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Ihr wißt ja vielleicht, Kinder, daß auf jeder Polizeiwache oder Polizeistation einige von den Herren Schutzmännern die ganze Nacht wachbleiben für den Fall, daß sich etwas ereignen sollte, zum Beispiel, wenn Räuber irgendwo einbrechen oder böse Leute jemandem Schaden zufügen wollen. Deshalb bleiben die Herren Schutzmänner oder Schupos also auf der Wache bis in der Früh auf, während andere Polizisten, die man Streifwachen nennt, in den Straßen herumgehen und auf die Räuber, Diebe, Gespenster und andere Ordnungswidrigkeiten aufpassen. Und wenn so einer Streifwache anfangen die Füße weh zu tun, kehrt sie in die Wachstube zurück, worauf wieder ein anderer Schutzmann zum Aufpassen auf die Straße geschickt wird. Das geht so die ganze Nacht; und damit die Zeit besser verstreiche, rauchen die Schupos auf der Wache ihre Pfeifen und erzählen sich, was sie Bemerkenswertes gesehen haben.
Also einmal rauchten sie und unterhielten sich, als ein Schupo von der Streifwache zurückkam, wartet mal, das war doch der Herr Jaeckel, und sagte: »Guten Abend, Jungens! Ich melde, daß mir die Füße weh tun.«
»Na, dann setz dich«, meinte der älteste Herr Schutzmann, »und statt deiner wird der Hartmann auf Wache gehen. Und jetzt, Jaeckel, erzähl uns, was es Neues in deinem Revier gibt und in welchen Fällen du im Namen des Gesetzes eingeschritten bist.«
»Es war nicht viel heute Nacht«, sagte Herr Jaeckel. »In der Weißgerberahle rauften zwei Katzen; so hab ich sie denn im Namen des Gesetzes auseinandergetrieben und ermahnt. Dann fiel in der Hummerei ein junger Spatz, wohnhaft Hausnummer 23, aus dem Nest. Ich alarmierte die Feuerwehr, damit sie mit der Leiter komme und besagten Sperling in sein Nest zurückbefördere. Seine Eltern wurden ermahnt, auf ihn besser achtzugeben. Als ich die Hummerei hinunterging, zog mich etwas am Hosenbein. Ich blicke hinunter – es ist ein Wichtelmännchen. Das bärtige vom Wachtplatz, wißt ihr?«
»Welches?«, fragte der älteste Schutzmann. »Dort wohnen nämlich mehrere: Bartputzer, Nußknacker genannt Großväterlein, Puck, Rumpelstilzchen, Pumpernickel, Runkelmännchen genannt Pfeifenrohr, Hühnerstelzchen und Däumeling.«
»Das mich an der Hose zog«, sagte Herr Jaeckel, »war das Rumpelstilzchen, das in der alten Weide wohnt.«
»Aha«, nickte der älteste Schutzmann, »Jungens, das ist ein sehr braves Wichtelmännchen, dieses Rumpelstilzchen. Wenn jemand am Karlsplatz etwas verliert, sei es einen Ring, einen Ball oder eine Aprikose, so bringt es das Rumpelstilzchen immer als ehrlicher Finder dem Parkwächter. Also weiter.«
»Und dieses Wichtelmännchen, das Rumpelstilzchen«, fuhr der Schutzmann Jaeckel fort, »sagt zu mir: ›Herr Schutzmann, ich kann nicht nach Hause, in meine Wohnung auf dem Weidenbaum ist ein Eichhörnchen gekrochen und läßt mich nicht hinein.‹ – So zog ich denn meinen Säbel, ging mit dem Rumpelstilzchen zu seiner Weide und forderte das Eichhörnchen im Namen des Gesetzes auf, die Behausung zu verlassen und sich nicht mehr solche Verbrechen, Vergehen und Übertretungen, wie Hausfriedensbruch, Besitzstörung, Störung der öffentlichen Ordnung, Gewaltanwendung und Diebstahl zuschulden kommen zu lassen. Worauf das Eichhörnchen erwiderte: ›Du kannst mir den Buckel runterrutschen!‹ Da legte ich den Gürtel und den Rock ab und kroch auf die Weide hinauf. Als ich oben bei dem Astloch war, in dem Herr Rumpelstilzchen seine Wohnung hat, begann das Eichhörnchen zu weinen: ›Ich bitte Sie, Herr Wachtmeister, verhaften Sie mich nicht! Ich hab mich hier beim Herrn Rumpelstilzchen nur untergestellt, weil es regnete und in meine Wohnung hineintropfte.‹ – ›Keine Widerrede, Frau‹, sagte ich darauf, ›packt Eure fünf Haselnüsse oder Bucheckern zusammen und macht, daß Ihr aus Herrn Rumpelstilzchens Privatwohnung herauskommt. Und wenn sich das noch einmal wiederholen sollte, daß Ihr gewaltsam oder hinterlistig, ohne seine Einwilligung und Erlaubnis in seine Privatbehausung eindringt, rufe ich Verstärkung, wir umzingeln Euch, verhaften Euch und bringen Euch gefesselt auf die Hauptwache. Also marsch!‹ Und das wäre eigentlich alles, Herrschaften, was in dieser Nacht vorgefallen ist.«
»Ich hab in meinem Leben noch nie ein Wichtelmännchen gesehen«, warf der Schutzmann Merten ein. »Mein bisheriges Revier war in Krietern, und dort in den neuen Häusern gibt es keine solche Geschöpfe, Wesen, übernatürliche Erscheinungen, oder wie man das nennt.«
