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Es ist eine eigene Empfindung, die wir haben, wenn in unserem selbstbewußten Denken wir uns deutlich machen, mit welcher eigentümlichen und hohen Gesetzmäßigkeit und Schönheit in uns und anderen Lebendigen lange vor allem Denken das Wirklichwerden und Erhalten unserer Gestaltung geleitet wird. Je mehr wir hier in die Tiefen der Bildungsvorgänge eindringen, um so höher steigt unsere Ehrfurcht vor diesem Walten! Wer die Schritt für Schritt mit unverrückter Stetigkeit geschehenden Kristallisationen der Ur-Teile nur eines einzigen Organismus verfolgt hat, wer gesehen hat, wie durch unendliche Wiederholungen der einzigen Urgestalt des mikroskopischen ersten Eibläschens eine eigentümliche Zellenbildung entsteht, welche überall die Grundlage ist, aus welcher dann Gefäße, Nerven, Muskeln, Knochen je nach bestimmten Strahlungen und Metamorphosen hervorgehen, dem muß allmählich verständlich werden, welch eine Weisheit, Macht und Schönheit noch ohne alles Selbstbewußtsein ein sich individualisierendes Göttliches zu offenbaren vermag. Es ist dann sogar nicht zu vermeiden, daß wir zu der Frage kommen: kann die freie Wirksamkeit der selbstbewußten Seele zu einer Höhe sich erheben, welche der Schönheit, dem Reichtum, der inneren Vollendung dessen gleichkommt, was ein unbewußtes Walten des seelischen Prinzips täglich und stündlich vor unseren Augen entfaltet? – Alles, was über Verhältnis und Gegenüberstehen von Natur und Kunst gesagt worden ist, kann hierher gezogen werden; nicht das Geringste wirklich zu schaffen vermag irgend die Kunst, und überall wird man sich überzeugen müssen, daß die innere Vollendung und höchste Zweckmäßigkeit der Bildung durch jenes Unbewußte unendlich voransteht allem und jedem, was der bewußte Geist in ähnlicher Weise hervorzubringen vermag. Ja, wenn uns dann deutlich wird, daß alles, was wir die WissenschaftIch kann dabei nicht umhin, schon hier darauf aufmerksam zu machen, wie jede höhere Erkenntnis – d. h. das, was wir schlechthin Erkennen nennen – nämlich das Vernehmen, das Schauen der Idee, selbst mit auf einem Unbewußtwerden vieler vorausgegangenen Begriffe ruht. – Wie Deukalion nach der Mythe Steine hinter sich warf, aus denen Menschen wurden, so wirft die Seele mannigfaltige kindische Begriffe hinter sich ins Unbewußte, und gerade hierin ist die Bedingung gegeben, daß später wieder unsterbliche Ideen im Bewußten hervorgehen können. der bewußten Seele nennen, nur ein Nachgehen und ein Aufsuchen der Verhältnisse und Gesetze ist, welche fort und fort im unbewußten Walten des verschiedenen Lebendigen um und in uns, vom Weltkörper bis zum Blutkörperchen, sich betätigen, so entsteht uns ein eigener Kreislauf der Ideenwelt, welche aus dem Unbewußtsein bis zum Bewußtsein sich entwickelt und als solches doch wieder zuhöchst das Unbewußte sucht und in dem möglichsten Verständnis desselben sich erst befriedigt findet. – Freilich zeigt sich zulegt auch hier, daß ein vollständiges Erreichen der Natur durch wissenschaftliche Konstruktion ein Unmögliches ist und stets zulegt irgendein Bruch übrigbleiben muß.
Aus der Verehrung, welche, auch ohne noch ganz in die Erkenntnis übergegangen zu sein, den Menschen gegen dieses Unbewußte durchdringt und durchdringen muß, erklärt sich vieles in den Vorstellungen der Menschheit, und zwar schon in den ältesten Zeiten: die eigene Ehrfurcht vor der Kindesnatur, noch ehe ein höheres selbstbewußtes Leben in ihr sich entwickelt hat, die Scheu vor der Tötung des Menschen, ja bei dem Hindu die Scheu vor Zerstörung alles animalischen Lebens und bei so vielen Völkern selbst die Verehrung menschlicher Bildung, ja sogar mancher Tiergestalten als ein Göttliches. Freilich, je weiter noch die Erkenntnis zurück war, desto mehr Mißverständnisse gaben sich in diesen Vorstellungen kund, indem hier das, was nur ein Göttliches – ein einzelner Strahl des einen von uns nur geahnten absoluten Gottes war – oft als selbst Gottheit genommen wurde, und gerade hier hat sich denn überhaupt die Quelle des eigentlichen Irrtums des Pantheismus eröffnet. Dieser Pantheismus, die Meinung, daß vieles einzelne schon eine absolute Gottheit sein könnte, steht im vollkommenen Gegensatz zu dem, was man vielleicht am besten Entheismus, d. h. Erkenntnis des Göttlichen in allem, zu nennen berechtigt wäre, und so klar es sein muß, daß dieser Entheismus die eigentliche alleinige gesunde Anschauung der Welt bezeichnet, so gewiß ist es, daß ein vollkommener Pantheismus eigentlich gleich dem wirklichen Atheismus zu absurd ist, als daß er jemals bei nur einiger Entwickelung der Intelligenz dem Menschen im vollen Sinne des Wortes hätte genügen können.
Übrigens bewegt sich noch unsere heutige Theologie gleich einer sehr verbreiteten Art von Physiologie bei der Lehre von Dingen dieser Art in einem sonderbaren Zirkel. Es wird die Vortrefflichkeit und Weisheit des Göttlichen in den Naturbildungen und ebenso in der Organisation des Menschen anerkannt, ihr Studium wohl gar zur Vermehrung der Erkenntnis des Göttlichen überhaupt empfohlen, und dessenungeachtet wird zwischen diesem unbewußten Walten eines sich individualisierenden Göttlichen und dem bewußten Göttlichen, welches wir in der entwickelten menschlichen Seele gewahr werden, als zwischen zwei durchaus Entgegengesetzten unterschieden. Jenes erste Unbewußte wird dann wieder gegenüber der Seele etwa als Lebenskraft angesprochen, und diese letztere erscheint alsdann bald zu einem bloßen Mechanismus herabgesetzt, bald wird sie wohl auch als besonders dämonisch aufgefaßt, so daß zuletzt nicht viel fehlte, man hätte sie als Offenbarung des bösen, satanischen Prinzips dem bewußten Psychischen als der Offenbarung des guten und eigentlich divinen Prinzips geradezu gegenübergestellt, während doch die innere wahrhaft göttliche Vollendung aller Produktionen des ersteren unbewußten Waltens nicht geleugnet werden kann. Dies sind Verirrungen, die hier nur beiläufig angedeutet werden sollen, die aber eigentlich weiter von der Wahrheit sich verlieren als die des sogenannten Pantheismus selbst.
Ich sagte nun aber schon im Eingange, daß es schwer sei, in der Region des bewußten Seelenlebens den Begriff vom unbewußten Leiden und Tun der Seele in der Wahrheit zu erfassen, daß aber doch auch wiederum nur eben hier der Schlüssel zu einer wahren Psychologie gefunden werden könne. Versuchen wir daher zunächst dadurch uns zu fördern, daß wir Achtung geben, wie vieles auch innerhalb des bewußten Zustandes unserer Seele allerdings nur als ein Unbewußtes sich bewegt und vollendet. So ist denn z.B. keinem Zweifel unterworfen, daß die Muskeln, welche der Bewegung des Atemholens dienen, durch die zu ihnen sich verbreitenden Wirkungen des Nervenlebens der Willkür unseres bewußten Seelenlebens gehorchen. Wir können diese Bewegungen eine Zeitlang hemmen, wir können sie absichtlich beschleunigen, unterbrechen, verstärken oder schwächen und empfinden daran deren volle Abhängigkeit von unserer selbstbewußten Seele. Nichtsdestoweniger geschehen diese Bewegungen in der Regel und fortwährend unser ganzes Leben hindurch größtenteils vollkommen unbewußt und machen es uns verständlich, daß zwischen Bewußtsein und Unbewußtsein eine sehr bewegliche Grenze liegt, und daß das Bewußte wie das Unbewußte Strahlungen einer und derselben Einheit sind. Noch auffallender vielleicht ist dies bei allen Bewegungen, welche irgendeiner Kunstfertigkeit dienen. Hier, ganz in der Region des Bewußtseins und ausgeführt von durchaus der Willkür unterworfenen Muskeln, ist das, was wir »Einlernen«, »Einübung« nennen, gar nichts anderes als ein Bestreben, etwas, das dem Bewußtsein angehört, wieder in die Region des Unbewußtseins zu bringen. Man denke sich den Klavierspieler: jede einzelne Fingersetzung, Fingerschnellung ist ursprünglich willkürlich und muß zuerst durch absichtlich einzeln gewollte Nervenströmung auf die geeigneten Muskeln hervorgerufen werden. Wird sie nun vielfältig hervorgerufen und immer wieder erneut, so geht sie allmählich in ihrer besonderen Komplikation ganz ins Reich des Unbewußtseins über und wird dergestalt dem Bewußtsein entzogen, daß sie einzeln gar nicht mehr gedacht zu werden braucht, sondern daß die Vorstellung vom Realisieren gewisser Tonfolgen überhaupt schon genug ist, um sie ganz unbewußt in ihrer Gesamtheit und in jeder gewollten Zeitfolge ebenso sicher hervorzurufen, wie die Atmungsbewegungen ohne unser Darandenken sich folgen. Dasselbe ist der Fall mit dem Erlernen unserer wesentlichsten Ortsbewegung, dem Gehen, und so mit hundert anderem; woraus sich denn klärlich ergibt, daß im Können auf gleiche Weise wie im Wissen das Hinübergreifen aus dem Bewußten ins Unbewußte zur Höhe menschlicher Vollendung wahrhaft gehört.
