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Zehntes Buch.
Der Basaltlöwe.

Erstes Kapitel.
Die Zusammenkunft feindseliger Planeten im Hause des Todes.

Am vierten Tage der Belagerung kehrte der Senator, nachdem er die Soldaten der Barone unter der Anführung des Fürsten Orsini in ihre beinahe unüberwindlichen Mauern zurückgeschlagen hatte, in sein Zelt zurück, wo Depeschen von Rom seiner warteten. Er überlas sie hastig, bis er an die letzte kam, und doch enthielt jede einzelne Nachrichten, die das Auge eines weniger an Gefahren gewohnten Mannes länger hätten fesseln können. Aus der einen ersah er, daß Albornoz, dessen Segen ihn in der Würde des Senators bestätigt, die Gesandten der Orsini und Colonna äußerst günstig aufgenommen hatte. Er wußte, daß der Kardinal, dessen Ansichten ihn zu den römischen Patriziern hinzogen, seinen Sturz wünschte; aber er fürchtete Albornoz nicht; vielleicht wünschte er in der Tiefe seines Herzens, daß ein offener Angriff von seiten des päpstlichen Legaten ihn dem Volke gänzlich in die Arme werfen möge.

Er erfuhr ferner, daß Pandulpho di Guido während seiner so kurzen Abwesenheit zweimal bei dem Volke nicht zugunsten des Senators gesprochen, sondern schlau auf den Verlust angespielt habe, der dem Handel Roms aus der Abwesenheit seines reichsten Adels erwachse.

»Aus diesem Grunde also hat er mich verlassen,« sprach Rienzi zu sich selbst. »Er nehme sich in acht!«

Die Nachrichten, welche der nächste Brief enthielt, gingen ihm zu Herzen. Walter von Montreal war offen in Rom erschienen. Der gierige, gesetzlose Bandit, dessen Raubsucht alle Banken in Europa mit Räuberbeute füllte – dessen Kompagnie das Heer eines Königs sein konnte – dessen ungeheuren, grundlosen und tiefen Ehrgeiz er so genau kannte – dessen Brüder, hinsichtlich deren er schon mehr als nur Verdacht hegte, in seinem Lager waren – Walter von Montreal war in Rom!

Der Senator wurde ganz bestürzt über diese neue Gefahr und sagte mit übereinander gebissenen Zähnen: »Wilder Tiger, du bist in der Höhle des Löwen!« Er hielt inne und brach dann wieder los: »Ein falscher Tritt, Walter von Montreal, und sämtliche bewaffnete Hände der großen Kompagnie retten dich nicht von dem Abgrund! Aber was kann ich tun? Nach Rom zurückkehren – so lange Montreals Pläne nicht bekannt sind – keine Anklage gegen ihn vorliegt! Unter welchem Vorwande kann ich mit Ehren die Belagerung aufheben? Palestrina verlassen, heißt, den Baronen einen Triumph einräumen – Adrian im Stiche lassen – meine Sache entehren. Doch brütet jede Stunde, so lange ich von Rom abwesend bin, Verrat und Gefahr. Pandulpho, Albornoz, Montreal – alle wirken gegen mich zusammen. Jetzt einen kühnen, zuverlässigen Spion – ha, glücklicher Gedanke – Villani! – Heda – Angelo Villani!«

Der junge Kämmerer erschien.

»Ich meine,« sagte Rienzi, »oft gehört zu haben, daß du eine Waise seiest?«

»Ja, mein Gebieter; die alte Augustinernonne, die mich aufzog, hat mir oft erzählt, daß meine Eltern tot seien. Beide adelig, mein Gebieter, aber ich bin das Kind der Schande. Und ich sage es oft und denke immer daran, daß ich es nicht vergesse, Angelo Villani habe erst einen Namen zu gewinnen.«

»Junger Mann, diene mir, wie du es bisher getan, so sollst du, wenn ich am Leben bleibe, nicht nötig haben, dich eine Waise zu nennen. Höre mich! Ich bedarf eines Freundes – der Senator von Rom bedarf eines Freundes – nur eines einzigen Freundes – gütiger Himmel! nur eines einzigen!«

Angelo sank auf seine Knie und küßte den Mantel seines Herrn.«

»Sagt eines Dieners. Ich bin zu gering, Rienzis Freund zu heißen.«

»Zu gering! – was sagst du? – Nichts ist vor Gott gering, als eine gemeine Seele unter hohen Titeln. Bei mir, Knabe, gibt es nur einen Adel, und diesen verleiht die Natur. Merke auf: du hörst jeden Tag von Walter von Montreal, dem Bruder dieser Provençalen – dem großen Hauptmann großer Räuber?«

»Ja, und ich habe ihn gesehen, mein Gebieter.«

»Nun denn, er ist in Rom. Ein kecker Gedanke – ein wohl unterstützter und wohlangelegter Schurkenstreich konnte allein den Banditen veranlassen, sich offen in eine italienische Stadt zu wagen, deren Gebiet er noch vor wenigen Monaten mit Feuer und Schwert verheerte. Aber seine Brüder haben mir Geld vorgestreckt – sind mir bei meiner Rückkehr zur Seite gestanden – allerdings um ihrer eigenen Zwecke willen; aber die anscheinende Verbindlichkeit verleiht ihnen wirkliche Macht. Diese nordischen Krieger würden mir die Kehle abschneiden, wenn der große Hauptmann es ihnen befähle. Er rechnet auf meine scheinbare Schwäche. Ich kenne ihn von früher. Ich errate – ja, ich lese seine Pläne, aber ich kann sie nicht beweisen. Ohne Beweis kann ich Palestrina nicht verlassen, um ihn anzuklagen und festzunehmen. Du bist schlau, verständig, scharfsinnig – könntest du nach Rom gehen? – Tag und Nacht seine Bewegungen beobachten – sehen, ob er Boten von Albornoz oder von den Baronen empfängt – ob er mit Pandulpho di Guido verkehrt – seine Wohnung beobachten, sage ich, Tag und Nacht? Er liebt Heimlichkeiten nicht sehr, und deine Aufgabe wird weniger schwierig sein, als sie erscheint. Teile der Signora alles mit, was du erfährst. Berichte mir täglich, was du Neues gehört. Willst du dich dieser Sendung unterziehen?«

»Ich will, mein Gebieter.«

»Dann rasch zu Pferde! – und erinnere dich – außer dem Weib meines Herzens habe ich keinen Vertrauten in Rom.«

Zweites Kapitel.
Montreal in Rom – Wie er Angelo Villani aufnimmt.

Die Gefahr, welche Rienzi durch die Ankunft Montreals bedrohte, war in der Tat furchtbar. Der Johanniterritter hatte sein Heer in die Lombardei geführt und es dem venezianischen Staat in seinem Kriege mit dem Erzbischof von Mailand zur Verfügung gestellt. Für diesen Dienst erhielt er eine ungeheure Summe; seinen Truppen, die er im kommenden Frühjahre hinlänglich zu beschäftigen gedachte, besorgte er inzwischen Winterquartiere. Heimlich und in Verkleidung verließ Montreal Palestrina und begab sich mit einem kleinen Gefolge, das in Tivoli zu ihm stieß, nach Rom. Sein angeblicher Zweck war, auf der einen Seite dem Senator zu seiner Rückkehr Glück zu wünschen, auf der anderen, das Geld zurückzuempfangen, das seine Brüder Rienzi vorgestreckt hatten.

Seinen geheimen Zweck haben wir zum Teil gesehen; aber nicht zufrieden mit dem Beistand der Barone, hoffte er durch die verderblichen Mittel seines ungeheuren Reichtums eine dritte Partei zur Unterstützung seiner weitergehenden Absichten zu bilden. Reichtum war zu jener Zeit und in jenem Lande beinahe ebenso sehr das Mittel, Diademe zu erwerben, wie er dies in den letzten Zeiten des römischen Reiches gewesen war. Und in mancher von erblichen Fehden zerrissenen Stadt erreichte der Parteihaß eine solche Ausdehnung, daß ein fremder Tyrann, der die Lust und die Macht hatte, eine Partei zu vertreiben, wenigstens die zeitweise Unterwerfung der anderen erlangen konnte. Sein späterer Erfolg hing hauptsächlich davon ab, ob er seine Stellung durch eine von den Bürgern unabhängige Macht behaupten und über einen Schatz verfügen konnte, der nicht durch verhaßte Auflagen Zuschüsse bedurfte. Aber mehr habsüchtig als ehrgeizig, mehr grausam als fest, fielen solche Usurpatoren gewöhnlich infolge von drückenden Erpressungen oder unnötigem Blutvergießen.

Montreal, der die häufigen Revolutionen jener Zeit mit ruhigem, forschendem Auge erwogen hatte, traute sich die Kraft zu, diese beiden Fehler vermeiden zu können; und wie der Leser schon gesehen, hatte er sich den tiefen, scharfsinnigen Plan entworfen, seine Usurpation durch ein ganz neues Geschlecht von Adeligen zu befestigen, die, durch den Feudalverband des Nordens ihm zu Diensten verpflichtet, und jederzeit bereit, ihn zu schützen, weil sie eben dadurch auch ihre eigen Interessen wahrten, ihm bei der Gründung nicht des morschen und schutzlosen Gebäudes einer einzelnen Tyrannenherrschaft, sondern der starken Feste einer neuen, festen, geschlossenen Aristokratie, behilflich sein sollten. So waren die großen Dynastien des Nordens gegründet worden, und der König, obgleich scheinbar unterdrückt, wurde in Wirklichkeit doch infolge eines gemeinschaftlichen Interesses sowohl gegen ein unterworfenes Volk, als gegen fremde Einfälle geschützt.

Dies waren die ungeheuren Pläne – und sie erstreckten sich auf ein noch weiteres Feld von Ruhm und Eroberung, das nur die Alpen begrenzten – mit denen sich der Hauptmann der großen Kompagnie beschäftigte, als er die Säulen und Bogen der Siebenhügelstadt erblickte.

Keine Besorgnis beunruhigte den langen Strom seiner Gedanken. Seine Brüder waren die Anführer von Rienzis Mietstruppen – diese Armee bestand aus seinen Kreaturen.

Rienzi gegenüber selbst maßte er sich das Recht eines Gläubigers an. So glaubte er sich gegen die eine Partei sicher. Was die Freunde des Papstes betraf, so war er im Besitze von geheimen, obwohl vorsichtigen Briefen von Albornoz, der ihn nur als Werkzeug zur Rückkehr der römischen Barone zu benutzen wünschte; und von seinen Unterhandlungen mit den Häuptern der letzteren waren wir bereits Zeuge. So war er seiner Ansicht nach imstande, mit allen Parteien zu unterhandeln und sich einzulassen und aus jeder das ihm für seine Zwecke nötige Material auszuwählen.

Das offene Erscheinen Montreals erregte in Rom großes Aufsehen. Die Freunde der Barone sprengten aus, Rienzi sei im Bunde mit der großen Kompagnie und er wolle die Kaiserstadt den barbarischen Räubern zu Raub und Plünderung verkaufen. Die Frechheit, mit welcher Montreal, gegen den der Papst mehr als einmal seine Bullen geschleudert hatte, in der Hauptstadt der Kirche erschien, wurde noch auffallender durch die Erinnerung an die strenge Gerechtigkeitspflege, welche den Tribun bewogen hatte, allen Räubern Italiens offenen Krieg zu erklären; und diese Kühnheit ließ sich leicht erklären, wenn man sich erinnerte, daß die Brüder des kecken Provençalen die Werkzeuge zu Rienzis Rückkehr gewesen waren. So schnell verbreitete sich der Argwohn durch die Stadt, daß Montreals Gegenwart binnen wenigen Wochen allein hingereicht hätte, den Senator zu verderben. Inzwischen brachte Montreals natürliche Kühnheit die schwache Stimme der Klugheit zum Schweigen, und verblendet durch seine glänzenden Hoffnungen, nahm der Johanniter, wie wenn er seiner Anwesenheit doppelte Wichtigkeit dadurch hätte geben wollen, seine Wohnung in einem prächtigen Palaste, und sein Gefolge wetteiferte hinsichtlich der Pracht und des Glanzes mit der Schaustellung Rienzis während der früheren, glänzenderen Periode seiner Macht.

Mitten unter dieser wachsenden Aufregung kam Angelo Villani in Rom an. Der Charakter des jungen Mannes war durch seine eigentümlichen Verhältnisse bestimmt worden. Er besaß Eigenschaften, welche häufig den illegitimen Kindern eigen sind. Er war übermütig – wie die meisten von zweifelhaftem Range; und während er sich seiner unehelichen Geburt schämte, war er doch stolz auf den angeblichen Adel seiner unbekannten Eltern. Die allgemeine Gährung und Bewegung in Italien zu jener Zeit machte den Ehrgeiz zu der häufigsten aller Leidenschaften, und so drängt sich derselbe in all seinen verschiedenen Schattierungen und Nüancen in die Charakterschilderungen unserer Geschichte. Obgleich für Angelo Villani jene Träume, die der höheren und edleren Art dieser erhabenen Schwäche angehören, nicht vorhanden waren, war er doch sehr von dem Verlangen und Entschluß beseelt, sich emporzuschwingen. Mit einer warmen Zuneigung verband er die Gefühle der Dankbarkeit, und die Treue gegen seinen Gönner hatte sich zu einer Tugend gesteigert, aber infolge seiner ungeregelten, flüchtigen Erziehung und der sorglosen Verworfenheit derer, mit denen er einen großen Teil seiner Jugend in Vorzimmern und Wachtstuben zugebracht, hatte er weder erhabene Grundsätze noch ein aufgeklärtes Ehrgefühl. Listig und verschlagen, wie die meisten Italiener, machte er sich kein Bedenken über einen Betrug, der irgend einem Zweck oder einem Freunde diente. Seine innige Anhänglichkeit an Rienzi war, ohne daß er sich dessen bewußt gewesen, durch die Befriedigung des Stolzes und der Eitelkeit vermehrt, durch die Gunst eines so berühmten Mannes geschmeichelt worden. Eigenes Interesse und Anhänglichkeit konnten ihn zu jeder Tat bestimmen, welche die Pläne oder die Sicherheit eines Mannes förderte, der zugleich sein Wohltäter und sein Gönner war, und bei Uebernahme seiner jetzigen Sendung war sein einziger Gedanke, dieselbe mit dem vollständigsten Erfolge durchzuführen. Weit tapferer und mutiger als die meisten Italiener, wie er war, gab etwas von der Kühnheit eines transalpinen Geschlechts seiner Schlauheit Kraft und Lebendigkeit, und nie bebte sein Mut vor den Eingebungen seiner List zurück.

Als ihm Rienzi zum erstenmal den Gegenstand seiner nunmehrigen Aufgabe näher erklärte, rief er sich augenblicklich sein Abenteuer mit dem großen Krieger unter dem Volksgedränge in Avignon wieder in das Gedächtnis. »Wenn du je eines Freundes bedarfst, so suche ihn in Walter von Montreal,« waren die Worte, die oft in seinem Ohr widerklangen und jetzt mit prophetischer Deutlichkeit vor seine Seele traten. Er zweifelte nicht daran, daß es Montreal selbst war, den er gesehen. Warum sich der große Hauptmann so sehr für ihn interessiert hatte, das verursachte Angelo kein großes Kopfzerbrechen. Höchstwahrscheinlich war es nur ein schlauer Vorwand – eines der gewöhnlichen Mittel, durch welche der Hauptmann der großen Kompagnie die Jugend Italiens wie die Krieger des Nordens an sich zog. Er dachte jetzt nur daran, wie er aus dem Versprechen des Ritters Vorteil ziehen könnte. Was war leichter, als sich Montreal vorzustellen – ihn an sein Versprechen zu erinnern – in seine Dienste zu treten – und so sein Verhalten mit Erfolg zu beobachten? Das Amt eines Spions war nicht gerade dasjenige, das jedem Sinn gefallen hätte, aber Angelo Villanis Gefühl sträubte sich nicht dagegen; und der fürchterliche Haß, mit welchem sein Gönner oft von dem habsüchtigen, barbarischen Räuber, der Geißel seines Geburtslandes gesprochen, hatte dem jungen Manne, der viel von dem übermütigen, falschen Patriotismus der Römer besaß, ein ähnliches Gefühl eingepflanzt. Mehr rachsüchtig als dankbar, hegte er auch einen geheimen Groll gegen Montreals Brüder, deren rohes Benehmen oft seinen Stolz verwundet hatte; und mehr als alles veranlaßten ihn die Erinnerungen aus seinen Knabenjahren an die Furcht und die Verwünschungen, womit Ursula immer von dem schrecklichen Fra Moreale gesprochen, zu dem unbestimmten Glauben, daß der Provençale ihm selbst oder seinem Geschlecht früher irgend ein Unrecht zugefügt habe, welches er nicht übel Lust hatte, bei vorkommender Gelegenheit zu rächen. In der Tat hatten Ursulas Worte, mit ihren dunklen und geheimnisvollen Beschuldigungen in dem Knaben Villani ein unerklärliches Gefühl von Widerwillen und Haß gegen den Mann zurückgelassen, den zu verraten jetzt sein Plan war. Uebrigens schien ihm jede List anständig und gerechtfertigt, wenn er dadurch seinen Gebieter rettete, seinem Vaterlande diente und sich weiter brachte.

Montreal war allein in seinem Zimmer, als man ihm meldete, daß ein junger Italiener um eine Audienz bitte. Seinem Charakter und Gewerbe nach zugänglich, ließ er den Bittsteller augenblicklich vor.

Der Johanniter erkannte sogleich den Pagen, mit dem er in Avignon zusammengetroffen war, und als Angelo Villani mit freimütiger Keckheit sagte: »Ich bin gekommen, um Herrn Walter von Montreal an ein Versprechen zu erinnern – –« unterbrach ihn der Ritter mit herzlicher Freundlichkeit: »Dessen bedarf es nicht – ich erinnere mich. Kann dir meine Freundschaft nützen?«

»Ja, edler Signor!« erwiderte Angelo; »ich weiß nicht, wo ich anders einen Gönner suchen soll.«

»Kannst du lesen und schreiben? Ich fürchte, nein.«

»Man hat mich in beidem unterrichtet,« versetzte Villani.

