Das Leben ein Traum
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Erster Aufzug.

Wilde Gegend; im Hintergrunde ein hoher Berg; auf der Seite ein Turm, von Felsen und Gebüsch umgeben.

Rosaura, in männlicher Reisekleidung, steigt den Berg herab. Es wird Nacht.

Rosaura (ruft ihrem entlaufenen Rosse nach).
Du Hippogryph, an Schnelle
Den Winden gleich, unbändiger Geselle!
Wohin, Blitz ohne Schimmer,
Glanzloser Vogel, schuppenloser Schwimmer,
Sinnloses Ungeheuer,
Wohin, im labyrinthischen Gemäuer
Der nackten Felsenmassen,
Entrennst du zügellos, wild, ausgelassen?
Bleib hier im Bergreviere,
Ein Phaethon hinfort der wilden Tiere!
Denn ich, ohn' andre Pfade,
Als das Geschick mir anweist sonder Gnade,
Will blindlings, ohne Hoffen,
Durch die verworrne Rauheit dieses schroffen
Gebirgs, das mit Ergrimmen
Der Sonn' entgegen dräut, hernieder klimmen. –
Wie schlecht empfängst du, Polen,
Den Fremdling; schreibst mit Blute seiner Sohlen
In deinen Sand sein Kommen!
Zur Mühsal kommt er an, mühsam gekommen.
Wohl sagt's mein Stern mir Armen;
Wo fand ein Unglücksel'ger auch Erbarmen?

Clarin (der von demselben Berge herabgestiegen).
Zwei gibt's hier, wie ich denke;
Laßt mich nur, wenn Ihr klagt, nicht in der Schenke.
Denn da wir zwei doch waren,
Die's wagten, aus der Heimat auf Gefahren
Und Abenteur zu reiten,
Und zwei, die unter Not und Albernheiten
Nun bis hieher uns trollten,
Und zwei, die hier vom Berg herunter rollten:
Heißt's nicht mein Recht verletzen,
Mich mit in Not und nicht in Rechnung setzen?

Rosaura. Ich will von meinen Klagen,
Clarin, dir keinen Anteil übertragen,
Um nicht dein Recht zu hindern,
Durch eignes Seufzen deine Not zu lindern.
So reizende Genüsse
Im Klagen fand ein Weiser, daß man müsse,
Behauptet' er, die Leiden
Aufsuchen, um an Klagen sich zu weiden.

Clarin. Ein Trunkenbold, wie keiner,
War dieser weise Mann. O hätt' ihn einer
Aufs weise Maul geschlagen,
So könnt' er richtigen Empfang beklagen! –
Doch, Fräulein, gebt mir Kunde,
Was thun wir jetzt, zu Fuß, in dieser Stunde,
Verirrt auf rauhen Bergen,
Da schon die Sonn' ins Meer sich will verbergen?

Rosaura. Wer sah noch je so seltsame Geschicke!
Doch täuscht die Phantasie nicht meine Blicke
Mit leerem Truggeflimmer,
So seh' ich dort beim zweifelhaften Schimmer
Der Dämmrung ein Gebäude,
Wie mir es scheint.

Clarin.                           Belügt mich nicht die Freude,
So glaub' ich's schon zu fassen.

Rosaura. Ein roh Gebäu steckt zwischen Felsenmassen;
Kaum mag es sich getrauen,
Vor Niedrigkeit, zur Sonn' empor zu schauen.
So rauh ist, wie ich merke,
So ungeschickt die Kunst an diesem Werke,
Daß es hier zu den Füßen
Der Felsen, so, die Sonne zu begrüßen,
Gigantisch sich erhoben,
Ein Klumpen scheint, herabgerollt von oben.

Clarin. Laßt uns nur näher gehen;
Was nützt es, Fräulein, lang' es zu besehen?
'S ist besser, wir beginnen
Jetzt den Versuch, ob man uns höflich drinnen
Aufnehmen wird.

Rosaura.                     Die Pforte
Steht auf (Grabschlund paßt besser zu dem Orte)
Und läßt zu diesen Thoren
Die Nacht heraus, die drinnen ward geboren.

Kettengeklirr im Turme.

Clarin. Weh! hier ist's nicht geheuer.

Rosaura. Ich bin ein leblos Bild von Eis und Feuer.

Clarin. Geklirr von Ketten hör' ich.
'S ist ein Galeerensklave, das beschwör' ich;
Wohl sagt es mir mein Zagen.

Sigismund (im Turme). Ich Armer, weh! Wie bin ich zu beklagen!

Rosaura. Welch klägliches Gestöhne!
Mit neuem Schmerz ergreifen mich die Töne.

Clarin. Und mich mit neuen Schauern.

Rosaura. Clarin!

Clarin.               Gebieterin?

Rosaura.                               Fliehn wir die Mauern
Des Zauberturms!

Clarin.                         Ich liefe gern von dannen,
Doch selbst zum Fliehn kann ich mich nicht ermannen.

Rosaura. Ha, schimmert nicht von ferne
Ein dämmernd Licht, gleich einem bleichen Sterne,
Das mit ohnmächt'gem Beben,
Aufflackernd, Flamm' und Strahlen läßt entschweben
Und jenes Dunkels Dichte
Noch dunkler macht mit zweifelhaftem Lichte?
Ja; denn bei seinem Brennen
Läßt sich, obwohl in trüber Fern', erkennen
Ein Kerker, zu vergleichen
Schier einem Grabe von lebend'gen Leichen;
Und, mir zu größerm Schrecken,
Liegt drin ein Mann, den rauhe Felle decken,
In Ketten eingeschlossen
Und nur von jenem Dämmerschein umflossen.
Flucht kann uns nicht mehr glücken,
So hören wir, was ihn für Leiden drücken;
Horch' auf, was er wird sagen.

