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Ein Dschungelstreich

Es kam selten vor, daß Tarzan vor Langerweile nicht wußte, was er mit seiner Zeit anfangen sollte. Selbst wenn alles sich wiederholt, kann doch keine Eintönigkeit aufkommen, sofern die Wiederholung darin besteht, dem Tode erst in der einen und dann in der anderen Form auszuweichen oder darin, andere zu Tode zu bringen. In einem solchen Dasein findet sich Würze genug. Aber Affentarzan entwickelte auch dabei noch allerlei verschiedene Spielarten eigener Erfindung.

Er war nun voll ausgewachsen, bewegte sich mit der Anmut eines griechischen Gottes, besaß Sehnen wie ein Stier und hätte nun, nach allem Herkommen der Affensippe sauertöpfisch, mürrisch und verschlossen sein müssen, war es aber nicht. Seine Laune schien nicht zu altern – er war zum Mißbehagen seiner äffischen Genossen immer noch ein spielfrohes Kind. Sie konnten ihn und sein Wesen nicht verstehen, denn sie selbst vergaßen mit der Reife alsbald die Jugend und deren Spiele. Ebensowenig konnte sie Tarzan ganz verstehen. Es kam ihm merkwürdig vor, daß er erst vor wenigen Monaten Taugs Fuß mit der Schlinge gefangen und diesen dann schreiend durch das hohe Dschungelgras geschleppt hatte, bis der junge Affe sich befreite und mit ihm in gutgelauntem Kampfspiel herumrollte. Und als er heute an denselben Taug von hinten herangeschlichen war und ihn rücklings über den Rasen gezogen hatte, hatte sich anstelle des spielenden jungen Affen eine große, knurrende Bestie herumgeworfen und war ihm an die Kehle gefahren.

Tarzan entwischte mit Leichtigkeit dem Angriff, und Taugs Ärger legte sich alsbald, ohne aber der früheren Spiellust wieder Platz zu machen. Der Affenmensch merkte, daß Taug weder Lust an Unterhaltung hatte noch selbst unterhaltend war. Der mächtige Affenbulle schien jeden Sinn für Humor, den er einst besessen hatte, eingebüßt zu haben. Mit einem enttäuschten Knurren wendete sich der junge Lord Greystoke anderen Beschäftigungen zu. Eine schwarze Haarsträhne fiel ihm über ein Auge. Mit einer Bewegung der Hand und einem Zucken des Kopfes warf er sie zurück. Der Zwischenfall gab ihm etwas zu tun. Er suchte seinen Köcher, der in der Höhlung eines vom Blitz gespaltenen Baumstammes verborgen war, nahm die Pfeile heraus, drehte den Köcher um und leerte den Inhalt – seine paar Kostbarkeiten – auf den Boden. Ein flaches Stück Stein und eine Muschelschale, die er an der Bucht bei seines Vaters Hütte aufgelesen hatte, waren dabei.

Mit großer Sorgfalt rieb er die Kante der Schale auf dem flachen Stein hin und her, bis die weiche Kante ganz dünn und scharf war. Ganz wie ein Barbier das Rasiermesser abzieht und anscheinend mit ganz ähnlichen Handgriffen verfuhr er dabei. Aber seine Geschicklichkeit war der Erfolg jahrelanger peinlicher Bemühung. Ohne Belehrung ganz aus sich selbst heraus hatte er eine Methode gefunden, seiner Schale eine Schneide zu geben – er prüfte ihre Schärfe sogar am Daumenballen! – und als die Schärfe seinen Ansprüchen genügte, packte er die Haarsträhne, die ihm über die Augen fiel, mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand und sägte solange mit seiner geschärften Schale daran, bis sie abgeschnitten war. So verfuhr er rund um seinen ganzen Haarschopf, bis dieser zu einer Art wirrer Ponyfrisur gestutzt war. Um das Aussehen kümmerte er sich dabei wenig, aber in bezug auf Sicherheit und Bequemlichkeit war die Sache wichtig genug. Eine zur Unzeit über die Augen fallende Locke konnte zwischen Leben und Tod entscheiden, während die langen über den Rücken hängenden Strähnen unbequem waren, besonders wenn Tau, Regen oder Schweiß sie anfeuchtete.

Während Tarzan seine Haarschneidearbeit ausführte, beschäftigte sich sein regsames Gehirn mit vielen Dingen. Er erinnerte sich seines jüngsten Kampfes mit einem Gorilla, dessen Wunden eben erst geheilt waren. Er grübelte über die seltsamen Abenteuer seiner ersten Träume nach und belächelte den schmerzhaften Ausgang seines letzten handgreiflichen, an der Horde geübten Scherzes, als er, in die Haut des Löwen Numa gehüllt, brüllend unter sie getreten war, worauf die großen Bullen, die er gelehrt hatte, wie sie sich vor den Angriffen ihres Erbfeindes zu schützen hätten, sich auf ihn gestürzt und ihn beinahe zu Tode gebracht hätten.

Inzwischen hatte er seine Haare zufriedenstellend gekürzt. Da Tarzan keine Möglichkeit sah, in der Gesellschaft der Affen seine Unterhaltung zu finden, schwang er sich in die Bäume hinaus und nahm den Weg nach seiner Hütte. Aber unterwegs wurde seine Aufmerksamkeit durch eine starke von Norden kommende Witterung abgelenkt. Es war der Geruch von Gomanganis.

