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I

Auf die grauweißen Häuser Assisis schien die Sonne, sodaß sie wie gelblicher Marmor sich leuchtend von dem dunkeln Berg abhoben, auf dessen Knie sie sich anklammerten, und der schroff hinter ihnen aufstieg. In tiefem, sattem Blau spannte sich der Himmel darüber, scharf hob sich die Rocca, die halb zerstörte Burg, über der Stadt in die klare Luft und blickte finster dräuend auf die hellen Häuser und engen Gäßchen herunter. Goldlack und blühende Levkojen wurzelten in den Ritzen der hohen Gartenmauern, hingen in bunten Garben an dem weißen oder rosa Gestein herunter und verströmten ihren süßen Duft auf die Männer und Weiber, die müßig vor ihren Haustüren saßen, schwatzten oder sich spielend mit ihren Kindern auf dem Boden wälzten. Braune Esel mit narbenbedecktem, zerschlagenem Fell kletterten die steilen Gassen herauf und trugen übermäßige Holzlasten, oder Schläuche, mit Wein gefüllt, auf ihrem geduldigen Rücken, und der anfeuernde Ruf ihrer Treiber hallte durch die stille Stadt.

Auf dem Subasio lag noch Schnee, denn es war im März; aber im Tal wurden schon die Wiesen grün, und die Eschen kleideten sich in hellgrüne Schleierkleider. Auch in der engen Straße, wo der Palast Sciffi stand, merkte man den Frühling. Er hing weiße Blütenzweige über die Gartenmauern, und die rosa Mandelbäume reckten dazwischen ihre zierlichen Glieder und zogen die Blicke der beiden Mädchen auf sich, die an dem kleinen Fenster lehnten und mit dem Himmel und Erde umfassenden träumerischen Blick der Jugend in das weite Land schauten. Eine dritte Schwester saß tiefer im Zimmer und stickte eifrig Goldfäden in Purpursammet, ohne sich viel um das Gespräch der zwei andern zu kümmern.

»Sieh doch, Chiara,« sagte die jüngere, ein Kind von vierzehn Jahren, »wie sonderbar das ist. Oben auf dem Subasio liegt noch Schnee, und da drüben in den Gärten blühen schon die Bäume. Auch draußen, hinter der Porta San Giacomo gibt es jetzt Heidekraut, die kleinen rosa Glocken duften so süß; Ginevra brachte gestern einen Strauß mit heim. Wollen wir nicht auch holen?«

Chiara lächelte die kleine, schwarzlockige Schwester an, aber sie schüttelte den Kopf und seufzte.

»Du bist traurig? Ach, das ist sicher, weil der dumme Leonardo Fiumi wieder einmal da gewesen ist, der hat dir die Laune verdorben«, schmollte Agnes. »Als ob es irgend einen Mann gäbe, der für meine schöne, gute Chiara recht wäre!« Sie preßte die schmächtigen Arme um den Leib der blonden Schwester und sah mit leidenschaftlicher Zärtlichkeit zu ihr auf. »Du sollst lieber gar nicht heiraten, als so einen Laffen, hörst du? Du sollst immer bei mir bleiben.« Sie drückte ihr kleines, dunkles Gesicht auf die Hand der Schwester und blieb so eine Weile, indes Chiara ihr leise über die Haare strich.

»Sprich nicht, was du nicht verstehst, Kind«, sagte Beatrix, von der Stickerei aufsehend. »Die Fiumi sind eine von unsern ersten Familien, jede kann es sich zur Ehre anrechnen, dazu zu gehören, und es ist süß, von einem starken Mann geliebt zu werden.« Ein träumendes Lächeln huschte um ihren stolzen, schönen Mund, und ihre dunkeln Augen blickten zärtlich, weil sie an ihren Bräutigam dachte, den tapferen Kriegsmann Nicolo Nepis.

»Chiara,« begann Agnes nach einer Weile mit stockender Stimme, »hast du noch nie einen Mann gesehen, dem du gerne gefolgt wärst?«

»Nein, Kind, gesehen habe ich ihn noch nicht,« antwortete Chiara zögernd, »aber ich weiß, wie er sein müßte.«

»Wie denn, sag es mir«, drängte Agnes und hob gespannt die großen, glänzenden Augen zu der Schwester empor. Auch Beatrix lauschte und ließ die Arbeit sinken.

»Gut muß er sein, sehr gut, und darf nicht grausam sein, nicht gegen Menschen und nicht gegen Tiere, wie ichs gestern von Leonardo gesehen habe, als er sein edles Pferd mißhandelte; und tapfer und stark muß er auch sein, nicht wie ein Blatt im Winde, daß ich in seinem Schutz sicher sein kann und ihm mit Freuden gehorche. Aber die starken Männer sind nicht gütig, und die guten sind nicht stark …«

»Du bist ein Kind, Chiara, obgleich du ein Jahr älter bist als ich«, warf Beatrix spöttisch ein. »Ein Ritter muß dreinschlagen können und Blut vergießen ohne Zaudern, sonst wird das seine vergossen. Ohne das wird er dich auch nicht schützen können in dieser Zeit, wo Verrat und Mord auf jeder Gasse lauern; man muß ihn fürchten. Meinem Nicolo wagt niemand nahe zu treten.«

» Muß denn das alles so sein, Beatrix? Wird denn nie eine Zeit des Friedens kommen? Wer stirbt denn von unsern Männern nicht vor seiner Zeit?« fragte Chiara schwermütig.

»Es ist so, und es hat keinen Zweck für uns unwissende Frauen, darüber zu grübeln, was sein könnte

»Gütig ist Leonardo nicht,« sagte Agnes bekümmert und den Worten der Schwester nachdenkend, »aber er ist schön und tapfer, vornehm und reich, und er hat dich sehr lieb.«

»Er sagt so,« antwortete Chiara gleichgültig, »aber was weiß er von mir?«

»Daß du sehr schön bist,« fuhr feurig die kleine Schwester auf, »daß du lange, goldne Haare hast, wie kein Mädchen hier in der Stadt, daß du die klarsten blauen Augen hast …«

Der Schwester Hand schloß den sprudelnden Mund.

»Da weiß er sehr viel von mir«, sagte sie vorwurfsvoll.

»Ach, Chiara!« lächelte Beatrix, »du weißt noch nicht, welch köstliches Gut Frauenschönheit ist, sie besiegt die Stärksten und Tapfersten und selbst die Grausamen.«

Eine Weile schwiegen die Mädchen. Die ältere hatte den schwärmerischen Blick in die Ferne gerichtet, aber um ihren Mund und das Kinn spielte ein Zug starker Willenskraft, der die Achtzehnjährige reifer erscheinen ließ. Beatrix sah die Schwester bewundernd an, aber sie wagte nicht, sie in ihrem Sinnen zu stören, sondern griff nach dem Stickrahmen und begann wieder zu arbeiten. Sie wollte die Verzierung eines Meßgewands beenden, das ihre Mutter dem neuen Dom zu stiften gedachte. Auch Agnes setzte sich zu ihr und wickelte die Stickfäden in kleine Knäuel.

»Erinnert ihr euch Pietro Bernardones Sohn?« brach plötzlich Chiara das Schweigen.

Agnes lachte übermütig auf. »Des kleinen Schwarzen, dem wir als Kinder gern nachschauten, weil er so freundlich war und so prächtige Kleider anhatte, und der dann verrückt wurde, sodaß die Straßenkinder ihm Pazzo, Pazzo nachschrien?«

»Ja, dieser«, sagte die Schwester und zog die Augenbrauen zusammen. »Aber rede nichts Häßliches von ihm, er ist ein sehr guter Mensch – viel zu gut. Es wagt es jetzt auch kein Kind von Assisi mehr, ihn zu verspotten.

»Kennst du ihn?« fragte Agnes erstaunt.

»Als Kind sah ich ihn oft. Einmal führte er einen alten, schmutzigen Bettelmann über die steile Straße, denn es war glatt. Da hatte er ein rotes Sammetwams an, und er schämte sich gar nicht. Aber seine Freunde lachten ihn aus – – Er war so lustig damals und sah aus wie ein Ritter; sie erzählten sich tolle Streiche von ihm.«

»Und dann?« Agnes ließ die Arbeit sinken.

»Dann sah ich ihn als Bettler gekleidet, elend und mager, und die Kinder warfen Kot nach ihm. Seine Augen waren sanft wie Rehaugen, aber er sah traurig aus. Ich kann diesen Blick gar nicht vergessen.«

»Warum ist er eigentlich so geworden?« fragte begierig das Mädchen und spielte mit dem Goldfaden auf dem Tisch. »Ich verstehe es nicht recht, und damals war ich noch zu klein.«

»Er wurde sehr krank, und als er wieder gesund war, freute ihn gar nichts mehr. Dann betete er einmal in seiner Traurigkeit in San Damiano, und da sprach der Heiland vom Kreuz zu ihm. Darauf verließ er das Haus seines reichen Vaters. Er gab alles, was er hatte, den Armen und arbeitete um Brot mit seinen Händen; er tat niedrige Arbeit und nahm, was man ihm freiwillig dafür geben wollte, Speise oder Kleidung. Ja er schämte sich nicht, vor den Türen Assisis zu betteln, wenn er Mangel litt.«

»Das war arg für den Vater.«

»Das war es freilich,« fiel Beatrix ein, »er verstieß ihn auch öffentlich vor allem Volk. Dann wohnte er lange oben auf dem Subasio in den Kalksteinhöhlen.« Ihre Stimme wurde geheimnisvoll. »Man sagt, daß Gott mit ihm gesprochen habe dort.«

Atemlos hörte Agnes zu. »Glaubst du das?«

Beatrix zuckte zweifelnd die Achsel. »Nicolo hat jedenfalls Ehrfurcht vor ihm, seit er in Assisi Frieden stiftete zwischen dem Volk und dem Adel.«

Chiara blickte gedankenvoll vor sich hin, ohne auf der Schwester Frage zu antworten. »Welche Macht muß er über die Menschen haben!« rief sie und wendete sich jäh zu dem Fenster, um den Schwestern ihr erregtes Gesicht zu verbergen. »Die Armen und Kranken vergöttern ihn, er pflegt die Aussätzigen wie eine Mutter; ihm ekelt vor nichts, alles was arm und verlassen ist, hat er lieb. Was ist das für ein Gegensatz zu den Männern der Welt!«

Agnes rümpfte das Näschen. »Der Vater mag ihn nicht leiden, weil er von zu Hause fortgelaufen ist.«

Chiara drehte sich heftig um.

»Ich weiß, viele nannten ihn einen Narren, aber jetzt laufen sie ihm nach; Philippo Lungo, unser Vetter, ist auch dabei. Tante Bona meint, er werde noch die Kutte der büßenden Mönche anziehen.«

»Und seine Habe den Armen geben?« versetzte Agnes freudig. »O, dann soll er mir sein weißes Kaninchen mit den roten Augen schenken!«

»Gehörst du zu den Armen?« fragte lächelnd Chiara.

Agnes antwortete nicht, ein neuer Gedanke fuhr ihr durch den Kopf. »Wo ist er denn jetzt, dieser Francesco?«

»Ich weiß es nicht. Er führt ein Wanderleben und predigt in Umbrien und der Mark Ankona. Ein paar Männer haben sich zu ihm gesellt, auch aus unserer Stadt; zuletzt war er in Rom.«

»Woher weißt du das alles?« fragte verwundert Beatrix; »du kümmerst dich doch sonst um nichts, was in der Stadt vorgeht?«

Ein leises Rot überzog die Stirne der Schwester. »Von Tante Bona Guelfucca.«

»Ich wünschte, er käme bald hierher predigen!« rief begeistert das Kind, »und Mutter erlaubte uns, in die Kirche zu gehen; ich möchte ihn wohl sehen, wenn er wirklich so gut ist. Vielleicht ist er ein Heiliger?«

»Tante sagt, daß er bald komme, er ist beim Papst gewesen, damit der ihnen erlauben soll, immer arm zu bleiben«, antwortete Chiara.

»Wie sonderbar!« lachte Agnes; »ist er nicht doch ein bißchen närrisch? Niemand würde das tun.«

Chiara schüttelte ernst den Kopf. »Ich glaube, er hat einen großen Reichtum in sich, da er alles Äußere so verachten kann. Man könnte ihn beneiden …«

Sie sah an ihrem blauen Tuchkleid herunter, das ihre schlanke Gestalt umfloß und um die Hüften von einer kunstreich gearbeiteten Goldkette gehalten wurde.

»Diese schönen Kleider, was nützen sie mir? Daß ich Leonardo damit gefalle, den ich nicht mag? Glück ist ganz anders, als dieses Behagen, das ich in meinem Leben kenne. Glück muß einem das Herz zerschmelzen und die Brust zersprengen.«

»Chiara, das klingt fast, als ob dein Glück weh täte!« rief Agnes erschrocken.

Chiara preßte die Hände auf die Brust und murmelte: »Du hast recht, kleine Schwester, vielleicht tut großes Glück weh … Aber gelt, das verstehst du noch nicht?« Sie beugte sich herunter, um das Kind auf die Stirne zu küssen, aber die Kleine suchte der Schwester Mund.

»Chiara,« flüsterte sie, »wenn du mit mir sprichst, bin ich kein Kind mehr, ich kann fühlen wie du, durch dich hindurch, weil ich dich so sehr lieb habe. Wenn ich's auch mit Worten nicht so deutlich machen kann, ich verstehe dich doch in meinem Herzen, auch was du von Bernardones Sohn gesagt hast.«

»Ich meine, du solltest dir an all dem Guten genügen lassen, das dich umgibt«, sagte Beatrix trocken. »Ich finde unser Leben schön, gerade so wie es ist.«

»Und ich,« rief Agnes begeistert, »ich möchte große Taten tun. Ich möchte in den Krieg ziehen gegen die Ungläubigen …«

»Und elend zugrunde gehen wie die armen Geschöpfe des unseligen Kinderkreuzzugs, die in diesem Jahr durch unser Land zogen!« entgegnete Beatrix schaudernd. »Ich höre noch ihren Ruf: ›Herr Jesu, gib uns dein Kreuz zurück!‹ Und so elend sahen sie aus, krank und verhungert! Ah, mir kochte das Blut über die Mönche, die sie dazu verführt hatten …«

»Ja, das war furchtbar!« flüsterte Chiara, »und dennoch – es war gewaltig und peitschte die eigene Trägheit auf.«

Pferdegetrab tönte auf der gepflasterten Straße, die unterhalb des Hauses an der Bergwand herführte. Unwillkürlich beugten sich die Mädchen aus dem Fenster heraus, auch Beatrix sprang auf, daß ihre Schere zu Boden klirrte.

Auf einem milchweißen Pferde saß ein feingekleideter Jüngling, mit hochmütig geschwungenen Augenbrauen in dem farblosen Gesicht. An seiner Seite ritt ein freundlicher, bärtiger Mann, der grüßend die Hand hob, als er Beatrix gewahrte.

»Nicolo«, sagte sie errötend und erwiderte den Gruß.

Als der Jüngling die Mädchen erblickte, spornte er sein edles Tier, daß es hoch aufstieg und nur mit Mühe gebändigt werden konnte. Ihm folgten etliche berittene Diener in voller Kriegsrüstung.

»Leonardo«, murmelte Chiara mit erblaßtem Gesicht und wich zurück. »Sahst du das Blut an den Weichen des Tieres, und das Kind, das sich mit Mühe vor seinen Hufen rettete?«

»So sind die jungen Ritter alle«, meinte Agnes altklug. Ihr gefiel das kühne Reiterkunststück, vor dem es der sanften Schwester schauderte.

