Conrad Ferdinand Meyer
Der Heilige
Conrad Ferdinand Meyer

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VII

Nun erschreckt Ihr, Herr, und vermutet, zu dieser Stunde sei die Feindschaft ausgebrochen zwischen dem König und Thomas Becket – Ihr würdet irren. Eine Weile zwar mieden sie einer des anderen Atem und Angesicht; doch in begründeter und ungezwungener Weise, weil Herr Heinrich jenseits des Meeres mit dem Capetinger in Fehde stand und der Kanzler inzwischen in Engelland die Staatsgeschäfte besorgte.

Denn der Glaube meines Herrn an die Weisheit und Treue des Kanzlers blieb unerschüttert; ja dieser Felsenglaube war überhaupt nicht ins Wanken zu bringen. Und seinerseits nahm Herr Thomas nie williger jede Bürde der Arbeit und Feindschaft auf sich, die ihm aus seinem Eifer für die Größe seines Königs entsprang.

Er hatte damals keinen leichten Stand, da er zum Vorteil der königlichen Rechte mit der vornehmen normännischen Pfaffheit angebunden und sich verbissen hatte. Ihr kennt diese Händel, Herr, denn sie wuchern überall. In Engelland waren sie aus den unmäßigen, von dem Eroberer an die bischöflichen Stühle geknüpften Vorrechten erwachsen. Nicht nur, wie auch anderwärts, Händel von Pfaffe mit Pfaffe wurden den königlichen Gerichten entzogen, sondern auch der von einem Pfaffen geschädigte Laie mußte den Geschorenen vor dem geistlichen Richter suchen. Da nun – in aller Einfalt geredet – keine Krähe der anderen die Augen aushackt, blieben, schwächere Dinge ungerechnet, pfäffischer Totschlag und Weiberraub ohne Ahndung oder, schlimmer noch, wurden so sanft bestraft, daß es einem bösen Scherze glich und die ungedämpfte Brunst der Geschorenen immer weiter um sich griff.

Darüber ergrimmte mein Herr und König, denn er war im gemeinen Wesen ein gerechter Mann, und versuchte, seine Pfaffheit einzutun. Kein leichtes Werk!

Auf dem Stuhle des Primas und Erzbischofs von Canterbury, welchem der Eroberer weiland aus Staatsgründen die anderen englischen Bistümer völlig untergegeben hatte, saß damals ein trotziger Normanne, dem seine Tonsur gerade recht war, um gegen seinen Lehensherrn und König Panier aufzuwerfen. Und auch der damalige Heilige Vater in Rom – sie sagen, man habe ihn aus einem Kloster hervorgezogen, um ihn auf den Thron zu setzen, und er hätte zeit seines Lebens nicht viel von der Welt und ihren Geschäften gehalten und begriffen – nahm Partei für den normännischen Bischof, weil er überhaupt kein geistliches Recht wollte umkommen lassen. An diesen wendete sich nun der Kanzler von Engelland in zahlreichen Staatsschriften, das taube Ohr Seiner Heiligkeit bestürmend, sie möge dieser in Mutwillen ausgearteten geistlichen Gerichtsbarkeit Regeln und Schranken setzen.

Und ich sage Euch, Herr – denn ich weiß, auf welcher Seite die Chorherrn von St. Felix und Regul stehen –, Gerechteres wie Schlaueres wurde nichts gegen die weltliche Gewalt der Pfaffen geschrieben und wird in Ewigkeit nicht geschrieben werden, als was dem Kanzler aus seiner geschmeidigen Feder floß. Mit keiner beleidigenden Rede oder langweiligen Beghardenpredigt verdarb er seine Sache, das ist nicht gebräuchlich im Staatsverkehr; sondern er berannte den schlichten Geist des Heiligen Vaters mit schlagenden Tatsachen. Er stieß, figürlich geredet, einen Fensterladen nach dem andern auf, so daß eine große Helle entstand und selbst ein Kind begreifen mußte: Geiz, Habsucht, Raub, Hinterlist, Unzucht und Gewalttat, wie sie die Pfaffen König Heinrichs an sich hatten, seien etwas anderes als der reine und unschuldige Wandel des Heilands und seiner zwölf Boten.

