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Aus »Deutsches Kunstblatt«. 1850. 2. Septbr. u. f.
Wenige Gegenden Italiens möchten an den Wänden ihrer Bauernhäuser und Dorfkirchen eine solche Menge von Fresken des XIV. und XV. Jahrhunderts aufzuweisen haben, wie der Kanton Tessin, wo man auf einem Raum von wenigen Quadratmeilen gegen hundert Gebäude mit Fragmenten dieser Art aufzählen könnte. Nicht nur dem Umbau, sondern auch der Übermalung ist verhältnismäßig sehr vieles entgangen. Das meiste ist bei der Milde des Himmelsstriches (welche das Klima der lombardischen Ebene übertrifft) leidlich und sogar gut erhalten. Weit entfernt, diese großenteils unbedeutenden, obwohl nicht gerade ungeschickten Malereien mit Inhalts- und Ortsbestimmung in die Kunstgeschichte einführen zu wollen, glaube ich doch, daß dieselben ein merkwürdiges Faktum beweisen helfen.
Die mailändische Malerei von 1300 bis etwa 1450 erscheint nämlich hier als fast gänzlich unberührt 168 vom Einfluß Giottos, als eine besondere Äußerung des idealistischen, germanischen Stiles, wobei man stellenweise auf sienische, oberdeutsche u. a. Anklänge zu treffen glaubt. In dem sehr regelmäßigen Oval der Köpfe, in der überaus einfachen Gewandung, in der bloß andeutungsweisen Behandlung manches einzelnen, welche über die illuminierte Umrißzeichnung nicht weit hinaus geht, lebt hier ein früher, wenig ausgebildeter Typus lange fast unverändert fort; einzelne rituell gewordene Bestandteile, wie z. B. das starre, teppichartige Gewand des an keiner alten Dorfkirche fehlenden St. Cristoph, sind sogar noch byzantinisch, während glücklicherweise der Madonnentypus zur vollen germanischen Lieblichkeit durchgedrungen ist. Die ganze primitive Einfachheit dieses Stiles zeigt sich selbst noch in einer Madonna mit Donator an der Kirche San Bartolommeo in Giubiasco, welche nach den Schriftzügen des Spruchbandes kaum lange vor 1500 gemalt sein möchte. Freilich handelt es sich hier um einen zurückgebliebenen Provinzialmaler, der indes doch hinter seinen mailändischen Zeitgenossen Foppa, Zenale, Borgognone kaum so weit zurückstand, als diese hinter den gleichzeitigen Florentinern.
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Die meisten dieser Malereien stellen die zwischen zwei Heiligen (namentlich St. Rochus und St. Sebastian) thronende Madonna vor, auf Teppichgrund 169 oder mit einem Teppichornament eingefaßt. Außerdem prangt, wie gesagt, neben jeder alten Kirchtür ein riesenhafter St. Christoph, dessen Kultus wie der der beiden eben genannten Heiligen in dieser Gegend, etwa bei Anlaß einer Pest, einem ganz besonderen Aufschwung genommen haben muß. Im Innern der Kirchen kommen dann aus lokalen Gründen noch manche andere Heilige hinzu, von welchen der geschundene St. Bartholomäus in S. Biagio bei Bellinzona (XIV. Jahrh.) ein besonderes Interesse erweckt. Diese fürchterliche Gestalt, ohne Lippen und Augenlider, mit dem idealistisch durchgeführten Angesicht, die Hand über den Arm gelegt, findet sich in den Kirchen dieser Gegend noch mehrmals, bis sie mit aller Prätention micheangelesker Darstellung in der allzuberühmten Statue des Marco Agrato im Dom von Mailand wiederkehrt. Es wäre von Wert, den Einfluß einer so abscheulichen Kultusfigur auf Sitten und Anschauungen einer ganzen Provinz berechnen zu können.
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Einzelne dieser Fresken, die deshalb in die zweite Hälfte des XV. Jahrhunderts zu verweisen sein möchten, zeigen einen Anflug realistischen, paduanischen Wesens, ohne deshalb die germanische Haltung des Ganzen zu verlieren. Von einem und demselben ganz tüchtigen Maler findet sich an einem Wirthshaus in Taverne-Sopra eine Madonna, und an einem Landhaus bei Locarno (unweit der Kirche M. delle grazie) 170 eine Madonna mit vier Heiligen, Stifter und Stifterin, im Stil etwa mit Bartol. Vivarini parallel. Im ersten Bilde ist das auf dem Schoß der Mutter erwachende, mit Händen und Füßen nach ihr zappelnde Kind sehr artig und lebendig.
