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Leser, ich habe dich die glücklichste Entwicklung ahnen lassen – nur ahnen; denn kein Ausdruck könnte dir die ganze Wonne schildern, die das reizende Wesen für mich aufgespart hatte. Sie näherte sich mir zuerst, sobald ich im Bett lag. Wir sprachen kein Wort, unsere Küsse verschmolzen miteinander, und ich befand mich auf dem Höhepunkt des Genusses, ehe ich nur Zeit gehabt hatte, ihn zu suchen. Nachdem ich den vollkommensten Sieg errungen hatte – was hätten meine Augen und meine Finger von Nachforschungen gehabt, die mir keine größere Gewißheit verschaffen konnten, als ich bereits besaß! Ich ließ meine Blicke über das schöne Antlitz schweifen, das von der zärtlichsten Liebe mit dem wärmsten und natürlichsten Feuer belebt wurde. Nach einem Augenblick der Verzückung entzündete ein neues Feuer einen neuen Brand in allen unseren Sinnen, und wir löschten diesen in einem Meer von neuen Wonnen. Bellino fühlte die Verpflichtung, mich meine Leiden vergessen zu machen und mit eigener Person für die Glut einzustehen, die ihre Reize mir eingeflößt hatten. Ich aber verdoppelte mein eigenes Glück durch das, welches ich ihr verschaffte, denn ich hatte immer die Schwäche, vier Fünftel meines eigenen Genusses in der Wonne zu finden, die ich dem reizenden Wesen verschaffte, dem ich mein Glück verdankte. Dieses Gefühl muß leider Abscheu vor dem Alter geben, das sich wohl Genuß verschaffen, aber niemals welchen gewähren kann. Die Jugend flieht das Alter, denn dieses ist ihr furchtbarster Feind.
Endlich kam ein Augenblick der Ruhe, der durch die außerordentliche Lebhaftigkeit unserer Liebesfreuden notwendig geworden war. Unsere Sinne waren noch nicht ohnmächtig, aber sie bedurften jener Ruhe, die ihnen ihr Wohlbefinden wiedergibt und ihnen jene Spannkraft verleiht, die für die Spiele der Liebe notwendig ist. Bellino brach zuerst das Schweigen. »Mein Freund, bist du zufrieden? Hast du mich recht verliebt gefunden?«
»Verliebt? Verräterin! Du gibst also zu, daß ich mich nicht täuschte, als ich in dir ein reizendes Weib erriet? Und wenn es wahr ist, daß du mich liebtest – sage mir, wie hast du solange dein und mein Glück hinausschieben können; aber ist es auch ganz gewiß, daß ich mich nicht geirrt habe?«
»Ich bin ganz dein; überzeuge dich.«
Welche Untersuchung! Welche Reize! Welche Genüsse! Als ich aber nicht das geringste Zeichen von einer Mißbildung fand, die mich so sehr abgestoßen hatte, fragte ich sie: »Aber was ist denn aus jenem greulichen Ding geworden?«
»Höre zu!« antwortete sie, »ich werde deine Neugierde befriedigen. Ich heiße Teresa. Bei meinem Vater, einem armen Beamten am Institut von Bologna, wohnte der berühmte Kastrat Salimbeni, der wundervolle Sänger. Er war jung und schön, er schloß sich an mich an, und ich fühlte mich geschmeichelt, ihm zu gefallen und mich von ihm loben zu hören. Ich war erst zwölf Iahre alt; er erbot sich, mich in der Musik zu unterrichten, und da er meine Stimme schön fand, wandte er mir alle Sorgfalt zu, und in Jahresfrist wußte ich mich tadellos auf dern Klavier zu begleiten.
Er erhielt den Lohn, den seine Zärtlichkeit ihn von mir zu erbitten zwang, und ich gewährte ihm diesen, ohne mich für erniedrigt zu halten, denn ich betete ihn an. Ohne Zweifel sind Männer wie du im allgemeinen Männern seiner Art weit überlegen; aber Salimbeni bildete eine Ausnahme. Seine Schönheit und Klugheit, sein Benehmen, sein Talent und die hohen Vorzüge seines Herzens stellten ihn in meinen Augen weit über alle Männer, die ich bis dahin gekannt hatte. Er war bescheiden und zartfühlend, reich und freigebig, und ich bezweifle, daß er einer Frau hätte begegnen können, die ihm Widerstand geleistet hätte ; trotzdem habe ich ihn niemals sich seiner Triumphe bei Frauen rühmen hören. Die Verstümmelung hatte aus ihm ein Ungeheuer gemacht, aber alle Eigenschaften, die ihn schmückten, machten aus ihm einen Engel.
Salimbeni unterhielt in Nimini bei einem Musiklehrer einen jungen Knaben meines Alters. Dessen Vater war arm und hatte eine zahlreiche Familie; als er sein Ende herannahen fühlte, wußte er nichts Besseres zu tun, als seinen unglücklichen Sohn verschneiden zu lassen, damit er durch seine Stimme für den Unterhalt seiner Geschwister sorgen könnte. Dieser junge Knabe hieß Bellino. Die gute Frau, die du in Ancona gesehen hast, war seine Mutter und alle Welt hält sie für die meine.
Seit einem Jahre gehörte ich Salimbeni an, als er eines Tages mir weinend die Mitteilung machte, er müsse mich verlassen, um nach Rom zu gehen; aber er versprach mir zu gleicher Zeit, ich würde ihn wiedersehen. Diese Nachricht versetzte mich in Verzweiflung. Er hatte alle Anordnungen getroffen, damit mein Vater meine Ausbildung fortsetzen lassen könnte; aber gerade in jenem Augenblick wurde mein Vater krank; er starb, und ich stand als Waise da.
Als Salimbeni mich in diesem Zustand sah, besaß er nicht die Kraft, meinen Tränen zu widerstehen; er beschloß, mich nach Rimini zu bringen und mich in dieselbe Pension zu geben, wo er seinen jungen Schützling erziehen ließ. Wir stiegen in einem Gasthof ab, und nachdem er fich einen Augenblick ausgeruht hatte, verließ er mich und begab sich zu dem Musiklehrer, um mit ihm die nötigen Abreden wegen meiner Ausbildung zu treffen; kurz darauf aber sah ich ihn traurig und niedergeschlagen zurückkommen: Bellino war den Tag vorher gestorben.