»Es gibt noch eine ganze Menge«, meinte der älteste Schutzmann. »Und früher erst! Zum Beispiel beim Ohlauer Wehr haust seit Menschengedenken ein Wassermann. Die Polizei hatte mit ihm nie zu tun gehabt, so ein anständiger Nick war das. Der Neissener Wassermann ist ein alter Lausekerl mit Verlaub zu sagen, aber der Ohlauer war ein sehr anständiger Kerl. Das Wasserleitungsamt der Stadt Breslau hat ihn ja auch zum städtischen Oberwassermann ernannt und ihm ein Monatsgehalt ausgesetzt. Dieser Ohlauer hütete die Oder, damit sie nicht austrockne; Hochwasser hat er niemals gemacht, dabei hatten immer die auswärtigen Wassermänner von der oberen Oder ihre Finger im Spiel: der Weidstritzer, der Laher und der von der Neisse. Aber der Katzbacher Nick hetzte den Ohlauer aus Neid auf, er solle von der Stadt Breslau für seine Dienste das Gehalt und den Titel eines Magistratsrates verlangen; und als sie ihm im Rathaus sagten, daß das nicht gehe, weil er angeblich nicht die nötige Hochschulbildung besitze, war der Ohlauer Wassermann darüber beleidigt und zog von Breslau weg. Jetzt macht er, wie ich gehört habe, in Dresden Wasser. Und seit dieser Zeit ist beim Ohlauer Wehr kein Wassermann mehr. Darum ist ja auch in Breslau immer so wenig Wasser. Weiter pflegten am Wachtplatz in der Nacht Irrlichter zu tanzen. Aber weil das nicht gut tat und die Leute sich vor ihnen fürchteten, vereinbarte die Stadt Breslau mit ihnen, daß sie in den Baumgarten übersiedeln, wo sie ein Angestellter des Gaswerkes anzünden und in der Früh wieder auslöschen sollte. Nur daß dieser Angestellte während des Krieges einrücken mußte, und so hat man die Irrlichter ganz vergessen. Was Elfen anbelangt, hielten sich allein in Baumgarten siebzehn auf; drei von ihnen dürften zum Ballett gegangen sein, eine zum Film, und eine heiratete irgendeinen Eisenbahner aus Oppeln. Drei Elfen halten sich im Südpark, eine im Scheitnicherpark und eine im Stadtgraben auf. Der städtische Gärtner von der Liebichhöhe wollte eine Elfe in seinem Park ansiedeln, doch hielt sie sich nicht lange dort, ich glaube, es war zu windig. – Polizeilich gemeldete Wichtelmännchen, die in den öffentlichen Gebäuden, Parks, Kirchen und Bibliotheken zuständig sind, gibt es in Breslau dreihundertsechsundvierzig, nicht gerechnet die Kobolde in den Privathäusern, die wir nicht in unseren Listen führen. – Gespenster hat es früher in Breslau eine Unzahl gegeben, aber jetzt sind sie aufgehoben, weil wissenschaftlich nachgewiesen wurde, daß es keine Gespenster gibt. Nur in den Vororten halten angeblich Leute noch im Geheimen und gesetzwidrig ein paar altertümliche Gespenster auf dem Boden versteckt, wie mir da unlängst ein Kollege erzählte. Und das dürfte, soviel ich weiß, alles sein.«
»Bis auf den Drachen oder Lindwurm«, warf der Schutzmann Menzel ein, »den sie seinerzeit bei Oswitz erschlagen haben.«
»Oswitz«, sagte der älteste Schutzmann, »das war nie mein Revier, also weiß ich von dem Drachen nichts.«
»Ich war dabei«, sagte der Schutzmann Menzel, »aber eigentlich hatte den ganzen Fall Kollege Scharfaug im Referat gehabt, aber das ist schon sehr lange her. Eines Abends also sagte eine alte Frau zu Scharfaug, es war die Frau Tschauner, die den Zigarrenladen hat, aber eigentlich, um euch die Wahrheit zu sagen, war sie ein kundiges Weib oder Wahrsagerin und Kartenlegerin, also diese Frau Tschauner vertraute meinem Kollegen Scharfaug an, daß laut ihren Karten der Drache Huldabord beim Maiberg eine wunderschöne Jungfrau gefangenhalte, die er ihren Eltern entführt habe; und diese Jungfrau sei die murcianische Prinzessin. ›Murcianisch oder nicht murcianisch‹, meinte darauf der Schutzmann Scharfaug, ›der Drache muß das Mädel den Eltern zurückgeben, andernfalls ich gegen ihn laut Vorschriften, genannt Dienstordnung, einschreite.‹ Nach diesen Worten schnallte er sich den Dienstsäbel um und ging zum Maiberg. Ich denke, das hätte jeder von uns getan.«
»Das mein ich auch«, brummte der Schutzmann Merten. »Aber ich habe weder in Krietern noch in Jedlitz jemals mit einem Drachen zu tun gehabt. Also weiter.«
»Kollege Scharfaug«, fuhr der Schutzmann Menzel fort, »schnallte sich also wie gesagt das Seitengewehr um und ging noch in derselben Nacht zum Maiberg. Und tatsächlich, aus einem der Löcher oder Höhlen hörte er scheltende, grobe Stimmen. Er leuchtete mit seiner Taschenlampe hinein und erblickte einen furchtbaren Drachen mit sieben Köpfen; und die Köpfe unterhielten sich miteinander, gaben Antworten oder stritten und schimpften – das läßt sich ja denken, so ein Drache hat keine Manieren und wenn, dann nur schlechte. Und in einem Winkel der Höhle schluchzte eine wunderschöne Jungfrau und hielt sich die Ohren zu, um nicht zu hören, wie sich die Drachenköpfe mit ihren fetten Stimmen miteinander unterhielten.