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Ältere Malernamen als Bernardino Luini, der für mancherlei herhalten muß, sind hierzulande nicht gang und gäbe. Vielleicht aber ließe sich ein Nachfolger Giottos, wenigstens in betreff seiner Herkunft, in diese Gegenden verpflanzen; ich meine Giov. da Melano, von welchem jenes ausdrucksvolle Freskobild in Ognissanti zu Florenz herrührt. Wie viele Melano es in Italien gibt, mag dahingestellt bleiben; einstweilen aber läßt sich im Tessin, zwischen Lugano und Capodilago, eines namhaft machen, welches zudem an alten Kunstwerken eine hübsche Madonnenstatuette über dem Eingang der altern Kirche und ein Freskobild des XIV. Jahrhunderts an einem Hause besitzt – letzteres freilich nicht von Giovannis Hand.
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Die beiden wichtigsten Kirchen des Kantons für die Malerei des XIV. und XV. Jahrhunderts sind meines Wissens die schon genannten zu S. Biagio zu Bellinzona und M. delle grazie bei Locarno, beide 171 architektonisch ganz unbedeutend und nur durch ihre Vernachlässigung vor dem Umbau gerettet. Ihre Malereien sind meist planlos und allmählig entstanden, je nachdem die Gemeinde und die Donatoren Geld aufwenden konnten, um einzelne Teile der Wände oder einzelne Gräber und Altäre zu schmücken. An S. Biagio bewundert man zunächst den wohl erhaltenen Urtypus jener vielen St. Christophbilder, weniger wegen seines milden, rosenfarbigen Riesenantlitzes und des für die Zeit um 1200 ganz gut durchgeführten Nackten, als wegen des ringsum gemalten Rahmens. Dieser enthält nämlich kräftiges und schönes Blumwerk, gelb auf rotbraunem Grunde, eingefaßt von schmälern, als Steinmosaik bemalten Bändern, unterbrochen von einzelnen kleinen Brustbildern von Heiligen und Engeln, welche in ihrem lebendigen Ausdruck der Andacht und Hingebung offenbar auf giotteske Schule, etwa in der Art des Spinello, hinweisen und somit nebst einigen geringern Malereien rings um die Türlunette (am Steinbalken Maria, Eccehomo und Johannes, oben eine Verkündigung und ein segnender Christus) eine Ausnahme von den übrigen Malereien dieser Gegend bilden. Das Lunettenbild selbst, sehr verwaschen und durch Glas geschützt, könnte von Wert sein; es enthält die Madonna zwischen S. Petrus und S. Blasius. – Im Innern findet sich außer dem schon erwähnten Bartholomäus eine säugende Madonna (datiert 1377) an einen Pfeiler gemalt, eine frühgermanische S. Catharina mit S. Antonius dem Abt an der 172 Frontwand, ein oberdeutscher geringer SchnitzaltarGeschnitzte Altäre scheinen noch im XVI. Jahrh. aus Deutschland nach Oberitalien gegangen zu sein, obschon Italien in dieser Gattung nicht minder Prächtiges leistete, wie ein Altar im Dom zu Como beweist. Einen Altar im Stil des Evergisialtares in S. Peter zu Köln findet man in S. Nazaro zu Mailand., und ein Hochaltarbild, welches die Madonna auf Wolken mit S. Blasius und S. Hieronymus darstellt (in der Lunette eine Auferstehung; die Predella unkenntlich) und ganz wohl eine mittelgute Arbeit B. Luinis sein könnte, dem man es hier zuschreibt.
