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18. Kapitel.
Worin erzählt wird, wie es kam, daß die Stadt Battlesburg eines Tages einen Salonwagen in ihrer Mitte fand.

Schlaf, gesegneter, süßer Schlummer! Wallingford kämpfte verzweifelt gegen ihn, bis der Rechtsanwalt eingetroffen und die nötigen Schriftstücke unterzeichnet worden waren. Dann ließ er sich, mehr tot als lebendig, in einen Eisenbahnwagen schieben.

»Nun, J. Rufus,« rief Blackie Daw aus, als er neben ihm Platz nahm, »wir haben jetzt deine Sache bestens in Ordnung gebracht, verpackt und verschnürt; jetzt können wir uns meiner Wenigkeit zuwenden. Ich bin ein glücklicher Bräutigam. Gratuliere mir!«

»Huh?« grunzte J. Rufus, und diesem unverständlichen Laut folgte eine Reihe anderer, gleichgearteter Töne. Wallingford schnarchte.

Erst nach vollen 24 Stunden konnte Mr. Daw diese wichtige Mitteilung seinem Freunde übermitteln, und auch dann begriff dieser sie nicht sofort. Erst in Jersey City angelangt, war J. Rufus, noch ganz benommen von seinem nervenzerrüttenden Erlebnis vom Tage vorher, in hinlänglich normalem Zustande, um fragen zu können:

»Wer ist die Glückliche?«

»Der Stern des Morgens und die Königin der Nacht«, antwortete Blackie mit weitausholender Begeisterung. »Die beste Blüte des blumigen Broadway«, fügte er in neckischer Alliteration hinzu. »Die süßeste Pfirsich im Obstgarten der Freude. Die herrlichste Pflanze in Cupidos Garten. Die – –«

»Eine sehr schöne Schilderung«, unterbrach ihn Wallingford. »Jetzt wird es mir nicht schwer fallen, sie aus der dichtesten Menge herauszufinden. Wie hat sie aber geheißen, ehe sie ihren Namen für die Bühne zurechtstutzte? Denn daß sie eine Königin der Bühne sein muß, geht aus deiner hinreißenden Beschreibung klar hervor.«

»Du willst zu schnell alles erfahren«, klagte Blackie. »Du hättest warten sollen, bis ich dir mehr von ihr erzählt habe; du bist aber immer ein ungebärdiger Mensch gewesen, und so werde ich wohl deine Frage beantworten müssen. Ihr Name war und ist auf den Annoncensäulen und in den weitesten Kunstkreisen: Violet Bonnie. Ihre auserlesene Stimme und unvergleichliche Figur – –«

»Ist sie schon wieder geschieden?« unterbrach ihn Wallingford noch einmal.

»Letzte Woche,« antwortete Blackie auf derselben Höhe der Begeisterung, »und dieser Glücksvogel hier (er deutete auf sich) war schnell zur Stelle. Ich wurde ihr im Restaurant Shirley vorgestellt, an dem Abend des Tages, an dem ihr die Scheidung bewilligt wurde, und ich hatte gerade zufällig soviel Geld bei mir, daß meine Taschen ganz geschwollen aussahen. Sie sah meine Rolle Banknoten mit sehr verliebten Augen an; ihr gefiel nicht so sehr der Radius dieser Rolle, als die Geschicklichkeit, mit der ich sie rollte. Ein großer Teil davon rollte freilich bald davon, und um zwei Uhr morgens hatte sie ihre Neigung von den schnell dahinfließenden Mesummen auf mich übertragen. Um vier Uhr früh verließen wir torkelnd diesen Ozean irdischer Nichtigkeiten, gefolgt von einer Menge, die so glücklich war, daß sie nicht wußte und nicht wissen wollte, ob heute gestern oder morgen war oder gestern übermorgen. Wir verfrachteten uns in einem seetüchtigen Taxameter und schwammen zu der berühmten ›Kleinen Kirche um die Ecke‹, wo jenes helle, leuchtende und glänzende Bogenlicht der musikalischen Komödie sich in Frau Violet Bonnie Daw verwandelte. Es war auf beiden Seiten Liebe auf den ersten Blick.«

»Wie lange läuft der Kontrakt?« fragte Wallingford.