Indem er sich vorstellte, welchen Schmerz der Verlust des jungen Mannes der Mutter verursachen würde, kam ihm der Gedanke, mich unter dem Namen Bellino nach Bologna zu bringen und bei dessen Mutter in Pension zu geben; da sie arm war, mußte sie ein Interesse daran haben, das Geheimnis zu bewahren. ›Ich werde ihr‹, sagte er zu mir, ›alle Mittel geben, deine Ausbildung zu vollenden; in vier Jahren werde ich dich nach Dresden kommen lassen (er stand im Dienst des Kurfürsten von Sachsen und Königs von Polen), und zwar nicht als Mädchen, sondern als Kastraten. Dort werden wir miteinander leben, ohne daß jemand etwas dagegen einwenden könnte, und du wirst mich bis zu meinem Tode glücklich machen. Es handelt sich nur darum, dich für Bellino auszugeben; und nichts ist leichter als das, denn in Bologna kennt dich kein Mensch. Nur Bellinos Mutter wird in das Geheimnis eingeweiht sein; denn ihre anderen Kinder, die ihren Bruder nur im zartesten Alter gesehen haben, werden von dem wahren Sachverhalt keine Ahnung haben. Aber du mußt, wenn du mich liebst, auf dein Geschlecht verzichten, du mußt sogar die Erinnerung verlieren, bis jetzt ein Mädchen gewesen zu sein, und mußt unter dem Namen Bellino und als Knabe gekleidet augenblicklich nach Bologna abreisen. Du hast dich um weiter nichts zu kümmern, als daß niemand dich als Mädchen kennt. Du wirst allein schlafen, dich niemals in Gegenwart anderer Leute an- und auskleiden, und wenn in einem oder zwei Jahren dein Busen sich gebildet hat, so wird das eine Eigentümlichkeit sein, die du mit vielen von uns gemeinsam hast. Außerdem werde ich dir, ehe ich fortgehe, ein kleines Instrument geben, und werde dich lehren, es so zu befestigen, daß man dich leicht für einen Mann halten kann, wenn du dich jemals einer Untersuchung solltest unterwerfen müssen. Wenn mein Plan dir gefällt, so bin ich sicher, daß ich in Dresden mit dir werde leben können, ohne daß die Königin, die sehr fromm ist, Anstoß daran nimmt. Bist du einverstanden?‹
An meiner Einwilligung brauche er nicht zu zweifeln, denn ich betete ihn an. Sobald ich als Junge verkleidet war, reisten wir nach Bologna ab, wo wir mit Einbruch der Nacht ankamen. Nachdem er mit Bellinos Mutter um den Preis einer kleinen Summe Geldes alles vereinbart hatte, trat ich bei ihr ein, indem ich sie Mutter nannte, und sie umarmte mich und nannte mich ihren lieben Sohn. Salimbeni ließ uns allein und kehrte einige Augenblicke darauf mit dem Instrument zurück, das meine Umwandlung vollständig machen sollte. Er lehrte mich in Gegenwart meiner neuen Mutter, es mit Klebgummi zu befestigen, und ich fand mich nun meinem Freunde so ähnlich, daß jedermann sich hätte täuschen können. Dies würde mich belustigt haben, hätte mir nicht die plötzliche Abreise des angebeteten Wesens das Herz zerrissen; denn Salimbeni fuhr ab, sobald das eigentümliche Experiment gemacht worden war. Man spottet über Vorgefühle, und ich selber glaube nicht daran, aber die Ahnung, die ich in dem Augenblick hatte, wo er mich umarmte, hat mich nicht betrogen. Ich fühlte einen Todesschauer durch alle meine Glieder rinnen, ich glaubte ihn zum letztenmal zu sehen: ich sank in Ohnmacht. Ach! meine Ahnung war nur zu richtig gewesen. Salimbeni ist in ganz jugendlichem Alter vor einem Jahr in Tirol als wahrer Philosoph gestorben. Sein Verlust zwang mich, aus meinen Talenten Vorteil zu ziehen, um meinen Lebendunterhalt zu bestreiten. Meine Mutter riet mir, mich auch künftig hin für einen Kastraten auszugeben; sie hoffte mich auf diese Weise in Rom auf dem Theater auftraten lassen zu können. Ich erklärte mich einverstanden, denn mir fehlte der Mut, einen bestimmten Entschluß zu fassen. Inzwischen nahm sie für mich ein Engagement beim Theater zu Ancona an und bestimmte Petronio dazu, dort als Tänzerin aufzutreten. So bildeten wir also die verkehrte Welt. Nach Salimbeni bist du der einzige Mann, den ich gekannt habe; und wenn du willst, so steht es nur bei dir, mich meinem Frauenberuf zurückzugeben und mich den Namen Bellino ablegen zu lassen, den ich seit dem Tode meines Beschützers verabscheue, und der mir allerlei unangenehme Verdrießlichkeiten zu verursachen beginnt. Ich bin nur in zwei Theatern aufgetreten und jedesmal bin ich gezwungen gewesen, mich der schmachvollen und demütigenden Prüfung zu unterwerfen; denn man findet überall, ich gleiche zu sehr einem Mädchen, und will mich stets nur zulassen, nachdem man sich die Überzeugung vom Gegenteile verschafft hat. Bis jetzt habe ich zum Glück nur mit alten Priestern zu tun gehabt, die in gutem Glauben sich mit einer leichten Besichtigung begnügt und dem Bischof einen entsprechenden Bericht abgestattet haben; aber es kann der Fall eintreten, daß ich an einen jungen Priester gerate, und dann würde die Untersuchung viel gründlicher vorgenommen werden. Außerdem finde ich mich täglichen Verfolgungen von zwei Sorten Männern ausgesetzt: von denen, die wie du nicht glauben können, daß ich ein Mann sei, und von solchen, die, um einen widernatürlichen Geschmack zu befriedigen, sich Glück dazu wünschen, daß ich es sei, oder die zum mindesten ihre Rechnung dabei finden, mich für einen Kastraten gelten zu lassen. Besonders die letzteren belästigen mich. Ihre Leidenschaften sind so niederträchtig, ihre Gewohnheiten sind so gemein, daß ich in tiefster Seele darüber empört bin und daß ich fürchte, ich werde einmal eines Tages einen von ihnen erdolchen, wenn die lange verhaltene Wut über ihre schändlichen Anträge sich einen Ausweg sucht.