War es auch nur, um seinen Schmerz zu verwinden, der Kanzler zog mannhaft ins Feld. Schrift, Kirchenväter, Rechtslehrer ließ er für sich streiten, und sein schärfstes Schwert war der schöne evangelische Spruch: ›Mein Reich ist nicht von dieser Welt.‹

Ich sehe die Frage auf Euern Lippen, wie mir solches zur Kenntnis kam. Hört an. Wann eine Botschaft oder ein Staatsbrief des Kanzlers ins Lager gelangte, welche mein König zu unterzeichnen hatte – denn in Person und Kraft des Königs stritt der Kanzler mit dem Papste –, ließ sich Herr Heinrich, wenn ihm gerade keiner seiner Kleriker zur Hand war, das Schriftstück von seinem unwürdigen Knechte vorlesen. Es war ihm bewußt, daß ich in meiner Jugend auf pfäffischen Wegen gewandelt und des Lesens kundig sei; seine eigenen Augen aber, ob sie wohl noch scharf und sicher in die Ferne blickten, waren untauglich geworden, Handschriftliches zu entziffern.

Er lachte herzlich über die getroffenen Bildnisse, welche der Kanzler von seiner Pfaffheit entwarf. ›Merke, Hans, es macht ihm Kurzweil‹, sagte er wohl zu mir, ›meine Pfaffen an den Haaren zu ziehen, denn er ist ein ungläubiger Philosoph und verkappter Sarazen.‹

Auch mich hat dabei oft ein Lachen angewandelt, aber kein fröhliches. Nicht daß ich es dem Heiligen Vater mißgönnt hätte, wie er zu Zeiten beschaffen ist, sondern mir schien, was meinem Herrn und Könige bei seiner treuherzigen Art gänzlich entging, unter diesem spielenden Witz brenne ein Abgrund von strafendem Ernst und dunkler Trauer.

Herr, ich konnte das Antlitz aus der Burgkapelle nicht vergessen!

Oft, wann ich etwa einen Pfeil schnitzte und dabei meinen Gedanken freien Lauf gab, fragte ich mich, ob Herr Thomas sich je wieder an den königlichen Tisch setzen und Scherzreden mit Herrn Heinrich werde wechseln können, den Hauch seines Mundes mit dem des Königes mischend. Dieser schien nicht daran zu zweifeln und mit seiner natürlichen Tapferkeit vergangene Dinge hinter sich zu werfen.

Aber ich wettete in meinem Geiste gegen ihn; denn nach dem Urteile meines Herzens ging es wider menschliche Möglichkeit.

 

Mein Herr und König saß nach beendigter Fehde auf einer seiner Burgen in der Normandie; da geschah es eines Tages, daß ich, was selten vorkam, ein müßiger Mann war und auf dem Turme mit dem Wärtel, einem guten Gesellen, plauderte. Er übergab mir eine Weile sein Amt, da ihm das Liebchen aus dem Küchengarten winkte.

Wie ich Umschau halte, erblicke ich an einem nahen Hügel eine kleine, auf den Krümmungen des Weges sich herabwindende Heerfahrt. Voran in der Abendsonne ein blitzender Gewappneter, der in das Hifthorn stößt! Das war das Löwenherz. Hinter ihm ritten seine drei Brüder und ein reisiges Gefolge. Jetzt erblick ich etwas leuchtend Weißes – den Schimmel des Kanzlers. Ein höhnisches Lachen der Sicherheit überkommt mich – ich ergreife das große Wächterhorn, erwidere Herrn Richards Ruf und begrüße den Kanzler, freilich nur mit meinem natürlichen, auf diese Entfernung nicht vernehmbaren Mundwerke, mit den frechen Worten: ›Herr Thomas, Ihr habt keines Mannes Mark in den Knochen und keines Ritters Blut in den Adern! A la bonne heure! Mich soll's nicht anfechten, wenn meinem Herrn einfällt, Euch lebendig auf dem Roste zu braten und Euch zu einem heiligen Lorenz zu machen.‹ Und mir schien, da ich das weiße Roß erblickte, der Herr und der Knecht habe von dem Kanzler nichts weiter zu befahren und auch der Himmel werde die Rache des feigen Mannes sinken lassen.