Rosaura und Clarin treten zurück.

Sigismund tritt aus dem Turme, mit Fellen bekleidet und gefesselt.

Sigismund. Ich Armer, weh! Wie bin ich zu beklagen!
Himmel, laß mich Kund' erlangen,
Da du so verfährst mit mir,
Welch Verbrechen ich an dir
Schon durch die Geburt begangen!
Doch, ich habe mich vergangen,
Ich erkenn' es, weil ich ward.
Strafst du mich auch noch so hart,
Nenn' ich gnügend deine Gründe;
Denn des Menschen größte Sünde
Ist, daß er geboren ward.
Nur dies eine möcht' ich fassen,
Um mein Unglück ganz zu sehn
(Darf ich, Himmel, das Vergehn,
Daß ich ward, beiseite lassen),
Was dich treibt, mich mehr zu hassen,
Da mich mehr straft dein Gericht.
Wurden auch die andern nicht?
Und sind sie im gleichen Falle,
Welches Vorrecht haben alle,
Das nur mir allein gebricht?
Auch der Vogel wird; und kaum,
Durch den bunten Schmuck der Glieder,
Ist er Blume mit Gefieder,
Blütenstrauß von zartem Flaum,
Und schon wird des Aethers Raum
Seines raschen Fluges Bahn;
Wenig kümmert ihn fortan,
Ob des Nestes Ruh' ihm fehle:
Und ich soll, bei größrer Seele,
Minder Freiheit nur empfahn?
Auch das Raubtier wird; wie nur
Kaum sein Fell die schönen Flecken,
Einen. Sternbild gleich, bedecken
(Dank dem Pinsel der Natur!),
Sucht es schon der Beute Spur;
Dem Bedürfnis unterthan,
Folgt es grausam seiner Bahn,
Labyrinthisch Ungeheuer:
Und ich soll, bei edlerm Feuer,
Minder Freiheit nur empfahn?
Auch der Fisch im feuchten Leer
Wird, aus Laich und Schlamm entsprossen,
Kaum nun, als ein Kahn mit Flossen,
Sieht er sich im weiten Meer,
Und schon streift er rasch umher;
Fast genügt dem kecken Wahn
Nicht die unermeßne Bahn,
Um den Wandertrieb zu stillen:
Und ich soll, bei kräft'germ Willen,
Minder Freiheit nur empfahn?
Auch der Bach wird, eine Schlange,
Zwischen Blumen sich verbreitend;
Kaum als Silbernatter gleitend,
Feiert er im Ringelgange
Mit melodischem Gesange
Blumen, die ihn mild umfahn;
Denn die Allmacht hat zur Bahn
Ihm die freie Flur erlesen:
Und ich soll, bei höherm Wesen,
Minder Freiheit nur empfahn?
Ein Vulkan, ein Aetna heißen
Kann ich bei so wilden Schmerzen;
Stücke von dem eignen Herzen
Möcht' ich aus der Brust mir reißen.
Welches Urteil kann entreißen,
Welch Gesetz dem Menschen eben
Dieses Recht zu freiem Leben,
Dies Geschenk der höchsten Milde,
Welches Gott sogar dem Wilde,
Vogel, Fisch und Bach gegeben?

Rosaura. Was ich hörte, was ich sah,
Wecket Mitleid mir und Zagen.

Sigismund. Wer behorchte meine Klagen?
Ist's Clotald?

Clarin (zu Rosaura). Sagt doch nur Ja.

Rosaura. Ein Unsel'ger nur ist da,
Der vernahm, wie deinen Geist
Trübe Schwermut mit sich reißt.

Sigismund. Nun wohlan, dein Leben misse!
Wissen sollst du nicht, ich wisse,
Daß du meine Schwäche weißt.
Weil du hörtest, deshalb nur
Will ich mit den nerv'gen Armen
Dich zerreißen ohn' Erbarmen. (Er faßt sie an.)

Clarin. Ich bin taub, Herr; ich erfuhr
Nichts von Euch.

Rosaura (knieend).     Gab die Natur
Dir ein menschlich Herz zu eigen,
O so laß die Strenge schweigen!

Sigismund. Mir belegt dein Ton die Brust,
Gibt dein Anblick süße Lust,
Schafft Verwirrung dein Bezeigen. (Er hebt sie auf.)
Sprich, wer bist du? Kenn' ich zwar
Nur so wenig von der Welt,
Daß der Turm, wo man mich hält,
Wieg' und Grab zugleich mir war;
Ward ich hier auch nichts gewahr,
Seit ich lebend mich betrachte
– Wenn ich dies für Leben achte –
Als der Wildnis grause Not,
Wo ich als lebendig tot
Oder tot lebendig schmachte;
Sah und sprach bis diese Stunde
Ich auch nur den einen hier,
Der von Erd' und Himmel mir
Gab, aus Mitleid, ein'ge Kunde;
Muß ich gleich mit wahrem Grunde
(Mag dein Abscheu auch entbrennen
Und mich menschlich Untier nennen)
Zwischen Graun und Schreckgebild,
Unter Menschen mich als Wild,
Unterm Wild als Mensch erkennen;
Lernt' ich gleich, so elend schmachtend,
Den Begriff der Politik,
Auf der Vögel Republik
Und das Reich des Wildes achtend,
Maß der Sterne Bahn, betrachtend
Ihrer Chöre stille Reihn:
Dennoch konntest du allein,
Meine Qual zu lindern, taugen
Und das Staunen meiner Augen,
Meines Ohrs Bewundrung sein.
Ja, mit jedem Blick zu dir
Wird dies Staunen mir erneuert,
Und ein jeder Blick befeuert,
Dich zu sehn, den Wunsch in mir.
Meinen Augen scheinet hier
Ew'ger Durst bevorzustehen;
Trunk ist tödlich: dennoch stehen
Sie nicht ab; und seh' ich klar,
Sehen bringe Todsgefahr,
Sterb' ich hin, um nur zu sehen.
Wohl, ich sehe dich, und sterbe!
Weiß ich, der schon jetzt verdirbt,
Wenn das Sehn mir Tod erwirbt,
Was das Nichtsehn mir erwerbe?
Mehr wär's, als der Tod, mir herbe,
Mehr als Grimm und Wut und Not;
Tod wär's. So, was mich bedroht,
Muß ich zu ergründen streben;
Denn des Unbeglückten Leben
Ist, wie des Beglückten, Tod.