Letzteres ist eine Bemerkung, welche die volle Beachtung des Psychologen verdient und bisher noch nicht in genügendem Grade verfolgt worden ist, obwohl E. Stahl bereits auf manches dieser Art sehr bestimmt aufmerksam gemacht hat. Es ist nämlich gewiß sehr merkwürdig, daß dem Tun, dem Können, der Kunst des Menschen hier ganz ähnliche Bahnen vorgezeichnet sind als dem Erkennen, dem Wissen, der Wissenschaft. Wie es eine um so größere Höhe der Wissenschaft bezeichnet, je tiefer das bewußte Erkennen des Menschen eindringt in das Wahrnehmen der Ideen der Gesetze, welche unbewußt in unserem eigenen Organismus und in dem der Welterscheinung um uns her sich betätigen, wie es eben darum auch die höchste Aufgabe der Lehre von der Seele ist, in die Regionen einzudringen, wo das Seelenleben noch ganz ohne Bewußtsein sich wirksam erweist, so wird auch ein jedes Können erst dadurch wirklich zur Kunst, daß alles Tun, insofern es einem gewissen Zweck des Willens dienen soll, wieder an und für sich unbewußt vollzogen werde und eben dadurch nun die höchste Leichtigkeit jeder Produktion begünstige, indem es nämlich nur dann erst überflüssig wird, daß die Seele aller der einzelnen Willensäußerungen besonders und absichtlich gedenke, welche nötig sind, irgendeine vorgesetzte Tat zur Ausführung zu bringen, so daß ihr jetzt mit dem Willen, ihn zu erreichen, allein der Zweck rein und lebendig vorzuschweben braucht, um frisch und leicht die Kunsttätigkeit zur Erreichung dieses Zweckes in Gang zu setzen.
Wenden wir uns übrigens wieder zu dem, was wir im bewußten Seelenleben das Wissen, das Erkennen nennen, so verstehen wir gegenwärtig auch, indem wir auf das Hervorgehen desselben aus dem Unbewußtsein achten, warum Plato schon alles Erkennenlernen darstellte als ein Erinnern, als ein » im Innern finden«; also da finden, wo bisher noch kein Wissen war, und wo diese Wahrheit, dieser Gedanke doch war wie der unbewußte Embryo in der bewußten Mutter; ein Vorgang, wegen dessen eben Sokrates so oft das Entwickeln des Gedankens, das heißt eben das Erreichen höherer Erkenntnis, als einen geburtshelferischen Akt angesehen wissen will. Alles dieses deutet denn mit Bestimmtheit auf die reiche eigentümliche Welt, die wir dunkel in unserem Innern tragen, und jedes Bedenken dieser Art muß uns sofort das merkwürdige Verhältnis zwischen Bewußtsein und Unbewußtsein deutlicher gestalten können. Ein noch helleres Licht kann es übrigens hierauf werfen, wenn wir an das allmähliche Hervortreten angeborener besonderer Richtungen der bewußten Seele denken wollen. Hier zeigt sich zugleich, wie weit wir in der Geschichte der Idee unseres Daseins – und eben also in das Reich des unbewußten Daseins – zurückgehen müssen, wenn wir zur Auffindung der ersten Gründe der Besonderheit dieses Daseins gelangen wollen. Ich erinnere nämlich hier zuerst daran, wie viel ganz eigentümliche Züge auch des bewußten Seelenlebens sich von Eltern auf Kinder fortpflanzen können, wie manche eigentümliche Richtungen des Geistes, manche besondere Neigungen, manche Kunstanlagen auf diese Weise das Eigentum von Personen werden, in welchen sie noch überdies oft ziemlich spät erst wirklich hervortreten, obwohl sie der Anlage nach von Haus aus in ihnen vorhanden sein mußten. Jetzt mache man sich nun aber anschaulich, in welchem völlig bewußtlosen Zustande die Seele sich befindet zu der Zeit, wo in den ersten Bildungsperioden des Eies dergleichen Übertragungen allein möglich waren. Man mache sich deutlich, wie hier in der Seele des Embryo, während sie einzig und allein als bildende, entwickelnde, Stoffe heranziehende und Stoffe verteilende Macht sich betätigt, doch unbewußter Weise alle jene später sich kundgebenden Geistesrichtungen des bewußten Lebens schon wirklich vorgebildet sind! und man wird eines der merkwürdigsten und für die Geschichte des Verhältnisses zwischen Bewußtsein und Unbewußtsein lehrreichsten Momente vor sich haben. Gewiß, an dergleichen muß es deutlich werden, wie durch und durch unser bewußtes Seelenleben auf der Region des unbewußten ruht und aus ihr hervorgeht, wie es ganz eigentlich der erste schaffende Akt der als Seele sich darlebenden Idee ist, noch ganz unbewußt die bewundernswürdige Mannigfaltigkeit des Organismus zu begründen, und wie auch dann, wenn in der Widerspiegelung der Idee in dieser Schöpfung das Bewußtsein sich erschlossen hat, die unbewußte Strahlung jenes Göttlichen der unversiegbare Born ist, aus welchem immer neue und neue Bereicherungen des Bewußtseins hervorgehen.
Gerade weil wir es also für so höchst wichtig erkennen, behufs der Wissenschaft von der Seele so tief als möglich einzudringen in das Verständnis der bewußtlos in uns waltenden Idee, wird es zunächst hier unbedingt erfordert, mit schärferen Zügen die Geschichte des werdenden Organismus und namentlich des menschlichen zu zeichnen. Es ist hierbei insbesondere notwendig, die Wesenheit des Entwicklungsvorganges, dagegen nicht gerade alle einzelnen Modifikationen desselben, deutlich einzusehen: eine Einsicht, welche allerdings erst durch die sorgfältigen, dem Laien durchaus und selbst vielen Ärzten noch bisher ganz fremden Untersuchungen der neuesten Zeit möglich geworden ist. Nur aus dieser Deutlichkeit der Einsicht wird auch der Rückschluß auf die Eigentümlichkeit, mit welcher ein unbewußt bildendes Seelenleben sich überhaupt betätigt, wahrhaft möglich werden. Hätte E. Stahl, dem schon im 17. Jahrhundert der Gedanke kam: es sei nur die Seele das eigentlich Schaffende und Bildende des Organismus, zu seiner Zeit schon klarere Vorstellungen von diesem Bilden und dem wahren Verhältnis einer Idee zu ihrem Sichdarleben in einer Form erfassen können, und wäre er nicht von reineren Anschauungen immer noch durch die Annahme einer gewissen Materialität der Seele zurückgehalten gewesen, so hätte schon ihm sich die ganze Wesenheit dieser Verhältnisse erschließen müssen. Ihm war nämlich der Unterschied des bewußten und unbewußten Seelenlebens allerdings aufgegangen, und ganz treffend sagte er: »das Unbewußte und Unwillkürliche im Organismus geschehe zwar auch ratione oder λóγω, aber nicht ratiocinio oder λóγιςμω«, welche Erkenntnis ihn denn auch so erfüllte und befriedigte, daß er mit einer gewissen Verachtung auf die Physiologie seines Zeitgenossen F. Hoffmann herabblickte und selbst mit Leibniz in entschiedene Differenzen geriet, als welcher letztere zwar die Seele an und für sich in ihrer Immaterialität gewiß richtiger erfaßt hatte als er, allein, da ihm nun wieder ihr Verhältnis zum Organismus ferner lag, noch eine zweite Entelechie, die Kraft der Bewegung, außer der Seele im Organismus annahm, welche Stahl allerdings verwerfen mußte, da ihm der Begriff der Einheit des Organismus einmal wahrhaft aufgegangen und deutlich geworden war.
Ein wahres Unheil, welches der Psychologie daraus erwuchs, daß in neuerer Zeit größtenteils Männer mit ihrer Bearbeitung sich beschäftigen, welche von den Bildungsvorgängen und dem Leben des Organismus gar keine oder nur höchst unvollkommene, aus Büchern geschöpfte Begriffe hatten, lag darin, daß, wenn sie sich darüber deutlich machen wollten, was sie das Verhältnis von Seele und Körper nannten, ihnen immer nur ein ungefähres Bild von der gesamten gegliederten Mannigfaltigkeit des erwachsenen Leibes vorschwebte, und daß sie ganz der rechten Vorstellung seiner einfachsten frühesten Verhältnisse ermangelten. Schon Aristoteles sagtVon der Seele, 1. Buch, 1. Kap.: »Und dieserhalb nun gehört für den Naturforscher die Betrachtung über die Seele, entweder überhaupt oder als so beschaffene.« Wie sollte auch das rechte Erkennen des Bewußten in uns hervorgehen, wenn das Erkennen und Verfolgen des Unbewußten nicht vorhergegangen war und wegen mangelnder Vorkenntnisse nicht vorhergehen konnte! So wie also in der Morphologie nur durch das Studium der Entwicklungsgeschichte die Lehre von dem Verhältnis und der Bedeutung der Organe näher aufgegangen ist, so wird man auch die Art und Weise, wie ein Göttliches – eine Idee – ein Urbild eines Seins vor allem Dasein sich in der Wirklichkeit in einem Abbilde darlebt und welche Verhältnisse dann fortwährend zwischen Urbild und Abbild bestehen, nur dann genügend erkennen und durchschauen, wenn man die Verhältnisse aufsucht, wo die Beziehungen und Bildungen noch einfacher sind; hingegen wird man sie weit schwerer erfassen, wo sie bereits eine unendliche Mannigfaltigkeit und Verwicklung wirklich erreicht haben.
Indem wir daher jetzt an diese Betrachtungen uns begeben, so ist ein Faktum sogleich als das wichtigste vorauszustellen und deutlich zu machen, von welchem allein schon unendlich viel Licht für die Einsicht in alle ähnlichen Verhältnisse erlangt werden kann, ein Faktum, das allerdings erst durch die neuesten Forschungen wahrhaft enthüllt ist und welches, wenn Männer wie Aristoteles und E. Stahl damit bereits bekannt gewesen wären, das Verständnis vom unbewußten Bilden der Seele schon ihnen in vollerem Maße eröffnet haben würde. Dieses Faktum heißt: die ursprüngliche vollkommene Gleichheit aller Elementarteile des Organismus oder die Wahrheit, daß alle Vergrößerung des Gliedbaues im lebenden Körper bedingt werde durch unendlich vielfältige Wiederholungen einer und derselben einfachsten Grundform. Einfachste aller Gestalten ist aber die reine Sphäre, und so sind es unendlich kleinste Hohlsphären, Bläschen, Urzellen, welche als organische Einheiten (Monaden) die Vielgestaltigkeit aller organischen Bildung begründen. Tausend und tausendfältig verwirklicht sich also die Idee in solcher Monas, und jede Urzelle des Organismus ist sonach immer nur die Wiederholung jener ersten Urzelle – jenes Eikeims – Eibläschens, womit der ganze Organismus begann; eben deshalb aber ist auch jede dieser Urzellen auf ihre besondere Weise der Ausdruck der Idee des Ganzen und dadurch auf ihre besondere Weise eigenlebendig.