»Ich weiß nicht«, antwortete Blackie nachdenklich. »Sie war das erstemal vier Jahre verheiratet, das zweitemal zwei und das drittemal ein Jahr. Auf Grund dieser Statistik ist Nummer Vier zu der Vermutung berechtigt, daß er sechs Monate ehelichen Glückes vor sich hat.«

»Ich bin nie in meinem Leben sechs Monate auf einmal betrunken gewesen,« bemerkte Wallingford weise, »aber ich kann mir vorstellen, wie so etwas passiert. Wenn alles glücklich vorbei ist, so komm zu mir, und ich werde dich in ein gut empfohlenes Sanatorium führen. Wann werde ich inzwischen Gelegenheit haben, der Dame meine Glückwünsche darzubringen?«

»Sofort«, antwortete Daw. »Sie erwartet mich schon mit sehnsüchtigster Sehnsucht. Du mußt wissen, mein lieber J. Rufus, daß dein dringendes Telegramm die zärtlichsten Flitterwochen unterbrochen hat, die je von einem glücklichen Paar gefeiert wurden. Hier ist meine Adresse. Besuche uns, sobald du die ›Amerikanische Gesellschaft‹ geschröpft hast. Wenn du uns nicht zu Hause findest, so miete einen Wagen und lasse dich die Avenue auf und ab rollen, bis du das schnellste Automobil der Stadt zu sehen bekommst. Dem jage nach, denn das ist das unsere.«

Als Wallingford aber am nächsten Nachmittag um zwei Uhr nach einer beiderseitig zufriedenstellenden Unterredung mit Mr. Priestly das Paar in dessen Wohnung aufsuchte, fand er die beiden, trotz schnellstem Automobil der Stadt, zu Hause. Sie bereiteten eben ihr – Frühstück und blinzelten in die graue Welt durch die Nebel eines Champagnerschwipses, der augenscheinlich starke Kopfschmerzen hinterlassen hatte. So unmittelbar, unvorbereitet und aus der Nähe besehen, präsentierte sich Violet Bonnie Daw als ein äußerst blondes Persönchen mit einer leichten Neigung zum Embonpoint, aber ihre Augen waren sehr blau und ihre Gesichtsfarbe, auch ohne »Aufmachung«, sehr klar; so klar, daß sie selbst ihr reizendes, helles Morgenkleid überstrahlte, ein leichtes Kleid mit goldenen Farbennuancen, die sehr gut zu ihrer Hautfarbe paßten. Wenn man zu nahe hinsah, so konnte man freilich bereits die Spuren künftiger Krähenfüße um die Augen erblicken; man soll aber eben nicht zu nahe hinschauen. Ihre aufrichtige Herzlichkeit entschädigte übrigens für solche kleine Mängel.

»Sie sind also der alte Kamerad, Busenfreund und Zechgenosse meines Gatten!« rief sie aus und schüttelte ihm herzlich die Hand. Dann betrachtete sie ihn von Kopf zu Fuß mit dem geübten Auge eines Fachmannes (wenn man eine Frau so nennen kann). »Sie sehen wirklich aus, als ob sie ein lustiger Kumpan und kein Spielverderber wären«, war die Schlußfolgerung, die sie aus ihrer Besichtigung zog. »Blackie hat mir erzählt, daß Sie sich soeben ein erkleckliches Sümmchen aus dem Westen geholt haben, und daß Sie den ältesten Lebemännern der Vereinigten Staaten Tips geben können, wie man das Geld am besten los wird. Und Blackie ist wahrhaftig selbst kein Geizhals. Herrgott, Sie hätten gestern abend in unserer Gesellschaft sein sollen!« Sie rasselte das alles mit der Geläufigkeit einer Sprechkünstlerin herunter.

Blackie grinste ein schmerzliches Grinsen.