Neugierde, das höchstentwickelte gemeinsame Erbteil von Mensch und Affe, bestimmte Tarzan jedesmal, wenn die Gomangani in Frage kamen, zu näherer Untersuchung. Sie hatten etwas an sich, das seine Einbildungskraft anregte. Möglicherweise war es die Verschiedenartigkeit ihrer Beschäftigungen und Interessen. Die Affen lebten nur, um zu essen, zu schlafen und sich fortzupflanzen. Dasselbe ließ sich von allen anderen Bewohnern der Dschungel sagen außer von den Gomangani. Diese schwarzen Gesellen tanzten und sangen, kratzten in der Erde, die sie sorgfältig von Bäumen und Unterholz befreit hatten, beobachteten die dann herauswachsenden Dinge, und schnitten sie beim Reifwerden ab, um sie in ihre strohgedeckten Hütten zu bringen. Sie fertigten Bogen, Speere, Pfeile, bereiteten Gift und machten sich Kochtöpfe und Gegenstände aus Metall, die sie um Arme und Beine trugen. Wenn ihre schwarzen Gesichter, ihre häßlichen, verstümmelten Gesichter nicht gewesen wären, und wenn nicht einer davon Kala getötet hätte, würde sich Tarzan gewünscht haben, einer der ihren zu sein. Wenigstens dachte er manchmal so, aber gleich darauf erhob sich in ihm immer ein merkwürdiges Gefühl des Abscheus, das er weder verstehen noch erklären konnte – er wußte nur, daß er die Gomangani haßte und daß er lieber Histah, die Schlange, als einer von ihnen sein wollte.

Aber ihre Sitten waren bemerkenswert, und Tarzan wurde nie müde, sie zu belauern, obgleich sein Hauptbestreben dabei stets war, einen neuen Weg zu finden, der ihr Leben elend machen konnte. Das Peinigen der Schwarzen war Tarzans Hauptzerstreuung.

Tarzan fand, daß die Schwarzen sehr nahe und in großer Zahl waren, darum ging er lautlos und mit größter Vorsicht weiter. Geräuschlos bewegte er sich durch das üppige Gras der offenen Flächen und schwang sich an den dichteren Stellen des Waldes von einem schwankenden Ast zum anderen oder er schnellte sich gewandt über die dichten verwachsenen Massen gestürzter Bäume, wo kein Weg über die unteren Äste zu finden und der Boden überwuchert und ungangbar war.

Er bekam bald die schwarzen Krieger des Häuptlings Mbonga in Sicht. Sie befaßten sich mit einer Arbeit, die Tarzan mehr oder weniger bereits kannte, da er ihr bei mehr als einer Gelegenheit zugesehen hatte. Sie stellten eine Lockfalle für Numa, den Löwen, auf. In einem auf Rädern stehenden Käfig banden sie ein Zicklein so an, daß Numa beim Ergreifen des armen Geschöpfes die Käfigtüre hinter sich zum Fallen brachte und dadurch gefangen war.

Diese Dinge hatten die Schwarzen in ihrer alten Heimat gelernt, ehe sie durch die jungfräuliche Dschungel sich nach dem Platze ihres neuen Dorfes flüchteten. Früher hatten sie im Belgisch-Kongo gelebt, bis sie die Grausamkeiten herzloser Unterdrücker gezwungen hatten, jenseits der Grenzen von Leopolds Domäne die Sicherheit noch unerforschter Einsamkeit aufzusuchen.

In ihrem früheren Leben dort hatten sie oft für die Agenten europäischer Händler wilde Tiere in Fallen gefangen und dabei von jenen allerlei Kunstgriffe gelehrt bekommen, wie diesen einen, der ihnen ermöglichte, Numa unverletzt gefangen zu nehmen und ihn sicher und verhältnismäßig leicht nach ihrem Dorfe zu schaffen. Sie fanden zwar jetzt für ihre wilde Ware keinen weißen Markt mehr, aber es bestand immer noch genügender Anreiz, Numa lebendig zu fangen. Erstlich bestand die Notwendigkeit, die Dschungel von menschenfressenden Tieren zu säubern, und nur nach Plünderungen durch solche grimmigen, schrecklichen Plagegeister wurde eine Löwenjagd organisiert. Der zweite Beweggrund war die Veranstaltung einer zur Orgie werdenden Feier, wenn die Jagd erfolgreich war, und die Tatsache, daß dabei ein Lebewesen zu Tode gebracht werden konnte, machte ihnen solche Feste doppelt erfreulich.

Tarzan hatte schon früher diese grausamen Gebräuche mit angesehen. Selbst viel wilder als die wildesten Krieger der Gomangani, war er über ihre Grausamkeit nicht so entsetzt, als er hätte sein sollen, aber er fühlte sich doch davon abgestoßen. Obgleich er Numa nicht liebte, sträubten sich ihm doch vor Grimm alle Haare, wenn die Schwarzen ihrem Feinde solchen Schimpf und solche Grausamkeiten antaten, wie sie nur der Verstand des Menschen ersinnen kann.

Schon bei zwei Gelegenheiten hatte er Numa aus der Falle befreit, ehe die Schwarzen zurückgekehrt waren, um sich über Erfolg oder Fehlschlag ihres Versuches zu unterrichten. Heute würde er das wieder tun – sobald er die Absicht der Schwarzen erkannt hatte, faßte er diesen Entschluß.

Die Krieger ließen die Falle in der Nähe der Wasserstelle auf der breiten Elefantenfährte stehen und begaben sich zu ihrem Dorfe zurück. Am nächsten Morgen würden sie wiederkommen. Tarzan sah ihnen mit einem ihm selbst unbewußten Nasenrümpfen, dem Erbteil seiner von ihm selbst ungeahnten Rasse, nach. Er sah sie im Gänsemarsch abziehen, wie sie unter dem überhängenden Grün belaubter Zweige und verschlungener und girlandenartiger Schlingpflanzen hindurchpassierten, während sie mit ihren ebenholzfarbenen Schultern die prächtigen Blumen streiften, die eine unergründliche Natur an den Stellen am üppigsten gedeihen läßt, die menschlichen Augen am seltensten zu Gesicht kommen.

Durch die zusammengekniffenen Lider spähte Tarzan, bis der letzte der Krieger hinter einer Krümmung der Fährte verschwand, dann änderte sich sein Gesichtsausdruck unter dem Aufkeimen eines neuen Gedankens. Ein schwaches, grimmiges Lächeln trat auf seine Lippen. Er blickte auf das erschreckte, meckernde Zicklein herab, das in seiner Angst und Unschuld seinen Aufenthaltsort und seine Hilflosigkeit noch verriet.