Man denke den Gedanken einer solchen Gliederung recht durch, und man wird finden, daß hiermit in Wahrheit ein ungeheurer Schritt zum Verständnis des Lebens überhaupt und des Verhältnisses der Seele zum gegliederten Leibe insbesondere getan ist! – Gerade der Mangel dieser Erkenntnis war es, welcher die älteren Forscher und noch manche neuere in absurder Weise nach einem Sitze der Seele suchen ließ, als ob nur an einem Punkte – gleich der Spinne inmitten ihres Netzes – die Seele im Organismus fixiert wäre und sie von da aus das mechanische Getriebe des Leibes in Bewegung setzte! – Wer hingegen nur das recht gefaßt hat, wie alle Grundform des Organismus auf unzählbarer Wiederholung der einen Grundform ruht, und wie jegliche Zelle der Wiederholung des ersten Eikeims ist und wie sie selbst eben dadurch immer wieder die Grundidee verwirklicht oder eben dadurch in sich eigenlebendig ist, der betrachtet nun schon mit ganz anderen Augen das aus all diesen Wiederholungen sich erbauende Ganze. Erst durch diese Vorstellung wird aber auch ein jeder höher entwickelter und insbesondere der menschliche Organismus uns wahrhaft zum Begriffe einer kleinen Welt, eines Mikrokosmos, gesteigert; ein Begriff, der außerdem von den meisten nur als ein Gleichnis und folglich unzulänglich gedacht werden kann. Wenn wir dagegen uns deutlich machen, daß wirklich das allererste Keimbläschen des Organismus nur als ein einzelnes, als eine Monas erscheint, daß dann schon während seiner ersten Weiterbildung Tausende neuer solcher Monaden aus dem Keimbläschen sich entwickeln, ja daß der ganze Leib des allmählich anschießenden Embryo nur aus wiederholten Bläschenformen – Zellen – besteht, aus denen erst allmählich Hirn und Nerven, Muskeln und Knochen, Sinnesorgane und Bildungs- und Ernährungsorgane nach einem höheren Plane der Idee sich zusammenreihen, während zugleich Millionen von rastlos entstehenden und vergehenden Monaden als Blutkörperchen sich kreisend umhertreiben, ja daß auch von den bereits zu größeren Gebilden angeschossenen Urbläschen oder Zellen während jeder Erdumdrehung wieder viele Tausende aufhören, der Organisation anzugehören, sich ablösen und zerstört werden, während andere Tausende immer wieder neu sich gestalten und dem Bestehenden sich anschließen und daß nun doch in jeder dieser millionenfach dargebildeten Zellen immer die ursprüngliche Lebensidee des Organismus sich auf eigentümliche Weise verwirklicht hat, so wird in uns nun erst ein Begriff des Lebens erzeugt, den wir im wahren Sinn einen würdigen nennen können und der uns den scheinbar einfachen und ruhig beharrenden lebendigen Leib als ein durchaus bewegtes Meer des steten Vergehens und Werdens, ganz in gleichem Sinne etwa wie ein System von Weltkörpern, kurz, wie ich oben sagte, wahrhaft als Mikrokosmos darstellt und beweiset.
In diesen Vorgängen also sehen wir das erste bewußtlose Wirken jener göttlichen Idee, welche als Seele sich darleben soll, wie es hier unter gegebenen Bedingungen an einer einfachen eistoffigen Flüssigkeit hervortritt, und zwar mit derselben Notwendigkeit gestaltend, gleichsam sich ausgliedernd, hervortritt, als an dem schwebenden Wassertropfen der Atmosphäre bei verminderter Wärme die Idee einer sechsstrahligen Kristallisation der Schneeflocke erscheint, und wir erkennen alsbald, dieses erste bewußtlose Wirken, es müsse im allgemeinen als ein zweifaches sich kundgeben: einesteils nämlich erscheine es als ein sich in einer und derselben Urgestaltung immerfort, solange überhaupt ein Fortbilden des Organismus stattfindet, sich rastlos Wiederholendes, sich immer neu Seiendes; andernteils sei es ein höheres, die Darstellung der Gesamtheit eines mannigfaltig gegliederten Organismus Bezweckendes. Man könnte also sagen: es wiederhole sich hier am Stoffe selbst der oben berührte Gegensatz von Stoff und Form noch einmal, indem die endlose Wiederholung der Urzelle in Millionen eigenlebendiger Monaden oder Zellen gleichsam den Stoff, das Material des Organismus darstellt, während die verschiedenartigen Modifikationen dieser unendlichen angehäuften Zellen nach dem höheren Schema unserer gesamten organischen Bildung erst die Form und dadurch, wie Aristoteles ganz richtig sagt, »die Wirklichkeit der ganzen lebendigen Bildung« begründen.
Nicht bloß jedoch diese räumlich gestaltenden Verhältnisse sind hier wichtig zu beachten, sondern ebenso verdient das Moment der Zeit unsere besondere Aufmerksamkeit. Wäre nämlich die schaffende Tätigkeit dieses Göttlichen in uns, welches wir in seiner vollem Entwicklung mit dem Namen der Seele bezeichnen, bloß eine schlagartig nur einmal wirkende, blitzartig erscheinende und nicht in der Zeit fortgehende, so würde sie wesentlich gleichen der eigentlichen Kristallisation oder der Gestaltung eines Gliedes des Erdorganismus, welches, einmal geworden, bis zu seinem gänzlichen Zerfallen immer dasselbe bleibt; aber sie ist nur in gewissem Sinne andauernd, im wesentlichen aber fortwährend umgestaltend, immer zerstörend und neu bildend, ja sie ist nur am diese Weise und durch diese rastlosen Wiederholungen den Organismus erhaltend; denn wie es bei dem Dichter heißt:
»Denn Alles muß in Nichts zerfallen,
Wenn es im Sein beharren will«,
so würde der Leib nicht im Ganzen derselbe bleiben können, wenn er es im Einzelnen zu bleiben versuchte. So also tritt auch in dieser unbewußten Offenbarung eines höheren Organismus hierdurch eine höchst merkwürdige Eigenschaft hervor, welche sich ebenso auf die Zeit bezieht, wie jenes erste gestaltende Moment auf den Raum sich bezog, eine Eigenschaft, vermöge welcher sonach der Mikrokosmos auch zeitlich das vollkommene Ebenbild jenes Unermeßlichen wird, von dem es heißt: »siehe, er geht vorüber und verwandelt sich, ehe daß ich es merke.«
Diese Eigenschaft ist es nun, in welcher abermals für die Entwicklung auch des höheren bewußten Seelenlebens sehr wichtige Bedingungen sich ergeben. Wie nämlich vorher sich zeigte, daß hinsichtlich der räumlichen Erscheinung des Organismus stets eine unendliche Menge von Einzelheiten der Bildung einer höheren, einer Gesamtform untergeordnet sind, so ist es jener fortschreitenden erhaltenden Wirkung, jenem zeitlichen Schaffen des unbewußten Göttlichen im Organismus eigen und notwendig, alle die einzelnen rastlos wechselnden Zeitmomente seiner Existenz auch einem Höheren, einer allgemeinen Zeit seines Daseins unterzuordnen. Dieses Göttliche nämlich, welches als solches notwendig auch am Prädikat der Ewigkeit teilhat, offenbart sein Wesen stets, man könnte sagen in einem Bruchteile dieser Ewigkeit, in einem immerfort in Vergangenheit und Zukunft zerfallender, Zeitteil, den wir gleichsam seine relative Ewigkeit, d. i. seine Lebenszeit, nennen. Eben weil aber sonach jede Vergangenheit und jede Zukunft des lebenden Organismus integrierende Teile eines Ganzen, nämlich Bruchteile einer relativen Ewigkeit sind, so müssen sie auch stets in der allergenauesten Beziehung aufeinander sich verhalten, das Vorhergehende muß auf das bestimmteste auf das Folgende und das Vorhandene ebenso auf das Vergangene deuten, und hierin liegt eben der höhere Grund jener Beziehung der Zeiten, die wir später im Bewußtsein als Erinnerung und Voraussicht bezeichnen werden.
Indem daher alles Wachsen, alles Bilden, alles Zerstören und alles Sichwiederbilden, mit einem Worte alles dies unbewußte Werden immer die festesten und allergenauesten Beziehungen des Vorhergehenden auf das Nachkommende und des Nachgekommenen auf das Vorherdagewesene verrät, obwohl es doch selbst nur in steter Flucht zwischen Vergangenheit und Zukunft ohne eigentliche Gegenwart sich erweiset, so muß diese Vorausschau und diese Erinnerung in ihm allerdings fester und gewisser als in der bewußten Sphäre genannt werden, und es muß eine wichtige Aufgabe werden, hier, wo das Unbewußte der Seele erwogen werden soll, darzulegen, welche Bewandtnis es mit dieser unbewußten Erinnerung und unbewußten Voraussicht eigentlich habe. Erst später wird sich dann ergeben, daß eine eigentliche Gegenwart, d. h, das Finden eines wahren Haltpunktes zwischen Vergangenheit und Zukunft, erst im bewußten Geiste möglich sei, daß aber dann hierin auch überhaupt die Flucht der Zeit überwunden und die Ewigkeit ergriffen werde. Hier in der Entwicklung des bewußten Geistes ist aber bei erlangter Gegenwart Vergangenheit und Zukunft dunkler, während im Unbewußten zwar die eigentliche Gegenwart fehlt, aber die Beziehungen zwischen Vergangenheit und Zukunft um so inniger und gewisser sind.
