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Schlimme Begebnisse thun sich aus guten Absichten hervor.
Bartholomäus Markt.
Es stand nicht lange an, so hatten sich die Blätter des Asinäums auffallend und sichtbar gehoben; der zwiebelnde Theil dieses unvergleichlichen Journals war auf einmal mit einer Lebendigkeit und einem Geist gehandhabt und durchgeführt, wodurch die wenigen Eingeweihten, welche ihm das Daseyn fristeten, ganz in Erstaunen gesetzt wurden. Es war leicht zu merken, daß ein neuer Kämpfer für den Dienst sich hatte anwerben lassen; es war in dem Schimpfen etwas so Frisches und Herzhaftes, daß es nicht aus der abgenutzten, herben Feder eines alten Zwieblers kommen konnte. Zwar ein wenig Unwissenheit in bekannten Dingen, und eine neuerungssüchtige Art und Weise, Worte in einem Sinne gebrauchen, den sie nie ausdrückten, ließen sich bisweilen in den Kritiken des neuen Achilles auffinden; es war jedoch natürlich diese Eigenthümlichkeit einer originellen Anschauungsweise zuzuschreiben und das Steigen der Zeitung, in Folge des Erscheinens einer Reihe von Artikeln über jetzt lebende Schriftsteller, von dieser ausgezeichneten Hand geschrieben, war so auffallend, daß 50 Abdrücke – ein ganz unerhörter Fall in den Annalen des Asinäum, – in Einer Woche weg verkauft wurden; wirklich erklärte, eingedenk des Grundsatzes, worauf es gegründet war, ein handfester alter Schriftsteller, das Journal werde sich bald auf eigene Füße stellen und populär werden. Es war etwas ganz Besondres und Auffallendes mit dem jungen literarischen Kämpfer, der sich Nobilitas unterzeichnete. Er gebrauchte nicht allein alte Worte in einem neuen Sinn, sondern er gebrauchte auch Worte, deren man sich sonst auf dem schriftstellerischen Gebiet nie bedient hatte. Dieß war besonders auffallend, wenn den Autoren Unnamen beigelegt wurden. Einmal, wo ein beliebter Schriftsteller getadelt wurde, weil er das Publikum vergnüge und sich dadurch bereichere, schloß die ausgezeichnete Hand folgendermaßen: Wer auf solche schleichende Weise Klepprer aufhäuft, ist in der That nicht besser als ein Buschklepper.
Diese räthselhaften Worte und geheimnißvollen Ausdrücke verbreiteten über den Styl des neuen Kritikers den Schimmer großer Gelehrsamkeit, und bei der unverständlichen Erhabenheit seiner Schreibart schien es zweifelhaft, ob er ein Dichter von Highgate oder ein Filosof von Königsberg sey. Auf jeden Fall behielt der Recensent sein Inkognito bei und während sein Lob an nicht weniger als drei Theetischen ausposaunt wurde, schien ihm selbst der Ruhm minder reizend und süß als die Verheimlichung.
In diesem Inkognito, mein Leser, hast du bereits Paul erkannt; und nun soll dich ein Beweis von der unerreichbaren Tugend des trefflichen Mac Grawler ergötzen. Dieser würdige Mentor hatte wahrgenommen, daß unser Held von einem tief wurzelnden Hang zur Zerstreuung und unordentlichem Leben behaftet war; großmüthig entschloß er sich, lieber sich selbst mit der Sünde des Verraths und des unredlichen Erwerbs zu beschweren, als zuzugeben, daß sein Freund und ehemaliger Zögling in ein verschwenderisches, liederliches Leben sich stürze. Demnach der mit Paul getroffenen Verabredung zuwider, theilte er dem Jüngling, statt ihm die Hälfte des Ertrags seiner glänzenden Studien zu geben, nur ein Viertel zu, und mit den zärtlichsten Sorgen für Pauls Heil verwendete er die übrigen drei Theile für seine Bedürfnisse. Ach! die besten Handlungen werden in der Welt so schlimm ausgelegt und wir sind eben im Begriff, eines auffallenden Beweises, dieser traurigen Wahrheit zu erwähnen.
Eines Abends hatte Mac Grawler seine Tugend angefeuchtet, in derselben Weise wie man es dem großen Cato nachrühmt; in der Verwirrung, welche eine solche Operation bisweilen in den bestgeordneten Köpfen anrichtet, gab er Paul ein Papier, das er für den Entwurf zu einem gewissen Aufsatz hielt, welcher nach seiner Absicht im Zwiebelstyl sollte ausgeführt werden, das aber in der That ein Briefchen vom Herausgeber einer Monatschrift war und also lautete:
Sir!
Da ich erfahre, daß mein Freund, Herr – –, Eigenthümer des Asinäum, den ausgezeichneten Schriftsteller, den Sie in die literarische Welt eingeführt und der sich Nobilitas unterschreibt, nur mit fünf Schillingen für den Artikel belohnt, so lasse ich ihm durch Sie das Doppelte dieser Summe anbieten; die verlangten Artikel müssen die gewöhnliche Länge haben.
Ich bin, Sir u. s. w.