»Es ist gut. Bist du von edler Geburt?«

»Ich bin es.«

»Oder besser – dein Name?«

»Angelo Villani.«

»Ich nehme deine blauen Augen und deine niedere, breite Stirn zum Pfand deiner Treue,« sagte Montreal mit einem leichten Seufzer. »Von nun an, Angelo Villani, gehörst du zu meinen Geheimschreibern. Ein andermal sollst du mir von dir selbst erzählen. Dein Dienst beginnt mit dem heutigen Tage. Uebrigens fehlt es keinem, der Walter von Montreal dient, an Geld, und auch nicht an Beförderung, wenn er ihm treu dient. Mein Kabinett, zu welchem jene Tür führt, ist dein Wartezimmer. Frage nach Lusignan von Lyon und sende ihn hierher; er ist mein Oberschreiber, der für deine Bedürfnisse sorgen und dich in deinem Geschäft unterweisen wird.«

Angelo entfernte sich – Montreals Auge folgte ihm.

»Eine sonderbare Aehnlichkeit!« sagte er nachdenklich und traurig; »mein Herz schlägt diesem Knaben entgegen!«

Drittes Kapitel.
Montreals Bankett.

Wenige Tage nach den in dem letzten Kapitel berichteten Vorfällen erhielt Rienzi Nachrichten aus Rom, die eine freudige, erhebende Aufregung in ihm zu erwecken schienen. Seine Truppen lagen noch vor Palestrina, und die Banner der Barone wehten noch von dessen unbezwungenen Mauern. Tatsächlich vergeudeten die Italiener die Hälfte ihrer Zeit in gegenseitigen Streitigkeiten; die von Velletri lagen in Fehde mit dem Volk von Tivoli, und die Römer fürchteten sich immer noch, die Barone zu besiegen. »Die Hornisse,« sagten sie, »sticht noch schlimmer, wenn sie tot ist, und weder von einem Orsini noch von einem Savelli oder Colonna weiß man, daß je einer verziehen.«

Wieder und immer wieder hatten die Hauptleute seines Heeres dem ungehaltenen Senator versichert, daß die Feste uneinnehmbar sei, und daß Zeit und Geld vergebens bei der Belagerung verschwendet würden. Rienzi wußte es besser, aber er verheimlichte seine Gedanken.

Er berief jetzt die Brüder aus der Provence in sein Zelt und machte sie mit seiner Absicht bekannt, sogleich nach Rom zurückzukehren. »Die Söldlinge sollen die Belagerung unter unserem Leutnant fortsetzen, und ihr sollt mich mit meiner römischen Legion begleiten. Euer Bruder Walter und ich bedürfen eurer Anwesenheit; wir haben Geschäfte unter uns zu ordnen. Nach wenigen Tagen werde ich in der Stadt Rekruten ausheben und dann zurückkehren.«

Gerade dies wünschten die Brüder; mit sichtlicher Freude willigten sie in den Vorschlag des Senators.

Nun sandte Rienzi zunächst nach dem Leutnant seiner Leibwache, demselben Riccardo Annibaldi, dessen sich der Leser aus einem früheren Kapitel dieses Werkes als des Gegners von Montreals Lanze erinnern wird. Dieser junge Mann – einer von den wenigen Adeligen, welche der Sache des Senators beitraten – hatte großen Mut und militärische Geschicklichkeit bewiesen und versprach (falls das Schicksal sein Leben verschonen sollte) Es scheint dies derselbe Annibaldi gewesen zu sein, der später bei einem Aufstand umkam; Petrarca lobt seine Tapferkeit und beklagt sein Geschick. einer der tüchtigsten Hauptleute seiner Zeit zu werden.

»Teurer Annibaldi,« sagte Rienzi, »endlich kann ich den Plan ausführen, den wir schon insgeheim besprochen. Ich nehme die beiden provençalischen Hauptleute mit mir nach Rom – ich lasse Euch an der Spitze des Heeres. Palestrina wird sich jetzt ergeben – he! – ha, ha, ha! – Palestrina wird sich jetzt ergeben!«

»Bei meiner Rechten, ich denke so, Senator,« versetzte Annibaldi. »Diese Fremden haben bis jetzt nur Streit unter uns selbst veranlaßt, und wenn nicht Schurken, sind sie ganz gewiß Verräter!«

»Bst, bst, bst! Verräter! Der gelehrte Arimbaldo, der tapfere Brettone! Pfui doch! Nein, nein; sie sind ausgezeichnete Ehrenmänner, aber nicht glücklich im Felde – nicht glücklich im Felde – besser, man schafft sie in die Stadt! Und jetzt an das Geschäft!«

Der Senator setzte Annibaldi jetzt den Plan auseinander, den er zur Einnahme der Stadt entworfen, und Annibaldis militärischer Scharfblick sah sogleich die Möglichkeit der Ausführung ein.

Mit seinen römischen Truppen und zu jeder Seite einen von Montreals Brüdern, zog Rienzi dann nach Rom ab.

In dieser Nacht gab Montreal Pandulpho di Guido und einigen vornehmen Bürgern, von denen er bereits einen nach dem anderen ausgeforscht und sehr kühl für die Sache des Senators gefunden hatte, ein Bankett.

Pandulpho saß zur Rechten des Johanniterritters und Montreal überhäufte ihn mit den höflichsten Aufmerksamkeiten.

»Tut mir in diesem Bescheid – er ist aus dem Tal Chiana, nahe bei dem Monte Pulciano,« sagte Montreal. »Ich meine, ich habe Gelehrte sagen hören (Ihr wißt, Signor Pandulpho, wir sollten jetzt alle Gelehrte sein!), die Lage sei von altersher berühmt. Der Wein hat wirklich eine kräftige Blume.«

»Ich höre,« sagte Bruttini, einer der niederen Barone (ein zuverlässiger Freund der Colonna), »in dieser Beziehung habe des Gastwirts Sohn seine Büchergelehrsamkeit nützlich angewendet; er weiß jeden Ort, wo ein vorzüglicher Wein wächst.«

»Wie! der Senator ist Weinsäufer geworden?« sagte Montreal, einen großen, vollen Becher hinunterstürzend; »das muß ihn für Geschäfte untauglich machen – es ist schade.«

»Wahrlich, ja,« sagte Pandulpho, »ein Mann an der Spitze eines Staates sollte mäßig sein – ich trinke nie reinen Wein.«

»Ach,« flüsterte Montreal, »wenn Euer ruhiger, heller Verstand Rom regierte, dann wahrlich möchte die Hauptstadt Italiens den Frieden zu kosten bekommen. Signor Vivaldi« – und der Wirt wandte sich gegen einen reichen Tuchhändler – »diese Unruhen bringen dem Handel Nachteil.«

»Gewiß, gewiß,« seufzte der Tuchhändler.

»Die Barone sind Eure besten Kunden,« sagte der kleine Baron.

»Bei weitem, bei weitem!« antwortete der Tuchhändler.

»Es ist schade, daß sie in so rauher Weise verbannt sind,« sagte Montreal in melancholischem Tone. »Wäre es nicht möglich, wenn der Senator (ich trinke auf seine Gesundheit) weniger rasch – oder vielmehr weniger eifrig wäre – freisinnige Einrichtungen mit der Rückkehr der Barone in Einklang zu bringen? Dies sollte die Aufgabe eines wahrhaft weisen Staatsmannes sein!«

»Gewiß wäre es möglich,« versetzte Vivaldi; »die Savelli allein geben mehr bei mir aus als das ganze übrige Rom.«

»Ich weiß nicht, ob es möglich ist,« sagte Bruttini, »aber das weiß ich, daß es ein Hohn gegen alle Schicklichkeit ist, wenn ein Gastwirtssohn imstande sein soll, eine Einöde aus den Palästen Roms zu machen.«

»Gewiß zeugt dies von einem zu niedrigen Verlangen nach Pöbelgunst,« sagte Montreal. »Indessen hoffe ich, wir werden alle diese Mißhelligkeiten ausgleichen. Vielleicht – ja, ohne Zweifel meint es Rienzi gut!«

»Ich wollte,« sagte Vivaldi, der seine Anweisung erhalten hatte, »wir bildeten eine gemischte Verfassung – Plebejer und Patrizier, beide in ihren abgesonderten Ständen.«

»Aber,« sagte Montreal ernst, »ein so neuer Versuch würde eine bedeutende physische Macht erfordern.«

»Wohl wahr; aber wir könnten dann einen Schiedsrichter berufen – einen Fremden, der kein Interesse an der einen oder anderen Partei hätte – der den neuen buono stato beschützte: einen Podesta, wie wir sie früher schon hatten – Brancaleone zum Beispiel. Wie gut und weise regierte er. Das war ein goldenes Zeitalter für Rom. Ein Podesta für immer! – das ist meine Theorie.«

»Nach dem Präsidenten Eures Rates braucht Ihr nicht weit zu suchen,« sagte Montreal und lächelte Pandulpho an; »ein Bürger, der zugleich beliebt, wohlgeboren und reich ist, findet sich zu meiner Rechten.«

Pandulpho räusperte sich und errötete.

Montreal fuhr fort: »Ein Handelsausschuß gebe eine ehrenvolle Stelle für Signor Vivaldi, und die Besorgung aller auswärtigen Angelegenheiten, die Anführung der Heere usw. könnte den Baronen überlassen werden, mit einer freieren Bewerbung, Signor di Bruttini, für die Barone zweiten Ranges, als ihrer Geburt und Wichtigkeit bis jetzt eingeräumt wurde. Meine Herren, wollt ihr den Malvasier kosten?«

»Indessen,« sagte Vivaldi nach einer Pause (Vivaldi versah schon im Geiste wenigstens die ganze große Kompagnie mit dem nötigen Tuch), »indessen würde Rienzi nie einer so gemäßigten und wohlüberdachten Verfassung beitreten.«

»Warum auch? Wozu brauchen wir Rienzi?« rief Bruttini aus. »Rienzi mag wieder eine Reise nach Böhmen machen.«

»Sachte, sachte,« sagte Montreal; »ich verzweifle noch nicht. Alle offene Gewalt gegen den Senator würde seine Macht verstärken. Nein, nein, demütigt ihn, laßt die Barone ein, und dann besteht auf euren Bedingungen. Zwischen den beiden Parteien könnt ihr dann herrlich das Gleichgewicht halten. Und um eure neue Verfassung vor der Anmaßung beider Parteien zu schützen, gibt es ja Krieger und Ritter genug, die gegen Erteilung eines gewissen Ranges in der großen Stadt Rom Reiter und Fußsoldaten zu ihrem Dienste unterhalten würden. Wir Leute von jenseits der Alpen werden oft hart beurteilt; wir sind Wanderer und Ismaeliten, nur weil wir keinen ehrenvollen Ruheplatz haben. Wenn ich jetzt – –«

»Ja, wenn Ihr, edler Montreal!« sagte Vivaldi.

Die Gesellschaft schwieg in atemloser Aufmerksamkeit, als man plötzlich tief, feierlich, gedämpft – die große Glocke des Kapitols hörte!

»Horcht!« sagte Vivaldi, »die Glocke; sie läutet zur Hinrichtung; eine ungewohnte Stunde!«

»Aber der Senator ist ja doch nicht zurück!« rief Pandulpho di Guido erblassend.

»Nein, nein,« sagte Bruttini, »es ist nur ein Räuber, der vor zwei Tagen in der Romagna gefangen wurde. Ich hörte, er sollte heute nacht sterben.«

Bei dem Worte »Räuber« wechselte Montreal leicht die Farbe. Der Wein kreiste – die Glocke läutete fortwährend – nachdem die erste Ueberraschung vorüber war, beunruhigte man sich nicht mehr deshalb. Das Gespräch kam wieder in Gang.

»Was wolltet Ihr sagen, Herr Ritter?« fragte Vivaldi.

»Ja, ich muß mich besinnen; – ja, als ich von der Notwendigkeit sprach, einen neuen Staat mit Gewalt aufrecht zu erhalten, sagte ich, daß, wenn ich – –«

»Ja, das war es!« rief Bruttini, heftig auf den Tisch schlagend.

»Wenn ich aufgefordert würde, euch beizustehen – aufgefordert (merkt das wohl, und durch den Legaten des Papstes von meinen früheren Sünden absolviert – sie lasten schwer auf mir, edle Herren – ), so wollte ich eure Stadt gegen auswärtige Feinde und innere Unruhen mit meinen tapferen Kriegern schützen. Kein römischer Bürger sollte mir einen Denaro zu den Kosten beisteuern.«

»Viva, Fra Moreale!« rief Bruttini, und der Ruf hallte in der ganzen munteren Versammlung wider.

»Mir genügt,« fuhr Montreal fort, »meine Sünden zu sühnen. Ihr wißt, meine Herren, mein Orden ist Gott und der Kirche geweiht – ich bin ein Krieger-Mönch! Mir, sage ich, genügt, meine Sünden zu sühnen durch die Verteidigung der heiligen Stadt. Aber ich habe auch meine geheimen, irdischen Absichten – wer ist über diese erhaben? Ich – – die Glocke ändert ihren Ton!«

»Es ist nur der Wechsel, welcher der Hinrichtung vorangeht; der arme Räuber ist im Begriff zu sterben!«

Montreal bekreuzte sich und fuhr dann fort: »Ich bin ein Ritter und ein Edelmann,« sagte er stolz; »der Beruf, dem ich gefolgt, ist das Waffenhandwerk, aber ich will es nicht verhehlen, meine Standesgenossen haben mich als einen Mann betrachtet, der seinen Schild durch zu rastloses Streben nach Ruhm und Gewinn befleckte. Ich wünsche mich mit meinem Orden auszusöhnen, mir einen neuen Namen zu erringen, mich vor dem Großmeister und dem Papst zu rechtfertigen. Ich habe, edle Herren, Winke – Winke bekommen, daß ich meine Sache am besten dadurch fördern könne, daß ich in der päpstlichen Hauptstadt die Ordnung wiederherstelle. Der Legat Albornoz (hier ist sein Brief) empfiehlt mir, ein wachsames Auge auf den Senator zu haben.«

»Bestimmt,« unterbrach ihn Pandulpho, »ich höre unten Tritte.«

»Der Pöbel, der zur Hinrichtung des Räubers geht,« sagte Bruttini; »fahrt fort, Herr Ritter!«

»Und,« begann dann Montreal wieder, nachdem er seine Zuhörer überblickt, bevor er weiter sprach, »was meint ihr, (ich frage nur nach eurer besseren Ansicht), was meint ihr, wäre es nicht eine zweckmäßige Vorsichtsmaßregel gegen einen zu willkürlichen Gebrauch der Macht von seiten des Senators, was haltet ihr von der Rückkehr der Colonna und der kühnen Barone von Palestrina?«

»Auf ihre Gesundheit!« rief Vivaldi, sich erhebend.

Wie von einer plötzlichen Regung ergriffen, stand die Gesellschaft auf. »Auf die Gesundheit der belagerten Barone!« tönte es laut.

»Und dann, wie, wenn – ich schlage es nur bescheiden vor – wie, wenn ihr dem Senator einen Kollegen gäbet? Es ist keine Beleidigung für ihn. Erst kürzlich bekam einer von den Colonna, als Senator, einen Kollegen in Bertoldo Orsini.«

»Eine höchst weise Vorsichtsmaßregel,« rief Vivaldi. »Und wo findet man einen Kollegen, wie Pandulpho di Guido?«

»Viva Pandulpho di Guido!« riefen die Gäste, und wieder wurden die Becher bis auf den Grund geleert.

»Und wenn ich euch hierin mit guten Worten bei dem Senator dienen kann (ihr wißt, er schuldet uns Geld, meine Brüder haben ihm gedient), so gebietet über Walter von Montreal.«

»Und wenn schöne Worte nichts helfen?« sagte Vivaldi.

»So ist die große Kompagnie – versteht mich wohl, ihr entscheidet – so ist die große Kompagnie an Eilmärsche gewöhnt!«

»Viva Fra Moreale!« riefen Bruttini und Vivaldi in einem Atem. »Auf die Gesundheit aller, meine Freunde,« fuhr Bruttini fort; »auf die Gesundheit der Barone, der alten Freunde Roms; Pandulpho di Guidos, des neuen Kollegen des Senators, und Fra Moreales, des neuen Podesta von Rom.«

»Die Glocke hat zu läuten aufgehört,« sagte Vivaldi, seinen Becher niedersetzend.

»Der Himmel erbarme sich des Räubers!« setzte Bruttini hinzu.

Kaum hatte er gesprochen, als man dreimal an die Tür pochen hörte. Die Gäste blickten einander in stummem Erstaunen an.

»Neue Gäste!« sagte Montreal. »Ich bat einige vertraute Freunde, den Abend mit uns zuzubringen. Bei meiner Treu, sie sind willkommen. Herein!«

Die Tür öffnete sich langsam; zu drei und drei traten in vollständiger Rüstung die Wachen des Senators ein. In schweigender Ordnung rückten sie vor. Sie umringten die festliche Tafel, sie füllten den geräumigen Saal, und die Lichter des Bankettes strahlten von ihren Harnischen, wie von einer stählernen Mauer wider.

Die Festgenossen sprachen keine Silbe, sie waren wie versteinert. Jetzt machten die Wachen Platz, und Rienzi selbst erschien. Er näherte sich der Tafel, schlug die Arme übereinander und ließ sein Auge aufmerksam von Gast zu Gast wandern, bis sein Blick endlich auf Montreal haften blieb, der auch aufgestanden war und allein von der Gesellschaft sich von dem augenblicklichen Erstaunen erholt hatte.

Und als jetzt diese beiden so berühmten, so stolzen, gewandten und ehrgeizigen Männer sich Stirn gegen Stirn gegenüberstanden, war es buchstäblich, als ob verkörpert und kampfgerüstet die wetteifernden Mächte Stärke und Geist, Ordnung und Streit, das Schwert und die Liktorstäbe – die widerstreitenden Grundsätze, durch welche Reiche beherrscht und Reiche gestürzt werden, sich begegneten. Beide standen sie schweigend da, als wäre jeder durch den Blick des anderen bezaubert, höher von Wuchs und edler in ihrer Erscheinung als alle Anwesenden.

Montreal sprach zuerst, und mit erzwungenem Lächeln.

»Senator von Rom! darf ich glauben, mein bescheidenes Bankett locke dich hierher, und darf ich mir schmeicheln, diese Bewaffneten seien ein Beweis von Aufmerksamkeit gegen einen Mann, dem die Waffen ein Zeitvertreib gewesen sind?«

Rienzi antwortete nicht, sondern winkte mit der Hand seinen Wachen. Montreal wurde augenblicklich festgenommen. Abermals überblickte er die Gäste – wie ein Vogel vor der Klapperschlange, so bebte Pandulpho di Guido zitternd, regungslos, bestürzt vor dem funkelnden Auge des Senators zurück. Langsam erhob Rienzi seine verderbliche Hand gegen den unglücklichen Bürger – Pandulpho sah, fühlte sein Schicksal, schrak zusammen – und fiel besinnungslos in die Arme der Soldaten.

