mißtrauen unter der Miene vornehmer Resignation verbarg, blickte aus seinen mandelförmigen Augen von Jukes auf die Luke und von der Luke wieder auf ihn zurück. »Sehr gut,« murmelte er in leisem, trostlosem Tone und glitt behende über das Verdeck, geschickt allen Hindernissen ausweichend, bis er schließlich hinter einem Haufen schmutziger Säcke verschwand, die, voll von irgend einer wertvollen Ware, einen widerlichen Geruch ausströmten.
Kapitän Mac Whirr hatte sich inzwischen ins Kartenhaus begeben, wo ein zwei Tage vorher angefangener Brief der Beendigung harrte. Diese langen Briefe begannen regelmäßig mit den Worten: »Geliebtes Weib!« und der Steward, der den Fußboden zu scheuern und die Chronometerkästen abzustauben hatte, benützte eifrig jede Gelegenheit, sie zu lesen. Sie hatten für ihn entschieden mehr Interesse, als sie möglicherweise für die Frau haben mochten, für deren Augen sie bestimmt waren, und zwar deshalb, weil sie über jede glückliche Fahrt der Nan-Shan bis ins kleinste Bericht erstatteten. Ihr Führer, der sich an Tatsachen hielt – denn nur diese spiegelte sein Bewußtsein wider – beschrieb mit diesen Berichten viele Seiten auf das sorgfältigste. Das Haus einer nördlichen Vorstadt Londons, zu dem sie ihren Weg nahmen, hatte einen kleinen Garten vor seinen Erkerfenstern, eine hübsche, ansehnliche Vorhalle und bunt bemaltes Glas in imitierter Bleifassung an der Vordertüre. Der Kapitän bezahlte jährlich fünfundvierzig Pfund Sterling dafür und hielt die Miete nicht für zu hoch, weil Frau Mac Whirr, eine anspruchsvolle Persönlichkeit mit hagerem Halse, allgemein für eine Dame galt und in der Nachbarschaft als »ganz fein« bezeichnet wurde. Das einzige Geheimnis in ihrem Leben war das Grauen, das sie im Gedanken an die Zeit empfand, wo ihr Mann für immer heimkehren würde. Unter demselben Dache wohnte auch eine Tochter, mit Namen Lydia, und ein Sohn, Tom. Diese beiden kannten ihren Vater nur sehr wenig. Er war in ihren Augen mehr wie ein seltener, aber bevorzugter Gast, der des Abends seine Pfeife im Eßzimmer rauchte und im Hause über Nacht blieb. Das schmächtige Mädchen schämte sich seiner fast ein wenig; dem Knaben aber war er gleichgültig, und in der köstlich unbefangenen, geraden Art, die Knaben von männlichem Sinne eigen ist, machte er daraus kein Hehl.
Zwölfmal im Jahre schrieb Kapitän Mac Whirr von der chinesischen Küste nach Hause, und jedesmal bat er, die Kinder von ihm zu grüßen, und unterschrieb sich: »Dein Dich liebender Gatte«, so gleichmütig, als wären die von so vielen Männern so lange schon gebrauchten Worte abgenützte Dinge ohne viel Wert und Bedeutung.
Die chinesischen Meere sind im Norden wie im Süden ziemlich eng. Sie sind voll von Inseln, Sandbänken, Riffen, von raschen und veränderlichen Strömungen. Es sind das dort alltägliche, trotzdem aber oft recht verwickelte Dinge, die ihre eigene beredte Sprache zu dem Seemann reden. Diese Sprache hatte auf Kapitän Mac Whirrs Sinn für Tatsachen einen so mächtigen Eindruck gemacht, daß er seine Kajüte unten aufgegeben hatte und all seine Tage auf der Brücke seines Schiffes zubrachte. Manchmal ließ er sich sogar seine Mahlzeiten heraufbringen und schlief nachts im Kartenhause. Dort schrieb er auch seine Briefe nach Hause, deren jeder ohne Ausnahme den Satz enthielt: »Das Wetter ist auf dieser Fahrt sehr schön gewesen,« oder eine andere ähnlich lautende Bemerkung.
Herr Rout schrieb auch Briefe; aber niemand an Bord ahnte, wie geschwätzig er mit der Feder in der Hand sein konnte, weil der Oberingenieur Einbildungskraft genug besaß, um sein Pult verschlossen zu halten. Seine Frau war entzückt von seiner Schreibweise.