Nun hatte zwar allerdings, am Morgen schon Mac Grawler Paul von diesem Anerbieten in Kenntniß gesetzt, hatte aber nur, aus den wohlwollenden Beweggründen, die wir schon erläutert, die Summe von zehn Schillingen auf vier ermäßigt; und nicht sobald hatte Paul, die obenstehende Mittheilung gelesen, als er statt Dankbarkeit gegen Mac Grawler für seine Berücksichtigung von Pauls moralischer Schwäche zu empfinden, gegen diesen Ehrenmann den bittersten Groll faßte. Er machte jedoch seinen Gefühlen gegen den Schotten nicht auf Einmal Luft: in der That würde es im jetzigen Augenblick, da der Weise in tiefem Schlummer unter dem Tische lag, ganz zwecklos gewesen seyn, hätte er in seiner Entrüstung die Zügel schießen lassen. Aber er beschloß, ohne Zeitverlust den Wohnsitz des Kritikers zu verlassen. »Und wirklich,« sagte er im Selbstgespräch, »ich bin dieses Lebens herzlich satt, und will sehr froh seyn, wenn ich ein andres Unterkommen finde. Zum Glück habe ich 5 Guineen 4 Schillinge aufgesteckt und mit diesem unabhängigen Vermögen im Besitz, kann ich, da ich das Spiel verschworen habe, nicht leicht Hungers sterben.« Diesem Selbstgespräch folgte eine menschenfeindliche Träumerei über die Treulosigkeit der Freunde, und die Betrachtung schloß sich damit, daß Paul ein kleines Bündel von Kleidern und dergleichen Sachen schnürte, welche Dummie glücklich aus dem Kruge weggeschleppt und Paul an einem Morgen, wo Dummie ausgegangen war, im Hause des Lumpenhändlers geholt hatte.
Als dieses leichte Geschäft beendigt war, schrieb Paul einen kurzen vorwurfsvollen Brief an seinen glanzvollen Lehrer und ließ ihn ungesiegelt auf dem Tisch liegen. Dann goß, er die Tintenflasche über den sanft schlummernden Herrn Mac Grawler aus, machte sich aus dem Hause fort und lief – er wußte selbst nicht wohin.
Der Abend dämmerte allmälig herein, als Paul, kauend an seinen bittern Gedanken, sich auf der Londoner-Brücke befand. Er blieb stehen, beugte sich über das Geländer, und sah gedankenvoll in die düstern Wasser, die dahin rauschten und sich keine Elrize um die vielen reizenden jungen Frauenzimmer kümmerten, welche geeignet fanden, sich in diese fühllosen Wellen zu stürzen und dadurch eine gute Hausfrau eines trefflichen Dienstmädchens, oder einer unschätzbaren Köchin und manchen verrätherischen Faun solcher Briefe beraubten, die anfangen: Dreuloser Besewicht! und schließen: Eure zerrtliche aber tief bettrübte Molly.
Während er solchen Gedanken nachhing, sah er sich plötzlich von einem Herrn in Stiefeln und Sporen angeredet; in einer Hand hatte dieser eine Reitpeitsche und die andre hatte er in die Tasche seiner Unaussprechbaren gesteckt. Der Hut des Modeherrn war mit anmuthiger Nachläßigkeit aufgesetzt, und zwar so, daß er so wenig als möglich die Fülle schwarzer reicher Locken in Unordnung brachte, die, von Salben duftend, nicht allein zu beiden Seiten des Angesichts, sondern auch über den Hals und die Schultern herabfielen. Das Gesicht war finster und stark ausgeprägt, aber schön und auffallend. In seinem Ausdruck lag eine Mischung von Härte und von Trödelstaat, – es hielt die Mitte zwischen Madame Vestris und T. P. Cooke, oder zwischen liebliche Sarah und tapfrer Hauptmann des Halifax. Der Wuchs dieses Mannes war auffallend groß und seine Gestalt war stämmig, muskulös und gedrungen. Zum Schluß, um sein Bild zu vollenden und unsern jetzt lebenden Lesern eine genaue Anschauung von dem Helden der Vergangenheit zu geben, wollen wir noch hinzusetzen, daß er ganz ein Gentleman von dem Schlage war, wie man sie in der Arkade von Burlington, Haar und Hut auf Einer Seite und einen militärischen Mantel über die Schultern geworfen, einherstolziren; oder gegen Abend in Regent-Street mit Backenbart und Cigarren umherstreifen sieht.