Noch einen zweiten, raschen Blick ließ der Senator rund um die Tafel schweifen und wandte sich dann mit verächtlichem Lächeln, als ob er sich wenig um gemeinere Beute bekümmerte, ab. Kein Hauch war bis jetzt über seine Lippen gekommen – alles war ein stummes Schauspiel gewesen – und sein grimmiges Schweigen hatte seiner unerwarteten Erscheinung noch einen erkältenderen Schrecken verliehen. Erst als er die Tür erreichte, wandte er sich um, blickte in das kühne, unverzagte Angesicht des Johanniters und sagte beinahe flüsternd: »Walter von Montreal, Ihr habt die Totenglocke gehört!«

Viertes Kapitel.
Walter von Montreals Urteil.

Schweigend ließ sich der Hauptmann der großen Kompagnie in das Gefängnis des Kapitols bringen. Die Nebenbuhler um die Herrschaft Roms wohnten in demselben Gebäude; der eine im Gefängnis, der andere im Palast. Die Wachen ersparten ihm die Förmlichkeit der Fesseln und ließen eine Lampe auf dem Tische, bei deren Schein Montreal bemerkte, daß er nicht allein war – seine Brüder waren ihm vorangegangen.

»Glückliches Zusammentreffen!« sagte der Johanniterritter; »wir haben angenehmere Nächte zusammen verlebt, als diese wahrscheinlich werden dürfte.«

»Kannst du noch scherzen, Walter?« sagte Arimbaldo, halb weinend. »Weißt du nicht, daß unser Urteil beschlossen ist? der Tod gähnt uns an.«

»Tod!« wiederholte Montreal und wechselte jetzt zum erstenmal die Farbe; zum erstenmal vielleicht in seinem Leben empfand er den durchdringenden Schauer der Furcht.

»Der Tod!« wiederholte er noch einmal. »Unmöglich! Er wagt es nicht, Brettone; die Soldaten, die Nordländer! – sie werden sich empören und uns den Krallen des Henkers entreißen!«

»Nähre keine so eitle Hoffnung,« sagte Brettone mürrisch; »die Soldaten lagern vor Palestrina.«

»Wie! Einfältiger Tölpel! So kamst du allein nach Rom! Sind wir allein mit diesem fürchterlichen Manne?«

» Du bist der Tölpel! Warum kamst du hierher?« antwortete der Bruder.

»Nun, wahrlich! weil ich wußte, daß du sein Heer befehligtest, und – aber du hattest recht – von mir war es eine Torheit, dem Tribun einen so ungleichen Kopf, wie den deinigen, gegenüberzustellen. Genug! Vorwürfe nützen nichts. Wann wurdet ihr festgenommen?«

»Mit der Dämmerung – in dem Augenblick, wo wir die Tore Roms hinter uns hatten. Rienzi kam in der Stille hierher.«

»Hm! Was kann er wissen, das gegen mich spricht? Wer kann mich verraten haben? Meine Geheimschreiber sind erprobt – alle des Vertrauens würdig – den Jüngling ausgenommen, der dem Anschein nach so eifrig ist – Angelo Villani!«

»Villani! – Angelo Villani!« riefen die Brüder in einem Atem. »Hast du ihm etwas anvertraut?«

»Nun, ich fürchte, er hat – wenigstens teilweise – meine Korrespondenz mit euch und den Baronen gesehen – er war einer meiner Schreiber. Wißt ihr mehr von ihm?«

»Walter – der Himmel hat dich verblendet,« versetzte Brettone; »Angelo Villani ist der Lieblingsdiener des Senators.«

»So haben mich denn diese Augen betrogen,« murmelte Montreal feierlich mit Schaudern, »und als ob ihr Geist auf die Erde zurückgekehrt wäre, so schlägt mich Gott von ihrem Grabe aus nieder.«

Nun folgte ein langes Schweigen. Endlich sprach Montreal wieder, dessen kühnes, sanguinisches Temperament nie lange getrübt blieb.

»Sind die Koffer des Senators gefüllt? – Doch das ist unmöglich.«

»Leer, wie die eines Dominikaners.«

»Dann sind wir gerettet. Er soll den Preis für unsere Köpfe nennen. Geld muß ihm mehr von Nutzen sein als Blut.«

Und wie wenn dieser Gedanke jede weitere Ueberlegung überflüssig gemacht hätte, warf Montreal seinen Mantel ab und streckte sich auf eine Pritsche in einer Ecke des Zimmers nieder.

»Ich habe auf schlechteren Betten geschlafen,« sagte der Ritter, als er sich niederlegte, und nach wenigen Minuten war er fest eingeschlafen.

Mit Neid und Verwunderung lauschten die Brüder seinen tiefen, aber regelmäßigen Atemzügen; doch waren sie nicht zu Gesprächen gestimmt. Stumm und still saßen sie wie Bildsäulen neben dem Schläfer. Die Zeit verstrich, und die erste kühle Luft der auf die Mitternacht folgenden Stunde drang durch die Gitter ihrer Zelle. Die Riegel knarrten, die Tür ging auf, sechs Bewaffnete traten ein, gingen an den Brüdern vorbei, und einer von ihnen berührte Montreal.

»Ha!« sagte dieser, indem er sich im Schlafe umwandte, in der sanften provençalischen Mundart, »ha! süße Adeline, wir wollen noch nicht aufstehen – es ist so lange her, seit wir nicht mehr beisammen waren!«

»Was sagt er?« brummte die Wache und schüttelte Montreal derb. Der Ritter sprang rasch auf, und seine Hand fuhr nach dem oberen Teile des Bettes, als suchte sie nach seinem Schwert. Er blickte wild um sich, rieb sich die Augen, starrte die Wache an und erwachte dann zu dem Bewußtsein seiner Lage.

»Ihr steht früh auf hier im Kapitol,« sagte er. »Was wollt Ihr von mir?«

» Sie wartet auf Euch!«

» Sie! Wer?« sagte Montreal.

»Die Folter!« antwortete der Soldat mit boshaftem Blick.

Der große Hauptmann sagte kein Wort. Einen Augenblick betrachtete er die sechs Männer, als wollte er seine Stärke gegen die ihrige vergleichen. Dann schweifte sein Auge durch das Zimmer. Die roheste Eisenstange wäre ihm jetzt mehr wert gewesen als je der gediegenste Stahl von Mailand. Er endigte seinen Blick mit einem Seufzer, warf seinen Mantel über die Schultern, nickte seinen Brüdern zu und folgte der Wache.

In einem mit der unheilvollen roten, weißgestreiften Seide behangenen Saale des Kapitols saßen Rienzi und seine Räte. Ueber eine Vertiefung des Gemaches war ein schwarzer Vorhang niedergelassen.

»Walter von Montreal,« sagte ein kleiner Mann unten an der Tafel, »Ritter des erlauchten Ordens des heiligen Johannes von Jerusalem – –«

»Und Hauptmann der großen Kompagnie!« setzte der Gefangene mit fester Stimme hinzu.

»Ihr seid mehrfacher Verbrechen angeklagt: des Raubes und des Mordes in Toskana, der Romagna und Apulien – –«

»Des Raubes und des Mordes; tapfere Männer und wehrhafte Ritter,« sagte Montreal, sich aufrichtend, »würden die Worte ›Krieg und Sieg‹ gebrauchen. Hinsichtlich dieser Anklage bekenne ich mich schuldig. – Fahrt fort!«

»Sodann seid Ihr einer verräterischen Verschwörung gegen die Freiheit Roms behufs der Wiedereinsetzung der geächteten Barone – und eines verräterischen Briefwechsels mit Stephanello Colonna in Palestrina angeklagt.«

»Mein Ankläger?«

»Tretet vor, Angelo Villani!«

»Du also hast mich verraten?« sagte Montreal fest. »Ich habe es verdient. Ich bitte Euch, Senator von Rom, laßt diesen jungen Mann abtreten. Ich bekenne meinen Briefwechsel mit dem Colonna und meine Absicht, die Barone wieder einzusetzen.«

Rienzi winkte Villani, der sich mit einer Verbeugung entfernte.

»Dann bleibt Euch, Walter von Montreal, nichts mehr übrig, als vollständig und der Wahrheit gemäß die näheren Umstände Eurer Verschwörung anzugeben.«

»Das ist unmöglich,« versetzte Montreal nachlässig.

»Und warum?«

»Weil, wenn ich auch über mein eigenes Leben nach Belieben schalte, ich an dem Leben anderer nicht zum Verräter werden will.«

»Bedenke dich – du wolltest das Leben deines Richters verraten!«

»Nicht verraten – – du schenktest mir kein Vertrauen.«

»Das Gesetz, Walter von Montreal, hat scharfe Fragmittel – sieh her!«

Der schwarze Vorhang wurde auf die Seite gezogen, und Montreals Auge fiel auf den Henker und die Folter! Seine stolze Brust hob sich vor Entrüstung.

»Senator von Rom,« sagte er, »diese Werkzeuge sind für Knechte und Schurken. Ich war ein Krieger und Heerführer; Leben und Tod waren in meiner Hand – nach Gutdünken habe ich darüber geboten; aber meinesgleichen und meinen Feinden bot ich nie die Schmach der Folter.«

»Herr Walter von Montreal,« antwortete der Senator ernst, aber mit einer gewissen achtungsvollen Höflichkeit, »Eure Antwort ist so, wie sie von tapferen Lippen erwartet werden muß. Aber lernt von mir, den das Schicksal zu Eurem Richter gemacht, daß für Knechte und Schurken ebensowenig wie für Ritter und Edle diese Werkzeuge die Hilfsmittel des Gesetzes oder die Proben der Wahrheit sind. Ich gab nur dem Wunsche dieser ehrwürdigen Räte nach, um deine Nerven zu erproben. Aber wärest du auch der gemeinste Bauer aus der Campagna, vor meinem Richterstuhl dürftest du nicht vor der Folter bangen. Walter von Montreal, ist unter den Fürsten Italiens, die du kennen gelernt, unter den römischen Baronen, welchen du Beistand leisten wolltest, einer, der sich dessen rühmen könnte?«

»Ich wollte nur,« sagte Montreal etwas zögernd, »die Barone mit dir vereinigen; auch trachtete ich nicht nach deinem Leben!«

Rienzi runzelte die Stirn. – »Genug,« sagte er rasch. »Ritter des heiligen Johannes, ich kenne deine geheimen Pläne; Ausflüchte und Notbehelfe schicken sich nicht für dich und nützen dir nichts. Wenn nicht gegen mein Leben, so verschworst du dich gegen das Leben Roms. Nur eine Gunst hast du auf Erden dir noch zu erbitten, das ist die Art deines Todes.«

Montreals Lippen zogen sich konvulsivisch zusammen.

»Senator,« sagte er mit leiser Stimme, »darf ich um eine Unterredung mit dir allein für nur eine Minute bitten?«

Die Räte sahen auf.

»Mein Gebieter,« flüsterte der älteste von ihnen, »ohne Zweifel trägt er verborgene Waffen – traut ihm nicht.«

»Gefangener,« versetzte Rienzi nach einer kurzen Pause, »wenn Ihr Gnade sucht, so ist Euer Begehren vergebens, und vor meinen Räten habe ich kein Geheimnis: sprecht aus, was Ihr mir sagen wollt!«

»Höre mich dennoch an,« sagte der Gefangene, indem er die Arme übereinander legte; »es betrifft nicht mein Leben, sondern die Wohlfahrt Roms.«

»Dann,« sagte Rienzi in verändertem Tone, »ist deine Bitte gewährt. Du kannst vielleicht deine Schuld durch einen Mordversuch vergrößern, für Rom aber würde ich mich noch größerer Gefahr aussetzen.«

Bei diesen Worten winkte er den Räten zu, welche sich sofort langsam durch die Tür entfernten, durch welche Villani eingetreten war, während sich die Wachen an das äußerste Ende des Saales zurückzogen.

»Jetzt, Walter von Montreal, fasse dich kurz, deine Augenblicke sind gezählt.«

»Senator,« sagte Montreal, »mein Tod kann Euch nur wenig nützen: die Leute werden sagen, Ihr hättet Eure Gläubiger vernichtet, um Euch einer Schuld zu entledigen. Bestimmt eine Summe für mein Leben, schlagt es so hoch an wie das eines Monarchen; jeder Gulden soll Euch bezahlt werden und Euer Schatz wird auf fünf Jahre voll sein. Wenn der buono stato von deiner Regierung abhängt, so wird dir deine Sorge für Rom nicht gestatten, meine Bitte zurückzuweisen.«

»Ihr irrt Euch in mir, kecker Räuber,« sagte Rienzi ernst; »gegen Euren Verrat könnte ich mich schützen und deshalb verzeihen, gegen Euren Ehrgeiz nie. Merkt auf, ich kenne Euch! Legt Eure Hand aufs Herz und sagt mir, ob Ihr, könnten wir unsere Plätze wechseln, als Rienzi um alles Gold der Welt das Leben Walters von Montreal Euch abkaufen ließet? Was die Menschen über mein Benehmen sagen, muß ich dulden; aber in meinen eigenen Augen muß ich rein von Bestechung sein. Ich bin Gott für die Wohlfahrt Roms verantwortlich. Und Rom zittert, so lange das Haupt der großen Kompagnie in dem brütenden Gehirn und in dem kühnen Herzen Walters von Montreal lebt. Mann – so reich, groß und schlau du bist, deine Stunden sind gezählt, mit Sonnenaufgang mußt du sterben!«

Montreals Auge las auf dem Antlitz des Senators, daß ihm keine Hoffnung mehr blieb; sein Stolz und seine Kraft kehrten ihm zurück.

»Wir haben unnütze Worte verschwendet,« sagte er, »ich spielte ein großes Spiel, habe es verloren und muß dafür büßen! Ich bin bereit. An der Grenze zweier Welten kommt der dunkle Geist der Weissagung über uns. Großer Senator, ich gehe dir voran, um anzusagen, daß – im Himmel oder in der Hölle – binnen wenigen Tagen Raum für einen Mächtigeren, als ich bin, geschaffen werden muß!«

Während er sprach, wurde seine Gestalt größer, sein Auge funkelte: Rienzi bebte, wie noch nie zuvor, schrak zurück und bedeckte sein Antlitz mit der Hand.

»Die Art Eures Todes?« fragte er mit hohler Stimme.

»Das Beil, als diejenige, welche sich am besten für einen Ritter und Krieger schickt. Für dich, Senator, hat das Schicksal einen minder edlen Tod bestimmt.«

»Schweig, Räuber!« sagte Rienzi leidenschaftlich; »Wachen, führt den Gefangenen zurück. Mit Sonnenaufgang, Montreal – –«

»Geht die Sonne der Geißel von Italien unter,« sagte der Ritter bitter. »Sei es so. Noch eine Bitte. Die Johanniterritter rühmen sich ihrer Verwandtschaft mit dem Augustinerorden, gewährt mir einen Augustiner zum Beichtiger.«

»Zugestanden, und zur Vergeltung deiner Androhungen will ich, der ich dir auf Erden keine Gnade widerfahren lassen kann, den Richter aller um Gnade für deine Seele bitten!«

»Senator, menschliche Vermittlung hat für mich keinen Wert mehr. Meine Brüder? Ihr Tod ist für deine Sicherheit oder Rache nicht notwendig!«

»Rienzi sann einen Augenblick nach. »Nein,« sagte er, »sie waren gefährliche Werkzeuge, aber ohne die leitende Hand werden sie unschädlich verrosten. Außerdem leisteten sie mir einmal Dienste. Gefangener, ihr Leben wird geschont.«

Fünftes Kapitel.
Die Entdeckung.

Die Ratssitzung war aufgehoben – Rienzi eilte in seine Gemächer. Unterwegs begegnete er Villani und drückte dem jungen Manne leidenschaftlich die Hand. »Du hast Rom und mich aus einer großen Gefahr gerettet,« sagte er, »die Heiligen mögen es dir lohnen!« Ohne Villanis Antwort abzuwarten, eilte er fort. Nina erwartete ihn voll banger Unruhe in ihrem Zimmer.

»Noch nicht zu Bette?« sagte er, »ei, Nina! selbst deine Schönheit wird diesen Nachtwachen nicht trotzen.«

»Ich konnte nicht ruhen, ehe ich dich gesehen. Ich höre (ganz Rom hat es zuvor gehört), du habest Walter von Montreal festnehmen lassen, und er solle durch die Hand des Henkers sterben.«

»Der erste Räuber, der je eines so tapferen Todes starb,« antwortete Rienzi, während er sich langsam entkleidete.

»Cola, ich habe nie deine Pläne – deine Politik, auch nur durch einen Wink durchkreuzt. Mir genügt, mich des Gelingens derselben zu freuen, über ihr Fehlschlagen zu trauern. Jetzt bitte ich um eine Gnade – schone das Leben dieses Mannes.«

»Nina – –«

»Höre mich – ich rede nur in deinem Interesse! Trotz seiner Verbrechen haben seine Tapferkeit und sein Geist ihm Bewunderer, sogar unter seinen Feinden erweckt. Mancher Fürst, mancher Staat, der über seinen Fall frohlockt, wird seinen Richter verabscheuen. Höre mich weiter; seine Brüder waren dir zu deiner Rückkehr behilflich; die Welt wird dich undankbar nennen. Seine Brüder liehen dir Geld, die Welt – (pfui über sie!) – wird sagen – –«

»Halt!« unterbrach sie der Senator. »Alles, was du sagst, sah ich im Geiste voraus. Aber du kennst mich – dir verberge ich nichts. Kein Vertrag kann Montreals Treue binden, keine Gnade seine Dankbarkeit gewinnen. Wahrheit und Gerechtigkeit verschwinden vor seiner blutigen Rechten. Wenn ich ihn freigebe, werden, noch ehe wir die ersten Regenschauer des Aprils empfinden, die Schlachtrosse der Nordmänner in den Hallen des Kapitols wiehern. Was soll ich bei dieser Wahl aufs Spiel setzen – mich selbst oder Rom? Dringe nicht weiter in mich – zu Bett, zu Bett!«

»Könntest du dir meine Ahnungen denken, Cola, geheimnisvoll – düster – unerklärlich!«

»Ahnungen! – Ich habe meine eigenen,« antwortete Rienzi trübsinnig und stierte in die leere Luft, als sähe er sie mit Gespenstern bevölkert. Dann erhob er seine Augen zum Himmel und sagte mit jener fanatischen Heftigkeit, in welcher seine Stärke wie seine Schwäche lag: »Herr, die Sünde Sauls sei wenigstens nicht die meinige! Der Amalekiter soll nicht gerettet werden!«

Während Rienzi einen kurzen, beängstigten, unruhigen Schlummer genoß, über welchen Nina wachte – ohne Schlaf, voll Angst und Tränen, von dunklen, furchtbaren Ahnungen niedergedrückt – war der Ankläger glücklicher als der Richter. Die letzten dunklen Gedanken, welche dem jungen Geiste Angelo Villanis vorschwebten, ehe er in Schlaf versank, waren glänzend und hoffnungsvoll. Er fühlte keine Gewissensbisse darüber, daß er dem Vertrauen eines anderen eine Schlinge gelegt – er fühlte nur, daß sein Plan gelungen, sein Auftrag vollzogen war. Die dankbaren Worte Rienzis klangen in seinem Ohre und die Hoffnung auf Vermögen und Macht unter dem Szepter des römischen Senators wiegten ihn ein und umgaukelten ihn in seinen Träumen.