›Hallo, Sie dort‹, rief Kollege Scharfaug zwar höflich, aber mit aller vorschriftsmäßiger Strenge dem Drachen zu, ›weisen Sie sich aus; haben Sie irgendwelche Papiere, Heimatschein, Dienstbuch, Paß oder andere Dokumente?‹
Da begann einer der Drachenköpfe zu kichern, der andere zu lästern, der dritte zu fluchen, jener zu schimpfen, einer zu schmähen, ein anderer zu schelten, und einer streckte sogar die Zunge heraus. Aber Kollege Scharfaug ließ sich nicht einschüchtern und rief: ›Im Namen des Gesetzes, packen Sie sich zusammen und kommen Sie mit mir schwuppdiwupp auf das Polizeipräsidium, Sie und das Mädel dort hinten.‹
›Nur nicht so eilig‹, schrie einer der Drachenköpfe. ›Weißt du auch, du menschliche Flaumfeder, wer ich bin? Ich bin der Drache Huldabord.‹
›Huldabord aus den granadischen Bergen‹, fügte der zweite Kopf hinzu.
›Genannt der große mulhazenische Lindwurm‹, schrie der dritte Kopf.
›Ich verschluck dich wie eine Himbeere‹, brüllte der vierte Kopf.
›Ich reiß dich in Fetzen, schlag dich kurz und klein und teile dich wie einen Hering in zwei Hälften, daß es nur so Sägespäne aus dir staubt‹, donnerte der fünfte Kopf.
›Und dann drehe ich dir den Kragen um‹, tobte der sechste Kopf.
›Und dann ist's aus mit dir‹, fügte der siebente Kopf mit fürchterlicher Stimme hinzu.
Was glaubt ihr, Jungens, was nun Kollege Scharfaug gemacht hat? Ihr würdet sagen, daß er es mit der Angst zu tun kriegte? Aber keine Idee! Als er sah, daß es im guten nicht gehen würde, packte er den Gummiknüttel und hieb mit aller Kraft den Drachenschädeln der Reihe nach eine herunter; und dabei war er ein Kerl, stark wie ein Bär.
›Ei, ei‹, sagte der erste Kopf, ›das ist nicht schlecht!‹
›Mich hat es gerade am Scheitel gejuckt‹, meinte der zweite.
›Und mich hat etwas im Genick gebissen‹, ließ sich der dritte vernehmen.
›Kitzle mich noch einmal mit dem Stöckchen, Liebling‹, sagte der vierte.
›Aber schlag stärker zu‹, riet der fünfte, ›damit es ein bißchen kracht.‹
›Und mehr nach links‹, bat der sechste, ›dort juckt es mich gerade am meisten.‹
›Für mich ist deine Rute zu weich‹, meinte der siebente, ›hast du nichts Härteres?‹
Da zog der Schutzmann Scharfaug den Säbel und hieb siebenmal zu, auf jeden Kopf einmal, daß die Schuppen nur so klirrten.
›Das war schon ein bißchen besser‹, sagte der erste Drachenkopf.
›Wenigstens hat er der einen Laus ein Ohr abgehackt‹, freute sich der zweite Kopf, ›ich hab nämlich stählerne Läuse.‹
›Und mir hast du das Haar abgeschnitten, das mich gerade so juckte‹, meinte der dritte.
›Und mir hast du einen feinen Scheitel gezogen‹, lobte der vierte Kopf.
›Du, mit deinem Kämmchen könntest du mich jeden Tag kitzeln‹, brummte der fünfte.
›Ich hab die Feder nicht einmal gespürt‹, sagte der sechste.
›Mensch, kratz mich noch einmal damit‹, verlangte der siebente Kopf.
Da zog der Schutzmann Scharfaug seinen Dienstrevolver heraus und schoß siebenmal, nach jedem Drachenkopf einmal.