Die beiden hatten keine Kinder, und Frau Rout, eine stattliche, muntere Vierzigerin, bewohnte mit Herrn Routs ehrwürdiger, alter Mutter ein kleines Haus in der Nähe von Teddington. Mit lebhaften Augen überflog sie ihre Briefe, während sie der alten Dame am Frühstückstisch gegenüber saß, und mit fröhlicher Stimme schrie sie der Halbtauben die besonders interessanten Stellen daraus zu, ihre Aufmerksamkeit jedesmal durch ein vorausgeschicktes schallendes: »Salomon sagt« wachrufend. Sie machte sich gerne den Spaß, Salomons Aussprüche auch Fremden gegenüber anzuführen, die sich dann höchlich über das unbekannte Schriftwort verwunderten und über die komische Lösung des Rätsels sehr belustigt waren. Als der neue Hilfsgeistliche zum ersten Male in ihrem Hause vorsprach, nahm sie Gelegenheit, zu bemerken: »Wie Salomon sagt: ›Die Ingenieure, die auf Schiffen fahren, lernen die Wunder der Seemannsnatur kennen.‹« Eine plötzliche Veränderung auf dem Gesichte ihres Besuches ließ sie verwundert innehalten.
»Salomon? – Oh! – Frau Rout – –« stotterte der junge Mann, ganz rot im Gesicht, »ich muß sagen – – ich weiß nicht – –«
»Es ist ja mein Mann,« brach sie lachend aus, warf sich dann in ihren Stuhl zurück und fuhr, das Taschentuch an die Augen gedrückt, fort, unbändig zu lachen, während der Geistliche mit einem gezwungenen Lächeln dasaß. Er hatte in Bezug auf joviale Frauen keine Erfahrung und war deshalb fest überzeugt, daß er es mit einer vollständig Irrsinnigen zu tun habe. Sie wurden indes später die besten Freunde. Er lernte verstehen, daß ihr jede unehrerbietige Absicht fern gelegen hatte, und fand in ihr eine durchaus achtungswerte Persönlichkeit; ja er vermochte nach und nach andre Bruchstücke Salomonischer Weisheit hinzunehmen, ohne mit der Wimper zu zucken.
»Mir für meinen Teil,« hatte Salomon nach der Erzählung seiner Frau einmal gesagt, »ist der stumpfsinnigste Esel als Kapitän lieber als ein Spitzbube. Einen Narren weiß man zu nehmen; ein Spitzbube aber ist hinterlistig und aalglatt.« Es war dies die geniale Verallgemeinerung eines besonderen Falles. Kapitän Mac Whirrs Ehrenhaftigkeit hatte die derbe Sinnenfälligkeit eines Erdklumpens.
Steuermann Jukes dagegen, nicht imstande zu verallgemeinern, auch nicht verheiratet und nicht verlobt, hatte sich gewöhnt, sein Herz in andrer Weise einem alten Kameraden und ehemaligen Schiffsgenossen auszuschütten, der gegenwärtig als zweiter Offizier an Bord eines atlantischen Paketschiffes diente.
Im Eingange seines Schreibens pries er gewöhnlich die Vorzüge der östlichen Schiffahrt, die er dem Dienste auf dem westlichen Ozean entschieden vorzog. Er rühmte den Himmel, die Gewässer, die Schiffe und das angenehme Leben des fernen Ostens. Von der Nan-Shan behauptete er, sie stehe an Seetüchtigkeit keinem Schiffe nach.