Um Gottes willen, mein Engel, wenn du mich lieb hast, sei edel! Befreie mich aus dem schimpflichen Zustande der Verworfenheit. Nimm mich mit dir! Ich verlange nicht deine Frau zu werden; das wäre zu viel des Glückes; ich will nur deine Freundin sein, wie ich Salimbenis Freundin gewesen wäre. Mein Herz ist rein; ich fühle mich für ein ehrenhaftes Leben geschaffen, in dem ich meinem Geliebten unverbrüchliche Treue halte. Verlaß mich nicht! Die Zärtlichkeit, die du mir eingeflößt hast, ist echt; meine Zärtlichkeit für Salimbeni war unschuldig und hatte ihre Ursachen nur in meiner Jugend und in meiner Dankbarkeit; wirklich zum Weibe geworden bin ich erst durch dich.«
Die zärtliche Rührung, mit der sie sprach, ein unbeschreiblicher Reiz, der ihren Lippen die Gabe der Überredung verlieh, ließen mich Tränen der Liebe und zärtlicher Teilnahme vergießen. Ich vermischte sie mit denen, die ihren schönen Augen entströmten, und versprach ihr tief gerührt aufrichtigen Herzens, sie nicht zu verlassen und ihr Schicksal mit dem meinen zu verbinden. Ihre höchst eigentümliche Geschichte machte auf mich den Eindruck vollkommener Wahrheit und es drängte mich wirklich, sie glücklich zu machen; nur konnte ich mich nicht überreden, daß ich ihr während des kurzen Aufenthaltes in Ancona wirklich eine ewige Neigung eingeflößt haben sollte, da im Gegenteil mehrere Auftritte in ihr nur flüchtige Wünsche erweckt haben konnten. Ich sagte daher zu ihr: »Wenn du mich wirklich geliebt hättest, wie hättest du dann dulden können, daß ich aus Verdruß über deinen Widerstand mich deinen Schwestern hingab?«
»Ach, lieber Freund! Bedenke unsere große Armut; bedenke, wie schwer es mir fallen mußte, mich zu entdecken. Ich liebte dich; aber mußte ich nicht denken, daß das Feuer, das du mir zeigtest, nur vorübergehende Glut einer Laune sei? Indem ich dich so leicht von Cecilia zu Mariuetta übergehen sah, glaubte ich, du würdest mich ebenso behandeln, sobald du deine Wünsche befriedigt hättest. Meine Meinung von deinem flatterhaften Charakter und Mangel an Zartgefühl wurde bestärkt, als ich sah, was du auf dem türkischen Schiff machtest, ohne dir durch meine Gegenwart einen Zwang auferlegen zu lassen. Sie würde dir peinlich gewesen sein, wenn du mich geliebt hättest. Ich habe gefürchtet, mich verachtet zu sehen; und Gott weiß, was ich gelitten habe. Du hast mich, lieber Freund, auf hundert verschiedene Arten beleidigt; trotzdem verteidigte ich dich bei mir selber, denn ich sah, daß du gereizt und nach Rache begierig warft. Hast du mich nicht heute im Wagen bedroht? Ich gestehe, du hast mir Furcht eingejagt; aber glaube nur nicht, daß Furcht mich bestimmt hat, deinem Verlangen nachzugehen. Nein, ich war dazu entschlossen seit dem Augenblick, wo du mir durch Cecilia sagen ließest, du würdest mich nach Rimini mitnehmen, und deine heutige Zurückhaltung während eines Teiles des Fahrt hat mich in meinem Entschluß bestärkt; denn ich habe geglaubt, mich deinem edlen Charakter ruhig überliefern zu können.«
»Gib doch«, rief ich, »dein Engagement in Rimini auf! Wir wollen weiter reisen, uns ein paar Tage in Bologna aufhalten, und von dort wirst du mit mir nach Venedig gehen; wenn du als Frau gekleidet bist und einen anderen Namen trägst, so will ich es ruhig darauf ankommen lassen; der Impresario der Oper von Rimini mag nur versuchen, dich ausfindig zu machen.«
»Einverstanden. Dein Wille wird stets der meine sein. Ich bin meine eigene Herrin, und ich ergebe mich dir rückhaltlos; mein Herz gehört dir, und ich hoffe, daß ich mir das deine werde zu erhalten wissen.«
Es lebt in dem Menschen ein Trieb, immer über das Ziel hinauszustreben, das er bereits erreicht hat. Ich hatte alles erlangt, jetzt wollte ich noch mehr. »Zeige mir,« sagte ich, »wie du warst, als ich dich für einen Mann hielt.« Sie stand auf, öffnete ihren Koffer, holte das nachgebildete Glied nebst Gummi hervor und befestigte es sich; ich mußte die Erfindung bewundern. Nachdem meine Neugierde befriedigt war, verbrachte ich in ihren Armen eine glückliche Nacht.
Als ich am Morgen erwachte, betrachtete ich ihr entzückendes Gesicht, während sie noch schlief. Jedes Wort des Mädchens, ihre Schönheit, ihre Gaben, ihre Feinheit der Seele, die Kraft ihres Gefühles und ihre Unglücksfälle, von denen ohne Zweifel der bitterste der war, daß sie ein anderes Wesen vorstellen mußte, wodurch sie der Erniedrigung und Schmach preisgegeben wurde – dies alles brachte mich zu dem Entschluß, ihr Schicksal an das meinige zu knüpfen, oder meines an das ihrige; denn unsere Lage war ungefähr die gleiche.
Da ich mich ernstlich mit dem liebenswürdigen Geschöpf verbinden wollte, so setzte ich meinen Gedankengang fort und entschloß mich, unserer Verbindung die Weihe der Gesetze und der Religion zu geben, und sie zu meiner rechtmäßigen Frau zu machen; denn nach meinen damaligen Begriffen konnte dieses unsere Zärtlichkeit und gegenseitige Achtung nur erhöhen und uns die Anerkennung der Gesellschaft sichern, die unser Band niemals hätte gesetzlich finden können, wenn wir es nicht dem geltenden Herkommen unterworfen hätten. Teresas Talent gab mir die Sicherheit, daß es uns niemals am Notwendigen fehlen könne, und obgleich ich nicht wußte, wozu meine eigenen Anlagen gut sein konnten, so verlor ich doch darum den Mut nicht. Unsere gegenseitige Liebe hätte Schaden leiden können, Teresa wäre mir zu weit überlegen gewesen, und mein Selbstgefühl würde zu sehr gelitten haben, hätte ich von den Früchten ihrer Arbeit leben sollen. Dadurch hätte im Laufe der Zeit die Natur unserer Gefühle sich ändern können; meine Frau würde sich vielleicht nicht mehr als empfangenden Teil angesehen haben und hätte sich vielleicht als Beschützerin statt als Beschützte gefühlt; und hätte ich das Unglück gehabt, eine solche Denkungsart bei ihr anzutreffen, so würde sich – das fühlte ich – meine Liebe in tiefe Verachtung verwandelt haben. Obgleich ich auf das Gegenteil hoffte, so hatte ich doch das Bedürfnis, ihren Charakter zu untersuchen, und ich beschloß, sie einer Probe zu unterwerfen, die mich in den Stand setzen würde, sie sofort bis auf den Grund ihrer Seele zu beurteilen. Daher hielt ich folgende Ansprache an sie, sobald sie erwacht war:
»Meine liebe Teresa, alle deine Worte lassen mir nicht den geringsten Zweifel an deiner Liebe; und daß du dich gewiß fühlst, meines Herzens Herrin geworden zu sein, macht mich vollends in dich verliebt, so daß ich bereit bin, alles zu tun, um dich zu überzeugen, daß du dich nicht getäuscht hast. Zunächst will ich dir zeigen, daß ich deines edlen Vertrauens würdig bin, indem ich dir mit gleicher Aufrichtigkeit die Geschichte meines eigenen Lebens anvertraue.