Kaum hatte er jedoch zwei Stunden geschlafen, als er durch einen der Bedienten des Palastes, der selbst nur halb wach war, geweckt wurde. »Verzeiht mir, Messere Villani,« sagte dieser, »aber es ist ein Bote von der guten Schwester Ursula unten; er bittet Euch, augenblicklich in das Kloster zu eilen – sie ist auf den Tod krank und hat Nachrichten, die Eure unverzügliche Gegenwart erheischen.«

Angelo, dessen krankhafte Empfindlichkeit hinsichtlich seiner Abstammung sich stets mit unbestimmten, aber ehrgeizigen Hoffnungen trug – stand auf, kleidete sich eilig an, traf unten den Boten und ging mit diesem nach dem Kloster. Im Hofe des Kapitols und bei der Löwentreppe hörte man schon den Lärm der Zimmerleute, und als er zurückblickte, sah Angelo Villani das Schafott, schwarz verhängt – schlafend, wie eine Wolke in dem grauen Licht der Dämmerung – in diesem Augenblick ertönte schwer die Glocke des Kapitols. Ein Schauder überlief ihn. Er eilte fort; ungeachtet es noch sehr früh war, begegnete er doch Gruppen von Menschen beiderlei Geschlechts, welche durch die Straßen eilten, um der Hinrichtung des gefürchteten Hauptmanns der großen Kompagnie beizuwohnen. Das Augustinerkloster lag am fernsten Ende der selbst damals so ausgedehnten Stadt, und der rote Schimmer auf den Kuppen der Hügel verkündete schon die aufgehende Sonne, bevor der junge Mann die ehrwürdige Pforte erreichte. Sein Name verschaffte ihm augenblicklichen Zutritt.

»Gebe der Himmel,« sagte eine alte Nonne, die ihn durch einen langen, krummen Gang führte, »daß du der kranken Schwester Trost bringen kannst; sie hat seit der Frühmette schmerzlich nach dir verlangt.«

In einer Zelle, die zum Empfange von weltlichen Besuchen, bei solchen Schwestern, welche die nötige Dispensation erhalten hatten, eingerichtet war, saß die betagte Nonne. Nur einmal hatte Angelo sie seit seiner Rückkehr nach Rom gesehen und seither hatte die Krankheit eine bedeutende Verheerung in Gestalt und Zügen derselben angerichtet. Und jetzt, in ihren leichentuchartigen Kleidern und mit ihrem abgemagerten Körper schien sie bei der Helle des Morgens wie ein Gespenst, das der Tag noch auf der Erde überrascht hatte. Dennoch ging sie mit kräftigerer, rascherer Bewegung auf den Jüngling zu, als bei ihrem abgezehrten, geisterhaften Aussehen möglich schien. »Du bist gekommen,« sagte sie. »Gut, gut! heute morgen nach der Frühmette nahm mich mein Beichtiger, ein Augustiner, der allein die Geheimnisse meines Lebens kennt, beiseite und sagte mir, daß Walter von Montreal von dem Senator festgenommen worden – daß er zum Tode verurteilt sei, und daß man einen von der Brüderschaft der Augustiner habe holen lassen, um ihm in seiner letzten Stunde beizustehen – ist es so?«

»Man hat dir die Wahrheit erzählt,« sagte Angelo verwundert. »Der Mann, bei dessen Namen du zu schaudern pflegtest – vor dem du mich so oft gewarnt hast – stirbt mit Sonnenaufgang.«

»So bald! – so bald! – O, barmherzige Mutter! – fliege! du bist um die Person des Senators, du stehst in hoher Gunst bei ihm; fliege! wirf dich vor ihm auf die Knie – und wenn du auf Gottes Gnade hoffst, so steh nicht auf, ehe du das Leben des Provençalen erfleht hast.«

»Sie rast,« murmelte Angelo mit bleichen Lippen.

»Ich rase nicht – Knabe!« schrie die Schwester wild, »wisse, daß meine Tochter seine Geliebte war. Er entehrte unser Haus – ein Haus, das höher als das seinige stand. Ich Sünderin gelobte Rache. Sein Knabe – sie hatten nur einen! – wurde im Lager eines Räubers auferzogen; – ein Leben voll Blutvergießen – ein schmählicher Tod – die ewige Verdammnis lagen vor ihm. Ich entriß das Kind einem solchen Schicksal – ich schaffte es fort – ich sagte dem Vater, es sei tot – ich brachte es auf den Pfad der Ehre. Möge meine Sünde mir vergeben werden! Angelo Villani, du bist dieses Kind. – Walter von Montreal ist dein Vater. Aber jetzt, am Rande des Grabes, schaudere ich bei den Rachegedanken, die ich einst nährte. Vielleicht – –«

»Eine verfluchte Sünderin!« unterbrach sie Villani mit lautem Brüllen – »eine verfluchte Sünderin bist du in der Tat! Wisse, daß ich es war, der den Geliebten deiner Tochter verriet – durch den Verrat des Sohnes stirbt der Vater!«

Keinen Augenblick zögerte er länger; er wartete den Eindruck nicht ab, den seine Worte hervorgebracht hatten. Wie ein Wahnsinniger – wie einer, den ein böser Geist besitzt oder verfolgt – stürzte er aus dem Kloster – er flog durch die leeren Straßen. Die Totenglocke klang zuerst undeutlich, dann laut zu seinem Ohr. Jeder Schlag schien ihm wie der Fluch Gottes; fort – fort – rannte er durch die verlassenen Straßen – Menschenhaufen strömten jetzt vor ihm her – er wurde in den lebendigen Strom hineingerissen, aufgehalten, zurückgedrängt – Tausende und Abertausende waren um ihn und vor ihm. Atemlos, keuchend drängte er sich immer noch vor – er machte mit Gewalt Platz – er hörte nicht – er sah nicht – alles war wie ein Traum. Ueber den fernen Hügeln ging die Sonne auf! – die Glocke verstummte! Rechts und links stieß er die Menge beiseite – seine Kraft war wie die eines Riesen. Er näherte sich dem verhängnisvollen Orte. Ein tödliches Schweigen lag wie Gewitterluft über der Menge. Er hörte, als er sich vorwärts drängte, eine tiefe, klare Stimme – es war die Stimme seines Vaters! – sie verstummte – die Versammlung atmete schwer – sie murmelten – sie wogten hin und her. Fort, fort rannte Angelo Villani. Die Wachen des Senators versperrten ihm den Weg; er stieß ihre Piken zur Seite – er entwand sich ihren Armen – er drang durch die bewaffnete Schranke – er stand auf dem Platze des Kapitols. »Halt, halt!« wollte er rufen – aber der Schrecken machte ihn stumm. Er sah das funkelnde Beil – er sah den gebogenen Nacken. Ehe er noch einmal Atem holte, wurde ein entstelltes, vom Rumpfe getrenntes Haupt emporgehoben – Walter von Montreal war nicht mehr!

Villani sah es – er wurde nicht ohnmächtig – bebte nicht zurück – atmete nicht; aber er wandte seine Augen von dem in die Höhe gehaltenen, bluttriefenden Haupte nach dem Balkon, wo der Sitte gemäß in feierlichem Prunk der Senator von Rom saß – und das Gesicht des jungen Mannes war wie das Antlitz eines Dämons!

»Ha!« murmelte er vor sich hin und erinnerte sich der Worte Rienzis sieben Jahre früher: » Glücklich bist du, der du kein Verwandtenblut zu rächen hast

Sechstes Kapitel.
Die drohende Gefahr.

Walter von Montreal wurde in der Kirche Santa Maria dell' Araceli begraben. Aber »das Unheil, das er angerichtet, lebte noch nach ihm!« Obgleich der Pöbel bis zu seiner Gefangennehmung gegen Rienzi gemurrt hatte, daß er einen so offenkundigen Freibeuter so ungestört sein Wesen treiben lasse, war er doch kaum tot, als sie schon den Gegenstand ihres Abscheues bemitleideten. Zufolge der eigentümlichen Art von Frömmigkeit, welche Montreal als einen ehrenwerten, natürlichen Charakterzug an einem Krieger stets bewiesen hatte, überließ er sich, sobald sein Urteil gefällt war, der andächtigen Vorbereitung zum Tode. Mit dem Augustinermönch brachte er den kurzen Rest der Nacht in Gebet und Beichte hin, tröstete seine Brüder und bestieg das Schafott mit dem Schritte eines Helden und der Selbstverleugnung eines Märtyrers. In der wunderbaren Verirrung des menschlichen Herzens weit entfernt, Gewissensbisse über ein Leben von handwerksmäßig verübtem Raub und Mord zu fühlen, waren beinahe die letzten Worte des tapferen Kriegers ein stolzes Rühmen seiner Taten. »Seid tapfer wie ich,« sagte er zu seinen Brüdern, »und bedenkt, daß ihr jetzt die Erben des Mannes seid, der Apulien, Toskana und die Marken gedemütigt.«

Dieses Selbstvertrauen behielt er noch auf dem Schafott. »Ich sterbe,« sagte er in seiner Anrede an die Römer, »ich sterbe zufrieden, da meine Gebeine in der heiligen Kirche des heiligen Peter und des heiligen Paul ruhen werden, und der Krieger Christi den Begräbnisplatz der Apostel teilt. Aber ich sterbe ungerechterweise. Mein Reichtum ist mein Verbrechen – die Armut eures Staates meine Anklägerin. Senator von Rom, du magst meine letzte Stunde beneiden – Männer, wie Walter von Montreal, sterben nicht ungerächt.« Hierauf wandte er sich gegen Morgen, murmelte ein kurzes Gebet, kniete langsam nieder und sagte, wie zu sich selbst: »Rom bewahre meine Asche! – die Erde mein Andenken – das Schicksal meine Rache – und jetzt, Himmel, nimm meine Seele auf! – Haut zu!« Auf den ersten Streich war das Haupt vom Rumpfe getrennt.

Da man seine Verräterei nur unvollständig kannte, und die Furcht vor ihm bald vergaß, so war alles, was in der Erinnerung Roms von Walter von Montreal Der militärische Ruf und die kühnen Taten Montreals sind von allen italienischen Autoritäten anerkannt. Einer der Schriftsteller erklärt, daß seit den Zeiten Cäsars Italien nie einen so großen Feldherrn gesehen. Der Biograph Rienzis scheint, alle Missetaten des glänzenden und ritterlichen Räubers vergessend, nur Bedauern mit seinem Schicksal zu fühlen. Er sagt überdies noch, in Tivoli sei einer seiner Diener (vielleicht unser Freund Rudolph, der Sachse) den Tag, nachdem er seinen Tod vernommen, aus Kummer gestorben. fortlebte: Bewunderung seines Heldenmuts und Mitleid mit seinem Ende. Das Schicksal Pandulpho di Guidos, welcher Montreal einige Tage später folgte, erregte noch tiefere, obwohl ruhigere Mißbilligung über den Senator. »Er war einst Rienzis Freund!« sagte der eine. »Er war ein ehrbarer rechtschaffener Bürger,« murmelte ein anderer. »Er war ein Vertreter des Volkes!« grollte Cecco del Vecchio. Aber der Senator hatte den Entschluß gefaßt, unbeugsam gerecht zu sein und jede Gefahr, die Rom bedrohte, anzusehen, wie es einem Römer geziemte. Rienzi erinnerte sich, daß sein Vertrauen stets verraten worden sei, daß er nur vergeben habe, um die Feindschaft zu verstärken. Er lebte unter einem trotzigen Pöbel, unter unzuverlässigen Freunden und schlauen Feinden, und unzeitige Gnade war nur eine Aufmunterungsprämie zu neuen Verschwörungen. Und doch zeigte sich der innere Kampf, den er bestand, deutlich in den hysterischen Aufregungen, die er verursachte. Bald weinte er bitterlich, bald lachte er laut. »Soll ich nie wieder die Wonne der Vergebung genießen?« sagte er. Die rohen Zeugen einer solchen Aufregung hielten es – für Schwäche, für Heuchelei. Aber die Hinrichtung hatte für den Augenblick die gewünschten Folgen. Aller Aufruhr war gedämpft, Schrecken verbreitete sich durch die Stadt, Ordnung und Friede zeigte sich äußerlich wieder; aber in der Tiefe, nach dem kräftigen Ausdrucke eines Zeitgenossen, » Lo mormorito quetamente suonavaDauerte das Gemurmel leise fort.

Wenn wir das Benehmen Rienzis während dieser furchtbaren Periode seines Lebens ohne Leidenschaft prüfen, so ist es kaum möglich, ihm hinsichtlich seiner Politik auch nur einen einzigen Mißgriff nachzuweisen. Von seinen Fehlern geheilt, stellte er keinen unnötigen Prunk mehr zur Schau – er legte keinen trunkenen Stolz mehr an den Tag – die glänzende Einbildungskraft, mehr als die Eitelkeit, welche den Tribun zu dem offenen Gepränge veranlaßt hatte, war durch die nüchterne Erinnerung an ernste Wechselfälle, und durch die ernste Ruhe eines reiferen Verstandes in Schlummer gewiegt. Mäßig, umsichtig, aufmerksam, gesammelt, wie er jetzt sich zeigte, »sah man,« bemerkt ein unparteiischer Zeuge, »nie einen so außerordentlichen Mann. In ihm vereinigen sich alle Gedanken an die Bedürfnisse Roms. Unermüdlich tätig, nahm er alles in Augenschein, ordnete und regelte es, in der Stadt und bei dem Heere, im Frieden und im Kriege. Aber er fand nur schwache Unterstützung, und diejenigen, welche er verwandte, waren nur lau und schläfrig.« Noch immer waren seine Waffen glücklich. Platz um Platz, Feste um Feste ergaben sich dem Leutnant des Senators, und die Uebergabe von Palestrina selbst wurde stündlich erwartet. Seine Feinheit und Gewandtheit zeigten sich immer überraschend in schwierigen Lagen, und der Leser hat ohne Zweifel bemerkt, wie augenscheinlich sie hervortraten, als er sich der eisernen Vormundschaft seiner fremden Söldlinge entledigte. Von Rom entfernt und unter Annibaldi gegen die Barone beschäftigt, hielten beständige Tätigkeit und dauerndes Glück diese notwendigen Feinde ab, ihren Gebieter anzufallen, während Rienzi dem natürlichen Widerwillen der Römer gern dadurch nachgab, daß er die Männer des Nordens außer aller Berührung mit der Stadt hielt und, wie er sich rühmte, der einzige Herrscher in Italien war, der, nur von seinen Bürgern bewacht, in seinem Palast regierte.

Trotz seiner gefährlichen Lage, trotz seines Argwohns und seiner Besorgnisse befleckte doch keine mutwillige Grausamkeit seine strenge Gerechtigkeit – Montreal und Pandulpho di Guido waren die einzigen politischen Opfer, die er forderte. Wenn nach dem dunklen Macchiavellismus der italienischen Weisheit die Hinrichtung dieser Feinde unklug war, so verdiente diesen Tadel nicht die Handlung selbst, sondern die Art ihrer Ausführung. Ein Fürst von Bologna oder Mailand hätte es vermieden, das Mitgefühl durch das Schafott rege zu machen und Gift oder Dolch hätten mit weniger Gefahr den Dienst des Beiles verrichtet. Aber bei allen seinen wirklichen oder ihm zur Last gelegten Fehlern förderte kein einziger Akt jener schändlichen, mörderischen Politik, worin die Weisheit der glücklicheren Fürsten Italiens bestand, jemals den Ehrgeiz des letzten der römischen Tribunen oder verbürgte seine Sicherheit. Was auch seine Fehler waren, er lebte und starb, wie es einem Manne geziemte, der den eitlen, aber rühmlichen Traum träumte, er werde imstande sein, bei einem verdorbenen und feigen Volke den Geist der alten Republik wieder ins Leben zu rufen.

Von allen, welche dem Senator dienten, war Angelo Villani immer noch der eifrigste und geehrteste. Rienzi beförderte ihn zu einem hohen bürgerlichen Amt und fühlte es wie eine Rückkehr der Jugend, daß er jemand fand, der Ansprüche auf seine Dankbarkeit hatte; er liebte den Jüngling und vertraute ihm wie einem Sohne. Villani wich nie von seiner Seite, außer, um mit den verschiedenen Führern des Volkes in den verschiedenen Stadtteilen zu verkehren, und bei diesen Besprechungen war sein Eifer unermüdlich – er schien sogar seine Gesundheit zu untergraben, und Rienzi machte ihm zärtliche Vorwürfe, wenn er aus seinen eigenen Träumereien auffuhr und das irre Auge, die gelbe Blässe, welche an die Stelle des Glanzes und der Blüte der Jugend getreten, gewahrte.

Auf solche Vorwürfe antwortete der junge Mann nur mit den immer gleichen Worten: »Senator, ich habe eine große Pflicht zu erfüllen,« und bei diesen Worten lächelte er.