Die bisher so ganz unbeachtet gelassene Lehre von diesem Prometheischen und Epimetheischen des Unbewußten wird uns aber am klarsten hervorgehen, wenn wir zunächst unsere Blicke etwas schärfer richten auf die Geschichte alles unbewußten organischen Lebens, so auf das geheimnisvolle stille Fortbilden der Pflanzenwelt oder auf das unruhigere bewegtere Leben und Treiben der Tierwelt. In jeder Regung und jeder Form werden wir hier, wenn wir aufmerksamen Geistes sind, verstehen können: da liege überall etwas verborgen, wodurch zurückgedeutet werde auf ein Vergangenes, Vorherdagewesenes und wodurch vorbedeutet werde auf etwas weiter sich Bildendes, etwas Zukünftiges. So deuten die ersten Teilungen des Pflanzenkeims auf die Art und Stellung späterer Blätter, so die Blätter auf die Art und Stellung der Blumenkrone, und so zeigt schon die erste Anlage der Blüte die bestimmte Gliederung eines Gebildes, aus welchem bei ihrem Lebensanfange die ganze Pflanze hervorging und das ihr, obwohl unbewußt, doch so gut im Gedächtnis geblieben ist, um es auf ihrer Lebenshöhe wieder ganz zu reproduzieren, d. i. des Samenkorns. Ja, beobachten wir das Leben näher, so sehen wir, es müsse durchaus in seiner Fortstrebung ein Gefühl, eine unbewußte Erinnerung von dem vorhanden bleiben, was früher vorhanden war, sonst erklärte sich nicht, wie auf der Spitze einer Entwicklung, nach mannigfaltig durchlaufenen Phasen, etwas wiederkommen könne geradeso wie der Keim gestaltet war, von welchem die Bildung anhub (z. B. das Ei oder das Samenkorn); und hinwiederum erkennen wir, es müsse eine bestimmte, wenn auch unbewußte, Vorahnung von dem in ihm leben, wohin sein Bildungsgang sich richten und was es anstreben sollte, sonst wäre der sicher fortschreitende Gang, das regelmäßige Vorbereiten mancher Erscheinungen, die an sich nur Durchgangsperioden bilden können und selbst immer höheren Zwecken sich unterordnen, ganz unerklärlich. Je mehr man sich nun in alles dieses hineindenkt, je bestimmter man erkennt, daß mit einer außerordentlichen Festigkeit das Nachgefühl des Vorherdagewesenen und das Vorgefühl des Kommenden sich hier unbewußt ausspricht, desto mehr muß man die Überzeugung gewinnen, daß alles, was wir im bewußten Leben Gedächtnis, Erinnerung nennen, und noch weit mehr alles, was wir in dieser Region Voraussehen, Vorauswissen nennen, doch gar weit zurückbleibe hinter der Festigkeit und Sicherheit, mit welcher in der Region des unbewußten Lebens dieses epimetheische und prometheische Prinzip, dieses Erinnerungs- und Vorahnungsvermögen noch ohne alles Bewußtsein einer Gegenwart sich geltend macht. Wenn in niederen Tieren die verlorengegangene Gliedmaße sich auf das vollkommenste, gleichsam nach dem in unbewußter Erinnerung festgebliebenen Bilde der verlorenen, wiedererzeugt; wenn in dem zuerst bloß mikroskopischen menschlichen Ei während seiner allmählichen Entwicklung zum reifen Menschen das Bild der menschlichen Organisation überhaupt, ja der mütterlichen oder väterlichen Organisation insbesondere dergestalt durch Reihen von Jahren unvergessen bleibt, daß immer mehr und mehr und in ganz allmählicher Folge das Bild jenes ersten Stammes zulegt wirklich deutlichst hervortritt; wenn das ein Jahrtausend trocken aufbewahrte Samenkorn die Gestalt der Pflanze, von der es stammt, mit der Deutlichkeit festhält, daß es dieselbe, so wie Feuchtigkeit, Nahrung und Wärme ihm geboten werden, mit allen Einzelheiten des mikroskopischen Zellenbaues wieder darzustellen vermag, so ist ein mächtiges Epimetheisches hier gar nicht zu verkennen. Wenn andernteils, während der Embryo noch von der Atmosphäre, in die er später eintreten soll, nicht die mindeste Ahnung haben zu können scheint, in ihm doch schon mit größter Vollständigkeit das wunderbare Gewebe des Lungengebildes vorbereitet wird, in das diese Atmosphäre doch erst nach der Geburt eindringen soll; wenn die die Eier des Nachtschmetterlings deckenden Absonderungen stärker sich ergießen, sobald ein strengerer Winter bevorsteht; wenn die Samen so vieler Pflanzen ihre Flugwerkzeuge, durch welche sie späterhin vom Winde fortgetragen sich verbreiten sollen, schon lange zuvor innerhalb des Samenbehälters an sich ausbilden, so deutet dies alles wieder die Macht des Prometheischen und die Sicherheit des unbewußten Vorausschauens auf das bestimmteste an.
Unter manchem Unverständlichen und Unverantwortlichen, mit dem die ältere Psychologie sich herumgetragen hat, steht die Lehre vom Verhältnis zwischen Leib und Seele insofern mit oben an, als man hierunter nicht sowohl das Verhältnis zwischen der Idee, dem göttlichen Urbilde an und für sich, und dem in ätherischer Substanz ausgeprägten leiblichen Abbilde auch an und für sich im Sinne hatte, sondern darunter vielmehr das Verhältnis verschiedener Regionen des Seelenlebens, wie es sich teils bewußter-, teils aber unbewußterweise äußert, verstand oder vielmehr wirklich nicht oder doch nicht recht verstand. So rechnete man z. B. es als eine Beziehung zwischen Leib und Seele, wenn man das Verhältnis darstellte, welches besteht zwischen den zum Bewußtsein kommenden Denkfunktionen des Gehirns und den bewußtlosen Verdauungsfunktionen des Magens. Man sagte: das Denken der Seele werde influenziert von dem Ernährungsleben, der Geist von dem Blutleben des Leibes usw., und bedachte nicht, daß man hier und in allen ähnlichen Fällen gar keinen Gegensatz von Seele und Leib, sondern nur einen Gegensatz zwischen verschiedenen bald bewußten, bald unbewußten Regionen der sich darlebenden Seele oder eines zeitlich und organisch sich darlebenden göttlichen Urbildes vor sich hatte. Diese fälschlich sogenannte Lehre von Seele und Leib, zwei Faktoren, deren Aufeinanderwirken übrigens so gar nicht zur Klarheit gebracht werden konnte, hat allein schon unsäglichen Irrtum in der Psychologie verbreitet, und sie kann nur erleuchtet und eigentlich ganz beseitigt werden, wenn die Lehre von der Gliederung der verschiedenen Lebenssphären und Systeme des Menschen zu vollständiger Deutlichkeit gebracht wird; ich sage beseitigt, weil von dem, was wahrhaft Verhältnis von Leib und Seele, Urbild und Abbild genannt werden kann, die Psychologie am wenigsten Notiz zu nehmen braucht. Die Psychologie nämlich geht nur das Leben an – das Leben, in dem die Idee, die Seele sich betätigt, darlebt. – In allem Lebendigen ist aber Idee und ätherische Substanz als ein actu überhaupt ewig Untrennbares immer nur in ungetrennter Einheit zu erfassen. Trennen wir daher wirklich in Gedanken den Stoff, wie ihn Aristoteles nennt, von der Form des Lebens, nehmen wir alle die chemischen Elemente, welche in ewiger Flucht durch die Form des organischen Lebens hindurchziehen, gesondert in Betrachtung: den Kohlenstoff, das Kalzium, den Sauerstoff, Stickstoff, Wasserstoff, das Natrium, Eisen und Chlor usw., was hat das an und für sich mit dem Leben, was mit den Vorgängen der Seele und des Geistes zu tun? Alles dies wird erst im menschlichen Sinne lebendig dadurch, daß die Idee es zur organischen Form ordnet; aber alsdann und solange es dieser Form dient, ist es auch nicht mehr von dem, was Aristoteles die Form nennt, zu trennen; es ist diese Form überall Leib und Seele zugleich, und nur die Verschiedenheiten dieser Form sind es, die zuweilen fälschlicherweise als Leib und Seele einander entgegengesetzt wurden.
Setzt man dagegen im gewöhnlichen Sinne Leib und Seele einander entgegen, z. B. das Denken und die Regungen des Gefühls einerseits, und die Muskelbewegung und den Blutumlauf andererseits, so hat man nur zwei verschiedene Sphären des einerseits bewußten, andererseits unbewußten Seelenlebens, wo in jedem Idee und ätherhafte Substanz in untrennbarer Vereinigung wirken.