Tarzan ließ sich auf den Boden fallen, ging zu der Falle und trat hinein. Ohne das Grasseil, das im rechten Augenblick das Tor fallen lasten sollte, zu berühren, machte er den lebenden Köder los, nahm ihn unter den Arm und ging aus der Falle.

Mit seinem Jagdmesser brachte er das erschrockene Geschöpf zur Ruhe, indem er ihm den Hals durchschnitt, dann schleifte er es noch blutend die Fährte bis zur Wasserstelle entlang, während immer das halbe Lächeln auf seinem gewöhnlich ernsten Gesicht schwebte. Am Ufer des Wassers bückte sich der Affenmensch und entfernte mit Jagdmesser und geschickten starken Fingern flink die Eingeweide des toten Zickleins. Er kratzte im Schlamm ein Loch, vergrub diese Teile, die er nicht aß, warf den Körper auf die Schulter und schwang sich auf die Bäume hinauf.

Kurze Zeit verfolgte er seinen Weg in den Fußtapfen der Krieger, dann vergrub er das Fleisch seiner Beute, um es vor Plünderung durch Dango, die Hyäne, oder die anderen fleischfressenden Vierfüßler und Vögel der Dschungel zu bewahren. Er war zwar sehr hungrig. Wäre er nichts weiter als nur ein Tier gewesen, dann hätte er sich jetzt an sein Mahl gemacht. Aber sein Menschengehirn konnte noch dringendere Vorhaben als die Ansprüche des Magens beherbergen, und im Augenblick war er voll und ganz mit einem Gedanken beschäftigt, der das Lächeln auf seinen Lippen hielt und seine Augen vor lauter Vorfreude funkeln ließ. Ein Gedanke war es, der ihn sogar seinen Hunger vergessen ließ.

Sobald Tarzan sein Fleisch sicher verborgen hatte, trabte er hinter den Gomangani her, die Elefantenfährte entlang. Zwei oder drei Meilen von dem Käfig entfernt erreichte er sie wieder, schwang sich auf die Bäume und wartete – sich über und hinter ihnen haltend – bis die günstige Gelegenheit kam.

Unter den Schwarzen befand sich Rabba Kega, der Zauberer. Tarzan haßte sie alle, aber diesen Rabba Kega haßte er ganz besonders. Während die Schwarzen auf dem gewundenen Pfade weiterzogen, blieb der müde und faul gewordene Rabba Kega etwas zurück. Tarzan bemerkte das mit größter Genugtuung – seine ganze Person strahlte nun vor grimmiger und grausiger Zufriedenheit. Wie der Engel des Todes schwebte er über dem ahnungslosen Schwarzen.

Rabba Kega wußte zwar, daß das Dorf schon nahe war, aber er setzte sich noch einmal zum Ausruhen hin. Ruhe sanft, o Rabba Kega! Es ist deine letzte Gelegenheit dazu.

Tarzan stahl sich auf den Zweigen der Bäume bis über den wohlgenährten, selbstzufriedenen Zauberer. Er machte kein Geräusch, das die harthörigen Ohren eines Menschen außer dem Rauschen des sanften Dschungellüftchens im Laubwerk der untersten Zweige hätten vernehmen können. Als er dicht über dem Neger war, hielt er, durch dichtbelaubte Zweige und Schlingpflanzen wohl verborgen, an.

Rabba Kega saß mit dem Rücken an den Stamm eines Baumes gelehnt und hielt das Gesicht Tarzan zugekehrt. Seine Stellung war nicht so günstig, wie sie sich das lauernde beutelüsterne Geschöpf wünschte. Deshalb kauerte der Affenmensch regungslos und still wie ein gemeißeltes Standbild oben, bis die Frucht zum Pflücken reif wurde. Ein giftiges Insekt kam mit bösartigem Summen durch die Luft angebrummt. In Kreisen zog es dicht vor Tarzans Gesicht umher. Tarzan sah es und erkannte es. Das Gift seines Stachels bedeutete für kleinere Wesen als ihn den Tod, für ihn dagegen tagelange Qualen. Er rührte sich nicht. Seine glitzernden Augen blieben weiter auf Rabba Kega geheftet, nachdem sie mit einem einzigen Blick das Erscheinen der geflügelten Marter festgestellt hatten. Er hörte und verfolgte die Bewegungen des Insekts mit seinen scharfen Ohren, dann fühlte er, wie es sich auf seine Stirn setzte. Keiner seiner Muskeln zuckte, denn bei Geschöpfen, wie er war, sind die Muskeln die Diener des Gehirns. Das schreckliche Tier krabbelte ihm über das Gesicht, über Nase, Lippen und Kinn. Auf der Kehle hielt es an, machte Kehrt und ging wieder zurück. Tarzan bewachte immer noch Rabba Kega. Nicht einmal seine Augen bewegten sich. So regungslos hockte er da, daß nur der vollendete Tod seiner Bewegungslosigkeit gleichkommen konnte. Das Insekt kletterte über seine braune Wange hinauf und hielt an, während es mit den Fühlern an den Wimpern des Unterlides spielte. Wir wären zurückgefahren, hätten die Augen geschlossen und nach dem Tier geschlagen; denn wir sind Sklave, nicht Herr unserer Nerven. Selbst wenn das Geschöpf auf den Augapfel des Affenmenschen geklettert wäre, läßt sich denken, daß er hätte die Augen offen und starr halten können; aber das Tier kroch nicht weiter. Einen Augenblick blieb es nahe am Unterlid sitzen, dann flog es auf und summte davon.

Hinunter zu Rabba Kega wandte sich das Insekt, der Schwarze hörte es, sah es, schlug danach und erhielt einen Stich in die Wange, ehe er es töten konnte. Dann erhob sich dieser mit einem ärgerlichen Schmerzgeheul, aber als er sich der Fährte nach dem Dorfe des Häuptlings Mbonga zuwandte, entblößte er dem schweigsam über ihm lauernden Ding feinen breiten, schwarzen Rücken.