Die Hand auf die Schulter unsres Helden gelegt, begann dieser Gentleman mit affektirter Betonung der Stimme:
»Was treibst Du, mein guter Gesell? Es ist lang her, daß ich Euch sah; Gott straf mich, aber Du kommst schlechter daher! Was hast Du denn bisher angefangen?«
»Ha!« rief unser Held, den Gruß des Fremden erwiedernd, »und ist es der lange Ned, den ich sehe? Ich bin wahrhaftig erfreut, Euch zu treffen, und ich muß sagen, mein Freund, ich hoffe, was ich von Euch hörte, ist nicht wahr.«
»Pscht!« sagte der lange Ned, indem er sich ängstlich umsah und die Stimme sinken ließ, »sprecht nie von dem, was Ihr von Gentlemen hört, es wäre denn, Ihr wünschet sie auf die lezte Rede vor dem Sterben und zur Beichte zu bringen. Aber kommt mit mir, Freundchen, es ist eine Schenke gleich in der Nähe, und wir können uns bei einem Schoppen Wein eben so gut besprechen. Ihr seht zwar verflucht schofel aus, aber ich kann Bill dem Kellner – ein superber Kerl der Bill – sagen, Ihr seyd einer meiner Pächter, den mein Verwalter so eben wegen rückständiger Zinse habe auspfänden lassen, und der komme sich über ihn zu beklagen; kein Wunder, daß der Hund so zerlumpt ausziehe! Komm, geh hinter mir drein, ich kann nicht neben Dir gehen. Es würde sich ausnehmen, wie wenn Northumberland-House und die Fleischerbude mit einander einen Spaziergang machten.«
»In der That, Herr Pepper,« sagte unser Held erröthend und von der sinnreichen Vergleichung seines Freundes im Mindesten nicht erbaut, »wenn Ihr Euch meines Aufzugs schämt, der, ich gesteh es, neuer seyn könnte, so will ich Euch nicht beschwerlich fallen mit – –«
»Pah, Junge, Pah,« rief der lange Ned ihn unterbrechend, »nehmt's nicht übel. Ich thu's auch nicht. Ich nehme überhaupt nichts als Geld, und freilich ja, auch Uhren. Ich wollte Eurem Herzen nicht wehe thun – wir alle sind einmal arm gewesen. Meiner Seel, ich erinnre mich noch, daß ich keinen gesunden Fetzen auf dem Leib hatte, und jetzt, – sieh mich an, Paul! sieh mich an! Aber kommt – nur durch die Straßen müßt Ihr von mir getrennt gehen. Haltet Euch ein wenig hinter mir – ganz wenig, so ist es schon gut. Ja, so ist's schon gut,« wiederholte der lange Ned bei sich selbst murmelnd: »Man wird ihn für den Bailiff halten. Es sieht heut zu Tage etwas gleich, wenn man so begleitet wird. Es zeigt, daß man einmal Credit hatte.«
Mittlerweile folgte Paul, obgleich keineswegs zufrieden über die Verachtung, welche sein langer Freund gegen seine persönliche Erscheinung geäußert und durchdrungen von einem lebhafteren Gefühl als je über die Verbrechen seines Rocks und die Laster des andern Häuptstücks seiner Kleidung – o nennt nicht den Namen! – sehr verdrießlich und mürrisch den stolzirenden Schritten des stutzerhaften Herrn Pepper. Dieser Herr langte endlich in einer kleinen Schenke an, hielt einen Aufwärter, der durch den Gang in das Kaffeezimmer mit einer Schüssel Hängefleisch rannte, an, und verlangte (ohne Zweifel aus ahnungsvoller Vorliebe für den schwebenden Zustand, in welchem es gewesen), eine Schüssel desselben trefflichen Fleisches solle, nebst einer Flasche Porter in ein besondres Zimmer gebracht werden.
Sobald er sich mit Paul allein sah, brach Herr Ned in ein lautes Gelächter aus, und betrachtete seinen Cameraden vom Kopf bis zum Fuß durch ein Augenglas, das er durch ein Stück blaues Band am Knopfloch befestigt trug.
»Nun, Gott straf mich jetzt,« sagte er, von Zeit zu Zeit inne haltend, wie um desto herzhafter wieder zu lachen – »so wahr ich lebe, Ihr seht einem komischen Kauzen gleich; ich möchte nur hören, was die Weiber sagen würden, wenn sie den stattlichen Edward Pepper, Esquire, Arm in Arm mit Dir nach Ranelagh oder Vauxhall wandeln sähen. Nein, Mensch, sey nicht niedergeschlagen! wenn ich über Dich lache, so geschieht es nur um Dich selbst ein wenig lustiger zu machen. Wahrlich Du siehst aus, wie ein Buch meines Großvaters, genannt: Burtons Zergliederung der Melancholie, und fürwahr, ein armseligeres, treueres Bild davon sah ich nie.«
»Diese Scherze sind etwas hart,« sagte Paul, der zwischen Verdruß und dem Versuch zu lächeln kämpfend schwankte; dann besann er sich jedoch auf seine letzten literarischen Beschäftigungen, auf die vielen Auszüge, die er aus der: Aehrenlese aus der schönen Literatur, entlehnt hatte, um seinen Kritiken Zierlichkeit zu verleihen; er streckte die Hand theatralisch aus und deklamirte mit feierlicher Miene:
»Es ist gewiß für ein betrübtes Herz
So quälend nichts, als übermüthiger Scherz.«
»Nun gut, bitte, verzeih mir,« sagte der lange Ned, indem er seinen Zügen Ruhe gebot, und jetzt sage mir, was hast Du in den letzten zwei Monaten getrieben?«
»Gezwiebelt und gepflastert!« antwortete Paul mit sich fühlendem Stolze.
