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XII.

Mein erster Impuls, nachdem ich Mrs. Catherick's sonderbaren Brief gelesen, war der, ihn zu vernichten. Die harte, schamlose Verderbtheit des ganzen Schreibens, von Anfang bis zu Ende – der abscheuliche Eigensinn, mit dem sie darauf bestand, mich mit einem Unglücke in Verbindung zu bringen, für das ich in keiner Weise verantwortlich war, und mit einem Todesfalle, den zu verhüten ich mein Leben gewagt hatte – widerten mich in dem Grade an, daß ich im Begriffe war, den Brief zu zerreißen, als mir eine Betrachtung einfiel, die mich bewog, lieber noch ein wenig mit seiner Vernichtung zu warten.

Diese Berücksichtigung hatte durchaus gar nichts mit Sir Percival zu thun. Die mir gemachten Mittheilungen über ihn enthielten wenig mehr als die Bestätigung meiner eigenen Vermuthungen.

Er hatte das Verbrechen begangen, wie ich es erwartet hatte, und der Umstand, daß Mrs. Catherick in keiner Weise der Abschrift des Kirchenregisters, welche in Knowlesbury bewahrt wurde, Erwähnung that, bestärkte mich in meiner vorher gefaßten Ueberzeugung, daß Sir Percival nothwendigerweise nichts von dem Dasein derselben und somit von den Folgen, die dasselbe für ihn haben mußte, gewußt haben konnte. Mein Interesse an der Fälschung war jetzt zu Ende, und mein einziger Zweck, indem ich den Brief aufbewahrte, war, ihn für die Zukunft zu benutzen, um das einzige noch für mich übrige Geheimnis aufzuklären, nämlich wer eigentlich Anna Cathericks Vater gewesen. Ihre Mutter hatte in ihrem Briefe ein paar Bemerkungen fallen lassen, die mir hierin deutlich sein konnten, sobald Sachen von unmittelbarer Wichtigkeit mir Muße ließen, mich damit zu beschäftigen.

Demzufolge versiegelte ich den Brief und legte ihn in mein Taschenbuch.

Der folgende Tag war mein letzter in Hampshire. Sobald ich abermals vor der Behörde zu Knowlesbury und bei der vertagten Untersuchung erschienen, konnte ich frei sein, um mit dem Nachmittag- oder Abendzuge nach London zurückzukehren.

Mein erster Gang des nächsten Morgens war, wie gewöhnlich, nach der Post. Der Brief von Marianne war dort, aber mir schien, als man ihn mir in die Hand gab, daß er sich ungewöhnlich leicht anfühlte. Ich öffnete das Couvert voll Besorgnis. Es lag nichts als ein kleiner, einmal zusammengelegter Papierstreifen darin. Die wenigen eiliggeschriebenen, halbverwischten Zeilen, die derselbe enthielt, waren folgende:

»Komm' zurück, so schnell Du kannst. Ich bin genöthigt gewesen, unsere Wohnung zu verlassen. Komm' nach Gower's Walk, Fulham (Nummer fünf). Beunruhige Dich nicht um uns: wir sind Beide wohl und in Sicherheit. Aber komm' zurück. Marianne.«

Die Nachricht – eine Nachricht, die ich sofort mit einem Versuche neuer Anschläge von Seiten Graf Fosco's in Verbindung brachte – überwältigte mich förmlich, was hatte sich zugetragen? welche schlaue Schändlichkeit hatte der Graf in meiner Abwesenheit entworfen und ausgeführt? Seit Marianne ihren Brief geschrieben, war eine Nacht vergangen – es mußten noch viele Stunden vergehen, ehe ich zu ihnen zurückkehren konnte – es konnte sich bereits inzwischen ein Unglück ereignet haben. Und hier, so viele Meilen von ihnen entfernt, hier mußte ich bleiben – zur Verfügung, doppelt zur Verfügung des Gesetzes!

Ich weiß kaum, zu welchem Vergessen meiner Verpflichtungen meine Angst mich nicht hingerissen haben würde, wäre nicht der beruhigende Einfluß meines Zutrauens zu Marianne da gewesen. Mein absolutes Vertrauen zu ihr war die einzige Rücksicht, die mir den Muth gab, zu warten. Die vertagte Untersuchung war das erste Hindernis, das sich meinem freien Handeln in den Weg stellte. Ich stellte mich bei derselben zur bestimmten Stunde ein, da meine Anwesenheit im Zimmer für die gerichtlichen Formalitäten erforderlich war; doch war ich, wie sich's herausstellte, nicht genöthigt, meine Aussage zu wiederholen. Dieser unnöthige Verzug war schwer zu ertragen, obgleich ich mir alle Mühe gab, meine Ungeduld zu bemeistern und dem gerichtlichen Verfahren mit möglichster Aufmerksamkeit zu folgen.