Rosaura. Vor Erstaunen, dich zu sehn,
Zu vernehmen deine Klagen,
Weiß ich kaum ein Wort zu sagen,
Weiß ich Rede nicht zu stehn.
Eins nur: mir ist Heil geschehn,
Da des Himmels milde Hand
Heute mich hieher gesandt;
Wenn's im Leiden kann erquicken,
Einen andern zu erblicken,
Der noch größres Leid empfand.
Man erzählt von einem Weisen,
Der so elend leben mußte,
Daß er nur mit Kräutern wußte,
Die er auslas, sich zu speisen.
»Kann die Erde,« sprach er, »weisen
Etwas Aermers, als mein Leben?«
Antwort ward ihm, da er eben
Um sich sah: ein andrer Weiser
War bemüht, die kahlen Reiser,
Die er wegwarf, aufzuheben.
Unter Kummer und Beschwerde
Lebt' ich auf der Welt und klagte;
Aber als ich zu mir sagte:
Ist ein Mensch wohl auf der Erde,
Dem das Schicksal schwerer werde?
Gabst du tröstend Antwort mir.
Dich betrachtend, fand ich hier,
Daß du meiner Leiden Bürde,
Die für dich Erquickung würde,
Würdest sammeln mit Begier.
Und wenn etwa meine Leiden
Könnten Lindrung dir verschaffen,
So hör' an und nimm von ihnen,
Was ich überflüssig habe.
Ich bin . . .

Clotald (im Turme). Wächter dieses Turmes,
Die, feigherzig oder schlafend,
Zugang gaben zweien Leuten,
So in das Gefängnis brachen . . . .

Rosaura. Neue Drangsal und Verwirrung!

Sigismund. Ha, Clotald, mein Wächter, nahet;
Wird mein Elend nimmer enden?

Clotald (wie oben). Kommt herbei und ohne Rasten
Fangt sie oder macht sie nieder,
Eh sie sich Verteid'gung schaffen.

Soldaten (im Turme). Hochverrat!

Clarin.                                           Ihr Herrn vom Turme,
Die ihr uns herein gelassen,
Da ihr uns die Wahl erlaubt:
Leichter ist es, uns zu fangen.

Clotald tritt auf, ein Pistol in der Hand, von Soldaten begleitet, alle mit verhüllten Gesichtern.

Clotald (im Auftreten, zu den Soldaten).
Wohl verhüllt euch die Gesichter;
Denn es thut uns not vor allem,
Daß, so lange wir hier sind,
Keiner, wer wir sei'n, errate.

Clarin. Maskenzüge gibt es hier?

Clotald (zu Rosaura und Clarin).
O ihr, die ihr unerfahren
Dieses untersagten Ortes
Grenz' und Marken übertratet,
Gegen den Befehl des Königs,
Der gebot, daß keiner wage,
In das Wunder einzudringen,
Welches dieser Fels umnachtet:
Uebergebet Wehr und Leben;
Oder dies Pistol hier, Natter
Von Metall, wird sich alsbald
Seines scharfen Gifts entladen
In zwei Kugeln, deren Donner
Wird die Luft in Aufruhr jagen.

Sigismund. Eh, tyrannischer Gebieter,
Du es wagst, sie anzutasten,
Soll mein Leben Beute werden
Dieser unglücksel'gen Bande.
Denn, bei Gott! gefesselt, will ich
Selbst mich zu zerfleischen trachten
Mit den Händen, mit den Zähnen
Hier in diesem Felsengrabe,
Eh ich ihr Verderben dulde,
Eh ich ihre Schmach bejammre.

Clotald. Wenn dir kund ist, Sigismund,
Wie solch Unglück dich belaste,
Daß du, nach dem Schluß des Himmels,
Ehe du geboren, starbest;
Wenn dir kund ist, diese Fessel
Sei ein Zügel, aufzuhalten
Deines Hochmuts Raserei,
Sie zu hemmen, eine Schranke.
Wozu dieses Prahlen? (Zur Wache.) Eilet,
In den Kerker ihn zu schaffen,
Und verschließt das Thor.

Sigismund (indem man ihn abführt). O Himmel,
Weise war's, daß du mir nahmest
Meine Freiheit; denn ich würde
Wider dich sonst zum Giganten,
Und, der Sonne zu zertrümmern
Diese Spiegel und Kristalle,
Türmt' ich auf den Felsengrund
Mächt'ge Berg' empor von Jaspis.

Clotald. Eben, daß du nicht sie türmest,
Ward vielleicht dir solche Plage.

Man bringt Sigismund in den Turm und verschließt das Thor.

Rosaura (zu Clotald). Da ich sehe, daß der Stolz
So dich aufbringt, fleh' ich zagend
Nur in Demut um mein Leben,
Das zu deinen Füßen schmachtet.
Uebe Mitleid gegen mich;
Denn zu strenge wirst du handeln,
Finden, Herr, vor deinen Augen
Weder Stolz noch Demut Gnade.

Clarin. Und wenn weder Stolz noch Demut
Dich bewegen – Personagen,
Die in geistlichen Komödien
Tausendmal zur Rührung zwangen –:
So will ich, der weder Demut
Hat, noch Stolz, nur eingeschachtelt
Zwischen beiden, dich ersuchen,
Daß du Schutz und Hilf' uns schaffest.