›Kruzitürken‹, fuhr der Drache auf, ›wirf nicht diesen Sand auf mich, ich werde ja die ganzen Haare davon voll haben! Sapperlot, mir ist dein Brocken ins Auge gefallen! Und mir ist der Mist zwischen den Zähnen steckengeblieben! So, aber jetzt hab ich gerade genug‹, brüllte der Drache, räusperte sich mit allen sieben Kehlen und begann aus sieben Mäulern Feuer auf den Kollegen Scharfaug zu speien.
Kollege Scharfaug fürchtete sich nicht; er zog die Dienstvorschriften heraus und las nach, was ein Schutzmann zu tun habe, wenn er sich einer Übermacht gegenübersieht; er fand, daß in solchen Fällen Verstärkung herbeizurufen sei. Dann suchte er in den Vorschriften, wie er sich zu verhalten habe, wenn irgendwo Feuer züngelt und fand, daß unter solchen Umständen die Feuerwehr anzutelephonieren sei. So las er denn alles gründlich durch und rief dann die Feuerwehr sowie Polizeiverstärkung herbei. Wir kamen unserer sechs zur Verstärkung angetrabt, und zwar die Kollegen Starkarm, Schnappmaß, Fürbaß, Weitschritt, Hartmann und ich, worauf Kollege Scharfaug zu uns sagte: ›Jungens, wir sollen hier das Mädel aus der Gewalt dieses Drachen befreien. Es ist zwar ein Panzerdrache, und dagegen ist jeder Säbel zu schwach, aber ich habe bemerkt, daß der Drache im Genick etwas weicher ist, damit er sich bewegen kann. Wenn ich somit ›Drei‹ rufe, müßt ihr alle mit dem Säbel aufs Genick loshauen. Aber vorher muß die Feuerwehr den Drachen löschen, sonst verbrennt er uns die Uniform.‹
Kaum hatte er zu Ende gesprochen, als schon Trara sieben Motorspritzen mit sieben Feuerwehrleuten angerast kamen. ›Feuerwehrleute, Achtung‹, rief der Schutzmann Scharfaug tapfer, ›wenn ich ›Drei‹ rufe, beginnt jeder von euch auf einen Drachenkopf zu spritzen, und zwar geradeaus in die Kehle, wo der Drache die Mandeln hat, weil nämlich von dorther das Feuer kommt. Also Achtung: Eins, zwei, drei!‹
Und als er ›Drei‹ gesagt hatte, richteten die Feuerwehrleute sieben Wasserstrahlen geradeaus in sieben Drachenmäuler, aus denen das Feuer wie aus einer großen Lötlampe hervorzüngelte. Schschsch, zischte es! Der Drache spuckte, schnaubte, hustete, schnaufte, keuchte, fluchte, röchelte, prustete, sprühte, zischte, rief ›Mama‹ und hieb mit dem Schweife um sich, aber die Feuerwehrleute gaben nicht nach und spritzten und spritzten, bis aus den sieben Drachenköpfen anstatt des züngelnden Feuers Dampfwolken wie aus einer Lokomotive aufstiegen, so daß man nicht einen Schritt weit sehen konnte. Dann wurde der Dampf dünner, die Feuerwehrleute hörten zu spritzen auf, gaben ein Trompetensignal und fuhren heim; und der Drache, ganz durchnäßt und erschöpft, spuckte nur, rieb sich das Wasser aus den Augen und brummte: ›Wartet nur, ihr Lausekerle, das verzeih ich euch nicht.‹
Doch da rief Kollege Scharfaug: ›Achtung, Jungens, eins, zwei, drei!‹ Und kaum hatte er ›Drei‹ gesagt, hieben wir sieben Schutzmänner auf sieben Drachengenicke ein, und sieben Köpfe rollten auf der Erde, und aus sieben Hälsen quoll Wasser heraus und spritzte wie aus einem Hydranten hoch; so viel Wasser war in den Drachen hineingeflossen. ›Und jetzt kommt zur murcianischen Prinzessin‹, sagte Kollege Scharfaug, ›aber achtgeben, damit ihr euch die Uniformen nicht naß macht.‹
›Ich danke dir, edler Held‹, sagte das Fräulein, ›daß du mich aus der Gewalt dieses Drachens befreit hast. Ich spielte gerade mit meinen Gefährtinnen im murcianischen Park Fangball und Diabolo und Verstecken, als dieser dicke, alte Drache herbeigeflogen kam und mich ohne Unterbrechung bis hierher entführte.‹
›Wie sind Sie denn da geflogen, Fräulein?‹ fragte Kollege Scharfaug.
›Über Algier, Malta, Konstantinopel, Belgrad und Wien, über Prag und Mittenwalde bis hierher in zweiunddreißig Stunden, siebzehn Minuten und fünf Sekunden nonstop und netto‹, antwortete die murcianische Prinzessin.
