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Bei einem vorurteilslosen Studium der Geschichte wird man sich bald überzeugen, daß alle schönen kriegerischen Begebenheiten, die nicht in das Fach der Fortifikation und Artillerie gehören, fast einzig und allein Produkte des Talents und einzelner aus dem Studium der Geschichte abgeleiteter Grundsätze gewesen sind, und daß die sogenannten Lehrbücher und Abhandlungen daran wenig oder gar keinen Anteil gehabt haben. Montecuculi und Turenne, deren Feldzüge doch meist als unübertroffen betrachtet werden, führten Krieg, ehe die meisten unserer sogenannten Lehrbücher der Kriegskunst erschienen; die Größe Friedrichs II. als Feldherr ist so eigener Natur, daß man ihren Grund in Puiségur und Feuquières vergebens aufsuchen wird. Von den Anordnungen, wie die in den Schlachten bei Krefeld und Minden, die beiden größten Meisterstücke eines der größten Feldherren, hatten aber militärische Schriftsteller noch gar keinen Begriff. Überhaupt darf man, um sich von der Nichtigkeit der übrigen Meinung zu überzeugen, nur bemerken, daß die ausführende Kriegskunst ihrer Theorie fast immer um ein Bedeutendes vorangegangen ist, daß z.B., als bei der preußischen Armee die niedere Taktik wirklich einige bedeutende Fortschritte gemacht hatte, die Bücher noch voll des entsetzlichsten Unsinns waren; daß die meisten Erfindungen, wie die des eisernen Ladestocks, eingeführt waren, ehe die Bücher ihrer gedachten, und daß endlich bei den wenigsten Feldherren ein Studium der vorhandenen Bücher vorauszusetzen war.
Die Schuld hiervon liegt nicht an dem Gegenstande, denn es läßt sich über jeden Gegenstand unserer Erkenntnis vernünftig räsonieren – und weiter ist ja doch alle Theorie nichts. Daß ein solches Räsonnement aber nicht von Nutzen sein sollte, läßt sich ebenfalls nicht bestreiten. Die Schuld liegt in der Unvollkommenheit der vorhandenen Bücher und Abhandlungen.
Der Fehler der meisten unter ihnen ist der Mangel alles philosophischen Geistes, daher so oft eine schlechte unzusammenhängende Einrichtung des Ganzen, schlechte Begründung der einzelnen Grundsätze und Regeln, kleinliche Ansichten oft im hohen Grad pedantisch, sehr viel überflüssige und noch mehr falsche Regeln.
Alle diese Fehler sind wirklich in den besten Werken über diejenigen Teile der Kriegskunst, welche wir jetzt unter Taktik und Strategie begreifen, vorhanden und machen es, daß man sie nur mit geringem Nutzen, ohne wahres Vergnügen und mit wenig Nahrung des Geistes liest. Sie entstanden durch die Natur der Sache.
Die meisten derjenigen Künste und Wissenschaften, welche durch eine literarische Bearbeitung weiter gebracht werden, werden auch nur von Gelehrten oder wenigstens von durch Literatur ausgebildeten Menschen getrieben; daher finden sich unter ihren Priestern immer eine Menge wissenschaftlich ausgebildeter Köpfe, die mit allen nötigen Erfordernissen versehen sind, ihre Kunst oder Wissenschaft durch eine literarische Bearbeitung ferner zu vervollkommnen. Dies geschieht schon, indem sie sich mit ihr bekannt machen, sie studieren, weil das Studium einer Theorie dem guten Kopf sehr bald die Blößen derselben kennen lehrt und weil er dann gewöhnlich auf diesem Punkt so lange stehenbleibt, bis er die Lücke aus eigener Kraft gehörig ausgefüllt hat. Sie veredeln ihre Wissenschaft mit sich selbst.
Beim Militär hingegen gehört der wissenschaftlich ausgebildete Kopf zu den seltenen Ausnahmen. Um zu den höheren Befehlshaberstellen zu gelangen, werden nicht Kenntnisse und Talente, sondern andere Umstände erfordert. Man bittet recht sehr, diese und ähnliche Stellen nicht für Tadel der bestehenden Einrichtungen zu halten, sowie überhaupt nicht eher zu glauben, des Verfassers Meinung ganz verstanden zu haben, als am Ende der Abhandlung, denn in einer Abhandlung ist jede Unterbrechung des Ideenganges ein wesentlicher Fehler. (Cl.) Die, welche dahin gelangen, studieren also ihre Kunst nicht, sondern sehen sich etwas in der Geschichte um und machen es am Ende so gut sie können nach dem Maß ihrer natürlichen Fähigkeiten. Dazu kommt, daß, wenn in allen übrigen Künsten der ausübende Künstler sich über den Mangel an einer praktischen Bekanntschaft mit dem Gegenstande von seiten der Gelehrten beklagt, dies beim Militär noch weit häufiger der Fall sein muß, weil in den übrigen Künsten dem gelehrten Stubenarbeiter es doch wenigstens verstattet ist, in die Werkstätten der Kunst zu gehen und sich dort zu unterrichten, daß aber dies nicht so mit dem Schriftsteller in der Kriegskunst ist. Für diesen, und zumal für den taktischen, ist die Werkstatt das Gefecht – um dies gehörig kennenzulernen, ist auch nicht ein Gefecht zureichend –, die Gelegenheit aber, Gefechte gehörig zu beobachten, bietet sich selbst im Kriege nicht so häufig dar. Wo soll nun der militärische Schriftsteller die innige Bekanntschaft mit seinem Gegenstande hernehmen?