Clotald. Holla!

Soldaten.         Herr?

Clotald.                     Entwaffnet beide
Und verhüllt zugleich ihr Antlitz,
Daß sie nicht, von wo und wie
Man hinweg sie führt, gewahren.

Rosaura (zu Clotald). Hier mein Degen; denn ich kann
Dir allein ihn überlassen,
Weil du unter allen diesen
Scheinst der erste. Minderm Ansehn
Gibt er nicht sich unterthan.

Clarin. Meiner gibt sich, unbeschadet,
Auch dem Schlechtsten hin; da nehmt. (Er gibt seinen Degen einem Soldaten.)

Rosaura. Wenn ich sterben muß, so lass' ich,
Im Vertraun auf deine Huld,
Dir ein Pfand, nicht klein zu achten,
Um des willen, dem es ehmals
Angehört. Es zu bewahren,
Sei dir Pflicht; denn, kenn' ich gleich
Sein Verborgnes nicht, doch ahn' ich,
Daß mit diesem goldnen Schwerte
Sich ein groß Geheimnis gattet,
Weil ich, ihm allein vertrauend,
Kam nach Polen, um empfangnen
Schimpf zu rächen.

Clotald (den Degen betrachtend, für sich). Heil'ger Himmel!
Was ist dieses? Wie belasten
Mich Entsetzen und Verwirrung,
Kummer, Angst und bittre Qualen!
(Zu Rosaura.) Sprich, wer gab es dir?

Rosaura.                                                     Ein Weib.

Clotald. Und ihr Name?

Rosaura.                         Nicht verraten
Darf ich ihn.

Clotald.               Allein woher
Kannst du wissen oder ahnen,
Ein Geheimnis haft' am Schwert?

Rosaura. Die es mir gegeben, sagte:
Geh nach Polen; und durch Kunst,
Klugheit und Gewandtheit mache,
Daß die Edelsten und Größten
Dort dich sehn mit dieser Waffe;
Denn ich weiß, daß ihrer einer
Gunst und Schutz dir wird gestatten;
Doch weil er vielleicht gestorben,
So verschweig' ich seinen Namen.

Clotald (für sich). Hilf mir, Himmel! Was vernehm' ich?
Noch nicht weiß ich mir zu sagen,
Ob ich vor den Augen hier
Täuschung oder Wahrheit habe.
Dieses Schwert ist's, das ich einst
Ließ der schönen Violante
Als ein Zeichen, wer es trüge,
Solle mich in jeder Lage
Liebend finden, als mein Sohn,
Und ihn schützend, als sein Vater.
Was beginn' ich nun (weh mir!)
In so arg verworrnem Falle,
Wenn, der einst es trug zum Schutz,
Jetzt es trägt als Todesgabe?
Denn zum Tode schon verurteilt,
Naht er meinen Füßen. Hartes
Schicksal! Traurige Verwirrung!
Ungewisses Los voll Wanken!
Dieser ist mein Sohn; die Zeichen
Sagen's wohl, auch offenbart es
Mir mein Herz; denn, ihn zu sehn,
Klopft es an die Brust und flattert
Mit den Flügeln, und die Schlösser
Zu erbrechen nicht im stande,
Thut's, wie ein Gefangner thut,
Welcher, Lärmen auf der Gasse
Hörend, an das Fenster eilet:
So das Herz, weil's nicht erfahren,
Was geschieht, und Lärmen hört,
Eilt's, den Augen sich zu nahen,
Welche Fenster sind der Brust,
Sich durch Thränen Ausgang bahnend.
Was beginn' ich? Hilf mir, Himmel!
Was beginn' ich? Zum Monarchen
Ihn geleiten, heißt, zum Tod
Ihn geleiten (weh mir Armen!),
Weil, dem König ihn zu bergen,
Nicht mein Lehenseid gestattet.
Selbstlieb' hält von einer Seite,
Dienertreue von der andern
Mich gefesselt. Doch was zweifl' ich?
Treue gegen den Monarchen,
Geht sie nicht vor Ehr' und Leben?
Jene leb', und diese fallen!
Ueberdies bemerkt' ich eben,
Daß er sprach, er komm', um Rache
Für empfangnen Schimpf zu üben.
Ein beschimpfter Mensch trägt Schande,
Ist mein Sohn nicht, ist mein Sohn nicht,
Führt nicht meines Blutes Adel. –
Aber wie? Wenn nun ein Unfall
Ihn betraf, vor dem zu wahren
Keiner sich vermag? Der Ehre
Stoff ist freilich ein so zarter,
Daß ein Blick sie schon erschüttert,
Daß ein Lufthauch sie bemakelt.
Was vermag er mehr, was mehr,
Er, geschmückt mit eignem Adel,
Als, mit Wagnis der Gefahr,
Hier zu suchen, was ihm mangelt?
's ist mein Sohn, mein Blut ist in ihm,
Weil ihn solcher Mut durchmannet.
So, in dieser Zweifel Mitte,
Wähl' ich dieses, dem Monarchen
Ihn, als meinen Sohn, zu bringen,
Daß er mit dem Tod' ihn strafe.
Denn vielleicht wird dieser Eifer
Meiner Ehr' ihm Gnade schaffen;
Und wenn ich sein Leben rette,
Dann verhelf' ich ihm zur Rache
Seiner Schmach. Doch, wenn der König,
Bei der Strenge fest beharrend,
Ihm den Tod gibt, sterb' er dann,
Unbewußt, ich sei sein Vater. (Zu Rosaura und Clarin.)
Folget mir, ihr beiden Fremden!
Fürchtet nicht, es mög' euch mangeln
An Genossen eures Unglücks;
Denn ich selbst, in solchem Schwanken
Zwischen Tod und Leben, weiß nicht,
Welches schwerer sei zu tragen. (Alle gehen ab.)