Ich eilte hinunter und beobachtete den Einzug, mich möglichst beiseite haltend.

Herr Thomas war nicht verändert, seine Gebärde so ruhig und sein Gewand so kostbar wie vordem. Der König in seiner heftigen Art stürzte den Söhnen und seinem Kanzler entgegen, nach dem er sich wohl noch mehr als nach seinen Kindern gesehnt hatte. Dieser ersparte ihm jede Scham und äußerliche Reue, er verneigte sich ehrfürchtig vor ihm und redete dann von den Knaben mit Sorgfalt und Wohlwollen, fügte aber mit milder Ruhe hinzu, seine Zeit, die wachsenden Staatssorgen, seine Reisen und Gesandtschaften, auch eine früher ihm unbekannte Müdigkeit erlaube ihm nicht länger, ihre Erziehung persönlich zu leiten, er werde ihnen berühmte Männer zu Lehrern geben, die ihn leicht entbehrlich machen würden.

Der König stand betroffen von dieser Rede, und seine Kinder umringten den Kanzler und umarmten ihn mit Tränen, bittend und flehend, er möge sich ihnen nicht entziehen. Nur der kleine Hans schnitt eine vergnügte Grimasse. Da bat Herr Heinrich mit den Knaben, daß er sie nicht von sich weise.

Die beredten Lippen des Kanzlers wiederholten seine Weigerung mit neuen anmutigen Wendungen, aber seine dunkeln Augen richteten sich auf den König und schienen zu sagen: ›Grausamer Mann, du hast mich meines Kindes beraubt und verlangst, daß ich mich um die deinigen bekümmere!‹

Ich weiß nicht, ob Herr Heinrich in diesem Blicke die Wahrheit las; aber er drang nicht weiter in den Kanzler.

 

Von jener Stunde an brach Hader aus zwischen den vier Königskindern, und die Liebe des Kanzlers versöhnte sie nicht; denn sie waren ihm gleichgültig geworden, und er überließ sie ihren Trieben.

Ich habe Euch schon erzählt, daß ich im Bogen und in der Armbrust der Lehrmeister der vier Jungherren war. Ich hatte strenges Verbot, von ihnen jemals zu weichen oder ihnen eine Armbrust in den Händen zu lassen; denn da sie von verschiedener und unbrüderlicher Natur waren, mußte gewehrt werden, daß sie nicht mit der Schießwaffe aufeinander losgingen.

Eines Tages nun, da ich mit den vier Armbrusten zu den vier Jungherren in den hintern Burghof ging, hörte ich schon von weitem zwischen dem Gebelle der Bracken Getümmel und Schlachtruf. Ich fand die Herren dort so hart ineinander verwickelt, daß ich Mühe hatte, sie zu sondern. Das Löwenherz hatte Herrn Gottfried mit der Rechten an der Kehle, mit der Linken aber Herrn Heinrich an den gekräuselten Haaren gefaßt und schüttelte beide wacker. Ihm selbst hinwiederum hatte sich der kleine Hans, der es mit den beiden Ältesten hielt, an den Rücken gekrallt und biß ihn in den Hals. Ich griff zuerst nach dem Kleinen, der Wildkatze, und löste dann die Herren Heinz und Gottfried aus den streitbaren Fäusten des Löwenherzens.

Da warf sich Herr Richard mit flammendem Zorne nach mir herum und schrie mich an: ›In Teufels Namen, Armbruster, willst du uns unser Hauserbe rauben?‹ – ›Welches Erbe, Beausire?‹ fragte ich verblüfft. – ›Uns zu hassen!‹ rief er. ›Darauf leistet keiner von uns Verzicht.‹ – Mich erfaßte ein tiefes Verbärmnis über diesen Worten eines Unmündigen. Ich zog ihn beiseite und redete ihm christlich zu, wie süß es sei, wenn Brüder einträchtig beisammen wohnen. Herr Richard aber brach in stürmische Tränen aus und schluchzte: ›Er hat mich heute nur nicht angeschaut!‹ Und ich erriet, daß er von Herrn Thomas sprach. ›Wenn der Kanzler sich weniger mit Euch abgibt‹, tröstete ich, ›so ist es dringender Staatsgeschäfte halb Eurem Herrn Vater zu Nutz und Lieb.‹ Da schüttelte jung Richard trotzig den Kopf, leuchtete mich mit seinen großen blauen Augen an und rief: ›Das lügst du, Armbruster! Der Kanzler liebt den Vater nicht!‹