Als nun Rabba Kega herumfuhr, sauste eine schlanke Gestalt aus dem Baume oben heraus auf seine breiten Schultern herab. Die Wucht der auf ihn springenden Person schlug Rabba Kega zu Boden. Er fühlte, wie sich starke Zähne in seinen Nacken schlugen, und als er zu schreien versuchte, würgten ihm stählerne Finger die Kehle zu. Der kräftige schwarze Krieger suchte sich freizumachen, aber unter dem Griff seines Gegners war er wie ein Kind.

Tarzan lockerte seinen Griff um des andern Hals gleich wieder, aber sobald Rabba Kega zu schreien versuchte, würgten ihn die grausamen Finger ohne Gnade. Schließlich ließ es der Schwarze sein. Darauf erhob sich Tarzan halb und kniete auf dem Rücken seines Opfers, aber als Rabba Kega sich aufrichten wollte, drückte ihm Tarzan das Gesicht in den Schmutz der Fährte. Mit dem Stück Strick, das die Ziege festgehalten hatte, band Tarzan Rabba Kega die Hände fest auf den Rücken, dann stand er auf, riß seinen Gefangenen auf die Füße, stellte ihn mit dem Gesicht nach der Fährte und stieß ihn vorwärts.

Erst als er wieder auf seine Füße gestellt wurde, konnte Rabba Kega einen richtigen Blick auf seinen Angreifer tun. Als er sah, daß es der weiße Teufelsgott war, sank ihm aller Mut, und seine Knie begannen zu zittern. Aber als er vor seinem Besieger die Fährte immer weiter entlang gehen mußte, ohne daß er verletzt oder gepeinigt wurde, schöpfte er langsam wieder Mut. Möglicherweise wollte ihn der Teufelsgott nachher gar nicht töten. Hatte er nicht den kleinen Tibo wochenlang in seiner Gewalt gehabt, ohne ihm etwas zu tun, und hatte er nicht Momaya, Tibos Mutter, verschont, trotzdem er sie so leicht hätte töten können?

Aber nun kamen sie an den Käfig, den Rabba Kega mit den anderen schwarzen Kriegern vom Dorfe des Häuptlings Mbonga aufgestellt und mit dem Köder versehen hatte. Rabba Kega sah, daß die Lockspeise verschwunden war, obgleich weder ein Löwe im Käfig saß, noch auch die Türe gefallen war. Er sah das mit Erstaunen, und nicht ganz ohne dunkle Vorahnung. Sein dummer Schädel sagte sich, daß diese Verquickung von Umständen irgendwie mit seiner Anwesenheit als Gefangener des Teufelsgottes in einem Zusammenhang stehen müsse.

Er täuschte sich auch nicht, denn Tarzan stieß ihn rauh in den Käfig hinein, und im gleichen Augenblick verstand Rabba Kega die ganze Sache. Aus jeder Pore seines Körpers drang der kalte Schweiß – wie im Fieber schüttelte er sich – denn der Affenmensch band ihn sorgfältig an derselben Stelle fest, die vor ihm das Zicklein eingenommen hatte. Der Zauberer bettelte erst um sein Leben, dann um einen weniger grausamen Tod, aber er hätte ebensogut sein Flehen für Numa aufheben können, denn sie waren auch jetzt schon nur an ein wildes Tier gerichtet, das kein Wort von dem verstand, was er sagte.

Aber da sein dauerndes Gejammer Tarzan, der stets schweigend arbeitete, nicht nur ärgerte, sondern auch vermuten ließ, daß der Schwarze seine Stimme nachher zu Hilferufen erheben könnte, trat er aus dem Käfig, pflückte eine Handvoll Gräser und einen kleinen Stock und stopfte, in den Käfig zurückgekehrt, das Gras in Rabba Kegas Mund, klemmte ihm den Stock quer zwischen die Zähne und band ihn mit der Schnur von Rabba Kegas Lendentuch fest. Nun konnte der Zauberer nur noch mit den Augen rollen und schwitzen.

Und dabei ließ ihn Tarzan.

Der Affenmensch begab sich zunächst wieder an den Fleck, wo er den Körper des Zickleins verborgen hatte. Er grub ihn aus, kletterte auf einen Baum und ging an die Befriedigung seines Hungers. Den übrigbleibenden Rest vergrub er wieder. Dann schwang er sich durch die Bäume nach dem Wasserloch und ging zu der Stelle, an welcher zwischen zwei Felsen frisches, kaltes Wasser hervorsprudelte. Dort nahm er einen tiefen Trunk. Mochten die übrigen Tiere hineinwaten und stehendes Wasser trinken, Affentarzan liebte das nicht. In solchen Sachen war er wählerisch. Er wusch sich jede Spur der widerlichen Witterung des Gomangani von den Händen. Dann erhob und streckte er sich, selbst einer riesigen, behaglich trägen Katze nicht unähnlich, kletterte auf den nächsten Baum und schlief ein.

Als er wieder erwachte, war es bereits dunkel, obgleich noch schwaches Leuchten den Himmel im Westen rötete. Ein Löwe rohrte und hustete, während er durch die Dschungel zur Wasserstelle schritt. Er näherte sich der gewöhnten Tränke. Tarzan grinste schläfrig, änderte seine Lage etwas und schlief wieder ein.

Als die Schwarzen des Häuptlings Mbonga ihr Dorf erreichten, entdeckten sie, daß Rabba Kega nicht unter ihnen war. Nachdem einige Stunden verstrichen waren, sagten sie sich, daß ihm etwas zugestoßen sein müsse, und die Mehrzahl der Stammesangehörigen hegte die stille Hoffnung, daß, was ihm auch immer zugestoßen sein sollte, der Ausgang tödlich sein möge. Sie liebten den Zauberer alle nicht; Liebe und Furcht sind selten Genossen; aber ein Dorfgenosse ist ein Dorfgenosse, daher schickte Mbonga eine Abteilung nach ihm auf die Suche. Daß sein eigener Kummer nicht untröstlich war, ging aus der Tatsache hervor, daß er selbst zu Hause blieb und sich schlafen legte. Die jungen Krieger, bis er ausgeschickt hatte, blieben ihrem Auftrag eine volle Stunde lang getreu, bis zum Unglück für Rabba Kega – von solchen Geringfügigkeiten kann das Geschick eines Menschen abhängen – ein Honigvogel die Aufmerksamkeit der Suchabteilung ablenkte und sie an den Ort des köstlichen, süßen Speichers führte, den er eben verraten hatte.