»Nie werde ich sein Weib werden, Agnes!« rief sie leidenschaftlich, »nie!«

Erschreckt von der Heftigkeit der sonst so ruhigen Schwester, blickte Agnes sie unsicher an. Aber schnell nahm diese sich zusammen. Sie strich dem Kind die Locken aus der braunen Stirne und sah ihr in die dunkeln Augen voll schlummernder Leidenschaft.

»Ich will mit dir in die Wiesen gehen, Schwesterchen«, sagte sie in heiterem, leichtem Ton, »lege die Stickerei weg, Pater Giacopone bekommt sein schönes Gewand noch bald genug; ich sehe, wie dich die Sonne lockt. Wir wollen große Sträuße pflücken, einen legen wir in den Dom vor das Bild der heiligen Mutter, und von dem andern wollen wir uns Kränze flechten und unser Zimmer schmücken.«

Beatrix wendete sich zu den Schwestern; sie hatte ihrem Verlobten nachgesehen, bis er um die Ecke gebogen war.

»Chiara,« sagte sie mit erschreckten Augen, »ein Fiumi und ein Nepis reiten friedlich zusammen zur Schlacht. Denkst du daran, wie vor Jahren die Fiumi durch Verrat ermordeten, was von den Nepis in ihre Hände fiel?«

Chiara nickte ernst.

»Und wenn der alte, blutige Zwist wieder zwischen ihnen aufstünde? Und du eine Fiumi wärest und ich eine Nepis?«

»Ich werde eine Sciffi bleiben, Beatrix, fürchte nichts.«

»Nein, nein, das sollst du nicht, es war nur ein Gespenst, das mich schreckte. Weil ich Nicolo liebe und um ihn zittere. Ach Chiara!« sie warf sich in der Schwester Arme, »seine Küsse sind mir süßer, als alles auf der Welt. Zu denken, daß ich einst an seinem Herzen einschlafen werde, mit ihm zu leben, mit ihm zu sterben! O daß die Heiligen ihn behüteten in dieser friedlosen, blutigen Zeit! – Wo sie jetzt wieder hinreiten?«

»Nach Perugia, um die Stadt für einen Überfall zu strafen, begangen an Averardo, dem Tuchkrämer«, tröstete Chiara und küßte die weinende Schwester.

Agnes sprang ungeduldig zur Türe. »Gehen wir jetzt? Ich habe Blumen so gern, lieber als alles Spielzeug und allen Schmuck.«

»Ja, Blumen sind schön; gerade als ob sie aus dem Paradiese kämen«, sagte Chiara, sich aufraffend. »So rein und klar, gar nicht wie von dieser Erde mit ihrem Staub und Blutvergießen. Vielleicht haben wir sie deshalb so lieb.«

»Du weißt alles so gut, Chiara, aber ich weiß auch etwas!« Agnes lachte schalkhaft, dann bog sie den Kopf der großgewachsenen Schwester zu sich herunter, daß die offnen Blondhaare ihr über die Schultern fielen und flüsterte ihr zärtlich ins Ohr: »Du bist auch wie eine Blume, Chiara, und kommst auch gerade aus dem Paradies.«


Vom Dome San Rufino läuteten die Glocken in früher Abendstunde. Über den schneebedeckten Gipfeln des Apennin hingen tief die schwarzgrauen Regenwolken nieder, und die herabsinkende Dämmerung mischte sich mit der Dunkelheit des stürmischen Tags. Dennoch waren die Gassen Assisis nicht verlassen. Auf dem harten Pflaster klapperten die Holzsandalen humpelnder alter Weiber, halbwüchsiger Kinder und wilder, bärtiger Männer, die aussahen, als ob sie Räuber wären. Man konnte sich fürchten, ihnen in der Nacht auf einsamer Straße zu begegnen.

Aber auch einige gutgekleidete Frauen, den warmen Pelz über das schleppende Tuchkleid geschlagen, schritten der Kirche zu, und stattliche Edelleute, dazwischen Mönche in grauen und braunen Kutten, den Geißelstrick um die Hüften geschlungen, die Kapuze gegen den Sturm über die geschorenen Köpfe gezogen.

Aus einer steilen Seitengasse heraus traten Chiara und Agnes Sciffi. Chiaras helle Haare waren von einem dichten Schleier bedeckt, den sie mit der Hand unter dem Kinn festhielt, während Agnes sich lachend den Regen in das braune Gesicht schlagen ließ und ihre dunkeln Locken unbedeckt dem Sturm preisgab.

»Nun ist's doch endlich wahr geworden, jetzt dürfen wir deinen Francesco, der die ganze Stadt bewegt, predigen hören«, sagte Agnes mit funkelnden Augen.

» Meinen Francesco?«

»Nun ja, deinen; du und Tante Bona, ihr habt es doch bei der Mutter durchgesetzt.«

»Sie tat es nicht gern, wegen Vater,« sagte Chiara sinnend, »und ich weiß nicht, mir ist fast bang zu Mut, wie wenn ein Gewitter oder ein Erdbeben in der Luft läge. Fühlst du nichts?«

»Gar nichts, mir ist wie alle Tage, nur sehr neugierig bin ich. Du bist doch nicht krank, Chiara? Deine Wangen sind so blaß.«

Ein Schauer lief durch des Mädchens Gestalt, aber sie schüttelte den Kopf. »Es ist nichts. Sieh nur, wie schön der Himmel sich färbt.« Sie deutete nach Westen, wo ein schwefelgelber Schein unter schwarzen Wolken hervorbrach und hell ein kleines Kirchlein unten im Tal beleuchtete, hinter dem dunkler Steineichenwald sich stundenlang ausdehnte.

»Gerade scheint die Sonne auf das goldene Kreuz von Santa Maria degli Angeli, der Portiuncula, wie sie's nennen!« rief Agnes. »Sieh, wie hübsch das aussieht. Dort wohnt Bruder Francesco, weißt du das?«

Chiara nickte und zog die Schwester zur Kirche, deren Glocken verstummt waren. Ein Bettler öffnete ihnen die Türe, und die Mädchen fanden sich in dem dämmernden Raum des Domes. Durch das bunte Glasfenster leuchtete ein letzter verlorener Sonnenstrahl, und vom Altar zitterten die gelben Flammen einiger Wachskerzen.

Still knieten Chiara und Agnes nahe der Kanzel auf den kalten Steinboden, denn es gab keine Bänke in dem schönen neuen Gebäude. Die gewaltigen viereckigen Säulen aus rötlich geädertem Marmor stiegen zu beiden Seiten des Mittelschiffs auf und hoben die Decke hoch hinauf; über dem Hauptaltar ragte noch höher die runde Kuppel empor, deren bunte Fresken aber im Dämmer erloschen. Der Glockenturm war noch nicht vollendet; in dem ewigen Krieg, bald mit Perugia, bald mit Spello, war das Geld ausgegangen.

Es war still in der gefüllten Kirche, nur ein leises Wispern und Rauschen, wie von vielen Menschen, die auf etwas warten. Einige Männer gingen auf und ab, und ihr wuchtiger Schritt hallte im Gewölbe; sie sprachen lebhaft mit den weitausholenden Gesten des Südländers, aber mit gedämpfter Stimme. Auch kleine Kinder liefen zwischendurch und rollten einen Ball. Von der Messe am Morgen her hing noch Weihrauchduft in der Luft; an der Kanzel zündete der Sakristan eine Kerze an.

Und plötzlich stand eine kleine, braune Gestalt dort oben. Niemand hatte Bruder Francesco kommen sehen, der auf nackten Füßen unhörbar über die Fliesen geschritten war, mitten zwischen den spielenden Kindern hindurch.

Nun verstummte auch das letzte Flüstern; die Männer stellten ihr Wandern ein und kamen näher, die Mütter lockten ihre Kinder herbei und betteten sie in ihren Schoß, daß sie ruhig wurden und einschliefen. Der Mönch kniete nieder zum stillen Gebet. Die flackernde Kerze beleuchtete hell sein junges, hageres Gesicht, über dem ein Glanz von Ekstase lag. Dunkle, sanfte Augen wurden von geraden Brauen überschattet; die Nase war fein und schmal, die Hände klein und lebhaft, ein schwacher brauner Bart deckte Kinn und Mund.

Dann klang seine Stimme stark und voll Wohllaut durch die Kirche. »Gott gebe euch den Frieden!«

Da hob Chiara das gesenkte Haupt, denn es war ihr, als ob das rätselhafte Bangen bei diesem Friedensgruß von ihr gewichen wäre. Und Francescos Worte flossen über sie hin, gewaltig und doch mild, und fanden ihr Herz offen, daß sie fühlte, als seien sie gerade allein für sie gesprochen.

Des Mönches Rede war so kunstlos und schlicht wie die eines Kindes, aber eine innere Glut loderte darin; sie war ungelehrt wie die eines Bauern und doch voll tiefer Weisheit. Aber was am stärksten ergriff, das war die Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit, die aus jedem Wort, aus jeder der natürlichen Bewegungen seiner Hände, aus dem offenen Klang seiner Stimme sprach.

Das fühlten die Hörer, das fühlte Chiara, und das Herz in ihr brannte, diesem Manne zu folgen, der aussprach und lebte, was sie ersehnte: die völlige Hingabe an etwas unendlich Großes.

»In der Armut ist die Freiheit, in der Armut ist die Liebe. Oder was macht den endlosen Krieg und das schreckliche Blutvergießen zwischen den Völkern und Städten, oder was entzündet den Streit zwischen den Kindern einer Familie, oder was schafft Feindschaft zwischen den Armen und Reichen dieser Stadt? Sind es nicht die Güter dieser Welt, die die Herzen der Menschen trennen? Sie trennen auch die Herzen der Menschen von Gott. Und doch ist in Wahrheit nichts wirklich, als nur Gott, er ist die süßeste, lebendigste Wirklichkeit.«

Die Zuhörer murmelten lebhaft ihre Zustimmung.

»O meine Brüder, meine Schwestern! Gott gab mir Gnade, daß ich dies erkannte, und daß ich alles, was mich trennte, hinter mich werfen konnte. Und ich begann die Armut zu lieben, die mich frei wie den Vogel machte und liebend gegen jedes Geschöpf. Er nahm den goldenen Schein des Reichtums vor meinen Augen weg, daß ich sah, er ist Schmutz und keine wahre Freude für das Menschenherz. Und ich konnte mein Herz ganz an Gott geben; er erfüllte es mit solcher Süßigkeit, daß ich fast daran zu sterben glaubte. Da erwachte eine große Liebe zu allen meinen Brüdern in mir, sonderlich zu den Armen und Aussätzigen, daß ich nichts begehrte, als ihnen zu dienen und sie an meinem Glück teilnehmen zu lassen.«

Chiara seufzte tief auf vor der Macht des Gefühls, das ihr Herz sprengen wollte.

»Ich bete zu Gott, daß er auch euch diese Wahrheit zeige, Armen und Reichen, und euch den Weg führe zur vollkommenen Freude, zur vollkommenen Liebe, zur vollkommenen Hingebung.«

Nun faßte er das hölzerne Kruzifix, das an seinem Gürtel hing, und hielt es in den betend ausgestreckten Händen dem Volke hin. Seine Stimme wurde leise und voll heimlicher Inbrunst; es war so still in der Kirche, daß man den sanften Atem der schlafenden Kinder hörte.

»O du großer, allmächtiger Gott, heiligster Vater! Wir sind dein! Du hast uns geschaffen, du hast uns erlöst, du bist voll Liebe gegen uns, die Bösen, die Elenden, die Undankbaren, die Unwissenden. Wir wünschen nichts anderes, wir suchen nichts anderes als nur dich, Herr und Erlöser, der du gegen uns voller Gnade und Liebe bist, voller Verzeihung und Güte, ohne Anfang und ohne Ende. O allmächtiger Gott, o süßester Jesus, o erbarmender Vater, o heiligster Erlöser, hier sind wir, und wir sind dein. Amen.«

Draußen war es völlig dunkel geworden, die Kerzen auf dem Altar gaben schwachen Schein, wie Glühwürmchen in einer Juninacht; sie erleuchteten die blitzenden Silbergeräte und die teppichbelegten Stufen, auf denen ein Weib mit einem schlafenden Kind kauerte. Aber wie ein schwarzes, lebendiges Meer, so knieten die Menschen auf dem Boden in der Finsternis der hohen Halle, und nur ein leises Wogen und Zittern ging durch ihre Massen, wie ein starker Herzschlag.

Frauen schluchzten und schlugen sich leidenschaftlich an die Brust, Männer neigten den Kopf tiefer, um die Träne zu verbergen, die ihnen heimlich in den Bart rollte.

»Amen«, sagten in tiefem Baß die rauhen Stimmen der Mönche, die im Hintergrund standen wie eine bewegungslose Mauer.

Bruder Francesco hatte geendet. Bei den letzten Sätzen war er in die Kniee gesunken, und so blieb er mit ausgebreiteten Armen in Verzückung und Erstarrung, die sich auch auf die Hörer legten. Endlich erhob er sich und schritt schwankend die Stufen der Kanzel hinab. Da kam Bewegung in das Volk. Es drängte ihm nach, einige suchten seine Kleider zu küssen, seine Hände; etliche Priester standen von ferne und flüsterten miteinander. Nur schrittweise kam der Prediger vorwärts, immer neue Scharen kamen herzu und verstellten ihm den Weg. Aber er schien sie nicht zu sehen, seine Seele war noch nicht in die Wirklichkeit des täglichen Lebens zurückgekehrt.

Nun staute sich die Menge an der Säule, wo Chiara noch allein zurückgeblieben war. Sie hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen und sah und hörte nicht, was um sie vorging. Hinter ihr stand Agnes; Verlegenheit malte sich auf ihrem kindlichen Gesicht. Zweimal schon hatte sie der Schwester Namen gerufen, hatte sie am Kleid gezupft; sie hatte sich nicht gerührt.

Als Francescos brennende Augen die einsame betende Mädchengestalt sahen, so hingesunken, so selbstvergessen, kehrte seine Seele wieder ins Bewußtsein zurück. Er wehrte fast schüchtern der andrängenden Verehrung und verbarg seine schmalen Hände vor den Küssen der Menge in der Kutte. Dann schaute er durchdringend auf Chiara, und in demselben Augenblick hob das Mädchen den Kopf, und Francescos flammende Augen begegneten den ihren. Eine Sekunde lang durchdrangen sich ihre Blicke bis in die Tiefe der Seele hinab, dann schritt der Mönch zögernd vorüber.

Die letzten alten Weiblein hatten die Kirche verlassen, schlurrend auf den Marmorfließen löschte der Sakristan die Kerzen, immer noch starrten Chiaras Augen auf die Türe, durch die Francesco verschwunden war.

»Chiara, Chiara!« drängte Agnes, geängstigt von der Blässe im Gesicht der Schwester und ihrem seltsamen Wesen, »man schließt die Türe, wir müssen gehen.«

Endlich erhob sich das Mädchen, ohne ein Wort zu sprechen; sogleich ergriff Agnes ihre Hand, denn sie ging wie im Traum. Das Kind wagte nichts zu fragen, nichts zu reden, nur ein großes, rätselhaftes Bangen, wie vor einem gewaltigen Schicksal, das an ihr vorüberschritt, beengte ihr das Herz. Aber sie verstand nicht, was es war.

Auf der Straße war es finster, der Regen schlug ihnen ins Gesicht, nur aus einigen Fenstern fiel der schwache Schein eines trübe brennenden Öllämpchens über die Straße. Auf dem gewundenen Pfad, den Berg hinunter nach der Portiuncula, bewegte sich ein Licht, das einige dunkle Männergestalten in langen Kutten beschien. Im Westen war ein greller Spalt in der schwarzen Wolkendecke, aus dem ein düsterrotes Licht auf die Erde fiel.

