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[Der Heiligen Kind]

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»Ob man in solchem Nebel noch Weg und Richtung finden kann?« Der Reiter hielt sein Tier an, hob sich, steif vom langen Ritt, aus dem Sattel und zog dem Hengste die Zügel über Mähne und Kopf.

»Hier wartet ein Weilchen, Junker Schlotheim,« sagte er und reichte den Zügel seinem jungen Begleiter zu, der seinen Falben neben den Hengst getrieben hatte, »ich will den Geleisen hier ein Stückchen nachgehen. Vielleicht, daß ich finde, wohin wir uns im Nebel verritten haben?«

»Herr, Ihr werdet mich und die Rosse nicht wiederfinden, wenn Ihr in den Nebel hineinschreitet!«

»Sorgt Euch nicht, Junker; zwar ist es ein hartes Stück für ein angehend Magisterlein aus Erfurt, mit dem alten Vargula durchs Thüringer Land zu reiten im Hornung. Aber, Ihr habt es gewollt. Zieht mit den Rossen dort hinter die Wachholderstauden, damit ihnen der Nordwind nicht zu harsch übers Fell fährt.«

Damit schritt der bejahrte, doch noch rüstige Mann, den Blick auf die Geleise vor seinen Füßen geheftet, in den Abendnebel hinein. Schon nach wenigen Schritten lenkten Weg und Spur scharf abwärts zwischen von Stürmen gedrückte alte knorrige Kiefern hinein.

»Sollte mich wundern, ob ich in dem Nebel mich nicht gegen die Hörselberge verritten hätte, und wenn's hier nicht hinab ginge gen das Hörseltal auf Eisenach zu!« murmelte der Alte und spähte unter der Krempe seines Hutes hervor scharf in die Nebelschwaden, die der Nordwind ihm in den Rücken und vor die Blicke trieb. Ein vom Tal auffahrender Wirbelwind riß für einen Augenblick eine Lücke in die grauen Schleier, und von links her blitzte ein Lichtlein auf, zu dem ein schmaler Pfad abzweigte. Wenn der Verirrte wirklich am Hörselberg stand, konnte dies Licht nicht aus einer Wohnstätte kommen, denn solche gab es hier nicht, und dies war keine Gegend, wo Kohlenbrenner etwas zu schaffen hatten. Doch schritt er entschlossen, nachdem er auf die Wegzweigung der Vorsicht halber einen Fichtenbruch geworfen, auf dem abzweigenden Pfade vor, um sich schon nach wenigen Schritten im Lichtscheine eines Reisigfeuers zu befinden, an dem eine Gestalt, ein Weib, hantierte.

Es gab viel fahrend Volk und Gesindel jetzt im Lande, in dem kein Kaiser Ordnung hielt, denn Kaiser Friedrich der Zweite war weit und regierte gar musterhaft die Sarazenen in Süditalien, nur daß seine Deutschen hiervon nichts profitierten.

Die Faust am Knauf des Dolches, spähte der Alte scharf hinüber. Aber er entdeckte nichts außer dem Feuer, darüber einen dampfenden Kessel und daran aufflackernde Flammen, die vor dem feuchten Gestein eines Felsloches züngelten. Kein anderes lebendes Wesen außer dem Weibe, dessen dunkele Haarsträhne unter der über den Kopf gezogenen Lederkappe hervor vom Winde über ein braunes Gesicht gerissen wurden. Die Frau mußte den Laut seiner Schritte vernommen haben, denn sie spähte scharf in die Richtung hinüber, während sie langsam den Griff eines ansehnlichen Messers umspannte, das neben ihr am Boden blitzte. Nun zweifelte der Verirrte nicht mehr, wo er war. Er kannte jene Höhle, vor der das Feuer brannte.

»Wer ist da?« fragte sie, als er auch schon einen weiteren Schritt tat, der ihn in die volle Beleuchtung der Flammen stellte.

Es war kein freundlicher Blick und kein freundliches Augenpaar, das ihn scharf anblickte, obgleich das Gesicht des Weibes nicht allzu alt schien und darin manches fehlte, was eine Hexe haben muß. Trotzdem wollte der Hexen- und Spukglaube der Zeit dem Ritter unter dem Pelzrock ans Herz greifen.

»Einer, der Weg und Steg verlor in dem Nebel.« Entschlossen trat er ganz dicht vor das Feuer. – Sie hatte sich aufgerichtet. Doch kaum, daß sie sein Gesicht erkannte, ließ sie das Messer zu Boden klirren, hockte gleichmütig wieder nieder und ergriff den Span, mit dem sie vorher im Topfe gerührt hatte.

»Ihr seid's, Schenk Walter von Vargula! Verritten im Thüringer Land, das keiner besser kennt als Ihr? Zwar die Hörselhexen haben's heut nacht eilig mit dem Totenschleierspinnen. Das ist ein Wetter just so rauh wie damals, als die Landgräfin Elisabeth bei Nacht und Nebel von der Wartburg wich.«

Erstaunt blickte Walter von Vargula das Weib an.

»Ihr kennt mich, Weib, und wer seid Ihr?«

»Die dummen Bauern nennen mich die Wetterchristel. Ist's Hexerei zu wissen, daß morgen früh aus dem Nebel bei Nordwind Schnee werden muß? Tretet heran, mir fing sich ein Hase in der Schlinge.«

»Ihr wißt, wo Ihr seid? – –«

»Ja, am Hörselberg.«

»Recht so, und noch dazu an der Höhle. Ein garstig Loch für Frau Venus, gelle? Wollt Ihr auf Eisenach?«

»Nein, ich ritt von Erfurt herüber auf Gotha und wollte auf Creuzburg zuschneiden. Habe keine Ursache, nach Eisenach zu kommen.«

»Das glaube ich Euch, Schenk. Auf der Wartburg sitzt der Pfaffensraspe. Er und der Schenk von Vargula pfeifen zwei Lieder, die schlecht zusammen stimmen. Hi Welf', hi Ghibelline?«

»Ihr wißt mehr von der Welt, als gut ist, und mir scheint mehr, als ich selbst. Ich will die Pferde holen, daß wir sie hier beistellen.«

»Laßt, Schenk, den Weg nehme ich Euch ab. Ich weiß, wo die Tiere stehen. Ich hörte sie stampfen.«

»Nein,« lachte der Schenk, »ich habe einen jungen Scholaren mit mir aus Erfurt, den ich mitnahm, da mir mein Knecht in Erfurt erkrankte. Kommt Ihr dem unvermutet aus dem Nebel unter die Augen, denkt er vielleicht, sein letztes Stündlein sei gekommen.«

Damit schritt der Schenk den Weg rasch zurück.

Die Wetterchristel kochte am Feuer und drehte den Holzspan. »Ist mir keiner lieber in Thüringen als der alte Vargula,« murmelte sie vor sich hin. Behutsam leiteten Ritter und Junker die Tiere auf dem schmalen Weg heran und stellten sie etwas abseits, wo der Steilfall des Berges Schutz gegen Norden gab.

»So, nun kommt, Junker. Hier ist ein gastlich Feuer, die Venushöhle, und ein altes Weib dazu!« meinte der Alte gut gelaunt.

Die Christel blitzte den Scholaren scharf aus den schwarzen Augen an, der befremdet um sich sah und Kreuz schlug, ehe er ans Feuer trat.

»Habt keine Angst, Junkerchen. Euren Namen kenne ich nicht, aber ich will auf Kaiser und Papst schwören, daß Ihr ein Schlotheim seid. Ihr habt die Schlotheimer Braue über den hellen Augen. Setzt Euch und langt zum Essen.«

Sie hob den brodelnden Topf vom Feuer und schob ihn den Männern zu.

Vargula zog den Dolch aus dem Gürtelgehäng und stocherte damit aus der Brühe einen Hasenlauf. »So ist das Leben, junger Schlotheim! Nicht immer singen Maivögelein des Herrn Walter von der Vogelweide und nicht immer gibt es minnigliche Frauen. Zuweilen sind für Verrittene im Winter ein altes Weib und eine Wilpertsuppe nicht zu verachten! Wie kommt es,« wandte er sich an die Wetterchristel, die vor sich hin ins Feuer starrte, »wie kommt es, daß Ihr zu solcher Nacht hier oben am Reisigfeuer hockt?«

»Wie's kommt, Herr Schenk? – – Hm, dort unten im Tal ziehen zu viel der Mönche entlang der Straße auf Eisenach, und wenn auch die Bauern mir sonst wohlgesinnt sind, gegen die Pfaffen hilft mir keiner. Besser und sicherer ist's hier oben in den Bergklüften. Ich bin's Leben nicht besser gewöhnt worden.«

Sie versank wieder in Schweigen vor der Glut. So saßen die drei um den Kessel. Der alte Vargula, der vor 35 Jahren das vierjährige Königskind aus Ungarn nach der Wartburg geleitet hatte, der achtzehnjährige Junker aus der Klosterschule zu Erfurt und als drittes ein heimatloses, gescheuchtes Weib. Die Zähne arbeiteten und das Wort ruhte. Der Wind strich in Stößen fauchend über sie hin und fisselte mit scharfem Ton durch die Kiefernadeln.

»So,« sagte Vargula endlich, strich den Dolch am Wadenleder der Reitstiefel ab und steckte ihn in die Scheide. »Da, Weib, trockne mir Mantel und Pelz.«

Er warf ihr den Mantel zu und strich die beiden Luchsfelle, die ihm Brust und Rücken gewärmt hatten, über den Kopf hinüber. In des Junkers Hirn rumorten fabelhafte Geschichten, wie solche die Jugend der Zeit bewegten, aus den Dichtungen des Eschebachs und des Straßburgers und aus den Liedern fahrenden Volkes, das die schwüle Märchenwelt des Orients mit der krausen Lustigkeit und der wuchtigen Schwermut des Abendlandes mischte.

Während das Weib Mäntel und Pelzwerk zum Trocknen am Feuer wandte, begann es: »So, also auf Creuzburg wolltet Ihr reiten, Schenk von Vargula?«

»Ja, und von dort auf Mühlhausen.«

»Ich vermute, Ihr werdet an Creuzburg nicht nur vorbeireiten. Der junge Landgrafensohn ist schon hoch gewachsen. Ich sah ihn vor nicht allzulanger Zeit. Ihr solltet am Ende doch einmal schauen, was der Sohn der Heiligen treibt zu Creuzburg ob der Werra? Es ist sonst wohl keiner im Thüringer Land, noch im weiten Reich, der sonderlichen Anteil an ihm zu nehmen Anlaß hätte.«

Der Schenk zog den Filzhut tief über die Augen.

»Was schwatzt du da, Weib?«

»War's falsch, Schenk? Ich habe auch gelebt und vieles gesehen in dieser Welt, und fahrendes Volk trägt mir von vielem die Kunde zu an den Landstraßen. Weiß auch, daß der Schenk von Vargula einst dem König Andreas von Ungarland gelobt hat, sein Töchterchen zu schirmen und zu schützen. Nun liegt die Königstochter im Dom zu Marburg und frommes Volk betet an ihrem Grabstein, aber der Sohn lebt, und das Thüringer Land gehört ihm, und die dunklen Augen der Mutter hat er im Kopfe, und neunzehn Jahre alt ist er auch! Das habe ich gesehen, Schenk von Vargula!«

Dieser sah sie einige Zeit lang scharf an.

»Wer seid Ihr? Ihr sprecht von alten Zeiten und vergangenen Dingen, als wäret Ihr dabei gewesen.«

»Bin ich auch, Schenk. Mein Vater war beim Wagentroß, der das Hochzeitsgut des Königskindes, für das vierjährige Bräutlein, nach der Wartburg karrte. Weil mir die Mutter tot, hat mich der Vater auf solcher Reise mitnehmen müssen. Ich war schon ein Kind, das seine Augen brauchen konnte, und ich habe oft gesehen, wie der junge Schenk von Vargula gar ehrbar ritt neben dem Gefährt des Königskindes und wie er das kleine Ding, dem die Zeit wohl oftmals lang werden mochte, vor sich auf den Sattel hob und freundlich mit ihm scherzte. Zwar Euch selbst hingen damals noch die Locken braun unter der Eisenhaube heraus auf die Schultern. – –«

Vargula stemmte den Arm aufs Knie und drückte den grauen Bart in die Rechte.

»Das ist lang her und viel Freud und Leid dazwischen.«

»Aber noch mehr Untat und Tollheit!« sagte die Wetterchristel, »Pfaffen und Pfaffenknecht machen aus Unrecht – – Recht. Wer findet jetzt das Recht in deutschen Landen? Besser war es, als das Recht gefunden werden mußte und nicht nur aus der Gewalt kam.«

Da fuhr der Alte auf, wie jemand, der wohl fühlt, daß der andere ein beißend wahres Wort sprach.

»Hütet Eure Zunge! Ihr Ungarn seid halbes Heidenvolk, aber wir hier sind gute Christen, wir Alten wenigstens sind's noch!«

»Amen,« sagte das Weib. Das klang ganz gut, man mußte ihr nur nicht im braunen Gesicht erkennen, wie der Hohn darüber flammte.

»Ja,« fuhr sie fort wie im Selbstgespräch, »als wir mit den leeren Karren zurückwollten in die Heimat an der Donau, da nahm mir die Pest den Vater. Der Landgraf Hermann gab mich zu armen Leuten, die mich aufbringen sollten und dafür freie Hutung der Heide am Breitengeschaid erhielten. Nicht sonderlich gut ist's mir gegangen. Ein Kind, um das keiner sorgt, lebt selten lange – – und sicher nicht gut! Schenk von Vargula, denkt an das Landgrafenkind in Creuzburg!«

»Was soll das wieder, was meint Ihr damit?« knurrte der Alte.

»Nichts, gar nichts, es ging mir nur so über die Lippen. Ihr seht, ich lebe ja heut noch! War mit 15 Jahren schon ein ausgewachsen Mädel und kam zum Schenkwirt am Georgentor. Habe manchem schmucken Ritter den Trunk geboten, der aus dem Werratal auf Eisenach geritten kam. Bin auch bei Festen wohl auf der Wartburg gewesen. Habe viel gesehen, sehr viel dort oben, mehr als die meisten!« Sie reckte den Arm aus gegen Westen. »Alte Zeiten, alte Zeiten! Weiß noch wie heute, in Italien war's! Ihr hieltet scharfe Zucht im Troß und ich sah wohl, wie Ihr Euren Sohn, den jungen Rudolph, im Auge hieltet, daß er nicht allzulange bei den Troßweibern zurückblieb. Ihr suchtet eine, die Euch das Kreuz wieder auf den Mantel nähte, das sich gelöst hatte. Ich habe es getan und von Euch eine römische Münze zum Dank bekommen. Bin dann auch wieder mit heimwärts gen Norden gezogen. Nur war des Landgrafen Streitroß ledig. Den brachten wir anders heim nach Bamberg als wir ausgezogen von der Wartburg, das heißt, gestreckt zwischen sechs Brettern – – –«

Das Weib schwieg. Immer tiefer hatte Vargula den Kopf geneigt und fester hatte sich seine Rechte im grauen Bart vergraben.

»Das ist lang her, allzulang her – –,« murmelte er.

»Ja, lang her ist's, aber vergessen nicht, Schenk! Und der beiden Heiligen Sohn ist in Creuzburg und alt genug, um die Landgrafenkrone zu tragen. Sagt, wer hat Anteil an ihm und an seinem Leben? Der Raspe doch sicher nicht, seit er in zweiter Ehe des Östreichers Schwester nahm und auf einen Erben hofft. Seine Schwester Sophie erst recht nicht, seit sie des Brabanter Herzogs Weib wurde. Oder gar der Papst in Rom, oder der Bischof Sifrid von Mainz? Dem ersten ist der Raspe grad' recht, und der zweite holte am liebsten die Thüringer Lehen herein, wenn's hier keinen Erben gäbe. Und der Hohenstaufe?? – – – Der will den Raspe nicht kränken.«

»Weib, Ihr faselt!« Der Schenk richtete sich auf. »Es ist besser, wir ruhen jetzt.«

»In der Höhle liegt trocken Heu und Laub genug. Wartet, ich leuchte Euch!«

Sie ergriff einen lodernden Span und hielt ihn in die Höhle.