»Da hat dieser Drache einen Rekord im Weitflug mit Passagier aufgestellt«, wunderte sich Kollege Scharfaug. »Da gratuliere ich Ihnen, Fräulein. Aber jetzt sollten wir Ihrem Herrn Vater telegraphieren, damit er jemanden herschickt, Sie zu holen!«
Kaum hatte er zu Ende gesprochen, kam ein Auto dahergerast, und heraus sprang der murcianische König mit der Krone auf dem Kopf, ganz in Hermelin und Brokat gekleidet, und begann vor Freude auf einem Bein zu tanzen und zu schreien: »Mein Goldmädel, hab ich dich endlich gefunden.«
»Einen Augenblick, Herr König«, fiel ihm Kollege Scharfaug ins Wort. »Sie sind mit Ihrem Auto ganz polizeiwidrig schnell gefahren, das kostet drei Mark Strafe, verstanden?«
Der murcianische König begann in seinen Taschen zu wühlen und brummte: »Das ist wirklich merkwürdig, ich hatte doch siebenhundert Dublonen, Piaster und Dukaten, tausend Pesetas, dreitausendsechshundert Franken, dreihundert Dollars, achthundertzwanzig Mark und tausendzweihundertsechzehn tschechoslowakische Kronen und fünfundneunzig Heller, und jetzt besitze ich nicht einen Pfennig, nicht einen Heller, nicht einen Groschen, nicht einen Dreier mehr. Wahrscheinlich habe ich alles unterwegs für Benzin und Strafen wegen unvorschriftsmäßiger Schnelligkeit ausgegeben. Stattlicher Ritter, ich werde dir die drei Mark durch meinen Wesir schicken.‹
Hierauf räusperte sich der murcianische König, legte die eine Hand auf die Brust und fuhr, zum Kollegen Scharfaug gewandt, fort: ›Ich sehe an deiner Uniform wie auch an deinem erhabenen Äußeren, daß du ein mächtiger Krieger, ein Prinz oder am Ende gar ein Staatsbeamter bist. Dafür, daß du meine Tochter befreit und den furchtbaren mulhazenischen Drachen bezwungen hast, sollte ich dir eigentlich die Hand meiner Tochter anbieten, aber du trägst an deiner Rechten einen Ehering, woraus ich schließe, daß du verheiratet bist. Hast du Kinder?‹
›Ja‹, antwortete Scharfaug, ›einen dreijährigen Jungen und noch ein ganz kleines Mädchen.‹
›Da gratuliere ich‹, sagte der murcianische König. ›Ich hab nur dieses Mädel da. Also warte einmal, ich schenke dir wenigstens die Hälfte meines murcianischen Königreiches. Das macht ungefähr siebzigtausendvierhundertneunundfünfzig Quadratkilometer Land, mit siebentausendeinhundertfünfzig Kilometern Eisenbahnen, zwölftausend Kilometern Straßen und zweiundzwanzig Millionen, siebenhundertfünfzigtausendneunhundertelf Einwohnern beiderlei Geschlechtes. Bist du einverstanden?‹
›Herr König‹, entgegnete Kollege Scharfaug, ›es sind da verschiedene Schwierigkeiten. Ich und meine Kameraden hier haben nämlich den Drachen einfach aus dienstlicher Pflicht erschlagen, weil er meiner amtlichen Aufforderung nicht Folge leisten und mit mir nicht auf die Wache kommen wollte. Und für eine Dienstleistung darf keiner von uns eine Belohnung annehmen; das gibt's nicht, lieber Herr König, das ist verboten.‹
›Aha‹, meinte der König darauf. ›Aber vielleicht könnte ich zum Zeichen meiner königlichen Dankbarkeit die Hälfte des murcianischen Königreiches samt allen Einrichtungen der ganzen Breslauer Polizei schenken.‹
›Das ginge schon eher‹, überlegte Kollege Scharfaug, ›aber auch das, Herr König, hat seine Schwierigkeiten. Wir haben ohnehin den ganzen Breslauer Bezirk bis zur Landkreisgrenze, und was es da schon herumzulaufen und aufzupassen gibt! Wenn wir jetzt noch die Hälfte des murcianischen Königreiches dazu bekommen, müßten wir uns rein die Beine ablaufen, und dann würden uns die Füße weh tun. Herr König, wir danken Ihnen recht schön, aber uns genügt Breslau.‹
›Leute‹, sagte der murcianische König, ›dann schenke ich euch wenigstens dieses Paketchen Tabak hier, das ich mir auf die Reise mitgenommen habe. Es ist echter Murciantabak und reicht gerade für sieben vollgestopfte Pfeifen. Nun, Töchterchen, hinein in den Wagen und losgefahren.‹ – Und als er sich aus dem Staub gemacht hatte – und Staub wirbelte dieser König ordentlich auf – gingen wir, nämlich die Kollegen Starkarm, Schnappmaß, Fürbaß, Weitschritt, Hartmann, Scharfaug und ich auf die Wachstube und stopften unsere Pfeifen mit dem Murciantabak. Menschenskinder, so einen Tabak hatte ich mein Leben noch nicht geraucht; er war nicht einmal so stark, aber er duftete wie Honig, wie Vanille, wie Zimt und wie Weihrauch, aber weil unsere Pfeifen so stanken, spürten wir den Duft nicht einmal besonders.