Der Rechtsanwalt des verstorbenen, Mr. Merriman, war aus London herübergekommen und befand sich unter den Anwesenden, war aber durchaus nicht im Stande, die Zwecke der Untersuchung zu fördern. Er konnte bloß sagen, daß er unaussprechlich überrascht und erschüttert, jedoch nicht im Stande sei, irgendwie Licht auf das geheimnisvolle Ereignis zu werfen. Er schlug von Zeit zu Zeit Fragen vor, welche dann von dem Leichenbeschauer an die Zeugen gerichtet wurden, die jedoch ohne alle Erfolge blieben. Nach einer geduldigen Untersuchung, welche beinahe drei Stunden währte und die jede denkbare Quelle der Auskunft erschöpfte, sprachen die Geschworenen das bei plötzlichem Todesfallen übliche Erkenntnis aus. Sie fügten dem förmlichen Urtheile noch eine Bemerkung hinzu, daß keine Belege für die Art und Weise, in der die Schlüssel genommen worden, vorhanden und daß der Zweck, zu welchem der verstorbene in die Sacristei gegangen, unerklärt geblieben. Dies schloß die Untersuchung. Es wurde dem gerichtlichen Repräsentanten des Todten überlassen, für dessen Beerdigung zu sorgen und die Zeugen durften abtreten.

Entschlossen, keine Minute länger zu verlieren, ehe ich nach Knowlesbury ginge, bezahlte ich meine Rechnung im Gasthofe und bestellte mir einen Fiaker, um desto schneller dort anzulangen. Ein Herr, welcher hörte, wie ich den Befehl ertheilte, und sah, daß ich allein fahren würde, unterrichtete mich, daß er in der Nähe von Knowlesbury wohne, und frug, ob ich etwas dawider haben würde, den Wagen und die Ausgabe für denselben mit ihm zu theilen. Ich nahm seinen Vorschlag wie eine Sache an, die sich von selbst versteht.

Unsere Unterhaltung während der Fahrt drehte sich natürlich um den einen Gegenstand des Ortsinteresses.

Mein neuer Bekannter war einigermaßen mit dem Advocaten des verstorbenen Sir Percival bekannt und hatte mit demselben eine Unterhaltung über dessen Vermögensangelegenheiten und den nächsten Erben gehabt. Sir Percivals Verlegenheiten waren in der ganzen Umgegend so wohl bekannt, daß sein Advocat aus der Notwendigkeit eine Tugend machte und die Sache unumwunden eingestand. Er war gestorben, ohne ein Testament zu hinterlassen, und selbst, falls er ein solches gemacht, so besaß er kein persönliches Eigenthum, über welches er testamentarisch hätte verfügen können, indem seine Gläubiger bereits das ganze Vermögen verschlungen, das ihm seine Frau zugebracht hatte. Der Erbe des Besitzthums (da Sir Percival keine Leibeserben hinterließ) war der Sohn eines Vetters von Sir Felix Glyde, ein Officier in der königlichen Marine. Er sollte sein Erbtbeil tief verschuldet finden; doch konnte es sich mit der Zeit davon erholen und falls »der Capitän« sparsam war, so konnte er vor seinem Tode doch noch ein reicher Mann werden.

So sehr ich auch mit dem Gedanken, möglichst schnell nach London zurückzukehren, beschäftigt war, hatten doch diese Mitteilungen (welche sich später als vollkommen richtig herausstellten) einiges Interesse für mich. Mir schien danach, daß ich gerechtfertigt sei, meine Entdeckung von Sir Percivals Fälschung geheim zu halten. Der Erbe, dessen Rechte er sich angemaßt, war derjenige, dem das Besitzthum jetzt zufiel. Das Einkommen desselben während der letzten dreiundzwanzig Jahre, welches von Rechtswegen ihm hätte zufallen sollen, war von Sir Percival bis auf den letzten Heller vergeudet und unwiederbringlich verloren. Falls ich die Wahrheit bekannt machte, so konnte dieselbe doch keinem Menschen den geringsten Nutzen bringen. Bewahrte ich dagegen das Geheimnis, so schützte mein Schweigen den Ruf des Mannes, welcher Laura durch seine Betrügereien vermocht hatte, ihn zu heiraten. Nur um ihretwillen wünschte ich es geheim zu halten.

In Knowlesbury schied ich von meinem zufälligen Reisegefährten und ging dann sofort nach dem Gerichtshause. Wie ich erwartet hatte: es stellte sich Niemand, um die Sache weiter gegen mich fortzusetzen – die nothwendigen Formalitäten wurden durchgemacht, und ich war entlassen.

Eine halbe Stunde später eilte ich mit dem Schnellzuge nach London zurück.


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