Damit war Rabba Kegas Schicksal besiegelt.

Als die Sucher ohne ihn heimkamen, stellte sich Mbonga wütend; aber sein Zorn legte sich, als er sah, welche Menge Honig sie mitgebracht hatten. Übrigens praktizierte bereits Tubuto, ein junger, gewandter Krieger von schlechtem Charakter, an einem kranken Kinde in der Hoffnung, Rabba Kegas Amt und seine Zaubergeräte sich aneignen zu können. Heute nacht würden die Weiber des alten Zauberers jammern und heulen, morgen würde er vergessen sein. So geht es mit dem Leben, mit dem Ruhme, mit der Macht, im höchstzivilisierten Zentrum der Welt wie in den Tiefen der schwarzen Urwalddschungel. Immer und überall bleibt der Mensch ein Mensch und er hat sich unter seinem äußeren Firnis wenig geändert seit den sechs Millionen Jahren, als er noch zwischen zwei Felsen in ein Loch schlüpfte, um dem Tyrannosaurus zu entgehen.

Am Morgen nach Rabba Kegas Verschwinden zogen die Krieger unter dem Häuptling Mbonga aus, um die für Numa aufgestellte Falle nachzusehen. Schon lange, ehe sie den Käfig erreichten, hörten sie das Brüllen eines großen Löwen und errieten, daß sie einen guten Fang gemacht hatten. Daher näherten sie sich mit freudigem Jauchzen der Stelle, an welcher sie ihren Gefangenen finden mußten.

Ja! da war er. Ein großes, prächtiges Exemplar – ein ungeheurer, schwarzmähniger Löwe. Sie machten Luftsprünge und stießen wilde Schreie – heisere Siegesschreie aus. Vor Entzücken waren die Krieger wie wahnsinnig. Dann kamen sie näher und – die Schreie erstarben ihnen auf den Lippen, ihre Augen wurden so groß, daß man rund um die Iris das Weiße sah, während ihre heruntergezogenen Lippen mit den herunterfallenden Unterkiefern noch tiefer hingen. Entsetzt wichen sie vor dem im Käfig sich bietenden Anblick zurück – drinnen lag die zermalmte und verstümmelte Leiche dessen, der gestern noch Rabba Kega, der Zauberer, gewesen war.

Der gefangene Löwe war zu zornig und erschreckt gewesen, um den Körper seines Opfers zu fressen, aber er hatte seinen Grimm so daran ausgelassen, daß es fürchterlich anzuschauen war.

Affentarzan, Lord Greystoke, sah aus der Nähe von einem Baume auf die schwarzen Krieger herab und lachte. Endlich war sein Selbstvertrauen in seine Fähigkeit als gewandter Scherzmacher wieder hergestellt. Seit den schmerzhaften Quetschungen, die er damals davongetragen hatte, als er mit dem Fell Numas angetan unter Kerschaks Affen gesprungen war, hatte dieses Talent einige Zeit still gelegen. Aber dieser neue Streich war entschieden ein Erfolg.

Nach einigen Augenblicken des Schauders traten die Schwarzen näher an den Käfig heran, denn Furcht machte der Wut Platz – der Wut und der Neugierde. Wie kam Rabba Kega in den Käfig? Wo war das Zicklein? Von dem ursprünglich als Köder bestimmten Tier war keine Spur mehr zu sehen. Sie sahen schärfer hin und bemerkten zu ihrem Entsetzen, daß der Körper ihres toten Gefährten mit demselben Strick gebunden war, mit dem sie die Ziege festgemacht hatten. Wer konnte das getan haben? Sie sahen einander an.

Tubuto war der erste, der das Wort ergriff. Er war diesen Morgen hoffnungsvoll mit zu der Unternehmung ausgezogen. Vielleicht ließ sich irgendwo ein Anzeichen von Rabba Kegas Tod finden. Nun war er gefunden, und er war der erste, Erklärung dafür zu geben.

Der weiße Teufelsgott, flüsterte er. Es ist das Werk des weißen Teufelsgottes.

Keiner widersprach Tubuto, denn wer konnte es denn in der Tat weiter gewesen sein, als der große, unbehaarte Affe, den sie alle so fürchteten? Und so bekam ihr Haß gegen Tarzan wieder neuen Zuwachs, aber zusammen mit einer Vergrößerung ihrer Furcht vor ihm. Tarzan aber saß oben auf seinem Baume und schüttelte sich vor Lachen.

Kein einziger fühlte wegen Rabba Kegas Tod Trauer, aber jeder der Schwarzen empfand persönliche Furcht vor jenem erfinderischen Geist, der für jeden von ihnen eine ebenso schreckliche Todesart aussinnen konnte, wie sie der Zauberer hatte erdulden müssen. Eine gedemütigte und recht nachdenkliche Gesellschaft war es, die den gefangenen Löwen auf der breiten Elefantenfährte zum Dorfe des Häuptlings Mbonga schleppte. Mit einem Seufzer der Erleichterung rollten sie endlich den Käfig in das Dorf und schlossen hinter sich die Tore. Jeder von ihnen hatte, seit sie den Fleck, auf dem der Käfig gestanden hatte, verließen, das Gefühl, als ob sie beobachtet würden, obgleich keiner von ihnen etwas gehört oder gesehen hatte, das ihrer Angst hätte greifbare Nahrung geben können.