Aber nicht nur untereinander verfolgten sich die viere; sondern – wehe – sie begannen auch der Majestät ihres Vaters die schuldige Ehrerbietung zu versagen. Ich weiß noch, wie es mir ins Herz schnitt, was ich sehen und hören mußte, als ich einst meinen Herrn und König in seine Schlafkammer geleitete. Er hatte sich den Kopf an den Staatsgeschäften zerarbeitet und den Leib mit einer Hirschjagd ermüdet; so hatte er denn sein schweres Haupt über dem Schlaftrunke geneigt und schnarchend in seine auf den Tisch gelegten Arme versinken lassen.

Wir begegneten auf dem Gange den schlimmern seiner Söhne, dem ältesten und dem jüngsten. Erfrechte sich da nicht der kleine Hans, der, wäre der Herr bei unverhüllten Sinnen gewesen, sich vor ihm verkrochen hätte, schwankend, als spotte er eines Trunkenen, hinter den königlichen Tritten herzuziehen, und der andere, der Kleidernarr, wandte sich von seinem Erzeuger mit einem hochmütigen Pfui. Nachdem ich meinen Herrn wohl versorgt hatte, traf ich Junker Heinrich noch auf dem Gange. Da ließ ich ihn hart an, nannte ihn einen schwarzen Ham und drohte, ihn bei dem Kanzler zu verklagen. ›Herr Thomas verachtet den Vater‹, versetzte der Knabe. ›Wie hielte der feine Berberhengst mit dem borstigen Eber Freundschaft?‹ Entsetzt hielt ich ihm die Hand auf den Mund; er aber warf die langen weichen Locken aus dem Gesicht und entsprang mit einem scharfen Gelächter.

Ich mußte mich über die feine Witterung wundern, welche oft kindliche Unerfahrenheit von den verborgenen Dingen des Gemütes hat. Denn, wahrlich, es war nicht Herr Thomas, der sich etwas merken ließ von seinem Widerwillen gegen den König oder der es in irgendeinem Falle an williger Ehrfurcht hätte fehlen lassen.

Allabendlich saß dieser Unentbehrliche am königlichen Tische und erheiterte den Herrn mit den feinen Spielen seiner Rede.

Noch seh ich, wie er lächelnd in seinem Stuhle zurücklehnte und der frohe König lauschend an seinen kaum bewegten Lippen hing. Ich stand hinter dem Stuhle meines Herrn und betrachtete zuweilen mit stiller Furcht dieses unkörperliche Antlitz, das im Ampelschein wie im Tageslicht gleich blaß war und auf welchem für mich jener Todeszug, der mich daraus angestarrt hatte, als es damals neben Graces Haupt auf dem Sargkissen lag, auch in der belebten Laune des Bankettes nie mehr völlig verschwinden wollte.

Habt Ihr das aus Byzanz gekommene Bild gesehen, das die Mönche in Allerheiligen zu Schaffhausen als ihren besten Schatz hüten? Es ist ein toter Salvator mit eingesunkenen Augen und geschlossenen Lidern; aber betrachtet man ihn länger, so ändert er durch eine List der Zeichnung und Verteilung der Schatten die Miene und sieht Euch mit offenen Schmerzensaugen traurig an. Eine unehrliche Kunst, Herr! Denn der Maler soll nicht zweideutig, sondern klar seine Striche ziehen.

Mit dem Kanzler aber ging es mir umgekehrt. Wenn ich sein Antlitz länger betrachtete und er gerade schwieg, so war es, als schlössen sich seine Lider und es sitze ein Gestorbener mit dem König zu Tische.