»Wir haben keine goldbortierten Uniformen; dafür sind wir aber hier untereinander wie Brüder,« schrieb er: »Wir essen alle zusammen und leben wie Kampfhähne. Unsere schwarzen Kerle sind durchweg so anständig, wie man sie gewöhnlich macht, und der alte Sal, ihr Chef, ist ein trockener Kunde. Wir sind sehr gute Freunde. Was unsern Alten betrifft, so kann man sich gar keinen nachsichtigeren Kapitän denken. Manchmal scheint es, als sei er zu dumm, um einen Fehler, den man macht, zu entdecken. Aber das ist es nicht, kann's nicht sein. Er ist jetzt schon viele Jahre Kapitän und macht nichts eigentlich Dummes, sondern führt sein Schiff, wie es sich gehört, ohne seine Leute zu plagen. Ich glaube, er ist nicht gescheit genug, um Geschmack daran zu finden, eine Szene zu machen. Ich mache mir dies jedoch nicht zu nutz – nie – das wäre gemein. Von beruflichen Dingen abgesehen, scheint er nicht die Hälfte von dem zu verstehen, was man ihm sagt. Wir haben dadurch manchen Spaß; aber auf die Dauer ist's doch auch langweilig, mit einem solchen Menschen zusammen zu sein. Der alte Sal sagt, er könne nicht viel Konversation machen. Konversation! O Himmel! Er spricht ja überhaupt nicht. Neulich unterhielt ich mich eine kleine Weile unter der Brücke mit einem der Ingenieure, und er scheint uns gehört zu haben. Wie ich hinauf komme, um meine Wache anzutreten, tritt er aus dem Kartenhause, sieht sich sorgfältig ringsum, lugt nach den Seitenfenstern hinüber, wirft einen Blick auf den Kompaß und blinzelt nach den Sternen hinauf. So macht er's regelmäßig. Endlich sagt er: ›Haben Sie eben unter der Brücke geplaudert?‹ – ›Ja, Herr Kapitän.‹ – ›Mit dem dritten Ingenieur?‹ – ›Ja, Herr Kapitän.‹ Er geht nach Steuerbord, setzt sich auf seinen kleinen Feldstuhl und gibt eine halbe Stunde lang keinen Laut von sich, außer daß er einmal niest. Endlich höre ich ihn aufstehen und auf mich zukommen. ›Ich kann mir nicht denken, was Sie zu reden haben können,‹ fängt er an. ›Zwei geschlagene Stunden! Ich mache Ihnen keinen Vorwurf; ich sehe ja, wie's die Leute am Lande den ganzen Tag lang tun; und am Abend setzen sie sich hin und reden beim Trinken weiter. Sie müssen wohl immer und immerzu dasselbe sagen. Ich begreif's einfach nicht.‹
»Hast Du schon so etwas gehört? Und dabei war er so sanft; er tat mir ganz leid. Aber manchmal kann man sich auch über ihn ärgern. Natürlich möchte man nichts tun, um ihn zu betrüben, selbst wenn es sich der Mühe lohnte. Aber es lohnt sich nicht. Er ist von einer solch köstlichen Harmlosigkeit, daß, wenn man ihm eine lange Nase machte, es ihn höchstens wundernehmen würde, was einen doch angekommen sei. Einmal erklärte er mir geradezu, es falle ihm schwer, zu begreifen, warum die Leute sich immer so sonderbar benähmen. Er ist zu dickfellig, als daß man sich mit ihm abgeben möchte; das ist die Wahrheit.«
So schrieb Steuermann Jukes aus der Fülle seines Herzens und dem Reichtum seiner Phantasie an seinen Kameraden auf dem Atlantischen Ozean.
Er hatte seine aufrichtige Meinung ausgesprochen. Es lohnte sich wirklich nicht, daß man auf einen solchen Mann Eindruck zu machen suchte. Wäre die Welt voll von solchen Menschen gewesen, so hätte Jukes das Leben wahrscheinlich für eine langweilige, fade Einrichtung gehalten. Er stand übrigens nicht allein mit seiner Ansicht. Das Meer selbst, als teilte es Jukes' gutmütige Schonung, hatte sich nie aufgemacht, den stillen Mann zu erschrecken, der selten aufblickte und harmlos über die Wasser dahinfuhr mit dem einzigen erkennbaren Zweck, drei Leuten am Lande Nahrung, Kleidung und Wohnung zu verschaffen. Schlechtes Wetter hatte er ja natürlich schon kennen gelernt. Er war durchnäßt worden, hatte sich unbehaglich und müde gefühlt und hatte es alsbald wieder vergessen, so daß er im ganzen recht hatte, wenn er regelmäßig von gutem Wetter nach Hause berichtete. Nie aber war in ihm die Ahnung geweckt worden von einer unendlichen Gewalt, einem maßlosen Grimme – einer Wut, die sich nie besänftigt, sondern nur erschöpft –, die Ahnung von dem Zürnen und Toben des leidenschaftlichen Meeres. Er wußte, daß es so etwas gab, wie wir von dem Vorkommen von Verbrechen und Greueln wissen; er hatte davon gehört, wie der friedliche Bürger einer Stadt von Schlachten, Hungersnöten und Überschwemmungen hört, ohne doch zu wissen, was diese Dinge bedeuten – mag er immerhin einmal in einen Straßenauflauf verwickelt gewesen oder eines Tages um sein Mittagessen gekommen oder von einem Platzregen bis auf die Haut durchnäßt worden sein. Kapitän Mac Whirr war auf der Oberfläche der Meere dahingefahren, wie manche Menschen über die Jahre ihres Lebens dahingleiten, um endlich sanft in ein stilles Grab zu sinken, ohne bis zuletzt das Leben kennen gelernt, ohne sich je seinen ernsten Wirklichkeiten gegenübergesehen zu haben. Es gibt zu Wasser und zu Lande solche glückliche – oder sollen wir sagen, vom Geschick oder der See zurückgesetzte Menschen.