Erschauernd legte Chiara den Arm um die stille Schwester. »Laß uns heimgehen«, sagte sie leise.


Von dem kleinen Zimmer, das Chiara und Agnes Sciffi bewohnten, hatte man den Blick in die weite Ebene, in der die Bäume jetzt anfingen mit zartgrünen Schleiern ihre Häupter zu schmücken. Weiß und staubig zog sich zwischen Wiesen und Olivengärten die Straße nach Rom hin, die weiter draußen in den immergrünen Steineichenwald mündete. Lastfuhrwerke knarrten dort, von großen, weißen Ochsen gezogen, und von Berittenen begleitet, zum Schutz gegen Räuber und Raubritter. Man hörte den langgezogenen Ruf der Treiber und das Knallen der Peitschen bis in das stille Mädchenzimmer herauf. Dazwischen kamen wieder kleine Trupps Soldaten in schweren Rüstungen auf kräftigen Schlachtrossen, oder leichter gekleidete Bogenschützen, die dem Rufe Kaiser Friedrichs folgten, denn Assisi war ausnahmsweise einmal auf Seiten des Staufen. Oder es waren bewaffnete Horden, die ihre räuberischen Streifzüge unter irgend einem italienischen Anführer auf eigene Verantwortung machten; denn das Leben galt nicht viel in dieser Zeit, es wurde wegen eines unbesonnenen Wortes aufs Spiel gesetzt.

Aber zu Chiaras Ohren drang kein Lärm. In der Ecke ihres Gemachs kniete sie vor dem Betpult, und ihre Augen hafteten auf dem steifen Wandbild des Gekreuzigten, mit dem ein Maler der Stadt ihr Zimmer geschmückt hatte.

Wohl hielt sie in den schmalen Händen lässig den Rosenkranz aus bunten Venezianerperlen, aber ihre Lippen flüsterten kein Vaterunser und kein Ave Maria, deren auswendig gelernte Worte sie sonst mit der kindlichen Andacht ihres jungen Herzens anfüllte und beseelte. Ein Sturm war in ihr, der keine Worte fand, ihre Gefühle strömten sprachlos dahin und gewaltig, wie der Frühlingsbach, den die Sonne mit tauendem Schnee von den Bergen gespeist hat.

Niemand konnte sie verstehen zu Hause, zu niemand konnte sie reden, nichts konnte sie tun, als sich zu den Füßen Gottes werfen und Wonne und Leid ihm in die treuen Hände zu weinen. Wie eng verbunden! Wo begann das Leid? Wo hörte das Glück auf? Alles war anders geworden, seit sie in Francescos Augen gesehen, seit sie seine Worte gehört hatte. Ein doppeltes war in ihr erwacht: das Weib, das den gefunden hat, dem sie gehört, als ob es vom Anbeginn der Welt so für sie bestimmt sei, und die Seele, die ein höheres Leben in sich wachsen fühlt, die sich gebunden sieht im Himmel und gelöst von dem Schein der Erdendinge. Chiara, das holde Kind, war in einer gewaltigen Stunde gestorben, Chiara, das Weib und der Mensch, in derselben Stunde geboren.

Und trug große Wonne und großes Leid – – –

 

Es klopfte an die Türe, erst leise, dann stärker. Hastig sprang die Betende auf und sah sich verwirrt um. Es klopfte zum drittenmal, stark, ungeduldig.

»Herein«, sagte sie matt.

Die Türe öffnete sich, eine Männerhand schob den schweren, bunten Vorhang beiseite, und Leonardo trat ein.

»Ich grüße Euch, Chiara!« sagte er und küßte ihr die Hand.

Sie ließ es geschehen und neigte nur schweigend den Kopf, ohne den schlanken Mann im ritterlichen Gewand anzublicken, dessen scharfes Profil sich dunkel von dem hellen Himmel draußen abhob.

»Verzeiht, wenn ich Eure Andacht störe«, er sah eifersüchtig auf den Rosenkranz, den sie noch in der Hand hielt. »Eure Eltern erwarten Euch unten im Speisezimmer und haben mich geschickt, Euch zu holen. Beatrix und ihr Verlobter sind auch unten.«

»So laßt uns gehen«, sagte das Mädchen hastig und schritt nach der Türe.

»Verweilt einen Augenblick, Chiara, und weicht mir nicht immer aus …«

»Was wollt …« fiel Chiara ein und verstummte dann vor dem heißen Erobererblick des Mannes.

»Ihr wißt, daß ich Euch von Euerm Vater zur Gattin erbeten habe, und daß er Euch mir zugesagt hat?«

Sie neigte bejahend den Kopf.

»Ich wünsche, Euch im nächsten Monat in mein Haus heimzuholen, und Eure Eltern sind einverstanden.«

»Genügt Euch das, Leonardo?« fragte das Mädchen kalt, während ihr Herz doch bang klopfte.

»Nein, es genügt mir nicht,« erwiderte er vorwurfsvoll, »deshalb habe ich diese Unterredung mit Euch gewünscht. Noch keinen einzigen freundlichen Blick habt Ihr mir geschenkt, solange ich um Euch werbe, nicht die kleinste Zärtlichkeit habt Ihr mir gestattet.«

»Und versteht Ihr nicht, was das bedeutet?«

»Ich will es nicht verstehen, Ihr könntet es sonst bereuen«, antwortete Leonardo finster. »Ich hatte ein schönes weißes Pferd, aber es war wild und schlug aus, wenn ich ihm nur nahte. Ich habe es durch Gewalt der Peitsche und mit scharfen Sporen unter meine Hand gezwungen; es wiehert nun vor Freude, wenn meine Hand es liebkost, nach der es früher gebissen.«

»Und Ihr gedenkt wohl diese – Pferdedressur auch bei Euerm Weibe zu versuchen?« fragte Chiara spöttisch.

»Wie klug Ihr seid, Chiara!« Der Ritter musterte mit begehrlichen Augen das Mädchen, das unter seinen zudringlichen Blicken erglühte.

»Ich werde Euch keine Gelegenheit geben, Eure Kunst an mir zu erproben«, sagte sie stolz und trat einen Schritt zurück.

»Was habt Ihr gegen mich einzuwenden?« rief zornig der Verschmähte. »Bin ich nicht von ansehnlicher Gestalt? Ist mein Haus nicht das schönste, mein Geschlecht das mächtigste in Assisi? Bin ich nicht von Kaiser Heinrich selbst zum Ritter geschlagen worden?«

»Ich möchte wissen, warum«, antwortete Chiara mit herbem Spottlächeln. »Von Euerm Rittertum merke ich nur die schönen Kleider und daß Ihr die – Pferdedressur zu verstehen Euch rühmt. Oder haltet Ihr es für ritterlich, eine Jungfrau zu verfolgen, die überall Euch zu verstehen gibt, daß sie nichts von Euch wissen will? Oder auf der Straße kleine Kinder zu überreiten, nach den Bettlern, die Euch im Wege sind, mit der Peitsche zu schlagen?«

Des Mannes Stirne rötete sich im Grimm. »So schickt mich in die Schlacht und laßt mich Euch zeigen, daß ich noch mehr verstehe als reiten, ich kann auch …«

»Menschen töten und unschuldiges Blut vergießen.«

»Siegen«, verbesserte Leonardo mit Nachdruck.

»Ihr denkt, daß das Euch mir werter macht?«

Drohend trat der Ritter vor das Mädchen. »Spottet nicht, Chiara, es könnte Euch gereuen. Ihr wißt, ich bin rasch zum Zorn und kann vergessen, daß Ihr ein Weib seid, das Weib – das ich liebe.«

Chiara wurde ernst. »Ihr wißt, daß ich das nicht von Euch hören will, ich bitte Euch so sehr, erspart mir eine neue Abweisung.«

»So liebt Ihr einen andern?« Eifersüchtig bohrten sich seine stählernen Augen in das errötende Gesicht des Mädchens.

»Ich gedenke ehelos zu bleiben«, antwortete sie leise.

»Und ins Kloster zu gehen?«

Scheu sah Chiara auf. Um ihren Mund bebte es. »Davon habe ich nichts gesagt«, flüsterte sie.

Schweigend blickte Leonardo sie an, wie sie in lieblicher verwirrter Jungfräulichkeit vor ihm stand. Ein ihm fremdes zärtliches Gefühl wallte in seinem Herzen auf.

»Chiara,« sagte er rauh, »es ist das Beste in mir, das Euch zum Weibe begehrt, Ihr werdet es nicht bereuen, so wahr ich aus ritterlichem Geschlecht bin.«

Das Mädchen stutzte und erblaßte.

»Ich kann nicht,« kam es tonlos von ihren Lippen, »quält mich doch nicht.«

Ihre Hände zerrten ratlos an dem Rosenkranz, sie wußte nicht, was sie tat. Da riß die Schnur, und die schimmernden Perlen rollten auf den bunten Teppich am Boden; niemand bückte sich darnach. Um Chiaras Mund zuckte es von kommenden Tränen.

Leonardo sah es; ohnmächtig ballten sich seine harten Fäuste und lösten sich wieder, wie in Mutlosigkeit.

»So will ich Euern Eltern Bescheid geben und gehen,« sagte er finster, »für heute … denn ich habe Eures Vaters Wort, und das gilt mehr als das der Tochter.« Er verbeugte sich förmlich und ging zur Tür.

»Lebt wohl,« kam es erleichtert von Chiaras Lippen, »und zürnt mir nicht, Leonardo«, fügte sie mädchenhaft hinzu.

Der Ritter erwiderte nichts, nur seine hochmütigen Augenbrauen zuckten; dann hörte das Mädchen seine klirrenden Schritte auf der Treppe verhallen.


Die Eltern erkannten das Gemüt ihrer Tochter nicht. Wenige Stunden später mußte Chiara ihr Tun vor ihnen verantworten.

»Du bist hochmütig, und kein Mann ist dir gut genug«, zürnte der Vater. »Wir haben dir zu viel freien Willen gelassen, nun lerne gehorchen.«

Und die Mutter blickte sie mit tränenvollen Augen an, ob des Unfriedens, den sie in das friedliche Haus durch ihre Widerspenstigkeit brachte.

»Laßt mich doch hier bei euch bleiben, Mutter, und in Stille euch und Gott dienen, ich verlange nichts anderes«, bat Chiara weinend. Aber es war umsonst.

»Alle deine Gespielen haben tüchtige Männer gefunden«, klagte Ortolana Sciffi. »Laurenzia Brizzi wiegt schon ein Enkelkind auf den Knieen, warum willst du allein ungehorsam sein und mir Freuden versagen, auf die ich ein Anrecht habe? Es ist wider die Natur.«

»Ach Mutter, Mutter!« sie faßte flehend nach der Mutter Kleid.

»Kein Wort weiter!« herrschte Favorino Sciffi die zitternde Tochter an, »in einem Monat bist du Leonardos Weib, wie ich versprochen habe, basta!« Zornig verließ er das Zimmer, ohne das weinende Mädchen anzusehen.

»Der Vater wird sich nicht länger hinhalten lassen, so sehr ich ihn zu beschwichtigen suche«, meinte gutmütig die Mutter, bewegt von der Qual im Gesicht ihrer jungen Tochter.

»So mag Gott mir helfen!« sagte Chiara, und um den weichen Mund grub ein schwerer Entschluß eine harte Furche.

»Ja, möge er deinen ungehorsamen Sinn erweichen«, damit löste Ortolana das Kleid aus ihres Kindes Hand und verließ im Kummer das Zimmer, um noch einmal mit dem Gatten zu reden und Aufschub zu erbitten, denn im geheimen liebte sie ihre Tochter und bewunderte sie wegen ihrer Schönheit und Frömmigkeit.

»Du wirst es bereuen«, sagte Beatrix überredend. »Was willst du tun? Ehelos bleiben? Reiß das Leben an dich und trinke in vollen Zügen, du weißt nicht, wie lang es dir geschenkt ist. In Florenz wütet die Pest und verschont weder den tapfern Krieger noch die blühende Jungfrau. Ach, Chiara, und das Leben ist so schön!«

»Ein Leben als Leonardos Gatte wäre mir die Hölle, jetzt mehr als je«, sagte leidenschaftlich das Mädchen. »Was ich verehre, ist ihm gleichgültig; was ich anbete, verspottet er …«

Verwundert blickte Beatrix ihr ins Gesicht. »Du bist so verändert! So wie du jetzt sprichst, könntest du nur ins Kloster gehen. Ach, Schwester, und du weißt nicht, was du für süße Weibesfreuden dann entbehrst.«

»Ich weiß es«, sagte das erglühende Mädchen mit niedergeschlagenen Augen.

»Dem geliebten Gatten holde Kinder schenken, dich für ihn mit köstlichen Kleidern schmücken, von allen Freundinnen beneidet werden, für ihn sorgen …«

»Dem geliebten Gatten …«, betonte Chiara herb.

»Du wirst Leonardo lieben lernen.«

»Nie!«

»So sagen alle,« lächelte Beatrix erfahren, »warte, bis dein Blut erst heißer durch die Adern rollt, wenn er dich küßt!« Sie lief lachend hinaus, ohne der Schwester entrüstete Antwort abzuwarten.

Im Fensterwinkel kauerte Agnes und hörte mit großen, erschrockenen Augen der Auseinandersetzung zu. In dem jugendlichen Mädchen glomm ein Verständnis empor, das der Mutter und der Schwester fehlte. Leise schlich sie zu Chiara hin. Mit einer zarten Liebkosung legte sie ihre bräunliche Wange an die rosige der Schwester, die bei dieser sanften Berührung zu weinen anfing.

»Nicht weinen, meine Chiara!« bat das Kind und zergrübelte sich das Herz, wie es der Schwester helfen könnte, weltunerfahren wie sie war.

»Weißt du, was du solltest? Geh hin zur Portiuncula und frage nach Bruder Francesco, sage ihm alles, und was er dir rät, das tue.«

Ein tiefes Rot überzog Chiaras Gesicht. Das sollte sie? Einem fremden Mann ihr Herz öffnen und ihr heiligstes Empfinden offenbaren?

Ihre Lippen zitterten. »Wie kann ich das?«

Aber Agnes spürte die leise Hoffnung durch diese Worte hindurch.

»Das kannst du gut«, sagte sie, glücklich über den Ausweg, den sie gefunden hatte. »Ich begleite dich bis nach Santa Maria degli Angeli, und du gehst dann zur Hütte Francescos. In der Kirche warte ich auf dich.«

Ein hoffender Schein flog über Chiaras Gesicht, aber die Scham brannte immer noch auf ihren Wangen, daß sie lieblich aussah wie eine Braut.

»Wir wollen gleich jetzt gehen!« rief Agnes ungestüm, »ich kann deine Trauer nicht mehr ansehen, keinen einzigen Tag länger. Der gute Bruder Francesco wird dir sicher helfen können.«

In des Mädchens Herzen tönte ein lautes Ja. Zu wem auf der ganzen Welt hatte sie so grenzenloses Vertrauen, als zu dem, der ihr Herz zum Leben erweckt hatte? Der mußte nun auch den Weg wissen, auf dem sie wandeln konnte in Reinheit und Güte. Die klaren Augen, die ihr ins Herz gesehen hatten, durfte sie nicht scheuen, sie konnten ihr Tun nicht mißverstehen, wenn es auch ungewöhnlich war.