»Wir haben eine Kette langhalsiger Flaschen vom Café Boulevard bis zum Restaurant Churchill hinterlassen«, teilte er etwas düster, aber doch mit gerechtem Stolz dem Freunde mit. »Und als wir heute vormittag nach Hause fuhren, gingen sogar schon die Bankiers an die Arbeit.«

»Es war kolossal«, lächelte seine Frau in glücklicher Rückerinnerung. »Ich weiß es nicht genau, aber ich nehme an, daß wir uns ausgezeichnet unterhalten haben. Auf jeden Fall ging es so heiter zu, daß wir heute früh (heute früh, sagte sie!) nicht wissen, was wir zu uns nehmen sollen.«

»In dieser Wissenschaft habe ich mir meine erste goldene Medaille verdient«, prahlte Wallingford schmunzelnd. »Was für Tränke habt ihr in eurer Bar?«

»Alles, von gewöhnlichem Gift bis zur Blausäure«, teilte Blackie ihm zur Information mit. »Der vorangegangene Gatte der Frau Daw hat sich darauf bestens verstanden.«

»Das hat er«, stimmte Frau Daw zu. Dann führte sie die beiden Herren in das Speisezimmer und schloß das bewußte Fach im Büfett auf. »Harry hat eine Menge vertragen können, aber schließlich hat sein Magen doch versagt.«

Das Büfett war nicht nur in dem »bewußten Fach«, sondern auch in allen übrigen Teilen, wo sonst das geschliffene Glas und all das übrige Zubehör eines Speisesaales aufbewahrt zu werden pflegt, mit Flaschen aller Formen, Farben und Größen angefüllt, und im unteren Teile wurde Eis aufbewahrt.

»Ich darf wohl den Kellner spielen, gnädige Frau«, bemerkte J. Rufus, und seine Augen leuchteten auf wie die eines schaffenden Künstlers, als er seinen Rock auszog.

Frau Daw beobachtete ihn sinnend durch die offene Tür des Speisesaales, wie er geschickt mit diesen Flaschen und dem dazugehörigen Gerät hantierte.

»Er versteht seine Sache«, erklärte sie bestimmt, und sie wurde in dieser Überzeugung noch mehr bestärkt, als Wallingford drei hohe, dünne Gläser mit feinen Rändern, gefüllt mit Eisstückchen und mit einer golden-grünlichen Flüssigkeit, aus der zwei Strohhalme hervorsahen, mit großer Sachkenntnis servierte. Herr und Frau Daw nippten daran, und ein Seufzer höchsten Genusses entrang sich ihren durstigen Lippen; dann tranken sie ihre Gläser bis zur Neige aus.

»Unserem Helden!« deklamierte Frau Daw und blickte ihn dankbar an. »Sie haben unser Leben gerettet. Was dürfen wir Ihnen anbieten, Mr. Wallingford, Frühstück oder Lunch?«

Am Abend nannte Frau Daw den Gast bereits »Jimmy«, und damit waren die etwaigen ungünstigen Eindrücke, die Wallingford zuerst von ihr gehabt hatte, und die nicht allzu schlimm gewesen waren, verflogen. Wie Blackie sagte: »Sie war geboren, die Nacht zu schmücken und schöner zu werden, wenn die Dämmerung hereinbricht.« Vielleicht hatten auch schöne Toiletten und die vollendete Kunst, sie zu tragen, etwas damit zu tun; bevor aber Wallingford sich von dem Paar in den frühen Morgenstunden verabschiedete, war er entschlossen, sie doch seiner Frau vorzustellen. Er hatte über diesen Punkt anfänglich sehr erhebliche Bedenken gehegt. Jetzt, in vorgerückter Morgenstunde, war er aber überzeugt, daß die Dame durchaus respektabel sei. Nicht der Schatten eines Skandals hatte sich je an ihren Namen geheftet. Sie hatte stets ihre alte Liebe »erledigt«, ehe sie eine neue Liebschaft entrierte, und sie konnte daher ihren Kopf in jeder Gesellschaft hoch tragen!