Reicher und interessanter sind die Fresken der genannten Kirche bei Locarno, welche Stilproben des ganzen XIV. und XV. Jahrhunderts darbieten. Aber auch hier haben nicht bloß mailändische Hände sich verewigt. An der Fassade wird man durch eine sog. Messe des heil. Gregor überrascht, welche in der zarten, edeln Innigkeit des Ausdrucks sowohl als in der Behandlung einem frühen Fra Giovanni da Fiesole ähnlich sieht. Im Innern ist die viereckige Chorkapelle hinter dem Altar ganz ausgemalt, zum Teil von geringen und ungeschickten Künstlern; zwei von den vier Gewölbefeldern aber (Maria Krönung und eine Apostelgruppe) sind trotz ihrer Zerstörung von bedeutenderem Wert; das letztere erinnert an die Apostelgruppe Fiesoles in der Madonnenkapelle des Domes von Orvieto; die Ausführung ist mailändisch, doch wohl älter als Bramantino und Borgognone. Ganz in der Art des letztern dagegen ist eine thronende Madonna mit einem jungen Donator 173 ausgeführt. (Mit andern Kirchen dieser Stadt, namentlich mit der etwas entlegenen, durch ihr uraltes Aussehen vielversprechenden Collegiata, mache man sich keine Mühe; sie hat wie die Minoritenkirche – eine hübsche Säulenbasilika vom Anfang des XVI. Jhh. – nicht viel mehr für sich, als ihre malerische Lage. Dagegen enthält die Madonna del Sasso über der Stadt wenigstens ein schönes mailändisches Bild, eine Flucht nach Ägypten, von einem der besten Schüler Leonardos; es versteht sich, daß man Luini nenntDie Nomenclatur der verschiedenen Galerien in betreff der mailändischen Schule weicht so sehr unter sich ab, daß nur der spezielle, örtliche Kenner gewisse Bilder mit Bestimmtheit einem Cesare da Steso, Franc. Melzi, A. Salaino, A. Solario, Giov. Pedrini wird zuweisen können..)
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In der Kirche des Seminariums zu Ascona findet sich ein großes Altarblatt, bezeichnet: IO. ANTONIUS. De LAGAIA. DE. ASCONA. PINSIT 1519. In sechs Abteilungen enthält dasselbe oben die Krönung Mariä und den Englischen Gruß, unten die Madonnen als Schützerin mit den knieenden Donatoren und die Heiligen Dominicus und Petrus Martyr. Der sonst meines Wissens ganz unbekannte Maler zeigt sich hier bei einiger Unentschiedenheit der Formen doch in den Köpfen als anmutiger und liebenswürdiger Nachfolger oder Mitstrebender B. Luinis; namentlich die Donatoren, in der 174 lebensvollen, an Holbein erinnernden Charakterdarstellung des letztern, sind köstlich gelungen. Immer von neuem lernt man jenes goldene Zeitalter der Kunst beneiden, wo auch das Bedingte und Befangene bei einigem Ernst des Strebens sich zu dauerndem Wert aufschwingen konnte, weil es nicht in der Prätention und dem falschen Affekt – den Plagen der folgenden Kunstepochen – zugrunde ging.
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Das Minoritenkloster Unsrer Frauen zu den Engeln in Lugano, eine der geweihten Stätten oberitalienischer Kunst, ist vor zwei Jahren aufgehoben worden und wird nun feilgeboten., Ein Gantaufruf, den 20. Juli 1849 abgehalten, ist, wenn ich recht gehört habe, ohne Resultat geblieben. Der beliebteste Gedanke in Lugano selbst wäre der Umbau des geräumigen Klosters mit seinem doppelten Kreuzgang zu einem Gasthofe; nur ließe sich bei der Spärlichkeit des jetzigen Fremdenzuges vor der Hand nicht viel gewinnen. Die Kirche mit der großen Passion und dem toten Christus von B. Luini wird allerdings erhalten bleiben; auch die unvergleichliche Madonna mit den beiden Kindern soll aus der Türlunette im Kreuzgang nach der Kirche versetzt werden – eine Operation, welche jeder mit seinen besten Wünschen begleiten wird, der den ohnedies bedenklichen Zustand dieser Freske, mit dem Riß durch die Stirn der Madonna, zu erkennen Gelegenheit hatte. Dagegen ist zu fürchten, daß der ganzen Kirche das 175 Licht verbaut werden möchte und daß Luinis Abendmahl – die edelste freiere Reproduktion des Leonardischen – samt dem Refektorium, woselbst es sich befindet, nicht gerade den rücksichtsvollsten Händen anheimfalle.