Ich bin dessen nicht gewiß, Herr, aber ich muß es glauben, daß mein König in jenen Tagen sich gegen den Kanzler mag ausgelassen haben über die Trauer, die er ihm wider Willen bereitet. Wenn auch nur mit wenigen oder verdeckten Worten, hat er ihm wohl sein Leid bezeugt und gebeichtet. Ich denke, daß er die Last von sich abzuwälzen suchte, und zwar auf diese meine Schultern hier, was ich ihm nicht verüble, denn so ist der Lauf der Welt, und zu befahren hatte ich dabei nichts. Der Kanzler war viel zu weise, um das Werkzeug mit der Hand, die es führt, zu verwechseln, und viel zu hoch, um einen Knecht seiner Rache zu würdigen.

Versteht mich! Herr Heinrich mag das Spiel des Zufalls und mich verklagt und verlästert haben, was das böse Sterben des Kindes angeht; den Raub desselben und die Fleischeslust rechnete er sich nicht hoch an, denn er kannte in diesen Dingen kein Recht und kein Gesetz. Auch trug er die Tat damals leicht, glaub ich, weil unser aller Richter sie ihm noch nicht in ihrer vollen Schwere zugewogen hatte.

 

In jenen Tagen begab es sich, daß der Kanzler einmal gegen Abend dem König auf die Jagd nachgeritten kam und die Herren unter einer weithin schattenden Eiche sich lagerten. Ich saß an der lichten Seite des Stammes und kraute einem Jagdhunde hinter den Ohren. Der König kannte meine Treue und war gewohnt, meinetwegen sich keinen Zwang anzutun, und Herr Thomas sah über mich hinweg oder, wann er mir einen Blick schenkte, war es kein unfreundlicher, denn jener von mir neben Gnades Sarg gesprochene Koranvers hatte ihm gefallen und wohlgetan. So war ich Zeuge eines wunderbaren und dem Menschenverstand unglaubwürdigen Gespräches, das aber so wörtlich wahr und gewiß ist, als daß ich hier bei Euch sitze.

Die beiden Herren beredeten sich über ein Schreiben des Königs von Frankreich, das Herr Thomas aus seinem Gewande hervorgezogen hatte. Er unterhielt nämlich einen geheimen Briefwechsel mit dem Capetinger in Paris, dem dazumal sein Kanzler, der Abt Sugerius, gestorben war und der, um einen Ersatz zu finden, Herrn Thomas, als den klügsten Mann der Erde, gerne seinem Herrn abtrünnig gemacht und in den eigenen Dienst gelockt hätte. Dieser tat nicht unwillig und erfuhr unter der ungesucht ihm in die Hand gefallenen Larve auf einem kurzen und sichern Wege alles, was er von den Anschlägen des fremden Königs gegen den seinigen und die normännische Krone durchaus wissen mußte.

In dem Briefe, den der Kanzler Herrn Heinrich übergeben hatte, mochte der König von Frankreich ihm wieder hart zusetzen, in seine Dienste überzutreten, denn mein Herr ergötzte sich mit wahrhaft königlicher Lust an dem Schreiben.

›Schau, schau!‹ spottete er, ›zehntausend Pfund bietet er dir. Er will es sich etwas kosten lassen. Aber daraus wird nichts, mein Vetter Frankreich. Diesen preiswürdigen Mann laß ich nimmermehr fahren!‹ Und er legte die Hand liebevoll auf die Schulter seines Günstlings. Dann scherzte er in übermütig vermessener Laune:

›Hast du etwas gegen mich auf dem Herzen, mein Thomas, und willst es mich entgehen lassen, tapferer Mann, ohne Gefahr deines Leibes und Lebens, wohlan, dazu kann Rat werden! Morgen send ich dich – in den Geschäften, die du weißt – nach Paris zu dem, der um dich wirbt! Laß sehen, ob es ihm gelingt, dich zu verführen und mit Schmeichelwort zu Falle zu bringen!‹

Wundert Euch nicht allzusehr über diese unvernünftige Scherzrede und die freche Sicherheit meines Königs. Sahet Ihr die zweie zusammensitzen, den gewaltigen Leib und den Löwenkopf des einen, die feinen Gliedmaßen und die milde Miene des andern, es wäre Euch verständlich gewesen.