Unsere Herzen müssen einander vollkommen gleich gegenüberstehen. Ich kenne dich, meme Teresa, aber du kennst mich noch nicht. Ich lese in deinen Blicken, daß dies dir gleichgültig ist, und diese Hingebung bürgt mir für deine vollkommene Liebe; aber sie erhebt dich zu weit über mich, und ich will dir einen so großen Vorteil nicht lassen. Ich bin gewiß, daß dieses Vertrauen deiner Liebe nicht nötig ist, daß du nichts weiter verlangst als mir anzugehören, und daß du nur nach dem Besitz meines Herzens strebst. Dies alles ist recht schön, liebe Teresa, aber es würde mich in gleicher Weise demütigen, über dich erhoben oder unter dich herabgedrückt zu werden, wenn es auch nur scheinbar wäre. Du hast mir deine Geheimnisse anvertraut; höre jetzt die meinigen; zuvor aber versprich mir, daß du mir, wenn du alles erfahren hast, wahrheitsgemäß sagen wirst, wenn in deinen Gefühlen oder in deinen Hoffnungen sich das geringste geändert hat.«
»Ich schwöre dir, ich werde dir nichts verheimlichen ; sei aber du so ehrlich, mir keine falschen Geständnisse zu machen; denn ich sage dir voraus, sie würden dir zu nichts nützen; wenn du Listen anwenden würdest, um zu entdecken, ob ich deiner weniger würdig wäre, als es tatsächlich der Fall ist, so könntest du dich höchstens in meinen Augen um ein weniges herabsetzen. Ich möchte dich nicht schlauer Hinterlist gegen mich für fähig wissen. Sei meiner gewiß, wie ich mich deiner gewiß gezeigt habe: sage mir ohne Umschweife die Wahrheit.«
»So höre denn die Wahrheit: Zunächst hältst du mich für reich, und das bin ich nicht; sobald meine Börse leer ist, werde ich nichts mehr haben. Ferner glaubst du vielleicht, ich sei von hoher Geburt, und in Wirklichkeit bin ich von geringerem Stande als du, oder höchstens von gleichem. Ich besitze kein gewinnbringendes Talent, ich habe keine Anstellung, ja ich habe nicht einmal eine Aussicht, um gewiß zu sein, daß ich in einigen Monaten meinen Lebensunterhalt haben werde. Ich habe weder Eltern noch Freunde, habe keinen Anspruch irgendwelcher Art, ja nicht einmal einen festen Lebensplan. Mit einem Wort, ich habe weiter nichts als Jugend, Gesundheit, Mut, ein bißchen Geist, ehrenhafte und rechtschaffene Gesinnung und beherrsche einige Anfangsgründe guter Literatur. Mein größter Schatz ist, daß ich mein eigener Herr bin, daß ich von niemandem abhänge und daß ich keine Furcht vor dem Unglück habe. Außerdem neige ich zur Verschwendung. Schöne Teresa, so ist dein Mann. Jetzt antworte!«
»Vor allen Dingen, lieber Freund, sei fest überzeugt, daß ich dir buchstäblich alles glaube, was du mir gesagt hast; sodann aber wisse, daß ich in gewissen Augenblicken in Ancona dich als einen solchen beurteilt habe, wie du dich jetzt schilderst; aber diese Ahnung deines Wesens war mir durchaus nicht peinlich, sondern ich fürchtete im Gegenteil, mich zu täuschen. Denn wenn du so warst, wie ich annahm, so durfte ich hoffen, daß mir dann deine Eroberung gelingen würde. Kurz und gut, mein Freund, da du wirklich arm bist und mit deinem Gelde leichtsinnig umgehst, so gestatte mir, dir zu versichern, daß mich dies freut; denn in diesem Fall wirst du, da du mich liebst, nicht das Geschenk verschmähen, das ich dir machen will. Dieses Geschenk besteht in mir, so wie ich bin und mit all meinen Gaben. Ich überliefere mich dir ohne jeden Rückhalt; ich bin dein und werde für dich sorgen. Denke in Zukunft nur daran, mich zu lieben; aber liebe mich einzig und allein. Von diesem Augenblick an bin ich nicht mehr Bellino. Laß uns nach Venedig gehen, wo mein Talent mir und dir den Unterhalt verschaffen wird; willst du aber anderswo hin, so gehen wir, wohin du willst.«
»Ich muß nach Konstantinopel gehen.«
»Gehen wir dorthin! Wenn du fürchtest, mich durch Unbeständigkeit zu verlieren, so heirate mich, und deine Rechte auf mich werden durch die Gesetze gestärkt sein. Ich werde dich darum nicht zärtlicher lieben; aber es wird mir angenehm sein, deine Gattin heißen zu dürfen.«
»Ich habe diese Absicht gehabt, und ich bin entzückt, daß du sie teilst. Übermorgen, keinen Tag später, wirst du in Bologna vor dem Altar meinen Treuschwur empfangen, wie ich ihn jetzt hier in den Armen der Liebe dir schwöre. Ich will, daß du mein bist, daß wir einander durch alle nur denkbaren Bande verknüpft angehören.«
»Ich bin über alle Maßen glücklich! Wir haben in Rimini nichts zu tun; laß uns nicht aufstehen; wir werden im Bett speisen, und morgen werden wir gut ausgeruht weiterreisen.«
Am nächsten Tage setzten wir unsere Reise fort und machten in Pesaro halt, um zu frühstücken. Im Augenblick, wo wir wieder in den Wagen steigen wollten, kam ein Unteroffizier mit zwei Füsilieren, fragte nach unseren Namen und verlangte unsere Pässe. Bellino gibt ihm seinen, ich aber suche vergeblich nach dem meinigen; ich finde ihn nicht.
Der Korporal befiehlt dem Postkutscher zu warten und geht fort, um seinen Bericht zu machen. Nach einer halben Stunde kommt er mit Bellinos Paß zurück und sagt ihm, er könne weiterreisen; mir aber bedeutet er, er habe Befehl, mich zum Kommandanten zu führen. Ich gehorche.