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Bei Anlaß von Luinis großer Passion, welche die umfangreiche Wand über dem Choreingang einnimmt, muß ich eines andern, fast ebenso großen Freskogemäldes erwähnen, welches in der Minoritenkirche delle grazie bei Bellinzona, unweit San Biagio, ganz dieselbe Stelle an der Hinterwand ausfüllt. Es stellt ebenfalls die Passion vor, aber nicht in einer großen Komposition (wie in Luinis Werk, wo die Nebenszenen vom Einzug in Jerusalem an in den Hintergrund der Kreuzigung verteilt sind), sondern in fünfzehn kleinern und einem großen mittlern Bilde, der Kreuzigung. Auch sind außer dem Leiden Christi noch einzelne frühere Momente, von der Verkündigung an, beigegeben. Als wohlerhaltenes Werk vom Ende des XV. Jahrhunderts und als große, wie es scheint, sorgfältige Arbeit verdient diese Malerei wenigstens genannt zu werden, obgleich dieselbe in der Anordnung ziemlich ungeschickt und in betreff der Ausführung wegen Dunkelheit der Kirche kaum zu untersuchen ist. Zwei große Schimmel, deren Köpfe beim Kreuz zusammentreffen, schneiden die Szenen gar zu gefühllos auseinander. – In einem Kreuzgang nächst der Kirche, umgeben von dem 176 Lebenslauf des h. Franziskus im Stil unserer Tapetenmalereien, findet sich eine Lunette mit der Madonna zwischen S. Antonio von Padua und S. Bernardin von Siena, flüchtig hingemalt im Stil der Mitte des XVI. Jahrhunderts, nicht ohne Energie und Charakter.
Bei wiederholten Wanderungen durch die Kirchen und Galerien Mailands fällt es in die Augen, wie sehr die Komposition fast zu allen Zeiten die schwache Seite dieser Schule gewesen ist, und wie Einförmigkeit oder bunte Überladung fast die ausschließliche Alternative war und blieb. Länger als die meisten italienischen Schulen scheint die mailändische Malerei sich auf das ruhige, regungslose Andachtsbild beschränkt zu haben; im XIV. Jahrhundert hat sie weder von Giottos lebendiger Andeutung des momentanen Vorganges, noch von der reich durchgeführten Charakteristik eines Jacopo d'Avanzo sich etwas angeeignet; im XV. Jahrhundert zögert sie vielleicht am längsten mit der Annahme des großen neuen Darstellungsprinzipes, welches den Schulen von Florenz und Padua seit Masaccio und Squarcione eine so hohe Bedeutung gibt. Freilich sind in der Hauptstadt selber durch unaufhörliche Umbauten die meisten und vielleicht die wichtigsten Malereien der viscontinischen Zeit verschwunden; aber auch die erhaltenen Stücke, wie z. B. die gewiß sehr prachtvoll ausgeführten Szenen 177 aus dem Leben der Königin Theodelinde im Dom zu Monza, sind für die erste Hälfte oder die Mitte des XV. Jahrhunderts keineswegs innerlich bedeutend zu nennenMan schreibt sie einem gewissen Trosi von Monza zu. Einzelne Stücke, offenbar von einer besseren Hand, bezeichnet 1444, erinnern in der Erzählungsweise, im Typus der Köpfe, in der Behandlung der Gründe, selbst in den hochaufgesetzten Vergoldungen unmittelbar an Gentile da Fabriano.. Bei den Malern der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts, Foppa, Civerchio u. a. (ich nehme Bramantino aus), macht sich eine seltsame Ungeschicklichkeit der Anordnung bemerklich, sobald mit der Symmetrie nicht auszureichen ist. Sehr belehrend ist vollends ein Vergleich von Borgognones Krönung Mariä in der Chornische von S. Simpliciano mit derselben Darstellung im Dom von Spoleto von der Hand Filippo Lippis; der Mailänder Maler schichtet seine ganz anmutigen Engel in regelmäßigen Reihen auf und stellt sich damit in der Komposition auf die Stufe eines A. Orcagna, während der um ein halbes Jahrhundert ältere Florentiner die rein architektonische Anordnung längst durchbrochen und sich zu einer freien Belebung des Ganzen aufgeschwungen hat.
Forscht man nun weiter, was Leonardo da Vinci seinen mailändischen Schülern mitgeteilt hat, so staunt man über die fast ängstliche Art und Weise, wie sich dieselben an die einzelnen herrlichen Attitüden, Gewandmotive, Gesichtstypen, zum Teil auch an seine Pinselführung angeschlossen haben und wie dies 178 alles selbst stückweise aus ihren Bildern dem Beschauer entgegentritt. In der Gesamtkomposition dagegen konnten sie sich schon deshalb nicht viel von ihm aneignen, weil er in Mailand außer dem Abendmahl wenige oder keine großen Gemälde schuf. Nach seinem Weggang verarbeiteten sie die empfangenen Eindrücke jeder auf seine Weise; bei einzelnen erloschen dieselben ziemlich bald.