Frau Wallingford kam am nächsten Tage an, aber sie teilte die Begeisterung dieser beiden Männer für die unvergleichliche Frau Daw keineswegs. Zwischen den beiden Frauen bestand ein auffälliger Gegensatz; selbst ihre Schönheit gehörte nicht nur zwei verschiedenen Typen an, sondern war ganz verschiedener Natur an sich. Die beiden standen einander in ihrem ganzen Wesen so gegensätzlich gegenüber, wie die Farbe ihrer Wangen. Frau Daw gab sich leichter und ungezwungener, denn sie war in ihrer natürlichen, ganz zu ihrem Wesen passenden Umgebung, in die sie sich aus freier Wahl verpflanzt hatte. Frau Wallingford hingegen hatte, trotz ihrer Umgebung, viel in ihrem Wesen (wenngleich sie es nicht erkannte), was einer ehrbaren Frau ähnlich war. Ihre eigentliche Sphäre, die einer ruhigen, schmucken Häuslichkeit, hatte sie nie gekannt, wenngleich sie eine unbestimmte Sehnsucht nach ihr stets empfunden hatte. Sie war aber anpassungsfähig. Im Laufe ihres Ehelebens war sie mit allen Arten und Typen von Nomaden zusammengetroffen, von der Art, wie ihr Gatte auf seinen Kreuz- und Querzügen aufzulesen pflegte; und so nahm sie die Frau Daw als eine selbstverständliche, unvermeidliche Bekanntschaft hin und kam mit ihr ohne Reibung aus. Trotzdem zog sie, vielleicht ohne es zu wollen, ein langes Gesicht, als ihr Gatte ihr eines Tages mitteilte, daß er auf eine glänzende Idee verfallen sei: eine Flitterwochenreise für das Ehepaar Daw. Schon im Augenblick, als ihm die Idee durch den Kopf geflogen war, war er daran gegangen, sie zur Ausführung zu bringen. Er hatte bereits bei einer Eisenbahngesellschaft einen Salonwagen gemietet, und die besten Dinge, die aufzutreiben waren, hineinschaffen lassen. Gleich darauf teilte er dies den Daws telephonisch mit. Frau Daw hatte zwar erst am Tage zuvor einen Kontrakt mit einem der führenden Theaterdirektoren abgeschlossen; aber was ist ein Kontrakt?

Am nächsten Tage traten sie in einem Salonwagen, der mit allem erdenklichen Luxus ausgestattet war, ihre heitere Reise quer durch den Kontinent an. Was aber ihre Lebensweise und ihre Vergnügungen betraf, so hätten sie ebensogut auf dem Broadway bleiben können; denn ihre Nächte brachten sie trinkend, ihre Vormittage schlafend und ihre Nachmittage im Katzenjammer des Ernüchterns zu. Frau Wallingford hielt sich bei diesem Treiben so reserviert wie sie nur konnte, ohne die übrigen in ihrem Vergnügen zu stören. Es war, als befände sich die Gesellschaft lediglich in einem Neuyorker Hotel auf Rädern, denn sie nahmen das leichtblütige Hotelleben mit sich quer durch das Land; der einzige Unterschied zwischen dem Hotelleben und ihrem jetzigen Dasein bestand in der stetig wechselnden landschaftlichen Umgebung und in der Eile, mit der sie von Ort zu Ort flogen. Sie wollten das angenehme Gefühl dieser Eile nicht missen. Solange sie schnell dahinfuhren, waren sie zufrieden; verlangsamte sich die Fahrt, so machten sie ihrem Mißvergnügen laut Luft.

Auf einer kleinen Zweiglinie im mittleren Westen erreichte die ärgerliche Langsamkeit der Fahrt ihren Höhepunkt. Es war nachgerade so schlimm, daß Wallingford den Zugführer kommen ließ und sich energisch beschwerte. Dieser erklärte, daß das Gleis durch einen Schnellzug versperrt sei. Warum war dann der Salonwagen nicht an den Schnellzug angehängt worden? fragte Wallingford. Der Zugführer wußte es nicht; er hatte auftraggemäß gehandelt.

»Dann lassen Sie sich gefälligst andere Aufträge erteilen«, verlangte Wallingford und machte eine Stunde lang dem Zugführer das Leben sauer. Der mußte an jeder Haltestelle an die Direktion der Gesellschaft telegraphieren. Schließlich sah er, beinahe schon zur Verzweiflung getrieben, mit einem Seufzer der Erleichterung, daß der Salonwagen »Theodor« in Battlesburg auf ein Nebengleis geschoben und zurückgelassen wurde.

Für das Terzett der lärmenden und zechenden Reisenden (Frau Wallingford konnte man füglich nicht dazu rechnen) bedeutete der Ort Battlesburg nur ein uninteressantes Detail ihrer Reise, das sich ihnen ungebeten aufgedrängt hatte. Desto mehr aber bedeutete die Ankunft eines Salonwagens mit Passagieren für die kleine Stadt Battlesburg. Für sie war es ein epochemachendes Ereignis. Mochte es doch der Präsident selbst sein!