Der Mangel an guten militärischen Schriftstellern rührt also teils von dem Mangel an wissenschaftlich ausgebildeten Köpfen im Militär, teils von der Schwierigkeit her, die nötigen Erfahrungen zu machen. Man glaube ja nicht, daß das Studium der Geschichte diesen Mangel ganz ersetzen könne.
Künste, bei welchen ähnliche Umstände eintreten, liefern auch ähnliche Bemerkungen. Die Schauspielkunst unter andern hat wenig gute Schriftsteller aufzuweisen, und zwar aus dem Grunde, weil die Schauspieler selbst selten literarisch gebildet sind, weil die meisten mechanisch angelernt werden und hernach entweder in der Klasse der Mittelmäßigen stehenbleiben oder sich durch Talent über die übrigen erheben. Dem eigentlichen Studium hat das Theater gewiß nicht viel große Schauspieler zu verdanken.
Man soll daher nicht über die Unvollkommenheiten der militärischen Bücher erstaunen und es nicht für Mangel an Talent, an Scharfsinn, Beobachtungsgeist usw. halten. Wer wollte das von Follard, Puiségur Feuquières, Turpin, Xanthier behaupten? In ihren Büchern ist sehr viel Gutes enthalten, was sicherer Bürge ihres Talents ist, aber die Art, wie es darin enthalten ist, ist größtenteils höchst unvollkommen und ihrer Nützlichkeit sehr entgegen.
Viele meinen zwar, es komme, um zu nützen, weniger auf die Form als auf die Materie an, und jene gehöre nur für die Schule. Allein die Meinung ist wirklich ein so schwerer Irrtum, daß die Form eine Schulpedanterie sei, daß man nur an die eisten Begriffe der Logik verweisen darf, um sie widerlegt zu haben.
Wer eine Theorie nicht bloß aus einzelnen zusammengereihten Erfahrungen bestehen lassen will, wer darüber auch noch räsonnieren, d. h. wer aus diesen Erfahrungen Schlüsse ziehen, neue Sätze ableiten will usw., kann der wohl anders einen sichern Weg gehen und sich und andere überzeugen, daß er nicht phantasiert, sondern vernünftig spricht, als durch die Beobachtung der richtigen Form in der Verbindung seiner Vorstellungen untereinander? – Wird diese Form bei der Verbindung einzelner Vorstellungen verletzt, so versteht jedermann die einzelnen Vorstellungen, aber der ganze Gedanke ist unverständlich. Ebenso ist es mit zusammengesetzten Vorstellungen und ganzen Abhandlungen – alles dies sind Elementarbegriffe der Logik, und wir würden unsere Leser beleidigen, wenn wir sie nicht bei ihnen voraussetzen und uns in weitere Erklärungen darüber einlassen wollten. Jeder gebildete Mann weiß, daß die formale Wahrheit conditio sine qua non aller Wahrheit ist und daß sie bloß in der richtigen Form besteht und also wohl mit ihr verletzt werden muß. Aus diesem Mangel einer philosophischen Ordnung und Ableitung der Begriffe entstehen teils Unrichtigkeiten, falsche Ansichten und Irrtümer aller Art von seiten des Schriftstellers, teils Lücken und andere Schwierigkeiten für den Leser, besonders für den jungen Studierenden. Wir berufen uns, was das letztere betrifft, auf die eigene Überzeugung aller, die sich mit dem Studium der Kriegskunst nach jenen Büchern beschäftigt haben und die nie zufrieden mit halb erratenen Begriffen und vagen Vorstellungen, auf Erkenntnis und Deutlichkeit des erlernten Wissens mit Ernst drangen und nicht eher einen Schritt forttun wollten, bis sie fühlten, unerschütterlich festzustehn. Gewiß haben alle die, welche diesen Weg gingen, die großen Schwierigkeiten gefühlt, die die Ausbildung des Geistes und Kopfes für den Krieg durch die Theorie hatte, und dabei sich lebhaft von der unvollkommenen Bearbeitung dieser Theorie überzeugt. Wir können uns hier in keine detailliertere Darstellung der Unvollkommenheiten einlassen, da wir zu diesem Behuf zuvorderst die Erfordernisse theoretischer Lehrbücher angeben müßten, dies aber weiter unten an einem schicklicheren Ort geschehen wird. Wir wollen bloß auf eine der vorzüglichsten Unvollkommenheiten aufmerksam machen: dies ist der Mangel an einer vollständigen Bezeichnung der Vorstellungen.