Bernardino Luini ist ohne Vergleich der bedeutendste dieser Schüler gewesen. Seine edle und zarte Gemütsweise erinnert an Giovanni Bellini; an Reichtum der Phantasie übertrifft er diesen bei weitem; viele seiner Gestalten nehmen den Beschauer vollends durch eine wahrhaft raffaelische Süßigkeit gefangen, welche nicht bloß in den Gesichtszügen, sondern in der Schönheit des ganzen Körpermotives liegt. Nirgends aber sind diese großen Eigenschaften mit einer weniger entwickelten Komposition, mit ungeschicktem Linien verknüpft gewesen; ich verweise absichtlich auf Hauptwerke, wie z. B. die Temperabilder im Dom zu Como, die Passion zu Lugano, der geringern Arbeiten nicht zu gedenken, deren er sehr viele, wahrscheinlich oft unter den bescheidensten Bedingungen, geliefert hat. Ganz rein ist der Eindruck bloß in den ruhigen Andachtsbildern, wie z. B. in dem großen Fresko von 1521 (Brera) und in den Gemälden neben dem Altar des Monastero Maggiore.
Marco d'Oggione erscheint in der Komposition eher ohnmächtig, Gaudenzio Ferrari eher übermächtig. 179 Der letztere kann resolut sein bis zur Roheit; er ist der erste entschiedene Manierist dieser Schule. Trotz aller bunten Überladung, trotz Maßlosigkeit und Grillen wird man indes Bilder wie das Martyrium der h. Katharina nie ohne Bewunderung sehen können. – Von den spätem Malern des XVI. Jahrhunderts kann man keine besonders reine Komposition verlangen; es ist aber doch merkwürdig, daß unter den Malerschulen der Nachblüte diejenige der Procaccini zu Mailand sich ganz speziell durch Überfüllung und Verwilderung in dieser Hinsicht versündigt hat, während man sie um des Details willen bisweilen hochschätzen muß. Der interessanteste Künstler dieser Reihe bleibt wohl Cerano Crespi, bisweilen manieriert, aber immer geistig, unverkennbar innerlich verwandt mit dem Sevillaner Francisco Zurbaran.
Bei öftern Reisen auf der Straße von Lugano über Como nach Mailand bemerkt man die beständige Zunahme architektonischer Malereien an den Landhäusern, die oft wie gotische Theaterdekorationen aussehen, meist in dem wüsten Geschmack des Domes von Mailand. Andere Eigentümer lassen ihre Villa als Ruine bemalen, mit scheinbaren verwitterten Quadern, ringsum (gemalter) Efeu und Grasbüschel, u. dgl. m. Wieviel Romantik dabei im Spiele sein mag, lasse ich auf sich beruhen; eine nähere Erklärung liegt wohl darin, daß Mailand 180 vorzugsweise die Stadt der Theater und der prächtigen Dekorationen ist. Dergleichen will man dann auch zu Hause vor sich sehen. In dieses Kapitel gehören auch die in Stein ausgehauenen Karnevalsmasken, Musikanten usw. – Statuetten von 2, 3 Fuß Höhe – welche zu halben Dutzenden als Zierrat auf den Hofmauern stehen. Man kann sie in Mailand bestellen oder fertig kaufen; einzelne wären als Chargen sogar Dantans würdig. – Es gehört immerhin eine gute ästhetische Verdauung dazu, neben so viel echter, großartig massiver Architektur die gemalte Parodie und außerdem noch den in Stein gehauenen Humor während einer ganzen Villeggiatur zu ertragen und hübsch zu finden.