Der storchbeinige Billy Ricks, der müßig auf der Plattform der Bahnstation herumstand, wartete nicht einmal, bis er sich das Ereignis – den Salonwagen – angesehen hatte, sondern stelzte so schnell er konnte in heller Begeisterung die eine lange Straße des Städtchens hinauf. Er hielt sich bei den Leuten, die in der Nähe des Bahnhofs wohnten, nicht erst lange auf, denn diese würden die große Nachricht ja doch bald genug erfahren; aber in ein Fenster des Häuschens, in dem Mr. Lampton, genannt »Richter« Lampton, vereidigter Notar, Friedensrichter und Grundeigentumsmakler, sein Bureau untergebracht hatte, steckte er einen Augenblick lang seinen Kopf und schrie hinein:

»Salonwagen auf dem Nebengleis! Der Wagen heißt ›Theodor‹!«

Richter Lampton, eine lange, zerblätterte, sehr billige »Fehlfarbe« im Munde, schmiß seine Füße von dem staubbedeckten drehbaren Aktengestell herab, auf dem sie bisher geruht hatten. Sein langjähriger Freund »Doktor« Gunther, der im nämlichen Zimmer saß, der Tierarzt und Besitzer des auf der anderen Straßenseite gelegenen Leihstalles, hatte aber, wie gewöhnlich, seinen Kopf gegen die Wandkarte von Battlesburg gelehnt; als Billy die Nachricht hineinschrie, hob er den Kopf von dem braunen Fleck weg, den er durch jahrelanges Anlehnen auf die Karte gemalt hatte, und steckte energisch ein neues Priemchen Kautabak in den Mund. Dann marschierten die beiden Freunde, ohne ein Wort zu sagen, ernst und gemessen aus Lamptons Bureau dem Bahnhof zu. Inzwischen schleuderte Billy Ricks die sensationelle Nachricht wie eine Bombe in die Stadt hinein: in den Zigarrenladen Joe Warrens, in die Gemischtwarenhandlung Ben Kirbys, in Tom Handys Bier- und Schnapswirtschaft, in das Möbelgeschäft und Beerdigungsinstitut der Gebrüder Dogget, in das Schnittwarengeschäft Barrett & Lucas, und in jedes andere Geschäftslokal auf dieser Straßenseite, einschließlich des »Palast-Hotels«, bis er zu Gus Newtons Apotheke und Konfektladen kam, wo die richtigen, in der Wolle gefärbten »Sportleute« und »Lebemänner« des Ortes Würfel und Karten in einem Hinterzimmer des Lokals spielten. Hier traf Billy vor der Tür ein rundes halbes Dutzend dieser Lebejünglinge, die eben auf die Straße hinausstürmten und die Richtung nach dem Bahnhof nahmen.

»Salonwagen auf dem Nebengleis! Der Wagen heißt ›Theodor‹!« schrie Billy ihnen zu.

»Uh – huh«, hänselte ihn Gus Newton. »Ich habe ihn selbst bestellt. Kommt schnell, es ist spät.« Unter solchen Scherzreden eilte die Schar ihres Weges weiter.

Gerade vor der »Battles-County-Bank« traf Billy Herrn Clint Richards, den Verleger und Hauptredakteur der einzigen Zeitung von Battlesburg, »Das Richtschwert«. Clint war aber nebenbei auch Reporter, Redakteur des politischen Teils und der »Nachrichten aus der Gesellschaft«, sowie Inseratenagent seines Blattes; und er trug, wie es einer literarischen Persönlichkeit zukommt, seine Haare ziemlich lang. Er war ersichtlich in Eile. Seinen breitränderigen Filzhut hatte er fest auf den Kopf gedrückt.

»Salonwagen auf –« begann Billy Ricks.

»Weiß schon«, unterbrach ihn Clint. »Danke.« Er eilte fort und seine Rockschöße flatterten hinter ihm her.