»Was haben Sie mit Ihrem Paß gemacht?« fragt mich der Offizier.
»Ich habe ihn verloren.«
»Einen Paß verliert man nicht.«
»Man verliert ihn; denn ich habe ihn verloren.«
»Sie werden nicht weiterreisen.«
»Ich komme von Rom und gehe nach Konstantinopel, um einen Brief vom Kardinal Acquaviva zu überbringen. Hier ist der Brief mit seinem Wappensiegel.«
»Alles, was ich für Sie tun kann, ist, daß ich Sie zu Herrn de Gages führen lasse.«
Ich fand den berühmten Feldherrn inmitten seines Generalstabes stehen. Nachdem ich ihm alles vorgetragen hatte, was ich bereits dem Kommandanten gesagt hatte, bat ich ihn, mich meine Reise fortsetzen zu lassen.
»Ich kann Ihnen nur die Gnade bewilligen, Sie in Arrest zu schicken, bis aus Rom unter dem von Ihnen angegebenen Namen ein neuer Paß für Sie ankommt. Das Unglück, einen Paß zu verlieren, stößt nur einem Leichtfuß zu, und der Kardinal wird daraus die Lehre ziehen, einem Leichtfuß keine Aufträge anzuvertrauen.«
Hierauf befahl er, mich nach dern Wachtposten Santa Maria vor der Stadt zu führen, nachdem ich vorher meinen Brief an den Kardinal geschrieben hätte, um einen neuen Paß zu erhalten. Seine erhabenen Befehle wurden ausgeführt. Zunächst führte man mich nach dem Wirtshaus zurück; dort schrieb ich meinen Brief, den ich durch reitenden Boten an Seine Eminenz schickte. Ich bat den Kardinal flehentlich, mir unverzüglich direkt an das Kriegsbureau in Pesaro einen Paß zu schicken. Hierauf umarmte ich Teresa, die über dieses Mißgeschick untröstlich war, bat sie, mich in Rimini erwarten zu wollen, und nötigte sie, hundert Zechinen von mir anzunehmen. Sie wollte in Pesaro bleiben; dem widersetzte ich mich; und nachdem ich meinen Koffer hatte abladen lassen, sah ich sie abfahren und ließ mich an den Ort bringen, den der große General mir angewiesen hatte. Sehr weh tat mir Teresas Schmerz; sie war fast erstickt von dem Bemühen, ihre Tränen zurückzuhalten, als sie mich gerade im Augenblick unserer Vereinigung ihren Armen entrissen sah. Sie würde mich nicht verlassen haben, hätte ich ihr nicht klar gemacht, daß sie in Pesaro nicht bleiben könnte, und hätte ich sie nicht überzeugt, daß ich in zehn Tagen wieder bei ihr sein würde, um sie niemals mehr zu verlassen. Aber das Schicksal hatte anders bestimmt.
In Santa Maria ließ der wachhabende Offizier mich sofort in die Wachstube bringen, wo ich mich auf meinen Koffer setzte. Er war ein schweigsamer Katalonier, der mich nicht einmal einer Antwort würdigte, als ich ihm sagte, ich hätte Geld, und ihn bat, jemanden zur Bedienung zuzuweisen. Ich erhielt nichts zu essen und mußte die Nacht auf einem bißchen Stroh inmitten katalonischer Soldaten verbringen. Dies war die zweite Nacht, die das Schicksal mich auf solche Weise verbringen ließ, nachdem ich vorher zwei köstliche Nächte genossen hatte. Ohne Zweifel machte mein Schutzgeist sich den Spaß, mich zu meiner Belehrung solche Vergleiche anstellen zu lassen. Jedenfalls ist eine solche Schule von unfehlbarer Wirkung auf Charaktere von gewisser Anlage.
Willst du einem sogenannten Philosophen den Mund stopfen, wenn er dir sagt, in unserem Leben sei die Summe der Leiden größer als die der Freuden, so frage ihn nur, ob er ein Leben haben wolle, worin es weder die einen noch die anderen gebe. Er wird dir nicht antworten oder er wird Ausflüchte machen; denn wenn er die Frage verneint, so liebt er das Leben so wie es ist, und wenn er es liebt, so findet er es also angenehm; angenehm aber könnte es nicht sein, wenn es lästig wäre. Wenn er aber die Frage bejaht, so gesteht er, daß er ein Dummkopf ist, denn dann muß er das Vergnügen in der Gleichgültigkeit erblicken, und das ist Unsinn.
Leiden ist untrennbar verbunden mit der menschlichen Natur; aber wir werden niemals leiden, ohne Hoffnung auf Heilung zu hegen, oder zum mindesten kann dieser Fall nur sehr selten vorkommen; Hoffnung aber ist eine Freude. Wenn zuweilen vielleicht ein Mensch ohne Hoffnung auf Genesung leidet, so muß die unfehlbare Zuversicht, daß sein Leben einmal ein Ende haben wird, eine Freude sein; denn auf alle Fälle ist das schlimmste, was uns widerfahren kann, ein Schlaf der Ermattung, während dessen uns glückliche Träume trösten, oder der Verlust der Empfindung; aber wenn wir genießen, dann stört uns niemals der Gedanke, daß auf unsere Freude Leid folgen werde. Die Freude ist also immer rein, wenn sie sich betätigt; das Leid ist immer gemildert.
Ich nehme an, lieber Leser, du bist zwanzig Jahr alt und gerade dabei, ein Mann zu werden, indem du deinen Geist mit den Kenntnissen ausstattest, die durch die Arbeit deines Gehirns dich zu einem nützlichen Wesen machen werden. Der Rektor tritt ein und sagt dir: ich bringe dir dreißig Lebensjahre – dies ist der unwandelbare Beschluß des Schicksals; fünfzehn aufeinanderfolgende Jahre sollen glücklich sein, die anderen fünfzehn Unglück. Du hast freie Wahl, mit welcher Hälfte du beginnen willst.
Gestehe, lieber Leser, du wirst nicht lange nachzudenken brauchen, um dich zu entscheiden, und du wirst mit den Leidensjahren beginnen; denn du wirst fühlen, daß die Aussicht auf fünfzehn köstliche Jahre dir unfehlbar die nötige Kraft geben wird, um die Schmerzensjahre zu ertragen; wir werden sogar mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit annehmen können, daß die Erwartung eines gesicherten Glücks die Dauer der Leiden in gewisser Weise mildern wird.
Ich bin überzeugt, du hast bereits erraten, worauf ich hinaus will. Glaube mir, ein Weiser kann niemals ganz unglücklich sein; und ich glaube gerne meinem Freunde Horaz, der im Gegenteil sagt, er sei immer glücklich: nisi quum pituita molesta est – wenn nicht der Katarrh beschwerlich wird. Aber welcher Mensch hätte wohl beständig Katarrh?