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Der liber pontificalis des Anastasius ist bekanntlich großenteils ein Katalog der massenhaften Prachtgeräte von edeln Metallen, welche von den Päpsten des frühern Mittelalters den römischen Kirchen geschenkt worden sind. Die kombinierende Phantasie hat oft Mühe genug, aus vorhandenen Resten und Notizen sich die vermutliche Gestalt und Größe dieser Arbeiten zu vergegenwärtigen; der Verstand hat noch größere Mühe, sich in den fabelhaften Metallwert derselben zu fügen; Stil und ornamentistische Behandlung dagegen kann man sich nach gleichzeitigen Resten aller Gattungen unschwer vorstellen. Der Schatz des Domes von Monza gibt hierüber mancherlei Aufschluß. Was im 181 VI.–IX. Jahrhundert nicht aus Byzanz bezogen oder von Griechen gearbeitet wurde, ist von einer ganz unglaublichen Unbeholfenheit; das Kreuz der Königin Theodelinde mit den an Kettchen dran hängenden Goldkugeln, und das Kreuz von Italien (angeblich von Berenger I. gestiftet) sind beide kaum winkelrecht und scheinbar nur nach dem Augenmaß verfertigt, Juwelen und Emails ohne Sinn für schöne Wirkung daran angebracht. An der eisernen Krone ist etwas mehr dekorativer Sinn entwickelt; doch steht sie hierin mit den Bronzegittern des Domes von Aachen, mit guten Initialen der karolingischen Zeit u. dgl., noch nicht auf gleicher Stufe. Das goldene Pultblatt mit der Stiftungsinschrift Theodelindens enthält im Relief zwei Kreuze von sehr primitiver Gestalt und eine Anzahl von kaum regelmäßig aufgenieteten Gemmen; Kamm und Fächer der Königin machen keine weitern Ansprüche; ihre Krone ist ein einfacher Reif mit runden Emailknöpfchen und Edelsteinen. Unter den Geschenken Gregors des Großen ist ein kleines Kristallkreuz merkwürdig, dessen Unterlage in einer Art von zierlichem Silber-niello (?) den Gekreuzigten in langem Kleide darstellt; die griechischen Beischriften verraten auch gleich die Herkunft. Künstlerisch bedeutend sind in diesem Schatze außer einem gotischen Kelch und einer sehr schönen modernen Monstranz hauptsächlich die Diptychen aus dem IV., V. und VI. Jahrhundert, deren archäologische Besprechung ich gerne einem andern überlasse. – Übrigens wollte es auch in den 182 nächstfolgenden Zeiten bisweilen der Zufall, daß bessere antike Ornamente genau nachgeahmt wurden; in dem Mosaik von S. Ambrogio zu Mailand ist der Thron Christi höchst barbarisch und formlos, der untere Saum des Ganzen ein gutes spätrömisches Motiv und der gleichzeitige Tabernakel des Altars wenigstens von besserem karolingischem Stil.
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Es gibt im ganzen Gebiet der Architektur weniges, was einen so willkürlichen Dilettantismus verriete als gewisse gotische Bauten Italiens. Entweder hätte man zu Ende des XIII. Jahrhunderts das Gotische wahrhaft adoptieren müssen, wie es zu S. Lorenzo in Neapel, teilweise auch in den Kirchen von Assisi und Venedig, geschah, oder man mußte auf der in den bessern toskanischen Bauten des XII., XIII. Jahrhunderts gewonnenen Grundlage weiterbauen und vom Gotischen nur die einigermaßen verträglichen Elemente entlehnen, wie dies dem Meister des Domes von Orvieto gelungen ist. Auch die Backsteinbauten Oberitaliens aus dieser Zeit haben ein zierliches, wenn auch etwas gemischtes System der Dekoration aufzuweisen. Ganz kindisch und sinnlos aber ist z. B. die Fassade des Domes von Como, deren Strebepfeiler von unten bis oben in lauter Kästchen mit Relieffiguren aufgelöst sind. Noch besser zeigt die Front des Domes von Monza, wie wenig man wußte, was man wollte; dieselbe ahmt nämlich in schönem weißem Marmor die notwendig 183 beschränkten Formen des Backsteinbaues nach, wie man selbige eine Gasse weiter an der Kirche S. M. in Strada in bester Auswahl studieren kann.
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Man kann von dem Laien heutigestages nicht verlangen, daß er z. B. die Häßlichkeit und Sinnlosigkeit der Pfeilerformation, ja der durchgehenden Profilbildung im Dom zu Mailand bemerke und empfinde. Allein das Dasein eines großen Kapitalfehlers fühlt in diesem Gebäude doch jeder, der anderswo gute gotische Kirchen mit eigenem Auge gesehen hat; man weiß nur nicht gleich, woran es liegt. Es ist aber nichts anderes als die unschöne Verteilung des Lichtes, welches fast ganz aus den untern Fenstern kommt, indem die Oberfenster in den nur wenig erhöhten drei Mittelschiffen so klein wie Dachluken aussehen und im Großen und Ganzen gar nicht zu wirken imstande sind. Nun ist es kein Geheimnis, wie sehr der Eindruck des Feierlichen, Außergewöhnlichen durch den Einfall des Lichtes von oben bedingt ist, so daß z. B. die Peterskirche in Rom ihren ergreifendsten Effekt dem Einströmen des Lichtes durch die Kuppel verdankt. Ganz kläglich nehmen sich vollends jene kleinen Oberfenster an dem ohnedies schlechten dreiseitigen Abschluß des Chores aus. – Von außen wird freilich das Gebäude immer durch die Übermacht des phantastischen Eindruckes die Schwäche des künstlerischen vergessen machen.