»Gezwiebelt und was! der Junge ist närrisch – was meint Ihr Paul?«
»Mit andern Worten,« versetzte unser Held sehr langsam sprechend, »wißt, o sehr langer Ned, ich bin Kritiker beim Asinäum gewesen.«
Wenn Pauls Genosse anfangs schon gelacht hatte, so lachte er jetzt noch zehnmal lustiger als je zuvor. Er streckte seine langen Glieder auf einem Sofa, das in der Nähe stand, aus, und krümmte sich im buchstäblichen Sinne in Krämpfen des Gelächters; auch legte sich seine Lachwuth nicht, bis die Ankunft des Hängefleisches ihn wieder zur Besinnung brachte. Als er dann sah, wie eine Wolke Pauls Miene verfinsterte, ging er mit einer Art Würde auf ihn zu, bat ihn wegen seines Mangels an Artigkeit um Verzeihung und forderte ihn auf, alle Unfreundlichkeit in einem Glas Porter zu ertränken. Paul, dessen treffliche Gemüthsart wir schon früher zu rühmen Gelegenheit gehabt, war gegen seines Freundes Entschuldigungen nicht taub. Er versicherte den langen Ned, er verzeihe ihm ganz und gar, daß er sich über die hohe Stellung in der literarischen Welt, deren sich Paul erfreut hatte, lustig gemacht; es sey die Pflicht eines öffentlichen Tadlers und Richters, keinen Groll zu hegen und er werde mit großem Vergnügen an der Bestattung des Hängefleisches Theil nehmen.
Unser Paar setzte sich nun zu seinem Male und Paul, der in dem Tempel der Athene, wo Mac Grawler den Vorsitz führte, nur schmale Bissen gekostet hatte, ließ den Fleischgerichten, die vor ihm standen, alle Gerechtigkeit widerfahren. Allmälig, wie er so aß und trank, schloß sich sein Herz gegen seinen Genossen auf; er setzte die asinäische Würde, welche anzunehmen er anfänglich für seine Schuldigkeit gehalten hatte, beiseite und unterhielt Pepper mit all den einzelnen Umständen seiner jüngsten Lebensperiode. Er erzählte ihm seinen Bruch mit der Frau Lobkins, seine Uebereinkunft mit Mac Grawler; von dem Ruhm den er eingeerntet und den Unbillen die er erduldet; und er schloß, als jetzt die zweite Flasche ihre Aufwartung machte, mit der Erklärung seines Wunsches: die sitzende Laufbahn, die er so vielversprechend angetreten, mit einer thätigeren Lebensweise zu vertauschen.
Dieser letzte Theil von Paul Bekenntnissen ergötzte insgeheim die Seele des langen Ned; denn dieser erfahrene Einsammler auf den Landstraßen (Ned trieb in der That kein niedrigeres Gewerbe) hatte längst auf unsern Helden ein Auge geworfen als auf einen dem er zutraute, er würde dem waghalsigen Beruf, den er ausübte, Ehre machen, und für ihn selbst ein nützlicher Beistand seyn. Während seiner frühern Bekanntschaft mit Paul, so lang der Jüngling unter dem Dach und der Obhut der weltkundigen und vorsichtigen Mrs. Lobkins lebte, hatte er es nicht klug befunden, das eigentliche Wesen seiner Handthierung ihm auseinander zu setzen, und er hatte sich damit begnügt, allmälig das Gemüth und die Finanzen Pauls bis zu dem Punkt heranreifen zu lassen, wo der Vorschlag: einen Ausfall hinter dem Zaune vor zu machen, wahrscheinlicherweise das Gemüth dessen, dem er gemacht wurde, nicht allzusehr empören würde. Jetzt glaubte er diesen Zeitpunkt nahe und indem er unsrem Helden das Glas bis zum Rande füllte, redete er ihn arglistig also an:
»Muth, mein Freund! Eure Erzählung hat mir ein wahres Vergnügen gemacht, denn ich will verflucht seyn, wenn sie nicht meine Lieblingsmeinung, daß Alles zum Besten führt, bestärkt hat. Wäre nicht die Schurkerei dieses erbärmlichen Tropfs, des Mac Grawler, gewesen, Ihr wäret vielleicht noch von dem armseligen Ehrgeiz begeistert, ein Paar magere Schillinge wöchentlich zu ernten und ein Schock arme Teufel in Eurem – weiß nicht wie's heißt, mit Lästerungen zu verunglimpfen, während jetzt ich, mein guter Paul, im Stande zu seyn hoffe, Eurem Genius eine Laufbahn zu eröffnen, wo dem, der darnach fragt, Guineen regnen – wo Ihr feine Kleider tragen und die Damen in Ranelagh beäugeln könnt; und wenn Ihr des Ruhms und freien Lebens satt seyd, nun so habt Ihr nur vor einer Erbin oder einer Wittwe mit stattlichem Witthum Euern Bückling zu machen, und wie ein Cincinnatus das Getümmel der Menschen zu verlassen.«