Dort streckten sich der alte Vargula und sein Begleiter, nachdem sie Pelze und Mäntel angetan, nieder, und der Feuerschein zuckte und huschte gar unheimlich übers Gestein.

»Schenk von Vargula,« begann das Weib noch einmal, indem es sich in die Öffnung bückte und den Span hoch hielt, so daß dessen Licht ihr dunkles Antlitz überflammte, »Schenk von Vargula, noch ein Wort von der Wetterchristel. Der verfluchte Mordbrenner Kunrat von Marburg hat die Mutter den Kindern geraubt. Sie könnte heute noch leben. Keiner hat gesehen, was ich sah, denn ich war gut Freund mit einem Klosterbruder – – in allen Ehren, versteht sich – –« sie lachte mißtönend auf, »die Landgräfin lag splitternackt auf den Knieen und selbst Heilige sind schön – – – und der Pfaffe geißelte ihr den Rücken. Wißt Ihr genau, weshalb er's tat? Was so einer nicht haben kann, das zerstört er! Ich habe durch einen Türspalt dem Kunrat von Marburg ins Gesicht sehen können, als er die Geißel schwang. Er war nicht der erste Pfaff, der so entzündete, was anderen der Liebe süßer Lohn ist. Nun wißt, Herr Schenk, wie dem jungen Landgrafen auf Creuzburg die Mutter verdarb! – – –«

Der Schenk sprang auf und schlug mit geballter Faust nach dem Weibe. Doch dies entwich gewandt und stieß den brennenden Span gegen das Gestein.

»Weib, wenn ich nicht dächte, du seist irr, du solltest die Lästerrede büßen!« schrie er ins Dunkel hinein.

»Büßen, hihi! Lohnt der Schenk so Mahl und Obdach am Hörselberg?«, kam's aus der Finsternis zurück. Dann war's still. Schwer warf sich der Schenk wieder aufs Heu.

Er sowohl wie der Junker konnte nicht schlafen. Sprach so das Thüringer Volk über Landgrafen, Kaiser und Papst? Auch der Junker wälzte sich schlaflos. Kaum verstanden hatte er, was das Weib sagte, aber ein Grauen war ihm geblieben, und der Tannhäuserspuk kroch ihm kalt den Rücken hinauf in dieser Höhle der schönen Teufelin am Hörselberg. Auch fror ihn und er dachte mit Sehnsucht der warmen Federbetten in der Klosterschule zu Erfurt. Als dann am anderen Morgen das erste Licht hereindämmerte, war's ihm, als hätte er wüst geträumt, daß Frau Venus aus dem Spalt der Höhle getreten sei und die weiße Brust über ihn geneigt habe. Das war ein gar arger Traum und er gelobte, ihn zu beichten und im voraus schon hundert Paternoster zu beten. Und als er hinauskroch, da war kein Weib, noch Feuer zu sehen, aber der Schnee lag handhoch und aus windstiller Luft taumelten die letzten Flocken herab. Die Kiefern trugen geruhsam ihr Schneekleid in den hellenden Morgen hinein, und als er einige Schritte vortrat und rückwärts sich wandte, blitzte der erste Sonnenstrahl über die Hörselbergkuppe. Von einer Schluchtwand hallte das helle Geheul eines Wolfes herüber.

»Das wird ein gutes Wetter zum Ritt,« meinte der alte Vargula. »Kommt, wir wollen eilen, um in der nächsten Wohnstätte ein Stück Brot für uns und ein Bund Heu für die Tiere zu finden.« So zogen sie den Pferden die Gurten fest und führten sie am Zügel den Pfad zurück, bis sie oben im Sonnenschein standen. Dort erst stiegen sie in den Sattel, und trabten gemächlich bald bergein gegen Nordwesten. Schweigend starrte der Alte unter den buschigen Brauen gradaus seinem Hengste über den nickenden Kopf fort. Als der Weg breiter wurde, trieb der Junker sein Tier neben das Roß des Schenken.

»Verzeiht, aber ich glaube zu wissen, Herr von Vargula, warum Ihr nicht gern über Eisenach reiten wolltet, wenngleich der Weg sicherer ist.«

»Ihr habt wohl die Vettel verstanden gestern Abend, Junker?«

»Die hat mir nichts Neues gesagt. Der Landgraf ist gut römisch und welfisch und Ihr seid den Staufen treu? – –«

»Oho, wissen die Grünschnäbel auch schon davon im Lande?« erwiderte der Alte. »Ja, ich habe unter den Staufen manchen Ritt getan und manchen Schwerthieb. Ich habe dem sechsten Heinrich ins Auge gesehen und den Landgrafen Hermann von Thüringen schwanken sehen wie die Fahne im Wind, heute gut staufisch und morgen gut welfisch. Dann kam mein gottseliger Herr Ludwig, gut kaiserlich allewege, und Friede und Ordnung im Land.

Wer aber dem Kaiser Friedrich ins mächtige Auge gesehen hat, wie ich in Italien beim Kreuzzug, der hat ein Kaiserauge gesehen, so hell und scharf wie das des Falken dort über uns, der seine Kreise zieht. Aber der Raspe hat mehr von seines Vaters Hermann Sinn, und seit er von der Wartburg das Land regiert, weht dort der Wetterhahn wieder wie unter seines Vaters Regierung, heute staufisch und morgen welfisch. Man weiß nicht wie, sechs Stunden im voraus! Alt bin ich geworden, aber klug genug doch nicht, um solches zu verstehen. Mag's in den jungen Köpfen klarer werden! Ich will geruhsam sterben auf meiner Burg.«

»Mich dünkt,« meinte der andere altklug, »wir Jungen haben's noch schwerer. Wenn ich fromme Leute höre und gar die Brüder des heiligen Franziskus und Dominicus, die das Heil uns bringen von Rom, dann ist gut welfisch so viel wie Gottes Sache und des Papstes in Rom. Aber wenn ich meine Vettern höre und den Schenken von Vargula, da heißt es Fluch und Schande auf den Raspe und die Staufen allein seien im Recht. Wie sollen wir Jungen nun wissen, wo das Recht zu finden ist?«

»Zählt es ab an den Nesteln eures Wamses,« knurrte der Graubart und zerrte am Zügel, so daß der Hengst unwirsch den mähnigen Hals schüttelte. »Vielleicht wissen's nur noch die Herren in den Schreibstuben. Kein ehrlich Wort und kein ritterlich Gehaben trifft man noch im Lande. Recht ist, wo die schwersten Gülden rollen und wo der meiste Vorteil herauskommt für den eigenen Beutel. Klingt im Beutel das Gold des Kaisers, nun dann gut staufisch allewege, und klingt heller morgen des Papstes Gold, so klingt's auch im Herzen: »Hi welfisch!«

»Herr, Ihr wollt doch nicht sagen, daß kein ehrlicher Mann, daß kein ehrlich Ritterwort mehr gilt im Lande? Singen doch selbst die fahrenden Leute von ritterlich deutschem Tun und Streiten in Kaisers und der holden Frauen Dienste.«

»Ja,« lachte der Alte grimmig, »die Narren auf den Straßen singen davon. Ich will Euch ein Wort sagen, das ein alter Kopf gelernt hat durchs Leben. Man singt am schönsten immer von Dingen, die besser waren, aber längst vorüber sind. Als ich jung war, taten wir Ritterpflicht und sangen kein Lied davon. Nun singt man das Lied, und tut's nicht. Wovon die Sänger und die Menschen singen und sagen, das ist nie. Meist ist's gewesen oder es kommt erst.

Und sonst: Wenn die Großen raufen, recken sich die Kleinen, wo sie etwas erwischen können. Viel Gerede und Geplärr von Buße und Sünde und dabei ein liederlich Leben, daß der Satan nicht weiß, wo anfangen!«

»Sollte es wirklich so schlimm sein im Reich und in der Welt?«

»Ob's schlimm ist, weiß ich nicht! Nur eins weiß ich, es ist schlimmer, als ein Mensch sagen kann. Bleibt bei Eurem Vorhaben und werdet Magister oder Pfaff. Zieht durchs Land und predigt Buße, dann sterbt Ihr nicht Hungers und rettet andere Seelen und helft den Rittern und Wegelagern das Volk schröpfen!« knurrte der Schenk und fuhr dem Hengste mit der Rechten durch die verfilzte Mähne. »Das weltliche Regiment ist des Kaisers. Der Kaiser ist im Bann. Er ist so oft schon im Bann gewesen und am anderen Tage wieder ungebannt, daß kein Mensch mehr danach fragt. Wär ich an des Papstes Stelle und müßte bannen, ich tät's nur, wenn's bis in die Ewigkeit bliebe. Wer zu oft straft und wieder vergibt, den fürchtet kein Kind mehr. Fragt Euch selbst, wie hoch Ihr einen Christen haltet und geht Euren Weg geradeaus, dann könnt Ihr in Frieden sterben.«

Der Alte schwieg und kaute am grauen Bart. Der Junker sah ihn von der Seite an. Wie fest dieser Vargula noch im Sattel saß und wie markig und gerade sein wetterhartes Gesicht war. Aber der Junker dachte doch, daß auch dieser Alte, wie es zu sein pflegt, sich nicht mehr finden könne in die neue Zeit. So ritten sie wohl lange Zeit schweigend nebeneinander. Die Sonne war warm für die Jahreszeit und an den Wegrändern schmolz der Schnee, der sich den Rossen in den Eisen ballte, so daß sie oft unsicher traten. Vor ihnen tauchten im Tal spitze Dachgiebel auf.

»Das ist Madelungen,« sagte der Schenk, »vielleicht, daß wir dort etwas finden für uns und die Tiere!« Und er verstärkte den Trab.

Das Dorf war halb verfallen. An der Straße ragten wüste Steinhaufen und verkohltes altes Gebälk auf, und aus dem Neuschnee über den Äckern reckten Disteln und sonstige Unkrautstauden und braune Heide sich auf. Nur gegen die Mitte des Dorfs standen einige notdürftig neu erbaute Bauernhäuser, an deren Schindeldächern der Herdrauch aus den Türen hinaufquoll.

Ein Haufe halbwüchsiger Kinder auf der Straße zwang die Reiter zu langsamer Gangart. Zerlumpt und abgezehrt knieten die Kinder im Schnee und Schmutz der Straße. Die meisten hatten die Lumpen vom Oberkörper gestreift und ließen Strickgeißeln und Weidenruten auf die nackten Rücken klatschen und sangen dazu eine eintönige Melodie, die ein grauhaariger Greis vorplärrte, dem die Augen halb irrsinnig unter den zerzausten Haaren hervorblitzten. Der Schenk von Vargula zog die Zügel, stemmte die Rechte auf den Schenkel und schaute eine Weile kopfschüttelnd dem Treiben zu.

»Sind sie alle toll?« fragte der junge Schlotheim.

Statt zu antworten, ritt der Schenk an einen schon recht stämmigen Burschen heran. »Was treibst du hier für tolles Zeug? Du tätest besser, bei Vater und Mutter zu bleiben und den Spaten zu führen!« Da richtete sich der Bursch von den Knieen und blickte ziemlich frech zum Reiter hinauf.

»Gott sei Eurer Seele gnädig! Und Ihr tätet besser, hier zu knien und Eure Sünden zu büßen und abzugeißeln, damit Ihr das Himmelreich gewönnet. Meinen Vater schlugen die Herren von Wangenheim von der Kevernburg zu Tode und meine Mutter schändeten die Knechte. Da wurde sie toll und lief in unsere brennende Hofraite und verdarb elendiglich. Was schert mich Vater und Mutter, noch irdisch Gut? Mein Leib ist wild, darum schände ich ihn, auf daß meine Seele gewinnt!« Und er warf sich wieder nieder und stimmte in das eintönige Geheule ein.

»Da seht Ihr, Junker, wie es aussieht im Lande, wovon Ihr Erfurter kaum etwas wißt. Die Kinder werden schon toll und lungern auf den Heerstraßen. Kein Bauer arbeitet mehr, denn seit Jahren verwüsten ihm die Fehden Haus und Feld. Nur der Städter fristet noch dasselbe Leben.«

Er ritt weiter. Vor einem größeren Hause sperrten ihnen wieder Menschen den Weg. Bauern, Troßknechte und fahrendes fremdländisches Volk drängten sich um einen Bettelmönch, der auf einem Bauernkarren stand und die Arme gen Himmel reckte.

»Ich aber sage euch,« schrie er, »der Kaiser, der Staufe Friedrich, ist gebannt vom heiligen Vater. Gebannt ist er und ein Ketzer, denn er hat den Heiland gelästert und lebt wie ein Heide. Hört, verflucht ist der Staufe, aber Gott und der Papst wollen, daß Deutschland einen anderen Kaiser bekomme. Seinen eigenen Sohn Heinrich hält der gebannte Staufe gefangen, weil der Sohn frommer war als der Vater. Gürtet eure Lenden und nehmt das Schwert für die Welfen! Warum schinden euch die großen Herren? Weil sie gut staufisch sind und von Gott verlassen. Euer Landgraf, der Raspe, das ist der Mann, der dem heiligen Vater wohlgefällt, der wird euch schützen vor denen, die gut staufisch euch schinden – – – –«

»Das lügst du, Pfaff!« schrie mit Donnerstimme der Schenk ihm in die Rede und trieb sein Roß dicht an den Bauernkarren durch den Haufen von Männern und Weibern hindurch. Aber der Mönch schrie noch lauter über die Köpfe hinweg:

»Habt ihr's gehört? Mich, den Diener Christi, hat jener einen Lügner geheißen. Da seht ihr's, wie die Herrn es mit dem gebannten Staufen halten, um selbst zu leben wie die Heiden. Dort im Haus sitzen auch solche und zechen mit sündigen Buhlweibern. Laßt ihr mich schmähen? Duldet ihr das von solchen, die euch die Haut schinden und eure Weiber und Töchter euch nehmen? Daß sie euch auch weltlich Gut nehmen, um so besser für euch, denn das ist Gott wohlgefällig und den Heiligen! Was sagt ihr? Der Schenk von Vargula ist dies? Um so schlimmer. Jeder im Lande weiß, wie er gut staufisch ist! Reitet er doch ganz frech ohne Stahlhaube und Rüstung durch das Land, wohl um zu zeigen, daß die Staufen noch Herrn im Lande sind – – –!«

»Oho, Schenk Walter von Vargula,« brüllte eine Stimme dazwischen, und aus der niedrigen Fensteröffnung des Bauernhauses drängte sich das trunkgerötete Gesicht eines jungen Ritters. »Seht, Schenk, wie das Pfäfflein Euch hänselt!«

Der Alte warf einen raschen Blick zu dem Sprecher, hinter dem noch andere sich an den Fensteröffnungen zeigten. Mehrere Bauern riefen dazwischen: »Frommer Bruder, das ist derselbe Vargula, der die heilige Elisabeth geleitet hat aus Ungarn und sie beschirmt gegen den Raspe. Der hat noch keinem Bauern sein Gut genommen!«

»Einerlei!« beharrte der Mönch, »er ist gut staufisch. Das haben nur des Papstes Feinde verbreitet, als ob der Landgraf Raspe die Heilige gekränkt hätte – – – –«

»Und gut staufisch bleibt der Schenk allewege, solange er lebt,« sagte dieser. Ihn ekelte das Treiben. Er spie verächtlich aus und wandte langsam den Hengst, um in den Bauernhof einzureiten. Dort standen Plankarren, wie sie fahrendes Volk gebrauchte, wüst durcheinander gefahren. Zwischen den Rädern spielten schmutzige, halbnackte Kinder und unter den gehobenen Planen blickten braune, schwarzhaarige Weiber auf die beiden Einreitenden. Aus der Stube des Hauses scholl Gesang und fremdartiges Spiel eines Instruments. Rohes Lachen aus Männerkehlen klang dazwischen.

»Habt Ihr ein Stück Brot und Speck und einen Arm voll Heu für unsere Tiere?« rief der Schenk einem Mann zu, der in die Tür des Hauses trat.

»Wollet nur absitzen, Herr Schenk, und eintreten. Ihr findet in der Stube ritterliche Gesellschaft!«

Der Wirt winkte einem halbwüchsigen Jungen, der die Zügel der Pferde nahm.