Gegen alle diese Irrtümer wird man geschürt sein, wenn die Vorstellung von der Gliederung der verschiedenen Lebenssphären genügend und vollständig gegeben ist, dieser Gliederung, wie sie aus dem Walten eines Unbewußten allmählich und nach höherer göttlicher Ordnung hervorgeht und wie sie immerfort, obwohl auch in innigstem Vereinleben der Glieder, so erhalten wird. Man muß nämlich auch hier damit anfangen einzusehen, daß alle Trennungen, die hier, etwa als einzelne organische Systeme, ausgesprochen und aufgestellt werden, eben nur als künstliche zur Erleichterung des Überblicks und des Verständnisses zugegeben werden können. Es wäre absurd zu denken, daß ein Gefäßsystem, ein Nervensystem, ein Atmungs- und Verdauungssystem gesondert irgendeine Realität haben könnten; nur in der Zusammenwirkung, in der Gesamtheit mit allen übrigen sind sie wirklich. Hält man aber diese Vorstellung in ihrem tiefsten Grunde fest, so kann das Betrachten des einen nach dem andern nicht nur gestattet werden, sondern es wird dies hier sogar vorzüglich notwendig, um die verschiedene psychische Bedeutung, die Art, wie jedes dieser Systeme sich auf eine besondere Weise, bald bewußt, bald unbewußt, im Leben der höher entfalteten Seele geltend macht, zu möglichster Deutlichkeit zu bringen. Allerdings kann von dem ungeheuren Material, das die neueren Studien über Entwicklungsgeschichte des Organismus geliefert haben, gegenwärtig nur ein flüchtiger Überblick gegeben werden; aber gesagt muß es doch dabei sein, daß allerdings auch das kleinste physiologische Faktum nie ganz ohne psychologische Bedeutung sein kann, und daß, je mehr der Psycholog auch in diese Tiefen hinabsteigt, er um so reichere Ausbeute für den Kreis seines Wissens zutage fördern wird. Worauf also zuerst wir unsere Aufmerksamkeit zu wenden haben, ist der Vorgang; wie es geschieht, daß die einzelnen Strahlungen, welche das organisch sich offenbarende göttliche Urbild enthält, in verschiedenen organischen Systemen sich darleben. Zu erinnern ist hierbei zunächst wieder daran, daß alles und jedes Material der Bildung nur dadurch gegeben wird, daß ebendieselbe Urgestalt, dieselbe Monade oder Urzelle, in welcher die Lebensidee des Organismus zu allererst als mikroskopischer Eikeim räumlich gesetzt war, im Verlauf der Entwicklung unermeßliche Male sich wiederholt, so daß also zunächst der werdende Organismus durch und durch erscheint als ein aus dem flüssigen Element hervorgehender Bau unzählbarer Urzellen oder Monaden, deren jede in sich eigenlebendig wieder für sich ihren Lebenszyklus vollendet, entsteht, wieder vergeht und von neuen Monaden ersetzt wird: Gebilde, welche je näher dem Urbeginn allgemeiner Bildung, um so mehr untereinander vollkommen gleich sind; je weiter davon, um so mehr und mehr individuell besonders modifiziert und zu größeren Gebilden so verschmolzen werden, daß ihre Individualität in diesen gänzlich untergeht. Immer stärkeres entschiedeneres Ausprägen der Individualität ist ja überhaupt das Wesen und das Ziel aller Offenbarung einer Idee. Indem sonach gewisse Reihen dieser Monaden die eine, andere aber eine andere Strahlung der Idee darstellen, treten in dem auch räumlich mehr und mehr sich ausdehnenden und mehr und mehr hier und da verschmelzenden Bau dieser Urzellen einzelne Lebenskreise hervor, die wir mit dem Namen organischer Systeme bezeichnen, und in denen nun entweder bloß eine Strahlung unbewußten Seelenlebens dargebildet wird oder die Erscheinung einer künftig als Bewußtsein sich offenbarenden Strahlung des Seelenlebens prometheisch sich vorbereitet.
Ehe wir jedoch alle diese besonderen Entwicklungen näher verfolgen, ist noch auf eine Eigentümlichkeit dieser Vorgänge aufmerksam zu machen, welche für die Art des Schaffens unseres göttlichen Urbildes äußerst bezeichnend genannt werden muß; diese ist: das Wunderbare, das, wie beim Kristall, zuerst blitzähnlich Setzende, Schöpferische, dann stets Wandelnde und fortwährend Vergrößernde aller frühesten Gestaltung unserer und ähnlicher Organismen.
Die Physiologie zählt hier Erscheinungen auf, welche für jeden, der neu zu solchen Dingen hinzutritt, etwas Märchenhaftes haben müssen. Es kann z. B. von der Rapidität solcher Vorgänge einigermaßen einen Begriff geben, wenn ich erwähne, daß unser eigener Körper bei seinem embryonischen Beginn in Zeit eines einzigen Mondumlaufs um mehr als 500mal seiner Länge oder etwa 25 000mal seines Umfanges sich vergrößert, und daß er sogar noch im folgenden zweiten Mondumlaufe mindestens um das 50fache an Masse zunimmt, während dabei zugleich im Innern, immer Zelle an Zelle sich reihend, die äußere Gestalt des Leibes wie die Gliederung der einzelnen inneren organischen Systeme fortwährend mit der außerordentlichsten Zweckmäßigkeit und Zartheit hergestellt wird. Die mikroskopische Beobachtung sich entwickelnder tierischer Organismen hat hier namentlich die Wissenschaft erleuchtet und überall naturgemäße Vorstellungen über die verhältnismäßig wahrhaft ungeheure Schnelligkeit solcher Bildungsgeschichten verbreitet; und wenn wir dergleichen nun im höhern Sinne bedenken, so muß es uns vollkommen deutlich werden, welche außerordentliche Gewalt auch in dieser Beziehung ein ganz und gar unbewußt sich darlebendes Göttliches in solchen Vorgängen zu äußern vermag.
Schon diese dem göttlichen seelischen Prinzip eigene Gewalt, dieses absolute Beherrschen und Durchdringen des Stoffes zu einer Zeit, wo das Seelische nur ganz in sich versenkt gleichsam träumend bildet oder, weil es noch nicht in Gedanken denkt, in Formen denken muß, bringt uns, wenn wir ihr nun recht mit Bewußtsein nachgehen, einen großen Schritt näher zur Selbsterkenntnis und zum Verstehen unserer Seele. Merkwürdig ist es freilich, dagegen auch gewahr zu werden, daß diese Schnelligkeit des Sichdarlebens der Idee entschieden abnimmt, je mehr das eigentliche Ziel dieses Lebens bereits für erreicht zu halten ist. Schon das obige Beispiel zeigt, wie bald die Rapidität des Entwicklungsprozesses nachläßt; aber wenn wir weiter der Geschichte des Lebens nachgehen, so finden wir noch vor dem ersten Viertel der Lebenszeit Aufhören allgemeinen Wachstums und in späteren Zeiträumen mehr und mehr Erstarrung, Rückbildung und Verkümmerung; Vorgänge, die dann ebenfalls nicht ermangeln, in den Zuständen des bewußten Seelenlebens eine entschiedene Widerspiegelung wahrnehmen zu lassen und welche beweisen, daß dem Unendlichen, der Idee, gegenüber jede endliche Offenbarung derselben immer nur ein Unvollkommenes sein kann und über lang oder kurz sich wieder in sich auflösen und verlieren muß.
Verfolgen wir gegenwärtig weiter die Darbildung besonderer Systeme und besonderer Gebilde in diesem organischen Werden, so ist eine Erscheinung noch besonders hervorzuheben, die zwar früher schon im allgemeinen angedeutet wurde, aber wegen ihrer höheren geistigen Bedeutung jetzt noch näher zu bezeichnen ist: wir meinen nämlich das Verschmelzen jener ersten gegebenen Einheiten, der durch immer wiederholtes Setzen der Idee entstandenen Urzellen, zu immer höheren Ganzen. So gewiß es nämlich ist, daß alles im Organismus mit dem Zellenbau anfängt, so gewiß ist es, daß in allen höheren Gebilden, als da sind: Nervenfasern, Muskelfasern, Gefäße und Membranen, diese Urzellen in fortgehender Bildung völlig untereinander verschmelzen, als einzelne untergehen und so das schon im Unbewußten zeigen, was zulegt im Bewußten eine höhere Lebensaufgabe wird, nämlich: das Untergehen des Besonderen im Allgemeinen. Merkwürdig und bedeutungsvoll ist dabei jedoch, daß jene Urformen nicht überall ganz verschwinden, sondern an zweierlei Stellen durchaus als solche verharren, nämlich da, wo ein ganz Niederes, bloß Elementares dargestellt wird: so im umlaufenden Blute als sogenannte Blutkörperchen, so auch in den sich immer erneuenden Zellen der Epithelien usw. einerseits und andererseits da, wo das Elementare als Höchstes, als Urgebilde verharren muß, um in einer gedankenhaften Polarisation durch die Idee stets fähig zu bleiben, d. h. in Nerven und Hirn.
Letztere Bemerkung führt uns nun sogleich zu dem unter allen organischen Systemen der Psychologie vorzüglich merkwürdigen: nämlich dem Nervensystem. Wir gewahren hier nicht nur im Menschen, sondern in der gesamten Reihe aller eigentlichen Tiere, sobald das unbewußte Walten des seelischen Prinzips für den verschiedenen Bedarf leiblicher Existenz mehrfache organische Systeme aus der ersten halbflüssigen Masse jener Urzellen hervorgehen läßt, daß alsdann bei diesem raschen Fortschreiten einer immer weiter hervortretenden Gegensetzung an gewissen Stellen doch die Substanz wirklich fast ganz in derjenigen zartesten halbflüssigen Wesenheit zurückbleibt, wie sie zuerst die Anlage für das Allgemeine des Organismus noch überall wahrnehmen ließ. Hier ist es dann, wo eine Masse sich anhäuft, welche, eben weil sie nicht in andere disparate Gebilde auseinanderweicht, weil sie nicht organisch wirklich zu anderem polarisiert wird, die Fähigkeit behält, immerfort durch die feinste geistigste Strahlung der Idee, d. i. schon durch das unbewußte Gefühl wie durch den bewußten Gedanken in ihrer Spannung geändert, polarisiert zu werden. Faßt man diese Bedeutung einer solchen Bildung recht gegenständlich auf, so wird man die ungeheure Wichtigkeit derselben und wie alle höhere seelische Entwicklung im Leben nur auf dieser Angel ruht, auf das vollkommenste begreifen müssen, und eben aus diesem Grunde versucht jeder ganz vergeblich die Art und Weise, wie eine Seele von höherer Energie sich leiblich darleben könne, sich zum vollen Verständnis zu bringen, wenn er nicht von diesen Bildungsvorgängen zuvor die genügende Einsicht erlangt hat. Nur das in sich noch höchst Indifferente, nur das zarteste, halbflüssige elementare Material des Organismus ist es nämlich, welches geeignet sein kann, von den feinsten inneren Strömungen, Regungen, Differenzierungen, die das Sicheinleben der Idee in die Erscheinung hervorruft, durch und durch bestimmt und durchdrungen zu werden. Nun sind aber die Offenbarungen des Göttlichen in den unendlich mannigfaltigen Erscheinungen der Welt in dieser Beziehung höchst verschiedenartig. Eine gewisse Reihenfolge mit zwei Endpunkten ist hier unverkennbar. Palpabelster massigster Stoff mit geringstem Ausdruck der Idee liegt an einem Pole der Welterscheinung; feinster, am meisten ätherischer Stoff mit möglichst gewaltigem Ausdruck der Idee am andern. Fels auf einer, höchstes Nervengebilde auf der andern Seite. Wie daher, je mehr eine so zarte halbflüssige Masse noch in der Anlage des ganzen Organismus sich zeigt, um so reißender die Schnelligkeit ist, mit der sich eine mannigfaltige organische Bildung darin verwirklicht, so kann auch eine Bildung, in welcher späterhin ohne weitere organische Umänderung jede leiseste Umstimmung des innern göttlichen Prinzips in nur veränderten Strömungs- und Spannungsverhältnissen innerer Energie sich darleben soll, nur eine solche sein, welche jene halbflüssige Elementarzellsubstanz während des ganzen Lebens vollkommen erhält und darstellt. Durch diese Erkenntnis also werden wir in den Stand gesetzt, nunmehr – seinem innern Grunde nach – zu begreifen, was in äußerer Beobachtung die Erfahrung längst deutlich herausgestellt hatte, nämlich: daß die höhere oder niedere Dignität des göttlichen Grundgedankens eines Organismus, mit einem Worte die mehr oder minder energische Seele desselben mehr als durch alles andere durch die Art und Anlage seines Nervensystems sich charakterisieren und darin fortwährend sich betätigen müsse. Ob ein höherer Grad von Zentralisation im Nervensystem sich darstelle, ob ein Teil desselben – das Hirn – an Masse und verfeinerter Bildung überwiege über dessen durch den Organismus verbreitete Strahlen, ob diese Strahlen – die Nerven – feiner und zahlreicher oder gröber und seltener gezogen sind, das muß sonach durchaus bezeichnend und wichtig sein für das Herbeiführen einer Möglichkeit davon, daß im Leben der Seele diejenige Zentralisation hervortrete, auf welcher hinwiederum allein, wie sich später ergeben wird, die Möglichkeit des Bewußtseins ruht.
