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Nancy.

Erstes Kapitel.
Bouillé.

Seit mehreren Monaten ist, nur undeutlich sichtbar, in Metz an der Grenze im Nordosten ein gewisser Bouillé, die letzte Zuflucht des Königtums in allen Nöten und bei allen Fluchtplänen, vor unseren Augen aufgetaucht: nur der Name oder das Schattenbild des tapferen Bouillé; ihn wollen wir jetzt so lange schärfer ins Auge fassen, bis er für uns Körper und Gestalt gewinnt. Der Mann selbst ist wohl eines Blickes wert; seine Stellung, sein Auftreten an jenem Platze und in diesen Tagen wird über vieles Licht verbreiten.

Bouillé befindet sich in derselben schwierigen Lage wie alle französischen Offiziere, die höhere Kommandostellen innehaben, nur tritt sie bei ihm noch schärfer und nachdrücklicher zu Tage. Der große Nationalbund war, wie wir bereits ahnten, nur leerer Schall, ja noch schlimmeres: ein letztes, lautestes und allgemeines Hip-Hip-Hurra bei vollen Bechern in dem nationalen Lapithenfest des Konstitutionsbaues; es war gerade so, als ob man die handgreifliche Wirklichkeit laut ableugnen und das Unvermeidliche, das schon laut an die Thür pochte, überhören oder durch lautes Hurrarufen überschreien wollte. Dieser neue Nationalbecher kann aber nur die Trunkenheit vermehren, und je lauter man dabei Brüderschaft schwört, desto schneller und sicherer wird der Freudenrausch zum Kannibalismus führen. Ach, welch eine Welt voll unversöhnlicher Zwietracht, für den Augenblick nur beschwichtigt, gleichsam niedergedämpft, lauert in der Tiefe unter all dem Schein und Lärm der Verbrüderung! Kaum sind die ehrenwerten Militärföderierten in ihre Garnisonen heimgekehrt, und jener Entzündlichste von allen, den Alkohol und Liebenswürdigkeit ausgebrannt und dem Tode nahe gebracht hatten, ist noch nicht tot; kaum ist der Festglanz den Augen der Menschen entschwunden und flammt noch in aller Erinnerung – da 364 bricht schon die Zwietracht, schwärzer denn je, wieder hervor Ein Blick auf Bouillé wird uns lehren, wie dies kam.

Bouillé kommandiert gegenwärtig die Garnison von Metz und den ganzen weiten Osten und Norden Frankreichs; denn er wurde durch ein jüngst erlassenes Dekret der Regierung mit Zustimmung der Nationalversammlung zu einem der vier Obergenerale ernannt. Rochambeau und Mailly, damals hochangesehene Männer und Marschälle, die für uns weniger Bedeutung haben, sind zwei seiner Kollegen, der zähe alte Schwätzer Luckner, der uns auch weniger interessiert, wird voraussichtlich der dritte werden. Marquis de Bouillé, ein Mann von entschieden loyaler Gesinnung, ist zwar kein Feind gemäßigter Reformen, aber ein entschlossener Gegner aller maßlosen Neuerungen; ein Mann, der schon lange dem Patriotismus verdächtig erscheint, der auch der hohen Nationalversammlung mehr als einmal Unannehmlichkeiten bereitet hat. So wollte er z. B. den Nationaleid nicht leisten, wozu er doch verpflichtet war, und zögerte damit bald unter diesem, bald unter jenem Vorwand so lange, bis Seine Majestät mittels eines Handschreibens ihn ersuchte, ihm dies zu Liebe zu thun. So harrt er dort auf seinem wichtigen und gefahrvollen, wenn auch nicht an Ehren reichen Posten, in schweigender, gespannter Aufmerksamkeit nicht ohne Bedenken und Befürchtungen für die Zukunft aus. Er ist, wie er sagt, der einzige oder beinahe der einzige unter den alten militärischen Notabilitäten, der nicht emigriert ist; aber in düsteren Augenblicken glaubt er, daß auch ihm nichts anderes übrig bleiben werde, als über die Grenze zu gehen. Er könne ja nach Trier oder Koblenz gehen, wo sich eines Tages die im Exil lebenden Prinzen sammeln werden, wo der alte Broglie schmachtend weilt. Oder stehe ihm nicht die große, dunkle Tiefe der europäischen Diplomatie offen, in der eben jetzt Männer wie Calonne oder Bréteuil undeutlich sichtbar zu werden beginnen?

Unter den unendlich verworrenen Aussichten und Plänen, die ihn beschäftigen, tritt nur die eine Absicht klar hervor, es noch einmal zu versuchen, Seiner Majestät einen Dienst zu erweisen; mit dieser Absicht harrt er aus, bemüht sich, so viel er kann, seinen Distrikt loyal, seine Truppen gutgesinnt, seine Garnisonen wohl ausgerüstet zu erhalten. Noch unterhält er mit seinem Vetter Lafayette durch Briefe und Boten eine spärliche diplomatische Korrespondenz, wobei wir auf der einen Seite ritterlich konstitutionellen Beteuerungen, auf der 365 anderen militärischer Würde und Kürze begegnen; eine Korrespondenz, die sichtlich immer spärlicher und inhaltsloser wird, bis sie schließlich an der Grenze völliger Inhaltsleere anlangt. Bouillé, Mémoires (London 1797), I, c. 8. Er, der rasche Brausekopf mit seinem durchdringenden Scharfblick, mit seiner Halsstarrigkeit und Ausdauer, mit seiner unterdrückten, zu plötzlichen Ausbrüchen neigenden Entschlossenheit, mit seiner Tapferkeit, ja tollkühnen Waghalsigkeit, war viel eher auf seinem Platze, als er wie ein Löwe die Windward-Inseln verteidigte oder mit militärischem Tigersprunge den Engländern Nevis und Montserrat entriß, als hier in dieser gedrückten Lage, in der ihn die Diplomatie knebelt und mit ihren Fäden umspinnt, während er nach einem Bürgerkrieg ausschaut, der vielleicht gar nicht kommen wird. Vor wenigen Jahren hätte Bouillé eine französische ostindische Expedition leiten und Pondichery und die Reiche der Sonne erobern oder wiedererobern sollen; aber die ganze Welt ist plötzlich verändert und Bouillé mit ihr; so und nicht anders wollte es das Schicksal.

 


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