»Sitzt ab, Junker, hier heißt es mit allerlei Wölfen heulen. Mich dünkt, Ihr seht und lernt mehr auf dem kurzen Ritt, als in zehn Jahren Klosterschule zu Erfurt. Es kann auch Euch nicht schaden, zu wissen, wie es ausschaut im Thüringer Land!«

So schritten die beiden die Steinstufen zur Tür hinan und traten ein. Am langen Holztisch saßen zwei Ritter hinter den Bierkannen. Reisige und Knechte, die Wolfshunde am Riemen hielten, drängten sich an den Wänden und in den Winkeln und starrten mit offenen Mäulern das junge Weib an, das einen Tambourin über den mit Goldmünzen und Flitter geschmückten schwarzen Haaren schwingend, in der Mitte der Stube stand. Ja, sie stand, ohne die Füße zu rühren und tanzte doch jene schwüle, trägsinnliche Tanzweise des Orients, wie man dies seit den Kreuzzügen nicht selten unter dem landfahrenden wilden Gesindel fand. Schön war das Weib! Kaum, daß die schlanken Glieder, die nur ein durchsichtiger, noch dazu zerlumpter Florschleier bedeckte, sich aus kindlichen Formen losgerungen hatten. Doppelt schön schien sie, wenn man hinter ihr das dunkelbraune, alte, verrunselte Weib sah, das dort vor den flackernden Scheiten des Kamins am Boden hockte und einem fremdländischen Lauteninstrument die monotone Melodie entriß, die immer rascher wie ein wilder Taktschlag erregten Blutes sich steigerte. Immer wilder wurden die Bewegungen des Oberleibes der Tänzerin, heißer brannten den sie anstarrenden Männern die wetter- und windgefärbten Gesichter, und der Junker Schlotheim krampfte beide Hände in den Wamsgurt und vergaß die Klosterschule zu Erfurt mitsamt den guten Lehren der alten Stoiker und der neuen frommen Mönche, und seine Augen waren in der Schönheit des Weibes, und er fühlte das Blut wie mit Hämmern in den Schläfen schlagen, bis plötzlich mit einem jähen Mißton die Melodie verstummte. Wie erstarrt stand die Tänzerin, den Oberkörper weit zurückgebogen, den Kopf am schlanken Halse weit hintenüber, die Wimpern der Lider so tief gesenkt, daß darunter nur noch ein schmaler Streifen bläulichen Weißes des Auges blitzte, die Lippen geöffnet über den glitzernden Zähnen und nur das Auf und Ab der jungen Brust verriet Leben in ihr. Man hörte die raschen Atemzüge der Männer! Ein seltsam Bild wahrlich in einer Bauernstube des Thüringer Landes. Einer der Ritter sprang von der Bank auf und lehnte sich weit über den breiten Eichentisch, so daß ihm die hellen Haarwellen über das Pelzwerk der Schultern rieselten.

»Hier!« schrie er und warf der Dirne einige aus der Tasche gerissene Geldstücke zu. »Wenn du willst, geb' ich dir und deiner Sippschaft frei Quartier durch den Winter auf meiner Burg.«

Grinsend sammelte die Alte vom Kamin rutschend die Münzen. Das Mädchen lächelte nur leicht und warf ihm ein seiden Tüchlein zu. Als sie zur Tür hinausschlüpfen wollte, stand dort, noch immer nicht Herr seiner Sinne, der Junker Schlotheim. Sie sah ihm scharf ins helle Auge und plötzlich lag ihr Arm an seinem Halse, und sie flüsterte ihm rasche Worte ins Ohr, um eine Sekunde darauf zur Tür hinaus zu sein.

Ein dröhnendes Gelächter schallte auf in der Stube, und der Ritter, der die Münzen geworfen, schrie: »Bei meinem guten Schwert, das Bürschchen sollte mir Rede stehen, wär's nicht zu jung und zu fromm. Man gewöhnt sich dran, Kleiner!« Und den Schenken gewahrend, fügte er hinzu: »Bei allen guten Geistern, ist das hier wirklich der alte Schenk, Walter von Vargula, oder ist's sein Geist?«

»Er ist's, Herr von Trefurt. Doch wäre er lieber an einem anderen Ort, um nicht zu sehen, wie ein Trefurt sich wegwirft an ein Heidenweib und eine Buhlerin und die Burg seiner Väter entehrt.«

»Oho, Schenk, pfeift Ihr aus dem Loche! Seid wohl unter die Bußpriester geraten? Wäret Ihr es nicht, ein anderer sollte mir das Wort büßen! Verdammt, wer in dieser Zeit nicht nimmt von Lebens Lust und Freude, so viel er bekommen kann. Weiß doch keiner, ob er nicht morgen als landfahrender Bettler selbst von seiner geschleiften Burg abzieht, wenn unser Raspe oder der Sifrid von Mainz sich daran machen. Gott zum Gruß, Schenk, setzt Euch her! Hier, das ist ein Wangenheim von der Kevernburg bei Eisenach.«

»Braucht mir's nicht zu sagen. Er sieht aus wie seine Frau Mutter, die eine Bleichlingen war. Es tut mir leid, Euch hier zu treffen!«

»Wir waren auf dem Ilefeld zur Bärenhatz, Schenk, und rasteten hier.«

Der Alte blickte ihn sinnend an. »Wartet, sechs Jahre sind es, da sah ich Eure Mutter zuletzt. In Marburg war's, als wir der heiligen Elisabeth Leib aus der Gruft hoben und der Kaiser sie krönte. Und als der Staufe nachher durch die Menge schritt, er führte der Heiligen ältestes Kind dabei an der Hand, den jungen Hermann, da fiel sein Blick auf Eure Mutter und der Kaiser verharrte und sah ihr scharf ins Auge und fragte: ›Ich muß Euch kennen, Frau.‹ Doch als sie antworten wollte, wehrte er mit der Hand und strich im Nachdenken damit über die Stirn.

›Jetzt weiß ich's. Eine Bleichlingen seid Ihr, und Euer Gemahl war ein Wangenheim und ritt mit dem Landgrafen von Thüringen zum Kreuzzug. In Italien sah ich ihn, wo er uns sang beim Gastmahl von des Landgrafen Hermann Sängerkrieg auf der Wartburg.‹

›Ihn deckt der Rasen im fremden Land!‹ sagte Eure Mutter.

›Ich weiß,‹ darauf der Kaiser, ›habt Ihr Knaben?‹

›Ja, Herr Kaiser, vier Söhne, der älteste bricht schon die Lanze,‹

›Wollet ihn mir senden, so es Euch gefällt. Ich werde ihm wohl wollen!‹

Da neigte sich Eure Mutter über des Kaisers Hand. Sie war eine gar schöne und stolze Frau – – –«

Der Erzähler sah nachdenklich vor sich nieder, und dem Sohn jener Frau stand eine Träne im Auge, als er sagte:

»Ja, Schenk, ich kann weiter erzählen. Ins Kloster ist meine Mutter gegangen vor einem Jahr. Der Bruder liegt vor Mailand verscharrt, den zweiten schlugen die Tartaren im Osten, und als die Pest den jüngsten ihr nahm, der nach mir geboren war, da hat die Mutter der Welt abgesagt. Nun hause ich allein in der Burg!«

»Was reitet Ihr nicht auch zum Kaiser, wie Vater und Bruder es taten, oder sehnt Ihr Euch nach dem Strohtod? Hat einer wie Ihr jetzt Zeit zur Bären- und Wolfhatz?«

»Tät's schon gern, Herr Vargula, gäb's nicht im Lande Wölfe in Kutte und Harnisch, die mir Gut und Recht gern fräßen. Zuerst schaue jeder aufs Seine, als daß er sich für Kaiser und Gegenkaiser, für Ketzer oder Heide oder Pfaff die Haut schinden läßt; denn so ist's geworden im Lande.«

»Habt wohl recht,« knurrte der Schenk und nahm kopfnickend dem Hauswirt den Holzteller mit Brot und Speck aus der Hand.

»Weshalb kommt Kaiser Friedrich nicht ins Land?« rief der Trefurter. »Wir halten zu ihm, denn das Bistum frißt uns, und der Raspe ist welfisch.«

»Trefurt, der Raspe ist Landgraf und Euer Herr. Ihr seid sein Lehnsmann!«

»So, Lehnsmann? – Wird auch anders werden, daß man uns Rittern nicht hörig befiehlt und denkt, man kann uns hetzen, heut staufisch und morgen welfisch, wie es in den Truhen der Landgrafen, der Herzöge und Bischöfe grad klingt. Wer dienen soll, braucht einen Herrn, aber keinen Windträger. Des Raspes Faust ist oft unsanft, der Kaiser ist weit, und die Krämer und Städter tun, als seien sie die Herrn der Welt, seit ihnen morgenländisch Gut durch die Hände läuft und Wuchergold sitzen läßt. Aber noch gehört uns die Straße, und Zoll und Zehnten dazu, und gibt man's nicht willig in Münze, so nehmen wir's willig in Ware, und – – und, daß dich die Pest!«

»Da habt Ihr 'ne Meinung,« flüsterte der Schenk leise dem Junker zu, der neben ihm saß und ob des Weibes heißen Worten und dieser Rede vergaß, Brot und Speck zu essen, während der Alte gemächlich abwechselnd mit dem Weidmesser ein Stück nach dem anderen vom Imbiß unter dem grauen Schnauzbart verschwinden ließ.

»Ja,« fuhr der Trefurt fort nach einem tiefen Zug aus dem Bierkrug, »ja, Schenk, wer ist denn nun eigentlich Herr im Land? Der Raspe?? Uns dünkt, er führt das Regiment für seines Bruders Ludwig Sohn und für den Erstgeborenen der Heiligen. Aber der geht schon ins neunzehnte Jahr und keiner denkt an sein gutes Recht. Hier und da macht er seinen Namen unter einen Wisch Papier fürs Hessenland, damit das Jüngelchen glaubt, er sei schon was!«

»Es wäre Zeit, daß dem Erben sein Recht würde, wäre die Zeit nur anders!« meinte Vargula.

»Seht Ihr,« mischte sich Wangenheim ein, »gestern abend waren wir auf der Creuzburg auf Nachtquartier und haben gar manches gesehen und gehört, was sonst nur die Dohlen am Turm und die Eulen im St. Jakobs-Kloster an der Werra wissen. Man sagt sich, der Raspe wollte den Neffen an eine Braunschweigerin verkuppeln!«

»Daß dich!« grollte der Alte auf, »also an eine Welfin?«

»Merkt Ihr den Braten, Schenk von Vargula? Der Raspe weiß fein zu spinnen.«

»Und wie fandet Ihr der Elisabeth Sohn? Gleicht er dem Vater?«

»Hm,« meinte Trefurt. »Er hat von beiden Eltern etwas. Ein Junkerlein wie Milch und Blut, zart wie ein minniglich Fräulein. Der Raspe hat's klug verstanden, daß er den Neffen von der alten Seebach an der Kunkel aufziehen ließ, weil der Kunrat von Marburg es so wollte, daß die Heilige die eigenen Kinder landfremd laufen ließ. Die Pest über den Pfaffen, der die Mutter den Kindern nimmt, und wenn's um Gottes willen geschieht!«

Der Schlotheim sah erschrocken auf wegen dieses lästerlichen Wortes.

»Jawohl, die Pest über ihn, der Muttertreue bricht. Der Raspe hat fein gesorgt, daß der Neffe nicht ritterlich aufwuchs. Kaum weiß er ein Roß zu reiten. Als ich ihm die Hand gab, da hatte ich ein feines, weißes Pätschchen in der Faust, und als ich drückte, da sah ich, wie er den Schmerz verbiß. Mit Latein hat man ihn gefüttert und mit Klingklang und Minnesang. Geschriebenes kann er lesen und selbst schreiben, auch wie ein adelig Fräulein. Was soll ein Mann damit? Ich mache drei Kreuze und 'nen Galgen darüber, so ein T bedeutet. Das hat mich ein Klosterbruder gelehrt zwischen dem ersten Trunk und dem zweiten. Mehr braucht's nicht für 'ne Schwerthand!«

»Ja,« lachte Wangenheim, »der Galgen über drei Kreuzen ist gut!«

»Ist es auch, steht man nur nicht selbst darunter! Solches Zeichen, sagt mir der Pfaff, bannt böse Geister, die zwischen drei Kreuzen und 'nem Galgen nicht durchschlüpfen. Und nun wisset noch eines, was ich nicht gern laut sage, obgleich in Creuzburg es die Spatzen von den Dächern pfeifen.« Der Trefurter rückte nahe an Vargula heran. »Die alte Seebach ist tot seit zwei Monaten, aber sie ließ eine Tochter, Berchta, zwölf Monate geboren, nachdem Dietrich von Seebach das Kreuz nahm. Waren die Herrn im Morgenland, fand der Spielmann daheim guten Willkommen in der Spinnstube. Ein Kind, sag' ich Euch, die junge Seebach, daß dich – –« er schnalzte mit der Zunge. »Schwarze Locken und ein Fell wie ein Pfirsich, kaum sechzehn und doch schon Weib, und Augen hat sie im Kopfe, die ich nicht möchte blitzen sehn im Zorn. Na, und das Weitere?? Die beiden sind aufgewachsen im Burghof. Seit die Mutter tot, wohnt sie zwar beim alten Torwart, aber tagsüber steckt sie zusammen mit dem jungen Landgrafen und hat uns gestern beim Imbiß Bescheid getan in gutem Sizilianer, und singen kann die Hexe, daß einem das Blut warm wird. Ich wollte sie fassen an der dunkelen Treppe, da – – – seht!« er legte seine kräftige Faust auf den Tisch, in der noch blutrot unterlaufen der Biß zweier scharfer Zahnreihen brannte, »ich sage Euch, eine Satanshexe! Der Torwächter, Ihr wißt, der alte Friese Fokko, berichtete, er hätte es dem Raspe gesagt, daß er wohl die Burg hüten könne, aber kein sauberes Fräulein und eines jungen Landgrafen Bett. Da hätte der Raspe gelacht und gemeint, Jugend will Lust haben!«

»Ist das gewißlich wahr, Herr von Trefurt?« fragte der Schenk.

»Hier der Wangenheim kann's bezeugen.« Dieser nickte mit dem Kopfe und zog nachdenklich mit dem Finger Kreise in das Bier, das aus den Krügen auf den Holztisch geschäumt war. »Ja, so ist's, Schenk, und wer nicht blind ist, der weiß, worauf es hinaus will. Der Raspe hofft wieder auf einen Erben, und dann – – –«

»Und dann?« fragte Vargula und zog die Augenbrauen hoch.

»Nun, mich soll die Teufelin aus dem Hörselberg bei lebendigem Leibe holen, wenn dann der Heiligen Sohn Landgraf wird! Gehabt Euch wohl, Schenk. Grüßt Euren Sohn, den Rudolf, er ist mir gut gesinnt, weil ich ihn vor einem Jahr bei Liegnitz aus 'nem Tartarenhaufen heraushieb.«

»Das sei Euch vom Vater gedankt,« meinte der Alte, »obgleich, zwischen Vater und Sohn steht der Raspe, zu dem er sich hält, seitdem er ihn damals in Bamberg beredete, die Heilige glimpflich zu behandeln.«

»Und Ihr haltet nicht zum Raspe?« fragte Trefurt lauernd, indem er den Pelzhandschuh überzog.

»Ich stehe zum Landgrafen, wenn's um Thüringer Land geht und wenn – – – er im Recht ist,« erwiderte vorsichtig der Graubart.

Die Ritter schritten hinaus. Draußen im Hof wurde es lebendig. Pferdeeisen klirrten auf dem Spitzpflaster, die Karren der fahrenden Leute rasselten zum Hoftor hinaus, die Wolfshunde zerrten, Hals gebend, an den Riemen.

Als es still draußen geworden, stand der Schenk auf.