Obgleich Pauls Urtheil in den abstruseren Zweigen der Moral nicht das allerschärfste war – und damals hatte der Portwein die wenigen Begriffe, die er von der Schönheit der Tugend hatte, noch ansehnlich verwirrt – mußte er doch sattsam einsehen, daß Herrn Peppers einladender Vorschlag durchaus nicht von der Art war, daß die Bank der Bischöfe oder eine Synode von Moralisten ihn mit gutem Gewissen hätte billigen können; er verhielt sich also schweigend und der lange Ned fuhr nach einer Pause fort: »Ihr kennt meinen Stammbaum, mein guter Kamerad? Mein Vater war der Advokat Pepper – ein schlauer, alter Kerl, aber so hitzig wie ein Kalkuttischer Hahn, und mein Großvater, der Todtengräber Pepper, ein großer Schriftsteller, der Verse auf Grabsteine dichtete und ein Lager religiöser Traktätchen in Carlisle hielt. Mein Großvater, der Todtengräber, hatte die ruhigste Gemüthsart in der Familie; denn wir alle sind ein wenig heißgrätig mit dem Mund. Nun, mein guter Kamerad, mein Vater hinterließ mir seinen Segen und diesen verteufelt guten Haarwuchs. Ich lebte einige Jahre von meinen eigenen Hilfsquellen, fand aber diese Lebensweise außerordentlich unbequem und neuerlich entschloß ich mich, vom Publikum zu leben. Mein Vater und Großvater haben es vor mir eben so gemacht, nur in einer andern Weise. Es ist das vergnüglichste Thun und Treiben von der Welt. Folgt meinem Beispiel und Euer Rock wird bald so schmuck seyn, wie der meinige. Junker Paul, Eure Gesundheit!«
»Aber, o Längster der Sterblichen!« sagte Paul, sein Glas wieder auffüllend, wenn Euch das Publikum auch gestattet, eine kurze Zeit Euern Hammelsbraten auf seinem Rücken zu verzehren, zuletzt wird es doch auffahren und Euch und Euer Mahl umstürzen; mit andern Worten – (verzeiht meine bildliche Redeweise, theurer Ned, in Erwägung der Rolle, die ich zuletzt beim Asinäum, diesem größten und bilderreichsten der Journale spielte) mit andern Worten: die Polizei wird Dich zuletzt auslickern und du wirst das ausgezeichnete Schicksal dessen haben, von dem Du schon ein charakteristisches Merkmal an Dir trägst – des Absalom!«
»Ihr meint ich werde gehangen werden,« sagte der lange Ned. Das kann seyn, aber auch nicht seyn; aber wer den Tod fürchtet, genießt das Leben nie. Bedenkt Paul, daß wenn gleich gehängt werden, ein schlimmes Loos ist, doch Verhungern noch schlimmer ist; deßwegen füllt Euer Glas und laßt uns trinken aufs Wohlseyn des großen Saumthiers, des Publikums, und mögen uns nie Sättel fehlen, es zu reiten!«
»Was das große Saumthier betrifft,« rief Paul, indem er seinen Tummler hinunterstürzte, »mögt Ihr eben so grau werden, wie es! Aber ich gesteh' Euch, mein Freund, daß ich auf Eure Plane nicht eingehen kann. Und zum Beweis meiner Entschlossenheit: ich trinke nichts mehr, denn meine Augen fangen schon an in der Luft zu tanzen und wenn ich noch länger auf Eure unwiderstehliche Beredsamkeit horche, könnten meine Beine noch das gleiche Schicksal haben.«
Mit diesen Worten stand Paul auf, und kein Zuspruch von Seiten seines ihn bewirthenden Freundes konnte ihn bereden, seinen Sitz wieder einzunehmen.
»Nein, ganz wie Ihr wollt,« sagte Pepper, der jetzt einen gleichgültigen Ton annahm und seine Halsbinde vor dem Spiegel in Ordnung brachte. »Nein, ganz wie Ihr wollt. Ned Pepper zwingt keinen Menschen gegen eigne Lust und Neigung zu seiner Gesellschaft und wenn der edle Funke des Ehrgeizes nicht in Eurer Brust glimmt, so verschwende ich meinen Athem vergeblich, um etwas anzublasen, was nur in einer schmeichelhaften Meinung von Euern Eigenschaften vorhanden war. So habt Ihr also im Sinn, zu Mac Grawler, dem räudigen alten Hund, zurückzukehren und den Rest Eures Lebens ruhmlos mit dem Zerfetzen von Autoren und mit Todtschlägen der Grammatik hinzubringen? Geht, mein guter Geselle, geht und kritzelt wieder und immerdar für Mac Grawler, und laß ihn zehren von Deinem Witz, statt Deinen Witz anzuwenden um – –«