Eben weil nun im Nervensystem das Ursprünglichste, das Reinste, gleichsam der Organismus im Organismus gegeben ist, so kann es auch nur zurückgezogen in das Innerste sich darstellen, so daß es hinfort unmöglich mit dem, was außerhalb des Organismus ist, in unmittelbarer Wechselwirkung bestehen kann. Aus diesem Grunde müssen also einesteils Zwischenglieder sich bilden, es müssen Bildungen entstehen, welche die Bedeutung der Vermittlung haben, Wirkung übertragen von außen auf den Nerven – hierzu sind die Sinnesorgane bestimmt – (denn was unmittelbar, wie bei Verlegungen, den Nerven berührt, erzeugt nur einen leidenden Zustand desselben – den Schmerz) oder Gebilde, welche Wirkung übertragen vom Nerven auf das Äußere, und hierzu dienen insbesondere die Organe der Bewegung: die Muskulatur. Andernteils werden aber auch Gebilde entstehen, welche jene Zurückgezogenheit des Nerven vervollständigen, eine vollkommnere Isolation desselben und namentlich seiner Zentralmassen darstellen; und hierzu ist das Skeleton und namentlich das Nervenskelett bestimmt.
Schon hierdurch entsteht uns somit der Begriff einer zum Sichdarleben der Seele notwendig geforderten größern Mannigfaltigkeit organischer Systeme. Weil jedoch eine solche Mannigfaltigkeit nur in der Zeit sich allmählich darleben kann und ein steter Austausch der Stoffe mit der Außenwelt ihr für das materielle Sein ebenso unentbehrlich ist, wie die Wechselwirkung mit der Außenwelt an Empfindungen und Reaktionen der Idee es für das geistige Sein ist, so müssen für jenen Austausch noch besondere Systeme sich entwickeln, ja gerade diese werden notwendig zuerst bestimmtere Form gewinnen. Die Teilung auch dieser dem materiellen Austausch bestimmten Systeme, welchen jedoch, als ebenso aus dem unbewußten Walten der Idee hervorgegangen, niemals die psychische Signatur fehlen kann, wird bestimmt: einesteils durch Notwendigkeit der Stoffaufnahme, andernteils durch Notwendigkeit der Stoffaussonderung und drittens durch Notwendigkeit der innern Stoffverarbeitung. – Verdauungssystem, Atmungs- und Absonderungssystem und Gefäßsystem gehen auf diese Weise in der Mannigfaltigkeit des organischen Zellenbaues alsbald mit Bestimmtheit hervor. Da aber auch die Erscheinung des individuellen Organismus an und für sich eine vorübergehende zu sein bestimmt ist und der Idee desselben nur durch unermeßliche Wiederholungen von Generation zu Generation in der Idee der Gattung ein bleibenderes Dasein verliehen wird, so muß dem Organismus, wie er selbst aus einem vorhergegangenen hervorwuchs, auch die Möglichkeit einer neuen Generation einwohnen, wodurch denn abermals ein besonderes System, nämlich das der Fortbildung der Gattung, begründet und in ihm auf höherer Bildungsstufe zugleich das Mittel möglichst innigen Vereinlebens und Wechselwirkens zweier im Gegensatz des Geschlechts entwickelter Seelen gegeben wird. Durch dieses alles ist sonach nun mit einem Male die Notwendigkeit einer großen Mannigfaltigkeit der organischen Bildung aufgedeckt, unter welcher jedoch immer nur eines der Mittelpunkt, eines der höchste Zweck aller anderen und eines nur sein wird, welches rein seelisch, welches die reinste Form des Sichdarlebens eines Göttlichen genannt werden kann – das Nervensystem. Es ist außerordentlich wichtig für alles Verständnis des Seelenlebens, diese Verhältnisse recht scharf zu fassen. Wie Gott durch die gesamte Welterscheinung sich offenbart, aber nach unserer Erkenntnis am reinsten in edeln menschlichen Naturen, so wieder die Seele, der göttliche Grundgedanke des Menschen, sie offenbart sich, lebt sich dar zwar in der vollen Gesamtheit des menschlichen Organismus, aber am unmittelbarsten im Nervensystem desselben. Diese Verhältnisse muß man lange anschauen, in tiefem inneren Sinnen in sich selbst zu erfassen bestrebt sein, und erst dann kann man sie wohl zur deutlichem Erkenntnis bringen. Zuhöchst ist freilich überhaupt unerläßlich, daß man über das Verhältnis von dem Ideellen, das eine Erscheinung ursachlich bedingt, und dem Materiellen, woran das Ideelle zur Erscheinung kommen kann, zur reinen und klaren Überzeugung gekommen sei. In meinem System der Physiologie habe ich darauf hingewiesen, wie hier es sei, wo die Physik des Organismus in die Metaphysik übergeht, dieweil hier eine Trennung gedacht werden muß, welche außerhalb und über der Wirklichkeit liegt. Die Wirklichkeit – wir selbst, die Welt – alles hat nur ein Dasein, indem es zugleich und in untrennbarer Vereinigung Idee und Substanz ist. Nichtsdestoweniger vermögen wir in unserem eigenen ideellen Sein, in unserem Geiste zu unterscheiden, indem wir uns über die Natur stellen ( metaphysisch verfahren), zwischen diesen beiden an sich Untrennbaren, und wir nennen uns das Eine Idee – das Bild des Seins vor allem Dasein – den Gottesgedanken – das Urbild – als solches das ewig sich selbst Gleiche, Zeit- und Raumlose, nur auf göttliche, nicht auf räumliche Weise Bewegte; das Andere: Substanz, oder besser (von αετθεω, »in ewiger Bewegung sein«) Äther – das, woran die Idee zur Erscheinung kommt, das ewig Bewegliche und ewig wirklich Bewegte, das Zeit und Raum durch diese Bewegung Bedingende, und so halten wir dann wohl einigermaßen in Gedanken auseinander, was in Wahrheit und Wesenheit ewig verbunden und untrennbar ist.Diesen ursprünglichsten aller Gegensätze, diesen Gegensatz von Idee und ätherischer Substanz oder Äther, wie ich ihn nenne, hat auch die ursprünglichste aller Philosophien – die indische – bereits bestimmtest anerkannt, und es ist wichtig, daran zu erinnern, nicht als an eine Autorität – denn vernünftige Erkenntnis kann Autorität nicht anerkennen –, wohl aber, um zu zeigen, daß so frühe schon ein ungetrübtes Sinnen über das höchste Rätsel der Welt zu einem Resultat führen mußte, wie es auch unserer Zeit bei reifster Überlegung nicht anders sich darbieten kann. Schon bei den Hindus also wird unterschieden: 1. die ewige Materie, die Natura naturans, der Äther – als Prakriti oder Mulaprakriti, und 2. die Naturvernunft, die den Äther bestimmende, bedingende Idee – als Buddhi, auch wohl als Weltseele Purusha. Ja schon dort hebt sich aus diesen beiden als ein Drittes die Unterscheidung des Ich, das Selbstbewußtsein (Ahankara) hervor.
Hierbei ist jedoch insbesondere zu erinnern, daß diese Untrennbarkeit von Idee und ätherischer Substanz keineswegs so zu denken ist, als ob ein und ebendasselbe Element immer und ewig oder auch nur für längere Zeit einer und ebenderselben Idee verbunden oder immer von ein und derselben Idee bestimmt sei; im Gegenteil liegt es notwendig im Begriffe der ewig beweglichen und ewig wirklich bewegten ätherischen Substanz, daß ein stetes Fliehen und Ziehen hier stattfinden, dieselbe Idee in immer neuem Äther sich darleben müsse, also daß immerfort jegliche Idee durch stets andere Metamorphosen des Äthers, durch andere und immer neue Substanzen sich darlebe. So also stellt sich uns dar ein ewiges Ziehen und Fliehen der Elemente, bald langsamer, bald schneller, bald unmerklich, bald massenweise, aber nie Stillstand, nie absolutes Beharren, nie eine durchaus bleibende Vereinigung derselben Potenzen und mit einem Worte hierin der Grund der ewigen Verwandlung der Welt.