»Kommt Schlotheim, wir reiten auf Creuzburg. Mich dünkt, der Schenk von Vargula muß es tun um zweier Toten willen, daß ihnen der Grabstein nicht zu schwer wird.«

»Sagt, Schenk,« stammelte der Junker und tastete nach des Alten Hand, »sagt um Jesu Christi willen, ist die Welt wirklich so wüst?«

»Noch wüster, als Ihr sie gesehen. Was soll denn aufwachsen in Deutschland, wo kein Herr ist und kein Recht und kein Glauben mehr, für den sich's lohnt zu sterben und zu kämpfen. Ich bin ein Christ und das Kreuz habe ich getragen und hoffe, daß die heilige Jungfrau es mir nicht vergessen wird in meinem letzten Stündlein. Ums Kreuz haben wir uns geschlagen im heiligen Land, aber auch Kreuz und Not hat uns das ins Land gebracht, Pest und Krankheit, Wildheit und morgenländisch unsicher Wesen, viel Gottlosigkeit und Ketzerei.«

Sie saßen schon im Sattel und ließen die Rosse gehen. Schlotheim träumte vor sich hin. Ihm klangen die Worte im Ohr, die das Weib geflüstert: Am Georgstor zu Isenach wart ich zur Nacht! Siedend heiß schoß es ihm durch das Blut. Die Sonne war über Mittag hinaus. Des Vargulas Tier tat einige unsichere Schritte, und er bog sich am Hals herunter und meinte, sich aufrichtend:

»Mein Hengst hat ein Eisen verloren. Ich hab's nicht gern. Es hat mir nie einen glücklichen Tag bedeutet, wenn es geschah. Wer's findet, nagelt es gern auf die Schwelle und zieht dem Verlierer das Glück fort.«

Er spähte scharf voraus. »Seht, dort läuft die Straße von Eisenach den Berg herunter und dort hat mein Roß ein Eisen verloren, als ich mit Landgraf Ludwig zum Kreuzzug ausritt. Es hat auch nichts Gutes gebracht, und seitdem ist der Hohenstaufe in Not.«

Der Junker sah den alten Kreuzzügler eine Weile fragend von der Seite an, ob er wohl die Frage tun sollte, die er auf dem Herzen hatte.

»Schenk von Vargula, ist's denn wirklich wahr, daß unser Landgraf Ludwig keines natürlichen Todes verblich, sondern daß der Hohenstaufe – – –?«

Weiter kam er nicht im Fragen, denn mit einem jähen Ruck riß Vargula so in die Zügel, daß der schwere Hengst sich schnaubend in den Hanken bog. Mit grollender Stimme rief der Schenk: »Junker, woher habt Ihr solch gottverlassene Lügenkunde? Red' und Antwort!!«

Der Klosterschüler von Erfurt hatte unwillkürlich, vor dem grimmigen Blick des Schenken weichend, sein Tier zur Seite gedrängt.

»Verzeiht,« stotterte er, »aber – – –«

»Wo Ihr die verdammte Lügenmär her habt?« schrie der Alte nochmals, indem er den Hengst wegsperrend dicht vor den Junker Schlotheim drängte.

»Verzeiht, aber uns Schüler wurde solches erst kürzlich gelehrt als Wahrheit, daß nämlich der Kaiser Friedrich unsern Landgrafen Ludwig nicht haben mochte, weil dieser ein frommer Christ war und zum heiligen Vater in Rom sich hielt.«

»Dacht' ich es doch!! So ziehen die Lügen übers Land, wie die Mücken im Sommer schwärmen. Glaubt Ihr, daß der Kaiser unserm Landgrafen 5000 Mark Silber gegeben hätte für die Zurüstung des Kreuzzuges, wenn er ihn nicht hätte haben wollen. Habt Ihr nicht vielleicht auch vernommen, der Staufe habe den Bayernherzog morden lassen und sei ein Gotteslästerer und Ketzer und habe gesagt, unser Heiland und Mohammed und noch einer, dessen Namen ich vergessen, seien Betrüger gewesen? Oder spart man solche Ammenmärchen für die Kinder, die jetzt noch in der Kemenate mit Brei gefüttert werden. Mit dieser Hand –« und er hob die Rechte im Pelzhandschuh empor, »mit dieser Hand habe ich unserm jungen Landgrafen Ludwig die brechenden Augen zugedrückt, und ich zeuge, er starb eines traurigen, aber natürlichen Todes am Fieber. Merkt Euch das, Junker, denn solltet Ihr als Magister einmal Euch daran machen, den Kommenden schreiben zu wollen, was in unserer Zeit geschah, dann schreibt die Wahrheit, damit unsere Kindeskinder nicht dieselben Lügen schlucken, an denen wir zu kauen haben!«

Und damit wandte der Alte sein Roß wieder mit dem Kopf gegen Creuzburg. Sie ritten Schritt um Schritt an einer Steilstelle des Wegs nach dem Werratal abwärts.

»Ist das die Creuzburg?« fragte der junge Schlotheim.

Vargula nickte nur mit dem Kopfe, ohne den Blick zu heben, während sein Begleiter mit den Augen das hoch vor den Höhen aufstrebende Bild der alten Burg umfing, die aus romanischen Rundbogen gar ernst ins Flußtal herabschaute, aus dem das glitzernde Geriesel der Werra zwischen den beschneiten Wiesen aufleuchtete. Die Sonne stand schon im Nachmittag, und der Klosterschüler mußte die Hand über die Augen heben, um das liebliche Landschaftsbild nach links weiter verfolgen zu können.

»Dort sehe ich einen Trupp Reiter herankommen, Herr Schenk. Ich sehe Schilde und Eisenzeug blinken.«

Nach kurzem, aber scharfem Hinüberspähen meinte Vargula, indem er die Brauen unmutig über der gedrungenen Nase zusammenzog: »Die kommen von Eisenach her, und der Landgraf ist's, Junker, der Raspe! Ich erkenne den weißen Hengst, den der Prior Elger von Hohnstein reitet, und wo dieser, ist auch der Raspe. Besser vor der Stadt, als in der Burg!« Er trabte auf dem nun ebenen Weg scharf an.

Aber auch die Reiter auf der Straße hatten ihre Augen gebraucht, und der vorne an der Spitze mit einem anderen ritt, deutete mit der Hand halbrechts hinüber, und zu dem Schimmelreiter das scharfe Gesicht nach rückwärts wendend: »Könnt Ihr erkennen, Prior, wer dort von Madelungen auf Creuzburg zuhält?«

»Nein, Herr Landgraf. Der eine reitet ein schweres Roß, aber ein Bauerngaul ist es nicht.«

»Und ich sage Euch,« wandte sich der Landgraf wieder seinem Begleiter zu, dessen geschmeidige, feine Gestalt im auserlesensten Grauwerk steckte, das sich höfisch unterschied von den zottigen Bären- und Wolfspelzen der übrigen, »ich sage Euch, Edler von Salza, und der Euch hierher sandte, der Kaiser Friedrich, weiß das genau, es ist nicht leicht für mich hier im Thüringer Land gewesen, seitdem sie meinen Bruder Ludwig tot heimbrachten. Sein Weib Elisabeth vergaß Landgräfin und Mutter über dem – Heiligsein!! Das gemeine Volk glaubte schier, für Fürsten gäbe es nichts mehr und anderes zu tun, als Almosen geben, Kranke pflegen und – Klöster stiften. Die Kinder meines Bruders fast noch in den Windeln, auf den Burgen aufsässige Lehnsleute, der Staufe zwar König von Jerusalem, aber im Bann! Da war ich gut genug, um hier Ordnung zu halten. Für wen??? Für meines Bruders Wittib, die nicht Landgräfin sein wollte, und für ihren ältesten Sohn. Hätte Euch die Arbeit gefallen, nur Platzhalter zu sein? Undank habe ich davon gehabt! Die Elisabeth – –«

»Die Heilige,« warf der andere ein. Raspe zog die Stirn in Falten.

»Ja, die Heilige, zog mir all das niedere Volk auf die Wartburg und ins Land. Wären es nur Thüringer Bauern und derartig Volk gewesen!! Aber nein, wer kam, ob fahrend unehrlich Volk, ob aussätzig, ob die Pest in den Knochen, das winselte in Eisenach und an der Burg, und meine Edlen spotteten: Am Landgrafenhof dürfe kein Mann mit gesunden Knochen einreiten, denn nur Gesindel habe dort Freistatt und Willkomm! Der Kaiser war weit. Wir sind gut genug, mit unsern Knochen und Gelde ihm die welschen Händel und den Streit mit dem Papst zu schlichten. Indessen trieben hier die Herrn auf ihren Burgen ihr Spiel. Das Volk ist halb verrückt und läuft den Bettelpfaffen nach und, was noch schlimmer, den Ketzern, die mit neuen Lehren die Köpfe verwirren, Katharer und wie sie heißen mögen. Das Land verarmt, kein Geld zu haben, alles lebt von Raub, nur die Krämer raffen sich die Taschen voll. Die Bistümer, insonderheit Mainz, zerren vom Lande an sich, was es kann. Alles, was wider Gesetz und Ordnung ist, ruft sich gut staufisch. Die Pfaffen rufen nach den Welfen, wie man in Rom es eben will. Sollen mir die Ritter nicht nehmen, was mein, möchte ich staufisch sein. Soll mich die Kirche nicht rupfen, wäre welfisch besser!« Er senkte die Stimme zum Flüsterton herab, so daß selbst der Prior Elger von Hohnstein, der dicht hinter ihm ritt, so sehr er die Ohren spitzte, nichts verstehen konnte. »Der Kaiser soll mir den Bischof Sifrid von Mainz vom Hals schaffen, wenn ihm des Reiches Krone lieb ist!«

»Und ich sollte denken,« erwiderte ebenfalls mit gedämpfter Stimme der Gesandte des Kaisers, indem über sein kluges Gesicht ein feines Lächeln ging, »ich sollte denken, Landgraf Heinrich, Euch käme es gelegen, daß der Kaiser bald hier ist, heimlich, wißt Ihr, macht er die Reise von Foglio hierher, um Euch zum Reichsverweser zu bestellen, wie ich Euch sagte, nachdem Ihr geschworen, es geheim zu halten. Ihr und der König Wenzel von Böhmen als Verweser des Reichs und – – dem Bischof von Mainz das Amt genommen, das er sträflich verwaltet!«

»Hm,« machte Raspe und sein Mund verzog sich spöttisch und pfiffig lächelnd, »dann habe ich die gesamten Pfaffen auf dem Halse, die mich zwicken, wenn man es ihnen nicht beibringt, daß ich das Amt nehme, nur damit es kein Feind der Kirche bekommt.«

»Das wird sich schon drehen lassen.« Der beiden Männer Blicke trafen einander. »Der Kaiser weiß, Herr Landgraf, daß Ihr gut staufisch seid, wie Euer Bruder Ludwig es war und auch der zweite Bruder, der Deutschmeister Kunrat, Gott hab ihn selig!«

Ein stechend argwöhnischer Blick aus Raspes dunkeln Augen streifte das Diplomatengesicht des anderen, der erst am Tage zuvor mit geheimster Botschaft vom Kaiser auf der Wartburg eingeritten war.

»So, weiß das der Kaiser? – Er soll's nur den Leuten hierzulande sagen, daß man mich nicht schimpfend den Pfaffenraspe nennt. Der alte Vargula ist der schlimmste. Seit Jahr und Tag meidet er mich, und mit seinem Sohn, der hinter uns reitet, tauscht er nicht mehr Handdruck noch Gruß, weil dieser zu mir hält. Noch eins, Herr von Salza, sprach der Kaiser mit Euch über meinen Neffen dort in Creuzburg?«

Der Gesandte zögerte einen Augenblick. Dies war eine Angelegenheit, über die der Kaiser des Langen vertraulich mit ihm gesprochen hatte.

»Nun, man hat in Italien an den Sohn meines Bruders nicht mehr gedacht, oder – zu viel gedacht, um mich es wissen zu lassen?« fügte Raspe hinzu, während der spöttische Zug um seine Lippen sich verschärfte.

»Ihr seid erst vor kurzem zum zweitenmal vermählt, Herr Landgraf, und – Ihr seid ein rüstiger Mann. Vielleicht, daß Eure zweite Gemahlin Euch schenkt, was die erste Euch schuldig blieb!«

»Vielleicht, – Herr von Salza. Ich weiß, daß man in Italien gern in jede Hand ein ›Vielleicht‹ nimmt, um eines fallen zu lassen, wenn aus dem anderen ein ›Gewiß‹ wird. Wenn ich nun einen Erben bekäme? Zwar die Störche sind noch jenseits der Alpen.« Er lachte kurz auf, und der Edle von Salza merkte, daß seine diplomatischen Aufträge schwieriger waren, als er und der Kaiser angenommen hatten, und daß auch in Deutschland Männer waren, die gelernt hatten, mit den Gesandten ferner Kaiser zu unterhandeln. In jener Frage Raspes lag ein gut Stück deutscher und Hohenstaufenzukunft, nämlich: Wer war Landgraf von Thüringen?

Deshalb antwortete der Gesandte rasch entschlossen:

»Unser gnädiger Kaiser meinte, es sei bedenklich, zu solchen Zeiten halbe Kinder zu Landgrafen von Thüringen und Reichsverwesern zu machen. Das Erbe des Sohns der Heiligen sei gut in Eurer Hand, bis man sicher wäre, wie sich die Dinge in Deutschland lösten. Falls, wie ich schon sagte, Euch ein Sohn geboren würde, so wäre Hessen und Thüringer Land, jedes für sich, ein schön Besitztum.«

»So, sagte das der Kaiser? – Ich will ihn nochmals fragen, wenn er hier ist,« und sich im Sattel hebend und auf die beiden Reiter deutend, die am Eingang des Madelunger Weges hielten, fügte er hinzu: »sagt das dem dort, dem alten Vargula. Er ist kein Höfling!« und sich zurückwendend zu seinem Gefolge, rief er laut: »He, Rudolf von Vargula, dort hält einer am Weg, der Euch zur Beichte nehmen wird, ob Ihr auch gut staufisch seid?«

Der Sohn antwortete nicht, aber er sah trotzig auf seinen Vater, der wie eine Bildsäule auf schwarzem Hengste am Wege hielt und den Landgrafen erwartete.

Raspe verkürzte erst dicht vor ihm haltend die Zügel.

»Schenk Walter von Vargula, was kommt Ihr quer über Land auf Creuzburg geritten? Man sagte mir in Eisenach, Ihr wärt in Erfurt. Führt der Ritt von dort hierher über Madelungen?«

»Herr Heinrich von Thüringen, wie es jetzt im Reiche aussieht, muß der alte Vargula lernen, Umwege zu reiten. Er lernte es von den großen Herrn!« kam die scharfe Antwort zurück.

Unwillkürlich ballte Raspe die zügelfreie Faust auf dem Schenkel. Er bezwang nur mühsam den Grimm über die scharf ausfallende Rede und darüber, daß der Alte ihn nicht mit Landgraf anredete. Doch der kluge Politiker in ihm bezwang die Erregung.

»Ihr habt recht, Schenk! Die großen Herrn in Deutschland lernten es aber vielleicht von den ganz Großen jenseits der Alpen. Deutsche Vögel lernen beim Wandern auch welsche Melodeien. Ihr wollt nach Creuzburg, meinen Neffen zu sehen? –«

Vargula stutzte, aber ein Leugnen solcher Absicht hätte den Raspe nur noch argwöhnischer gemacht.

»So ist es. Ich habe unsern jungen Landgrafen zuletzt gesehen, als der zweite Friedrich, der Hohenstaufe, ihn als Knaben an der Hand führte; zu Marburg war es bei der Krönung einer heiligen Toten.«

»So reitet mit mir zur Burg, wir haben gleichen Weg und gleiche Absicht, Schenk!«

Vargula ließ das Gefolge erst vorüber. Sein Blick kreuzte den des Sohnes, der den Kopf nur leicht zum Gruß senkte. Erst als der letzte Knecht vorüber, trabte der Alte an, und den Zug schloß der Klosterschüler von Erfurt. Hell klang der Hornruf des Wächters am Stadttor über der Werra durch die Gassen Creuzburgs und zur Burg hinauf, vom Burgwächter Antwort holend, und dumpf polterten die Eisen der schweren Rosse über das Holz der Einfahrt zur Stadt.