»Halt!« rief Paul, »obgleich ich manche Bedenklichkeiten habe, die mich abhalten, den hochstrebenden Lebensberuf, den Ihr mir vorgeschlagen habt, anzunehmen, so seyd Ihr doch sehr im Irrthum, wenn Ihr mich für so hirnlos haltet, daß ich mich wieder den Ränken des schuftigen Mac Grawler hingeben könnte. Nein! meine dermalige Absicht ist, meiner alten Pflegemutter einen Besuch abzustatten. Es scheint mir nicht mit rechten Dingen zuzugehen, daß, da ich doch schon so manche Woche von ihr weg bin, sie noch nicht so weit ihren Sinn erweicht haben soll, mich aufspüren zu lassen, was doch wohl keine so schwierige Sache gewesen wäre. Jetzt, wie Ihr seht, bin ich in den besten Umständen, ich habe 5 Guineen 4 Schillinge, alles mein Eigenthum, und sie kann nicht wohl meinen, ich brauche Geld von ihr; mein Herz drängt mich zu ihr hin und ich will hingehen und sie wegen meiner Uebereilung um Verzeihung bitten.«
»Ey, ey wie empfindsam!« rief der lange Ned, ein wenig beunruhigt über den Gedanken, Paul könnte den Klauen, die sich ihm, wie Ned meinte, so fest angeklammert hatten, doch noch entwischen. »Wie! Ihr habt doch nicht im Sinn, nachdem Ihr die Freuden der Unabhängigkeit gekostet, wieder in das versoffne Hundeloch umzukehren und all die Spektakel der berauschten Mutter Lobkins mit anzusehen? Besser, Ihr wäret bei Mac Grawler geblieben, im Fall der Wahl!«
»Ihr versteht mich nicht,« antwortete Paul, »ich will nur mit ihr mich auseinandersetzen und ihre Erlaubnis einholen, die Welt zu sehen. Mein letzter, bleibender Entschluß ist: auf Reisen zu gehen.«
»Recht!« rief Ned, »auf der Landstraße und zu Pferd, hoff' ich.«
»Nein, mein Landstraßenschlagbaum! Nein, ich bin im Zweifel, ob ich mich soll in ein ausländisches Regiment anwerben lassen, oder – darüber erbitte ich mir Euern Rath – ich meine, ich hätte viel Beruf zum Theater, seit ich einmal Garrick im Richard sah. Soll ich ein wandernder Schauspieler werden? Es muß ein lustiges Leben seyn.«
»O, der Teufel auch!« rief Ned. »Ich agirte selbst einmal den Cassio in einer Scheune, und Jedermann schwur, ich habe die Scene, wo der Rausch vorkommt, meisterhaft gespielt; aber ihr habt keinen Begriff davon, welch ein klägliches Leben es für einen Mann von Fähigkeit ist. Nein, mein Freund! Es gibt nur Einen Vers in allen alten Theaterstücken, welcher Aufmerksamkeit verdient:
Sein oder nicht sein – das ist jetzt die Frage,Das englische Wortspiel kann nur schwach durch den Doppelsinn von sein und seyn nachgebildet werden. Es heißt im Text: Toby or not Toby zu deutsch Räuber oder nicht Räuber; die Aussprache ist ungefähr gleich mit to be. das Uebrige weiß ich nicht mehr.« »Gut!« sagte unser Held, im gleichen scherzhaften Ton antwortend, »ich gestehe, ich habe des Mimen hohen Ehrgeiz. Es ist unbeschreiblich, wie mir das Herz schlug, als Richard ausrief: »Hei, Blechmusik!«Blech soviel als Geld. Es mußte auch hier frei übersetzt werden. Ja Pepper, brüstet Euch nur!«
»Es schlagen tausend Herzen mir im Busen.«
»Nun, nun!« sagte der lange Ned, sich streckend, »da Ihr auf das Theater so erpicht seyd, was sagt Ihr zu einem Besuche dort, diesen Abend? Garrick tritt auf!«
»Es bleibt dabei,« rief Paul.
»Es bleibt dabei,« wiederholte schläfrig der lange Ned mit dem anständig gedehnten Wesen, das den gereiften Mann von Welt vom schwärmerischen Neuling unterscheidet. »Es bleibt dabei; und nachher wollen wir ins weiße Roß gehen.«
»Aber haltet einen Augenblick,« sagte Paul, »wenn Ihr Euch noch erinnert, ich war Euch eine Guinee schuldig, als wir uns das letztemal sahen – hier ist sie!«
»Thorheiten!« rief der lange Ned aus und schob das Geld zurück, »Thorheiten; Ihr braucht jetzt das Geld; zahlt mich, wenn Ihr einmal reicher seyd. Nein, seyd damit nicht spröde! Ehrenschulden werden jetzt nicht mehr bezahlt, wie früher Sitte war. Wir lustigen Gesellen von Fishlane Club haben alles dergleichen aufgegeben. Nun, nun, wenn ich muß.«
Und damit schob der lange Ned, als er Paul darauf bestehen sah, die Guinee in die Tasche. Als diese kitzliche Sache abgemacht war, sagte Pepper:
»Kommt, kommt, nehmt Euern Hut; aber bei Gott, ich hab etwas vergessen.«
»Was?«
»Nun, mein guter Paul, bedenkt, das Theater ist ein Ort, wo es nach der höchsten Mode zugeht – betrachtet Euern Rock und Eure Weste, mehr sag ich nicht!«
Unser Held war durch dieses argumentum ad hominem wie versteinert. Aber der lange Ned, nachdem er sich an seiner Verlegenheit geweidet, tröstete ihn darüber, indem er ihm sagte: er wisse einen ehrlichen Handelsmann, der einen Laden mit fertigen Kleidern ganz nahe beim Theater halte, und ihn in einem Nu herausputzen werde.