Tatsache ist, daß diese scheußliche Nacht, die ich in Santa Maria vor Pesaro verbrachte, mir wenig Verlust und viel Gewinn brachte. Der kleine Verlust bestand darin, daß ich meine liebe Teresa entbehren mußte; da ich aber gewiß war, sie in zehn Tagen wiederzusehen, so war dies ein geringes Unglück; der Gewinn dagegen bestand in Mehrung meiner Lebenskenntnisse, die die wahre Schule des Menschen ist. Ich verdankte ihr ein völliges System gegen die Unbesonnenheit, ein System der Umsicht. Es ist hundert gegen eins zu wetten, daß ein junger Mensch, der einmal seine Börse oder seinen Paß verloren hat, niemals wieder weder die eine noch den anderen verlieren wird. Diese beiden Unglücksfälle sind mir zugestoßen, jeder ein einziges Mal, und sie hätten mir oft zustoßen können, hätte ich nicht die beständige Furcht davor gehabt. Ein echter Leichtfuß aber hat nicht das Wort Furcht in seinem Lebenslexikon.
Der Offizier, der am nächsten Tage meinen bärbeißigen Katalonier ablöste, schien mir von ganz anderer Art zu sein: Er hatte ein freundliches Gesicht, das mir gefiel. Er war Franzose, und ich muß bei dieser Gelegenheit bemerken, daß die Franzosen mir immer gefallen haben und die Spanier niemals; denn in den Manieren der einen ist etwas so Zuvorkommendes, so Liebenswürdiges, daß man sich zu ihnen hingezogen fühlt wie zu alten Bekannten; den anderen gibt eine Miene übelangebrachten Stolzes einen gewissen abstoßenden Ausdruck, der nicht zu ihren Gunsten einnimmt. Indessen bin ich mehr als einmal von Franzosen betrogen worden, niemals aber von Spaniern. Hüten wir uns vor unseren Neigungen!
Der Offizier trat mit edlem, höflichem Anstand auf mich zu und fragte: »Welchem Zufall, Herr Abbate, verdanke ich die Ehre, Sie in meiner Obhut zu haben?«
Solch ein Stil gibt den Lungen ihre ganze Spannkraft wieder!
Ich erzählte ihm lang und hreit mein ganzes Mißgeschick. Er fand es komisch; aber ein Charakter, der mein Pech lächerlich fand, konnte mir nicht mißfallen; denn ich ahnte, daß er mehr als einen Berührungspunkt mit meiner eigenen Denkweise haben werde. Er gab mir sofort einen Soldaten zu meiner Bedienung, und bald hatte ich ein Bett, Stühle und einen Tisch. Sein Zartgefühl ging sogar so weit, daß er mein Bett in sein Zimmer stellen ließ – eine Freundlichkeit, gegen die ich nicht unempfindlich war.
Nachdem er mich höflich eingeladen hatte, an seinem Mittagessen teilzunehmen, schlug er mir eine Partie Pikett vor. Aber schon gleich im Anfang unseres Spieles machte er mich darauf aufmerksam, daß er mir überlegen sei, und sagte mir, der Offizier, der ihn ablösen werde, spiele noch besser als er; ich verlor drei oder vier Dukaten. Zum Schluß riet er mir, am nächsten Tage mich des Spieles zu enthalten; ich befolgte seinen Rat. Auch sagte er mir, es werde zum Abendessen Besuch bekommen; nach der Mahlzeit werde man Pharao spielen, aber der Bankhalter sei ein Grieche, ein feiner Spieler; ich dürfe daher nicht spielen. Ich fand diesen Rat sehr zartfühlend, besonders als ich sah, daß alle Mitspieler verloren und daß der Grieche, unbekümmert um das Schimpfen der Betrogenen, seelenruhig sein Geld in die Tasche steckte, nachdem er dem wachhabenden Offizier, der an der Bank beteiligt war, seinen Anteil ausgezahlt hatte.
Dieser Bankhalter nannte sich Don Bepe il Cadetto, und an seiner Aussprache erkannte ich ihn als Neapolitaner. Ich teilte meine Beobachtungen dem Offizier mit und fragte ihn, warum er mir gesagt habe, daß er Grieche sei. Er erklärte mir, daß dieser Ausdruck einen Falschspieler bedeute, und die Belehrung, womit er seine Erklärung begleitete, war mir für die Folge sehr nützlich.
Während der folgenden fünf Tage war mein Leben eintönig und ziemlich trübselig; am sechsten Tage aber bezog wieder der Franzose den Wachtposten; ich sah ihn mit Vergnügen kommen. Er sagte mir lachend, er sei entzückt, mich wieder zu finden, und ich nahm das Kompliment für das, was es war. Am Abend fand das gleiche Spiel statt, und mit demselben Ergebnis, abgesehen davon, daß einer der Mitspieler dem Buchhalter einen kräftigen Stockhieb über den Rücken gab, den der Grieche mit stoischem Gleichmut unbeachtet ließ. Neun Jahre später sah ich dasselbe Individuum als Kapitän im Dienste Maria Theresias in Wien wieder; er nannte sich damals d'Afflissio. Zehn Jahre darauf sah ich ihn als Obersten wieder, und kurze Zeit darauf als Millionär; endlich aber habe ich ihn vor dreizehn oder vierzehn Jahren als Galeerensträfling gesehen. Er war hübsch; komischerweise aber hatte er trotz seiner Schönheit eine Galgenphysiognomie. Ich habe andere Gesichter von derselben Sorte gesehen: Cagliostro z. B. und einen anderen, der noch nicht auf den Galeeren ist, ihnen aber nicht entrinnen wird. Wenn der Leser neugierig ist, will ich ihm den Namen ins Ohr sagen.
Etwa am neunten oder zehnten Tage war ich in der ganzen Armee bekannt und beliebt; ich wartete immer noch auf meinen Paß, dessen Eintreffen mir aber unfehlbar bald gemeldet werden mußte. Ich war beinahe frei und ging sogar außer Sehweite der Schildwache spazieren. Man hatte recht, daß man meine Flucht nicht befürchtete, denn es wäre sehr töricht von mir gewesen, daran zu denken. Unversehens jedoch hatte ich das sonderbarste Erlebnis, das mir in meinem ganzen Leben zugestoßen ist.