Billy blieb verzagt auf der Straße stehen. Er hatte schon aus den hingeworfenen Worten Gus Newtons entnommen, daß das Telephon ihm zuvorgekommen war und die große Neuigkeit vor ihm in der Stadt verbreitet hatte. Die Straße, die noch vor einer Viertelstunde so ruhig und verlassen dagelegen hatte, war jetzt lebendig geworden. Aus allen Häusern und Geschäftslokalen strömten die Leute heraus, alle dem Bahnhof zu. Keiner nahm von dem unglücklichen Billy die geringste Notiz. Das undankbare Battlesburg dachte nicht daran, ihn in den geringsten Zusammenhang mit dem gewaltigen Ereignis zu bringen. Von diesem bitteren Gedanken erfüllt, schritt er jetzt selbst dem Bahnhof zu; während er aber früher auf leichtbeschwingten Sohlen geeilt war, scharrten jetzt seine Füße schlotternd den Sand.

An dem Seitengleise drängte sich die Einwohnerschaft von Battlesburg, Männer, Frauen, Kinder und Hunde, in vier Reihen um den glänzenden Palast auf Rädern, um den Salonwagen »Theodor«. Erregte Gruppen von zwei, drei und vier Menschen, die zwischen dem Nebengleis und der Bahnhofsplattform zerstreut herumstanden, besprachen den Vorfall eifrigst; Dave Walker, der Stationschef, gab sich mit einem Male sehr groß und wichtig; lehnte zunächst jede Auskunft ab, um sich dann doch erweichen zu lassen und mit jeder Gruppe nachbarlich vertrauliche Gespräche zu führen. Clint Richards, blaß, aber ruhig und zuversichtlich, eilte durch die aufgerührte Masse, die, als sie des offiziellen, einzig autorisierten Ausfragers der Stadt ansichtig wurde, beinahe in Hurrarufe ausgebrochen wäre. Da das Vestibül des Salonwagens offen war, erkletterte Clint die Stufen und versuchte die Tür zu öffnen. Sie war verschlossen.

»Drück' auf den Knopf, Clint«, riet Gus Newton, der in manchen Dingen Bescheid wußte (worauf Sie sich verlassen können!), und Clint nickte ihm lächelnd zu. (Gus war ein Jahresinserent.) Dann drückte er auf den Knopf, und eine Klingel ertönte.

Ein flinker, sauber aussehender junger Neger in weißer Schürze und Jacke kam an die Tür, und Clint überreichte ihm seine Karte. Der Neger verschwand, und eine Minute später wurde Clint vorgelassen. Ein Seufzer der Erleichterung ging durch die harrende Menge, die sich immer gleichmäßig, wie ein Ährenfeld, von einer Seite auf die andere bog, die Hälse reckte und sich auf die Fußspitzen stellte, um so viel wie möglich durch die breiten Fenster sehen zu können.

Der farbige Wagenwärter führte den Zeitungsmann in ein reich möbliertes Gemach, das die ganze Breite des Waggons einnahm, und in dem die Reisegesellschaft in eleganten Toiletten beim Lunch saß. Sie hatten sich anscheinend eben erst an der Tafel niedergelassen, denn ein noch unberührter Cocktail stand vor jedem Gedeck. Der hünenhafte Mr. Wallingford, dessen breite weiße Weste allein nicht geringen Eindruck machte, erhob sich, um den Vertreter des Battlesburger »Richtschwertes« herzlich zu begrüßen.

»Die Mitglieder der fortschrittlichen Presse sind stets willkommen«, sprach er Mr. Richards an und drückte dabei dessen Hand mit seinen großen, derben Fingern. Echt demokratische Leutseligkeit strömte dabei aus jedem Quadratzoll seines Gesichts. »Wir wollen eben einen kleinen Imbiß zu uns nehmen. Machen Sie mit.«

»Ich will nicht lästig fallen«, antwortete Richards zögernd. Seine Augen glänzten, als er an die journalistischen Möglichkeiten dachte, die dieses Ereignis ihm darbot, und in seinem Kopf formten sich bereits schöne, runde Attribute wie »köstliches Mahl«, »leckere Delikatessen«, »epikuräischer Überfluß« und ähnliche schmückende Beiwörter.