Der Drache sollte ins Museum kommen; ehe sie ihn jedoch wegführen konnten, verwandelte er sich in Gallert; er war zu naß geworden und mit Wasser vollgesogen – das hat ihm nicht gutgetan. Und das ist alles, was ich darüber weiß.«
Nachdem der Schutzmann Menzel die Geschichte vom Drachen auf dem Maiberg beendet hatte, pafften alle Schutzmänner eine Weile schweigend vor sich hin; wahrscheinlich dachten sie an den Murciantabak. Dann begann der Schutzmann Stelzbein: »Da uns der Kollege Menzel vom Maiberger Lindwurm erzählt hat, will ich euch von dem Drachen aus der Bischofsgasse erzählen. Ich ging also einmal durch die Bischofsgasse und sehe plötzlich in der Ecke bei der Kirche ein riesiges Ei liegen. Es war so groß, daß es wohl kaum in meinen Tschako gegangen wäre und so schwer, als wäre es aus Marmor. Um Himmelswillen, sagte ich mir, das ist wohl ein Straußenei oder so was Ähnliches, am besten, ich trage es auf das Polizeipräsidium ins Fundbüro; vielleicht meldet sich der Besitzer des Eis. Damals war in dieser Abteilung Kollege Pauer, der von einer Erkältung her noch Hexenschuß hatte; er heizte deshalb im eisernen Ofen, daß es so heiß war wie in einer Bratröhre.
›N'Abend, Pauer‹, sage ich, ›du hast es ja warm hier wie des Teufels Großmutter. Ich melde, daß ich in der Bischofsgasse ein Ei gefunden habe.‹
›Leg es dorthin‹, sagte Kollege Pauer, ›und setz dich; du glaubst gar nicht, wie mich mein Hexenschuß plagt.‹
Eine Weile unterhielten wir uns, wie so ein Wort das andere gibt; dann begann es zu dämmern, und auf einmal hören wir in der Ecke etwas knacken oder rascheln. Wir machen Licht und schauen nach – ist da aus dem Ei ein Drachen herausgeschlüpft; wahrscheinlich hatte es die übergroße Wärme ausgebrütet. Das Zeug war nicht größer als, na sagen wir ein Pudel oder Foxterrier, aber ein Drache war es, das erkannten wir gleich an den sieben Köpfen; daran erkennt man nämlich einen Drachen.
›Kruzineser‹, sagte Kollege Pauer, ›was machen wir damit? Ich werde um die Grüne Minna telephonieren, damit sie das Vieh wegschafft.‹
›Weißt du was, Pauer‹, sage ich, ›so ein Drache ist ein ziemlich seltenes Tier; ich denke, wir sollten erst einmal eine Anzeige in der Zeitung aufgeben, vielleicht meldet sich sein Besitzer.‹
›Gut‹, sagte Pauer, ›aber womit soll ich es inzwischen füttern? Ich will es mit Milch und eingebröckelter Semmel versuchen; für ein Junges ist Milch am gesündesten.‹
Er bröckelte also sieben Semmeln in sieben Liter Milch ein; da hättet ihr sehen sollen, wie sich das hungrige Drachenjunge darauf stürzte: ein Kopf stieß den andern von der Schüssel weg, und alle knurrten sich gegenseitig an und schlabberten die Milch aus, daß das ganze Büro davon voll war; dann leckte sich ein Kopf nach dem anderen ab und schlief ein. Kollege Pauer sperrte den Drachen in sein Büro, wo alle verlorenen und gefundenen Gegenstände von ganz Breslau aufbewahrt werden und schickte folgende Anzeige an die Zeitungen:
›Ein Drachenjunges, frisch ausgebrütet, wurde in der Bischofsgasse gefunden. Das genannte ist siebenköpfig, gelb und schwarz gestreift. Der Eigentümer melde sich auf dem Fundbüro im Polizeipräsidium.‹
Als Kollege Pauer in der Früh in sein Büro kam, sagte er nichts als ›Sapperment verflixtnocheinmal duliebergott dasolldochder dreinfahren donnerunddoria neinsoetwas meinerseel, daß ich nicht fluch!‹
Der Drache hatte über Nacht alle Sachen aufgefressen, die irgendwer in Breslau verloren oder gefunden hatte: also Ringe, Uhren, Geldbörsen, Handtaschen und Notizbücher, Bälle und Bleistifte, Federhalter, Schulbücher und Murmeln, Trillerpfeifen, Knöpfe, Reißzeuge, Handschuhe und noch dazu alle amtlichen Papiere, Akten, Protokolle und Dokumente, kurz und gut, alles, was in Pauers Kanzlei vorhanden war, sogar Pauers Pfeife, die Kohlenschaufel und das Lineal, womit Pauer die Akten liniierte. Der Drache hatte so viel gefressen, daß er bereits noch einmal so groß war und daß sogar einigen seiner Köpfe schlecht zu sein schien.