Als eines Tages Villani bei dem Senator war, sagte er plötzlich: »Erinnert Ihr Euch, mein Gebieter, wie ich mich vor Viterbo so in den Waffen auszeichnete, daß selbst der Kardinal von Albornoz mich zu bemerken geruhte?«

»Ich erinnere mich deiner Tapferkeit wohl, Angelo; aber warum diese Frage?«

»Mein Gebieter, Bellini, der Hauptmann der Wachen des Kapitols, ist gefährlich krank.«

»Ich weiß es.«

»Wem kann mein Gebieter diesen Posten anvertrauen?«

»Nun, dem Leutnant.«

»Wie! – einem Krieger, der unter den Orsini gedient?«

»Wahr. Nun! da haben wir Tommaso Filangieri.«

»Ein ausgezeichneter Mann; ist er aber nicht ein Blutsverwandter von Pandulpho di Guido?«

»Ha – ist er das? Daran muß man denken. Hast du mir einen Freund zu nennen?« sagte der Senator lächelnd. »Ich glaube, deine Sophismen zielen darauf hin.«

»Mein Gebieter,« versetzte Villani errötend, »ich bin vielleicht zu jung; aber der Posten verlangt mehr Treue als Jahre. Soll ich es gestehen? Ich würde dir lieber mit dem Schwerte als mit der Feder dienen.«

»Würdest du in der Tat den Posten annehmen? Es sind weniger Würde und Vorteile mit demselben verbunden, als mit demjenigen, welchen du gegenwärtig bekleidest, und du bist noch zu jung, um diese unbiegsamen Geister zu lenken.«

»Senator, ich führte bei dem Kampfe von Viterbo stattlichere Männer als diese hier. Aber sei es, wie es deiner besseren Einsicht gefällt. Was du tun magst, so bitte ich dich, sei vorsichtig. Wenn du zu dem Befehl über die Wachen des Kapitols einen Verräter wähltest! – Ich zittere bei dem Gedanken!«

»Bei meiner Treu, du wirst blaß darüber, guter Knabe; deine Liebe ist ein süßer Tropfen in einen bitteren Trank. Wo kann ich einen besseren wählen als dich? – Du sollst den Posten haben, wenigstens solange Bellini unwohl ist. Ich werde heute dafür sorgen. Das Geschäft wird überdies deinen jungen Geist weniger anstrengen, als dasjenige, welches dir gegenwärtig obliegt. Du überarbeitest dich in unserem Dienste.«

»Senator, ich kann meine oft gegebene Antwort nur wiederholen: Ich habe eine große Pflicht zu erfüllen!«

Siebentes Kapitel.
Die Steuer.

Nachdem diese furchtbaren Verschwörungen unterdrückt, die Barone beinahe besiegt, und drei Viertel des päpstlichen Gebietes wieder mit Rom vereinigt waren, glaubte Rienzi, er werde jetzt mit Sicherheit einen seiner Lieblingspläne zur Erhaltung der Freiheit seiner Vaterstadt ins Werk setzen können; und dieser ging dahin, in jedem Quartier von Rom eine römische Legion aufzubringen und zu organisieren. Wenn sie zu der Verteidigung ihrer eigenen Verfassung bewaffnet wären, hoffte er unter den Bürgern die gesamte, für Rom nötige Mannschaft aufzubringen.

Aber so elend waren die Werkzeuge, mit welchen dieser große Mann seine edlen Pläne auszuführen verdammt war, daß sich niemand fand, der seinem Vaterlande ohne eine Bezahlung dienen wollte, die derjenigen gleichkam, welche die fremden Söldlinge erhielten. Mit dem Uebermut, der einem früher großen Geschlechte ganz besonders eigen ist, sagte jeder Römer: »Bin ich nicht besser als ein Deutscher? – So bezahlt mich auch in diesem Verhältnis.«

Der Senator unterdrückte seinen Unmut – er hatte endlich einsehen gelernt, daß das Zeitalter der Catone vorüber war. Von einem kühnen Enthusiasten hatte ihn die Erfahrung in einen praktischen Staatsmann verwandelt. Die Legionen waren für Rom notwendig – sie wurden gebildet – stattlich war ihr Aeußeres, tadellos ihre Ausrüstung. Aber wie sollten sie bezahlt werden? Es gab nur ein Mittel, Rom zu erhalten – Rom mußte besteuert werden. Es wurden auf Wein und Salz Auflagen bestimmt.

Die Proklamation lautete, wie folgt:

»Römer! Zu der Würde eures Senators erhoben, waren alle meine Gedanken auf eure Freiheit und Wohlfahrt gerichtet; schon zeugen die Vereitlung des Verrates in unserer Stadt, unsere siegenden Banner im Felde von dem Wohlgefallen, womit die Gottheit auf Männer herabblickt, welche Freiheit und Gesetz zu vereinigen trachten. Laßt uns Italien und der Welt ein Beispiel geben! Laßt uns beweisen, daß das römische Schwert das römische Forum zu beschützen imstande ist! In jedem Quartiere der Stadt ist eine aus städtischen Gewerbetreibenden und Handwerkern bestehende Legion gebildet worden; diese sagen, sie könnten ohne Entschädigung ihre Geschäfte nicht verlassen. Euer Senator fordert euch auf, ihm bereitwillig zu eurer eigenen Verteidigung beizustehen. Er hat euch Freiheit gegeben; er hat den Frieden unter euch wiederhergestellt; eure Unterdrücker sind über die Erde hin zerstreut. Er bittet euch jetzt, den Schatz, den ihr gewonnen, auch zu erhalten. Um frei zu sein, müßt ihr etwas zum Opfer bringen; welches Opfer wäre für die Freiheit zu groß? Im Vertrauen auf euern Beistand übe ich endlich zum erstenmal das kraft meines Amtes mir zustehende Recht aus – und für das Heil Roms besteure ich die Römer!«

Dann folgte die Verkündigung der Auflage.

Die Proklamation wurde auf den öffentlichen Plätzen angeschlagen. Um eines der Plakate war eine Menge Volkes versammelt. Ihre Gebärden waren heftig und zügellos – ihre Blicke sprühten Feuer – sie sprachen leise, aber lebhaft.

»So wagt er uns also zu besteuern! Nur die Barone oder der Papst haben ein Recht hierzu!«

»Schande! Schande!« schrie ein hageres Weib; »uns, die wir seine Freunde waren! Wie sollen unsere Kinder Brot bekommen?«

»Er hätte sich das Geld des Papstes aneignen sollen!« sagte ein ehrbarer Weinhändler.

»Ach! Pandulpho di Guido hätte auf seine eigenen Kosten eine Armee unterhalten. Er war ein reicher Mann. Welche Frechheit von dem Sohne des Gastwirtes, Senator sein zu wollen!«

»Wir sind keine Römer, wenn wir dies dulden!« sagte ein Ausreißer von Palestrina.

»Mitbürger!« rief mürrisch ein großer Mann, der sich bis jetzt von einem Schreiber die einzelnen Punkte der aufgelegten Steuer hatte vorlesen lassen und dessen schweres Hirn endlich begriff, daß der Wein teurer werden sollte – »Mitbürger, wir müssen eine neue Revolution haben! Das heißt wahrlich Dankbarkeit! Was haben wir dadurch gewonnen, daß wir diesen Mann wieder einsetzten? Sollen wir immer in den Staub getreten werden? Zahlen – zahlen – zahlen! Sollen wir nur dazu zu gebrauchen sein?«

»Hört auf, Cecco del Vecchio!«

»Nein, nein, jetzt nicht,« grollte der Schmied. »Heute nacht haben die Handwerker für sich eine Zusammenkunft. Wir wollen sehen – wollen sehen!«

Ein junger, in einen Mantel gehüllter Mann, der bis jetzt nicht bemerkt worden war, berührte den Schmied.

»Wer übermorgen in der Dämmerung das Kapitol stürmt, soll die Wachen nicht auf ihrem Posten finden!«

Er war fort, ehe der Schmied sich umblicken konnte.

In dieser Nacht sagte Rienzi, als er sich zur Ruhe begeben wollte, zu Angelo Villani: »Eine kühne, aber notwendige Maßregel, die ich getroffen! Wie nimmt sie das Volk auf?«

»Sie murren ein wenig, scheinen aber die Notwendigkeit einzusehen, Cecco del Vecchio war der lauteste Schreier, aber jetzt ist er derjenige, welcher am lautesten sich einverstanden erklärt.«

»Der Mann ist rauh; er verließ mich einmal; aber damals war es die fatale Exkommunikation! Er und die Römer bekamen durch diesen Abfall eine bittere Lehre, und die Erfahrung hat sie, so hoffe ich, ehrlicher gemacht. Nun, wenn die Steuer in Frieden erhoben werden kann, so wird binnen zwei Jahren Rom wieder die Königin von Italien sein; sein Heer vollzählig – die Republik gebildet, und dann – dann – –«

»Was dann, Senator?«

»Nun dann, mein Angelo, kann Cola di Rienzi in Frieden sterben! Es gibt ein Bedürfnis, das eine tiefe Erfahrung in Macht und Glanz endlich fühlbar in uns macht – ein Bedürfnis, nagend wie der Hunger, ermüdend wie das des Schlafes! – mein Angelo, es ist dies das Bedürfnis zu sterben

»Mein Gebieter, ich gäbe meine rechte Hand,« sagte Villani ernst, »wenn ich Euch sagen hörte, Ihr hinget noch an dem Leben!«

»Du bist ein guter Junge, Angelo!« sagte Rienzi, als er von ihm in Ninas Zimmer ging; in ihrem Lächeln und in ihrer sorglichen Zärtlichkeit vergaß er eine Weile – daß er ein großer Mann war!

Achtes Kapitel.
Die Schwelle des Ausganges.

Am nächsten Morgen hielt der Senator von Rom großen Hof im Kapitol. Von Florenz, von Padua, von Pisa, sogar von Mailand (wo der Visconti herrschte), von Genua, von Neapel kamen Gesandte, ihm zu seiner Wiederkehr Glück zu wünschen oder für die Befreiung Italiens von dem Freibeuter Montreal zu danken. Venedig allein, welches die große Kompagnie im Solde hatte, stand fern. Niemals war Rienzi dem Anschein nach glücklicher und mächtiger gewesen, und niemals hatte in der Majestät seines Benehmens soviel Leichtigkeit und Heiterkeit gelegen.

Kaum war die Audienz vorüber, als ein Bote von Palestrina ankam. Die Stadt hatte sich ergeben, die Colonna waren abgezogen, und das Banner des Senators wehte von den Mauern der letzten Feste der aufrührerischen Barone. Rom konnte sich endlich als frei betrachten, und kein einziger Feind schien mehr übrig, die Ruhe Rienzis zu bedrohen.

Der Hof entfernte sich. Voll stolzer Freude begab sich der Senator vor dem Bankett, das den Gesandten gegeben wurde, auf seine Zimmer. Villani begegnete ihm mit seiner gewöhnlichen traurigen Miene.

»Keine Traurigkeit heute, mein Angelo,« sagte der Senator heiter; »Palestrina ist unser!«

»Ich bin erfreut über solche Botschaft und sehe meinen Gebieter gern so aufgeräumt,« erwiderte Angelo. »Hat er jetzt nicht wieder Freude am Leben?«

»Wenn römische Tugend wieder auflebt, vielleicht – ja! Aber so sind wir die Narren des Schicksals; heute froh – morgen niedergeschlagen!«

»Morgen,« wiederholte Villani mechanisch; »ja – morgen vielleicht niedergeschlagen!«

»Du spielst mit meinen Worten, Knabe,« sagte Rienzi halb ärgerlich und wandte sich hinweg.

Aber Villani beachtete den Unmut seines Gebieters nicht.

Das Bankett war stark besucht und glänzend, und Rienzi machte an jenem Tage ohne Anstrengung den höflichen Wirt.

Mailänder, Paduaner, Neapolitaner wetteiferten miteinander, ein Lächeln des mächtigen Senators auf sich zu ziehen. Verschwenderisch waren ihre Komplimente – demütigend ihre Anerbietungen von Unterstützung. Kein Monarch Italiens schien sicherer auf seinem Throne.

Das Bankett war, wie gewöhnlich bei solchen Anlässen, bald vorüber, und Rienzi, etwas vom Weine erhitzt, verließ allein das Kapitol. Er lenkte seine einsamen Schritte gegen den Palatinus und sah die blassen, schleierähnlichen Nebel, welche nach Sonnenuntergang folgen, über dem wildwachsenden Grase schweben, das über den Palästen der Cäsaren wuchert. Auf einem Trümmerhaufen von umgestürzten Säulen und Bogen stand er mit übereinandergelegten Armen nachdenklich in sich gekehrt. In der Ferne lagen die melancholischen Grabmäler der Campagna, und die Berge, welche die Aussicht begrenzten, waren mit den Purpurfarben gekrönt, welche bald unter dem Sternenlicht verschmelzen sollten. Kein Lüftchen bewegte die dunklen Cypressen, die ruhigen Pinien. Es lag etwas Unheimliches in der Stille des Himmels, das die einsame Größe der Erde unten zu beruhigen schien. Unzählige Gedanken verschiedener Art drängten sich in Rienzis Brust; die Erinnerung war in seinem Innern geschäftig. Wie oft hatte er in seiner Jugend dieselbe Stelle betreten! – welche Träume hatte er genährt! – welche Hoffnungen gefaßt! In dem unruhigen Treiben seines späteren Lebens hatte die Erinnerung lange geschlafen; aber in dieser Stunde machte sie ihre Herrschaft mit einem beinahe prophetischen Despotismus geltend. Er wandelte als Knabe Hand in Hand mit seinem jüngeren Bruder abends an dem Ufer des Flusses hin; bald sah er ein blasses Antlitz und eine blutende Seite und stieß wieder seine Racheverwünschungen aus! Seine ersten Erfolge, seine jugendlichen Triumphe, seine geheime Liebe, sein Ruhm, seine Macht, sein Unglück, die Einsiedelei von Maiella, der Kerker in Avignon, seine triumphierende Rückkehr nach Rom – das alles trat mit einer Klarheit vor seine Seele, als ob er diese Szenen noch einmal durchlebte! – und jetzt! – er schrak vor der Gegenwart zurück und stieg den Hügel hinab. Der bereits aufgegangene Mond goß sein Licht auf das Forum herab, als er durch dessen verworrene Trümmer schritt. Neben dem Tempel des Jupiter tauchten plötzlich zwei Gestalten auf; das Mondlicht fiel auf ihre Gesichter, und Rienzi erkannte Cecco del Vecchio und Angelo Villani. Sie sahen ihn nicht, sondern waren alsbald in lebhaftem Gespräch hinter dem Bogen des Trajan verschwunden.

»Villani! immer in meinem Dienste tätig!« dachte der Senator; »ich glaube, ich sprach diesen Morgen barsch mit ihm – es war unfreundlich von mir!«

Er betrat wieder den Platz des Kapitols – er stand an der Löwentreppe; da war ein roter Flecken auf dem Pflaster, noch nicht verwischt seit Montreals Hinrichtung, und der Senator entfernte sich mit innerlichem Schauder. War es das geisterartige gespenstische Licht des Mondes, oder hatte das Gesicht des alten ägyptischen Bildes einen lebendigen Ausdruck? Die steinernen Augäpfel sahen ihn mit boshaftem Blick an, und als er weiterging und sich umsah, schienen sie unnatürlicherweise beinahe seine Schritte zu verfolgen. Ein Schauder, dessen Ursache er sich nicht erklären konnte, senkte sich in sein Herz. Er eilte, seinen Palast zu erreichen. Die Schildwachen machten ihm Platz.

»Senator,« sagte eine derselben bedenklich, »Messere Angelo Villani ist unser neuer Hauptmann – wir sollen seinen Befehlen gehorchen?«

»Gewiß,« antwortete der Senator im Weitergehen. Der Mann zögerte unschlüssig, wie wenn er gern gesprochen hätte, aber Rienzi bemerkte es nicht. Er ging nach seinem Zimmer und fand dort Nina und Irene seiner harrend. Sein Herz sehnte sich nach seinem Weibe. Sorgen und Geschäfte hatten sie in neuerer Zeit aus seinen Gedanken verdrängt, und er fühlte dies reuevoll, als er in ihr edles Antlitz blickte, das von der Bekümmernis unermüdlicher, ängstlicher Liebe einen sanfteren Ausdruck angenommen hatte.

»Geliebte,« sagte er, indem er zärtlich seine Arme um sie schlang, »dein Mund tadelt mich nie, aber dein Auge tut es bisweilen! Wir sind gar zu lange getrennt gewesen. Schönere Tage dämmern uns heran, wo ich Muße genug haben werde, dir für all deine Sorgfalt zu danken. Und du, meine schöne Schwester, du lächelst mich an! – ach, du hast gehört, daß dein Geliebter vor kurzem durch die Uebergabe von Palestrina befreit wurde, und daß die morgende Sonne ihn zu deinen Füßen sehen wird. Trotz aller Sorgen des Tages gedachte ich deiner, meine Irene, und sandte einen Boten ab, um dieser blassen Wange die Röte wiederzubringen. Kommt, kommt, wir werden wieder glücklich sein!« Und mit dieser ihm, wenn ernstere Gedanken sie zuließen, gewohnten häuslichen Zärtlichkeit setzte er sich neben die zwei teuersten Wesen seines Herdes und seines Herzens.

»So glücklich – wenn wir viele solche Stunden hätten!« flüsterte Nina und sank an seine Brust. »Doch wünsche ich bisweilen – –«

»Und ich auch,« unterbrach sie Rienzi, »denn ich lese deine weiblichen Gedanken – auch ich wünsche bisweilen, daß uns das Schicksal in die niederen Regionen des Lebens versetzt hätte! Aber es kann noch werden! Wenn Irene mit Adrian verbunden ist, wenn Rom im Besitze der Freiheit ist – dann, Nina, meine ich, könnten wir beide irgend eine ruhige Einsiedelei aufsuchen und von Herrlichkeiten und Triumphen wie von einem Sommernachtstraum reden. Schöne, küsse mich! Könntest du auf diesen Glanz verzichten?«

»Um mit dir, Cola, in eine Wüste zu ziehen!«

»Laß mich nachdenken,« fuhr Rienzi fort, »ist heute nicht der siebente Oktober? Ja! am siebenten, wohlbemerkt, unterlagen meine Feinde meiner Macht! Sieben! meine Schicksalszahl, die entweder Gutes oder Böses bedeutet! Sieben Monate regierte ich als Tribun – sieben Ein Jahr verstrich zwischen der Freilassung Rienzis in Avignon und seinem Triumphzuge in Rom; ein Jahr, das hauptsächlich der Feldzug von Albornoz ausfüllte. Jahre war ich als Verbannter abwesend; der morgende Tag, der mich ohne alle Feinde sieht, schließt die siebente Woche meiner Rückkehr!«

»Und sieben war auch die Zahl der Kronen, womit die römischen Klöster und der römische Rat dich nach der Zeremonie beschenkten, welche dich mit der Würde des Santo Spirito bekleidete!« Dieser Aberglaube fand eine Entschuldigung in einem seltsamen historischen Zusammentreffen, und die Zahl sieben war in der Tat für Rienzi, was für Cromwell der dritte September. Die Ceremonie mit den sieben Kronen, die er nach seiner Ritterwürde empfing, und hinsichtlich deren Beschaffenheit viele neuere Schriftsteller eine lächerliche Unwissenheit an den Tag legten, war in Wirklichkeit hauptsächlich eine religiöse und sinnbildliche Verleihung (die sinnbildlich die Gaben des heiligen Geistes darstellte), erteilt von den Vorstehern der Klöster – und der politische Teil der Ceremonie war republikanisch, nicht royalistisch. sagte Nina und fügte dadurch mit weiblich zartem Witz die allerglänzendste Erinnerung hinzu!