Heimlich schlichen sich die Mädchen durch eine Gartenpforte aus dem Haus. Der Weg führte sie aus dem Umkreis der Stadtmauern heraus, auf steilen Pfaden zwischen Olivengärten hindurch, deren graugrüne Wipfel leise im Winde rauschten. Üppig stand darunter das Gras, das von der Glut des Sommers noch nicht verbrannt war, und das mit roten Anemonen und andern Frühlingsblumen wie ein bunter, fröhlicher Teppich sich vor ihren Füßen breitete. Nun waren sie im Tal, und ihre Schuhe wurden weiß vom Staub der Straße. Auf dem ersten Teil des Weges hatte das Dach der kleinen Kirche ihnen zugewinkt, greifbar nah und lockend, dann war es verschwunden, als sie den Wald betreten hatten, und jetzt endlich blinkte es wieder hell vor ihnen auf und grüßte sie mit der gastlich geöffneten Tür wie ein Asyl in menschenverlassener Wildnis.

Aber nun entsank Chiara der Mut. Hilfesuchend blickte sie die kleine Schwester an, die sich auch zaghaft umsah, denn nirgends war ein menschliches Wesen zu sehen.

»Chiara, du bist eine Grafentochter, du mußt tapfer sein«, ermutigte endlich Agnes sich und die Schwester. »Ich gehe jetzt in die Kirche und bete, daß Gott dir dein Vorhaben gelingen lasse, und daß die heilige Mutter Maria dich behüte.« Damit machte sie sich von der Hand der Schwester los und verschwand in der ärmlichen Kapelle.

Mit klopfendem Herzen wandte sich das allein gelassene Mädchen nun rechts dem Walde zu, um nach der Hütte Francescos zu suchen. Als sie aufs Geratewohl einen schmalen, kaum erkennbaren Pfad einschlug, trat ihr plötzlich aus dem Lorbeergebüsch die vierschrötige Gestalt eines braunen Bußbruders entgegen, der sie mit rauher Stimme anfuhr: »He, Mädchen, was willst du hier? Wir können keine Weibsleute da brauchen, das wäre noch schöner!«

Erschrocken hob Chiara die blauen Augen zu dem rauhen Mann. »Ich will Bruder Francesco sprechen«, sagte sie leise.

»Sie will Bruder Francesco sprechen, sagt sie, und ist wohl gar ein feines Fräulein aus der Stadt?« Er musterte mißtrauisch das grüne Tuchkleid, dessen Schleppe Chiara in der Hand trug. »Bruder Francesco ist auf Damenbesuch nicht eingerichtet, Mädchen, und du tätest besser daran, umzukehren und zu deiner Mutter zu gehen.«

»Ich muß ihn aber sprechen«, sagte Chiara fest.

»So, so, sie muß ihn sprechen!« polterte der Mönch, dem ein gutmütiges Lächeln unter dem struppigen Bart um die Lippen spielte. Ein Weilchen beobachtete er sie scharf aus seinen kleinen, umbuschten Augen, wie sie blaß und ernst vor ihm stand, dann sagte er mit einem drolligen Seufzer: »Nun, so komm, Frauenzimmer, und paß auf, daß dein feines Gewand nicht an Francescos Rosengärtlein zerreißt. Schad' wär's zwar nicht um den Plunder, mit dem ihr dem Teufel Seelen einfangen helft!«

Zitternd folgte Chiara dem vorausgehenden Mönch den Weg zurück, den sie gekommen war, durch Gestrüpp und Dornen, die ihre blonden Haare zausten und die Hand blutig rissen, während der Mönch unbekümmert mit nackten Sohlen darüber hinschritt. Nach wenigen Minuten waren sie an einer verborgenen Hütte angelangt, aus Baumzweigen geflochten und mit Lehm beworfen, deren Eingang mit einer Brettertür zugeschlossen war.

»Siehst du, Mädchen, du hättest umkehren sollen, Bruder Francesco hat die Türe geschlossen und will nicht gestört sein.«

»So bitte ich dich, klopfe an und frage«, bat Chiara.

Brummend rieb sich der Mönch die Stirne, er schien unschlüssig.

»Wenn wir in einem rechtschaffenen Kloster wären, dürftest du überhaupt nicht daher, aber unser Vater ist für Freiheit. Nur weil er so heilig ist, kann er das tun, verstehst du?«

»Käme ich sonst daher?« fragte Chiara stolz. »Frage ihn, ob er mich im Beichtstuhl sprechen will.«

Der Mönch nickte wohlgefällig. »Das läßt sich hören. Bruder Francesco ist zwar kein Priester …« Chiara machte eine ungeduldige Bewegung.

»Nun ja, ich klopfe schon.« Er nahm einen Zweig vom Boden auf und schlug damit an die Türe.

»Bruder Francesco, mache die Türe auf, ich bin es, Juniperus.«

Nach einigen Augenblicken bangen Wartens, fragte eine Stimme zurück: »Was willst du, Bruder Wachholder?«

»Ich bringe ein Fräulein aus der Stadt, das dich sprechen will und sich nicht abweisen läßt.«

»Warum weisest du ab, wenn jemand meiner bedarf?« klang die Stimme mit leisem Vorwurf von innen, und die Türe ward zurückgeschoben. Da stand Francesco Chiara gegenüber, während Juniperus zu einer ferner gelegenen Hütte schritt.

»Tritt ein«, sagte der Mönch freundlich und ließ die Türe offen stehen.

Stumm, mit gesenktem Kopf stand Chiara in der dämmerigen Zelle, in der die Armut Herrin war. Sie hatte den Mönch nicht angesehen, Tränen zitterten an ihren Wimpern.

»Was willst du in der Hütte der büßenden Brüder, Chiara Sciffi?« fragte Francesco, da sie nicht sprach, mit sanfter Stimme.

Das Mädchen hob langsam die Augen zu ihm auf. »Du kennst mich, Bruder Francesco?« staunte sie.

»Ich kenne dich, Chiara Sciffi, besser, als du dich selber kennst.«

»Woher kennst du mich besser, als ich mich selber kenne?« fragte Chiara, und eine tiefe Bewegung bebte in ihren Worten.

»Ich sah dich in der Kirche, und du blicktest mich an; da öffnete Gott mir die Augen, und ich sah in dein Herz. Deshalb kenne ich dich besser, als du dich selber kennst, weil Gott dich mir gezeigt hat.«

Mit demütigen Augen schaute das Mädchen auf den Mönch, und eine heiße Wonne wogte verwirrend über sie. Sie war gekannt von ihm! Es war das erstemal, daß jemand ihr sagen konnte: Ich kenne dich. Welch ein göttliches Wort! Es nahm die Einsamkeit von ihrer Seele, es fügte sie ein in einen Strom starkflutenden Lebens. Sie fühlte, wie eine starke, treue Hand ihre tastenden Mädchenfinger faßte, und eine Stimme in ihrem Ohre flüsterte: Ich habe dich erkannt, Chiara Sciffi, fürchte dich nicht mehr. Und weil ich dich erkannt habe, gehörst du zu mir.

Sie senkte die Augen, überwältigt von brausendem Glücksgefühl.

»Wenn du mich kennst, so weißt du auch, was mich in die Hütte der büßenden Brüder geführt hat«, flüsterte sie scheu.

Stumm sah Francesco sie an, wie sie in mädchenhafter Lieblichkeit vor ihm stand: Die Wangen in Scham und Verwirrung erglüht, die blonden Haare vom weißen Schleier halb verdeckt, fluteten den Rücken herunter, und der Wind, der zur offenen Türe hereinkam, spielte mit ihnen.

»Ich denke, daß Gott selbst dich hierhergeführt hat, Chiara«, sagte er endlich, und strich sich über die Augen, wie um das holde Bild zu verwischen.

Sie nickte und schwieg.

»Du kamst, um mich etwas zu fragen?«

»Ich kam, dich um etwas zu bitten, Bruder Francesco …« Sie stockte. Schweigen hüllte die Beiden aufs neue ein.

Chiara blickte auf und sah den Mönch an. Es war ihr, als ob Gott selbst in diesem Menschen Wohnung genommen, solch ein heiliges Vertrauen durchflutete ihr Herz.

Langsam trat sie einen Schritt vorwärts und sank auf die Kniee zu seinen Füßen.

»Laß mich dein Leben teilen, Bruder Francesco«, sagte sie flehend. »Sie wollen mich einem Edelmann vermählen. Ich kann nicht seine Gattin werden.«

»O Chiara Sciffi, mein Leben kannst du nicht teilen, es ist zu schwer für eine Frau!« rief Francesco erschrocken.

»Hast du nicht gesagt, daß Gott selbst mich zu dir geführt hat?« fragte das Mädchen mutig.

»Ich habe es gesagt«, antwortete Francesco langsam.

»Ich kam zu dir,« flüsterte Chiara, »weil Gott mir ein grenzenloses Vertrauen zu dir ins Herz gelegt hat, ich werde alles tun, was du mir anrätst.« Sie hob die blauen tränenvollen Augen zu ihm auf, daß er bis in den Grund ihrer reinen liebenden Seele schauen konnte, dieser jungfräulichen Seele, die nach dem Unendlichen verlangte und nach seinem Dienst, und dabei nach seiner Hilfe die Hände ausstreckte. Er sah, hier war Blut von seinem Blut, hier war Geist von seinem Geist. Gott hatte ihm eine Schwester geschenkt auf dem rauhen Pilgerpfad des Lebens.

Erschüttert fand Francesco keine Worte; aber seine Seele hob sich über die Erde hinauf, und unaussprechliche Freude durchwallte sein Herz.

Still hatte das Mädchen seinem forschenden Blick standgehalten; vor diesem Menschen hatte sie nichts zu verbergen.

»Schwester Chiara,« sagte endlich Francesco, »das Leben der büßenden Brüder ist hart und streng. Wer Gottes Reich bauen will, muß auf sein eignes kleines Reich verzichten können. Wirst du verwöhntes junges Kind aus reichem Hause Dornen und Mangel, Kälte und Einsamkeit ertragen?«

Tiefe Freude über den Schwesternamen, den der Mönch ihr gab, senkte sich in Chiaras Herz. »Ich werde alles können, mein Bruder, was du von mir verlangst.«

Sinnend blickte Francesco vor sich hin, das Mädchen störte sein Nachdenken nicht.

»Wir waren nur Brüder bisher, und ehelos zu bleiben haben wir gelobt, um Gott allein zu dienen. Doch wir könnten dich als Schwester unter unsern brüderlichen Schutz nehmen …«

Chiaras Augen leuchteten auf.

»Willst du, so komme am Abend des Palmensonntags hierher in die Portiuncula, so will ich dich zu Gottes Dienst weihen und als Schwester unter die büßenden Brüder aufnehmen. Ich führe dich dann an eine Zufluchtsstätte, und das Weitere wird Gott uns zeigen. Willst du kommen?«

»O mein Bruder, mein Vater, was soll ich dir sagen? Ich bin deine kleine Pflanze, die du gepflanzt hast, ich lebe nur durch dich, und ich will alles, was du willst.«

»So gebe Gott dir seinen Frieden, liebe Schwester«, sagte Francesco feierlich. Dann nahm er sie bei der Hand und führte sie unter den Bäumen zur Kapelle hin. Auf den Zweigen der alten Steineichen saßen viele Vögel und sangen ihr Abendlied, daß der ganze Wald von ihrem süßen Gesang ertönte, und der rauhe Pfad schien Chiara an dieser Hand wie ein Blumenpfad des Paradieses.

»Wie leicht der Weg an deiner Hand mir scheint, Bruder Francesco; als ich herkam, faßten mich die Dornen, und ich stieß an alle Steine, und mein Herz war so schwer von Angst.«

»Aber jetzt fürchtest du dich nicht mehr, liebe Schwester?«

»Nein.« Sie schüttelte den Kopf, und ein sanftes Lächeln ging über ihr Gesicht. So kamen sie an die kleine Kirche, wo Agnes wartend stand und mit bangen Augen die Schwester betrachtete, die ihr wunderbar fremd und schön erschien.

»Hat er dir helfen können, Chiara?« fragte sie schüchtern, als der Mönch gegangen war.

»Ja, Agnes; aber frage nicht, du wirst später alles erfahren.«

Scheu verstummte das Kind, und schweigend schritten sie im sinkenden Abend durch die Olivengärten Assisi zu.


Diese Tage waren schwer. In Chiara stritten zwei Gewalten: die eine neue, die so überstark sich ihrer ganzen Person und ihres Denkens bemächtigt hatte, und die andere, mit der ihr ganzes Leben und Dasein bisher verankert war: der Friede des heimischen Herdes, die süßen Bande der Familie, der kindliche Gehorsam gegen die Eltern.

Beatrix war ganz mit ihrer bevorstehenden Hochzeit erfüllt, und Ortolana ebenfalls, sie achteten nicht auf Chiara. Nur Agnes spürte etwas von dem, was so stark die Schwester bewegte; das Mädchen wich ihren Fragen aus.

»Später, jetzt kann ich nicht reden.«

»Eins sag ich dir, Chiara,« erwiderte trotzig das Kind, »was du auch tun magst, trennen darfst du dich nie von mir, hörst du?«

Ein wehes Lächeln zuckte über Chiaras Gesicht.

»Dafür sorge ich schon selbst,« fuhr sie mit gefalteter Stirne fort, »ich denke mir manches …«

Die Schwester erschrak. »Willst du mich verraten, Agnes?« fragte sie vorwurfsvoll.

»Verraten?« Trotzige Tränen rollten über des Kindes Wangen. »Hast du das von mir geglaubt, Chiara?« Sie wandte sich schmerzlich ab und starrte auf die Straße.

»Nein, nein«, tröstete Chiara und zog sie an sich. »Wenn ich schweige, so ist es deinetwegen, damit deine Unwissenheit dich vor dem Zorn des Vaters schützt.«

»Ich laufe dir einfach nach,« stieß das Kind schluchzend hervor, »ich werde dich schon finden.«

»Wo ich hingehe, kannst du nicht hingehen, mein Liebling, das ist zu hart für mein kleines Mädchen.«

»Was dir nicht zu hart ist, ist mir auch nicht zu schwer. Aber hart ist's, wenn du mich allein läßt. Ich laufe sicher fort, glaube mir doch, und ich suche dich bis ans Ende der Welt.«

»Ach Agnes, meine Schwester, möge Gott uns den Weg zeigen, auf dem wir niemand Unrecht tun, ich weiß ihn nicht!« rief Chiara in bitterem Schmerz, als sie sah, welchen Kummer ihr Fortgehen im Hause hinterlassen mußte.

Die Eltern fanden ihre Tochter in diesen Tagen so weich und so voll aufmerksamer Liebe, daß sie dachten, sie habe innerlich nachgegeben. Selbst Leonardos lästige Anwesenheit ertrug sie ohne die kleinen Stachelreden, mit denen sie sonst seine Annäherung abgewehrt hatte. Sie ruhte so sicher in dem großen, starken Gefühl ihres Herzens, daß nichts daneben Raum hatte.

So kam der Palmensonntag heran. Noch einmal sollte sie nach Francescos Willen mit den Ihren im weltlichen Schmuck zur Kirche gehen, in der Nacht darauf erwartete er sie.

Als sie sich zur Kirche schmücken wollte, klopfte jemand an ihre Türe.

»Wer ist draußen?«

»Ich bin es, Tante Bona.«

Chiara öffnete. Tante Bona war Witwe und wohnte im Palaste Sciffi, indes ihr Sohn mit den büßenden Brüdern zog und oft tagelang in der Portiuncula bei ihnen verbrachte. Die Tante hatte schon ihr lila seidenes Prachtkleid an, und köstliche Goldketten hingen ihr über die Brust. Ungeachtet ihres Putzes aber zog sie die Nichte ans Herz und stammelte ihr ein paar unzusammenhängende Liebesworte zu, die Chiara verlegen über sich ergehen ließ.

»Laß mich dich schmücken, mein Kind«, sagte die rundliche Frau, mit dem breiten, gutmütigen Gesicht und dem leisen Schnurrbartanflug auf den Lippen.