»Unsinn«, wandte Wallingford liebenswürdig ein. »Sie halten mit.« Er stellte den Besucher mit großem Zeremoniell dem Herrn Horaz G. Daw, Minenhändler und Spezialist für Kapitalsanlage, der Frau Violet Daw, früher Violet Bonnie, Königin der Komischen Oper, und der Frau Fanny Wallingford vor. Sich selbst bezeichnete er als einen Fabrikanten und Kapitalisten, der sich kürzlich ins Privatleben zurückgezogen habe. Dann forderte er Richards auf, Platz zu nehmen, und setzte ihm einen Cocktail vor.

Mr. Richards war natürlich von dieser nahen Berührung mit zwei führenden Millionären Amerikas überwältigt, und er pflichtete eifrigst der Behauptung seines Wirtes bei, daß die O.-F.-K.-Eisenbahn der »schlechtest verwaltete rostige Schienenstrang« in den ganzen Vereinigten Staaten sei. Er war sogar noch mehr als die Reisenden darüber empört, daß diese Eisenbahn-Gesellschaft ihnen erst Anschluß an einen D-Zug versprochen, in Wirklichkeit aber den Salonwagen an irgendeinen lokalen Eier- und Butterzug angekoppelt hatte. Er freute sich noch mehr als die Reisegesellschaft darüber, daß Wallingford die Direktion solange gezwiebelt und gepiesackt hatte, bis diese endlich mürbe geworden war und Auftrag gegeben hatte, den Wagen hier in Battlesburg abzukoppeln und auf den 3-Uhr-45-Minuten-Zug warten zu lassen, einen D-Zug, an den der Salonwagen dann angehängt werden sollte.

»Mr. Wallingford,« erklärte Clint Richards, »die O.-F.-K.-Bahn ist ein Flecken auf dem Schilde der Eisenbahnwissenschaft! Stellen Sie sich vor, ihre D-Züge halten hier in diesem blühenden Fabrikszentrum von viertausend Seelen nur auf Signal! Von Ihren Wagenfenstern hier können Sie den Rauch aufsteigen sehen aus den Schornsteinen der ›Waggonfabrik Battlesburg‹, der Pflugscharfabrik von G. W. Battles, der Türen-, Türrahmen- und Jalousiefabrik von Battles & Handy, der Konserven-Gesellschaft Battles & Sohn, des Nährmittel- und Käse-Erzeugungs-Konzerns von Battles & Battles. Und dennoch rasseln die beiden einzigen D-Züge der O.-F.-K.-Bahn (wir nennen sie hier die ›Oberfaulen-Köpfe‹-Bahn) an unserer Stadt patzig vorbei! Kein Geringerer als der Ehrenwerte G. W. Battles hat die Sache persönlich in die Hand genommen, und wenn sogar selbst dieser Mann nichts tun kann – –«

Die Aussichtslosigkeit einer Lage, in der selbst der Ehrenwerte G. W. Battles nichts tun konnte, ging über das Ausdrucksvermögen des Herrn Richards. Er brach deshalb den Satz hier ab und wandte sich einem anderen Gesprächsstoffe zu: er erkundigte sich nach der finanziellen Lage im Osten der Vereinigten Staaten. Er erfuhr alles, was er zu wissen wünschte, und noch mehr. Die Herren Daw und Wallingford, deren Erfindungsgabe sich sofort regte, halfen ihm, sein Notizbuch bis an den Rand mit den interessantesten Daten und Zahlen zu füllen. Dann wandte sich die Konversation der »kleinen Mahlzeit« zu, hauptsächlich dem köstlichen, moussierenden Burgunder, den die beiden Herren bis in den siebenten Himmel priesen, in der Überzeugung, dieses Lob in der nächsten Ausgabe des »Richtschwertes« wörtlich wiederzufinden. Eine große Zigarre im Munde, von der er die goldene Leibbinde absichtlich nicht entfernte, eilte Mr. Richards aus dem Waggon zu der dichtgedrängten Menge und bemerkte im Tone lässiger Vertraulichkeit mit den Großen dieser Erde:

»Im Waggon reist Colonel Wallingford, der berühmte Millionär aus dem Osten. Er ist reich und freigebig wie ein Prinz. Lest nur das ›Richtschwert‹ von heute abend.« Damit eilte er fort, um seine große Sensation dem Druck zu übergeben.


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