 


 
Freier Platz vor dem königlichen Schlosse.

Kriegsmusik. Von der einen Seite erscheint Astolf mit Soldaten, von der andern Estrella mit ihren Damen.

Astolf (Estrella begrüßend).
Bei dem Anblick dieser hellen
Strahlen, gleichend den Kometen,
Hört Ihr sich zum Gruß gesellen
Hier die Trommeln und Trommeten,
Dort die Vögel und die Quellen.
Eifer zeigt sich überall,
Euerm Götterreiz zu dienen;
Und sie sind, bei gleichen. Schall,
Die, gefiederte Clarinen,
Jene, Vögel von Metall.
Und so grüßen Euch, Señora,
Als Monarchin die Kartaunen,
Muntre Vögel als Aurora,
Als Minerva Kriegsposaunen
Und der Blumen Schar als Flora.
Denn Aurora, siegbewußt,
Seid Ihr, die den Tag verdunkelt,
Flora bei des Friedens Lust,
Pallas, wo der Kampfstahl funkelt,
Und Monarchin meiner Brust.

Estrella. Soll des Menschen Wort sich fügen
Nach den Thaten, die man schaut,
So erscheint als leeres Trügen
Eurer Worte Schmeichellaut;
Denn es strafet dort Euch Lügen
Jene kriegrische Trophäe.
Nicht daß sie den Mut mir störe;
Doch es stimmt, wie ich's verstehe,
Nicht das Schmeicheln, das ich höre,
Zu der Rauheit, die ich sehe.
Und bemerkt: so niedre That
Kann dem Wilde nur gebühren;
Trug gebiert es und Verrat,
Schmeichelei'n im Munde führen,
Wenn man Mord im Herzen hat.

Astolf. Fürstin, schlecht seid Ihr belehrt,
Da Ihr meine Höflichkeiten
Fälschlich mit Verdacht beschwert;
Doch, wenn ich mich ganz erklärt,
Werdet Ihr nicht länger streiten.
Fürst Eustorg, bei seinem Sterben,
Ließ für Polens Diadem
Seinen Sohn Basil zum Erben
Und zwei Töchter außerdem,
Unsre Mütter. Nicht verderben
Will ich Euch die Zeit durch jene
Müß'gen Dinge. Clorilene,
Die anjetzt auf höherm Throne
Schmückt ihr Haupt mit einer Krone
Von Gestirnen, wie ich wähne,
War die ältre; sie gebar
Euch, Estrella. Recisunde,
So die zweite Tochter war,
Brachte mich; auf diesem Runde
Weile sie noch manches Jahr!
Moskaus Herzog, ihrem Gatten,
Ward ich Erbe; umzukehren
Mögt Ihr jetzo mir gestatten.
Fürst Basil, der sich vom schweren
Druck der Jahre fühlt ermatten
Und in seinem ganzen Leben
Mehr der Wissenschaft ergeben,
Als den Fraun, hat keinen Sohn;
Daher wir auf seinen Thron
Unsern Anspruch beid' erheben.
Ihr führt an für Euch, daß Ihr
Seid der ältern Schwester Kind;
Aber gab das Leben mir
Gleich die jüngre, so gewinnt
Doch der Mann den Vorzug hier.
Euern Anspruch und den meinen
Legten wir dem Oheim vor,
Der, bedacht, uns zu vereinen,
Diesen Tag uns auserkor,
Um vor ihm hier zu erscheinen.
Schnell von Moskau abgegangen,
Eilt' ich seinem Wunsch entgegen
Und bin hier, mit dem Verlangen,
Nicht den Krieg Euch zu erregen,
Nein, von Euch ihn zu empfangen.
O daß Amors Weisheit gebe,
Daß des Volks prophet'sche Meinung
Noch Erfüllung hier erlebe,
Und daß friedliche Vereinung
Euch zur Königin erhebe,
Doch auf meines Herzens Throne:
Gibt, als schuldigen Tribut,
Euch der Oheim seine Krone,
Siegstrophäen Euer Mut
Und mein Herz sich selbst zum Lohne.

Estrella. Bei so edelmüt'gem Streben
Bleibt mein Herz nicht gern zurück;
Auf den Thron mich zu erheben,
Wäre mir nur darum Glück,
Um ihn Euch zu übergeben.
Doch, mir Undank zu bereiten,
Fühl' ich freilich keine Lust;
Denn mit Euern Artigkeiten
Scheint dies Bild an Eurer Brust,
Wie ich fürchten muß, zu streiten.

Astolf. Völlig sollt Ihr Gnüg' empfahn,
Hoff' ich; doch der Instrumente
Lautes Tönen zeigt uns an,
Daß mit seinem Parlamente
Sich der König werde nahn.

Kriegsmusik. König Basilius tritt auf nebst Gefolge.

Estrella (den König begrüßend).
Du, gleich Thales,

Astolf (ebenso).             Gleich Eukliden,

Estrella. Der den Sonnen,

Astolf.                               Der den Sternen,

Estrella. Stark als Herrscher,

Astolf.                                     Mild im Frieden,

Estrella. Licht und Strahlen,

Astolf.                                   Bahn und Fernen,

Estrella. Hat gemessen,

Astolf.                           Hat beschieden,

Estrella. Laß, mit innigem Erwarmen,

Astolf. Laß, mit zärtlichem Umarmen,

Estrella. Mich an dir, als Epheu, hangen.

Astolf. Deine Füße mich umfangen.