›Das geht so nicht‹, meinte Kollege Pauer, ›ich kann das Vieh nicht da behalten.‹ Und so telephonierte er den Tierschutzverein an, damit der oben beschriebene, verehrliche Verein dem Drachenjungen Obdach gewähre, wie er es bei verlaufenen Hunden und Katzen zu tun pflege. ›Warum nicht‹, sagte der Verein und nahm den Drachen zu sich. ›Jetzt möchte ich nur gerne wissen‹, sagte dann der Verein, ›was so ein Drache eigentlich frißt. In der Naturgeschichte steht nichts darüber.‹ So versuchten sie es denn und gaben dem Drachen Milch, Brot, Würste, Schlackwurst, Eier, Möhren, Grießbrei, Schokolade, Erbsen, Heu, Suppe, Graupen, Tomaten, Reis, Semmeln, Zucker, Kartoffeln und Dörrobst zu fressen; der Drache fraß alles auf und verschluckte noch dazu Bücher, Bilder, Türklinken und überhaupt alles, was dort war; und wuchs derart, daß er bereits die Größe eines Bernhardiners hatte.
Inzwischen traf jedoch ein Telegramm aus Bukarest ein, in dem in Schwarzkünstlerhandschrift zu lesen stand:
›Das Drachenjunge ist ein verzauberter Mensch. Alles Nähere mündlich. Komme innerhalb dreihundert Jahre Hauptbahnhof an.
Zauberer Bosko.‹
Da kratzte sich der Tierschutzverein hinterm Ohr und sagte: ›Oha, wenn der Drache ein verzauberter Mensch ist, ist er ein menschliches Geschöpf, das wir nicht unter Tierschutz stellen können. Da müssen wir es in eine Findelanstalt oder ein Waisenhaus schicken.‹
Aber die Findelanstalten und Waisenhäuser meinten wieder: ›Oha, wenn dieser Mensch in ein Tier verzaubert ist, ist es kein Mensch mehr, sondern ein Tier, weil er doch in ein Tier verzaubert wurde.‹ Und da sie sich nicht darüber einigen konnten, ob der in ein Tier verzauberte Mensch mehr Mensch oder mehr Tier sei, wollten weder die einen noch die anderen den Drachen zu sich nehmen, und der arme Drache wußte nicht, wem er eigentlich gehörte; das ging ihm so nahe, daß er zu fressen aufhörte, namentlich sein dritter, fünfter und siebenter Kopf. In dem Verein war ein kleiner, dürrer, unscheinbarer und bescheidener Mensch; er hieß Neuner, Nürner oder Noller – ah nein, Herr Trauminit war sein Name; als nun dieser Herr Trauminit sah, wie ein Drachenkopf nach dem anderen vor Leid fast einging, sagte er zu dem Verein: ›Meine Herren, sei es nun ein Mensch oder ein Tier, ich nehme mir den Drachen nach Hause und werde für ihn sorgen, wie sich's gehört.‹ Da sagten alle ›Nun also‹, und Herr Trauminit führte den Drachen nach Hause.
Das muß man ihm lassen: er sorgte wirklich für ihn, fütterte ihn, kämmte ihn und streichelte ihn – dieser Herr Trauminit hatte nämlich Tiere sehr gern; und jeden Abend, wenn er von der Arbeit heimkam, ging er mit dem Drachen spazieren, damit er sich ein bißchen auslaufe; der Drache sprang wie ein Hund hinter ihm her, wedelte mit dem Schwanze und hörte auf den Namen Amira.
Eines Abends begegnete ihnen der Hundefänger und sagt: ›Halt, Herr Trauminit, was haben Sie da für ein Tier? Falls es ein Raubtier, ein reißendes oder wildes Tier ist, dürfen Sie es nicht auf den Straßen herumführen; wenn es aber ein Hund ist, müssen Sie ihm eine Hundemarke kaufen und ihm um den Hals hängen.‹
›Das ist eine besonders seltene Hundeart‹, erwiderte Herr Trauminit, ›ein sogenannter Drachenpintscher oder Drachenwindspiel, beziehungsweise siebenköpfiger Hund, nicht wahr, Amira? Nur keine Sorgen, Herr Hundefänger, ich werde ihm die Hundemarke schon kaufen.‹ Und er kaufte sie wirklich, wenn der arme Kerl auch sein letztes Geld dafür hergeben mußte.
Und wieder begegnete ihnen der Hundefänger und sagte:
›Herr Trauminit, so geht das nicht; wenn Ihr Hund sieben Köpfe hat, muß er um jeden Hals eine Hundemarke tragen, weil laut Vorschrift jeder Hund eine Hundemarke um den Hals tragen muß.‹
›Aber Herr Hundefänger‹, wehrte sich Herr Trauminit, ›die Amira trägt doch am mittleren Hals eine Hundemarke!‹
›Das ist alles eins‹, entgegnete der Hundefänger, ›aber die übrigen sechs Köpfe laufen ohne Marke herum und das darf ich nicht dulden, ich muß sonst Ihren Hund einfangen.‹
›Ich bitte Sie, Herr Hundefänger, warten Sie damit noch drei Tage‹, bat Herr Trauminit, ›ich kaufe der Amira die Marken.‹ Und ging tief unglücklich nach Hause, weil er nicht einen roten Heller mehr besaß.