Beim Anblick der Leiche im Löwenkäfig stimmten die Weiber und Kinder eine fürchterliche Wehklage an und arbeiteten sich dabei in eine vergnügliche Hysterie hinein, welche die unterhaltende Niedergeschlagenheit weit übertraf, die manche ihrer zivilisierten Vorbilder sich dadurch verschafften, daß sie ihre Zeit zwischen den Lichtspielen und den Leichenbegängnissen von Bekannten und Unbekannten – besonders von Unbekannten – aus der Nachbarschaft teilen. Von einem die Palisaden überragenden Baume aus übersah Tarzan alles, was im Dorfe vorging. Er sah, wie die sich wie irrsinnig gebärdenden Weiber den großen Löwen mit Steinen und Stöcken peinigten. Die Grausamkeit der Schwarzen gegen wehrlose Gefangene erzeugte stets in Tarzan ein Gefühl zorniger Verachtung für die Gomangani. Er würde es schwierig gefunden haben, dies Gefühl zu erklären, denn Zeit seines Lebens war er an den Anblick von Leiden und Grausamkeit gewöhnt. Er war ja selbst grausam. Alle Dschungeltiere waren grausam; aber die Grausamkeit der Schwarzen war ganz anderer Art. Die ihrige war jene Grausamkeit, die wollüstig die Wehrlosen martert, während die Grausamkeit Tarzans und der Tiere um ihn die der Notwendigkeit oder der Leidenschaft war. Tarzan fühlte sich dabei einzig als Angehöriger einer Affenhorde, als Sohn einer Äffin.

Derweil wuchs im gleichen Maße wie sein Grimm gegen die Gomangani sein rauhes Mitgefühl für Numa, den Löwen, denn obgleich Numa das Leben lang sein Feind blieb, fühlte Tarzan gegen ihn doch weder Bitternis noch Verachtung. Deshalb gewann in dem ganz auf sich selbst angewiesenen und von keiner Zivilisation angeleiteten Affenmenschen der Entschluß, die Schwarzen zu enttäuschen und Numa zu befreien, feste Gestalt. Aber er mußte die Ausführung in eine Form bringen, die den Gomangani den größtmöglichsten Ärger und stärkstes Mißbehagen verursachte.

Während er so hockte und die Vorgänge unten bewachte, sah er, wie die Krieger an den Käfig nochmals Hand anlegten und ihn zwischen zwei Hütten hineinschoben. Tarzan wußte nun, daß er bis zum Abend dort stehen bleiben würde und daß die Schwarzen ein Festessen und eine Tanzorgie zur Verherrlichung ihres Fanges planten. Als er vollends sah, daß zwei Krieger am Käfig aufgestellt wurden, und daß diese die Weiber, Kinder und jungen Leute wegtrieben, die vermutlich Numa gleich zu Tode gequält haben würden, wußte er, daß der Löwe sicher war, bis er zur Unterhaltung gebraucht wurde, bei der er dann auf grausamere und genau ausgeklügelte Methode zur Erbauung des versammelten Stammes zu Tode gepeinigt werden sollte.

Nun legte Tarzan großen Wert darauf, die Neger in so theatralischer Weise, wie sie sein erfindsames Gehirn nur ausdenken konnte, zu hetzen. Er besaß schon so halb und halb einen Begriff von ihrer abergläubischen Furcht und besonders vor ihrem Schauder vor der Nacht, und darum beschloß er, zu warten, bis es dunkel war und bis sich die Schwarzen mit ihren Tänzen und religiösen Gebräuchen in die richtige hysterische Stimmung gebracht hatten. Er hoffte, daß ihm inzwischen eine angemessene Idee kommen werde. Und er brauchte nicht allzulange darüber nachzudenken.

Während er sich auf der Jagd nach Nahrung durch die Dschungel schwang, kam ihm der Plan. Erst lächelte er nur und sah zweifelnd drein, denn ihm blieb noch eine recht lebhafte Erinnerung an den wenig erbaulichen Schluß, den ihm die Ausführung einer ebenso wunderschönen Idee in fast denselben Gedankengängen gebracht hatte. Aber trotzdem konnte er sich von diesem Plane nicht losreißen, bis er einen Augenblick später seinen Hunger ganz vergaß und sich in mittlerer Höhe der Bäume rasch nach den Jagdrevieren von Kerschaks, des großen Affen, Horde dahin schwang.

Gewohnheitsmäßig landete er mitten unter dem kleinen Trupp, ohne seine Ankunft anders wie durch einen wilden Schrei anzumelden, gerade als er von einem überhängenden Zweige zu ihnen heruntersprang. Zum Glück leiden die Arten, zu denen Kerschaks Affen gehören, nicht an Herzfehlern, denn Tarzans Handlungsweise verursachte ihnen ein über das andere Mal einen schweren Nervenschock, und sie konnten sich nie und nimmer an seine eigenartige Form von Humor gewöhnen.

Als sie nun wieder gesehen hatten, wer es war, knurrten und schnarrten sie nur für einen Augenblick ärgerlich, dann nahmen sie wieder ihr Äsen oder ihr Schläfchen auf, je nachdem, worin sie gestört worden waren. Er hatte wieder seinen kleinen Scherz gemacht und begab sich zu dem hohlen Baume, in dem er seine Schätze vor den neugierigen Augen und Fingern seiner Gefährten und der nichtsnutzigen kleinen Manus verbarg. Er zog eine fest zusammengerollte Haut heraus. Numas Fell mit dem Kopfe daran: ein artiges Stück primitiver Gerberei und Ausstopfung, das einst Eigentum des Zauberers Rabba Kega gewesen war, ehe es Tarzan aus dem Dorfe gestohlen hatte.

Dieses Fell nahm er mit sich durch die Dschungel nach dem Dorfe der Schwarzen und machte unterwegs Halt, um etwas zu jagen und zu essen und im Laufe des Nachmittags ein Stündchen zu schlafen, so daß er gerade bei eintretender Dunkelheit wieder den großen Baum über der Palisade bestieg, der ihm einen Überblick über das ganze Dorf gestattete. Er sah, daß Numa noch am Leben war und daß die zwei Wächter neben dem Käfig schliefen. Ein Löwe ist für die im Löwengebiet lebenden Schwarzen keine große Neuigkeit, und als ihrem scharfen Verlangen, das Tier zu quälen, die Spitze abgebrochen war, schenkten die Dorfbewohner der großen Katze wenig oder keine Aufmerksamkeit mehr und sparten sich lieber alles für das große Abendereignis auf.