Basilius. Kinder, naht euch meinen Armen!
Und weil ihr, mit treuem Streben,
Euch beeifert, gern und willig
Meinem Wunsche nachzuleben,
Werd' ich, gegen beide billig,
Keinem Grund zur Klage geben.
Und so, da ich schon der Jahre
Ueberläst'gen Druck erfahre,
Bitt' ich nur um Schweigen hier;
Denn bestaunen werdet ihr,
Was ich jetzt euch offenbare.
Kund ist euch – seid aufmerksam,
Vielgeliebte Schwesterkinder,
Sehr erlauchter Hof von Polen,
Vettern, Freunde, Lehendiener –
Kund ist euch, daß ich den Namen
Des Gelehrten durch mein Wissen
In der Welt mir hab' erworben,
Da, die Macht der Zeit besiegend,
Mich die Pinsel der Timanthe,
Mich die Marmor der Lysippe
Längst schon auf dem Erdenrunde
Als Basil den Großen priesen.
Kund ist euch, ich treib' und schätze
Ueber alles andre Wissen
Höhere Mathematik,
Durch die ich der Zeit entwinde,
Durch die ich dem Ruf entreiße
Das Geschäft und Amt, hienieden
Jeden Tag uns mehr zu lehren;
Denn, wann in den Hieroglyphen
Meiner Tafeln ich der Zukunft
Wandlungen vor mir erblicke,
Raub' ich leicht der Zeit den Vorzug,
Was ich sagte, zu berichten.
Jene Kreise dort von Schnee,
Die kristallnen Baldachine,
Von der Sonne Strahl erleuchtet,
Durch des Mondes Bahn geschieden,
Jene diamantnen Kugeln,
Jene gläsernen Bezirke,
Ausgeschmückt mit goldnen Sternen
Und durchstreift von Himmelsbildern,
Sie sind meiner Lebenszeit
Größtes Forschen, Bücher sind sie,
Wo auf diamantne Blätter
Und auf Bogen von Saphiren
Mit bestimmten Charakteren
Unsre Schickungen der Himmel
Niederschreibt in goldnen Zeilen,
So die günst'gen als die schlimmen.
Diese les' ich also rasch,
Daß ich ihrem schnellen Fliegen
Durch all' ihre Weg' und Bahnen
Folge mit des Geistes Blicken.
Wenn's dem Himmel doch gefallen,
Eh mein Scharfsinn seinen Schriften
Mußt' als Kommentar und seinen
Blättern als Register dienen,
Daß mein Leben seines Zornes
Ersten Anfall hätt' erlitten,
Und daß dort geschrieben ständen
Meines Lebens Trauerspiele!
Denn dem Unglücksel'gen werden
Ja zum Messer selbst Verdienste;
Und sein eigner Mörder ist,
Wer sich schadet durch sein Wissen.
Ich kann's sagen, und noch besser
Sagt es euch, was ich erlitten,
Welches staunend zu vernehmen
Ich nochmals um Schweigen bitte.
Clorilene, meine Gattin,
Kam mit einem Sohne nieder,
Des Geburt an Wunderzeichen
Zu erschöpfen schien den Himmel.
Noch bevor ihn das lebend'ge
Grab des Leibes an des Lichtes
Klarheit übergab (denn gleich
Sind Geburt und Tod hienieden),
Sah unzählig oft die Mutter,
In des Traumes aberwitz'gen
Phantasien, ein Ungeheuer
Menschlicher Gestalt mit wilder
Kühnheit ihren Schoß durchbrechen
Und, als menschgewordne Viper
Des Jahrhunderts, mit der Mutter
Blut gefärbt, den Tod ihr bringen.
Wohl erfüllten sich die Zeichen
An dem Tage des Entbindens;
Denn die böse Vorbedeutung
Lüget selten oder nimmer.
Dieses war sein Horoskop,
Daß die Sonne, blutigtriefend,
Einen Zweikampf mit dem Mond
Unternahm im höchsten Grimme;
Und, getrennt durch unsern Erdball,
Kämpften diese zwei Gestirne,
Da sie nicht sich fassen konnten,
Mit der vollen Kraft des Lichtes.
Keine größere Verfinstrung
Hat die Sonne je erlitten,
Keine schauderhaftre, seit
Sie mit Blut beweint des Mittlers
Grausen Tod. Lebend'ge Flammen
Strömten auf die Erde nieder,
Welche zagte, daß den letzten
Todeskrampf sie schon erlitte.
Es erbebten die Gebäude,
Düstre Nacht umfing die Himmel,
Steine regneten die Wolken,
Blutig sah man Ströme fließen.
Während so die Sonn' in grausen
Krämpfen lag, im Wahnsinnsfieber,
Ward geboren Sigismund,
Der, zum Zeichen seines Sinnes,
Tötete sogleich die Mutter,
Sagend durch die That des Grimmes:
Ich bin Mensch; deshalb, für Gutes
Böses zu verleihn, beginn' ich.
Meine Wissenschaft befragend,
Sah ich klar aus allem diesen,
Der verwegenste der Menschen
Sei in Sigismund erschienen,
Der grausamste der Monarchen,
Der Despoten freventlichster,
Und durch ihn werd' einst sein Reich,
Uneins, von Partein zerrissen,