Der lange Ned hielt auch pünktlich Wort; er führte Paul zu einem Schneider, der ihm für 30 Schilling, halb baar, halb auf Credit, einen grünen Rock mit verblichenen goldenen Tressen, ein Paar rothe Unaussprechbare und eine Pfeffer- und Salzweste verabreichte – freilich waren diese Kleidungsstücke ziemlich groß und weit, denn sie hatten früher keiner geringern Person gehört, als dem langen Ned selbst; aber Paul sah in jenem Augenblick auf solche äußerliche Kleinigkeiten nicht, was er erst in der Folgezeit bei Gentleman George lernte (eine Person, mit der wir später unsern Leser bekannt machen werden), und er gieng in das Theater, so zufrieden mit sich selbst, als wäre er Herr T – – oder der Graf von M – – gewesen.
Unsre Abenteurer saßen nun ganz gemächlich im Schauspielhaus und wir halten es für überflüssig, die Vorstellung, welche sie sahen, oder die Beobachtungen, die sie anstellten, weitläufig zu beschreiben. Der lange Ned gehörte zu den vornehmern Landstraßenmännern, die sich um Alles in der Welt nicht herablassen würden, anderswo als in den Logen zu erscheinen und demgemäß verschafften sich unsre Freunde zwei Plätze auf der Gallerie. In der nächsten Loge, neben der, welche unsre Abenteurer zierten, fiel ihnen vor den übrigen Zuschauern ein Gentleman und ein junges Frauenzimmer auf, die neben einander saßen; letztere, etwa dreizehn Jahre alt, war so außerordentlich schön, daß Paul, trotz seiner theatralischen Begeisterung, sein Auge kaum von ihrem Angesicht weg auf die Bühne wenden konnte. Ihr Haar von glänzendem schönen Kastanienbraun, fiel in reichen Locken über ihren Hals und warf einen sanftern Schatten auf eine Haut, in welcher gleichsam die Rosen eben in Knospen aufzuquellen schienen. Ihre großen blauen und mehr schmachtenden als glänzenden Augen waren von den dunkelsten Wimpern umgeben. Ihr Mund schien im buchstäblichen Sinne von Lächeln eingefaßt, so zahlreich waren die Grübchen, welche, so oft die vollen, schwellenden, feuchten Lippen sich theilten, sichtbar wurden, und der Zauber dieser Grübchen wurde unterstützt durch zwei Reihen von Zähnen glänzender als die reichsten Perlen, die je eine Braut umleuchteten. Aber der Hauptreiz dieses Angesichts war der ausnehmende, rührende Ausdruck von Unschuld und mädchenhafter Sanftheit; man hätte können ewig diese erste unaussprechlich holde Blüthe ansehen, diesen unberührten, fleckenlosen Duft, den jeder Hauch schon zerstören zu können schien. Vielleicht konnte man an diesem Gesicht aussetzen, daß es nicht belebt genug sey; aber vielleicht verlieh ihm eben dieser Mangel eine neue Anziehungskraft; die Ruhe der Züge war so sanft und edel, daß das Auge mit demselben Entzücken sich hier ergieng und mit demselben Widerstreben sich davon trennte, wie es empfindet, wenn es auf solchen Farben verweilt und sie dann verläßt, welche im angenehmsten Einklang mit seinen innern Organen stehen. Aber während Paul seine Augen an dieser jungen Schönheit weidete, hatten die kühneren Blicke des langen Ned ein nicht minder verführerisches Ziel in einer großen goldnen Uhr gefunden, welche der Herr, der das Mädchen begleitete, hin und wieder dem Auge darbot, als würde er nachgerade ein wenig verdrossen über die Länge der Stücke oder den Schneckengang der Zeit.
»Welch eine blendende Schönheit!« flüsterte Paul.
»Blendend? ist denn auch das Zifferblatt, wie der Deckel, von Gold?« flüsterte der lange Ned zurück.
Unser Held gaffte ihn an, runzelte die Stirne und erklärte seinem Begleiter, trotz seiner gigantischen Gestalt: er solle sich einen andern Gegenstand für seine Scherze suchen. Ned gaffte ihn auch wieder an, gab aber keine Antwort.
Nachgerade wurde Paul, obgleich das Frauenzimmer wohl noch zu jung war, um sich in sie zu verlieben, neugierig, in welchem Verhältnis ihr Begleiter zu ihr stehen möge? Obwohl der Gentleman ein ganz schöner Mann war, waren doch seine Züge so wie der ganze Ausdruck seines Gesichts gar sehr verschieden von denjenigen, welche Paul mit solchem Entzücken betrachtete.