Das Volk stand zu Hauf in den engen Gassen. Dort, wo Mönche, Nonnen und armes Volk standen, klang lauter Heilruf, dort, wo reich gekleidete Bürger vor die Haustüren getreten waren, zog man stumm Kappen und Hüte. Raspe bemerkte das wohl, aber er zwang sich gerade darum, alle gleichmäßig freundlich zu begrüßen. Vargula hörte gar manches Wort, wie er so dem Zuge nachritt, was dem Raspe nicht freundlich klang. – – –

Beim letzten steilen Anritt zur Creuzburg kamen die Rosse ins Dampfen trotz der herben Winterluft. Am weit zurückgeschlagenen Flügel des eichenen Turmtors stand barhaupt, den Spieß in der Hand, das Wachthorn neben dem Dolch am Gürtel, zu dem übers Lederwams ein langer, grauer Bart herabwallte, der alte Friese Fokko. Keiner achtete des Mannes. Nur der Schenk reichte ihm die Hand vom Sattel. Ein Leuchten ging über das verwitterte Gesicht des Wächters und Freude blitzte aus den hellen Nordlandaugen unter den buschigen Brauen hervor.

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»Der Schenk, der Herr von Vargula! Heil, daß ich Euch sehe!« Dabei zerrte er voll Rührung an der Hand, die ihn einst vor langen Jahren vor sarazenischen Bogenschützen beschützte.

»Diesem Junker hier, dem Herrn von Schlotheim, gebt ein gut Gemach, Fokko, er ist nicht im Troß des Landgrafen, und müd genug wird er sein!«

Der schöne, weite Hof lag leer. Nicht einmal das Aufheulen von Hunden kündete den Eintritt der Besucher. Nur einige Knechte und Mägde lungerten an den Türen der Ställe und Gelasse, die sich an die mächtige Schutzmauer lehnten. Nichts verriet sonst, daß man in eine stolze Burg einritte, deren Grundmauern schon zur Zeit des Kaisers Karolus geschichtet wurden, nichts verriet, daß hier der älteste Sohn einer Heiligen und der Erbe von Hessen und Thüringen lebte. Erstaunt blickte der Gesandte des Kaisers sich um und fragend seitwärts den Landgrafen Heinrich an, der sein Tier am breiten, bogenüberspannten Tor zügelte, das ins Burghaus führte. Überall Zeichen, daß nichts geschah, um die romanische Kunst dieses Baues zu erhalten, ja, um überhaupt lockeren Stein und bröckelnde Bogen und Säulen zu flicken.

Da trat auf die oberste Stufe der kurzen Treppe, die zum Tor führt, ein schlanker Jüngling in der kostbaren, farbenreichen, pelzverbrämten Kleidung der Vornehmen und Reichen. Hellbraune, wellige Haare umrahmten ein schmales, noch knabenhaftes Gesicht, dem die helle Röte der Verlegenheit durch die Haut schimmerte. Mit natürlich edlem Anstand sich neigend, sagte er:

»Verzeiht, Oheim, ich hatte nicht Kunde von Eurem Kommen. Erst Fokkos Hornruf ließ mich fragen.« Raspe reichte ihm die Hand.

»Ich hoffe, Ihr seid wohlauf, Neffe! Hier der Gesandte des Kaisers, der Edle von Salza, der Euch die Grüße seines Herrn bringt.«

Da schoß dem jungen Fürstenkind noch heißer das Blut in die Wangen.

»Von Kaiser Friedrich, dem Hohenstaufen!« stammelte er, »wohl weiß ich noch gut, wie er mich freundlich an der Hand geführt, als er meiner heilig verblichenen Mutter die Krone schenkte.«

»Der Kaiser denkt Eurer gern und in Liebe.«

Es war, als ginge ein Fieberschauern durch die schlanken Glieder des jungen Hermann, und deshalb fragte Raspe, ihn scharf ansehend:

»Seid Ihr nicht wohl, Hermann?«

»Doch! Nur fror mich heute gar sehr und ich hatte am heißen Feuer geschlafen, als der Hornruf mich weckte.«

»Ei, so jung, und Fieber und schlafen am hellen Tag. He, Marschall Hellwig von Goldbach, richtet uns Essen und Trunk in der Halle. Mir scheint, Neffe, Euch fehlt ein kräftiger Trunk im Kreise froher Gesellen. Kommt, laßt uns eintreten!«

Er warf dem wartenden Knechte die Zügel zu, sprang aus dem Sattel und trat in den Torbogen.

»Ei, seht doch, wer steckt denn hier im dunkeln Gange?«

Lachend zog er an der Hand ein junges Ding ins helle Licht. »Oho, Fräulein, laßt sehen! Ich denke, Ihr braucht Euch nicht zu verstecken im Dunkel! Was meint Ihr, Herr von Salza? Das ist der verstorbenen Seebach Kind. Berchta ist Euer Name? Dachte schon, Ihr wärt nimmer hier!«

Sein und der anderen Männer Blick hing bewundernd an der lieblichen Gestalt des kaum dem Kindesalter entwachsenen Mädchens, das nicht allzu bescheiden die schwarzen Augen über die Gesichter der fremden Männer schweifen ließ.

»Herr Landgraf, ich habe nicht Vater noch Mutter noch Gesippen. Da hat mich, als die Mutter starb, die alte Friesin Theda, des Torwächters Weib, zu sich genommen.«

»Seht, Herr von Salza,« meinte Raspe und strich dem Fräulein die wilden, krausen Haare von den Brauen zurück, »seht, dieses Kindes Mutter hat sich auf meine Weisung damals meines Neffen angenommen, als die Heilige sich lossagte von ihren Kindern – – – aus Frömmigkeit.« Das Wort kam sehr scharf, fast spöttisch heraus. Dann wandte er sich wieder freundlich zu der jungen Seebach: »Der Sänger Rudolf von Ems erzählte mir doch, daß Ihr, Fräulein von Seebach, es wohl verständet die Laute zu schlagen und kunstvoll zu singen?«

Da hob sie stolz den Kopf. »Ich habe manches gelernt, Herr Landgraf.«

»So seid heute von mir zur Abendtafel geladen!«

Kaum, daß er ihre Hand freigab, so schlüpfte sie behende zwischen Rossen und Männern nach der Einfahrt.

»Haha, Neffe,« scherzte Raspe, indem er die Treppe hinaufging, »Ihr habt das Fieber und solch ein sauberes Fräulein zur Gesellschaft? Das Fieber – haben wir alle gehabt.«

»Wir sind beide gar einsam, Herr Oheim,« stotterte Hermann.

»Seid Ihr das? Nun, mit solcher Gesellin läßt sich's ertragen!« war die spöttische Antwort, während der Junker unmutig errötete.

»Ihr müßt nicht glauben, daß wir etwas Unrechtes tun, Oheim!«

»Glaub's schon! Und tätet Ihr es, so würdet Ihr dasselbe mir sagen!« Er lachte schallend auf und lachte einer Jünglingsseele die Unschuld aus dem Herzen.

»Geht voran, Neffe, und zeigt uns die Tür zu Euren Gemächern.«

Stehen bleibend, wandte sich Raspe an den Gesandten und flüsterte diesem zu: »Die Kleine sieht nicht aus wie ein Thüringer Kind und wie eine Seebach erst recht nicht. Der Vater zog auch nach Italien, wie so viele damals, und kam nie wieder. Zwölf Monate nach seinem Ausritt wurde dies Kind geboren. Ein provenzalischer Sänger, sagt man, hatte der Frau Seebach zu heiße Minne gesungen.«

»Und Ihr wollt dies schöne und wilde Kind hier lassen bei Eurem Neffen?«

»Ich fand nicht Zeit bis jetzt, sie ins Kloster zu bringen. Die Mutter starb erst vor wenigen Monaten. Was tut es? Ein Thüringer Landgrafensohn liebt süße Minne und Sang. Wir haben's vom Vater Hermann im Blute!« Und wieder lachend trat Raspe an seinem Neffen vorbei ins Gemach. Salza dachte: »Aber das neidisch und ränkisch Gemüt erbtest nur du vom Vater.« Erstaunt blieb er im Eingang des Gemaches stehen. Hell schlug das schräge Sonnenlicht durch das bunte Glas der bleigefaßten runden Fensterchen in den Raum, auf farbenreiche orientalische Wandstoffe, auf zierliches Gold- und Silbergerät der Simse, auf reiches romanisches Schnitzwerk der Truhen, Spinde und Stühle, auf wertvolles Pelzwerk der Ruhelager.

»Nun, Edler von Salza, Ihr könnt nicht sagen, daß ich dem Kind meines Bruders keinen fürstlichen Hofhalt gewährte. Kommt und blickt hier hinaus!« Raspe trat mit Salza in einen im Dreieck vorspringenden Giebel der Nordwand des Raumes. »Seht, ob das Thüringer Land schön sei? Dort drüben gegen die Sonne ragt der Kilforst über der Werra, wo die lustige Hörsel zu ihr springt, und dort weiter rechts heben sich die Werraberge im Hessischen gegen den Himmel!«

Dann wandte er sich dem Neffen zu, der bescheiden zurückstand. »Der Herr von Salza hat mit Euch zu reden in geheimer Botschaft des Kaisers. Ich lasse Euch allein mit ihm, bis das Mahl gerichtet wird. Auch vermute ich, daß der Prior Elger von Hohnstein noch mit Euch zu sprechen wünscht.«

Er sah bei diesen Worten den Gesandten scharf und durchdringend an und schritt dann hinaus, und der Schall seines schweren Schrittes und das leise Klirren seiner Sporen verklangen im Gange.

»Ruf mir das Fräulein von Seebach, sofort!« sagte er zu dem wartenden Knecht, der ihm ein Gemach öffnete. Schon nach wenigen Minuten führte man das Fräulein Berchta herein zu ihm. Er nahm ihre Hand in die seine, sah ihr ernst, ja drohend ins Auge und fragte: »Du hast den jungen Landgrafen lieb, gesteh es!«

Berchta von Seebach wand sich unter dem harten Druck seiner Hand, unter dem spähenden Blick seiner kalten, durchdringenden Augen. »Habe keine Furcht, ich, der Oheim, bin weder dir noch ihm böse drum. Ich weiß, du kennst die Treppe, die zu des Junkers Gemach im Mauerwerk des Turms hinaufläuft. Ist dir dein Leben und das seine lieb, dann eile dorthin und horche, was der Gesandte des Kaisers mit ihm spricht, und berichte mir treulich Silbe für Silbe. Ich sage dir, ich habe nichts dawider, daß eine Seebach Landgräfin wird. Gibst du mir nicht treulich Silbe für Silbe, was du gehört, so schwör ich dir, du bist morgen im Kloster. Fort, rasch!«

Sie nickte und schlüpfte hinaus.

Landgraf Heinrich Raspe warf sich unmutig auf ein Ruhelager, zog fröstelnd die Pelzdecke über sich und versank ins Grübeln. Es war nicht leicht, Vormund des Erben von Thüringen, Verweser des deutschen Reichs und zugleich ein Freund der Kirche zu sein im Thüringer Land zur Zeit des Hohenstaufen, des zweiten Friedrich, der jetzt schon heimlich, unerkannt, in rasender Eile von Italien nach Deutschland hetzte. Galt's doch des Kaisers Krone, galt's doch die Herrschaft der Welt vom Nordmeer bis zum Libanon und bis zu dem Sande der afrikanischen Wüste, galt's doch Kaisergewalt gegen Papstgewalt, und wie schon so oft, in Deutschland rollte der Würfel zwischen Kaiser und Fürsten. – – – – –

* * *

»Wollet Euch setzen,« sagte etwas befangen Hermann, nachdem sein Oheim gegangen. Er holte tief Atem, als fühle er sich befreit von einem Zwang.

»Der Kaiser grüßt den jungen Landgrafen von Hessen,« sagte Salza langsam, jedes Wort betonend, und ließ sich vor dem Kamin in einen Lehnsessel nieder, dessen eingelegte Metallverzierungen seinen orientalischen Ursprung verrieten. Der junge Landgraf stand dicht am Feuer und streckte zu dessen Glut die feinen Hände, mehr aus Verlegenheit, als um der Wärme willen.

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»Weiß der Kaiser, wie lieb ich ihn habe?« fragte er leise mit niedergeschlagenen Augen. Fast mit Rührung blickte der Gesandte zu dem feinen Gesicht des Fürstenkindes empor. Es war so schlicht und rein gesagt in Laut und Worten, wie solche dem Herrn von Salza nicht zu Ohren gekommen waren seit den Tagen, als er noch an den Knieen seiner Mutter lehnte. Und wie er so aufblickte, bemerkte er, daß es nicht nur das zuckende Licht der brennenden Holzscheite war, das so schnell und fliegend Röte und Blässe auf jenem feinen Gesicht wechseln ließ. Dieser Jüngling war wohl wenig beanlagt und noch weniger erzogen, um mit eiserner Hand die Lande Thüringen und Hessen zu regieren. Nun wußte er, weshalb der schlaue Raspe diesen Sohn seines Bruders an der Kunkel aufwachsen ließ, ohne Ritterzucht und Mannesübung. Die dunkeln braunen Augen und den zarten Pfirsichhauch, der über dem Rot und Weiß der Wangen lag, mußte er wohl von der ungarischen Mutter geerbt haben. Nur das wellige Braunblond der Haare erinnerte an den Vater. Den beobachtenden Blick Salzas gewahrend, richtete er sich auf, und etwas wie Trotz lag in der geschwungenen Oberlippe, als er sagte:

»Ja, ich hab' den Staufen lieb, wie mein Vater und mein Onkel, der Deutschmeister, ihn lieb hatten, und ich will's dem Kaiser sagen, käme er nur ins Land!«

»Ich werde solches meinem Herrn berichten und er wird sich dessen freuen.«

»Ihr nanntet mich, verzeiht, Edler von Salza, Ihr nanntet mich Herrn von Hessen. Ich bin's auch vom Thüringer Land!«

Er hob den Kopf in den Nacken und sah den Gesandten fest an.

»Gewiß, doch dies letztere regiert noch für Euch Euer Oheim, auf den der Kaiser sich stützt in dieser schweren Zeit.«

»Meinem Oheim vertraut der Kaiser? Weiß er, daß der Raspe und der treulose Sifrid von Mainz denselben Vertrauten haben, den Prior Elger von Hohnstein?«

Oho, dachte Salza, weht der Wind so, und rührt sich das Fürstenblut in diesem Knaben?

»Ihr könnt vertraulich sprechen zu mir, Junker, wie zu einem Freunde.«

»Mein Oheim ist nicht unfreundlich zu mir, wenn er kommt, doch geschieht dies selten. Aber ich weiß, zu meiner Mutter, der Heiligen, ist er hart und schlecht gewesen, und ich weiß, er neidet mir mein Recht und mein Erbe, und ich fordere dies vom Kaiser!«

Hektisch rote Flecke zeichneten sich auf den Wangen Hermanns ab und in seinen Augen war ein Glänzen, wie Fiebernde es zu haben pflegen. Auch mußte er hüsteln, als er die Stimme erhob. Salza ließ im Nachdenken die Kette spielend durch die Finger gleiten, die den Dolch am Gürtel hielt.

»Junker Hermann, Euer Oheim ist ein harter Mann vielleicht, aber er ist klug und ein Mann der Tat. Die Zeit ist rauher und wilder, als Ihr wissen könnt. Glaubt und vertraut, nur er vermag Euer Erbe zu schützen und zu verwalten.«

»Verwalten – – – ich will's ihm nicht wehren, aber Landgraf bin ich! Mein Vater war kaum älter als ich, als er von der Wartburg das Volk regierte.«

Salza überlegte eine Weile und dachte an die Worte des Kaisers: Sorgt mir, daß ich in Thüringen Freunde treffe! Ist Raspe nicht ganz verläßlich, dann ist das Kind der Heiligen von Wert.

»Landgraf von Thüringen, Hermann, ich habe etwas zu sagen, doch darf ich es nur, wenn Ihr schwört, daß es geheim bleibt zwischen Euch und mir. Wollt Ihr dies schwören bei Eurer Seele Seligkeit?«

Die Augen Hermanns irrten unsicher über den bunten persischen Teppich des Bodens.

»Wenn mein Kaiser es will, so schwöre ich gern!«

»So hört, der Kaiser sprach davon, daß Ihr alt genug wäret, eine Landgräfin zu küren?«

»Wer, ich – – –?« Unwillkürlich trat Hermann einen Schritt zurück.

»Ja, und es ist dem Kaiser durch den Sinn gegangen, zumal Ihr der Sohn der Heiligen seid – –,« er flüsterte die nächsten Worte, »Euch seine eigene Tochter zu vermählen.«

»Mich, einer Tochter des Kaisers?« schrie Hermann auf, so laut, daß Salza sich ängstlich umsah.