Gar nicht lange nach Einbruch der Dunkelheit begann denn auch die Feier. Unter dem Schlagen der Tam-Tams sprang ein einzelner Krieger ganz gebückt in den feuerbeschienenen großen Kreis der übrigen Krieger, hinter denen die Weiber und Kinder standen oder saßen. Der Tänzer trug die für eine Jagd übliche Bemalung und Bewaffnung, und seine Bewegungen und Gesten spielten die Suche nach einer Wildfährte vor. Tief heruntergebeugt, manchmal auf einem Knie, suchte er den Boden nach Spuren der Beute ab; dann stand er wieder balancierend wie eine Statue und lauschte. Der Krieger war jung, schlank und anmutig; dazu war er muskulös und pfeilgerade gewachsen. Der Feuerschein glänzte auf seinem schwarzen Körper und hob die grotesken Zeichnungen auf Gesicht, Brust und Leib kühn hervor.

Jetzt bog er sich tief zur Erde hinab, dann sprang er mit einem Satze hoch in die Luft. Jeder Zug des Gesichtes, jeder Muskel des Körpers deutete an, daß er die Spur gefunden hatte. Er sprang ohne Pause zu dem ihn umringenden Kreis der Krieger, teilte ihnen seine Entdeckung mit und forderte sie zur Jagd auf. Alles geschah mimisch, aber in so guter Darstellung, daß Tarzan ihr bis in die kleinste Kleinigkeit folgen konnte.

Er sah, wie die übrigen Krieger ihre Jagdspeere ergriffen, auf die Füße sprangen und sich dem anmutigen, sich dahinstehlenden »Pirschgang«-Tanz anschlossen. Das war äußerst sehenswert. Aber Tarzan wußte, wenn er seinen Plan zum erfolgreichen Abschluß bringen wollte, dann mußte er jetzt schnell handeln. Er hatte diese Tänze schon früher mit angesehen und wußte, daß nach dem Beschleichen das »Wild gestellt« und dann »Halali« kam, währenddessen Numa von den Kriegern so umgeben war, daß er nicht mehr an ihn herankommen konnte.

Mit dem Löwenfell unter dem Arme sprang der Affenmensch in den dichten Schatten unter dem Baume herab und im Bogen hinter den Hütten entlang, bis er gerade hinter den Käfig kam, in welchem Numa ruhelos hin und her schritt. Der Käfig war jetzt unbewacht, denn die beiden Krieger hatten sich fortgemacht, um ihren Platz unter den übrigen Tänzern einzunehmen.

Hinter dem Löwenkäfig legte Tarzan das Löwenfell an, gerade wie er es bei jener denkwürdigen Gelegenheit gemacht hatte, als Kerschaks Affen, die seine Verkleidung nicht durchschauten, ihn beinahe erschlagen hätten. Dann kroch er auf allen Vieren vorwärts, tauchte zwischen den beiden Hütten auf und stand einige Schritte hinter den schwarzen Zuschauern, deren ganze Aufmerksamkeit sich auf die Tänzer vor ihnen richtete.

Tarzan sah, daß sich die Schwarzen inzwischen in genügende nervöse Erregung hineingebracht hatten, um für den Löwen reif zu sein. Im nächsten Augenblick würde sich die dem gefangenen Löwen zunächst befindliche Seite des Ringes öffnen und das Opfer würde in die Mitte des Kreises gerollt werden. Auf diesen Augenblick wartete Tarzan.

Endlich kam er. Auf ein vom Häuptling Mbonga gegebenes Zeichen erhoben sich die Weiber und Kinder unmittelbar vor Tarzan und traten zur Seite, einen breiten Zugang zu dem Löwenkäfig öffnend. Im selben Augenblick ließ Tarzan das leise, hustende Brüllen eines zornigen Löwen hören und schlich langsam durch die offene Lücke auf die verzückten Tänzer zu.

Ein Weib sah ihn zuerst und schrie laut auf. Im Nu entstand in der unmittelbaren Nähe des Affenmenschen eine Panik. Der helle Feuerschein beleuchtete voll das Haupt des Löwen und die Schwarzen schlossen – wie das Tarzan vorhergesehen hatte – sofort, daß ihr Gefangener aus seinem Käfig ausgebrochen sei.

Mit erneutem Brüllen rückte Tarzan vor. Die tanzenden Krieger hielten nur einen Augenblick stand. Sie hatten einen sicher im starken Käfig aufbewahrten Löwen zu jagen geglaubt, aber nun, da er in Freiheit unter ihnen stand, sah die Sache ganz anders aus. Auf diese Wendung waren ihre Nerven nicht gefaßt. Die Weiber und Kinder hatten bereits die fragwürdige Sicherheit der nächsten Hütten aufgesucht, und die Krieger bedachten sich nicht lange, ihrem Beispiel zu folgen, so daß sich Tarzan plötzlich im alleinigen Besitze der Dorfstraße fand.

Aber das dauerte nicht lange, und es hätte ihm auch nicht in seinen Plan gepaßt, lange so allein gelassen zu werden. Schon lugte ein Kopf aus einer nahegelegenen Hütte hervor, dann noch einer und noch einer, bis ein Dutzend oder mehr Krieger nach ihm Ausschau hielten und auf seine nächste Bewegung warteten – ob der Löwe angreifen oder den Versuch zur Flucht aus dem Dorfe machen würde.

Für beide Fälle, Angriff oder Versuch zum Ausbrechen zur Freiheit, hielten sie nun ihre Sperre bereit, da erhob sich der Löwe aufrecht auf die Hinterpranken, ließ das lohfarbene Fell von den Schultern fallen, und im Feuerschein stand die hochgewachsene, jugendliche Gestalt des weißen Teufelsgottes.

Für kurze Zeit waren die Schwarzen zu bestürzt zum Handeln. Sie fürchteten diese Erscheinung ebensosehr wie Numa, doch hätten sie mit Freude das Geschöpf getötet, wenn sie nur ihr bißchen Verstand hätten rasch genug wieder zusammenbringen können. Aber Furcht, Aberglaube und angeborene geistige Schwerfälligkeit hielten sie gelähmt, während sich der Affenmensch bückte und sein Löwenfell aufnahm. Sie sahen, wie er sich umdrehte und in den Schatten am anderen Ende des Dorfes verschwand. Erst dann sammelten sie Mut, um ihn zu verfolgen; aber als sie sich speerschwingend und mit lauten Kriegsrufen in genügender Anzahl gesammelt hatten, war die Beute fort.