Darauf entstand eine Stille. Ich glaubte, der Kanzler empfinde es bitter, daß Herr Heinrich, der so tief in seiner Schuld stand, ihm die Angeborenheit seines schmiegsamen und unterwürfigen Wesens, die doch der Majestät allein zugute kam, in grausamem Leichtsinne vorhalten mochte. Doch erwiderte Herr Thomas nach einer Weile ohne merkliche Ärgernis in ruhiger und – wie sage ich – philosophischer Rede:

›Was ich gegen dich auf dem Herzen habe, ob wenig oder viel, du hast Grund, mein Gebieter, an meiner Treue nicht zu zweifeln. So böse bin ich nicht und auch nicht so kurzsichtig und abenteuerlich, daß ich an dir zum Verräter würde. Doch hat deine scherzende Weisheit meinen wunden Punkt getroffen; denn du kennst meine unvollkommene Natur und mein zur Erniedrigung der Dienstbarkeit geschaffenes Wesen. Sei es frühe Gewohnheit des Herrendienstes, sei es die Eigenschaft meines Stammes und Blutes, ich kann dem gesalbten Haupte und den hohen Brauen der Könige keinen Widerstand leisten. – Und da du so glücklicher Laune bist und ein Wohlgefallen hast an deinem Knechte, erkühnt er sich, dir in dieser traulichen Einsamkeit einen Rat zu erteilen: Gib mich nie aus deiner Hand in die Hand eines Herrn, der mächtiger wäre als du! – Denn in der Schmach meiner Sanftmut müßte ich ihm allerwege Gehorsam leisten und seine Befehle ausführen auch gegen dich, o König von Engelland... Aber ich rede töricht... wo ist der König, der mächtiger wäre als du? Welche Herrschaft kann mit der deinigen hadern ohne ihren eigenen Schaden und Verlust? Siehe, es lebt keiner, der dich vor Gericht zöge!... Darum rede ich töricht und spreche von etwas, das nicht vorhanden ist, von einem Traum, einem Hauch, einem Nichts.‹

Der König mochte diese Rede nicht höher anschlagen als der Kanzler; denn nachdem er ein bißchen gesonnen, gähnte er, wie zu einer unnützen und unangenehmen Betrachtung, und befahl mir, ihm einen Becher Weines zu reichen. – Auch ich konnte mir aus der Rede des Kanzlers nichts machen und legte es mir erst später aus, daß der heimlich zu Tode Verwundete verdeckter- und zweifelnderweise von der dunkeln und langsamen Rache Gottes sprach.

Herr Heinrich erhob den Becher, betrachtete das schimmernde Gold des Rheinweins, als ergötze er seinen Geist an dessen Klarheit, leerte den starken Trank auf einen Zug und lachte, daß ihm die Augen übergingen.

›Wie du mir vorkommst, mein Thomas‹, lallte der Herr mit unsicherer Zunge, denn er hatte durstig getrunken und der Wein stieg ihm zu Kopfe, ›immer erhabener!... Meiner Treu – ich weiß nicht, was ich rede, aber nicht übel Lust hätte ich, dir ein Meßglöcklein um deinen Ziegenhals zu hängen und dich in Teufels Namen mit einem Ruck auf den Stuhl von Canterbury zu setzen!... Dort throne mir und orakle gegen den Heiligen Vater!...‹

Der Kanzler erhob sich rascher, als seine Gewohnheit war. ›Unter dieser Eiche ist nicht gut wohnen‹, sagte er. ›Es mag in der Vorzeit grausamer Zauber unter ihr getrieben worden sein! – Ihr Schatten verwirrt das Hirn.‹

Hier verstummte das Gespräch.