»Anderen erscheinen solche Gedanken Narrheiten, und vor der Philosophie sind sie dies auch in der Tat,« sagte Rienzi; »aber mein ganzes Leben lang haben sich Vorbedeutungen, Zeichen und Mahnungen mit Taten und Ereignissen verflochten, und die Atmosphäre anderer war nicht die meinige. Das Leben ist selbst ein Rätsel; warum sollen uns da andere Rätsel in Erstaunen setzen? Die Zukunft! – welches Geheimnis liegt in dem Worte! Hätten wir die ganze Vergangenheit, seit es eine Zeit gibt, durchlebt, so könnte uns doch unsere gründlichste Erfahrung von tausend Menschenaltern keine Vermutung über die Ereignisse an die Hand geben, welche in dem nächstkommenden Augenblick uns erwarten! Was Wunder, wenn wir, so von der Vernunft im Stiche gelassen, zu der Einbildung unsere Zuflucht nehmen, welcher Gott durch Träume oder Zeichen bisweilen das Abbild künftiger Dinge eingibt? Wer wäre imstande, jeder Vermutung hinsichtlich der Zukunft zu entsagen und demütig dazusitzen und unter der Bürde der Gegenwart zu seufzen? Nein, nein! das, was die Thörichtweisen Fanatismus nennen, gehört demselben Teile von uns an wie die Hoffnung. Beide führen uns vorwärts – von einem unfruchtbaren Ufer auf die ruhmvolle, unbegrenzte See. Beide sind die Sehnsucht nach dem großen Jenseits, das für unsere Unsterblichkeit spricht. Beide haben ihre Gesichte und Chimären – einige falsch, aber einige auch wahr! Wahrlich, ein Mann, der zur Größe gelangt, hat dies oft nur einer Art von Magie in seiner eigenen Seele – einer Pythia zu verdanken, welche prophezeit, daß er zur Größe gelangen werde – und so strebt er durch sein ganzes Leben nur nach dem einen Ziele, die Weissagung zu erfüllen! Ist dies Torheit? – wenn alles mit dem Grabe aufhörte, ja! Vielleicht aber soll, was hier die Fähigkeiten schärft, übt und erhöht, obwohl für ein nichtiges Ziel auf Erden – den Zweck haben, die derart beflügelte und veredelte Seele für eine hohe Bestimmung jenseits vorzubereiten? Wer kann es behaupten? Ich nicht – lasset uns beten!«

Während der Senator in dieser Weise beschäftigt war, bot Rom in seinen verschiedenen Stadtteilen weniger heilige und ruhige Auftritte dar.

In der Feste der Orsini sah man durch das Gitter des großen Hofes Lichter hin und her flimmern. Angelo Villani konnte man durch das Hintertor sich stehlen sehen. Eine Stunde später stand der Mond hoch am Himmel; gegen die Ruinen des Kolosseums sah man aus Gäßchen und Straßen, je zu zweien, Männer sich schleichen, welche, der Kleidung nach zu urteilen, zu den niedrigsten Ständen gehörten; an diesen Ruinen glitt wieder die Gestalt von Montreals Sohn hin. Noch später – der Mond ist im Sinken – ein graues Licht dämmerte im Osten – und die Tore von Rom bei dem heiligen Johann von Lateran sind offen! Villani spricht mit den Schildwachen! der Mond ist untergegangen – die Berge sind in einen traurigen, erstarrenden Nebel gehüllt – Villani steht auf dem Platze vor dem Kapitol – der einzige Soldat daselbst! Wo sind die römischen Legionen, welche die Freiheit und den Befreier Roms bewachen sollten?

Letztes Kapitel.
Der Schluß der Jagd.

Es war der Morgen des achten Oktober 1354. Rienzi, der gewöhnlich früh aufstand, wälzte sich unruhig in seinem Bette hin und her. »Es ist noch früh,« sagte er zu Nina, deren sanfter Arm seinen Nacken umschlang; »noch scheint niemand von meinen Leuten auf zu sein. Wie dem auch sei, mein Tag fängt vor dem ihrigen an.«

»Ruhe noch, mein Cola, du hast Schlaf nötig.«

»Nein; ich fühle Fieber, und der alte Schmerz in der Seite quält mich. Ich habe Briefe zu schreiben.«

»Laß mich den Dienst deines Sekretärs versehen, Teuerster,« sagte Nina.

Rienzi lächelte liebreich, als er aufstand; er begab sich in sein Gemach, welches an das Schlafzimmer stieß und nahm, wie er dies gewohnt war, ein Bad. Dann kleidete er sich an und kehrte zu Nina zurück, die, bereit zu ihrem Liebesdienste, schon leicht gekleidet am Schreibtische saß.

»Wie still alles ist!« sagte Rienzi. »Welch kühles, köstliches Vorspiel bieten uns die Frühstunden für den mühevollen Tag.«

Ueber sein Weib sich hinlehnend, diktierte er verschiedene Briefe und unterbrach sich nur von Zeit zu Zeit durch Bemerkungen, wie sie ihm gerade einfielen.

»So, jetzt an Annibaldi! Beiläufig gesagt, der junge Adrian sollte heute bei uns eintreffen; wie freue ich mich für Irene!«

»Die liebe Schwester – ja! sie liebt – wenn irgend jemand so lieben kann – wie wir, Cola.«

»Wohl, aber an deine Arbeit, meine schöne Schreiberin. Ha! Was ist das für ein Lärm? Ich höre den Tritt von Bewaffneten – die Treppen dröhnen – man ruft meinen Namen.«

Rienzi eilte nach seinem Schwert; die Tür wurde barsch aufgestoßen, und eine Gestalt in vollständiger Rüstung trat in das Zimmer.

»Wie! was bedeutet das?« sagte Rienzi, der mit gezogenem Schwert vor Nina stand.

Der zudringliche Gast schlug das Visier auf – es war Adrian Colonna.

»Flieh, Rienzi! – eilt Signora! Dank dem Himmel, noch kann ich euch retten! Nachdem ich durch die Einnahme von Palestrina nebst meinem Gefolge frei war, hielt mich der Schmerz meiner Wunde die letzte Nacht in Tivoli zurück. Die Stadt war mit Bewaffneten angefüllt – die nicht dir ergeben sind, Senator. Ich hörte Gerüchte, die mich beunruhigten. Ich beschloß, weiter zu reisen – ich erreichte Rom, die Tore der Stadt standen weit offen!«

»Wie!«

»Eure Wachen waren fort. Sogleich stieß ich auf eine Rotte von den Leuten der Savelli. Meine Insignien eines Colonna führten sie irre. Ich erfuhr, daß zu dieser Stunde ein Teil Eurer Feinde in der Stadt sei; die übrigen sind auf dem Marsche – das Volk waffnet sich gegen Euch. In den entfernteren Straßen, durch welche ich kam, versammelt sich schon der Pöbel. Sie hielten mich für einen deiner Feinde und jubelten. Ich kam hierher – deine Schildwachen waren verschwunden. Die geheime Tür unten ist unverriegelt und offen. Nicht eine Seele scheint im Palast geblieben zu sein. Eile – fliehe – rette dich! – Wo ist Irene?«

»Das Kapitol verlassen! – unmöglich!« rief Rienzi. Er ging durch die Gemächer in das Wohnzimmer, wo seine Wachen die Nacht über sich aufhielten – es war leer! Er eilte nun in Villanis Zimmer – fand aber niemand! Er wäre noch weitergegangen, aber die Türen waren von außen verschlossen. Augenscheinlich war, die geheime Tür unten ausgenommen, aller Ausweg abgeschnitten – und diese hatte man für seine Mörder offen gelassen!

Er kehrte in sein Zimmer zurück – Nina war schon fort, Irene zu wecken und vorzubereiten, deren Zimmer auf der anderen Seite neben einem der ihrigen lag.

»Schnell, Senator!« sagte Adrian. »Mich dünkt, es ist noch Zeit. Wir müssen den Tiber gewinnen. Meine treuen Knappen und Nordländer sind dort aufgestellt. Ein Boot erwartet uns.«

»Horch!« unterbrach ihn Rienzi, dessen Sinne in neuester Zeit eine übernatürliche Schärfe bekommen hatten. »Ich höre ein fernes Jauchzen – ein wohlbekanntes Jauchzen: › Viva 'l Popolo!‹ Nun so rufe auch ich! das müssen meine Freunde sein.«

»Täusche dich nicht; du hast wohl kaum einen Freund in Rom.«

»Bst!« sagte Rienzi flüsternd, »rette Nina – rette Irene. Ich kann dich nicht begleiten.«

»Bist du toll?«

»Nein! aber furchtlos. Ueberdies würde ich, wenn ich mit euch ginge, euch alle verderben. Fände man mich bei euch, so würdet ihr mit mir ermordet. Ohne mich seid ihr sicher. Ja, selbst Weib und Schwester des Senators haben nie die Rachsucht gegen sich erweckt. Rette sie, edler Colonna! Cola di Rienzi vertraut auf Gott allein!«

Inzwischen war Nina zurückgekommen; Irene mit ihr. Von fern hörte man Tritte der unheilbringenden Menge – gleichförmig – langsam – wachsend.

»Jetzt, Cola,« sagte Nina mit kühner, freudiger Miene, als sie den Arm ihres Gatten ergriff, während Adrian bereits in Irene den Gegenstand seiner Obhut gefunden hatte.

»Ja, jetzt, Nina!« sagte Rienzi; »endlich scheiden wir! Wenn dies meine letzte Stunde ist – so bitte ich in meiner letzten Stunde Gott, er möge dich segnen und beschützen! denn wahrlich, du warst mir ein großer Trost – vorsorglich wie eine Mutter, wie ein Kind, das Lächeln meines Herdes, die – die – –«

Rienzi verlor beinahe den Mut. Tiefe, kämpfende, unaussprechlich zärtliche und dankbare Regungen erstickten buchstäblich seine Worte.

»Wie!« rief Nina, sich an seine Brust klammernd, und strich sich das Haar aus den Augen, als sie sein abgewandtes Antlitz suchte. »Scheiden! – nie! Hier ist mein Platz – ganz Rom soll mich nicht von demselben reißen!«

Adrian ergriff in der Verzweiflung ihre Hand und suchte sie fortzuziehen.

»Berührt mich nicht, Signor!« sagte Nina, als sie mit zürnender Majestät ihren Arm losmachte, während ihre Augen funkelten wie die einer Löwin, die der Jäger von ihren Jungen trennen will. »Ich bin das Weib Cola di Rienzis, des großen Senators von Rom, und an seiner Seite will ich leben oder sterben!«

»Nehmt sie fort von hier: schnell! – schnell! Schon höre ich die Menge nahen.«

Irene riß sich von Adrian los und fiel zu Rienzis Füßen – sie umklammerte seine Knie.

»Komm, mein Bruder, komm! Warum willst du diese kostbaren Augenblicke verlieren? Rom verbietet dir, ein Leben wegzuwerfen, an welches dein eigenes Dasein mit tausend gefesselt ist.«

»Du hast ganz recht, Irene, Rom ist an mich gefesselt, und wir werden zusammen uns erheben oder fallen! – nichts weiter hiervon!«

»Ihr verderbt uns alle!« sagte Adrian mit edler, ungeduldiger Wärme. »Noch wenige Minuten, und wir sind verloren. Tollkühner Mann! nicht um einem wütenden Pöbel zu unterliegen, wurdest du aus so vielen Gefahren gerettet.«

»Ich glaube es,« sagte der Senator, und seine hohe Gestalt schien mit der Größe seiner Seele zu wachsen. »Ich werde noch triumphieren! Nie sollen meine Feinde – nie soll die Nachwelt sagen, daß Rienzi zum zweitenmal Rom verließ! Horcht! › Viva 'l popolo!‹ noch immer das Geschrei des Volkes. Dieses Geschrei erschreckt nur Tyrannen! Ich werde triumphieren und leben!«

»Und ich mit dir!« sagte Nina fest. Rienzi schwieg einen Augenblick, blickte sein Weib an, drückte sie leidenschaftlich an sein Herz, küßte sie wieder und wieder und sagte dann: »Nina, ich befehle dir – geh!«

»Niemals!«

Er schwieg, sein Blick fiel auf Irenes in Tränen gebadetes Antlitz.

»Wir alle wollen mit dir untergehen,« sagte seine Schwester; »Ihr allein, Adrian, Ihr verlaßt uns.«

»Sei es so,« sagte der Ritter kummervoll; »wir wollen alle sterben,« und auf einmal stand er von allem weiteren Zureden ab.

Jetzt folgte eine tödliche, aber kurze Pause, die nur durch das konvulsivische Schluchzen Irenes unterbrochen wurde. Furchtbar deutlich wurden die Fußtritte der rasenden Tausende. Rienzi schien in Gedanken verloren – dann erhob er sein Haupt und sagte ruhig: »Ihr habt gesiegt – ich gehe mit euch – ich suche nur diese Papiere zusammen und folge dann. Schnell Adrian – rette sie!« und er warf einen vielsagenden Blick auf Nina.

Ohne einen zweiten Wink abzuwarten, faßte der junge Colonna Nina mit starkem Arme – mit der linken Hand unterstützte er Irene, welche vor Schrecken und Aufregung die Besinnung beinahe verloren hatte. Rienzi nahm ihm die leichtere Bürde ab – er nahm seine Schwester in die Arme und stieg so die Wendeltreppe hinab. Nina verhielt sich leidend – sie hörte die Tritte ihres Gatten hinter sich, das genügte ihr – nur einmal wandte sie sich um, ihm mit einem Blick zu danken. Ein großer Nordländer in Waffenrüstung stand an der offenen Tür. Rienzi übergab die jetzt völlig leblose Irene den Armen des Kriegers und küßte schweigend ihre blasse Wange.

»Schnell, Herr,« sagte der Nordländer, »sie drängen von allen Seiten!« Nach diesen Worten eilte er mit seiner Bürde den Abhang hinab. Adrian folgte mit Nina; der Senator blieb einen Augenblick stehen, wandte sich um und war in seinem Zimmer, ehe Adrian bemerkte, daß er verschwunden war. Schnell riß er den Ueberwurf von seinem Bette, befestigte ihn an dem Fensterkreuz und ließ sich daran einige Fuß weit auf den Balkon unten hinab. »Ich will nicht sterben wie eine Ratte,« sagte er, »in der Falle, die sie mir gestellt haben! Der ganze Haufen soll mich wenigstens sehen und hören.« Dies war das Werk eines Augenblicks.

Nina war inzwischen kaum sechs Schritte weiter gegangen, als sie bemerkte, daß sie mit Adrian allein war.

»Ha! Cola!« rief sie, »wo ist er? er ist fort!«

»Faßt Mut, Madame, er ist nur wegen einiger geheimen Papiere, die er vergessen, zurückgegangen. Er wird uns sogleich folgen.«

»So laßt uns denn warten.«

»Edle Frau,« sagte Adrian, die Zähne übereinander beißend, »hört Ihr die Menge nicht? – vorwärts, vorwärts!« und er floh mit rascherem Schritte. Nina rang in seinem Arme – die Liebe gab ihr die Kraft der Verzweiflung. Mit einem wilden Gelächter riß sie sich von ihm los. Sie flog zurück, die Tür war zu – aber nicht verriegelt – ihre zitternden Hände tasteten einen Augenblick nach der Klinke. Sie öffnete, schob den schweren Riegel vor und vereitelte so alle Bemühungen Adrians, sich ihrer wieder zu versichern. Sie war auf der Treppe – sie war im Zimmer. Rienzi war fort! Sie rannte, seinen Namen rufend, durch die Prunkgemächer – alles war leer. Die Türen zu den verschiedenen, nach den unteren Zimmern führenden Gängen fand sie von außen verriegelt. Atemlos und keuchend kehrte sie in das Zimmer zurück. Sie eilte an das Fenster – sie entdeckte die Art, wie er hinabgekommen war – ihr tapferes Herz ließ sie seinen tapferen Entschluß erraten – sie sah, daß sie getrennt waren – »aber dasselbe Dach ist über uns,« rief sie freudig, »und unser Schicksal soll dasselbe sein!« Mit diesem tröstenden Gedanken sank sie in stummer Ergebung zu Boden.

Mit dem edlen Entschluß, das treue, ergebene Paar nicht ohne einen weiteren Versuch zu verlassen, war Adrian Nina gefolgt, aber zu spät – die verschlossene Tür trotzte seinen Bemühungen. Die Menge kam heran – er hörte, wie ihr Geschrei sich plötzlich änderte – es lautete nicht mehr » Es lebe das Volk!« sondern » Tod dem Verräter!« Sein Diener war schon verschwunden, und jetzt nur noch von Irenes Gefahr beunruhigt, wandte sich der Colonna in bitterem Schmerz hinweg, flog rasch den Berg hinab und eilte nach dem Ufer, wo das Boot und seine Leute ihn erwarteten.

Der Balkon, auf welchen sich Rienzi hinabgelassen, war derjenige, von welchem er gewöhnlich zum Volke gesprochen hatte – er stand mit einem großen Saale in Verbindung, der bei feierlichen Gelegenheiten zu öffentlichen Festlichkeiten benutzt wurde – und zu beiden Seiten waren viereckige, vorstehende Türme, deren vergitterte Fenster nach dem Balkon zu gingen. Einer dieser Türme diente als Waffenkammer, in dem anderen war das Gefängnis von Brettone, dem Bruder Montreals. Jenseits des letzteren lag das allgemeine Gefängnis des Kapitols. Denn damals befanden sich Kerker und Palast in furchtbarer Nachbarschaft!

Die Fenster des Saales waren noch offen – Rienzi ging in denselben von dem Balkon aus – die Ueberreste von dem gestrigen Bankett waren noch da – der noch nicht getrocknete Wein rötete den Boden, und goldene und silberne Pokale schimmerten aus den Ecken. Er ging schnell in den Waffensaal und wählte von den verschiedenen Rüstungen diejenige, welche er vor beinahe acht Jahren getragen, als er die Barone vor den Toren Roms verjagte. Er hüllte sich in den Panzer und ließ das Haupt unbedeckt, in seine Rechte nahm er dann von der Wand das große Banner Roms und ging wieder in den Saal zurück. Niemand begegnete ihm. In dem ungeheuren Gebäude war, die Gefangenen und ein treues Herz ausgenommen, von dessen Nähe er nichts wußte – der Senator allein.