»Ja, Euch! Doch erst muß Ordnung und Ruhe im Reiche sein. Bewahrt es als Geheimnis. Wenn's Euer Oheim wüßte, er trüge es schwer. Bleibt treu dem Kaiser. Wir sehen uns wohl wieder in der Halle beim Mahle.« Doch an der Tür rief ihn die Stimme Hermanns zurück. »Salza, ich bitte Euch, laßt mich mit Euch zum Kaiser reiten, heute noch! Er war nicht so alt wie ich, als er die Welt regierte. Ich habe viel gelernt. Lateinisch verstehe ich, zu reimen lernte ich auch und der Schrift bin ich mächtig und treu bin ich auch! Nehmt mich fort aus dieser Burg, aus diesem Tal, wo der Nebel oft tagelang grau und naß und kalt steht, daß man nicht atmen kann. Ich – – ich brauche Sonne und Wärme und Licht!«

Salza sah ihm mitleidig in die so inständig flehenden Augen. »Junker, das kann nicht sein, nicht jetzt, denn ich muß ins Böhmerland zum König Wenzel. Aber sagen will ich's dem Kaiser, und kommt er nach Deutschland, vielleicht kommt er früher als irgend einer dies glaubt, so nimmt er Euch vielleicht mit sich nach Süden.«

Damit ging der Gesandte und dachte, daß der Staufe Schreiber und gelehrte Leute genug hätte, ja mehr als genug, und daß er viel nötiger treue Fäuste brauchte, die Lanze und Schwert schwingen könnten. Ein wehmütiges Mitleid wollte ihn überkommen. Ihm klang die Bitte des Junkers wie Klage in den Ohren: Ich brauche Sonne und Wärme und Licht! – – – –

Tief Atem holend war Hermann in den Erker getreten und sein Blick ging sehnsüchtig träumend übers Land und tauchte tief ein in das Flammengold des Sonnenuntergangs. Träume wogten in seiner Seele von Rittertat und holder Frauen Minne, Träume der Kraft, der Tat, der Liebe, wie solche Träume kommen gerade denen, die nie erträumte Wirklichkeiten erleben können und sollen!

* * *

»Ist das wahr, Berchta von Seebach? – – Ich will's Euch lohnen! Der Kaiser Friedrich bietet dem Junker Hermann die Hand der Staufentochter Margarethe?« – –

Sie stand mit bleichem Gesicht vor Heinrich Raspe und krampfte die kleinen Hände zu Fäusten. Sie wollte nicht weinen.

»Ja, Herr, es ist wahr. Was der fremde Herr sagte, konnte ich nicht hören, denn er dämpfte die Stimme, aber der Junker schrie es laut hinaus – –«

»Was schrie er? Sag's noch einmal!«

»Mich einer Tochter des Kaisers vermählen!!! So rief er! Er sagte auch, daß Ihr und der Prior von Hohnstein beide zum Bischof von Mainz hielten. Was er damit meinte, verstehe ich nicht, Herr, aber der Junker wollte gewiß sagen, daß Ihr gar fromm wäret!«

Ein häßliches Lächeln ging über Raspes Gesicht.

»Was sprachen sie sonst? Verschweigst du mir ein Wort, so schwöre ich dir, ich nehme dich noch heute mit nach Eisenach!«

Das Fräulein zitterte am ganzen Körper.

»Herr, nicht jedes Wort konnte ich verstehen. Der Junker sagte auch, Ihr wäret sehr gut zu ihm!«

»So, sagte er das? Weiter!«

»Und, und der Junker bat den anderen, daß er ihn zum Kaiser nach Italien mitnehmen solle!«

»Oho, wird das Vögelchen flügge? Und die Antwort Salzas?«

»Es ginge nicht an, er müsse vorerst ins Böhmerland reisen!«

»Das weiß ich! Was weiter?«

»Der Kaiser käme bald nach Deutschland, und dann sei's ja möglich!«

Sie stockte, weil Raspe eine schallende Lache anschlug. Mit großen, schweren Schritten und über der Brust gekreuzten Armen ging er einige Male auf und nieder. Rasch jagten die Gedanken in seinem klugen Kopfe. Sollte er der Kirche nachgeben, ehe der Kaiser kam? Zum Reichsverweser wollte ihn Friedrich ernennen? Sehr schön, aber den Wenzel von Böhmen auch, weil, er wußte es wohl, der Kaiser ihm nicht ganz traute. Wer war stärker? Der Kaiser oder die Kirchenfürsten am Rhein und die Welfen im Norden? Konnte er den Salza hindern, ins Böhmerland zu reisen? Wäre dieser Junker Hermann nicht gewesen, er hätte das alles leicht entschieden, denn dann war er Landgraf, wirklich Landgraf! Ein Wunsch, ein Gedanke, so furchtbar, ging ihm durch den Kopf, daß er sich heimlich bekreuzte. Dicht vor ihr blieb er stehen.

»Hättet Ihr es gern, Berchta von Seebach, wenn Junker Hermann zum Kaiser ritte und um die Kaisertochter würbe?«

Nur das rasche Atmen ihrer Brust antwortete ihm. Das Fräulein biß die Zähne zusammen, um nicht aufzuschluchzen.

»Ich würde es vielleicht nicht ungern sehen, wenn er dies täte. Vielleicht! Gewiß weiß ich es nicht!«

Und wieder seine Wanderung aufnehmend, fuhr er fort, als spräche er mit sich selbst überlegend. »Es ginge. Der alte Vargula könnte ihn begleiten. Freilich, man weiß, daß der Staufe mit dem Leben von Herzögen und Fürsten spielt, wenn's ihm Vorteil bringt. – – – –«

»Herr, der Junker soll fort, heute schon?« schrie sie auf.

»Weiß nicht. Aber als Vormund möchte ich ihn doch lieber im Lande behalten, das heißt, wenn er will. Die Macht habe ich nicht. Vielleicht habt Ihr die Macht, Fräulein von Seebach?« Er hob ihr gesenktes Antlitz empor und sah ihr tief in die Augen. »Ihr habt die Macht, Berchta! Mit solchen Augen hält man reife Männer, daß sie nicht zum Kaiser reiten, und Landgrafenjunker hält man gar leicht mit Minne, Berchta von Seebach!«

Krampfhaft, dunkle Glut in den Wangen, bog sie das Gesicht abwärts.

»Nur so viel! Mir wäre es lieber, mein Neffe kürte ein Weib aus einem Thüringer Geschlecht und die Seebachs sind – – ein altes Geschlecht, auch die – – Hennebergs, und Eure Mutter war eine Henneberg! Mein Neffe hat Euch lieb – – doch wer weiß, die Kaisertochter, die man ihm bietet, möchte ihm den Sinn verwirren. Doch sie ist nicht hier, Berchta, aber Ihr seid hier und – – diese Nacht und der Tag morgen gehören Euch. Ich meine es gut mit Euch!«

Keine Antwort, aber ihr ganzer Körper bebte!

»Bedenkt das wohl, Berchta, sonst kann ich Euch nicht länger hier lassen mit dem Junker und muß Euch ins Kloster tun.«

Da fuhr sie zusammen, als hätte er sie geschlagen.

»Nun geht und bedenkt das wohl. Ich sehe Euch wieder beim Mahle.«

Er war allein. Grübelnd blickte er vor sich nieder und als er nach einer Weile aufschaute, stand in der Tür der Prior von Hohnstein. Raspe konnte ein Zeichen erschrockener Überraschung nicht ganz verbergen.

»Nun, Prior, Ihr wünscht?«

»Landgraf Heinrich, was ist im Werke? Ihr sagtet mir nichts von dem, was der Gesandte mit Euch gesprochen. Vertraut Heinrich von Thüringen mir nicht mehr?«

»Ich vertraue jedem, solange sein Vorteil und meiner derselbe ist, Elger von Hohnstein.«

Der Prior biß sich auf die Lippen.

»Ich habe keinen Vorteil und suche keinen als den der Kirche.«

»Nun also,« meinte Heinrich kühl lächelnd.

»Ich frage, ist es wahr, was man munkelt, der Hohenstaufe käme nach Deutschland, wäre schon auf dem Wege?«

»Da wißt Ihr mehr als ich und des Kaisers Gesandter! Ist es wahr, was ich nicht glaube, so müßte der Reichsverweser Sifrid von Mainz und mein Prior am besten wissen, weshalb der Staufe kommt?«

»Herr Landgraf, Ihr spielt mit mir.«

»Ich spiele nie, Elger von Hohnstein, vor allem nicht um Kaiserkronen! Wollt Ihr mir meinen Schreiber senden, ich habe wichtige Dinge zu denken!«

Das war deutlich. Elger von Hohnstein kannte Raspe genau genug, wenn dieser nicht sprechen wollte. Er ging.

»Sie haben doch feine Nasen, die hohen Herren der Kirche!« meinte Raspe, ihm nachschauend.

* * *

Das Fräulein von Seebach war den Gang hinuntergeeilt, hinaus über den Burghof und unter das Tor rechts hinein in das Gelaß, wo der alte Fokko und dessen Weib zu hausen pflegten. Hier erst blieb sie hochaufatmend stehen. Das Gemach war leer und fast dunkel. Nur spärlich kam noch letztes Tageslicht durch die kleine Öffnung in der mächtigen Mauer.

Hochaufatmend, beide Hände gegen die Brust gedrückt, stand sie einige Sekunden. In ihrem Kopfe wirbelte es, das Blut schlug ihr in den Schläfen, ihre Glieder flogen. Da warf sie sich auf die Holzbank, riß eines der darauf gebreiteten Wolfsfelle über den Kopf und weinte, weinte, bis ihr der Atem versagte und nur noch leises Stöhnen ertönte.

»Ei, ei, so ein sauberes Edelkind in solcher Trübsal?«

Berchta fuhr zusammen. Wer war das? Die Stimme kannte sie nicht. Ihr graute, und einen Augenblick dachte sie daran, das Wolfsfell noch fester über sich zu ziehen.

»Wenn Jungfertränen ins Wolfsfell rinnen, sitzt Frau Minne im Herzen drinnen!«

Da riß Berchta die Decke herunter und fuhr in die Höhe. Mit weitaufgerissenen Augen starrte sie in den dämmerigen Raum.

»Alle guten Geister, wer ist hier?«

Da kam eine Gestalt aus der dunkeln Ecke, wo der alten Theda Spinnrad stand, kam langsam heraus in den Lichtstreifen, der durch die Maueröffnung hereinfiel.

»Ah, Ihr seid es, die Christel!«

»Nicht wahr, da braucht's keiner guten Geister gegen die Wetterchristel, die Euch vor zwei Monaten den Trank gegeben. Huh, und noch Tränen auf den Wangen und bleich. Habt wohl den Trank selber geschlürft, statt ihn dem Junker zu geben?«

Da blitzte die Seebach das Weib mit zornigen Augen an.

»Belogen habt Ihr mich, betrogen mit Eurem Zauberwerk! Mein golden Kreuzlein gab ich Euch, von meiner Mutter war's, und genommen hat er den Trank, nicht ich!«

»Nun und – – –?«

»Hexe, ich verklag' dich beim Prior!«

»Tät's nicht, Fräulein, möchtet am Ende gar selber zu nah ans Feuer kommen dabei, wenn die Christel reden wollt! Seid doch klug. Ich sagte Euch, gebt es ihm nachts 12 Uhr, wenn der Mond voll scheint und ein Käuzchen dreimal hintereinander geschrien hat. Ich habe wohl aufgeschaut; nicht eine Nacht ist gewesen zu Vollmond, wo Mond und Sterne zu sehen gewesen wären. Hättest es versparen sollen bis zur guten Gelegenheit!«

Berchta von Seebach blickte sie zweifelnd an. »Ihr habt recht, aber getrunken hat er es!«

»Seht Ihr, und deshalb, ich weiß alles. Kälter ist er geworden, der Junker, weil ihm der Trank, in dunkler Nacht gegeben, ins Gegenteil schlagen mußte. Heut wär solche Nacht, Berchta von Seebach. Zwölf Uhr muß es sein!«

»Das Fläschchen ist leer, was nützt es jetzt?«

.

»Habt ihn wohl arg lieb, den Junker? Glaub's schon! Na, gebt es nur zu, die Christel weiß es doch, weiß mehr, als mancher der Klügsten im Lande.« Sie suchte in der Tasche. »Wär' grad noch solch ein Tränklein zur Hand – – –.«

»Ich kann Euch nichts zahlen, und ich brauch keinen Zauber, ich – ich – –!« Sie vollendete nicht, sondern warf trotzig den Kopf auf.

»Meint gar, Ihr wäret schön genug, um 'nen Junker einzuzaubern. Ihr hättet wohl recht, wär's ein Junker, wie andere, wild und begehrlich und roh! Nichts will ich haben, nur eines, ein Wörtlein nur sollt Ihr sprechen. –«

»Was wollt Ihr, sprecht rasch!« Berchta hielt schon das Fläschchen in der Hand.

»Wenn der Landgraf Heinrich Euch fragt, ehe er heute von der Burg reitet, ob der Mond hell sei, dann antwortet, es sei heller Vollmond!«

»Wenn Ihr mich wieder betrügt, sage ich dem Landgrafen, Ihr wärt eine Hexe!« drohte die Seebach.

»Der legt nicht Hand an mich, Fräulein, und fände er Euch im Arm des Junkers, ich wette, die Wetterchristel hätte ein gutes Alter.«

»Ich verstehe Euch nicht!«

»Braucht mich nicht zu verstehen. Der Landgraf und ich verstehen einander. Er ist nicht so dumm wie die anderen, die da glauben, ein Weib sei mit dem Bösen im Bunde, wenn's klüger ist als andere! Fort mit dem Fläschchen, ich höre Mutter Theda.«

»Seht,« meinte die Christel, indem sie sich zu Fokkos Weib wandte, das mit einer Tracht Buchenscheite in den Armen sich durch die Tür drängte, »seht, Mutter Theda, da bin ich wieder in der Creuzburg. Ich bringe Euch den Trank, der Euch im letzten Winter den Schmerz in den Gliedern gestillt hat. Habt da einen sauberen Vogel im Bauer,« fügte sie hinzu mit einem Blick auf die Tür, durch welche die Seebach hinter der Alten hinausschlüpfte.

Die hochgewachsene Friesin ließ die Scheite auf den Boden krachen und strich mit der Rechten einen Büschel fast weißen Haares aus der Stirn.

»Die – – sauber??? Sieht aus wie 'ne welsche Puppe. Bei uns am Nordmeer nennt man 'ne Jungfer nur schön, die so hoch ist wie ich, der das Lichthaar über die Hüften hängt und die mit den Burschen gleichen Sprung tut über Gräben so breit wie die Werra. Als wär' sie fahrendem Volk entlaufen, so wild ist die Seebach, und wie 'ne Katze. So eins schreitet nicht, das springt und schlüpft wie ein Wiesel. Zwar sauber, nun ja, für solch Mannsvolk wie hier bei Euch!«

Die Christel lachte in sich hinein.

»Ja,« fuhr die Greisin fort, »sitzt nieder, Christel! Der Fokko will den Raspe bitten, daß er die Seebach hier fortnimmt; ich hüte keine Katzen!«

»Tut's lieber nicht, Mutter Theda. Hat schon manche ein Krönlein getragen, der's nicht an der Wiege gesungen wurde.«

»Was schiert mich das? Wir Stedinger kennen keine güldenen Kronen! Unsere Krone ist der Kranz aus Ähren, den die Jungfern tragen im Aust, wenn die Burschen sie schwenken auf freiem Plan unter der Linde, ehe die Frostriesen kommen.«

»Habt noch alte Heidenmär dort im Norden,« lachte die Christel, »hat euch Leben und Land gekostet, der Stolz!«

»Besser, als Knecht und reich!« Die alte Frau reckte sich auf, hieb mit der Axt in einen Scheit und kläffte ihn auf bis zum Boden.

»Der Fokko läßt Euch sagen, Ihr solltet, wenn's ganz finster geworden, an der Treppe sein.«

»Es ist recht, Mutter Theda!«

»Was habt Ihr Heimliches mit dem Heinrich Raspe? Den Hals wird's Euch kosten!«

»Glaubt Ihr? Ich denke eine Ruhstatt zu gewinnen fürs Alter noch heute, Mutter Theda. Der Raspe will einen Erben!«

»Da sollt Ihr ihm helfen!« lachte die Friesin.