Gehen wir jedoch zunächst weiter in der durch ein Unbewußtes geleiteten und bestimmten Entwicklung der innern Gegensetzung und Gliederung des Organismus, so ist auch darauf besonders zu achten, wie in den verschiedenen organischen Systemen, deren Notwendigkeit überhaupt wir oben dargelegt haben, zugleich gewisse eigentümliche Richtungen des Seelenlebens zur ganz besonderen Erscheinung kommen müssen. Wir fanden nämlich, daß rein als Selbstzweck des Seelenlebens allerdings nur das Nervensystem angesehen werden konnte, während alle anderen Systeme sich durchaus auf die Verhältnisse des Individuums zur Außenwelt beziehen. Nur das Nervensystem ist also rein seelisch, ist in sich ein indifferentes, ruhendes, ein nur eigentümliche und geheimnisvolle, den magnetischen und galvanischen ähnliche Strömungen zeigendes Ganzes. Aber auch die übrigen Systeme mit ihren Gebilden, wie sie alle aus einer ursprünglichen, dem Halbflüssigen des Nervensystems wesentlich gleichen allgemeinen Substanz sich hervorbildeten, entstehen durch jenes unbewußte Walten der Idee und ihr Sicheinleben im organischen Stoff, und auch sie sind insofern seelisch, haben ein besonderes, nur zuerst unbewußtes Seelenleben und können mittels des bewußten Lebens im Nervensystem späterhin ebenfalls, wenigstens zum Teil, mit zum Bewußtsein gebracht werden. Es ist gleich hier wichtig, diesen verschiedenen Strahlungen der seelischen Existenz etwas näher im einzelnen nachzugehen, damit klar werde, wie hierdurch gewisse, ich möchte sagen besondere Seelen oder Seelenkreise in der Seele begründet werden, auf deren richtiger Erkenntnis hauptsächlich das beruht, was man gewöhnlich und, wie bereits oben gezeigt worden ist, mit Unrecht die Lehre von Wechselwirkung zwischen Leib und Seele genannt hat.
Jene besonderen Provinzen also, in welche der Organismus sich gliederte, waren obigem zufolge – nächst denen dem Nervensystem am meisten verwandten der Sinnen- und Bewegungsgebilde und des Skeleton – die der Ernährung, und zwar teils die der Stoffaufnahme und der Stoffverbreitung, teils die der Stoffzersetzung und Ausstoßung. Die letzteren unterscheiden sich teils in solche, welche Äußeres ertöten und zur Ernährung verwenden, wie die Gallenabsonderung und ähnliche, teils in solche, welche durch ihr Absondern Inneres befreien und beleben, wie die Atmung. Endlich aber wird die Fortbildung der Gattung die Aufgabe eines eigentümlichen organischen Systems. – So gewiß nun jede dieser Provinzen, jedes dieser Systeme entsteht durch ein besonderes unbewußtes Walten der Seele, so gewiß muß für jede derselben ein besonderes Dominium in den eigentümlich innerlichen Regungen der Seele vorhanden sein und bleiben und wird dadurch dem Bewußtsein, wenn dieses sich entwickelt hat, von hier aus eine eigentümliche Färbung mitteilen können. Auf diese Weise also werden entstehen jene eigentümlich empfundenen Stimmungen des bewußten Seelenlebens ( Gefühle), welche von organischen Vorgängen, die selbst wieder nur durch gewisse unbewußte seelische Richtungen bedingt waren, auf das Bewußtsein reflektiert erscheinen. Man kann diese Stimmungen als besondere Kreise betrachten, in denen ein und dasselbe Gefühl bald erhöht, bald vermindert, bald nach einer Plus-, bald nach einer Minusseite sich offenbart. Nur vorläufig wollen wir die wichtigsten Vorgänge dieser Art andeuten; späterhin wird sich zu ausführlicher Betrachtung derselben Gelegenheit finden. So liegt also z. B., was die Sphäre der Ernährung betrifft, in ihrer psychischen Seite vornehmlich jenes Gefühl, das sich in der Plusseite auf lebensfrische Behauptung der Existenz oder in der Minusseite auf Verkümmerung und Elend derselben gründet, als womit denn selbst im bewußten Seelenleben späterhin eine große Mannigfaltigkeit von Zuständen anhebt. Fülle eines kräftigen Blutlebens und gesunde starke Tätigkeit des Herzens im Organischen ist begleitet von einer, oder ist vielmehr selbst eine unbewußte Stimmung der Seele, welche bei Entwicklung des Bewußtseins als Mut und Lebensfrische empfunden wird. Umgekehrt wird gesunkenes Blutleben, größerer Blutverlust, Schwäche der Herzbewegung und Schlaffheit seiner Textur wiedergespiegelt im Psychischen unter der Form von Niedergeschlagenheit, Furcht, Gefühl allgemeiner Kraftlosigkeit und Unfähigkeit. Leicht ist es dabei auch gewahr zu werden, daß es ganz gleich ist, von welcher Seite her, ob rein vom Organischen oder rein vom Psychischen her, diese Umstimmungen angeregt werden. Fortgesetzter durch Verhältnisse erregter Zustand von Furcht und Kleinmut ruft die erwähnten kranken Zustände des Blutlebens hervor und umgekehrt, und alles zeigt an, wie sehr wir Ursache haben, immer und immerfort beides nur als eins zu betrachten. – Ebenso ist es mit der Sphäre der Stoffaufnahme. Das Leben im Verdauungssysteme, durch das eine neue Fülle von Elementarsubstanz in den Organismus gebracht wird, ist im Psychischen ausgedrückt durch die Behaglichkeit oder die Qual des eigentlichen Gefühls von einem irgendwie wirklich gewordenen Dasein: Zustände, welche sich als Angenehmes, im Gefühl der Sättigung und im Wohlgeschmack von dem, was diesen Zustand herbeiführt, oder als Unangenehmes, durch Gefühl des Darbens, des Hungers, des Durstes und im widrigen Eindruck derjenigen Elemente, welche der Ernährung nicht vollkommen gemäß sind, offenbaren und so auch in die höchste bewußte Sphäre sich fortpflanzen. Letzteres indes immer nur, insofern ein Nervensystem mitwirkt; denn das, was eigentlich durstet und hungert oder im Sättigungszustand lebt, ist keineswegs das Nervensystem selbst, d. h. die zum Bewußtsein sich vorbereitende Seele, sondern es sind Modifikationen des ganz Unbewußten und hier also des Verdauungssystems, d. h. Modifikationen desjenigen Lebensgebildes und der Verwirklichung des unbewußten Seelenkreises, welcher den Organismus mit neuen Stoffen zu versorgen und zu durchdringen bestimmt ist. Auch die Pflanze kann dursten oder gesättigt sein, aber sie hat nicht das Vermögen, dies dunkle Erfühlen zu irgendeiner Art wahrer Empfindung zu steigern, und kommt darum weder zum Gefühl des Angenehmen der Sättigung noch zum Gefühl des Unangenehmen des Durstes.
Man nimmt nun bei Betrachtungen dieser Art sogleich wahr, daß es der Sprache eigentlich an einem Worte fehlt, diese Art Regungen des unbewußten Seelenlebens als solche treffend zu bezeichnen. Wir müssen die sonderbarsten Umschreibungen machen, wenn wir uns einigermaßen darauf besinnen wollen, was wir hierbei eigentlich meinen. Es ist auch sehr natürlich, daß dergleichen Bezeichnungen erst spät in der Sprache gefunden oder vielmehr gebildet werden. Ich habe nämlich schon oben darauf aufmerksam gemacht, daß die Erkenntnis des Unbewußten im Bewußtsein überall das Letzte und Höchste der Wissenschaft ebenso sei, wie hinsichtlich des Könnens die höchste Kunst nur da entsteht, wenn das Können wieder unbewußt wird. Eben also, weil nur erst bei den feinsten und tiefsten Untersuchungen dieses Eindringen des Bewußten ins Reich des unbewußten Daseins zur Aufgabe wird, so tritt auch das Bedürfnis zu Wortbildungen dieser Art erst spät in der Sprache hervor. Ich habe in meinem System der Physiologie im Eingange der Lehre vom Nervenleben zuerst ausführlicher hierauf aufmerksam gemacht und dort vorgeschlagen (nachdem ich gezeigt hatte, wie bereits Baco ein Bedürfnis dieser Sprachformen gefühlt hatte), das Wort: »Erfühlung« – perceptio – zu brauchen und so das unbewußte Empfinden der noch bloß im organischen Bilden sich darlebenden Seele sprachlich zu bezeichnen. Hat man sonach dieser Bezeichnung in physiologischen und psychologischen Dingen einmal das Bürgerrecht erteilt, so wird man sich sogleich in allen Betrachtungen wahrhaft gefördert finden. Die Erfühlung der Seele im Leben des Blutgefäßsystems oder des Verdauungssystems ist also das, was alle die Stimmungen eigentlich allein bedingt, deren Reflex im bewußten Leben wir als Mut oder Kleinmut, als Sättigungsgefühl und Gefühl des Darbens usw. eben aufgeführt haben; denn obwohl wir im bewußten Geist entschieden diese Empfindungen selbst durch das Nervensystem erhalten, so kann doch begreiflicherweise deren Ursache nicht in ihm gesucht werden, und wieder kann diese Ursache nichts anderes sein als jenes nun aufgenommene bewußtlose Gefühl von dem Zustand, in welchem diese anderen nicht nervösen Systeme sich befinden. Die Empfindung, das bewußte Gefühl, ist allemal nur im Leben des eigentlich allein rein seelischen Systemes, d. i. im Nervenleben möglich, aber das Nervensystem lebt eben nicht bloß in sich selbst, sondern ist auch der Zentralpunkt für alle die übrigen Systeme, durch die es mit der Außenwelt in Wechselwirkung tritt; es kann deshalb die Zustände dieser vermittelnden Systeme in sich aufnehmen, leitet dadurch auch die Erfühlungen des einen auf das andere System über und ist daher auch allein imstande, deren Erfühlungen zu Empfindungen zu steigern.