Heran kamen sie, nicht mehr in geregelter Ordnung, Strom auf Strom – aus Gassen, aus Straßen, aus Palästen und Hütten – erhielt die wütende See neue Zuflüsse. Heran kamen sie – deren Leidenschaften durch die große Zahl noch gesteigert wurden – Weiber und Männer, Kinder und boshafte Alte – in all dem schrecklichen Ungestüm aufgereizter, losgelassener, ungehemmter physischer Stärke und viehischer Wut: »Tod dem Verräter – Tod dem Tyrannen – Tod Ihm, der das Volk besteuert hat! – Mora 'l traditore che ha fatta la gabella! – Mora! Dies war das Geschrei des Volkes – dies das Verbrechen des Senators! Sie brachen über die niederen Palisaden des Kapitols herein – in einem plötzlichen ungestümen Anlauf füllten sie den weiten Raum, der – vor einem Augenblick noch leer – jetzt von menschlichen Wesen wimmelte, die nach Blut dürsteten!

Plötzlich entstand ein tödliches Schweigen, und auf dem Balkon oben stand Rienzi – sein Haupt war entblößt und die Morgensonne beschien die erhabene Stirn und das im Dienste dieser tollen Menge vor der Zeit grau gewordene Haar. Blaß und aufrecht stand er da – weder Furcht noch Zorn, noch Drohung – nur tiefen Kummer und hohe Entschlossenheit in den Zügen! Eine augenblickliche Scham – eine augenblickliche Scheu ergriff die Menge.

Er deutete auf das mit dem Motto der Republik und dem Wappen Roms durchwirkte Banner und begann: »Auch ich bin Römer und Bürger, hört mich!«

»Hört ihn nicht! hört ihn nicht! Seine falsche Zunge kann unsern Verstand hinwegzaubern!« schrie eine Stimme noch lauter als die seinige, und Rienzi erkannte Cecco del Vecchio.

»Hört ihn nicht! nieder mit dem Tyrannen!« rief eine mehr schrille und jugendliche Stimme, und neben dem Handwerker stand Angelo Villani.

»Hört ihn nicht! Tod dem Totschläger!« schrie eine Stimme ganz in der Nähe, und aus dem Gitter des anstoßenden Gefängnisses stierte ihn, wie das Auge des Tigers, der rachedürstende Blick von Montreals Bruder an.

Dann tönte von der Erde bis zum Himmel das Gebrüll: »Nieder mit dem Tyrannen – nieder mit ihm, der das Volk besteuerte!«

Ein Hagel von Steinen prasselte auf den Harnisch des Senators – noch wankte er nicht. Keine Bewegung einer Muskel verriet Furcht. Die Ueberzeugung von der wundervollen Macht seiner Beredsamkeit, wenn er nur angehört wurde, flößte ihm noch immer Hoffnung ein: er stand da, gesammelt in seinen mutwilligen, aber entschlossenen Gedanken; aber gerade die Kenntnis dieser Beredsamkeit war jetzt sein tödlichster Feind. Die Anführer der Menge zitterten bei dem Gedanken, daß er gehört werden könnte; » und ohne Zweifel,« sagt der zeitgenössische Biograph, » hätte er, wenn er nur zu Worte gekommen wäre, sie alle umgewandelt und das Werk wäre vereitelt gewesen

Die Soldaten der Barone hatten sich schon in das Gedränge gemischt – tödlichere Waffen als Steine kamen der Wut des Pöbels zu Hilfe – Pfeile und Wurfspieße verdunkelten die Luft, und jetzt hörte man eine Stimme rufen: »Platz für die Fackeln!« Rot im Sonnenlichte flackerten und wehten sie und tanzten über den Köpfen der Menge hin und her, als ob die Teufel unter den Pöbel losgelassen worden wären! Und welche Hölle hat Teufel, wie sie ein toller Pöbel aufzuweisen vermag? Stroh, Holz und andere Brennstoffe wurden eilig um die großen Tore des Kapitols herum angehäuft, und der plötzlich aufwirbelnde Rauch schlug den Andrang der Stürmenden zurück.

Rienzi war nicht mehr sichtbar, ein Pfeil hatte ihm die Hand durchbohrt – die Rechte, welche das Banner Roms emporgehoben, die Rechte, welche der Republik eine Verfassung gegeben hatte. Er zog sich vor dem Sturm in den leeren Saal zurück.

Er setzte sich nieder – und Tränen, keiner schwachen oder weibischen Quelle entspringend, sondern Tränen aus der erhabensten Quelle einer Erregung – Tränen, wie sie einem Krieger ziemen, wenn ihn seine eigenen Truppen verlassen – einem Patrioten, wenn seine Landsleute in ihr eigenes Verderben rennen – einem Vater, wenn seine Kinder sich gegen seine Liebe empören – solche Tränen drängten sich gewaltsam aus seinen Augen und erleichterten – aber sie veränderten auch sein Herz!

»Genug, genug,« sagte er, indem er aufstand und verächtlich die Tropfen abschüttelte; »ich habe genug aufs Spiel gesetzt, gewagt, mich abgemüht für dieses feige, entartete Geschlecht. Ich will ihre Bosheit doch noch vereiteln – ich verzichte auf den Gedanken, dessen sie so wenig würdig sind! Mag Rom untergeben! – Ich fühle endlich, daß ich edler bin als mein Vaterland! – es verdient kein so großes Opfer!«

Mit diesem Gefühle verlor der Tod ganz die edle Gestalt, unter welcher er ihm zuvor erschien, und er beschloß, seinen undankbaren Feinden zum Hohne, trotz ihrer unmenschlichen Wut einen Versuch zu der Rettung seines Lebens zu machen! Er legte seine schimmernden Waffen ab; seine Gewandtheit, seine Geschicklichkeit, seine Schlauheit kehrten ihm zurück. Sein schneller Geist durchflog die Möglichkeiten der Verkleidung – des Entrinnens; er verließ den Saal – ging durch die geringeren, den Dienern und dem Gesinde angewiesenen Zimmer, fand in einem derselben eine grobe Handwerkerkleidung – legte dieselbe an, nahm einen Teil der Vorhänge und Teppiche des Palastes auf den Kopf, wie wenn er mit diesen zu entkommen suchte, und sagte mit seinem alten » fantastico riso«: »Wenn alle anderen Freunde mich verlassen, darf ich mich wohl selbst verleugnen!« Dann wartete er auf den geeigneten Augenblick.

Inzwischen griffen die Flammen gewaltig und schnell um sich; die äußere Tür unten hatten sie schon verzehrt; aus dem Zimmer, das er verlassen, brach das Feuer schon in Rauchwolken hervor – das Holz knarrte – das Blei schmolz – mit Krachen stürzten die verschiedenen Tore zusammen – der furchtbare Eingang stand der ganzen Menge offen – das stolze Kapitol der Cäsare schwankte schon, seinem Einsturz nahe! Jetzt war es Zeit! – er ging durch das brennende Tor – über die rauchende Schwelle; – unversehrt kam er durch das äußere Tor – er befand sich mitten im Gedränge. »Beute genug dort drin,« sagte er zu den Umstehenden in dem römischen Patois, sein Gesicht durch seine Bürde verbergend, » Suso, suso a gliu traditore!« Der Pöbel drängte an ihm vorüber – er schritt weiter – er gewann die letzte Treppe, welche auf die offene Straße führte – er stand am letzten Tore – Freiheit und Leben lagen vor ihm.

Ein Soldat (und zwar einer von den seinigen) sieht ihn an.

»Halt – wohin gehst du?«

»Habt acht, daß der Senator nicht unter irgend einer Verkleidung entkommt!« rief hinten eine Stimme – es war die Stimme Villanis. Die verbergende Bürde wurde ihm vom Kopfe gerissen – entdeckt stand Rienzi da!«

»Ich bin der Senator!« sagte er mit lauter Stimme. »Wer wagt es, den Vertreter des Volkes anzutasten?«

In einem Augenblick war er von der Menge umringt. Nicht geführt, sondern geschoben und gewirbelt wurde der Senator nach dem Platze des Löwen. Von dem hellen Glanz der lodernden Flammen warf das graue Bild einen schwarzgelben Schein zurück und glühte (das grimmige, ernste Denkmal!), als wäre es selbst von Feuer!

Dort angekommen, machte die Menge, erschreckt über die Größe ihres Opfers, Platz. Schweigend stand er da und blickte umher; weder sein schmutziger Anzug noch die Schrecknisse der Stunde noch der stolze Schmerz über seine Entdeckung konnten die Majestät seiner Haltung niederdrücken oder den Mut der ihn staunend umringenden Tausende wieder beleben. Das ganze Kapitol war in Feuer gehüllt und beleuchtete mit schauerlicher Pracht die ungeheure Menschenmenge. So weit man die Straßen hinabsah, erstreckte sich der feurige Glanz und die gedrängte Menge, bis sie mit den schimmernden Fahnen der Colonna – der Orsini – der Savelli abschloß! Roms wahre Tyrannen zogen ein!

Als der Schall ihrer nahenden Hörner und Trompeten durch die glühende Luft drang, schien der Pöbel wieder Mut zu fassen. Rienzi wollte eben sprechen; sein erstes Wort war das Signal zu seinem Tode.

»Stirb, Tyrann!« schrie Cecco del Vecchio und stieß seinen Dolch in des Senators Brust.

»Stirb, Henker Montreals!« murmelte Villani »so ist die Pflicht erfüllt!« und er führte den zweiten Stoß. Als er sich dann zurückzog und den Handwerker in der ganzen trunkenen Wut seiner viehischen Leidenschaft seine Mütze in die Höhe werfen, laut jauchzen und den gefallenen Löwen mit Füßen treten sah – blickte ihn der junge Mann mit matter, bitterer Verachtung an und sagte, während er sein Schwert einsteckte, sich langsam abwendend, um den Haufen zu verlassen: »Tor, elender Tor! Du und diese, ihr hattet wenigstens kein Verwandtenblut zu rächen

Sie achteten nicht auf seine Worte – sie sahen ihn nicht weggehen; denn als Rienzi ohne ein Wort, ohne einen Seufzer zur Erde fiel, und die tobenden Wogen der Menge über ihm zusammenströmten – hörte man eine gellende, scharfe, verzweifelnde Stimme, welche all das Geschrei übertönte.

Am Fenster des Palastes (dem Fenster ihres Brautgemachs) stand Nina! – nur ihr Antlitz und ihre ausgestreckten Arme waren durch die unter ihr und um sie her lodernden Flammen sichtbar! Doch noch ehe der Schall dieses durchdringenden Schreies sich in der Luft verloren, donnerte dieser ganze Flügel des Kapitols mit mächtigem Krachen zusammen – eine schwarze, rauchende Masse.

In dieser Stunde segelte ein einzelnes Boot rasch den Tiber hinab. Rom war fern, aber der schwarzgelbe Schimmer des Brandes warf seinen Widerschein auf den ruhigen, spiegelhellen Strom; schön über alle Beschreibung war die Landschaft: sanfter, als alle Kunst des Malers und Dichters es darzustellen vermag, zitterte das Sonnenlicht über dem herbstlichen Grün und goß milde Ruhe über die Wellen des goldenen Flusses!

Adrians Auge richtete sich angestrengt nach den Türmen des Kapitols, die sich in den Flammen von den Giebeln und Domen umher deutlich unterschieden; – besinnungslos an seine schützende Brust sich schmiegend, wußte Irene glücklicherweise nichts von den Schrecknissen dieser Stunde.

»Sie wagen es nicht – sie wagen es nicht,« sagte der tapfere Colonna, »ein Haar auf diesem geheiligten Haupte zu krümmen! – wenn Rienzi fällt, so fällt Roms Freiheit für immer!

Wie diese Türme, welche die Flammen überragen, der Stolz und das Denkmal Roms, so wird er sich stolz über die Gefahren der Stunde erheben. Sieh, noch unverletzt unter dem wütenden Element, ist das Kapitol selber sein Sinnbild!«

Kaum hatte er gesprochen, als eine ungeheure Rauchsäule die fernen Flammen verdunkelte und ein dumpfes Krachen (geschwächt durch die Entfernung) zu seinen Ohren drang! Im nächsten Augenblick waren die Türme, nach welchen er blickte, vom Schauplatz verschwunden, ein heftiger, widriger Glanz schien sich über die Atmosphäre zu lagern – und ganz Rom zum Scheiterhaufen zu machen für den Letzten der römischen Tribunen!

Anhang.
Einige Bemerkungen über das Leben und den Charakter Rienzis.

Die Hauptautorität, aus welcher Geschichtschreiber ihren Bericht über das Leben und die Zeiten Rienzis geschöpft haben, ist eine sehr merkwürdige Biographie von einem unbekannten Zeitgenossen; dieselbe, geschrieben in dem römischen Patois jener Zeit, wurde dem französischen und englischen Leser einigermaßen durch das Werk des Pater du Cerceau, »Verschwörung des Nicolaus Gabrini, genannt von Rienzi« vermittelt, das den römischen Biographen zugleich ausgebeutet und entstellt hat. Die Biographie, von welcher ich gesprochen, wurde, nachdem die Irrtümer der früheren Ausgabe verbessert waren, von Muratori in seiner großen Sammlung veröffentlicht; neuerdings wurde sie in verbessertem Text besonders gedruckt, versehen mit Anmerkungen von reifem Urteil und gelehrtem Geschmack, nebst einem Kommentar zu dem berühmten Gedichte Petrarcas » Spirito Gentil,« das die Mehrzahl der italienischen Kritiker, trotz der scharfsinnigen Beweise des Abbé de Sade für das Gegenteil, einstimmig als an Rienzi gerichtet, betrachtet.

Diese Biographie wurde wegen ihrer seltenen Unparteilichkeit allgemein gelobt. Und in der Tat lobt und tadelt der Verfasser gleichmäßig mit einem höchst sonderbaren Anschein von törichter Aufrichtigkeit. Das Werk ist wirklich einer der nicht ungewöhnlichen Beweise, unter denen sich Boswells »Johnson« am meisten auszeichnet, daß ein sehr einfacher Mann ein sehr schätzbares Buch zu schreiben imstande ist. Der Biograph Rienzis erscheint mehr als der Biograph von Rienzis Kleidern, so genau beschreibt er alle Einzelheiten der Farbe und Beschaffenheit – so tief schweigt er über alles, was ein Licht auf die Beweggründe dessen, der sie trug, werfen könnte. Wenn man auch in der Tat dem Verfasser alles Streben unparteiisch zu sein, zugesteht, er ist zu töricht dazu. Es bedarf einiger Geschicklichkeit, um einen sehr ausgezeichneten Mann in sehr schwierigen Lagen richtig zu beurteilen, und der würdige Biograph ist nichts weniger, als imstande, uns einen Schlüssel zu den Handlungen Rienzis zu geben – gänzlich unfähig, uns die Handlungsweise des Mannes durch die Zeitverhältnisse zu erklären. Sein schwaches Gesicht läßt ihn daher oft schielen. Neben diesem Mangel an Verstand müssen wir auch noch den an Wahrheitsliebe tadeln, den jedoch die herodotätische Einfachheit seines Stiles häufig verbirgt. Er beschreibt Dinge, welche keine Zeugen hatten, ebenso genau und bestimmt, wie solche, die er selbst gesehen. Zum Beispiel – vor dem Tode Rienzis, in diesen schauerlichen Augenblicken, wo der Senator allein war, von niemand gesehen oder gehört wurde, berichtet er uns ganz kalt jede Bewegung, jeden Gedanken Rienzis mit solcher Genauigkeit, als wäre derselbe aus dem Grabe auferstanden, um ihm bei seiner Erzählung zu helfen. Gibbon und andere haben diese offenbaren Erfindungen mit mehr gutem Glauben aufgenommen, als die Gesetze der Augenscheinlichkeit rechtfertigen dürften. Gleichwohl kann diese Biographie dem geduldigen und vorsichtigen Leser einen weit klareren Begriff von Rienzis Charakter geben, als wir aus den Geschichtschreibern zu sammeln vermögen, welche stückweise aus derselben entlehnten. Ein solcher Leser wird alle unhaltbaren Schlüsse des Verfassers beiseite legen, sein Lob oder seinen Tadel nicht hoch anschlagen und nur sein Augenmerk auf die von ihm erzählten Tatsachen richten, die er für wahr oder zweifelhaft hält, je nachdem der Verfasser Gelegenheit gehabt haben konnte, selbst zu beobachten. Bei einer solchen Prüfung wird der Leser hinreichende Zeugnisse von Rienzis Geist und von Rienzis Gefühlen erhalten; wenn er sorgfältig unterscheidet zwischen der Periode seiner Macht als Tribun und derjenigen seiner Macht als Senator, so wird er den Tribun eitel, übermütig, prachtliebend finden, aber ungeachtet der Schlußfolgerungen des Biographen diese Fehler an dem Senator nicht mehr bemerken. Andererseits wird ihm der Unterschied zwischen Jugend und reifem Alter – zwischen Hoffnung und Erfahrung auffallen; er wird an dem Tribun ungeheuren Ehrgeiz, große Pläne, unternehmende Tätigkeit bemerken – die in der Schilderung des Senators zu weniger glänzenden und ruhigeren Farben gemildert sind. Er wird finden, daß Rienzi beide Male nicht durch seine eigenen Fehler fiel – er wird finden, daß die gangbare Moral des durch seine eigene Uebertreibung vernichtenden Ehrgeizes nicht die wahre Moral von dem Leben des Römers ist; er wird finden, daß beide Male, bei seiner Abdankung als Tribun sowohl als bei seinem Tode als Senator, Rienzi durch die Fehler des Volkes fiel. Der Tribun war das Opfer unwissender Feigheit – der Senator ein Opfer grimmigen Geizes. Dies darzustellen, haben neuere Geschichtschreiber unterlassen. Gibbon sagt richtig, daß der Graf von Minorbino mit einhundertfünfzig Kriegern nach Rom kam und das Quartier der Colonna verbarrikadierte – daß die Glocke des Kapitols ertönte – daß Rienzi das Volk anredete – daß sie still und untätig blieben – und daß Rienzi dann die Regierung niederlegte. Aber hierfür nennt er Rienzi »kleinmütig.« Ist dieser Ausdruck nicht auf das Volk anzuwenden? Rienzi forderte sie auf, gegen den Räuber zu ziehen – das Volk verweigerte den Gehorsam. Rienzi wünschte zu fechten, das Volk wollte sich nicht rühren. Nicht die Sache Rienzis allein verlangte ihre Tätigkeit – es war die Sache des Volkes – auf sie, nicht auf ihn fiel die Schmach, wenn hundertundfünfzig fremde Krieger Rom unterwarfen, seine Freiheit umstürzten und seine Tyrannen wieder einsetzten! Was auch Rienzis Fehler waren, was auch seine Unpopularität, ihre Freiheit, ihre Gesetze, ihre Republik standen auf dem Spiele; und diese gaben sie hundertundfünfzig Söldlingen preis! Diese Tatsache verdammt sie! Aber Rienzi war nicht unpopulär, als er sie anredete und beschwor: sie fanden keinen Fehler an ihm. »Das Seufzen und Stöhnen des Volkes,« sagte Sismondi richtig, »war die Antwort« – sie konnten weinen, aber sie wollten nicht fechten. Diese auffallende Apathie haben die neueren Geschichtschreiber nicht erklärt, und doch war die Hauptsache ganz einleuchtend – Rienzi war exkommuniziert! Diese Geschichtschreiber führten die Tatsache an und schienen zu glauben, daß die Exkommunikation im vierzehnten Jahrhundert zu Rom wirkungslos geblieben sei! – Die Wirkung, welche sie hervorbrachte, habe ich in diesen Blättern zu schildern gesucht.