Sie griff in den Schmuckkasten und holte ein köstliches Diadem hervor und breite, goldene Spangen, und Ketten mit funkelnden Steinen. Sie warf das hellblaue Sammetkleid über die anmutige schlanke Gestalt und kämmte die glänzenden Haare, bis sie zuletzt den weißen Schleier mit dem Diadem auf ihrem Haupte befestigte.

»Wie eine Braut siehst du aus, mein Kind«, sagte die Tante gerührt.

»Warum das alles?« fragte Chiara verloren, und stand mit gesenktem Haupt in ihrer Lieblichkeit da.

»Weil Bruder Francesco es so angeordnet hat.«

Ein tiefes Rot überzog Chiaras Gesicht. »Hat er dir gesagt? …«

»Er sandte mir Botschaft durch Philippo. Ich soll dir beistehen und dich sicher geleiten.«

»Tante,« rief Chiara gequält, »und du denkst nicht, daß ich Unrecht tue, die Eltern so zu verlassen?«

Bona Guelfucca bekreuzte sich mit aufgerissenen Augen. »Unrecht? du gesegnetes Kind, wer sagt das?«

»Niemand, nur … mein Herz ist bang, den Eltern Kummer zu machen.«

»Wer nicht verlasset Vater und Mutter, der ist meiner nicht wert …«, sagte Bona überzeugt.

»Francesco will es so.« Chiara lächelte süß und hingebungsvoll. »Was er will, ist gut, ist recht …«

»Siehst du? Und nun komm, die Glocken läuten vom Dom.«

Wohlgefällig blickte der Vater auf sein schönes Kind, das sonst stets vermieden hatte, die ganze Pracht der Gewänder und des Schmucks zur Schau zu tragen. Er küßte sie auf die Stirne und legte stolz ihren Arm in den seinen. So schritt Chiara zitternd und verträumt ihren letzten Weg an der Hand des ahnungslosen Vaters dahin.

Und dieses Gefühl des schmerzvollen Abschieds ließ sich nicht auslöschen. Während des Hochamts und unter den Gesängen des Priesters, beim Klang der Orgel und der Responsorien, immer wieder ertönte es in ihrem Herzen: Zum letztenmal, zum letztenmal!

Sie suchte das Angesicht der Mutter, die ihr zulächelte, die Hand der Schwester stahl sich in die ihre, – fast brach ihr das Herz. So oft sie sich auch Francescos Gestalt und seine Worte ins Gedächtnis rief, in diesem Augenblick schien es ihr unmöglich, das Elternhaus und alle Liebe, die sie dort empfangen hatte, zu verlassen.

Die Sonne flutete durch die Kirchenfenster und schimmerte in bunter Glorie durch die gemalten Scheiben. Alles sah so festlich froh aus: die Mädchen und Frauen in den roten und blauen Kleidern, die Bäuerinnen mit grellfarbigen gestickten Schürzen, grünen Wollröcken und weißen Kopftüchern: auch die Männer farbenfroh gekleidet. Auf den Altären große Blumensträuße von lieblich duftenden Alpenveilchen und Heidekraut, deren Geruch sich mit dem süßlichen Weihrauch untrennbar mischte.

Über die Palmzweige war die Weihe gesprochen, und langsam setzte sich der Zug der Gläubigen in Bewegung, um am Altar aus des Bischofs Hand den geweihten Zweig zu empfangen. Agnes und Beatrix waren hinausgetreten, auch Vater und Mutter, Chiara hatte es in ihrem Schmerz nicht bemerkt; allein kniete sie geneigten Hauptes auf dem kalten Marmorboden, und die Tränen tropften ihr von den Wimpern.

Alle waren sie an dem Altar vorbeigezogen und wieder zurückgekehrt, nur Chiara Sciffi hatte gefehlt. Der Bischof sah sich um. Dort kniete sie, ganz in der Nähe des Altares, und sah nicht, was um sie vorging. Ein väterlicher Zug stahl sich in das strenge Gesicht des Kirchenfürsten; er griff nach einem der letzten kleinen Zweige, die auf dem Altar lagen, und stand plötzlich vor der Weinenden im Glanze des goldstrotzenden Meßgewandes.

Der Bischof selbst! Sie blickte verwirrt auf und sah in sein kluges, gebieterisches Gesicht, das mit leisem Mitleid auf sie gerichtet war. Und die ringgeschmückte Priesterhand reichte ihr den gesegneten Zweig hin, den sie vergessen hatte zu holen.

»Friede sei mit dir, meine Tochter!«

Dann ging er langsam zum Altar zurück, und die starre Seide seines roten Gewands knisterte und rauschte über den Steinboden und um die aufrechte, stolze Gestalt des vornehmen Mannes. Wußte er um ihr Vorhaben, und wollte er ihr auf diese Weise sein Einverständnis mitteilen?

Da mußte Chiara einer armseligen grauen Kutte gedenken, vom Strick umgürtet, und nackter Füße, die über diesen selben Boden geschritten waren, und der Schmerz ihres Herzens entschlief. Nun hielt sie ihre Gedanken fest auf den Mann gerichtet, dessen rauhes Leben sie teilen sollte, der sie mit dem süßen Schwesternamen genannt hatte, und nichts schien ihr schwer und nichts unmöglich. Als eine jungfräuliche Heldin schritt sie erhobenen Hauptes dem harten Leben der Armut und Entsagung entgegen, das die Tochter aus vornehmem Geschlecht erwartete. – – – – – –

Die Sonne war hinter den blauen Bergen Perugias gesunken und hatte noch einmal alle Pracht und Glut über die Landschaft ergossen. Das Abendgeläut war verklungen, auch die armselige Glocke der Portiuncula unten im Tal. Chiara hatte zum letztenmal die Sonne sinken sehen vom Fenster des väterlichen Palastes aus. Und jetzt kamen die Sterne herauf in strahlendem Glanz, zuckend und flimmernd, wie wenn ein Windstoß in der Nacht über brennende Kerzen fährt.

In ihrem Herzen war Ruhe eingekehrt, das Abschiedsweh war ausgekämpft. Im Hintergrund des Zimmers schlief Agnes den festen Kinderschlaf der Jugend in ihrem schmalen Bett, und unten bei den Eltern saß noch Tante Bona und spielte mit dem Vater Schach. Bald mußte sie heraufkommen und im Nebenzimmer zur Ruhe gehen. Und dann – – Chiara preßte die Hand auf das Herz. Dann wollte sie gehen, um immerdar Gott zu dienen wie seine heiligen Apostel, in Armut, Entbehrung und Liebe; dann wurde sie geweiht zum Gehorsam gegen Francesco, ihren Bruder, ihren Vater, dann war ihr Schicksal in seiner Hand. O süßes Los des Weibes! Gott zu dienen und im Gehorsam gegen den einzigen Mann seinen Gottesdienst zu finden …


Durch die Steineichen um die Portiuncula schritt die Nacht, und die Blätter der schlafenden Bäume säuselten von ihrem Atem. Von Assisi waren die Hornklänge des Wächters herübergeklungen, der die Mitternacht verkündete, und waren verhallt. Alle Hütten der Mönche lagen stumm und finster, nur aus der Francescos drang das rauchige, rötliche Licht einer Fackel, die im Boden steckte. Seine vertrautesten Freunde hatten sich zusammengefunden und kauerten in dem engen Raum am Boden, die bärtigen Gesichter von dem düsteren Fackellicht erhellt. In freundlichem Sinnen starrte er in das Licht und wehrte den Nachtschmetterlingen, daß sie sich nicht an den Flammen verbrannten. Einmal über das andere trug er einen gleißenden Falter hinaus, bis endlich Bruder Juniperus meinte:

»Es gibt wohl noch allerlei anderes zu tun, Bruder Francesco. Oder soll unser Kirchlein den Kot von den Füßen der heutigen Besucher zeigen, wenn die erste Schwester unserer Gemeinschaft darin geweiht wird?«

Francesco lächelte und ließ den letzten Falter fliegen. »Du hast recht, Bruder Wachholder, du bist knorrig wie dein Name. Nimm den Besen, der Sabbath ist vorüber, das Fegen ist doch ein Geschäft nach deinem Herzen.«

»Das ist es auch, Bruder Francesco«, antwortete mit Behagen der Riese. »Man sieht doch, was man geschafft hat. Hei, wie der Schmutz fliegt aus dem Heiligtum Gottes, und wie mein Besen stark ist! So möchte ich auch einmal die ganze Hölle auskehren.«

»Laß mich mit dir gehen«, sagte Johannes, ein plumper Geselle mit einfältigem Gesicht und unendlich gutmütigen kleinen Augen. »Durch einen Besen hat mich Bruder Francesco zu sich gerufen, als er, der Heilige, einst demütig die Kirche San Giorgio in Assisi kehrte. Da dachte ich: Bei ihm ist gut sein, du brauchst nur zu tun, was er tut, und es geht stracks in den Himmel hinein, wenn du auch dumm bist und nur eines armen Bauern Sohn.«

»Ah, darum hustest du, wenn Vater Francesco hustet, und spuckst, wenn er spuckt?« fragte Masseo ein wenig von oben herab.

»Ja, damit ich auch das Gute nicht versäume,« antwortete Johannes demütig, »ich kann nicht so unterscheiden, und so gehe ich sicher.«

Die Mönche lachten gutmütig.

Juniperus erhob sich, aber er mußte gebückt stehen, denn sein Haupt stieß an das Dach aus Baumrinde. An der Türe zögerte er, die Mönche sprachen weiter.

»Hast du auch bedacht, Bruder Francesco, was die heilige Kirche zur Aufnahme dieser Schwester sagen wird?« fragte bedächtig der schöne, stattliche Masseo von Marignano, der Francesco um Haupteslänge überragte, und der immer die meisten Gaben mitbrachte, wenn die Not die Brüder zu den Bittgängen in die Stadt trieb.

»Bedacht?« erwiderte Francesco heftig, »soll ich mich bedenken, wenn ein schwaches Weib mich um ritterlichen Schutz angeht, weil man sie zu einem Leben zwingen will, das ihr verhaßt ist?«

»Ja, es ist wahr,« sagte Leone, sein geliebtester Jünger, und das jugendliche, bartlose Gesicht war sorgenvoll, »du hast sie nicht einmal einer Prüfung unterworfen und willst sie heute schon zur Braut Christi weihen und als Schwester aufnehmen.« Eine leise Eifersucht sprach aus seinen Worten.

»Habe ich dich lange geprüft, mein Leone, ehe ich dich zum Gefährten annahm, oder dich, Masseo?«

»Nein, das hast du nicht getan«, gaben sie zu.

»Ich blickte euch ins Auge und erkannte eure Seele. So habe ich auch Chiara Sciffis Seele erkannt, und ich sage euch, die Engel im Himmel werden sich heute Nacht freuen über diese Jungfrau, die der Welt entrissen wird.«

»Der Vater ist mächtig, wir werden seine Verfolgung spüren«, meinte Sylvester, der ehemalige Priester, besorgt. Sein hageres Gesicht hatte etwas Enges in den Zügen, denn seine Augen standen dicht beisammen, und die Lippen waren schmal. Francesco hatte ihm mitten aus einer habgierigen Handlung heraus das Herz gerührt und zu sich hinüber gezogen. Er war der einzige unter den Brüdern, der studiert hatte, und las im Orden die Messe.

»Er soll kommen«, meinte Juniperus rauh lachend, und seine kleinen umbuschten Augen funkelten von ungebändigter Kampflust. »Da nehme ich meinen Besen …«

»Brüder, hat Gott je unsere Sache im Stich gelassen?« fragte Francesco vorwurfsvoll. »Laßt uns nicht mit weltlich klugen Bedenken diese heilige Stunde entweihen. Ich bin so glücklich über alle Maßen, daß Gott uns diese Schwester zugeführt hat.«

Beschämt blickten die Mönche zu Boden, und mit glänzenden Augen stimmte Francesco ein Loblied an, wie der Sangesfrohe es liebte, und die Brüder fielen ein, daß der Wald von den Klängen widerhallte. Singend schulterte Juniperus den Besen und stieg über die Gefährten hinweg in die Nacht hinaus, um die Kirche zu reinigen, und man hörte noch lange seine rauhe Baßstimme aus der Ferne her.

Während sie sangen, erschienen noch zwei Brüder in der Hütte. Der eine, Rufino, mit braun gebranntem, ausgedörrtem Bauerngesicht, in ein verschabtes Fellgewand gekleidet, wie die Ziegenhirten des Apennin es trugen, legte ein großes Brot auf den Boden und eine Hand voll getrocknetes Ziegenfleisch.

»Ich half den Hirten im Gebirg zwei Tage lang eine versprengte Herde suchen, da gaben sie mir das.« Schwerfällig ließ er sich zu Boden fallen, seine Füße waren wund und bluteten.

Der andere, Bernardo, hatte ein blasses, verträumtes Ekstatikergesicht, mit weichen Zügen; er liebte die Einsamkeit und lebte meistens in den Kalksteinhöhlen des Subasio. Er legte einen Strauß Alpenveilchen in Francescos Hände. »Sie blühen noch auf dem Subasio, im Tal sind sie verwelkt; wir wollen den Altar heute Nacht damit schmücken.«

Liebevoll begrüßte Francesco die Brüder; Bernardos Hand hielt er länger fest; forschend sah er ihm ins Gesicht.

»Bruder Bernardo, ich fürchte, du hast zu viel gefastet, iß doch gleich etwas, Lieber, du siehst elend aus.«

»Ich weiß nicht, wann ich zuletzt etwas Speise hatte, aber ich fand etliche Wurzeln«, sagte erschöpft der Einsiedler.

»Aber Bruder,« rief vorwurfsvoll Rufino und brach ein Stück Brot ab, das er ihm hinüberreichte, »wir gehen seit einer Stunde zusammen, und du sahst mich das Brot tragen. Warum hast du nichts gesagt?«

»Sollte ich nicht wenige Tage fasten können, wo mein Herr, dem ich nachfolge, vierzig Tage fastete?« gab Bernardo zurück. Aber eine Schwäche wandelte ihn an; man flößte ihm etwas Wein ein und legte ihn auf den Laubsack, der Francesco als Lager diente.

»Lieber Bruder,« sagte Francesco freundlich, »du sollst doch nicht über Kraft tun, ich habe dich schon oft gebeten. Wir fasten nur, um unsern Leib zu zähmen, nicht um des Fastens willen. Gehorsam gegen Gott ist mehr denn Opfer, und Liebe zu den Brüdern mehr denn Fasten.« Sylvester wurde unruhig und wollte den Mund öffnen. »Aber ich sage nicht, daß Fasten nicht eine nützliche Übung sei«, beschwichtigte Francesco den verschluckten Einwurf des Priesters.

Als Bernardo gestärkt war und Francesco selber Rufinos wunde Füße gewaschen hatte, begaben sich alle in die Kirche, wo Juniperus unterdessen Ordnung geschaffen hatte. Es war eine Unruhe und Erwartung in ihnen. Ob Chiara kam? Ob sie nicht zurückbangte vor diesem letzten Schritt, der ihr ganzes bisheriges Leben zerbrach und sie in eine ungewisse Zukunft führte, in der nur eins gewiß schien, nämlich, daß sie hart sein würde? Vielleicht auch hatte der Vater die Flucht entdeckt und vereitelt? Nur Francesco war ruhig und voller Vertrauen und Freude wie ein Kind.

Über dem Subasio stand klar die Mondscheibe und erhellte die Gegend, daß man in ihrem Licht die fernen weißen Häuser Assisis sehen konnte, und den Weg, der zur Portiuncula führte; nur unter den Steineichen war tiefe Finsternis.