»Wer weiß, ich hab manches gelernt im Morgenlande.«

»Vier Söhne hatte ich,« murmelte des Fokkos Weib, »und alle sind sie dahin! Unser Blut ist wie das Nordmeer, das wandert gar gern wie der Schaum auf den Wellen, wie der Sand in den Watten, wie der Sturm über den Roßkopf fährt am Strohfirst!«

* * *

»Was willst du, Alter?« fragte Heinrich Raspe, indem er sein trotz des genossenen schweren Weines kaltes, blasses Gesicht dem Friesen zuwandte, der schon seit einigen Minuten wartend neben ihm stand.

»Herr Landgraf, es ist fahrendes Volk am Stadttor und bittet um Einlaß und Bewilligung, hier in der Halle Spiel, Tanz und Gaukelwerk zeigen zu dürfen?«

»Sie mögen kommen. Laßt sie herein, wenn das Mahl zu Ende!«

Dann hob Heinrich seinen Humpen von Silber und rief laut, sich zur Rechten wendend: »Neffe Hermann, ich rufe Euch Heil und allen treuen Mannen in der Runde. Auch Euch rufe ich Heil, Schenk Walter von Vargula, den ich gern wieder sehe an meiner Tafel, dem ich nicht vergaß, daß er einst treulich das Königskind aus Ungarn ins Thüringer Land brachte und der meinem Bruder Ludwig ein guter Mann war! Ich trinke Heil den Staufen, insonderheit dem Kaiser Friedrich, Heil diesem Schirmer von Recht und Frommheit, der sich wohlgesinnt mir und meinem Neffen gezeigt hat. Euch, Edler von Salza, als Boten des Kaisers, bitte ich, diesem zu sagen, daß wir Thüringer allezeit dort stehen, wo Recht ist und das Heil unserer Seelen in der Kirche des heiligen Vaters. Dem Kaiser Heil!«

Dröhnend scholl der Heilruf als Antwort und manch weinrotes Gesicht tauchte tief in den Humpen. »So,« rief dann Raspe mit heller Stimme, »laßt frohen Gesang und Kurzweil uns erheitern. Herr von Spichra wollet das Fräulein von Seebach hereinführen in die Halle, auf daß wir sie bitten, uns ein Lied zu singen. Seht,« wandte er sich dann an den Herrn von Salza, der ihm zur Linken saß, »ich habe von meinem Vater die Lust an Spiel und kunstvollem Sang geerbt. Ihr glaubt, daß König Wenzel von Böhmen Euch gleiche Antwort geben wird, wie ich? Zeigt er Bedenken, so wißt, daß ich auch ohne ihn das Amt auf mich nehme. Was meint Ihr dazu, Junker Hermann?«

Dieser fuhr bei der Anrede auf wie aus einem Traume. Seine Wangen glühten, denn er hatte oft Bescheid tun müssen. Seine Gedanken waren weit gewandert und er hatte nicht gehört, was sein Oheim zu Salza gesagt hatte. Verlegen stammelte er: »Ja, Oheim, ich ritte gar gern zum Kaiser, wenn Ihr es gestattet?«

Lachend schlug Raspe mit der flachen Hand auf die Tafel.

»Oho, Hermann, habt Ihr im Wachen geträumt? Danach fragte ich nicht. Ist's Euer Wunsch, ich hab nichts dawider! Obgleich, der Kaiser hat noch schwere Händel in Italien zu schlichten, wie der Edle von Salza bezeugen kann. Ihr müßtet schon über die Alpen, also weiter reiten, als es mir je gut schien zu reisen. Nach Deutschland kommt der Kaiser vorerst nicht!«

Er rief dies absichtlich laut, so daß es jeder hören konnte und mußte, also auch der Prior Elger von Hohnstein, der nun ganz genau wußte, daß der Kaiser schon auf dem Wege nach Deutschland war, und sich vornahm, noch morgen einen Boten nach Mainz zu schicken zum Bischof Sifrid. Er kannte Raspes Art, wenn er so sprach. Salza dagegen bemerkte zum zweitenmal, daß sein Auftrag schwerer sei, als er geglaubt hätte, denn dieser Landgraf Heinrich war fein geschliffen in der Kunst, nicht zu verraten, was seine eigentliche Meinung sei, und dem Boten des Kaisers wollte es dünken, als sei es höchste Zeit gewesen, daß der Hohenstaufe nach Deutschland eile. Doch wo war ein Fürst, dem der Kaiser noch trauen konnte im deutschen Lande? Er wußte keinen. Er beugte sich zum Ohr Raspes und sagte mit gedämpfter Stimme:

»Ich habe wohl verstanden, Herr Landgraf. Man fürchtete, Euch allzu große Lasten zuzumuten mit jenem Amt. Nur deshalb soll ich dem König Wenzel das gleiche sagen.«

»Ich habe es auch verstanden, Herr von Salza,« erwiderte Raspe ebenso leise. »Nur dachte ich, wenn ein Sifrid von Mainz allein Verweser sein konnte, wird's Heinrich Raspe auch können. Doch ist es mir lieb so; denn nun lege ich die Verantwortung mit auf zwei andere Schultern. Doch laßt uns davon schweigen, ich sehe, wie der Hohnstein und der alte Vargula herüberblicken. Ah, da ist das Fräulein von Seebach! Nun rückt ihr Herrn und laßt sie vortreten an unsere Tafel.«

Erstaunt und doch mit halb spöttischem Lächeln musterte Salza das Fräulein. Gar seltsam erschien sie seinen Augen, die der Mode der Zeit sich anbequemt hatten. Sie hatte aus einer Truhe ihrer verstorbenen Mutter ein kostbares, lichtblaues Gewand entnommen, das diese einst in jungen Jahren getragen. So stand sie da in der noch edleren Tracht jener Zeit, als der Sänger Krieg auf der Wartburg erklang. Um die dunkeln Locken hatte sie eine Efeuranke gewunden, und wahrlich ein zauberhaft anmutig Bild bot Berchta von Seebach mit der ihr im linken Arm ruhenden Laute. Still wurde es, als sie die ersten Akkorde griff. Sie begann ein kunstvolles, süßliches Lied, wie die höfische Kunst der Zeit sie liebte, und als sie geendet, klang der Beifallsruf wenig natürlich.

»Berchta von Seebach, habt Dank. Eure Kunst ist groß, aber nun gebt eine von den alten Weisen, die vertraut uns im Ohre klingen. Singt uns ein Lied vom Walter von der Vogelweide.«

Da richtete sich das Fräulein hoch auf und griff an die Laute. Ihr Blick war fest auf den Junker gerichtet. Und sie sang das Lied, das ewig junge Lied:

»Unter der Linden,
Auf der Heide – –«

Und still war's noch eine Weile, nachdem sie geendet. Dann brach lauter Zuruf der Freude los. Selbst dem alten Vargula lag ein junges Leuchten in den Augen. Und Junker Hermann saß da und seine Blicke ruhten in den ihren und sie fühlte, daß er sie schön fand. Raspe aber rief:

»Junker Hermann, wollet alten Brauch und alte Fürstenpflicht üben. Hier, bietet den goldenen Becher der lieblichen Sängerin, die uns das Herz erfreute, damit sie uns nun Willkommen trinke!«

Langsam stand Hermann auf. Seine Rechte zitterte, als er den Becher ergriff, und als er vor sie hintrat, da dachte mancher, wie schön die beiden wären, die Auge in Auge dastanden.

»Wollet uns freundlich Bescheid tun, Berchta von Seebach. Der Becher sei Euer zum Danke!« Und als sie, den Becher errötend nehmend, seine Hand mit ihren Fingern berührte, da flüsterte er ihr leise zu: »Berchta, ich habe dich lieb!«

»Dank, Landgraf Hermann! Ich trinke auch Euch Dank, Landgraf Heinrich!« Und sie bog den schlanken Hals zurück und trank durstig und ihr Hals leuchtete so durchsichtig weiß, daß man schier glauben konnte, man sähe den roten Wein durch die Kehle schimmern.

»Fokko!« rief Raspe dem Friesen zu, der mit seiner breiten Wucht die Tür füllte gegen das Drängen des fahrenden Volkes hinter seinem Rücken. »Gebt den Weg frei und laßt die Kurzweil beginnen!«

Da kamen sie herein. Einer sprang vor und begann mit blitzenden Messern in der Luft zu spielen; ein anderer trat unter die Ritter und zauberte dem einen Eier, dem zweiten ein Kinderstrümpflein, dem dritten eine Schlange aus den Falten seines Wamses.

Einer aber war zusammengefahren, als die Gaukler hereinkamen. Das war der Klosterschüler aus Erfurt, der junge Schlotheim. Im Gebet hatte er am Nachmittage gerungen gegen die sündig verführerischen Worte der Tänzerin. Froh und stolz war er zum Mahle gekommen und hatte sich gefreut, daß das Schicksal ihn hier in diesen Kreis führte. Er dachte daran, Burg und Gastmahl und den jungen Landgrafen in gut skandierten Strophen zu besingen, und – – – nun stand die Tänzerin in der Tür und er fühlte, wie ihre schwarzen Augen die seinen suchten. Er hätte fliehen mögen, aber die Tür war gesperrt. Schon sah er, wie die alte Zigeunerin einen Teppich in der Halle breitete. Was dann geschah, er wußte kaum wie es geschah. Sie tanzte und tanzte für ihn, denn ihre Augen blieben auf ihn gerichtet, und er trank häufig und durstig aus dem Humpen vor ihm, den die Knechte oft füllten.

Wild war das Gelage geworden. Aber ehe sich alle Bande der Sitte lösten, klang Raspes schmetternde Stimme durch den Lärm: »Schenk Rudolf von Vargula! Laßt satteln, wir reiten nach der Wartburg zurück.«

Mancher unmutige Fluch ward unterdrückt, aber man kannte Heinrich Raspe und hütete die Zunge.

Als Rudolf von Vargula hinausging und dabei an seinem Vater vorbei mußte, der mit düsteren Augen in dies Treiben blickte, blieb er stehen.

»Vater, wollt Ihr mir keinen Händedruck gestatten?«

Da sah dieser den Sohn ernst an.

»Du hältst zum Kaiser?«

»Ich halte zum Landgrafen von Thüringen.«

»Auch gegen den Staufen?«

»Gott wolle dies verhüten. Aber kann mein Landgraf nicht mehr staufisch sein, kann ich es auch nicht.«

Da drehte ihm der Greis den Rücken zu, und der Sohn ging hinaus.

* * *

Krachend schloß sich hinter dem letzten Knecht das schwere Eichentor der Creuzburg. Einen Augenblick stand noch Fokko und lauschte dem sich langsam in die Straßen der Stadt verlierenden Lärm der stampfenden Roßhufe und der lauten Stimmen der Reiter.

»Fokko, geht und seht nach dem Junker,« sagte hinter ihm des alten Schenken etwas weinschwere Stimme, »Ihr wißt, die Knechte sind alle trunken und ein Junker läßt sich leichter vom Torwächter zur Ruhe bringen als von dem Schenken von Vargula, der heute schärfere Worte gesprochen, als ihm selbst lieb ist. Ist der Junker zur Ruhe, so kommt, ich will mit Euch reden hier unten!«

Langsam ging der Friese über den Hof, der nun ganz im Schatten der Burg lag. »Fokko, dir lachen die Beine,« meinte der Alte zu sich selbst sprechend, als er einige unsichere Schritte tat. »Aber, Fokko, der Kopf ist klar, nur etwas schwer geht das Blut durch die Adern.«

So stieg er langsam hinauf zur Halle. Der Dunst verqualmter Öldochte füllte den Raum. An der langen, leeren Tafel saß Junker Hermann, hielt den Kopf in die Hand gestützt, aber schlief nicht. Die Augen waren weit offen und sahen den Alten fest an.

»Junker, wollt Ihr nicht zur Ruhe gehen? Unten im Ort sang der Wächter die elfte Stunde!«

Da sah ihn der Heiligen Sohn an, als käme sein Blick aus einer anderen Welt zurück zu den Dingen dieser Erde und damit zu der mächtig knorrigen Gestalt des alten Friesen. Er lächelte.

»Ja, Fokko!« Doch als er sich erhob, sah Fokko wohl, daß der Junker die Hände auf die Tafel stützen mußte, und daß die Glieder nur schwer gehorchten. Deshalb führte Fokko seinen jungen Herrn zur Tür des Nebengemachs. Als sie dessen Schwelle überschritten, klammerte sich Hermann plötzlich krampfhaft an des Alten Arm fest und rief:

»Fokko, sag, Fokko, wo bin ich?«

»In Eurem Gemach, Junker.«

»Sind sie auch alle fort, wirklich alle fort? Mein Oheim, der Raspe, der Salza, der Prior, das fahrende Volk? Weißt du es ganz genau, Fokko?«

»Ja, Junker, ließ ich sie doch ausreiten aus dem Tor und schloß es mit eigener Hand.«

»O, Fokko, der Wein! Der Wein und die Lieder und der Tanz. Ich bin so schweren Trunk nicht gewohnt! Mir ist so leicht und doch so schwer. Ich finde kaum Luft.«

Er stützte sich fest auf des Torwächters Schulter. Scheu durchforschte sein Blick jeden Winkel des Raumes, in den nur das Feuer des großen Kamins unheimliche Lichter warf.

»Ganz gewiß, Fokko, sie sind fort, alle, alle?«

»Ich schwör's Euch, Herr.«

»Ihr schwört, Fokko? Haha! Wenn einer wüßte, was ich heut geschworen, meinem Kaiser geschworen! Weshalb ist es so finster hier? Zünde die Lampe an. Siehst du nicht, da, da – – – ich sehe Raspes höllisch Gesicht.« Wie abwehrend streckte er die Hände gegen das niedrige Türchen, das zur Turmtreppe führte, an der heute Berchta gelauscht hatte.

Unwillkürlich hatte Fokko auch hingesehen. Nun lachte er.

»So, setzt Euch, junger Herr. Dort ist nichts, und der Landgraf mag jetzt schon bei Ramsborn sein, denn die Nacht ist hell, und sie können scharf traben. Der Wein in Euch sieht Geister.«

»Fokko, geh nicht fort. Sag, gibt es Geister? Hast du schon solche gesehen? Was denkt ihr Friesen davon? Mich graust. Mach Licht, schnell!«

Der Alte nahm das silberne Lämpchen vom Sims und entzündete den Docht mit einem glühenden Holzspan.

»So, Junker. Geister?? Wir Friesen sagen: Nur Neidinge sehen Geister und fühlen Furcht. Der Grade sieht nur Feinde, und Nixe und Kobolde müssen ihm dienen. Ihr sollet Euer Lager suchen. Kommt, ich helfe Euch aus den Kleidern.«

»Fokko, mir brennt die Zunge, der Gaumen, mein ganzer Körper brennt. Gebt mir zu trinken, Wein, gesüßten Wein. Er wird mir gut tun.«

»Herr, Ihr solltet nicht noch mehr Wein trinken.«

Da schrie Hermann auf: »Knecht, willst du gehorchen. Ich will's, dein Landgraf!«

Der Friese zuckte zusammen. Das Wort Knecht fiel wie ein Peitschenschlag auf ihn. Aber er bezwang sich, denn es gefiel ihm auch wieder, daß der Junker so stolz sprach, und er wußte wohl, wie der Wein im Blute deutscher Zecher zu toben pflegt.