Zur Akademie der Laster,
Zur Verräterschule dienen;
Ja, er werde, zwischen Greueln
Und Verbrechen, wutgetrieben,
Auf mich setzen seinen Fuß,
Und ich werde mich erblicken
(Ha, mit welcher Scham erzähl' ich's!)
Ueberwunden vor ihm knieend,
Also, daß mein graues Haar
Seinem Fuß zum Teppich diene.
Wer nicht glaubt gar leicht Gefahren,
Die zumal, die höhres Wissen
Ihm entdeckt, wo sich ins Spiel
Eigenliebe pflegt zu mischen?
Ich nun, trauend jener harten
Prophezeiung des Geschickes,
Die so gräßliche Gefahren
Mir wahrsagerisch berichtet,
Ich beschloß, das kaum geborne
Ungeheuer einzuschließen,
Um zu sehen, ob ein Weiser
Nicht den Sternen mag gebieten.
Man verbreitete, der Prinz sei
Tot geboren. Schon errichtet
War ein Turm, aus weiser Vorsicht,
In den Felsen, in den Klippen
Des Gebirges, wo die Sonne
Selber kaum den Zugang findet,
Weil ihr jeden Weg versperren
Seine rauhen Obelisken.
Jene harten Strafgesetze,
Welche bei der fürchterlichsten
Ahndung jedem untersagen,
Zu betreten des Gebirges
Abgeschloßne Gegend, gründen
Sich auf das, was ich berichtet.
Dort lebt Sigismund sein Leben,
Elend, arm, in Kerkerstiefen,
Wo ihn keiner, als Clotald,
Jemals sprach, umgab, erblickte.
Seines Elends einz'ger Zeuge,
Hat in Wissenschaften dieser
Und in des kathol'schen Glaubens
Heil'ger Lehr' ihn unterrichtet. –
Dreierlei sei hier bedacht:
Erstlich, Polen, warst du immer
Mir so teuer, daß ich gern
Dich der Herrschaft eines Prinzen,
Der Tyrann ist, möcht' entreißen;
Denn der ist kein Fürst der Milde,
Der sein Vaterland, sein Reich
Solchem Unheil überließe.
Ferner muß erwogen sein,
Ob ich darf, nach Christenliebe,
Meinem Blut das Recht entwenden,
Das ihm einmal die Gerichte
Gottes und der Menschen gaben;
Da doch kein Gesetz gebietet,
Daß, um andre der Bedrückung
Eines Wütrichs zu entgehen,
Ich es selbst sei; und ich wär' es,
Wenn die Tyrannei des Prinzen,
Daß er Frevel nicht begehe,
Nun mich selbst zu Freveln triebe.
Endlich überlege man
Drittens noch, wie sehr ich irrte,
So leichtgläubig zu vertrauen
Den vorausgesehnen Dingen;
Denn obwohl sein innrer Hang
Zum Verderben ihn bestimmte,
Kann er doch ihm widerstehn:
Weil die sprödesten Geschicke,
Das unbändigste Gelüste,
Die feindseligsten Gestirne
Immer nur den Willen lenken,
Aber zwingen nicht den Willen.
Und so, zwischen diesen Gründen
Schwankend noch und unentschieden,
Dacht' ich mir ein Mittel aus,
Das euch wird zum Staunen bringen.
Morgen lass' ich Sigismund
(Dieser Nam' ist ihm verliehen),
Ohne daß er sich als meinen
Sohn und euern König wisse,
Meinen Thron und meinen Stuhl,
Meinen ganzen Platz besitzen,
Wo er euch beherrsch' und ordne,
Wo ihr alle sollt in tiefer
Demut ihm Gehorsam schwören;
Denn ich denke durch dies Mittel
Dreierlei, entsprechend jenen
Obgedachten drei, zu wirken.
Erstlich: wenn Prinz Sigismund,
Weise, klug, gerecht und milde,
Lügen straft die Prophezeiung,
Die ihm schuld gab solche Dinge,
Dann sollt euern angestammten
König ihr in ihm besitzen,
Der ein Höfling war des Berges
Und ein Nachbar wilder Tiere.
Zweitens aber: sollt' er doch,
Stolz, verwegen, eigenwillig,
Grausam, mit verhängtem Zügel
Seiner Laster Bahn durchfliegen,
Dann werd' ich gewissenhaft
Thun, was mir die Pflicht gebietet,
Und, als unbesiegter König,
Schnell das Zepter ihm entwinden;
Denn die Rückkehr in den Kerker
Ist nicht grausam, sondern billig.
Drittens nun: zeigt sich der Prinz
Wirklich so verkehrtes Sinnes,
Dann, Vasallen, werd' ich andre
Herrscher euch verleihn, aus Liebe,
Würdiger des Throns und Zepters,
Nämlich meine Schwesterkinder,
Die, wenn ihrer beider Rechte
Erst zu einem sich verbinden
Durch das heil'ge Band der Ehe,
Dann empfahn, was sie verdienen.
Dieses nun, als Fürst, befehl' ich,
Dieses nun, als Vater, will ich,
Dieses nun, als Weiser, rat' ich,
Dieses nun, als Greis, bestimm' ich;
Und wenn Spaniens Seneca
Sagt', ein König sei der niedre
Sklave seiner Republik,
Will ich dies, als Sklav', erbitten.