 

So ganz neben das Ziel traf übrigens mein Herr und König in der Laune seiner Trunkenheit nicht, wenn er meinte, der Kanzler ergebe sich zeitweilig tiefsinnigen und wunderbaren Betrachtungen. Ich selbst weiß davon zu erzählen. In der Vorhalle, wo ich oft meines Herrn gewärtig mich stundenlang aufhielt und auch der Kanzler zuweilen, ohne meiner zu achten, in tiefem Sinnen auf und nieder schritt, hing in einer düstern Ecke ein großer hölzerner Crucifixus, ein grobes, mageres Werk, aber ein Haupt mit rührenden Zügen. Der König hielt ihn hoch in Ehren, weil sein Vorfahr, Wilhelm der Eroberer, ihn vor der Schlacht bei Hastings inbrünstig angebetet und durch seine Macht dann auch den Sieg erlangt hatte. Auf dieses Bildwerk hatte der Kanzler sich sonst wohl gehütet, seine verwöhnten Augen zu heften; denn er verabscheute das rieselnde Blut und das Häßliche. Aber in jener Zeit hörte ich zuweilen mit Verwundern, wie er mit dem gebräunten Crucifixus Zwiesprach hielt. In arabischer Zunge, ich vernahm es deutlich, flüsterte er mit ihm. – Ich freute mich, daß er sich an den guten Tröster wandte, obschon mir dabei fast unheimlich zumute war; denn, Herr, ich hörte davon zu wenig und zu viel und Dinge, die ich nicht gern wiederholen mag, weil sie, wenn nicht Eure Seele gefährden, doch Eurer Frömmigkeit zum Ärgernis sein könnten. Wußt' ich doch nicht, inwieweit Herr Thomas das maurische Wesen von sich getan und ob er, wie wir, den Hochgelobten, der am Kreuze hängt, als den heiligen Gott selber anrufe. Einzelne Stoßseufzer, unzusammenhängende Worte nur vernahm ich in der allmählich aus meinem Gedächtnisse entschwindenden Sprache, die mich erbauten oder auch erschreckten. Innig und schmerzvoll sprach er zu dem stillen Gekreuzigten, aber lästerlich und wie zu seinesgleichen, so schien mir.

Also geschah es eines Tages, daß der Kanzler wiederum vor dem Bildnisse stand, ohne mich gewahr zu werden, der, in einer Ecke des weiten Gemaches auf einem Schemel sitzend, sich stille hielt und gering machte.

›Auch du hast gelitten‹, so hauchte er, ›und wohl so grausig, als du hier in der Marter schwebst!... Warum? Warum?... Der Welt Sünde zu tragen, steht geschrieben... Was hast du gesühnt, du himmlisches Gemüt?... Friede solltest du bringen und an den Menschen ein Wohlgefallen... aber, siehe, diese Erde dampft und stinkt noch von Blut und Greuel... und Schuld und Unschuld wird gemordet wie vor deiner Zeit!

Sie haben dich geschlagen, angespien, gemartert... du aber beharrtest in der Tapferkeit der Liebe und batest am Kreuze für deine Mörder... Verscheuche den Geier des unversöhnlichen Grams, der mein Herz verzehrt!... Damit ich in deine Stapfen trete... Ich bin der Ärmste und Elendeste der Sterblichen... Siehe, ich gehöre dir zu und kann nicht von dir lassen, du geduldiger König der verhöhnten und gekreuzigten Menschheit!...‹

Nachdem der Kanzler noch eine Weile mit dem Bilde geflüstert, wendete er sich langsam und entdeckte mich auf meinem Schemel. Ich hielt mich unverwundert und beschloß, tapfer zu lügen, wenn er mich früge, ob ich ihn belauscht hätte.