Wenn man jemand mit irgendeinem Gegenstand theoretisch bekannt machen will, so ist das allernotwendigste eine bestimmte Bezeichnung der Vorstellungen und Begriffe. Beim praktischen Unterricht erzeugen sich wenigstens die erstern durch Anschaun. Der theoretische Lehrer aber ist genötigt, alles durch Erklärungen und Bezeichnungen zu bewirken. Schlechterdings muß er darauf hinarbeiten, daß alle seine Schüler von den Gegenständen eine und dieselbe, nämlich seine eigne Vorstellung haben, denn ohnedem wird er sich nie mit ihnen verstehen; unbemerkt wird sich eine große Verschiedenheit in den Ansichten und Begriffen einschleichen, die in der Folge eine gegenseitige Überzeugung sehr schwer machen wird, und zwar dies um so mehr, je weniger die Köpfe daran gewöhnt sind, bei dieser Schwierigkeit gleich bis zu den einfachsten Vorstellungen aufzusteigen und den Fehler hier zu suchen.
Diese Regel aber, sich zuerst mit der Vorstellung seiner Schüler von den einzelnen Gegenständen zu beschäftigen, wird fast in allen unsern Schriftstellern, die über taktische und strategische Gegenstände geschrieben haben, verletzt. Sie fangen mit den zusammengesetztesten Dingen an, ohne sich darum zu bekümmern, nicht bloß, ob der Leser eine richtige Vorstellung von den Gegenständen hat, sondern sogar ohne sicher zu sein, ob sie selbst die Dinge bestimmt und deutlich erkannt haben. – Wer hat in seinem Leben nicht die Erfahrung an sich selbst schon gemacht, daß er über gewisse Dinge mit sich vollkommen einig zu sein glaubte, indessen bei ihrer näheren Betrachtung sich eine Menge Dunkelheiten und Unbestimmtheiten zeigten. Durchaus aber können wir keine Meinung für nützlich und brauchbar halten, die sich auf dunkle Vorstellungen gründet. Wir verlangen, der junge Mann, welcher vorgibt, sein Fach studiert zu haben und praktisch oder theoretisch etwas leisten will, soll alle nicht bestimmt erkannten Gegenstände, alle Meinungen, die sich nicht auf eine helle Überzeugung des Kopfes gründen, herauswerfen und durchaus nichts glauben, sondern nach einem klaren Wissen ringen. Er muß so lange arbeiten, bis er seine Meinung aus eigner Überzeugung für die beste hält, nicht unter den möglichen, aber unter denen, die er kennt. Dieses Merkmal solider Erkenntnisse – die eigne Überzeugung – ist wahrlich nicht so leicht zu erringen, als mancher, der gewohnt ist, beständig über die Eingebildetheit junger Leute zu schwatzen, glauben wird.
Diesen Forderungen kann weder der Schriftsteller selbst genügen, der sich nicht die Mühe gegeben hat, seine Begriffe alle bis zur Deutlichkeit zu erheben, noch der Schüler, welcher ihn liest und ihn entweder gar nicht oder falsch, am seltensten aber so versteht, wie der Autor verstanden sein will.
Die Schriftsteller haben diesen Mangel ihres theoretischen Unterrichts auch wirklich gefühlt und sind daher sehr bald auf die Idee gekommen, ihn praktisch zu machen, d.h. sie haben in Beispielen gelehrt. Daher besteht der größte Teil ihrer Werke aus historischen Beispielen kritisch betrachtet.
Wir haben den allergrößten Respekt für den Nutzen des historischen Studiums und werden in der Folge an einem schicklicheren Ort diesen durch eine Entwicklung der Gründe, auf welchen er beruht, nach unseren besten Kräften darzulegen suchen; auch sind wir redlich überzeugt, daß, in Ermangelung einer brauchbaren Theorie, dies der einzige Weg zum zweckmäßigen Unterricht ist, und endlich glauben wir selbst, daß bei der vortrefflichsten Theorie die Anwendung derselben in zahlreichen Beispielen in der Kriegskunst beim Unterricht nicht ausgelassen werden dürfe. Allein alles dies hält uns nicht ab, zu gestehen, daß wir von einer geistreichen Bearbeitung der Theorie großen Nutzen erwarten, teils für die Ausbildung der jungen Studierenden, noch mehr aber für die Ausbildung der Kunst selbst.