Daheim setzte er sich nieder und hätte am liebsten zu heulen angefangen, so leid tat ihm das; er sah schon voraus, wie ihm der Hundefänger die Amira wegnehmen und an irgendeinen Zirkus verkaufen oder gar töten werde. Und wie er sich so abquälte und seufzte, kam der Drache zu ihm gekrochen, legte alle seine sieben Köpfe auf Herrn Trauminits Schoß und blickte ihn mit wundervollen, traurigen Augen an. Jedes Tier hat so schöne, beinahe menschliche Augen, wenn es mit Liebe und Vertrauen zum Menschen aufschaut.
›Ich verlasse dich nicht, Amira‹, sagte Herr Trauminit und tätschelte alle sieben Köpfe des Drachen; und dann nahm er die Uhr von seinem seligen Vater, seinen Sonntagsanzug und die besten Schuhe, verkaufte alles und borgte sich noch Geld und kaufte dann für das ganze Geld sechs Hundemarken und hängte sie seinem Drachen an die Halsbänder. Und als er dann mit ihm auf die Straße hinausging, klingelten und bimmelten die Hundemarken, als komme ein Schellenschlitten gefahren.
Noch am selben Abend jedoch kam der Hauswirt zu Herrn Trauminit und sagte: ›Herr Trauminit, Ihr Hund will mir nicht gefallen. Ich verstehe zwar nicht viel von Hunden, aber die Leute sagen, daß das angeblich ein Drache sein soll; und das kann ich in meinem Hause nicht dulden.‹
›Aber Herr Hauswirt‹, wandte Herr Trauminit ein, ›die Amira hat doch noch niemandem etwas zuleide getan!‹
›Das geht mich nichts an‹, erwiderte der Wirt, ›aber ein Drache gehört nicht in ein ordentliches Haus und damit basta, punktum. Wenn Sie diesen Hund nicht weggeben, kündige ich Ihnen zum Ersten die Wohnung. Empfehle mich, Herr Trauminit‹, und schlug die Türe hinter sich zu.
›Siehst du, Amira‹, weinte Herr Trauminit, ›jetzt müssen wir zu all dem Unglück noch hier ausziehen; aber ich verlasse dich nicht.‹
Da kroch der Drache ganz leise zu ihm heran, und seine Augen leuchteten derart, daß es Herr Trauminit fast nicht mehr aushalten konnte. ›Na, na‹, sagte er, ›du weißt doch, Alte, daß ich dich gern hab.‹
Tags darauf ging er von Sorgen erfüllt ins Büro, er war nämlich Schreiber in einer Bank; und richtig ließ der Bankdirektor ihn zu sich rufen.
›Herr Trauminit‹, sagte der Bankdirektor, ›mich gehen zwar Ihre Privatangelegenheiten nichts an, aber hier sind so merkwürdige Gerüchte im Umlauf, daß Sie sich angeblich zu Hause einen Drachen halten. Sehen Sie, keiner von Ihren Vorgesetzten hält sich einen Drachen. Das kann sich nur ein König oder ein Sultan leisten, aber für gewöhnliche Sterbliche ist das nichts. Herr Trauminit, Sie leben sehr über Ihre Verhältnisse, entweder geben Sie diesen Drachen weg, oder ich muß Ihnen zum Ersten kündigen.‹
›Herr Direktor‹, sagte Herr Trauminit leise, aber entschlossen, ›ich verlasse Amira nicht.‹ Und ging so betrübt nach Hause, daß es sich gar nicht beschreiben läßt.
Daheim setzte er sich wie geistesabwesend nieder; alsbald begannen Tränen aus seinen Augen zu fließen. ›Jetzt ist es aus mit mir‹, sagte er und weinte. Da spürte er, wie ihm der Drache einen Kopf auf die Knie legte; vor lauter Tränen sah er nichts, sondern streichelte ihn nur und flüsterte: ›Fürchte dich nicht, Amira, ich verlasse dich nicht.‹
Und wie er ihn so streichelt, kommt es ihm vor, als ob dieser Kopf weich und lockig sei; er reibt sich die Augen und siehe – da kniet anstatt des Drachens eine schöne Jungfrau vor ihm, stützt sich mit ihrem Kinn auf seine Knie und blickt ihm selig in die Augen.
›Um Gotteswillen‹, schreit Herr Trauminit auf, ›wo ist Amira?‹
›Ich bin die Prinzessin Amira‹, sagte die Jungfrau, ›die bis zu diesem Augenblick in einen Drachen verzaubert war, weil ich so stolz und zornig gewesen bin. Aber von jetzt an, Herr Trauminit, werde ich brav sein wie ein Lämmchen.‹
›Amen‹, tönte es von der Tür her, in welcher der Zauberer Bosko stand. ›Sie haben sie befreit, Herr Trauminit. Jede Liebe befreit Menschen und Tiere aus ihrem Zauberbann. Jemine, Kinder, das ist aber gut ausgefallen! Herr Trauminit, der Vater dieses Fräuleins hier läßt Ihnen sagen, daß Sie in sein Königreich kommen sollen, den Thron besteigen. Also marsch, damit wir den Zug nicht versäumen.‹«
»So endete der Fall mit dem Drachen aus der Bischofsstraße«, sagte der Schutzmann Stelzbein. »Wenn ihr es nicht glauben wollt, fragt den Kollegen Pauer.«