Die Ursachen des zweiten Sturzes und der endlichen Ermordung Rienzis wurden von den neueren Geschichtschreibern ebenso unrichtig verstanden. Keiner seiner Fehler war es – keine Ungerechtigkeit, keine Grausamkeit, keine Unbesonnenheit – nicht die Hinrichtung Montreals, nicht die Pandulpho di Guidos – es war eine Auflage auf Wein und Salz, die ihn stürzte. Um Rom gegen die Tyrannen zu sichern, mußte eine bewaffnete Macht unterhalten werden, um diese zu bezahlen, war eine Auflage nötig, die Steuer wurde ausgeschrieben – und das Volk verband sich mit den Tyrannen und schrie: »Tod dem Verräter, der die Auflage gemacht hat!« Das war ihre einzige Beschwerde – dies das einzige Verbrechen, das ihre Leidenschaften und ihre Wut gegen ihn vorbringen konnten.

Die Fehler Rienzis waren augenscheinlich genug, und ich habe sie schonungslos geschildert; aber wir müssen die Menschen nicht nach dem Grade ihrer Annäherung an die Vollkommenheit beurteilen, sondern danach, ob ihre guten oder ihre schlimmen Eigenschaften überwiegen – ob ihre Talente oder ihre Schwächen – ob das Gute, das sie getan, oder das Böse, das sie angestiftet. Für einen Mann, der sich zu einer so großen Macht emporgeschwungen hatte, waren Rienzis Fehler äußerst gering – Verbrechen beging er keine. Er ist beinahe der einzige Mann, der sich je aus dem Bürgerstande zu einer Macht erhob, welche der eines Monarchen gleich kam, ohne eine einzige Gewalttat oder Verräterei verübt zu haben. Im Besitze der Macht, war er eitel, übertrieben prachtliebend und unbedachtsam, immer ein Enthusiast, oft ein Fanatiker; aber gerade in seinen Fehlern lag Seelengröße, und eben dieser Fanatismus beförderte seine schwärmerischen Unternehmungen und zeugte von seiner strengen Rechtlichkeit. Es ist klar, daß seine Feinde keine gehässige Beschuldigung gegen ihn vorbringen konnten, denn alle Anklagen, denen er als Exkommunizierter, als Verbannter, als Gefallener ausgesetzt war, betrafen zwei Vergehen, welche Petrarca mit Recht für Beweise seiner Tugend und seines Ruhmes hält; nämlich, daß er Rom für frei erklärte, und zweitens, daß er behauptete, die Römer hätten ein Recht bei der Wahl des römischen Kaisers. Die Beschuldigung der Ketzerei ließ man fallen. So streng gerecht und unbeugsam er als Tribun war, so war doch mutwillige Grausamkeit nie sein Fehler. Die Klage, welche der edle Petrarca über ihn führte, bestand in der Tat darin, daß er nicht entschlossen genug gewesen, daß er die Revolution nicht dadurch vollendet habe, daß er die patrizischen Tyrannen vertilgte. Als Senator wurde er aus Veranlassung der gerechten und notwendigen Hinrichtung Montreals Gibbon unterläßt, wo er die Hinrichtung Montreals erwähnt, anzuführen, daß Montreal der Verschwörung und des Verrates zum Behuf der Wiedereinsetzung der Colonna mehr als nur verdächtig war. Mattheo Villani führt es als allgemeine Annahme an, daß dies wirklich das Verbrechen des Provençalen gewesen. Der Biograph Rienzis liefert weitere Beweise für die Tatsache. Gibbons Kenntnis von dieser Zeit war oberflächlich. Als Beispiel hierfür schildert er sonderbarerweise Montreal als das Haupt der ersten Freikompagnie, welche Italien verheerte; diesen Irrtum entlehnte er von dem Pater du Cerceau. ohne hinreichenden Grund des Geizes angeklagt. Es war sehr natürlich, daß seine Feinde und der Pöbel glaubten, er lasse einen Gläubiger hinrichten, um sich einer Schuld zu entledigen; aber von späteren, einsichtsvolleren und tüchtigeren Schriftstellern war es unverzeihlich, eine solche Verleumdung zu wiederholen, ohne wenigstens die naheliegende Bemerkung beizufügen, daß die Habsucht Rienzis weit leichter durch die Schonung als durch die Hinrichtung eines der reichsten Männer Europas hätte befriedigt werden können. Montreal, dessen dürfen wir sicher sein, hätte sein Leben um eine unvergleichlich größere Summe, als das wenige erkauft, was seine Brüder Rienzi vorgestreckt hatten. Dies ist nicht nur eine wahrscheinliche Voraussetzung, sondern eine bestimmte Tatsache, denn man berichtet ausdrücklich, daß Montreal, »der den Tribun in Geldverlegenheit gewußt, Rienzi für den Fall seiner Freilassung angeboten habe, er, Montreal, wolle ihm nicht nur zwanzigtausend Gulden (den vierfachen Betrag von dem, was Rienzi ihm schuldete) zahlen, sondern soviel Soldaten und Geld zu seiner Verfügung stellen, als er verlangen werde.« Dieses Anerbieten schlug Rienzi aus. Hätte er es zurückgewiesen, wenn Habsucht sein leitendes Prinzip gewesen wäre? Und welch strafbare Ungerechtigkeit, der unbestimmten Verleumdung zu erwähnen, ohne die widersprechenden Tatsachen anzuführen! Wenn Gibbon uns auch erzählt, daß »der tugendhafte Bürger Roms (worunter er Pandulpho oder Pandulphiccio di Guido Mattheo Villani spricht von ihm als einem weisen, guten Bürger, von großem Ansehen bei dem Volke. Dies scheint er auch in der Tat gewesen zu sein. versteht) seiner Eifersucht geopfert worden sei,« so übertreibt er den Ausdruck » virtuoso assai« ein wenig, der auf Pandulpho angewendet wurde; und dieser Ausdruck wurde überdies von einem Manne gebraucht, der den Räuber Montreal schildert als » excellente uomo – di quale fama suono per tutta la Italia di virtude« – ein solcher Moralist war dieser Schriftsteller! – Er unterläßt auch jede Erwähnung der so augenscheinlichen Wahrscheinlichkeiten von dem Plane Pandulphos, Rienzi zu verdrängen und die »Signoria del Popolo« für sich zu beanspruchen. Wenn aber auch der Tod Pandulphos als ein Makel im Andenken Rienzis angesehen werden mag, so war es dieser nicht, der sein eigenes Schicksal herbeiführte. Der Pöbel, der seinen Palast umgab, schrie nicht: »Nieder mit dem Henker Pandulphos,« sondern – man muß es wieder und immer wieder sorgfältig beachten – nichts mehr und nichts weniger, als: » Nieder mit ihm, der die Auflage gemacht hat

Gibbon spöttelte über die militärische Geschicklichkeit und den Mut Rienzis. Für das letztere hat er keinen Grund. Seine ersten Unternehmungen, seine erste Erhebung zeugten hinlänglich für seinen kühnen, tapferen Geist; bei jeder Gefahr war er zugegen, nie wich er, solange er vom Volke unterstützt wurde, vor einem Feinde zurück. Er zeichnete sich, als er noch in Albornoz' Lager war, bei Viterbo durch mehrere Waffentaten aus, und sein Ende war das eines Helden. Was das erstere betrifft, so wäre es gewiß zu entschuldigen gewesen, wenn Rienzi, der beredte und begabte Gelehrte, aus dem Studierzimmer und von der Rednerbühne zu der Uebernahme des Befehles über ein Heer berufen, in seinen militärischen Kenntnissen schwach gewesen wäre, aber seine Waffen waren doch jedenfalls im ganzen glücklich. Er schlug die Ritterschaft Roms vor dessen Toren, und wenn er nach seinem Siege nicht auf Marino marschierte, weswegen sein Biograph und Gibbon ihn tadeln, so ist der Grund hierzu klar genug: » Volea pecunia per soldati« – es fehlt ihm an Geld für die Soldaten! Nach seiner Rückkehr als Senator, muß man bedenken, hatte er Palestrina zu belagern, das wegen seiner Lage sogar von den alten Römern für beinahe unbezwinglich gehalten wurde; doch ergab sich Palestrina während der wenigen Wochen seiner Herrschaft, alle seine offenen Feinde wurden geschlagen, die Tyrannen vertrieben, Rom war frei; und dies alles, ohne daß er weder von der päpstlichen noch von der Volkspartei unterstützt worden wäre, vielmehr, wie Gibbon richtig sagt, »von dem Volke verdächtigt, von dem Kirchenfürsten verlassen.«

Wenn man in Betracht zieht, was Rienzi leistete, müssen wir auch seine Mittel in das Auge fassen, die Schwierigkeiten, welche ihn umgaben, seine beschränkten Hilfsquellen. Wir sehen einen Mann ohne hohe Geburt, ohne Vermögen und ohne Freunde zum Haupte einer Demokratie in der Hauptstadt der Kirche, in der ersten Stadt des Kaiserreiches sich aufschwingen. Wir sehen ihn jeden Titel, außer den eines Beamten des Volkes, verschmähen, mit einem Schlage eine neue Verfassung gründen, ein neues Gesetzbuch einführen. Wir sehen ihn die stolzeste Aristokratie Europas zuerst vertreiben, dann unterwerfen – sehen ihn die trotzigsten Banditen besiegen, das unruhigste, durch die Gewalttaten von Jahrhunderten in geistiges und sittliches Verderben herabgesunkene Volk unparteiisch regieren. Wir sehen ihn den Handel wieder beleben, die Ordnung befestigen, die Zivilisation wie durch ein Wunder gründen, von gekrönten Häuptern Huldigungen und Glückwünsche empfangen – sehen ihn die schlaueste Priesterschaft der päpstlichen Diplomatie überlisten, versöhnen oder schrecken, und seine Vaterstadt mit einemmal zu plötzlicher, aber anerkannter Ueberlegenheit über alle anderen Staaten erheben, die hinsichtlich der Künste, ihres Reichtums und ihrer Zivilisation über ihr standen; wir fragen, welche Mängel wir in die andere Wagschale zu legen haben, und wir finden eine unnötige Prachtliebe, eine fanatische Abenteuerlichkeit und eine gewisse übermütige Strenge. Aber was sind solche Fehler, was der Glanz eines Banketts oder das Gepränge des Ritterschlages oder einige anmaßende Worte im Vergleich zu den Lastern beinahe aller Fürsten seiner Zeit? Wenn wir Charaktere beurteilen wollen, müssen wir Menschen mit Menschen vergleichen und nicht mit Idealen dessen, was die Menschen sein sollten. Wir sehen die erstaunlichen Wohltaten, welche Rienzi seinem Vaterlande verschaffte. Wir fragen nach seinen Mitteln und finden nur seine persönlichen Anlagen. Sein Schatz wird geschwächt – seine Feinde empören sich – die Kirche benutzt seine Schwäche – er wird exkommuniziert – die Soldaten weigern sich, zu fechten – das Volk will ihm nicht beistehen – die Barone verwüsten das Land – die Wege werden versperrt, die Zufuhr ist von Rom abgeschnitten. Eine Hand voll Banditen dringt in die Stadt – Rienzi will, daß man ihnen Widerstand leiste – das Volk verläßt ihn – er dankt ab. Raub, Hunger, Mord folgen nun – die, welche ihn verlassen, bedauern, bereuen – gleichwohl bleibt er ohne Beistand, allein – bald ein Verbannter, bald ein Gefangener, sein Geist rettet ihn aus jeder Gefahr und erhebt ihn wieder zur Größe. Er kehrt zurück, der päpstliche Legat verweigert ihm seine Waffen – das Volk verweigert ihm das Geld. Er stellt Gesetz und Ordnung wieder her, vertreibt die Tyrannen, legt seine früheren Fehler ab Diese zweite Periode seiner Macht wurde als diejenige geschildert, in welcher seine hauptsächlichsten Fehler sich kund geben, und er ist zu dieser Zeit bei seinem Biographen offenbar nicht in Gunsten; richten wir aber unser Augenmerk auf das, was er leistete, so finden wir staunenerregende Gewandtheit, Klugheit und Tatkraft in der schwierigsten Krisis, und keinen seiner früheren Fehler. Wahr ist, daß er nicht mehr die glänzende Abenteuerlichkeit an den Tag legte, die, wie ich vermute, mehr als seine gesunderen Eigenschaften seine Zeitgenossen blendete; aber wir finden, daß er binnen wenigen Wochen alle seine mächtigen Feinde besiegte – daß seine Beredsamkeit so groß war, wie je – noch größer seine Schnelligkeit – unermüdlich sein Fleiß – wachsam seine Vorsicht. »Er allein,« sagt der Biograph, »führte die Angelegenheiten Roms, denn seine Beamten waren sehr lässig und gleichgültig.« Und dies alles, gemartert von einer schmerzlichen Krankheit – schon, obwohl noch jung, gebrochen und schwach. Die einzigen gegen ihn als Senator vorgebrachten Beschuldigungen waren die Hinrichtungen Montreals und Pandulpho di Guidos, die Auflage der Steuer, die Ablegung seiner früheren enthaltsamen Lebensweise und seine Neigung zum Weine und zum Schmausen. Hinsichtlich der ersten Beschuldigungen ist der Leser schon in den Stand gesetzt, sich ein eigenes Urteil zu bilden. Was dann die letztere betrifft, so muß der Leser leider seine Nachsicht ausdehnen, und er wird auch hierfür eine Entschuldigung finden. Ja, wir müssen den Mann mehr bedauern, als verdammen, dem die Aufregung zur anderen Natur geworden ist und der zu dem physischen Reizmittel oder zu der augenblicklichen Lethe seine Zuflucht nimmt, wenn die geistigen Aufheiterungen der Hoffnung, der Jugend und des Ruhmes ihn zu verlassen anfangen. Seine angebliche Unmäßigkeit, welche die Römer (ein äußerst nüchternes Volk) vielleicht auch übertrieben haben, und die er mit einem Durst entschuldigte, den ihm eine im Kerker von Avignon zugezogene Krankheit verursachte – verminderte offenbar, auch nach Zeugnissen, in der letzten Zeit seinen Geschäftseifer nicht, der, wie sein Biograph berichtet, zu dieser Zelt noch größer war als je. – er ist klug, schlau, vorsichtig – er regiert wenige Wochen – besteuert das Volk zu dessen eigenem Besten und wird in Stücke zerrissen! Ein Tag der nun folgenden Regierung reicht hin, sein Regiment zu rechtfertigen und sein Andenken zu rächen – und so oft dieses elende, entartete Volk noch nach Jahrhunderten von Ruhm träumte oder nach Gerechtigkeit seufzte, erinnerte es sich des glänzenden Traumbildes, das es selbst geopfert, und beklagte das Schicksal von Cola di Rienzi. Daß er kein Tyrann war, geht daraus augenscheinlich hervor, daß er nach seinem Tode schmerzlich bedauert wurde. Das Volk bedauert nie einen Tyrannen! Aus der Unpopularität, welche aus anderen Fehlern entspringt, geht oft eine Reaktion hervor, es ist dies bei dem Volke aber keine Reaktion gegen seinen Verräter oder Unterdrücker. Tausend Biographen können über die Fehler oder Verdienste eines Regenten nicht mit solcher Bestimmtheit entscheiden, wie die einzige Tatsache, ob er zehn Jahre nach seinem Tode geliebt oder gehaßt wird. Wenn aber der Regent vom Volke ermordet wurde, und er wird dann von ihm bedauert, so liegt eben in dieser ihrer Reue seine Freisprechung.

Ich habe gesagt, die Moral vom Leben des Tribunen und von dieser freien Darstellung desselben sei nicht die abgenutzte, zwecklose Moral, welche den Ehrgeiz des einzelnen warnt: Umfassender, feierlicher, nützlicher – wendet sie sich an die Nationen. Wenn ich nicht irre, so sagt sie, daß, um groß und frei zu sein, ein Volk sich nicht auf einzelne, sondern auf sich selbst verlassen muß – daß nicht ein plötzlicher Sprung von der Knechtschaft zur Freiheit führt – daß es von Einrichtungen, nicht von Männern, Reformen zu erwarten habe, welche von Dauer sein sollen – daß seine eigenen Leidenschaften die wahren Despoten sind, welche es bezwingen muß, seine eigene Vernunft das wahre Mittel zur Abschaffung von Mißbräuchen. Bei einem ruhigen und edlen Volke kann der Ehrgeiz eines Bürgers nie gefährlich werden: ungeduldig die Fesseln tragen, heißt nicht, der Freiheit würdig sein – eine obrigkeitliche Person niedermachen, heißt nicht, das Gesetz verbessern. Rienzi wurde ermordet, weil die Römer die Gewohnheit hatten, zu morden, sobald sie mißvergnügt waren. Ganz kurz vorher hatten sie einen anderen in Stücke gerissen. Aus denselben Ursachen und auf demselben Wege kann ein Volk einem Bravo ähnlich werden, dessen Hand bei der geringsten Beleidigung nach dem Messer fährt, und wenn er heute den Feind ersticht, morgen den Freund erschlägt, der ihn zurückhalten will. Das Volk schreibt sein eigenes Verdammungsurteil, wenn es sich blutiger Schriftzüge bedient; ihm allein ist die Torheit oder das Verbrechen zuzurechnen, wenn es einen Tyrannen krönt oder ein Opfer mordet.

 

Ende.


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