Er aber näherte sich mit ruhigen Schritten, unmerklich lächelnd. – ›Sohn Japhets‹, sprach er mich an, ›du hast unter den Kindern Sems gelebt und weißt, daß sie es nicht glauben, der Ewige habe seinen einzigen Sohn ans Kreuz schlagen lassen – wie belehrst du sie eines Besseren?‹

Ich erhob meine Augen fest auf den Kanzler und antwortete unverzagt: ›Mein Salvator hat den Verräter Judas geküßt und seinen Peinigern vergeben; solches aber vermag ein bloßer Mensch nicht, denn es geht gegen Natur und Geblüt.‹

Herr Thomas wiegte leise das Haupt. ›Das hast du recht gesagt‹, meinte er, ›es ist schwer und unmöglich.‹ –

 

Waren aber die Worte des Kanzlers nicht allesamt christlich, so wurden es seine Werke je mehr und mehr. Es schien in jenen Tagen, als wolle Herr Thomas, müde seines Glanzes, der Herrlichkeit sich entkleiden und, selbst ein friedloser und herzkranker Mann, Übel heilen und Frieden bringen, so weit seine Macht reichte. Aber er tat es mit furchtsamer Klugheit, damit der König und die Normannen seiner nicht spotteten oder einen Argwohn gegen ihn faßten.

Es wurde ihm nicht schwer, dem Könige zu zeigen, daß es klug sei, nicht über Maß seine Sachsen zu belasten und sie nicht zur Verzweiflung zu treiben, und daß es vorteilhaft sei, als ein gütiges Wesen über ihnen zu stehen, großmütiger als seine Normannen, die ihre sächsischen Knechte und Mägde nach ihrem Gefallen mißhandelten. So durfte er mit königlichen Gesetzen das sächsische Volk erleichtern, nicht auffällig und herausfordernd, sondern umsichtig und verborgen, um die Normannen nicht zu reizen. Begreift, er packte die Last auf dem Rücken des Saumtieres um, ohne sie zu vermindern, und sorgte nur dafür, daß die Riemen nicht zu tief ins Fleisch schnitten.

Aber auch den Normannen erwies er Dienste und verdoppelte gegen sie seine Freigebigkeit. Er überhäufte sie mit Gunst und fürstlichen Geschenken und schlichtete ihre persönlichen Zwiste mit weisen Schiedsprüchen. Hatten sich zwei Mächtige verfeindet, so trat er als Friedensstifter zwischen sie.

›Wer bin ich?‹ sagte er dann wohl, ›um mich in die Angelegenheiten der Großen zu mischen? Ein Diener meines Herrn, der ihm die Stützen seines Thrones erhalten will.‹ Und die zwei Feinde gingen versöhnt und in ihrem Stolze befriedigt von ihm.

Hätte sich Herr Fauconbridge nur warnen lassen! Dieser beneidete den Kanzler um seine Gunst bei beiden Königen, Herrn Heinrich und dem Capetinger, und stellte ihm nach mit gezogenem Schwerte, aber auch mit heimlicher Verleumdung und der Schrift des Kanzlers nachgefälschten, an den König von Frankreich gerichteten Briefen, mit denen er unter der Hand Herrn Thomas des Hochverrats bezichtete, während er selbst mit dem Hofe von Frankreich gefährliche Ränke spann.

Doch Herr Thomas durchschaute und überblickte ihn. Er lud ihn ohne Wissen und Beunruhigung des Königs zu sich – ich selber trug den Brief – und legte ihm dann mit gelassenen Worten und in sichern Beweisstücken die Wahrheit vor. – Weil er ihn aber, ohne Rache an ihm zu suchen, ziehen ließ, statt ihn, wie er gekonnt hätte, mit einem Schlage zu vernichten, hielt ihn der Normann für einen vorsichtigen Feigling, der sich vor dem entscheidenden Streiche fürchte, und gebärdete sich fortan zwiefach sicher und frech, bis er mit einer Tat offener Felonie die Krone angriff und man ihm dann freilich sein Blutgerüst zimmern mußte.

Dergestalt verlor Herr Fauconbridge, dessen Ahnen mit dem Eroberer gekommen waren, sein Erbe und sein Haupt durch die langmütige Barmherzigkeit des Kanzlers.

Als dieser dem Könige später erzählte, er habe die verwegenen Pfade des rebellischen Barons von Anfang an gekannt und im Auge behalten, der König aber ihn fragte, warum er den Verräter nicht früher entlarvt habe, antwortete der Kanzler: ›O Herr, wozu?... Es regen sich unter dem Tun eines jeglichen unsichtbare Arme. Alles Ding kommt zur Reife, und jeden ereilt zuletzt seine Stunde.‹


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