Es war sechs Uhr in der Früh. Ich ging etwa hundert Schritt von der Schildwache spazieren, als ein Offizier herangeritten kam, vom Pferde stieg, demselben den Zügel auf den Hals legte und sich entfernte, um ein Bedürfnis zu verrichten. Ich bewunderte die Gelehrigkeit des Pferdes, denn es stand da wie ein treuer Diener, dem sein Herr befohlen hätte, auf ihn zu warten. Ich trat an das Tier heran, nahm, ohne mir etwas dabei zu denken, den Zügel in die Hand, setzte den Fuß in den Steigbügel und – eins, zwei, drei war ich im Sattel
Es war das erstemal in meinem Leben, daß ich zu Pferde saß. Ich weiß nicht, ob ich es vielleicht mit meinem Stock oder mit dem Absatz berührte, genug, plötzlich ging das Tier in voller Karriere durch. Ich umklammerte es mit meinen Absätzen, da mein rechter Fuß den Steigbügel verloren hatte; das Pferd wurde wild, ich wußte nicht, wie ich es zum Stehen bringen sollte, und es lief immer schneller. Der letzte Vorposten ruft mir zu, ich solle halten; ich kann dem Befehl nicht nachkommen, da das Perd wie der Wind davonsaust; endlich höre ich einige Kugeln pfeifen, die ich meinem unfreiwilligen Ungehorsam verdanke. Beim ersten Vorposten der Österreicher hält man endlich mein Pferd an, und ich danke Gott, daß ich absteigen kann.
Ein Husarenoffizier fragt mich, wohin ich so eilig reite; mein Wort ist schneller als mein Gedanke, und ich antworte unwillkürlich, darüber werde ich nur dem Fürsten Lobkowitz Rechenschaft ablegen; dies war der Kommandierende der Armee, dessen Hauptquartier sich in Rimini befand. Infolge meiner Antwort läßt der Offizier zwei Husaren aufsitzen, man befiehlt mir, ein drittes Pferd zu besteigen, und bringt mich im Galopp nach Rimini, wo der wachhabende Offizier mich sofort vor den Fürsten führen läßt.
Ich finde Seine Hoheit allein und erzähle ihm ganz einfach alles, was mir passiert ist. Meine Erzählung brachte ihn zum Lachen; doch sagte er, dies alles wäre wenig glaubhaft. »Ich müßte Sie, Herr Abbate, in Arrest setzen lassen; aber ich will Ihnen diese Unannehmlichkeit ersparen.« Hierauf rief er einen seiner Adjutanten und befahl ihm, mich bis vor das Cesenische Tor zu begleiten. »Von dort«, fuhr er zu mir gewandt fort, »können Sie gehen, wohin Sie wollen; aber nehmen Sie sich in acht, daß Sie nicht ohne Paß zu meiner Armee zurückkehren; denn das könnte Ihnen übel bekommen.« Ich bat ihn, mir das Pferd zurückgeben zu lassen; er antwortete mir, es gehöre mir nicht. Ich vergaß, ihn zu bitten, mich dorthin zurückzuschicken, wo ich hergekommen war, und meine Vergeßlichkeit ärgerte mich; doch war es im Grunde vielleicht gut so.
Der Offizier, der mit meiner Begleitung beauftragt war, fragte mich, als wir an einem Kaffeehaus vorüberkamen, ob ich eine Tasse Schokolade trinken wollte, und wir traten ein. Ich sah Petronio vorübergehen, benutzte einen Augenblick, wo der Offizier mit einem Bekannten sprach, und befahl dem Knaben, er solle so tun, als ob er mich nicht kenne, und solle nur sagen, wo sie wohnten. Als wir die Schokolade getrunken hatten, bezahlte der Offizier und wir gingen weiter. Unterwegs plauderten wir, er nannte mir seinen Namen, und ich sagte ihm den meinigen und erzählte ihm, wie ich nach Rimini gekommen sei. Er fragte mich, ob ich mich einige Zeit in Ancona aufgehalten hätte, und als ich diese Frage bejahte, sagte er mir lächelnd, ich könnte in Bologna einen Paß nehmen, ohne Besorgnis nach Rimini und Pesaro zurückkehren und mir meinen Koffer wieder verschaffen, indem ich dem spanischen Offizier das durchgegangene Pferd zahlte. Am Tor wünschte er mir gute Reise, und wir trennten uns.
Ich sah mich frei, im Besitze von Gold- und Schmucksachen, aber ohne meinen Koffer. Teresa war in Rimini, und es war mir verboten, dorthin zurückzukehren. Ich beschloß, mich schnell nach Bologna zu begeben, mir einen Paß ausstellen zu lassen und nach Pesaro zurückzukehren, wo inzwischen ohne Zweifel mein römischer Paß eintreffen mußte, denn ich konnte mich nicht entschließen, meinen Koffer zu verlieren, und ich wollte nicht Teresa bis zum Ende ihres Engagements bei dem Operndirektor von Rimini entbehren.
Es regnete; ich war in Seidenstrümpfen, und da ich ein schlechter Fußgänger war, so brauchte ich einen Wagen. Ich stellte mich unter eine Kirchentür, um das Aufhören des Regens abzuwarten, und drehte meinen schönen Überrock um, um nicht als Abbate erkannt zu werden. Ein Bauer kam vorbei; ich fragte ihn, ob er wohl einen Wagen hätte, um mich nach Cesena zu bringen.
»Ich habe einen, Herr,« antwortete er mir, »aber er ist eine halbe Meile von hier.«
»Hole ihn und komm damit hierher; ich werde auf dich warten.«
Während ich auf die Rückkehr des Bauern mit dem Wagen warte, kommt eine Karawane von vierzig beladenen Maultieren, die nach Rimini hineingetrieben werden. Es regnete immer noch; die Maultiere kamen ganz dicht an mir vorüber; ich legte mechanisch einem von ihnen den Arm um den Hals, folgte dem langsamen Schritt der Tiere und kam wieder nach Rimini hinein, ohne daß man im geringsten auf mich achtete; nicht einmal die Treiber bemerkten mich. Ich gab dem ersten Gassenjungen, dem ich begegnete, ein Geldstück und ließ mich nach Teresas Wohnung führen.