Astolf. Wenn die Antwort mir gebührt
Als dem, der bei diesen Dingen
Wohl am meisten ist beteiligt,
Fordr' ich hier, im Namen dieser,
Sigismunds Erscheinung; g'nug ist's,
Daß wir deinen Sohn ihn wissen.

Alle. Unsern Prinzen gib uns her!
Er sei König und Gebieter!

Basilius. Dank und Achtung heischt, Vasallen,
Dieser eur geneigter Wille.
Führet nun die beiden Stützen
Meines Reichs nach ihren Zimmern;
Morgen werdet ihr ihn sehn.

Alle. Lebe, großer Fürst Basilius!

Alle, bis auf den König, gehen ab, Estrella und Astolf begleitend.

Clotald tritt auf, mit Rosaura und Clarin.

Clotald (zum König). Darf ich nahen?

Basilius.                                             Ha, Clotald!
Sei willkommen mir, wie immer.

Clotald. Sollt' ich, deinen Füßen nahend,
Gleich mich dir willkommen wissen,
Diesmal dennoch bricht, o Herr!
Des Geschicks feindsel'ger Wille
Dem Gesetz sein gutes Recht,
Ihren Brauch der alten Sitte.

Basilius. Was geschah dir?

Clotald.                               Herr, ein Unglück
Hab' ich unverhofft erlitten,
Könnt' ich wohl in ihm zugleich
Meine größte Freud' erblicken.

Basilius. Weiter!

Clotald.               Dieser schöne Jüngling,
Tollkühn oder unvorsichtig,
Nahte jenem Turme, Herr,
Und erblickte dort den Prinzen;
Und nun . . .

Basilius.             Seid getrost, Clotald.
Freilich würd' es mich verdrießen,
Wär's zu andrer Zeit geschehn;
Doch nun mag er's immer wissen,
Denn schon kund ist das Geheimnis,
Und ich selber hab's vernichtet.
Kommt hernach zu mir; ich muß
Euch von vielem unterrichten,
Viel auch sollt Ihr thun für mich.
Denn Ihr werdet, sollt Ihr wissen,
Werkzeug sein der größten Handlung,
So die Welt jemals erblickte. –
Die Gefangnen hier, auf daß
Ihr nicht sorgen mögt, ich richte
Eur Vergehn zu scharf, begnad ich. (ab.)

Clotald. Heil dir, großer Fürst, auf immer!
(Für sich.) Zwar mein Schicksal mildert sich;
Doch, daß er mein Sohn ist, will ich,
Da ich's meiden kann, nicht sagen.
(Laut.) Nun, ihr beiden fremden Pilger,
Ihr seid frei.

Rosaura.             Herr, tausend Küsse
Deinen Füßen!

Clarin.                     Tausend Bisse!
Denn nicht wichtig unter Freunden
Ist ein Buchstab mehr und minder.

Rosaura. Herr, das Leben gabst du mir;
Und es dir in Rechnung bringend,
Werd' ich nun auf ew'ge Zeiten
Ganz dein Sklave sein.

Clotald.                               Mit nichten
War, was ich dir gab, ein Leben;
Denn ein Mann voll edelm Sinne,
Wenn man ihn beschimpft, nicht lebt er.
Kamst du nun, um für erlittnen
Schimpfes Unbill dich zu rächen,
Wie du selber mir berichtet,
So gab ich kein Leben dir,
Eben weil du keins besitzest;
Denn ein ehrlos Leben ist keins.
(Beiseite.) Das muß seinen Mut beschwingen.

Rosaura. Ob ich's gleich von dir empfange,
Weiß ich, daß ich's nicht besitze.
Doch so strahlend soll durch Rache
Werden meiner Ehre Schimmer,
Daß mein Leben alsobald,
Furchtlos mit Gefahren ringend,
Könn' als deine Gab' erscheinen.

Clotald (ihr den Degen zurückgebend).
Nimm den blanken Degen wieder,
Den du trugest; wohl, ich weiß es,
Gnüget er, vom Blute triefend
Deines Feindes, dich zu rächen.
Denn ein Schwert, das mein war (diese
Zeit durch, sag' ich, diese Weile,
Da es meine Hände hielten),
Weiß zu rächen.

Rosaura.                   Auf dein Wort
Nehm' ich diesen Degen wieder;
Und auf ihm nun schwör' ich Rache,
Wär' auch er, der mich beschimpfte,
Noch viel mächt'ger.

Clotald.                             Ist er mächtig?

Rosaura. So sehr, daß es dir verschwiegen
Bleibe; nicht, weil ich auch Größers
Deiner Klugheit nicht verriete:
Nur, damit ich deine Gunst,
Die ich ehr' in dieser Milde,
Nicht verlieren mag.

Clotald.                           Es sagen,
Würde leichter mich gewinnen;
Denn dies hemmte mir den Weg,
Hilfe deinem Feind zu bringen.
(Beiseite.) Wüßt' ich doch nur, wer es ist!

Rosaura. Wohl; daß du nicht denkst, ich hielte
Für so wertlos dein Vertrauen,
So vernimm denn: kein Geringrer,
Als Astolf, der Fürst von Moskau,
Ist mein Feind.

Clotald (beiseite).     Mich überwindet
Dieser Schmerz; er ist viel größer,
Sichtbar nun, als eingebildet.
Tiefer auf den Grund der Sache!
(Laut.) Bist du denn ein Moskowite
Von Geburt, so konnte kaum
Dich dein Landesherr beschimpfen.
Geh zurück ins Vaterland;
Dämpfe deinen Feuerwillen,
Der dich stürzen muß

Rosaura.                             Ich weiß,
Ja, er konnte mich beschimpfen,
War er gleich mein Fürst.

Clotald.                                   Nein, sag' ich;
Wenn auch seine Hand (o Himmel!)
Frech dein Angesicht berührte.

Rosaura. Größer war die Last des Schimpfes.

Clotald. Sag' ihn mir; denn etwas Aergers,
Als ich fürchte, sagst du nimmer.

Rosaura. Sagen möcht' ich's; doch ich muß
So voll Ehrfurcht auf dich blicken,
So voll Innigkeit dir huld'gen,
So voll Hochachtung dir dienen,
Daß ich bebe, dir zu sagen,
Dies Gewand, das du erblickest,
Sei ein Rätsel, weil es dem
Nicht gehört, der's trägt. Nun richte,
Wenn ich nicht bin, was ich scheine,
Und Astolf sich will verbinden
Mit Estrella, ob er kann
Mich beleid'gen. Gnug verriet ich. (Ab mit Clarin.)

Clotald. Höre, warte doch, verweile! –
Welch verworrnes Irrgewinde,
Dessen Faden die Vernunft
Selber nicht vermag zu finden!
Tief gekränkt ist mir die Ehre,
Mächtig ist, der uns beschimpfte,
Ich Vasall und sie ein Weib.
Zeig' uns einen Weg der Himmel!
Doch ich weiß nicht, ob er's kann,
Wenn in dieses Irrsals Tiefen
Mir der Himmel wird zum Rätsel
Und die Welt zum Schreckensbilde.


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