Tarzan hielt sich nicht einen Augenblick auf dem Baume auf. Er warf das Fell über einen Ast, sprang auf der anderen Seite des Baumstammes wieder in das Dorf hinab, tauchte in den Schatten einer Hütte und rannte von da rasch zu dem eingekerkerten Löwen. Mit einem Satze war er auf dem Käfig und zog an dem Strick, der das Tor in die Höhe hob. Einen Augenblick später sprang ein riesiger Löwe in der Blüte seiner Kraft und Stärke heraus in das Dorf.

Die von der vergeblichen Verfolgung Tarzans zurückkommenden Krieger sahen ihn in den Feuerschein heraustreten. Ah! da war ja der Teufelsgott wieder und suchte seinen alten Streich noch einmal zu spielen. Dachte er etwa, er könne zweimal die Leute des Häuptlings Mbonga zum Narren halten, zweimal so kurz nacheinander? Diesmal wollten sie es ihm aber zeigen! Lange genug hatten sie auf eine Gelegenheit gewartet, sich für immer von diesem furchtbaren Dschungeldämon zu befreien. Wie ein Mann warfen sie sich ihm mit erhobenen Speeren entgegen.

Die Weiber und Kinder kamen aus den Hütten, um die Tötung des Teufelsgottes mitanzusehen. Der Löwe richtete erst seine funkelnden Augen auf sie, dann stürzte er sich auf die anrückenden Krieger.

Mit wilden Freudenrufen und mit Triumphgeschrei kamen sie ihm entgegen und bedrohten ihn mit den Speeren. Der Teufelsgott konnte ihnen nicht mehr entkommen!

Aber Numa, der Löwe, sprang sie nun mit fürchterlichem Brüllen an.

Des Häuptlings Mbonga Leute begegneten ihm mit vorgehaltenen Speeren und höhnischen Rufen. In einer zusammengeballten Mauer schwarzer Muskeln ließen sie den Teufelsgott herankommen, doch unter ihrem tapferen Äußeren saß eine gruselnde Furcht, daß womöglich doch nicht alles richtig war – vielleicht erwies sich dieses merkwürdige Geschöpf als unverwundbar für ihre Waffen und würde sie für ihre beleidigende Kühnheit hart bestrafen. Der anspringende Löwe war eigentlich viel zu lebenswahr – das sahen sie schon in dem kurzen Augenblick seines Ansehens. Aber sie wußten ja, daß unter dem gelben Fell das weiche Fleisch eines weißen Mannes steckte, und wie sollte das dem Angriff so vieler Sperre standhalten?

In vorderster Front stand ein ungeheurer junger Krieger in der ganzen Anmaßung seiner Kraft und Jugend. Sich fürchten? Er nicht! Er lachte, als Numa auf ihn herunterkam, lachte, schwang seinen Speer und richtete die Spitze auf die breite Brust, da war der Löwe schon auf ihm. Eine riesige Pranke schlug den schweren Kriegsspeer zur Seite, der wie ein dürrer Zweig in der Hand eines Menschen zersplitterte.

Ein zweiter Schlag streckte den Schwarzen mit zerschmettertem Schädel zu Boden. Und nun war Numa mitten unter den Kriegern, nach rechts und links schlagend und zerreißend. Dem konnten sie nicht lange standhalten; ein volles Dutzend von ihnen lag zermalmt, ehe sich die übrigen vor den fürchterlichen Pranken und glitzernden Fängen retten konnten.

In ihrer Angst flohen die Dorfbewohner dahin und dorthin. Keine Hütte schien mehr sichere Freistatt zu bieten, solange Numa innerhalb der Palisade weilte. Von einer zur anderen flüchteten die entsetzten Schwarzen, während Numa funkelnden Auges über seinen Opfern stand und knurrte.

Zuletzt riß einer vom Stamme das Dorftor auf und suchte sich auf den Zweigen der Bäume im Wald in Sicherheit zu bringen. Wie die Schafe folgten ihm die anderen, bis der Löwe und die Toten allein noch im Dorfe verblieben.

Von den nächsten Bäumen aus sahen Mbongas Leute, wie der Löwe das mächtige Haupt senkte, eines seiner Opfer an der Schulter packte, langsamen, majestätischen Schrittes die Dorfstraße hinabging und durch das Tor in der Dschungel verschwand. Sie sahen es mit Schauder. Affentarzan auf einem anderen Baume sah es mit Lächeln.

Erst eine volle Stunde, nachdem der Löwe mit seinem Mahle verschwunden war, wagten die Schwarzen ihre Bäume zu verlassen und ihr Dorf wieder zu betreten. Die weitaufgerissenen Augen rollten hin und her, und mehr der Schauer der Furcht als der Schauer der kühlen Dschungelnacht zog ihnen den nackten Körper zusammen.

Er war es selbst die ganze Zeit über, murmelte einer. Es war der Teufelsgott!

Er verwandelte sich von einem Löwen in einen Menschen und wieder zurück in einen Löwen, flüsterte ein anderer.

Und er schleppte Mweeza in den Wald und frißt ihn jetzt, sagte schaudernd ein dritter.

Wir sind hier nicht mehr sicher, jammerte ein vierter. Laßt uns unsere Sachen packen und uns weit von den Zaubergründen des bösen Teufelsgottes ein neues Dorf bauen.

Aber mit dem Tage kam neuer Mut, so daß die Ereignisse des vergangenen Abends weiter keine Wirkung hatten, als daß sie die Furcht der Neger vor Tarzan erhöhten und ihren Glauben an seine übernatürliche Herkunft bestärkten.

Und also wuchs der Ruf und die Macht des Affenmenschen in den geheimnisvollen Gebieten der wilden Dschungel, in denen er das mächtigste aller Geschöpfe blieb, weil wacher Verstand seine riesigen Muskeln und seinen makellosen Mut leitete.


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