»Wir wollen Fackeln anzünden und unserer Schwester bis zum Rand des Waldes entgegengehen«, sagte Francesco, und so zog der Zug um zwei Uhr des Nachts lobsingend durch den schweigenden Wald. Als sie auf dem Felde angekommen waren, wo die Straße von Assisi vorbeiführte, sahen sie schon drei Gestalten ihnen entgegenkommen; in der Mitte die hochgewachsene Gestalt Chiaras und zur Seite Bona Guelfucca und Philippo Lungo.

Als Chiara die Mönche in feierlichem Zug mit den Fackeln daherschreiten sah, beschleunigte sie ihre Schritte, und so zog sie, umringt von den Brüdern und begrüßt mit dem Friedensgruß, durch den nächtlichen Wald zur Portiuncula. Die Fackeln warfen rötlichen Schein in die Finsternis des Waldes, und aufgeschreckte Tiere huschten über ihren Weg. In den Bäumen raschelte es von Vögeln, die der grelle Flammenschein und der Gesang der Mönche geweckt hatte. Der Wald war so fremdartig in seinem nächtlichen Dunkel, daß Chiara sich wie verzaubert vorkam und bange den Blick auf Francescos klares, heiteres Angesicht richtete.

Nun hatten sie die Kirche erreicht. Heller Lichtschein fiel aus der offenen Türe ihnen entgegen, Juniperus hatte alle Kerzen angezündet, die sich im Besitz der armen Bruderschaft befanden. Strahlend wie eine Königin stand Chiara in dem schlichten Gotteshaus in all ihrem Schmuck und ihrer Schönheit zwischen den braunen Gestalten der Mönche, die sie zu dem Altar geleiteten.

Jetzt war kein Gedanke mehr in ihrer Seele, der sie zurückschauen ließ. Alles in ihr war Hingebung und Opfer und heilige Freude, daß Gott sie zu seinem Dienste berufen, und berufen durch den Mann, dessen Persönlichkeit sie wie eine göttliche Offenbarung in sich aufgenommen hatte.

Der Gottesdienst begann. Hier kniete Francesco, umringt von allen, die zu ihm gehörten. Vor wenigen Jahren noch war er verspottet durch die Straßen Assisis gegangen, als Narr, als Wahnsinniger, und jetzt war die schönste und vornehmste Jungfrau der Stadt selbst herausgekommen, um dieses gleiche Leben der Niedrigkeit auf sich zu nehmen. Tief bewegt sprach er die heiligen Worte, die ihn immer wieder mit Süßigkeit erfüllten, so oft er eine Seele seiner Bruderschaft zuführen konnte.

Das rote Fackellicht glitt unruhig an den rohen, grauen Steinwänden entlang, es ließ die Farben des Marienbildes über dem Altar und die singenden Engel aufleuchten, und glänzte hell auf den langen blonden Haaren Chiaras, die dort kniete. Das Mädchen faßte nicht die Worte, die Francesco sprach, sie hörte nur immer seine Stimme, in deren Klang sie ruhte wie ein Kind.

Es war ihr wie im Traum; sie wollte ihre Gedanken ganz in Gott sammeln, und es kam ihr zum Bewußtsein, daß sie alle zu dem Mann am Altar hinstrebten. Sie erschrak. War sie nicht im Begriff, sich Gott zu weihen, und ihr Herz war voll von dem Bild eines Menschen? Sie hob bange die Augen unter dem Schleier der goldenen Wimpern. Dicht vor ihr in dem engen Raum stand Francesco, seine rauhe Kutte streifte den blauen Sammet ihres Festkleides, seine hageren, durchgeistigten Hände waren ihr so nah, daß sie fast ihre Wärme zu spüren vermeinte; hinter ihr im Schatten verloren sich die Gestalten der Brüder.

So standen sie Auge in Auge, während Francesco weitersprach. Nein, sie beging kein Sakrileg! Bis in die Tiefe seiner Seele drang ihr Blick, und es ward ihr klar, daß sie an ihm liebte, was göttlich war. Daß sie ihn mit der ganzen Kraft hingebender Weibesliebe liebte und doch zugleich jeden Gedanken auf Besitz bannen konnte, weil sie eigentlich Gott in ihm sah, so deutlich wie nie in einem Menschen, weil sie durch ihn und mit ihm in diese heiligste Gemeinschaft gezogen wurde.

Sie lächelte vertrauensvoll zu Francesco auf, der ihr die Gelübde abnahm, und mit dem gleichen Lächeln auf den Lippen zog sie den Schleier ab, beugte ihr schönes Haupt und bot es der Schere.

Mit zitternder Hand griff der Mönch in die lebenswarme, goldene Flut. Lange, lange war es her, daß seine Hand tändelnd mit schönen Frauenhaaren gespielt hatte; die Erinnerung daran durchzuckte ihn wie ein glühender Schmerz. Einen Augenblick zögerte er. Wie schön waren die weichen, blonden Haare, von denen ein süßer Duft aufstieg! Aber dann knirschte erbarmungslos die Schere, und die schimmernde Pracht schmückte als erste Opfergabe den Altar der Portiuncula. Wie viele Opfer sollten diesem ersten folgen?

Bona Guelfucca seufzte tief auf und verhüllte ihr Gesicht, dann bedeckte Bernardo Chiaras Haupt mit dem dunkeln Schleier, und Juniperus reichte ihr eine graue Wollkutte, ähnlich der der Brüder. Weinend nahm die Tante Abschied von der Nichte; die Teilnahme an dieser Weihe fiel ihr plötzlich schwer auf das Herz. Dort lag wie ein goldglänzender Schleier Chiaras Haar, und hier stand sie selbst, die Augen in Liebe und Demut auf Francesco gerichtet. Das Mädchen rührte sich nicht. Der Mönch hatte sich vor dem Altar auf die Kniee geworfen. »O daß ich ihr ein guter Führer sei zu dir, mein Gott!«

Leise rührte ihn eine Hand an. »Ihr müßt aufbrechen, Bruder,« mahnte Philippo Lungo, »damit euch Favorino Sciffi nicht eure Beute entreißt, ehe ihr sie geborgen habt.«

Still kehrten die Mönche in ihre Hütten zurück; Francesco aber und Chiara schritten durch die sinkende Nacht auf einsamen Feldwegen dem Benediktinerinnenkloster zu, das eine Stunde entfernt war und ihr einstweilen eine Zuflucht sein sollte. Sie gingen schweigend und doch so beredt; sie hatten die Worte nicht nötig, die nur vom gleichen Fühlen, Denken und Streben hätten reden können.

Über dem Subasio rötete sich der Morgenhimmel. Im Felde wogten die Nebel; irgendwo von einem einsamen Kirchlein her tönte ein Morgenläuten. Einmal bückte sich Francesco nach einem großen Stein, der mitten auf der Landstraße lag, und schleppte ihn bei Seite, damit nicht ein Mensch oder Tier im Dunkel daran zu Schaden kommen sollte.

Der Weg wurde nun rauh und steinig und stieg an. Assisi war längst ihren Blicken entschwunden, und ödes Steingebirge mit schroffen Abgründen, in denen ein Fluß rauschte, umgab sie. Keine Pflanze wuchs hier, nur Dornen klammerten sich in die Ritzen des rötlichen Gesteins und hier und da ein Büschchen blühendes Heidekraut, das einen zarten Duft ausströmte.

Chiara blieb etwas zurück, die rauhen Felsen hatten ihre feinen Schuhe zerrissen; der Weg wurde immer steiler und kaum zu erkennen.

Da wandte sich Francesco um und sprach die ersten Worte.

»Komm, Schwester Chiara, nimm meine Hand, daß ich dir helfe.« Seine Augen leuchteten sie an, daß sie aller Müdigkeit vergaß und leicht an seiner Hand vollends den Gipfel erstieg.

Dort ließ er sie los und sagte feierlich: »Du wirst meine Hand immer bereit finden, dir auf rauhem Weg zu helfen, und in meinen Gebeten sollst du stets beschlossen sein, du Blume unserer Brüderschaft.«

Errötend blickte Chiara ihn an. »Ich weiß es, mein Bruder, daß der Gärtner seiner Pflanzen nicht vergißt.«

Die Höhe war erreicht, frisch blies der Morgenwind darüber hin. Kein Baum wehrte den Ausblick in das weite Land. Einige Schritte entfernt, wie ein Stück des Berges anzusehen, aus dem gleichen grauweißen Gestein erhob sich das Kloster San Paolo, das Chiara Schutz gewähren sollte.

Noch einmal blickten sie sich um, ehe sie an der Pforte läuteten. Dort lag in der Ferne Assisi, auf das Knie des Subasio hingebettet, und wurde vom ersten Sonnenstrahl getroffen.

Stumm deutete Chiara darauf hin. Eine Träne glänzte in ihrem Auge. Aber im selben Augenblick stieg eine Lerche mit Jubelton nicht weit von ihnen in die blaue Luft empor.

»Unsere Schwester, die Lerche! Hörst du, wie sie Gott lobt? Laß uns allezeit das gleiche tun! Und nun wollen wir gehen und Abschied nehmen, du bekommst in wenigen Tagen Botschaft von mir.«

Mit gesenktem Haupte gehorchte Chiara; ihre Lippen zitterten, und langsam rollte die Träne und fiel auf den Felsboden zu ihren Füßen. Dann schrillte die Klosterglocke, eine schwere Pforte öffnete sich, und mit dem Blick bis zuletzt auf Francescos klares Angesicht, verschwand Chiara hinter den Klostermauern.


Am späten Nachmittag des folgenden Tages war Bruder Masseo beschäftigt, Holz zu spalten und in Bündel zu binden, um es in der Stadt für Brot einzutauschen, denn Francesco hielt darauf, daß die Brüder nicht müßig gingen, sondern für den Lebensunterhalt der geistlichen Familie arbeiteten, wo sich nur Gelegenheit bot. Der Mönch hatte die Ärmel seiner Kutte aufgestreift, und der sehnige Arm führte Schlag auf Schlag, daß es durch den Wald schallte. Als er einmal unter der Arbeit aufschaute, um sich den Schweiß von der Stirne zu wischen, sah er es rot durch die Büsche leuchten.

»He, wer ist denn da?« rief er in den Wald.

Es rauschte und knackte im Holz, und ein kleines, schwarzlockiges Mädchen, in ein großes, rotes Tuch eingehüllt, schlüpfte durch das Gesträuch und blieb mit ängstlichen, dunkeln Augen vor dem Mönch stehen.

»Nun, was willst du, Kleine?« fragte er gutmütig.

»Ich will zu Bruder Francesco.«

»Der ist nicht hier.«

»Wo ist er?«

Masseo machte eine ungewisse Bewegung mit der Rechten nach Osten hin.

»Wann kommt er wieder?«

»Weiß ich nicht. Er kommt und geht, wie er will. Was suchst du denn bei ihm?«

Die Kleine antwortete nicht, sondern zog scheu die Augenbrauen zusammen.

»Wie heißt du denn?«

»Agnes Sciffi.«

»Ah! …« Der Mönch blickte sich unsicher um, als ob er plötzlich andere kriegerische Gestalten erwartete; aber es blieb still.

»Wo habt ihr meine Schwester?«

»Wer schickt dich her?« erkundigte sich vorsichtig Masseo, ohne ihre Frage zu beantworten.

»Niemand!« antwortete trotzig das Kind.

»Nicht dein Vater?« forschte mißtrauisch der Mönch.

»Nein, ich habe es dir ja gesagt. Ich will zu meiner Schwester; ich bin fortgelaufen von zu Haus.«

»Zu deiner Schwester kannst du nicht, sie ist Nonne geworden.«

»Ich will auch Nonne werden,« sagte Agnes entschlossen, »deshalb bin ich hergekommen. Du kannst mir gleich die Haare abschneiden.« Sie hielt ihm in ihrer braunen Kinderhand eine Schere hin.

»Das geht so schnell nicht, mein Kind«, sagte Bruder Masseo lächelnd. »Warte einmal, ich will die andern Brüder rufen.«

»Hollah, Hollah!« schrie er in den Wald hinein.

Bruder Juniperus kam sogleich mit seinem großen Besen herbei, auch die andern fanden sich ein.

»Ist Favorino Sciffi hier, daß ich ihn hinauskehre?« fragte er kampfeslustig.

Masseo deutete auf das kleine Mädchen.

»Ah!« Juniperus ließ friedlich den Besen sinken. »Ist das nicht die Schwester unserer jungen Braut Christi?«

»Ja.« Agnes nickte energisch und hielt ihm die Schere hin. »Ich wollte zu Bruder Francesco. Wo ist meine Schwester? Ich will auch Nonne werden wie sie.«

Die Mönche sahen sich unschlüssig an. »Sollen wir den Aufenthalt verschweigen? Was hat Bruder Francesco angeordnet in einem solchen Fall?« fragte Bruder Leone.

»Nichts, er ging gleich mit Schwester Chiara fort«, antwortete Masseo.

»Geh nach Hause, mein Kind,« überredete Leone, »wenn Bruder Francesco da ist, wollen wir mit ihm reden und dir Bescheid bringen.«

Agnes schüttelte den Kopf und schwieg; plötzlich brach sie in ein hilfloses Schluchzen aus. Betreten sahen sich die Mönche an. Juniperus lehnte bedächtig seinen Besen an den Baumstamm und beugte sich zu dem Kind herunter.

»Du mußt nicht weinen, deine Schwester ist so glücklich, du hättest sie nur sehen sollen. Geh jetzt brav nach Hause.«

»Ich bin doch aus dem Fenster herausgeklettert, weil mich der Vater eingeschlossen hatte; er sucht Chiara überall in den Klöstern und hat viele Männer mit. Mich will er gleich verheiraten mit Leonardo, damit ich es nicht wie Chiara mache; ich habe ihm gesagt, daß ich auch Nonne werden will. Ihr müßt mich zu meiner Schwester lassen, sonst schlägt mich der Vater halbtot.«

»Sie ist fast noch ein Kind,« sagte mitleidig Leone, »was weiß sie von Klostergelübden!«

»Um so reiner wird die Blume blühen, die noch nicht von der Welt berührt wurde«, sagte Bernardo mit schwärmerischem Blick.

Sachte schob Juniperus die Brüder bei Seite und ergriff das kleine Mädchen bei der Hand. »Ich will mit ihr zu der Schwester nach San Paolo gehen, die wird Rat wissen. Besprecht ihr es mit Francesco, wenn er unterdessen heimkehrt.«

Die Mönche nickten zustimmend. »Willst du mit mir gehen zu Schwester Chiara?« fragte er freundlich.

»Ja«, sagte Agnes erleichtert.

»Geh mit Gott, mein Kind, und er stärke dich in deinem frommen Vorsatz«, sagte Bernardo feierlich und hob die Hand zum Segen.

»Vergiß nicht etwas Brot mitzunehmen,« mahnte Rufino, »die Kleine wird hungrig sein.«

»Ich danke euch, ihr seid sehr gut gegen mich.« Tränen hingen noch an ihren Wimpern, aber sie versuchte zu lächeln. Tapfer schaute sie zu dem großen Mönch auf mit dem langen Bart, hielt zutraulich seine Hand fest und schritt neben ihm her, zum Walde hinaus.

Die Mönche sahen dem ungleichen Paare nach.

»Welche Macht Francesco über die Herzen hat,« sagte Bruder Leone verwundert, »selbst dieses Kind gerät in seinen Bann!«

»Es ist, weil er den Mut hat, den ganzen Menschen zu fordern für Gott, nicht nur ein Stück. Das zieht alle großen und edeln Naturen zu ihm hin«, meinte Bernardo sinnend.