Erfühlung also hat die Pflanze, Erfühlung hat jede Urzelle, jedes nicht nervöse Gebilde im Tier wie im Menschen, ja selbst die Empfänglichkeit des Nerven, solange noch keine vollkommene Zentrizität des Nervenlebens entwickelt oder wenn sie wieder aufgehoben ist, kann nichts anders als Erfühlung sein; so z. B. ist vom Embryo nicht zu sagen: er empfinde, und ebensowenig vom Neugebornen, sobald wie bei hirnlosen Mißgeburten die Zentralstelle des Nervensystems gar nicht ausgebildet worden war; es ist vielmehr in beiden Fällen hier nur ein unbewußtes Reizaufnehmen und Fortleiten – ein Erfühlen – eine perceptio, aber keine sensatio vorhanden. Ich will hiermit zugleich bemerken, daß ebenso, wie es bisher an einer bestimmten Bezeichnung für diese unbewußten Selbstgefühle fehlte, wir auch für das, was ich oben die bewußtlose Erinnerung des Organismus von seiner Vergangenheit und die ebenso bewußtlose Voraussicht seiner Zukunft nannte, kein bestimmtes Wort besitzen und ein solches um so mehr uns zu bilden suchen müssen, damit späterhin es leichter werde darzulegen, wie im bewußten Dasein aus diesen Vermögen so vieles andere sich entwickelt und aus dem Bewußtlosen allmählich sich weiter als Bewußtes hervorbildet. Es ist nun ganz interessant wahrzunehmen, daß von diesen prometheischen und epimetheischen Gefühlen, deren Wesentlichkeit für den ganzen Bildungsprozeß eines Organismus ich oben bereits erörtert habe, auch allein für das erstere, weil es überhaupt im Menschen nie vollständig zum Bewußtsein kommt, sondern stets in seiner eigentümlichen Dunkelheit besteht, sich eine einigermaßen bestimmte Bezeichnung, nämlich das Wort »Ahnung«, »Vorahnen« allerdings längst vorgefunden hat (obwohl auch dies immer noch ein gewisses Bewußtsein vom Künftigen bezeichnet), dahingegen das letztere, das wir deutlicher in seiner bewußten Form (der Erinnerung) kennen, das aber in seiner bewußtlosen Form früher nie beachtet worden ist, einer besonderen Benennung ganz entbehrt. Soll daher auch hier eine eigene Wortbildung eintreten, so würde die Sprachform »Innerung« für das bewußtlose Erfühlen des Vergangenen, sowie »Ahnung« für das bewußtlose Vorerfühlen des Kommenden gewiß die zweckmäßigste sein, und ich bemerke daher hier ein für allemal, daß Erfühlung, Innerung, Ahnung in diesem Maße und zum Unterschiede von Empfindung, Erinnerung und Voraussehung oder Vorahnen, in gegenwärtigen Betrachtungen immer, wo es die Gelegenheit ergibt, so gebraucht werden sollen.
Weitergehend in der Erwägung der Gliederung des Organismus in seine besonderen Systeme und deren besondere Erfühlungen stellt sich uns jetzt das System der Atmung und Absonderung als das zunächstliegende dar. Beide sind der Ernährung gewissermaßen entgegengesetzt; das erstere hat die Bedeutung, das Innere mit frischem Lebensäther zu durchdringen, damit es immerfort wieder mit Lust im Allgemeinen sich verflüchtige; im andern herrscht ein tropfbares Verfließen des Innern selbst vor, und zwar oft mit der Bedeutung, Äußeres zu ertöten, damit es alsdann zur Ernährung des Ertötenden diene. So auch stellt deshalb die psychisch erfühlende Seite bei diesen beiden ganz verschieden sich dar. Jenes dunkle Gefühl, das, wenn es zum Bewußtsein sich drängt, als Mut, Tatkraft, Freudigkeit, Leichtigkeit der Bewegung empfunden wird, geht ebenso von dem Atmungssystem aus, solange es in freier reiner Tätigkeit besteht, als sein Gegensatz, die Furcht, die Zaghaftigkeit, die Angst dann erscheint, wenn der Atem beklommen, beengt ist. Ohne Atmung würden uns die Erfühlungen, welche der Grund jener benannten Gefühle sind, gänzlich fremd bleiben, und je mehr ein Geschöpf von Atmung durchdrungen ist, desto mehr wird es von diesen Erfühlungen beherrscht. Beispiele des letzteren geben Insekten und Vögel, von deren nur durch starke Atmung möglich werdender Flatterhaftigkeit wir sogar eine Eigentümlichkeit manches menschlichen Gefühls benannt haben. Was hinwiederum die Absonderung betrifft, so sind die ein Äußeres ertötenden, es dem Organismus aneignenden, hier die bedeutungsvollsten. Wie diese Vorgänge selbst weit verborgener und der Willkür entzogener sind als die Atmung, so bleiben auch ihre Erfühlungen ferner vom Bewußtsein als die der letzteren; indes gehen auch von hier aus eine Menge unbewußter Erfühlungen ins Bewußtsein über und nehmen dort eine ertötende hassende Färbung an. Der Ausdruck einer bittern Stimmung ist für die Begehung auf die eigentümlichen Erfühlungen des aufgeregten Lebersystems ebenso charakteristisch als jener Ausdruck der Flatterhaftigkeit für die Sphäre der lebhaftesten Atmung. Dergleichen Betrachtung des Gleichnamigen in diesen Zuständen ist recht geeignet, das Hervorbilden des Bewußten aus dem Unbewußten, wovon späterhin noch weit ausführlicher die Rede sein muß, deutlicher zu machen und namentlich auch immer deutlicher einsehen zu lehren, was es mit dem zu bedeuten habe, das man insgemein als Einfluß des Leibes auf die Seele und der Seele auf den Leib bezeichnet; denn man erkennt hieran, daß damit gewöhnlich nur ausgedrückt werden soll der Einfluß eines organischen Systems auf das andere und namentlich die Einwirkung dunkler Erfühlungen auf das bewußte Gefühl und auf die erkennende Seele und umgekehrt. Wird daher z. B. durch Blutverlust das Leben des Herzens und der Gefäße und sekundär auch das Leben der Lungen herabgestimmt, so ist damit zugleich die Minusseite in den eigentümlichen Erfühlungen dieser Systeme gesetzt, und indem dieses nicht umhin kann, in der Grundidee des Organismus, von der ja diese einzelnen nur Teilideen sind, eine Umstimmung hervorzubringen, verbreitet sich auch über die Region des bewußten Denkens, Fühlens und Wollens eine entschieden andere Stimmung: eine Stimmung der Niedergeschlagenheit, des Kleinmutes und der Schwäche, die bis zur Ohnmacht (dem Entschwinden des Bewußtseins) gehen kann. In dergleichen tritt also keineswegs hervor eine besondere Herrschaft des Leibes als eines irgendwie Selbständigen der Seele gegenüber, denn davon kann um so weniger die Rede sein, je mehr eingesehen wird, daß der Leib nur die Erscheinung der Seele selbst ist, sondern vielmehr eine gewisse Einwirkung des Blut- und Atmungslebens auf das mehr rein seelische Nervenleben.
Endlich gibt zu Betrachtungen dieser Art ganz besonders Veranlassung die Sphäre des Geschlechtslebens, des Lebens für die Fortbildung der Gattung. In diesem später als die übrigen sich entwickelnden Systeme soll der Gegensatz des individuellen Lebens zum Leben der Gattung auf das entschiedenste hervorgehoben werden; in ihm sondert sich das gesamte neue Geschöpf von dem alten ab, in ihm ruht daher alle Lust eines neu sich erschließenden Lebens und aller Schmerz eines untergehenden. Zugleich bildet es mehr als die übrigen Systeme, denen es nicht als einzelnes zu einzelnem entgegengesetzt ist, sondern denen es, inwiefern das Ganze reproduzierend, als einzelnes einer Totalität gegenübersteht, auch eine größere Abgeschlossenheit in sich, und seine Erfühlungen können deshalb in der eigentümlichsten Weise den gesamten Organismus beherrschen. In der Tierwelt sehen wir deshalb die ganze individuelle Existenz häufigst nur von diesem System abhängen. Das Tier gelangt zur Geschlechtseinigung, und in vielen Fällen ist somit der Kreislauf seines Lebens abgeschlossen. In der menschlichen Seele liegt eben darum in dieser Region die Möglichkeit höchster Steigerung inneren Wohlgefühls, innerer Lust – wofür die Sprache ein eigenes Wort gibt: »Wollust« –, welche nichts anderes ist als Mitteilung lebendigster höchster Erfühlung der unbewußten Sphäre des Geschlechtssystems an die höchste bewußte Sphäre der Nerven; ja in der bewußten Seele wird von hier aus, immer mehr sich erhebend und vergeistigend, die Möglichkeit der mächtigsten aller Leidenschaften und gerade der, welche höchstes Glück und höchsten Schmerz einschließt, gegeben, d.i. der Liebe.
Überblicken wir jetzt, nachdem nur kurz die Geschichte der Begrenzung verschiedener organischer Provinzen und der verschiedenen Erfühlung einer unbewußten Psyche gegeben worden ist, die Mannigfaltigkeit dieser Tatsachen im ganzen, so ergeben sich für die Lehre vom Leben der Seele folgende wichtige Sätze:
1. Das unbewußte Walten der Idee bestimmt eine Gliederung der leiblichen Bildung in verschiedene Systeme, in deren jedem ein besonderer Strahl des ideellen seelischen Daseins sich verwirklicht.
2. Das eigentlich rein seelische System, aus dessen Erfühlungen bei einer höheren Konzentration das Bewußtsein sich allein entwickeln kann, ist das Nervensystem.
3. In jedem andern organischen Systeme ist die Seele an und für sich nur eines besondern Kreises von bewußtlosen Erfühlungen fähig, welche nur dadurch dem Bewußtsein mitgeteilt werden können, daß Zweige des rein seelischen Systems sich mit in sie einflechten, ihre Erfühlungen aufnehmen und somit sie dem Nervenzentrum zueignen.
4. In der Erkenntnis der ursprünglichen Mannigfaltigkeit dieser Systeme und ihrer besonderen Erfühlungen ist sonach der erste Anhalt gegeben, um von der ursprünglich einem jeden höheren Seelenleben einwohnenden innern Mannigfaltigkeit der verschiedenen Seelenkreise eine sachgemäße Anschauung zu erhalten. Lange ehe wir einer Mehrheit von Vorstellungen und Gefühlen uns bewußt sind, lebt die Seele bewußtlos als ein Mannigfaltiges sich dar, und nur die deutliche Einsicht in die Verschiedenheit dieser ihrer Lebenskreise, welche erst spät in dem Gewahrwerden des eigenen Ich ihren Mittelpunkt finden, kann uns vom Seelenleben überhaupt eine angemessene Vorstellung gewähren; kurz, wir müssen uns auch hier wieder von der Wahrheit jenes Satzes überzeugen, mit welchem wir alle diese Betrachtungen eröffneten: der Schlüssel zur Erkenntnis des bewußten Seelenlebens liegt in der Region des Unbewußtseins.