Er war dem Anschein nach nicht über fünfundvierzig, aber seine Stirne war von vielen Linien und Furchen durchschnitten, und das Licht seiner Augen, obwohl forschend, war nüchterner und gelassener als es sich von seinen Jahren erwarten ließ. Ein unangenehmer Ausdruck spielte um den Mund und die Form des Gesichts, das lang und schmal war, verminderte bedeutend den günstigen Eindruck einer schönen Adlernase, guter Zähne und einer dunkeln, männlichen, obwohl gelblichen Gesichtsfarbe. Eine Mischung von Schlauigkeit und Zerstreuung sprach sich in diesem Angesicht aus. Sehr wenig Aufmerksamkeit schien er dem Schauspiel, so wie Allem was um ihn her vorgieng, zu widmen; aber er zeigte, als das Stück vorüber war, eine ungemeine Lebhaftigkeit in der Art, wie er seiner jungen Begleiterin den Mantel umhieng, und durch den Menschenschwarm, den jetzt die Logen ausströmten, sich Bahn brach.
Paul und sein Gefährte folgten ihnen schweigend, und jeder aus sehr verschiednen Beweggründen. Sie standen jetzt an der Thüre des Theaters.
Ein Diener trat vor und setzte den Gentleman in Kenntniß, sein Wagen sey nur einige Schritte weit entfernt; aber es dürfte einige Zeit währen, bis er vorfahren könne.
»Kannst Du bis an den Wagen hin zu Fuß gehen, meine Liebe?« fragte der Gentleman seine junge Begleiterin, und auf ihre bejahende Antwort verließen beide, unter Vortritt des Dieners, das Schauspielhaus.
»Kommt weiter!« sagte der lange Ned hastig und eilte in derselben Richtung, welche die Unbekannten genommen, weiter. Paul war damit sehr zufrieden; bald holten sie die Fremden ein. Der lange Ned ging zunächst neben dem Gentleman und streifte ihn im Vorbeigehen. Sofort rief eine Stimme: Halt Dieb! und der lange Ned stürzte sich mit der Ermahnung an Paul: »Schiebt Euch fort, lauft!« von unsers Helden Seite weg in das Getümmel und war in einem Nu verschwunden. Ehe Paul wieder zur Besinnung kam, fand er sich plötzlich beim Kragen gefaßt; er wandte sich rasch um und sah das schwärzliche Angesicht des Begleiters der jungen Dame.
»Spitzbube!« rief der Gentleman, »meine Uhr!«
»Uhr!« wiederholte Paul ganz verblüfft, und nur durch die Rücksicht auf die junge Dame zurückgehalten, daß er nicht den ihn Festhaltenden zu Boden schlug, »Uhr!«
»Ja, junger Mensch!« rief ein Bursch in einem großen Ueberrock, der jetzt plötzlich auf der andern Seite Pauls erschien: »dieses Gentleman's Uhr – befehlen Eure Ehren (und damit wandte er sich an den Klageführenden), ich bin der aufgestellte Wächter – soll ich diesen Käufer ohne Geld verhaften?« »In alle Wege!« rief der Gentleman, »ich verliere lieber das Doppelte des Werths als die Uhr. Ich kann schwören, ich sah den Begleiter dieses Burschen sie mir aus der Tasche schnellen. Der Dieb ist fort, aber wir haben wenigstens den Mitschuldigen. Wächter, ich gebe ihn Euch in strenge Aufsicht; Ihr haftet für alle Folgen, wenn er entwischt.«
Der Wächter antwortete mürrisch, es bedürfe bei ihm der Drohungen nicht, er wisse wohl seine Schuldigkeit zu thun.
»Antwortet mir nicht, Bursche!« sagte der Gentleman hochmüthig, »thut, wie ich Euch befehle!« und nach einem kurzen Gespräch sah sich Paul plötzlich zwischen großen Männern abgeführt, die aussahen, als ob sie ihn fressen wollten. Inzwischen war er seines Erstaunens und Zorns Meister geworden; er war scharfsichtig genug um einzusehen, daß sein Begleiter das Vergehen begangen hatte, wofür man ihn festnahm, und er sah auch voraus, daß dieser Umstand für ihn selbst üble Folgen nach sich ziehen könne. Bei der ganzen Fysiognomie des gegenwärtigen Falles urtheilte er: ein Versuch zu entfliehen würde kein unkluger Schritt von seiner Seite seyn, er nahm also, nachdem er einige Schritte ganz ruhig und geduldig fortgegangen war, seine Gelegenheit wahr, riß sich von dem ihn haltenden Mann zu seiner linken Seite los und führte die so befreite Hand gegen die Wange des Herrn zu seiner Rechten mit so gründlich gutem Willen, daß er jenen bewog, ihn loszulassen, und einige Schritte in schiefer Haltung gegen die Geländer zu taumeln. Aber ein solcher Bogenschuß von Backenstreich mit der linken Hand geschleudert ist sehr unersprießlich gegen die Gegenwehr eines festen Gleichgewichts, und ehe Paul sich hinlänglich gesammelt hatte, um einen erfolgreichen neuen Sturm zu wagen, war er durch einen Schlag des andern, unversehrten Wächters, der ihn ganz der Besinnung beraubte, zu Boden gestreckt, und als er diesen nützlichen Schatz wieder gefunden hatte (welchen zu verlieren sich Einer mit Recht rühmen darf, weil nur die Minderzahl ihn zu verlieren hat), fand er sich auf einer Bank im Wachthause hingestreckt.