»Er sei gesegnet,« sagte Leone, »ein reineres, besseres Herz sah ich nie.«

Und dem Zauber seines Wesens nachdenkend, gingen die Brüder auseinander.


»Meine Chiara, meine Chiara, nun hab ich dich wieder und gehe nie mehr von dir!« Mit diesem Jubelruf riß sich Agnes von der Hand der Benediktinerin los, die sie in Chiaras Zelle geführt hatte, und warf sich der Schwester um den Hals.

Mit kühlem Blick sah die Nonne von der Türe her zu.

»Ich möchte dich daran erinnern, Schwester Chiara, daß solche Zärtlichkeit in unserm Hause nicht Sitte ist.«

Errötend löste Chiara die Arme der kleinen Schwester von ihrem Hals und flüsterte ihr beruhigende Liebesworte zu.

»Verzeih, Schwester Modesta,« sagte sie sanft, »ich danke dir, daß du mich darauf aufmerksam machst.«

Mit großen Augen folgte Agnes der Schwester Rede. »Aber du bist doch …«

»St,« mahnte Chiara, »du mußt dich hier als Gast der Regel des Hauses fügen, nicht?« Dann wandte sie sich mit bittender Gebärde zu der Pförtnerin. »Wollt ihr wohl meiner Schwester hier Zuflucht gewähren, bis Bruder Francesco weiter über uns verfügt hat?«

»Ich will mit der Frau Äbtissin reden,« sagte die Nonne zurückhaltend, »ich hoffe, daß der Groll eures Vaters sich nicht über dieses Haus, das euch Gastfreundschaft erweist, ergießen wird.«

Die Schwestern blickten betreten zu Boden, und die Nonne verließ das Gemach.

»Kann Francesco uns nicht von hier fortnehmen, Chiara?« bat Agnes stürmisch. »Sie sehen uns nicht gern.«

»Wollen wir uns nicht bei Zeiten daran gewöhnen, das Los der Jünger des Herrn auf uns zu nehmen, Verfolgung, Schmach, Heimatlosigkeit?«

»Ach, meine Chiara, ja, – wenn du es mit mir teilst!«

Die Nonnen gewährten der Schwester Chiaras Obdach, ließen sie aber ersuchen, ihren Aufenthalt möglichst abzukürzen, da sie Unannehmlichkeiten befürchteten.

Sie sollten recht behalten.

Der folgende Tag war angebrochen und die Schwestern in der kleinen Klosterkirche versammelt, um die Morgengebete zu sprechen. Auch Chiara und Agnes knieten nebeneinander in den geschnitzten Chorstühlen und lasen aus dem selben Buch. Durch die hohen, bunten Fenster fielen die ersten Sonnenstrahlen und malten rote und blaue Flecken auf den Steinboden.

Chiaras Haupt war tief gesenkt in stiller Andacht, Agnes aber ließ die Blicke umherschweifen, obgleich ihr Finger aufmerksam den Zeilen des lateinischen Textes folgte, der in klarer Handschrift sich von dem gelblichen Pergament abhob. Das Lesen machte ihr Mühe, sie verstand nicht, was da geschrieben stand, und es war so viel Fremdartiges zu sehen.

Durch das eintönige Gemurmel der vielen Frauenstimmen tönten plötzlich Hufschläge, die scharf von dem felsigen Boden widerhallten. Agnes horchte auf, auch die Nonnen wurden unruhig.

Eine ungeduldige Hand riß an der Türglocke, und als nicht gleich geöffnet wurde, schlug jemand mit dem Schwert an die Pforte, daß auch Chiara aus ihrer Andacht auffuhr. Die Pförtnerin tauschte einen Blick mit der Äbtissin, die die Achseln zuckte.

»Einlassen«, sagte sie und warf einen mitleidigen Blick auf die zwei Schwestern, die mit bangen Augen nach der Türe starrten.

Chiara erbleichte und faßte die Hand der Schwester. »Der Vater wird kommen und dich zurückfordern, besinne dich noch einmal, ob dir's heiliger Ernst ist mit deinem Vorhaben. Nichts bindet dich, kein Schwur und kein Gelübde.« Stumm schmiegte sich das Kind an die Schwester. »Willst du nicht lieber mit dem Vater gehen, ihm gehorsam sein?«

»Niemals,« sagte Agnes fest, wie von fremder Kraft beseelt, »ich teile dein Leben mit dir.«

»Aber es ist schwer, den Fluch der Eltern tragen.«

»Du trägst ihn mit mir«, flüsterte das erblaßte Kind.

Harte Schritte kamen den Gang der Kirche entlang zum Hochaltar, unwillige Kniee beugten sich vor dem Heiligtum, Waffen klirrten.

Die Oberin der Benediktinerinnen trat vor Favorino Sciffi, der mit etlichen Begleitern erschienen war. »Wen sucht ihr hier in unserm Klosterfrieden?« fragte die überschlanke Frau mit dem verblichenen, strengen Gesicht.

»Meine entlaufenen Töchter, ehrwürdige Mutter.«

»Wir bergen hier nur eine, die Ihr zurückfordern könnt, die andere gehört einem höheren Herrn.«

Ungeduldig wehrte Favorino ab, sein suchender Blick ging über die Gesichter der Nonnen, die vor seinem zornigen Auge ängstlich zurückwichen. Nur Chiara hielt dem väterlichen Blick stand. Festigkeit und Liebe leuchteten aus ihren blauen Augen.

»Mein Vater,« sagte sie bittend und schlang den Arm um die zitternde Schwester, »verzeih uns, was wir taten, aber wir konnten nicht anders.«

»Kommt mit zurück und fügt euch meinem Willen, dann soll euch vergeben sein«, erwiderte Favorino finster.

»Ich kann nicht, Vater.«

»Du kannst nicht? Bist du nicht ohne meine Erlaubnis davongelaufen?«

»Ihr habt mich selbst gezwungen dazu, wie habe ich Euch angefleht! Jetzt habe ich mich einem höheren Herrn verlobt.«

»Verlobt? So?« Hohnlachend faßte der Vater sie am Arme, um sie aus der Kirche zu ziehen; sie klammerte sich an den Altar, und als die eisernen Männerfäuste sie auch dort losreißen wollten, zog sie den Schleier vom Kopf und zeigte dem Vater das geschorene Haupt.

Entsetzt prallte dieser zurück. »So bist du mein Kind nicht mehr,« schrie er im Zorn, »aber diese da, nehmt sie mit nach Hause.«

Einige Männer griffen nach Agnes. Sie warf sich auf die Kniee.

»Nicht nach Hause, ich will nicht dem fremden Manne angehören; ihr seid hart, ihr Männer, ich will Nonne sein wie die Schwester und dem milden Jesus dienen.«

»Torheit,« sagte barsch der Vater, »was ist das für eine Zeit, wo die Kinder wider die Eltern sind!« Befehlend streckte er den Arm gegen die zögernden Knechte. »Packt sie!«

Das Mädchen klammerte sich an die Säulen des Altars. »Ich will ja so gern für dich beten,« wimmerte das Kind, »nur laß mich hier.«

»Das kann ich selbst, ungeratenes Geschöpf«, schrie er, und blinder Zorn packte ihn. Er schlug nach ihr und riß sie an den Haaren. Die Äbtissin, die untätig zur Seite gestanden hatte, wurde von Mitleid bewegt und trat beschwörend vor, Chiara sank flehend in die Kniee neben der Schwester. Aber es half nichts, die Männer stießen sie rauh zurück.

Sciffi schritt wutbebend aus der Kirche; gehorsam folgten ihm die Knechte, die Agnes hinausschleiften.

Ohne sich umzusehen, warf er sich draußen auf sein Pferd. »Bringt sie ins Haus Leonardos, wie ich ihm versprochen habe, ich will sie nicht mehr sehen«, befahl er kurz und ritt voraus, bleichen Grimm auf dem harten Gesicht.

»Ich will nicht zu Leonardo, lieber sterben!« stöhnte das Mädchen, und eine tiefe Ohnmacht sank über sie, daß sie schwer in den Armen der Männer lag, die sich erschrocken ansahen.

»Sie ist tot«, sagte einer.

»Blut läuft ihr über den Hals, das hast du getan, Giacomo.«

»Ich kann nichts dafür, die wilde Katze biß mich in die Hand«, verteidigte der sich.

»Sie ist so schwer, wir bringen sie nicht den steilen Pfad herunter ohne Tragbahre.«

»Man sollte dem Heiligtum kein Mädchen entreißen. Jetzt ist sie tot, was tut Leonardo mit einem toten Liebchen?« sagte ein alter Knecht bedächtig.

»Er hat Unglück, der Herr, zwei so schöne Töchter!«

»Lassen wir sie liegen und machen eine Bahre; drunten im Wald sind junge Eschen.« Die Männer entfernten sich. In diesem Augenblick kam Chiara herausgestürzt, sie wollte noch einen letzten Versuch zur Rettung machen. Da sah sie Agnes blutig und bleich am Wege liegen, die Haare zerrauft, die Kleider im Kampf zerrissen, das kleine, blasse Gesicht zum Himmel gerichtet, mit geschlossenen Augen.

Still wie eine Mutter nahm die Schwester das gemarterte Kind auf die Arme und horchte nach dem Herzschlag. »Sie lebt«, flüsterte Chiara glücklich und erhob sich mit ihrer Last. Da trat hinter einem Felsblock Leonardo hervor, der mit Sciffi gekommen war, aber das Kloster nicht betreten hatte. Chiara erschrak.

»Auch Ihr hier«, sagte sie vorwurfsvoll.

»Ja«, antwortete er finster.

»Wollt Ihr meine Schwester vollends töten?« Sie bangte vor seinem zornigen Gesicht.

Er schüttelte den Kopf und wandte sich ab. »Was habe ich Euch getan, Chiara Sciffi, daß Ihr mich zum Gespött der Menschen macht? Erst Ihr, dann diese da!«

»Ihr habt mir nichts getan«, antwortete Chiara bedrückt.

»Nichts getan, und jetzt deuten die Bürger Assisis auf mich: das ist der, der um die Tochter Sciffis warb. Aber sie zog das Kloster dem Brautbett vor, so verabscheute sie ihn.«

»Ich konnte nicht …« stammelte Chiara.

»Um mich wegen des Schimpfs zu trösten, versprach mir Euer Vater Agnes, und dieser verfluchte Mönch und Ihr, Chiara, ihr habt auch sie mir entrissen. Ich habe sie nicht geliebt, aber ich hätte sie lieb gewonnen, denn sie war Eure Schwester – –«

Unruhig sah Chiara sich um; die Zeit verging, der Vater oder die Knechte konnten zurückkommen. Sie versuchte weiter zu gehen, das Kind lag schwer in ihren Armen.

»Halt!« wehrte Leonardo rauh und blickte sie drohend an. »Wegen dieses Mönchs ist es gewesen, daß Ihr mich verschmäht und beschimpft habt!«

Sie senkte die Augen. »Ich habe Euch nie zum Manne begehrt,« murmelte sie, »auch nicht, als ich ihn noch nicht kannte; Ihr wißt es wohl.«

»Ich hasse ihn!« zischte er sie an.

Sie fuhr zusammen.

»Und ich werde ihn zu finden wissen.«

»Wollt Ihr Eure Hände mit dem Blute eines Gerechten beflecken?« fragte sie bebend und sank mit ihrer Last auf einen Stein am Weg, denn die zitternden Kniee brachen ihr.

»Die meinen nicht, es gibt noch Räuber im Gebirg, die stolz sind, einem Ritter zu dienen«, antwortete er hochmütig.

Es zuckte verächtlich um des Mädchens Mund.

Leonardo trat näher und faßte sie rauh am Handgelenk. »Lachet nicht, Ihr werdet noch weinen, fürchtet Euch vor meinem Haß.«

Sie schüttelte ihn heftig ab. »Bruder Francescos Leben steht in Gottes Hand«, sagte sie, ihr Zittern verbergend; aber er merkte es doch.

»Und wenn in Eurer Hand seine Rettung läge?« Er blickte sie lauernd an.

Chiara sah groß zu ihm auf, ein Hoffnungsschimmer brach aus ihren Augen.

»Was kann ich tun?« stammelte sie.

»Laß mir diese freiwillig,« er deutete auf Agnes, »und ich will Euren Mönch nicht antasten.«

»Sprecht nicht so verächtlich von Bruder Francesco,« fuhr Chiara auf, »Ihr seid es nicht wert, seine Schuhriemen aufzulösen.«

»Dazu ist keine Gelegenheit bei dem Barfüßer«, lachte er rauh. »Aber die Schmach sollt Ihr von mir nehmen; ich will Eurer Schwester nichts Böses tun, ich begehre sie zum ehelichen Weibe, wenn sie auch ihrem Vater entlaufen ist wie eine Dirne.«

»Vor Euch ist sie geflohen«, warf Chiara mit Nachdruck ein.

»Ein Kind, das der Schwester nachläuft – –«, sagte er leicht.

»So tötet lieber mich, wenn Ihr ein Opfer haben müßt, Eure Rache zu kühlen.«

Er schüttelte den Kopf. »Euch nicht, Chiara«, sagte er zornig vor Eifersucht.

In Chiaras Herzen wogte der Kampf. Was sollte sie tun? Sollte sie Francescos teures Leben gefährden? Unschlüssig blickte sie auf die kleine, leblose Gestalt in ihren Armen. Nein, sie konnte die Schwester nicht verraten, die sich in ihren Schutz geflüchtet hatte; wenn sie nun auch tausendfach um sein geliebtes Leben zittern mußte.

»Bruder Francesco würde es nicht wollen«, sagte sie endlich mühsam. Sie schloß die Schwester fester in ihre schützenden Arme und stand auf. Blaß und stolz stand sie vor dem Ritter; ein mutiges Feuer brach aus ihren blauen Augen.

»Tut, was Gott Euch erlaubt zu tun und Eure Ritterehre. Ich tue auch, was er von mir verlangt.« Dann neigte sie grüßend den Kopf gegen den Mann, der ihr finster nachblickte, ohne ihr zu wehren.

»Und sie liebt ihn doch,« murmelte er trotzig mit geballter Faust, »wenn sie ihn auch nicht zu retten wagt.« Aber seine Hände waren ihm wie gebunden, so leicht er dem schwachen Mädchen das Kind mit Gewalt hätte abnehmen können. Regungslos, mit verzerrtem Gesicht, sah er sie im Kloster verschwinden, und hinter seiner hochmütigen Stirne kreisten bittere und böse Gedanken.

Chiara trug mit wankenden Knieen das ohnmächtige Kind in ihre Zelle; an ihrer Brust, an ihrem betenden Herzen erwachte es wieder zum Leben. Um welchen Preis? Chiara schauderte und wagte nicht daran zu denken.

»Schwester, darf ich jetzt eine Nonne werden?« fragte Agnes wie im Traum und sah sich scheu in dem kahlen Raum um.

»Ja, mein Kind, ich will es Bruder Francesco sagen«, antwortete Chiara mild.

»Haben sie mich um Jesu willen geschlagen und getreten?«

»Ja, das haben sie.«

»Dann tut es mir gar nicht mehr so sehr weh.«

Sanft trug Chiara die Schwester auf ihr Lager und verband ihre Wunden. Ernsthaft sah das Kind zu; zweimal haschte sie nach der Schwester Hand und küßte sie dankbar. Der jungen Nonne traten die Tränen in die Augen. »Wenn du wüßtest, kleine Schwester!« dachte sie schweren Herzens.

»Chiara, laß heute noch Bruder Francesco kommen, daß er mir die Haare abschert und mir eine Kutte bringt. Sieh, meine Kleider sind ganz zerrissen, ich bin halb nackt.« Sie zog fröstelnd die Fetzen ihres Oberkleids über der jungen Brust zusammen.