»Also gib mir zu trinken. Dort steht die Kanne und ein Becher aus Silber daneben. Ein Erbstück ist er vom Großvater, dem Landgrafen Hermann. Meine Großmutter Sophie hat mir oft erzählt, wenn sie hierher kam, daß der Landgraf aus dem Becher den Sängern Willkommen trank auf der Wartburg. Den nicht, Fokko! Den zweiten, mehr links. Weißt du, was man von dem Becher sagt? Der Rudolf von Ems hat's mir erzählt.«

»Nein, Herr, das weiß ich nicht. Aber ein gar schönes Silberstück ist es. Man sieht solche Becher wohl im Morgenlande? Seltsame Runen am Rande. Bilder seien es vom Himmel, so hat mir einer berichtet, der einen ähnlichen mit heimbrachte.«

»Zauberzeichen sind es, Fokko! Den Becher hat Klingsor auf die Wartburg gebracht, und wer daraus tränke zur Mitternacht, dem würde noch süße Minne, ehe die Sonne aufgeht. Lüge ist es! Ich hab's versucht vor einigen Monaten, weil, weil, ich war noch dumm damals, weil ich das Fräulein von Seebach gar schön fand. Jetzt tät ich es nicht mehr, Fokko, ein Landgrafensohn kürt Königskinder!«

Kopfschüttelnd wog der Alte den Becher in der Hand. »Ihr solltet nie daraus trinken, Herr. Süße Minne gewinnt der Held mit Schwerthieb!«

Da sprang Hermann vom Sessel auf und reckte die schlanke Gestalt. Drohend fragte er: »Fokko, ich frage dich, wer bin ich?«

»Nun, nun, Herr, was fragt Ihr mich, der ich Euch als Knäblein schon auf den Knieen reiten ließ.«

»Himmel und Hölle, Fokko, wer bin ich?«

Da merkte der Friese, daß es besser sei, die Geister des Weins nicht zu reizen.

»Ihr seid Hermann von Thüringen.«

»Wer war meine Mutter?«

»Ein Königskind aus Ungarn und eine Heilige.«

»Wer mein Vater?«

»Landgraf Ludwig von Thüringen.«

»Fokko, wer bin ich?«

»Nun, beider Kind.«

»Wer ich bin, Knecht?« schrie Hermann und die Zornader schwoll ihm auf der Stirn.

»Ihr, Ihr seid Landgraf von Thüringen und Hessen.«

»So ist es, Fokko. Setze den Becher hierher! Ich sage dir, und wenn du es einer sterblichen Seele erzählst, laß ich dich hängen, ich sage dir, mich erkor der Hohenstaufenkaiser Friedrich für seine Tochter, des Kaisers Tochter.«

Oho, dachte Fokko, nun ist's Zeit, daß er zur Ruhe kommt. Er sah den Junker schwanken und schwer zurück auf das Ruhebett sinken. Ein furchtbarer Hustenanfall schüttelte seinen Körper. Er rang nach Atem.

»So, so, Herr. Ich will Euch mein Weib schicken; sie gibt Euch einen heißen Trank aus heilsamen Kräutern gegen den Husten!«

»Ich, ich will keinen Trank von alten Weibern. Ich verdorre! Den süßen Wein will ich!« Er trank durstig aus dem gereichten Becher; doch als Fokko ihn auf den Tisch zurückstellte, machte er heimlich drei Kreuze mit dem Daumen unter die Tischplatte.

»Verzeiht, Herr, kann ich Euch den Knecht, den Wenzel, schicken? Ich muß meinen Rundgang machen über die Burg.«

»Geh doch, was stehst du hier? Mag der Knecht in der Halle schlafen!« Er lächelte wie halb im Traum. »Keine hat mich geküßt in jener Nacht. Ein Landgrafensohn von Thüringen minnt Kaisertöchter. Geh, laß mich allein!«

Bedenklich ging Fokko hinaus. Im Gange lag auf der Bank ein Knecht. Er beugte sich über den Schnarchenden. Der Wenzel war es, der einzige, der ihm noch nüchtern schien vor einer Stunde. Er rüttelte ihn vergeblich an der Schulter. Ihm war's nicht ganz geheuer, den Junker allein zu lassen. Als er auf die Stufen trat, die vom Tor in den Burghof führten, saß dort das Fräulein von Seebach.

»Was sitzt Ihr hier in der kalten Winternacht?«

»Ich mag nicht schlafen und die Nacht ist schön. Mich friert nicht.«

Der Wächter zögerte einen Augenblick.

»Unser Junker hat zu viel getan im Weine. Er schläft. Wollt Ihr hier noch etwas verweilen, oder ist's Euch zu kühl, so geht in die Halle und horcht zuweilen. In längstens einer Stunde bin ich zurück, wenn ich den Rundgang gemacht und in die Ställe und Speicher gesehen, damit kein Unglück geschieht. Ruft mich, wenn der Junker unruhig wird.«

»Ich bleibe, Fokko, und warte auf Euch!« Sie kauerte sich zusammen und stützte den Kopf in die Hand.

Der Friese ging schweren Schrittes über den Hof unter der Linde hin. Ihm war der Kopf dumpf und er hatte ein unbestimmtes Gefühl, als habe er etwas Dummes getan, was ein Weib nicht hätte tun können. Aber in alten Friesenschädeln sitzt kein Argwohn. Auch hatte er nicht sehen können, wie es in Berchtas Augen leuchtete und daß sie die Hand fest um ein Fläschchen in der Tasche krampfte.

Als er gegenüber unter der Mauer hinschritt, konnte er ihre Gestalt nicht mehr sehen. Sollte er noch einmal zurückgehen? Er lauschte. Kein Laut, alles still, und ihm fiel ein, daß der Schenk von Vargula gesagt, er wolle noch ein Wort mit ihm sprechen. Da ging er brummend weiter.

* * *

Lautlos war Berchta von Seebach fortgeschlüpft, vorbei an dem schnarchenden Knecht durch die Halle bis an Hermanns Gemach. Dort spähte sie heimlich durch die halb offene Tür. Zurückgelehnt lag er in den Kissen des Ruhebetts, aber in seinen weit geöffneten Augen glitzerte das helle Mondlicht und seine Lippen bewegten sich und flüsterten leise Worte: »Kaiser Friedrich, ich komme und küre dein Kind zur Minne.« Da biß sie die Zähne zusammen und Raspes Worte und der Christel Sätze brannten in ihrem wilden, unglücklichen Herzen. Sie sah, wie schön Hermann war, wie die blonden Locken sich ihm um die feine Stirn rahmten. Rasch huschte sie zurück in die Halle. Unheimlich gleißte das Mondlicht auf dem Wirrwarr, spielte um Silberhumpen und Kannen, leuchtete im roten über die Tafel ergossenen Weine, spielte liebkosend mit der Laute, die an der Wand hing. Sie atmete schwer. Doch schon hielt sie die Harfe im Arm und leise vor der Tür begann sie zarte Akkorde zu zupfen und leise, kaum hörbar, begann sie zu singen, vorschreitend in das Gemach, mit süßer Stimme das Lied, das Lied: »Unter der Linden, Auf der Heide – – –«

Und während sie vor ihm stand im lichtblauen Gewand, das fast weiß erschien in dem Mondlicht, das ihr lichten Schein um die Locken wob, klang ihr Lied immer süßer, und als sie, in andere Melodei übergehend, heißere Liebe sang, da begann er wie im Traume zu sprechen: »Da bist du, liebliches Kaiserkind. Komm, komm näher zu mir. Ich trank den Becher, nun hab' ich die Minne vorm Morgenrot.«

Er breitete die Arme, und über ihn beugte sich Berchtas Antlitz.

Rot winkten die Lippen dem Landgrafensohn, dem Sohne der Heiligen. Der Mond lag mit weichem Licht in den Fenstern.

Ein jubelnder Ruf ging durch die Stille: »Nun küßt mich vor Lichte Frau Minne.«

O süße Liebe und Stille der Nacht!
Was zauberst du Lust mir in Leide.
Ich komme, mein Ritter,
Leis komm ich und sacht. – –
Nun kommt Frau Venus noch ehe es Tag
Und küßt von der Lippe dir Leide.

* * *

»Hast du den Junker zur Ruh gebracht, Fokko?« fragte Vargula, als der Torwächter eintrat.

»Ja, Herr, er wird schlafen.«

Der Schenk saß auf der Bank nicht weit von der Mutter Theda, die den Faden am Spinnrade zog, dicht neben dem kleinen Lämpchen, das wie ein kleiner Stern in dem Dunkel des Raumes brannte.

»Setz dich her, Fokko, und nimm von dem Nachttrunk, den dein Weib uns bereitet. Ich kenne den Trunk aus alter Zeit. Er tut gut nach schwerem Gelage und bannt die dunkeln Gewalten. Alter Zeiten dachten dein Weib und ich, als ich euch traf, nicht weit von Mühlhausen war es, und du warst ein todwunder Mann.«

»Weiß wohl, Schenk von Vargula. Sind kaum zehn Jahre vergangen. Damals dachte ich, es sei besser zu sterben, denn als landfremder Bettler zu wandern, dem Volk und Sippe erschlagen lagen im Stedinger Land. Nur ehe ich sterben mochte, wollte ich zum heiligen Vater nach Rom und klagen, daß man den Kreuzzug gepredigt gegen gute Christen und freies Bauernvolk am Nordmeer.«

Vargula nickte mit dem grauen Kopfe. »Ja, Fokko, es war wohl eine Untat, wenn ich gedenke, wie du mir alles erzähltest.«

»Fluch dem Oldenburger und seinen Pfaffen,« kam es vom Spinnrad her.

»Wußte doch nicht,« fuhr Fokko fort, »daß es so weit zum Papst in Rom sei, bis Ihr es mir sagtet, Schenk von Vargula, und mich und mein Weib hierher brachtet, wo ich von meinen Wunden genas.«

.

»Und ein Knecht wurdest,« sagte die Alte.

»Laß das, Mutter,« wehrte ihr Mann ab, »sie kann's nicht verwinden, Herr Schenk, daß die Freie aus dem Stedinger Land, die geherrscht hat auf freier Hufe zwischen den Dämmen, hier hausen mußte. Unsere Söhne liegen in der Marsch zwischen Graben und Deich, und das Nordmeer singt ihnen das Lied. Wir hören's nicht wieder.«

»So, wir hören es nicht wieder?« murmelte Frau Theda. »Ich habe es gehört in drei Nächten hintereinander, und mein Ältester war bei mir dreimal!«

»Hast du wieder Gesichte gehabt, Theda?« meinte Fokko.

»Ja, er war hier vor mir am hellen Tag und hat geklagt, daß seine Mutter, die Friesin, hier dient. Wenn er kommt zu mir, steht Unheil und Tod nahe heran. Ich weiß es. Horch!« sie hob den Arm, »da schreit das Totenkäuzchen, eins, zwei, drei! Dreimal! So hat's geschrien in der Eiche am Hof in der Nacht vor dem Tag, der uns alle verdarb.«

Die Männer schwiegen. Dann erhob sich Vargula und ging auf und ab in tiefem Sinnen, bis er, vor Fokko stehen bleibend, sagte: »Fokko, ich sage dir, morgen reitet der Junker Hermann mit mir von der Burg!«

»Das geht nicht an, Herr Schenk. Ich habe dem Raspe versprochen, daß ich den Junker hier behüten wolle mit meinem Leben, bis er, der Raspe, in wenigen Tagen wiederkäme.«

»Um so gewisser, weil der Raspe das gesagt, reitet der Junker mit mir.«

»Ich werde kein Neiding,« sagte ruhig Fokko.

»Hört mich an. Ich habe Augen und Ohren gebraucht beim Gelage heute in der Halle. Sie hatten alle schwer getrunken, und der Wein spricht aus Augen und Mund, selbst wenn die Lippe sich hütet. Ich habe den Raspe Heil rufen hören dem Neffen so gut wie dem Prior von Hohnstein, dem Boten des Kaisers so gut wie mir, und ich habe ihm dabei ins Auge gesehen und den anderen auch. Fokko, ich traue keinem von allen. Hier geht es um Leben und Sterben des Sohnes der Heiligen. So oder so, morgen früh reitet der Junker mit mir auf meine Burg.«

Da kratzte der Torwächter sich unterm Kappenrand hinterm Ohr.

»Herr, wenn Ihr sagt, es geht ums Leben des Junkers?«

»Sagte ich das? Wenn das nicht, es kann um Leben und Sterben gehen und um mehr noch fürs Thüringer Land. Ihr kommt beide mit mir.«

»Dann gebt uns frei,« rief Mutter Theda, »daß wir nach Norden ziehen, damit uns das Nordmeer das Sterbelied singt. Mein Ältester hat mich gerufen.«

»Also, Fokko, haltet die Rosse morgen bereit. Wir reiten vor Licht aus.«

»Und das Fräulein Berchta von Seebach?« fragte Fokkos Weib.

»Die?« meinte Vargula. »Mag sie gehen, wohin sie will, sie muß doch fort! Wo ist das Fräulein? Fokko, du ließest den Junker nicht allein??«

Und wie er das sagte, klang ein Weheruf, ein Weheruf, als füllte er jeden Winkel der ganzen Burg, als käme er aus keines Menschen Brust, und doch war's Menschenstimme, aus der er klang.

Den Männern war's, als geränne das Blut ihnen in den Adern vor Grausen und als liefe kaltes Frösteln ihnen unter dem Wams den Rücken hinunter.

»Schenk von Vargula, Gott sei unserer Seele gnädig.«

Da raffte dieser sich zusammen und stürzte zur Tür, gefolgt von Fokko.

»War's doch eine Nachtmär?«

»Nein, Fokko, das war Weheruf eines Menschen!« Und vorwärts stürmte er ins Burghaus, und keiner der beiden Männer bemerkte, wie unter dem Mauerschatten nach der Stadt zu eine Gestalt huschte und drüben am Efeu herabglitt in den trockenen Graben.

»Gott steh uns bei!« stöhnte Fokko. Der alte Vargula kniete und hielt in den Armen den Landgrafen Hermann und starrte in ein todbleiches Gesicht und auf die letzten Tropfen Blutes, die über blasse Lippen rannen.

»Gemordet?« fragte Fokko.

»Sei kein Narr! Hier ist keine Wunde noch Gewalttat. So sah ich schon einen sterben einstmals im Blutsturz. Man vergißt es nie wieder.«

»Herr Schenk, was ist das?«

Der Friese hob ein kleines Fläschchen vom Boden. Vargula ließ den Toten langsam niedergleiten und stand auf. Er nahm das Fläschchen, dann schritt er zum Fenster, riß es auf und schleuderte das Glas hinaus.

»Damit nicht noch größeres Unheil wachse,« sagte er, wie für sich. Als die beiden Männer über den Hof zurückschritten nach des Torwächters Behausung, faßte dieser nach Vargulas Hand.

»Herr, schützt mich vor Raspe. Ich will gern sterben, aber nicht so!«

»Fokko, ich sage dir, der Raspe wird keinen strafen. Dessen seid sicher.«

»Und der Wehruf? Schenk von Vargula, nur die Seebach kann's gewesen sein.«

»Was tut es, wer es war! Das Kind der Heiligen weckt keiner! Ruft mir den jungen Schlotheim, ich will auf Eisenach reiten zur Wartburg. Und dann sattelt die Rosse!«

»Der Schlotheim, der ist nicht mehr hier!«

»Nicht hier, Fokko?«

»Als ich das fahrende Volk hinausließ nach dem Gastmahl, da ging er auch. Die schwarze Dirne schritt neben ihm und er hielt sie an der Hand. Sein Roß ließ er im Stalle.«

Da tat der Schenk von Vargula einen furchtbaren Fluch.

»Die Welt ist wild! Nicht Treue noch Glauben! Ich bin froh, daß ich nicht zu erleben brauche, was kommt. Aber jetzt gibt es nur eines: daß der Raspe das Land in Gewalt nimmt und zum Kaiser hält.«

Kurze Zeit darauf klapperten die Eisen seines Hengstes durch die Gassen von Creuzburg und dröhnten dumpf, als der Schenk Walter von Vargula aus dem Stadttor ritt, das der Wächter hinter ihm schloß. Friedlich und still lag die Landstraße vor ihm. Hell ruhte das Mondlicht am Hange, wo links der Straße der Bergwald die Höhen dunkelte. Der Schenk dachte vergangener Tage, während sein Hengst wacker ausgriff den Moseberg hinan.

Dort oben, wo riesige Eichen standen, stutzte das Roß und bog schnaubend weit aus zur Seite. Vargula beugte sich spähend tief am Sattel hinab. Da lag am Wegrand ein Weib, und er erkannte die Wetterchristel, auf deren starrem Gesicht ein zwischen den Stämmen durchgleitender Mondstrahl ruhte. Sie war tot. Den Schenken graute vor nichts mehr in dieser Nacht! Gar dunkel lag unter ihm das Hörseltal, in das er hinabritt, um auf die Wartburg Kunde zu tragen, wie das erste Kind der Heiligen verblichen, und daß der Landgraf Raspe nun Herr im Thüringer Land sei.

So verderben Kinder, wenn niemand sie lieb hat.

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