Ich hatte meine Haare mit einer Nachtmütze gedeckt, die Hutkrempe heruntergeschlagen, meinen schönen Spazierstock unter meinem Überzieher verborgen; so sah ich nach nichts aus. Ich fragte nach Bellinos Mutter, und die Hauswirtin führte mich in ein Zimmer, wo ich die ganze Familie besammen fand; Teresa trug Frauenkleider. Ich gedachte, sie zu überraschen; da aber Petronio ihnen schon von mir erzählt hatte, so erwarteten sie mich. Ich erzählte meine Geschichte; Teresa aber erschrak ob der Gefahr, der ich mich aussetzte, und sagte mir trotz ihrer Liebe, ich müßte unbedingt nach Bologna gehen, wie Herr Vais mir geraten habe. »Ich kenne diesen Offizier,« sagte sie, »er ist ein Ehrenmann, aber er kommt jeden Abend hierher, und du mußt dich verstecken.« Es war erst acht Uhr in der Früh, wir hatten den ganzen Tag vor uns, und alle versprachen, verschwiegen zu sein. Ich beruhigte Teresa, indem ich ihr versicherte, ich würde leicht ein Mittel finden, unbemerkt aus der Stadt heraus zu gelangen. Teresa führte mich in ihr Zimmer und erzählte mir, sie sei auf der Reise nach Rimini unterwegs ihrem Direktor begegnet; er habe sie in die für sie und ihre Familie bestimmte Wohnung gebracht; sie habe ihm erklärt, sie sei Mädchen und wolle nicht für einen Kastraten gelten; dem Direktor sei das ganz recht gewesen, weil Rimini zu einer anderen Legation gehöre als Ancona und Frauen hier auf der Bühne auftreten könnten. Zum Schluß sagte sie mir, sie sei nur bis Anfang Mai verpflichtet und werde überall hinkommen, wo ich auf sie warten wollte.
»Sobald ich einen Paß habe,« sagte ich ihr, »wird nichts mich hindern können, so lange bei dir zu bleiben, bis du frei bist. Aber sage mir doch: Herr Vais verkehrt ja bei dir; hast du ihm nicht gesagt, ich hätte mich einige Tage in Ancona aufgehalten?« »Jawohl; ich habe ihm sogar gesagt, daß man dich arretiert hat, weil du deinen Paß verloren hast.«
Nun begriff ich, warum der Offizier gelächelt hatte, als er mir seinen Rat gab.
Nach dieser wichtigen Unterhaltung empfing ich die Komplimente der Mutter und der beiden jüngeren Schwestern; doch fand ich diese letzteren weniger lustig und weniger offenherzig als in Ancona. Sie fühlten, daß Bellino jetzt als Teresa eine zu gefährliche Nebenbuhlerin war. Ich hörte geduldig alle Klagelieder der Mutter an; sie behauptete, Teresa habe ihr Glück aufgegeben, indem sie die schöne Kastratenrolle aufgegeben; denn in Rom hätte sie jährlich tausend Zechinen verdienen können. »In Rom, meine gute Frau,« sagte ich ihr, »wäre der falsche Bellino entlarvt und Teresa wäre in ein elendes Kloster eingesperrt worden; und dazu ist sie nicht geschaffen.«
Trotz der gefährlichen Lage, in der ich mich befand, verbrachte ich den ganzen Tag im Beisammensein mit meiner Liebsten, und es kam mir vor, als entdeckte ich in jedem Augenblick an ihr neue Reize und an mir mehr Liebe. Um acht Uhr abends hörten wir jemanden kommen; sie ließ mich allein, und ich blieb im Dunkeln; doch konnte ich alles sehen und hören. Ich sah den Baron Vais eintreten, und Teresa reichte ihm ihre Hand zum Kuß mit der Anmut einer hübschen Frau und mit der ganzen Würde einer Fürstin. Das erste, was er ihr sagte, war die Nachricht über mich; sie tat, als freute sie sich darüber, und hörte mit gleichgültiger Miene zu, als er ihr erzählte, er habe mir geraten, mit einem Paß zurückzukehren. Er verbrachte eine Stunde mit ihr, und ich fand Teresa bewunderungswürdig in ihrem Verhalten wie in ihren Manieren; mit einem Wort, sie benahm sich so, daß ich nicht den kleinsten Anlaß zur Eifersucht hätte entdecken können. Mariana leuchtete dem Offizier, als er fortging, und Teresa begab sich zu mir. Wir speisten fröhlich miteinander, und im Augenblick, wo wir uns zu Bett legen wollten, kam Petronio und sagte mir, sechs Maultiertreiber sollten zwei Stunden vor Tagesanbruch nach Cesena abgehen; wenn ich eine Viertelstunde vorher zu ihnen ginge und ihnen ein Trinkgeld gäbe, könnte ich ganz gewiß ohne Schwierigkeit aus der Stadt herauskommen. Dieser Meinung war auch ich, und ich entschloß mich, das Abenteuer zu versuchen; ich bat ihn, nicht zu Bett zu gehen, damit er mich zur rechten Zeit weckte. Es wäre nicht nötig gewesen, denn ich war schon vor der Zeit fertig. Ich verließ Teresa, fest überzeugt von meiner Liebe und Treue, aber ein wenig unruhig wegen meines Herauskommens aus Rimini. Sie hatte noch sechzig Zechinen und wollte mich nötigen, diese zurückzunehmen; ich fragte sie aber, was sie wohl von mir denken würde, wenn ich sie nähme, und es war nicht mehr die Rede davon.
Ich ging nach dem Stall, gab einem Maultiertreiber ein Trinkgeld und sagte ihm, ich möchte gerne auf einem seiner Maultiere bis Sarignano reiten. »Das können Sie tun,« sagte mir der gute Mann, »aber es wäre besser, wenn Sie erst vor der Stadt aufstiegen und das Tor zu Fuß passierten, wie wenn Sie ein Treiber wären.« Das wollte ich ja gerade. Petromo begleitete mich bis ans Tor, wo ich ihm ein reichliches Zeichen meiner Dankbarkeit gab. Ich kam ohne die geringste Schwierigkeit hinaus und verließ die Maultiertreiber in Sarignano, von wo ich mit der Post nach Bologna fuhr. Bald sah ich, daß es mir unmöglich sein würde, einen Paß zu erhalten, schon deshalb, weil man mir sagte, ich brauchte keinen; damit hatten sie allerdings unter gewöhnlichen Umständen recht; ich aber wußte, daß das Gegenteil der Fall war, und es lag mir nichts daran, sie ins Geheimnis zu ziehen. Ich entschloß mich, an den französischen Offizier zu schreiben, der mich auf der Wache von Santa Maria so höflich behandelt hatte; ich bat ihn, sich auf dem Kriegssekretariat zu erkundigen, ob mein Paß noch nicht gekommen wäre, und, wenn dies der Fall wäre, ihn mir zu schicken. Ich bat ihn ferner, sich nach dem Besitzer des mit mir durchgegangenen Pferdes zu erkundigen; denn ich fand es nicht mehr als recht und billig, diesem seinen Schaden zu ersetzen. Auf alle Fälle beschloß ich, Teresa in Bologna zu erwarten, und ich teilte ihr dies mit, indem ich sie bat, mir sehr oft zu schreiben. Der Leser wird sehen, was fur einen neuen Entschluß ich noch am selben Tage faßte.