»Er wird heute noch kommen, Liebling«, tröstete Chiara.

»Und dann wollen wir fort aus diesem Kloster gehen, wir zwei, und in einem kleinen Hüttchen im Walde wohnen und uns sehr lieb haben, und Gott und den süßen Jesus und Bruder Francesco.«

Die letzten Worte waren nur noch gestammelt, der Schlaf der seelischen Erschöpfung fiel über sie.

Chiara aber wachte an ihrem Lager. Sie kühlte ihre Wunden und behütete ihren Schlaf und betete aus verzweiflungsvollem Herzen, daß Gott Francesco vor der Rache Leonardos beschützen möge; sie bot ihr eigenes Leben für das seine und fand es süß, für ihn zu sterben.


Eine kleine Strecke Wegs südlich von Assisi, am Fuße des Subasio, inmitten grüner Wiesen und Obstgärten, hinter Oliven und Cypressen verborgen liegt San Damiano. Hier war der Ort, an dem Francesco die Stimme des Gekreuzigten von dem großen Kruzifix vernahm: Gehe hin und baue mein Haus. Hier hatte er seinen Frieden gefunden und, dem Befehle wörtlich gehorchend, mit eigenen Händen Steine herbeigeschleppt, um das zerfallende Heiligtum wieder herzustellen. Hierher hatte er sich geflüchtet, wenn man ihn in Assisi verspottete, hier hatte er sich vor dem Zorn des Vaters verborgen; diese armen, kahlen Mauern hörten seine heiligen Gelübde, waren Zeuge seiner himmlischen Entzückungen. Vor dem bunten, großen Holzkreuz hatte er lange Nächte gekniet, der harte Steinboden hatte seine Tränen getrunken. War dieses Haus nicht sein, und seine Mauern mit seinem Herzblut gekittet?

Von den Benediktinern des Subasio erbat sich Francesco das baufällige Haus mit der Kapelle, und es wurde ihm bereitwillig überlassen. Hier sollte die Heimat seiner Schwestern sein; hatte er sie nicht selber zubereitet, wie der Gatte der jungen Gattin das Haus schmückt, das sie vereinigen soll?

Der Tag war gekommen, an dem Francesco seine zwei jungen Schwestern in ihr Haus führen konnte. Der Abschied aus San Paolo war den beiden Mädchen nicht schwer gefallen, sie hatten das Gefühl des Heimischseins hier nicht kennen gelernt. Die Gastfreundschaft wurde ihnen nur mit leisem Widerstreben gewährt, denn die Weigerung Chiaras, in den Orden der Benediktinerinnen, denen das Kloster gehörte, einzutreten, hatte die Nonnen mit Mißtrauen erfüllt.

Es war einer der sonnigsten Frühlingstage, und die Luft erklang vom Gesang der Vögel. Viele der Brüder waren mit Francesco hinausgezogen, um die Schwestern zu holen, und die Mönche und Nonnen wateten wie durch ein Blumenmeer. Von Baum zu Baum spannten sich gleich Triumphpforten die ergrünenden Reben, und um die Wurzeln der grauen Olivengreise drängten sich rote Anemonen und süß duftende Orchideen.

Assisi stieg vor ihnen auf, als sie sich von Norden her der Stadt näherten und nun langsam den steinigen Feldweg anstiegen, der über den rauschenden Tescio führte und dann durch die Olivengärten der Stadt. Schon tauchte trotzig die alte Rocca auf und die Türme an Porta San Giacomo.

»Gehen wir mitten durch die Stadt?« fragte Masseo und sah auf das schüchterne Gesicht Chiaras, das halb von dem rauhen Schleier verhüllt war.

»Ja, es ist der nächste Weg nach San Damiano, und unsere Schwestern scheuen sich nicht, als Bettlerinnen da zu gehen, wo sie einst in Sammet und Seide als Gräfinnen prunkten.«

»Wahrlich nicht, Bruder Francesco!« sagte Chiara lebhaft.

Sie hatten die Stadt betreten und waren die Via Superba hinaufgegangen, wo die alten Paläste standen, aus deren Fenstern neugierige Köpfe schauten bei dem seltsamen Zug, und an deren Türen die Diener herumlungerten mit erstaunten und spöttischen Gesichtern. Die Schwestern erhielten manchen Gruß, den sie gleichermaßen freundlich erwiderten, ob er der Güte, ob er der Neugier, oder auch der Bosheit entsprang. Sie kamen am Tempel der Minerva vorbei. Auf dem ehemaligen Forum herrschte lebhaftes Treiben; eine Karawane mit braunen, abgetriebenen Eseln kam ihnen entgegen, Eckensteher gafften, Bettler lagen in der Frühlingssonne, und ein Häuflein Kinder schloß sich dem Zug an und folgte ihm mit Geschrei und Gejohle.

Oben im Palaste Sciffi, dem sie sich nun näherten, wurde ein grauer Frauenkopf sichtbar, der bei dem seltsamen Aufzug eilig verschwand.

Agnes blickte auf und zupfte Chiara am Gewand. »Ich habe die Mutter gesehen«, flüsterte sie der Schwester zu, die beharrlich zu Boden sah. Da schlug die Türe an die Hauswand, und Ortolana Sciffi stürzte heraus auf die Gasse. Die Mönche hielten an, die Mutter stand vor ihren beiden Kindern, neben denen Francesco ging.

»Chiara, Agnes!« rief sie voll Schmerz, » so muß ich euch wiedersehen!«

Mit irrem Blick hastete das Auge der Frau von dem einen Kind zum andern.

»Wie Bettlerinnen und Landstreicherinnen«, sagte sie dumpf.

»Wie die Jünger und Jüngerinnen, die Jesu nachfolgten«, verbesserte mit Nachdruck der Mönch. Die Frau hörte nicht darauf.

»Oben in der Kammer hängen eure schönen, warmen Kleider und warten euer die weichen Betten«, murmelte sie.

Chiara lächelte schwach. »Wir sind glücklich, Mutter«, sagte sie zärtlich.

»Agnes, meine kleine Agnes, deine Füße bluten!« rief jammernd die Frau. »Haben sie dich über rauhe Steine und durch Dornen geschleppt mit nackten Füßen, und oben in deinem Schrank stehen Schuhe aus feinem sämischen Leder und aus Purpursammet mit Goldstickerei?« Mit zornigen Augen wandte sie sich an Francesco. »Mönch, Mönch, was hast du aus meinem kleinen Mädchen gemacht!«

»Eine Dienerin Gottes, eine Braut Christi. Weine nicht, Frau«, sagte ernst der Mönch und wollte weiter gehen.

»Wo führst du meine Kinder hin?« Sie vertrat ihm trotzig den Weg.

»Nicht weit, nach San Damiano. Wenn du gelernt hast, dich zu fassen, darfst du sie besuchen.«

»Nie wird das Favorino erlauben.«

»Ist der Vater so unversöhnlich?« fragte Agnes schmerzlich.

»Man darf euren Namen nicht nennen, bei der Hochzeit eurer Schwester nannte er Beatrix sein einziges Kind.«

»Wie wenn wir schon gestorben wären«, flüsterte Agnes traurig.

»Und seid ihr es nicht?« mischte Juniperus sich ein. »Danket Gott dafür, daß ihr der Welt und Sünde tot seid.« Agnes verstand ihn nicht und trat auf die Mutter zu.

»Du hast uns aber doch noch lieb, gelt? Wir beten auch täglich für dich«, sagte sie kindlich.

»Ach Agnes, ja, aber ich bin unselig wie eine Mutter, der man die Kinder geraubt hat … Jeden Abend steige ich in eure Kammer und weine auf den Polstern eurer leeren Betten …«

»Deine Kinder sind in besserer Hut, als in der deinen. Kannst du sie vor Gewalttat und Blutvergießen, vor Pest und aller Erdennot schützen? Kannst du sie vor dem ewigen Tod erretten?« fragte Francesco mit flammenden Augen. »Gott hat sie selber gerufen, durften sie etwas anderes tun, als ihm folgen? Wahrlich, ich sage dir, auch du wirst noch seinen Ruf vernehmen und alles verlassen …«

Ortolana verstummte erschreckt, und die Mönche schritten weiter. Mit ausgestreckten Armen lief die Mutter hinter ihnen drein. Da riß Agnes sich von der Hand der Schwester los, drängte sich durch die Brüder und umhalste stürmisch die weinende Frau; dann lief sie eilig auf ihren müden, blutenden Füßen den andern nach, die auf sie gewartet hatten.

Still gingen die Mädchen weiter durch die Stadt, zum Südtor wieder hinaus und sanft abwärts durch Felder und Oliven, wo hinter alten, schwarzen Cypressen, die wie verkohlte Fackeln aussahen, schon das kleine Kloster ihnen zuwinkte. Hier verabschiedeten sich die Brüder an der Pforte.

»Wir haben dir das Häuschen sauber gefegt«, sagte Juniperus. »Hei, wie die Ratten und Mäuse flüchteten, als wir in ihre Nester fuhren!«

»Ratten?« fragte Agnes furchtsam.

»In der Küche findet ihr Brot und Öl, im Keller liegen etliche Früchte«, erklärte Masseo.

»Und das Wasser in der Cisterne ist frisch und gut, nur der Eimer rinnt; vielleicht kann Bruder Egidius ihn euch mit geschmolzenem Blei flicken, wenn er aus Gubbio kommt, wohin er zum Predigen gegangen ist«, tröstete Johannes.

Armselig und verfallen, notdürftig geflickt und mit nackten, grauen Mauern lag das schmucklose Haus vor den Schwestern; aber es war eine Zuflucht, es sollte ein Heim werden. Selig wie eine junge Braut betrat Chiara an Francescos Hand die Schwelle. Wie arm und dunkel die Räume aussahen, Chiara fühlte es nicht. Hier war Gottes, hier war Francescos Haus. Seine Gegenwart sollte sie hier immer umschweben, untrennbar von der Gegenwart des Heiligsten, mit ihm in eins zusammenfließend.

Nur die friedlichsten Töne schienen ihren Weg hierher finden zu können. Francescos Antlitz selber leuchtete, als er die sanfte Freude und Ergriffenheit der Schwestern sah.

»Gott segne dein Leben hier, liebe Schwester!« sagte er innig, und führte sie durch die Kirche und die wenigen Räume des Hauses. Agnes sprang froh wie ein Kind voraus und schaute in jeden Winkel.

»Jetzt ist sie wieder fröhlich,« sagte Chiara, auf die Schwester deutend, »aber mir scheint, sie ist in diesen drei Wochen zur ernsten Jungfrau gereift; gar viel hat ihr Herz zerrissen, ich suche vergebens das alte runde Kindergesichtchen. Hörst du, wie sie lacht?«

»Sie ist auch verändert, weil die Locken ihr nicht mehr in die Stirne hängen. Sorge dich nicht. Im Frieden wird sie hier wachsen und unter deiner Obhut erblühen, eine Freude für unsern Orden, eine Wohltat für die Armen und Unglücklichen. Denn sie hat ein starkes Herz und viel Liebe.«

Chiara nickte dankbar. »Ja, ich bin froh, sie hier zu haben.«

»Du wirst noch andere Gefährten in diesem Haus bekommen. Deine Freundin Cristina will sich dir zugesellen, Angelika, die Tochter des Pietro Vigneto, die schöne Amata, die Braut Luigi Zampas, und andere.«

Überrascht blickte Chiara auf. »Mein Bruder, keins von uns ist in der Zucht eines Klosters aufgewachsen, wir sind so unwissend; so ordne du unser Leben.«

»Ihr sollt euch nicht an viele Regeln halten, die Liebe zu Gott und den Menschen, die Demut und euer Gelübde der völligen Armut, der Keuschheit und des Gehorsams werden euch den Weg zeigen.«

Sie stiegen die enge Steintreppe hinauf zu dem großen Schlafraum der Schwestern unter dem Dach. Ehe sie hinkamen, sahen sie durch eine offene Tür zur Rechten blühende Blumen von der Mauer her nicken. Dort war ein schmaler Streifen Erde zwischen dem Gemäuer und den Dächern, und der Wind hatte Samen von Grasnelken und Waldlilien hingetragen, die blühten. In den Mauerritzen klammerte ein wilder Rosenstrauch seine starken Wurzeln zwischen die Steine; er war über und über voll rosa Blüten, und von Bienen umsummt.

Agnes stand mitten unter den Blumen und pflückte einen Strauß. Der Schleier war ihr in den Nacken gerutscht, das geschorene Köpfchen wurde von der grellen Sonne beschienen. Als sie den Mönch erblickte, errötete sie und schob das unbequeme Tuch wieder zurecht.

»Komm hier herauf, Chiara, hier ist es wundervoll, man kann bis zur Portiuncula sehen und weiter nach Perugia.«

Die Beiden folgten ihr, und träumend blickte Chiara ins Land.

»Hier werde ich oft sein, mein Bruder, und wenn ich das Dach von Santa Maria degli Angeli sehe, wird mir nicht mehr einsam sein; dann bist du bei mir.«

»Nicht nur dann, meine Schwester, meine besten Gedanken sollen dich immerdar segnen und stärken.«

Mit hingebendem Vertrauen blickte sie ihn an. »Ich habe alles auf dein Wort verlassen …«

»Drum will ich auch für euch in leiblichen und geistlichen Dingen sorgen, wie ein Vater. Und du sollst die Mutter aller derer werden in diesem Haus, ein Vorbild der Reinheit und Güte und der vollkommenen Demut.«

»Es ist süß, demütig sein, mein Bruder, wenn man vor dir steht«, sagte sie leise. »Und wie kann man anders sein als gut und rein, wenn man in deiner Nähe lebt?«

»Du sollst nicht so sprechen, Schwester Chiara, was ist an mir, der ich ein armer, elender Sünder bin? Nur daß ich Gott liebe und ihm treu sein möchte.«

Stumm, mit gesenktem Kopf hatte Agnes gelauscht. Sie verstand nicht alles, aber sie wünschte in kindlicher Eifersucht, daß Francesco auch mit ihr rede. Mit zusammengezogenen Brauen beobachtete sie eine kleine, grüne Eidechse, die sich auf der Mauer sonnte. Leise rührte sie die Kutte des Mönchs an.

»Sieh doch, Bruder, wie hübsch und zierlich sie ist!«

Liebevoll beugte sich der Mönch zu dem Kind und dem grünen Tierchen herunter, ein warmer Strahl übersonnte sein bräunliches, hageres Gesicht. Er streckte seine schmalen, lebhaften Hände aus und nahm vorsichtig das anmutige Geschöpfchen auf. Es blieb ruhig sitzen und äugte ihn an, das kleine Herzchen pochte gegen seine Hand.

»Unsere kleine Schwester, die Eidechse«, sagte er endlich in seltsamer Bewegung. »Wie schön hat Gott sie geschaffen, und wie freut sie sich in seiner Sonne!«

Sachte setzte er sie wieder zurück und sah dann die beiden Mädchen an. »Die Welt ist voll von Brüdern und Schwestern, und unser Herz müßte immer überfließen, um sie alle in Liebe zu sättigen. Nur Gott ist so reich …«

»Und du, Bruder Francesco«, dachte Chiara im stillen, aber sie sagte nichts.

Agnes streichelte zärtlich mit ihrer kleinen, braunen Hand den Rücken der Eidechse und freute sich, daß sie Bruder Francesco verstanden hatte. Dann schmiegte sie ihre Wange an die Schulter der Schwester in einer wortlosen Liebkosung. Und die Abendsonne überflutete das Gärtchen mit den drei Menschen, daß sie wie in brennender Glut dastanden.

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